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Kain und Abel

von

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IV. Akt: Die Richtung.

Über die Jahre hatte Orochimaru eine beachtliche Anzahl an Unterschlupfen eingerichtet und eine ebenso beeindruckende Zahl an Gefangenen und Anhängern dort postiert, die den Anbu in den letzten Wochen der intensiven Suche nach seinem Aufenthaltsort das Leben schwer machten – angefangen bei den vielen Verstecken im ehemaligen Ta no Kuni, die zusammen Otogakure no Sato bildeten, bis hin zu den von seinen treuesten Untergebenen geleiteten Gefängnissen und Laboratorien für seine Experimente in den anderen Reichen. Es hatte der vereinten Kraft Konohas und einiger helfender Hände der verbündeten Dörfer bedurft, Versteck um Versteck auszuräuchern und so viele Informationen wie möglich aus den Untergebenen des Sannin herauszubekommen, die sich zum Großteil jedoch als unwichtig oder sogar falsch herausstellten: eine weitere Maßnahme Orochimarus zu seinem Schutz war es wohl gewesen, dem Fußvolk die unterschiedlichsten Märchen aufzutischen, die seine Verfolger regelmäßig in die falsche Richtung lenkten. Ibiki und sein Team hatten alle Hände voll zu tun und wurden von Tsunade unablässig im gesamten Land umhergeschickt, um die Gefangenen einzelner Einheiten der Anbu und Nijū Shōtai ein weiteres Mal zu verhören und ganz sicher zu gehen, keine Hinweise zu übersehen.

Schließlich hatte eines der Anbu-Teams endlich die Spur Orochimarus finden können. Unverzüglich wurde ein Großteil der Anbu-Truppen zusammengeholt, um vor allem die Umgebung westlich von Takigakure näher zu durchsuchen, während es sich der Rest gemeinsam mit den Nijū Shōtai und den Verbündeten weiterhin zur Aufgabe machte, auch die restlichen Verstecke, deren Standorte die vielen Verhöre der letzten Wochen zum Vorschein gebracht hatten, auszuheben. Niemand wusste, wie viele mehr es gab, deren Existenz ihnen nach wie vor unbekannt war, doch von diesem Schlag würde sich das hinter Orochimaru stehende Netzwerk – wenn überhaupt jemals – so schnell nicht erholen.
 

Die Sonne hatte erst vor wenigen Minuten ihren Aufstieg begonnen, doch schon jetzt huschten einige weiß gekleidete Gestalten beinahe lautlos durch die noch dunklen Wipfel der Bäume. Yūno nahm aufmerksam ihre Umgebung linkerhand in Augenschein, wie es ihr befohlen worden war, während sie ihren zwei Senpais folgte, den Vierten der Gruppe – er war nach Godaimes Einberufung am vorigen Mittag erst vor spät in der Nacht wieder zu ihnen gestoßen und noch etwas schlaftrunken – nah hinter sich spürend. Sie war es gewesen, die Orochimarus Spur entdeckt hatte, und während die meisten anderen Anbu-Einheiten noch auf dem Weg ins Reich des Wasserfalls waren hatten sie und ihre zwei Teamkollegen in Kōkis Abwesenheit schon ein weitläufiges Gebiet an der Grenze zum Feuerreich durchsucht.

Auf ein Zeichen des Buntaichōs hin, dass sich etwas vor ihnen befand, sprengten die Vier auseinander und verschmolzen regelrecht mit dem umliegenden Blattwerk, geduldig abwartend, was passieren würde. Der strenge Zopf, der ihr kurzes, schwarzes Haar zusammenhielt, drückte gegen den knorrigen Baumstamm in ihrem Rücken, während Yūno versuchte, durch die Augenlöcher ihrer vogelartigen Maske und den Ästen und Zweigen hindurch einen besseren Blick auf das Dickicht unter ihnen zu erhaschen. Sie bemerkte die Bewegung im selben Moment, in dem aus der Krone des Baumes gegenüber eine lange, weiße Bahn Verbandsstoff hinabschoss. Als Sensor-Ninja entging ihr nicht das Chakra, das durch die speziellen Fäden, aus denen der Stoff gearbeitet war, floss. Vom Willen Ittans gelenkt wickelte sich der Stoff um das Objekt auf dem Erdboden und zog es sofort nach oben, eine Flucht erschwerend.

