Sonnenbad
»Ich kann es echt nicht mehr ab!«, fauchte Elisabeth wütend und schlug mit der Faust auf den Esstisch, sodass die Suppe von meinem Teller schwappte. Ich ging zur Spüle und holte einen Lappen. Währenddessen wetterte sie weiter: »Den ganzen Sommer! Den ganzen verdammten Sommer! Ich kann es echt nicht mehr sehen!«
Ich seufzte, wischte die Suppe vom Tisch und entgegnete: »Schatz, dann sag es ihnen. Sag ihnen, dass es dich stört.«
Sie fuchtelte wild mit den Armen, schnitt ein paar Grimassen und deutete dann wutentbrannt aus dem großen Fenster. Auf unseren Ausblick, den wir beim Essen genossen.
»Ich hasse diese verdammten Boisenbergs! Und wie bitte soll ich denn da rüber gehen? Die liegen doch den ganzen verdammten Tag auf ihren penibel geputzten Liegestühlen, in ihrem vorzeige Garten, auf ihrem verdammten gepflegten Rasen! Und solange sie da liegen kann ich nicht zu denen gehen!«
Ich zuckte mit den Schultern. Mir war das eigentlich ganz egal. Ich hatte kein Problem mit den neuen Nachbarn. Zwar hatte ich noch nie ein Wort mit ihnen gesprochen, seit sie hier eingezogen waren, aber darüber war ich auch ganz froh. Ich brauchte den Kontakt zu den Nachbarn noch nie.
»Dann geh halt zu ihnen rüber, wenn sie die Liegen verlassen und ins Haus gehen«, schlug ich vor. Doch dieser Vorschlag wurde mit einem entsetzten Blick und einer abwinkenden Hand zunichte gemacht. »Ich soll mich allein in die Höhle des Löwen vorwagen? Hast du sie noch alle?«, kreischte sie. Jetzt begann der Zeitpunkt, wo sie mich für alles verantwortlich machen würde. Aber was konnte ich denn dafür?
»Wenn du es nicht ertragen kannst, dass unsere Nachbarn halt gerne nackt sind…«, versuchte ich es auf diese Weise, wurde jedoch sofort unterbrochen.
»Halt gerne nackt? Ha! Ich habe sie noch nie angezogen gesehen! Dass sie sich auf ihren Liegen nicht gegenseitig vernaschen ist auch alles! Und das ist unser täglicher Ausblick beim Essen! Findest du das nicht abartig?«
»Mein Gott, in der Steinzeit waren die Menschen auch so gut wie nackt! Das ist doch normal.«
»Leben wir in der Steinzeit?«, setzte sie erneut dagegen und ich wusste, dass diese Diskussion entweder schlecht oder gar nicht enden würde.
»Weißt du was?«, sagte ich und stand auf. »Entweder du gehst da rüber und regelst das oder du bleibst hier und musst es ertragen. Aber dann darfst du dich auch nicht beschweren, wenn sich nichts ändert. Ich bin weder dein Vater noch dein Vormund oder gar dein Sklave und brauche deshalb auch nicht deine Angelegenheiten regeln. Wenn du es nicht änderst, dann ändert es niemand!«
Mit diesen Worten verließ ich die Wohnung. Ich brauchte jetzt etwas frische Luft.