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Kaizoku no Baroque

II. Der salzige Wind der See
von

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Toshi-o-Toru – Der Atem des Waldes

Sie hatte sich im Wald verirrt, in den schönen, tiefen Wäldern mit dem dunklen, grünlich leuchtenden Licht. Es war still, so still, dass sie die Luft hören konnte. Sie konnte den Weg über den dichten Moosteppich, durch die Efeuranken, zwischen den großen Baumsäulen, die sich wie eine uralte Mauer erhoben, nicht mehr finden. Sie suchte etwas, jemanden. Sie musste sich beeilen, aber welche Richtung sie auch einschlug, sie blieb in der grünen Dunkelheit gefangen. Sie hörte das schwache Murmeln eines Flusses, das Seufzen eines Lufthauchs und das Trommeln in ihrem Kopf war das panische Pulsieren ihres eigenen Blutes. Dann nahm sie ein Flüstern wahr.
 

Iroko. Iroko…
 

Sie setzte sich senkrecht im Bett auf, die Augen schlaftrunken und noch vom Traum geblendet. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust.
 

Früher bist du immer mit einem Lächeln und einer neuen Frage aufgewacht.
 

Iroko seufzte und fuhr sich durch ihr verschwitztes Haar. "Ja, Mama, das ist lange her." Sie waren bald da.

Ein kurzer Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass es früher Morgen war. Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber der Himmel ging von seinem nächtlichen Blau in ein weiches Rot über. Zu wenig Zeit, um sich noch einmal umzudrehen und erneut zu versuchen einzuschlafen. Sie wollte diese Bilder gar nicht mehr sehen, wollte den Wald nicht hören, wie er nach ihr rief. Sie waren wirklich ganz nah, das konnte sie schon längst spüren. Heute oder morgen. Und dann war es vorbei. Sie stand auf und zog sich an, berührte dabei zum ersten Mal, seit sie Omoide verlassen hatten, das Amulett, das noch immer in ihrer Rocktasche steckte. Es kribbelte leicht auf ihrer Haut, fasste sich warm an. Ohne weiter darüber nachzudenken, steckte sie es zurück in den Rock und schlich sich an Deck. Miki, der für die Wache eingeteilt worden war, hatte sich bereits in die Kombüse zurückgezogen, so dass sie, wenn auch nur für wenige Minuten, das Deck für sich allein hatte. Sie sah das Meer und vermisste es schon jetzt, dabei war sie nie so ein großer Fan vom Segeln gewesen. Eigentlich stand sie lieber auf festem Boden, aber... nein, sie würde nicht mehr daran denken. Nie wieder. Sie wand sich um und folgte dem Riesen in die Bordküche, brühte sich einen Tee auf und setzte sich schweigend an den Tisch, sah dabei zu wie er sich langsam füllte, achtete dabei nicht auf die Zeit, die verging. Ganz abstellen konnte sie es nicht, das Beobachten, das Analysieren. Omoide hatten offenbar wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Paula folgte kurz nach ihr und warf den beiden nur ein kurzes "Guten Morgen" entgegen, ehe auch sie sich einen Kaffee aufbrühte und aus dem Fenster starrte. Die ersten Tage, nachdem sie Omoide verlassen hatten, war sie noch immer eingeschüchtert und verstört gewesen, doch inzwischen hatte es sich verbessert. Sie war wieder fast sie selbst, abgesehen davon, dass sie kaum redete. Nachzudenken schien sie dafür jedoch den ganzen Tag. Auch Gal und Uma folgten schließlich und setzten sich zu den anderen an den Tisch. Gal war sehr schweigsam geworden, doch Iroko entging nicht, dass sein Blick immer wieder auf ihr ruhte, seit Tagen immer wieder um sie zu kreisen schien. Er schien zu ahnen, was kam, scheute sich allerdings es auszusprechen.