Eine Schlange…, erkannte Yūno, als sie das dünne, sich wie ein Aal in der Hand eines Anglers windende Tier sah, das sich dank seiner Farbe kaum von dem es umwickelnden Verband abhob. Das Team sprang gemeinsam zum Erdboden zurück, um den Fang besser in Augenschein nehmen zu können, wozu der Iryōnin den Chakrafluss unterbrach und die Schlange behutsam auswickelte.

"Ein Spion Orochimarus?" fragte er und hielt das nicht einmal einen Meter messende Reptil hoch, damit es alle gut sehen konnten. Aus roten Augen und aufgebracht hissend blickte es den Anbu entgegen.

"Ich spüre in ihr definitiv Orochimarus Chakra" teilte Yūno ihren Teamkollegen mit. Sie war kein Mitglied des Hyūga-Clans und besaß auch sonst kein Dōjutsu, doch ihr Gespür für selbst die kleinste Ansammlung Chakra war ausschlaggebend für ihre Aufnahme in die Spezialeinheit gewesen. Sie beschrieb es anderen immer als eine Art sechsten Sinn, mit dem sie die Energie anderer in jeder Zelle ihres Körpers spürte, viel stärker, als es bei anderen Ninja der Fall war. Mehr noch erkannte sie die Spur, die das Chakra bei der Berührung mit seiner Umgebung hinterließ, und konnte ihr bis zu einer gewissen Distanz folgen, was sie in nur kurzer Zeit unverzichtbar machte in Spähmissionen. Aus diesem Grund lief sie nun zu der Stelle, an der die Schlange von Ittans Kekkei Genkai gefangen worden war und konzentrierte sich darauf, den Weg, den das Reptil genommen hatte, zu rekonstruieren.

Aufgrund der geringen Energiemenge war es mühselig, die Spur zurückzuverfolgen und nahm viel Zeit in Anspruch, doch Geduld besaß Yūno wie jedes Anbu-Mitglied zur Genüge.
 

Schließlich führte der vermeintliche Spion die Gruppe zu einer von allerlei Gestrüpp überwucherten Hügelkette in den Ausläufern des Waldes im Grenzgebiet der Reiche des Feuers, Grases und Wasserfalls. Die Anbu näherten sich mit äußerster Sorgfalt, bot die Umgebung doch genug Hinterhalte und ihnen vom Standpunkt eines Beobachters aus wiederum nur wenig Deckung. Kōki, ein erfahrener Anbu, dessen Spionage-Erdtechniken schon im dritten Ninjaweltkrieg unschätzbare Informationen lieferten, brauchte nur wenige Minuten, um die drei gesuchten Subjekte im Inneren des vom Hügel aus unter die Erde verlaufenden Tunnelgeflechts inmitten einiger weiterer Otonin auszumachen – Orochimaru musste diese Art Verstecke wirklich zu schätzen wissen, bestanden doch ein Großteil derer aus einer solchen Aufmachung, angefangen bei dem mittlerweile verlassenen Otogakure. Dies schien ein neuerer Unterschlupf zu sein, sprach die Anzahl der sich in ihm befindenden Menschen doch gegen die Annahme, auch hier einer Gruppe Orochimarus Gefangener zu begegnen. Shō rief mit seinem Kuchyose no Jutsu sogleich einen kleinen Schwarm unterschiedlich gearteter Nintori – Vögel, mit denen er einen Vertrag geschlossen hatte – herbei und schickte sie los, den anderen Anbu-Teams ihre Position mitzuteilen. In den schützenden Wipfeln ausharrend erwarteten die Anbu die Ankunft der anderen Teams, während sie die Umgebung wachsam im Auge behielten, um nicht ihrerseits von weiteren Spionen Orochimarus entdeckt zu werden.
 

Die Sonne hatte den Himmel vollständig eingenommen, als das dritte benachrichtigte Team endlich eintraf. Yūno wurde unruhig. Ihr Unterbewusstsein reagierte auf etwas, das sie noch nicht genau benennen konnte, doch schon nach wenigen Minuten wuchs das Gefühl von Unwohlsein zu etwas Größerem heran.

"Shō" sagte sie, ihre Stimme kaum lauter als ein Flüstern, was auch nicht nötig gewesen wäre, da der Buntaichō direkt neben ihr stand. "Ich spüre ein Chakra näher kommen, das nicht zu unseren Leuten gehört."

Shō wandte sich ihr zu und schien sich selbst auf ein solches Chakra konzentrieren zu wollen, aber er wusste, dass er es selbst erst in einigen Minuten würde spüren können. Yūno derweil begann, auch körperlich darauf zu reagieren. Vorbei war die fast meditative Stille in ihrem Inneren, verschwunden die Konzentration auf ihr eigentliches Ziel.

"Ist er es?" fragte Shō nur knapp und Yūno nickte. Wie hat er uns nur so schnell gefunden? Er wird uns alles kaputt machen..., dachte sie und wünschte sich, jemand würde ihn aufhalten, ehe er heran war. Doch die Befehle der Hokage waren eindeutig: lasst ihn ziehen. Er war über den Punkt hinaus, an dem Vernunft noch half, ab jetzt wäre jedes Eingreifen fatal. Godaime wollte keine zweite Katastrophe wie die in Tsuchi no Kuni erleben.

Es war, als auch diejenigen unter ihnen mit einem normalen Gespür für Chakra den Jungen herannahen spürten, das Shō seinem und damit auch den anderen Teams die Aufforderung gab, sich für den Kampf bereit zu machen. Mittlerweile waren fünf Teams vor Ort, und länger würden sie auch nicht mehr warten können – wenn sie Kyūbis Chakra spüren konnten, würden es Orochimaru und seine Leute ebenfalls können.
 

Naruto konnte die Konturen einiger Anbu in den Wipfeln der letzten Bäume ausmachen, bevor die weite, hügelige Steppe begann, die noch von Kusa no Kuni ins Reich des Wasserfalls überging. Sie hatten angriffsbereite Posen eingenommen, als würden sie jeden Moment stürmen, doch ihre Masken waren ihm zugewandt, in stiller Erwartung. Innerlich wappnete er sich dafür, sich wenn nötig mit Gewalt einen Weg durch ihre Reihen zu bahnen. Er war fast die gesamte Nacht über unterwegs gewesen und aus der kurzen Ruhepause, die er sich nach Überqueren der unsichtbaren Grenze ins Taki no Kuni gönnte, von einer Nachhut Orochimarus aufgeschreckt worden. Doch der kurze Kampf hatte ihn nur noch rastloser werden lassen und Kyūbis Gier in seinem Inneren angefacht.

Während Naruto unaufhaltsam vorwärts preschte tauchte die Gestalt Kabutos auf dem höchsten Punkt des Hügels auf, den Blick ihm zugewandt, als erwartete er ihn schon. Ein Dutzend von Orochimarus Handlangern eilte links und rechts von ihm vorbei auf den Waldausläufer zu – für die Anbu das Zeichen zum Angriff. Naruto stürmte hinter den Anbu her, die sich in den Kampf mit den Otonin stürzten, während Kabuto von der anderen Richtung her ebenfalls in Bewegung geriet. Ohne sich aufhalten zu lassen brach er durch die Angriffe der ihn bedrängenden Anbu hindurch, auf Naruto zusteuernd, und auch Naruto selbst folgte unaufhaltsam seinem Weg, ohne sich von einer der beiden Seiten in einen Kampf verstricken zu lassen.