Uma war die wohl Einzige, die nicht zeigen zu wollen schien, dass diese letzte Insel irgendetwas in ihr bewegt hatte. Aufgebracht schon am frühem Morgen, klopfte sie auf den Gott sei Dank sehr soliden Tisch. »So, jetzt aber mal zu dieser Insel Iroko. Was soll das Gerede eigentlich, dass du gehen willst, huh? Na? Was?«

Da sie nur einen stummen Blick von dem Kind kassierte, regte sie sich gleich noch mehr auf und stopfte Paulas Essen nur so ungehemmt in sich hinein, als wollte sie ihre Wut, ihre Sorge damit ersticken. Auch als ihr Magen bereits protestierte - ein Blick auf Iroko reichte schon, um sie weiter stopfen zu lassen.

Miki versuchte nicht hinzusehen. Das würde kein gutes Ende nehmen. Gerade wollte er darauf hinweisen, dass solch ein Essverhalten nicht gut war (wusste er aus eigener Erfahrung), als die Tür erneut aufschwang und Robin sich an den Tisch zu ihnen setzte. Auch ihr Blick lag fast gänzlich bei Iroko. Sie wusste, Toshi-o-toru lag lediglich nur noch eine Tagesreise entfernt und sie hatte noch immer keinen Erfolg gehabt Iroko umzustimmen. Nicht nur Iroko lief die Zeit davon. Sie behielt es sich jedoch vor etwas zu sagen, aß stumm ihre Mahlzeit. Omoide hatte offenbar keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Nur wenn sie allein war, überkam sie das Zittern erneut. Sie wusste, dass der Geist, dass Sierra hier war und es war wirklich kein angenehmes Gefühl. Dennoch, sie hatte sich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen. Zum Glück zeigte er sich ja nicht.

Der letzte, der an den Tisch kam, war Crocodile - Jazz hatte die letzten Male stets verschlafen und Paula glaubte, dass sie ihn auch heute nicht mehr pünktlich aus dem Bett bekam. Er wirkte unverändert, obwohl er nach Omoide noch lange mit Robin geredet hatte, um zu verstehen was wirklich passiert war. Sie hatte ihn damit abgespeist, was sie selbst zu glauben bereit war, und nach einiger Zeit und viel Mühe von ihrer Seite, schien er es endlich zu schlucken. Er hatte seitdem nicht mehr nachgefragt. Es war unwichtig geworden. Viel wichtiger war das, was noch vor ihnen lag. Toshi-o-toru. Und ihr Captain war nicht der einzige, der ein schlechtes Gefühl dabei hatte.
 

Als diese Insel am nächsten Tag, gegen Mittag in Sicht kam, begannen Iroko zum ersten Mal die Knie zu zittern. So nah, so nah, dass man die prägnante Form der Gebirgskette schon erkennen konnte. Im Osten fand man keinen Strand, sondern nur hohe Klippen, die direkt in harten Fels übergingen. Der Rest war Sandstrand, ging schnell in Kies über und neben dem Gebirge, dass sich wie ein Kreis über der Insel zusammen zog und in der Mitte ein großes Tal erzeugte, gab es auf Tosi-o-Toru nur vereinzelt ein paar Dörfer und natürlich die große Hafenstadt, deren Bewohner schon vor ein paar Jahren in die näher gelegenen Dörfer geflohen waren. Vor sechs Jahren war Toshi-o-Toru von einer schönen, kleinen Frühlingsinsel in ein Piratennest umgeschlagen. Selbst die Marinebasis, die hinter den Klippen lag, konnte daran nichts mehr ändern. Sie war leer, der Offizier unehrenhaft entlassen. Iroko wusste das genau, denn dieser Offizier war ihr Vater. Er lebte noch immer hier, das wusste sie. In der Stadt, die nur so vom elendsten Pack wimmelte, dass man sich vorstellen konnte. Aber all das war noch längst nicht zu sehen. Nur die Bergspitzen und der leichte Nebelflaum, der sich um die Wipfel schmiegte.

Das Mädchen achtete nicht auf Worte oder die Gespräche, die kleinlaut neben ihr geführt wurden, als sich die Minerva ihrer ehemaligen Heimat näherte. Je näher sie kamen, desto höher und dichter erstreckten sich die Wälder, desto weniger konnte man von der Insel erkennen, denn jedes ihrer Geheimnisse wurde förmlich von dem Grün verschluckt. Irokos Herz raste. Sie war wieder da, wieder Zuhause.