Niemand konnte ihr Vordringen aufhalten, und schließlich trafen sie sich – sie würdigten einander keines Blickes, und ohne langsamer zu werden rannte Naruto an ihm vorbei weiter auf den Hügel zu, Kabuto jedoch jagte Ittan und den anderen Iryōnin entgegen, die noch in den Bäumen versteckt zurückgeblieben waren.
 

Als nächstes erklomm Orochimaru persönlich den Hügel – sein Chakra ließ Kyūbi nach ihm lechzen. Mit vor Wut verzerrter Fratze blickte der Sannin ihm von der gleichen Stelle, an der zuvor Kabuto gestanden hatte, entgegen. Doch auch er war nicht derjenige, den Naruto suchte. Naruto spürte, wie hinter ihm eine Handvoll Anbu herannahte, griff aus dem Shuriken-Halter an seinem rechten Bein drei der Wurfsterne und schleuderte sie dem Nukenin entgegen. Orochimaru schenkte ihnen kaum Beachtung, doch als die Shuriken ihn passierten wandelten sie sich in die Kagebunshin, die Naruto nach dem Angriff in der Nacht vorbereitet hatte, und ergriffen seine Arme und den Oberkörper. Naruto duckte sich weg und lieferte ihn den Anbus aus. Der Junge erreichte den Eingang zu dem Höhlensystem nur kurz vor einem weiteren Anbu, der ihm auf den Fersen geblieben war. Als er den mit etwas Gestrüpp verdeckten Eingang hinter sich ließ hatte er schon eine Schriftrolle gezückt, die er in Windeseile vor sich auf der kalten Erde ausbreitete und einige Kunai beschwörte, an deren Enden Kibakufuda befestigt waren. Bevor der Anbu ihm unter die Erde folgen konnte warf Naruto die Kunai, sodass sie rings um den Eingang im Erdreich stecken blieben, und verschwand tiefer im Gang, bevor die Explosion ihn und vor allem denjenigen, wegen dem er hier war, einschloss.

Sogleich fand sich Naruto in schummriger Dunkelheit wieder, die er schon aus dem alten Versteck kannte, doch er wartete nicht, bis sich seine Augen daran gewöhnten, sondern stürmte weiter, den alle paar Meter an den nur aus gehärteter Erde bestehenden Wänden angebrachten Fackeln folgend. Den wenigen Untergebenen Orochimarus, denen er hier unten begegnete, warf er weitere Shuriken entgegen, mit denen seine Kagebunshin zuvor den Körper getauscht hatten, angetrieben nur von dem Gedanken an diese eine Person, die irgendwo hier unten auf ihn wartete.

Dank seiner Kagebunshin erhielt er eine gute Vorstellung von dem Inneren dieses Unterschlupfes. Seine Beine trugen ihn wie von selbst vorwärts, Gang um Gang entlang, ohne überhaupt zu wissen, wohin er rannte. Es war eine Jagd, und der Kitzel betörte ihn.

Ganz plötzlich blieb er stehen, drehte sich um und rannte wieder ein Stück zurück. Einer der Kagebunshin hatte ihn gefunden. In die relative Dunkelheit hinein brüllte er den einen Namen, dessen Klang ihm so vertraut geworden war wie der seines eigenen. Seit Jahren sprach er ihn im Stillen immer und immer wieder aus. Nun war es Zeit, dass er eine Antwort erhielt.
 

Er fand ihn in einer Verfassung, die ihm nicht zuzutrauen gewesen war.

Sasuke saß im verwinkeltsten Punkt des Höhlensystems; hier und da spendete eine Lampe etwas Licht und Wärme, die hier, so weit unter der Erde, rar und kostbar war, und auf dem blanken Gestein lag ein Futon, das einen unbenutzten Eindruck machte. Am hinteren Ende des kleinen Zimmers saß die Gestalt Sasukes gerade außerhalb des Lichtkegels der nächsten Lampe auf dem Boden, die Beine angezogen und die Unterarme auf den Knien positioniert. Naruto begrüßte das gleiche ausdruckslose Gesicht wie bei ihrer letzten Begegnung vor einigen Wochen, doch etwas hatte sich geändert: Sasukes Augen wirkten leer. Absolut nichts war in ihnen zu lesen, nicht die geringste Regung; kein Erkennen, keine Überheblichkeit, nicht einmal Desinteresse. Naruto machte das nur noch wütender. Er hatte zumindest eine winzige Reaktion erwartet – Sasuke musste doch wissen, warum er hier war. Sollte er jedes menschliche Gefühl abgelegt haben? Bedeutete ihm der Bund seines alten Teams wirklich so wenig…?
 

Mit dem triumphierenden Jubelschrei Kyūbis umnebelte Finsternis Narutos Verstand. Zurück blieb nur der Hass auf diese eine Person und der Blutdurst des Ungeheuers, deren Rachegelüste an dem Uchiha-Clan viele Jahre Zeit gehabt hatten, zu wachsen und zu gedeihen. Naruto kannte die Konsequenzen seines Handelns gut, wusste um die Zerstörungskraft, die er freisetzte und die er hätte fürchten müssen nach allem, was sie bisher angerichtet hatte. Aber er hatte alle Vernunft fahren lassen. Und schon längst in die tiefsten Bewusstseinsebenen verbannt hörte niemand mehr seine Schreie, als Naruto jede Faser seines Körpers glühen und bersten spürte, während das Chakra des Fuchsungeheuers nun ungehindert aus der Versiegelung floss, seinen Wirt Stück für Stück zerstörend. Naruto spürte nicht mehr, wie Kyūbi Gestalt annahm und sein ehemaliges Teammitglied angriff, es in die Defensive zwang und in seiner Rage alles um sich herum vergaß. Auf einmal war da nur noch Schmerz, der alles bestimmte, ihn schier an den Rand des Wahnsinns brachte. Nur hier und da drang etwas von außen zu ihm durch – vielleicht ein Schrei, vielleicht ein Name…

Was hatte er nur getan?
 

Wie eine Marionette, deren Gliedmaßen nur von Fäden gezogen ungelenke Bewegungen zu tun im Stande war, begegnete Sasuke dem Angriff seltsam stockend, unkontrolliert. Aufgrund des geringen Platzes sofort in die Ecke gedrängt zeigte er überhaupt keine Ambitionen, mehr zu tun, als den Angriff zurückzuhalten. Die sonst so kühle Gelassenheit war einem beinahe schmerzvollen Gesichtsausdruck gewichen, während seine Augen weiterhin nicht das kleinste Anzeichen von Leben in sich trugen. Nichts an ihm spiegelte seine gewohnte Überheblichkeit wider.

"Naruto" wiederholte er unablässig, als wolle er sein Gegenüber davon überzeugen, dass dies tatsächlich sein Name war. Doch da war nicht mehr viel, was überhaupt noch an den Jungen dieses Namens erinnerte.

Mit Beunruhigung beobachtete er den Vorgang der Verwandlung – das Chakra des Neunschwänzigen, das sich einem Mantel gleich um Narutos Körper legte, wie er es schon einmal gesehen hatte, damals im Shūmatsu no Tani; die Intensität des Chakras nahm mit jeder verstreichenden Sekunde zu und machte nicht den Anschein, noch von dem Siegel unterdrückt zu werden. Die weitere Transformation war abscheulich anzusehen. Er hatte oft erlebt, was Orochimarus Macht mit dessen Körper anstellte, doch das war nichts im Vergleich zu dem, was Kyūbi anrichtete. Das musste aufhören. Naruto musste ihm zuhören…
 

"Wir haben es oft genug versucht" waren die Worte, die aus Narutos Mund drangen, doch es war nicht seine Stimme, die da sprach.

"Du verstehst nicht…"

Nein, er konnte nicht verstehen.

"Was passiert ist…"

Es war seine Schuld.

"Sakura-"

Nimm nicht ihren Namen in den Mund.

"Sakura…"

Wage es nicht.

"Ihr Tod…"
 

Der sich noch immer transformierende Körper Narutos drückte ihn so fest gegen die Wand, dass Sasuke kaum noch atmen konnte. Aus den Augenwinkeln sah er seine Tasche, in der all seine Waffen verstaut waren, nur zwei Schritte entfernt von sich liegen. Der Gestank verbrannten Fleischs stieg ihm in die Nase und rief Übelkeit in ihm hervor. Mit seinem ganzen Gewicht drückte er gegen den anderen und stieß ihn ein Stück weg, rannte zu seiner Tasche und zog ein Kunai hervor, dass er behelfsmäßig – es zitterte kaum merklich in seiner Hand – zwischen sich und Naruto hielt. Schritt für Schritt tat er rückwärts, dem Eingang entgegen, dessen eine Tür ersetzender Vorhang zuvor von dem Jungen heruntergerissen worden war.

"Naruto" versuchte es Sasuke erneut, doch es half alles nichts. Der Name gehörte nicht mehr dem Wesen, das da vor ihm stand.

"Sakura…"

Sasukes Stimme brachte nur noch ein Flüstern zustande. Naruto verstand nicht und er hatte nicht mehr die Kraft, sich zu verteidigen. Am Ende war es ja doch seine Schuld. Er verdiente es. Doch erst Sakuras Tod hatte ihm das vor Augen geführt.
 

"Er hat wohl den Verstand verloren" erklärte die raue Stimme Orochimarus hinter ihm sachlich. Eine Art Knurren entrang sich Narutos Kehle bei dem Anblick des Sannin, der reichlich in Mitleidenschaft gezogen worden war – seine derzeitige Hülle würde es nicht mehr lange machen. Nur noch ein paar Tage mehr und Sasuke wäre sein gewesen. Das Mädchen zu töten war ein Fehler gewesen.

Der Druck des Chakras wurde beinahe überwältigend. Der siebente Schwanz war schon fast fertig ausgebildet, als das Ungeheuer mit einem bloßen Peitschen seiner Ruten die Höhlenkonstruktion langsam zum Bröckeln brachte. Argwöhnisch beobachtete Kyūbi seine beiden Gegner, nur noch Zentimeter von Sasuke entfernt, der aufgehört hatte, vor ihm wegzulaufen.

"Rühre meine Hülle nicht an" zischte Orochimaru und holte die weiße Klinge Kusanagis aus seinem Körper. "Nicht er ist dein Feind…"

Während um sie herum Wände und Decke langsam einzustürzen begannen machte sich der Neunschwänzige für den letzten Angriff bereit. Seine Transformation war nun fast abgeschlossen; auf vier Beinen stehend erhielt das Skelett, das sich um das schmiegte, was vom Körper seines Jinchūrikis übrig geblieben war, die ersten Sehnen- und Muskelstränge.

Es dauerte nur einen Wimpernschlag: Orochimaru traf den Kyūbi mitten im Sprung, doch der Bijū fegte ihn einfach mit einem Prankenhieb zur Seite, als wäre er nichts weiter als eine Puppe. Sasuke hatte nicht einmal mehr die Zeit, zu reagieren. Er spürte kaum, wie sich die Krallen des Neunschwänzigen in sein Fleisch bohrten, der über ihm thronte, während er mit seinem Gewicht den Brustkorb des nun am Boden liegenden Uchiha unter sich zum Splittern brachte. Selbst wenn er es noch hätte halten können wäre sein Kunai in diesem Moment nutzlos gewesen. Es war eh alles zu spät. Sakura war tot, Naruto nicht mehr als das; er war es, der das Team zerstört hatte. Schwärze verschluckte seinen Verstand wie das Kunai das letzte Licht der Lampen, wie die Klinge seines Chokutōs das Sonnenlicht, als es ihm durch Sakuras Schlag aus der Hand gerissen und später unter den Trümmern vergraben wurde.
 

In einem dichten Strom floss Sasukes Blut über seine Krallen und färbte sie so rot wie die weiße Klinge Kusanagis, die tief in Sakuras Brustkorb steckte und im Sonnenlicht rötlich schimmerte. Wie das Katana, das Orochimaru fallen gelassen hatte und nun neben ihnen auf dem Boden lag.

Kusanagi.

Naruto wollte die Hand danach ausstrecken, doch der Neunschwänzige unterbrach die motorische Bewegung.

Sasuke beobachtete aus halb geschlossenen Lidern, wie die Gestalt des Jinchūrikis gänzlich von dem Bijū verschlungen wurde.

"Sasuke…" Die Stimme war nur ein Krächzen, als zwinge etwas das Monster, mit Stimmbändern zu sprechen, die nicht mehr für die Laute eines Menschen bestimmt waren.
 

Dann schloss Sasuke die Augen und ergab sich der Finsternis. Und Naruto folgte ihm nach.
 


 

Denn das ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt: Wir sollen einander lieben und nicht wie Kain handeln, der von dem Bösen stammte und seinen Bruder erschlug. […] Wundert euch nicht, meine Brüder, wenn die Welt euch hasst. Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod. Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Mörder und ihr wisst: Kein Mörder hat ewiges Leben, das in ihm bleibt. (1. Johannes 3, 11-15)



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Nalahime
2011-10-31T20:01:07+00:00 31.10.2011 21:01
Ich muss sagen, dass ich total überwältigt bin. Ich war geschockt, gerührt und dann war ich ganz am Ende nur noch am heulen und das Zitat aus der Bibel hat mir sowas von den Rest gegeben. ;-;
Das ist ja mal so eine Hammer FF von Naruto. Ich werde sie auf jeden Fall zu einem Favo machen. Mach weiter so! Grüße, Nalahime.
Von:  Masanobu
2011-10-04T21:46:17+00:00 04.10.2011 23:46
Wow!

fantastische fanfiction!
fesselnde story, umwerfender schreibstil, alles in allem genau das, was man sich wünscht~

als einziges manko muss ich das letzte kapitel anführen...
da ich kein fan von OCs bin fand ich das ein wenig schade, auch das zitat zum schluss fand ich ein wenig unpassend, da es die stimmung des schlusses etwas getrübt hat...

aber dennoch alles in allem eine richtig tolle geschichte, danke dafür ^-^

achja und glückwunsch zu yual ^-^
Von:  JoNaH
2011-03-30T19:14:46+00:00 30.03.2011 21:14
Wieder mal - und wohl zum letzten Mal WOW

Ich bin mal wieder sprachlos und habe das Kapitel verschlungen.
Es war ja abzusehen, dass Naruto Sasuke töten wird, aber es war weit weit weniger blutig als ich dachte.Das finde ich, passte auch gut zu der vorherigen Geschichte - alles war so überschattet vom Hass und von dem Ziel Sasuke zu finden und Sakura zu rächen.
Ebenfalls gut gepasst hat, dass Sasuke sich nicht gewehrt hat.

Der Anfang hat mich zwar etwas verwirrt, war dann aber schnell klar (wobei ich die verschiedenen japanischen Ausdrücke oft überlesen musst)


Also, alles in allem eine sehr gelungen Fanfic - auch das Zitat am Ende war gut! Du hast deine Richtung beibehalten und hast mehr Wert auf das Innenleben als auf große Kämpfe und Aktionen gelegt. (ich hoffe, ich tue dir da nicht Unrecht ^^)

Wünsch dir viel Spaß bei deinen neuen Ideen ^^
glg JoNaH


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