Erst als das Schiff anlegte, zeigte sich zum ersten Mal eine Emotion in ihrem jungen Gesicht. Sie wandte sich an ihren Boss, an sie alle, die an Deck standen und mehr oder weniger unglücklich auf das Eiland stierten. Sie achtete nur auf ihn, auf ihren Captain. Nein, nicht mehr. Jetzt war er nur noch Crocodile. »Ich wollte euch nur warnen. Früher war Toshi-o-toru eine gut befahrene Insel, vor allem für Händler und Marinesoldaten, aber keine Sorge. Davon ist nichts mehr übrig. Wenn ihr an Land geht, meidet besser die Stadt. Ihr kommt sonst nur in Schwierigkeiten. Es leben nicht mehr allzu viele Leute dort, aber die, die sich noch rumtreiben, haben nichts Gutes im Sinn. Die Dörfler mögen keine Fremden und der Wald ist ziemlich groß, man verirrt sich leicht darin. Nur ein gut gemeinter Rat.«

Niemand antwortete etwas, ihr Boss blickte ihr nur unergründlich entgegen, musterte sie.

Ihr Blick war merkwürdig weich, als sie seine große Form herab und wieder hinauf blickt. »Ich...« Dann schloss sie die Augen, die Stimme nur noch ein Flüsterton. »...danke... Bossu.« Dann wandte sie sich plötzlich ab und kletterte vom Schiff auf den Steg des Hafens. Sie sah sich nicht noch einmal um, wartete auf keine Worte oder Versuche sie aufzuhalten. Sie wollte nur schnell weg von ihnen ehe… ehe sie sich selbst nicht mehr dazu bringen konnte zu gehen. Ohne sie zu bitten, ihr zu helfen, ohne... nein. Stur ging ihr Blick gerade aus und kaum Fuß auf ihre Insel gesetzt, verschwand ihre Form im festen Dickicht der Bäume.
 

Robin sah ihr nicht sehr lange nach. Nur kurz blickte sie zu Crocodile. Sie hatte ihm schon längst gesagt, dass sie Iroko folgen würde. Also schwang auch sie sich wortlos vom Schiff und mit großem Abstand folgte sie dem Mädchen, achtete nur nebensächlich darauf, dass ihr niemand entgegen kam. Keine Seele war weit und breit zu erkennen. Der Steg mündete nach nur wenigen Metern in eine Strandpromenade, führte weiter ins Innere dieser Hafenstadt. Robin blickte aber nicht zu den Häusern, hielt allein Ausschau nach Iroko.

Ihr Captain hingegen blickte ihnen sehr lange nach. So lange, bis Robin in der Ferne nicht mehr zu sehen war und Jazz zusammen mit Miki die Minerva an die halb zerfallenen Stege des Hafens anband. Nur kurz drehte er sich seiner Crew zu und zog sogleich ihre Blicke auf sich. Sie alle hatten den gleichen Ausdruck in den Augen. Unruhe, Ungeduld, Unsicherheit. Eine verschwörerische Vertrautheit. Die Zukunft, die auf ihren Schultern lastete, die Zuversicht in ihren Captain, dass sie das bekam, was sie verdiente. Die Luft zwischen ihnen war dick, voller ungesagter Worte, die dennoch genau verstanden wurden. Die unausgesprochene Entscheidung, die jeder von ihnen getroffen hatte. Die Last, die sie von sich werfen würden. Das Ende der Maskerade.

»Ich werde ebenfalls gehen.« kam es plötzlich von ihrem Boss. Seine Stimme war ruhig und eigenartig angespannt. »Macht was ihr wollt, aber bitte passt auf das Schiff auf. Hier treibt sich so einiges versoffenes Piratenpack herum…«

Paula, Miki und Jazz nickten stumm und ließen ihn ziehen.
 

»AHHHHH SCHEIßE!« Drang es plötzlich aus dem unten Teil des Schiffes, quasi direkt von unter ihren Füßen. »VERDAMMTE KACKE!« Uma schrie sich bald die Seele aus dem Leib und es klang wirklich mehr als aufgebracht. Sie hörten es scheppern und krachen, als würde sie etwas Schweres durch den Raum werfen. »MAN!«

Es dauerte seine Zeit ehe Miki in Gang kam und die Tür zum Unterdeck aufsperrte, da kam ihnen eine wetternde Uma auch schon entgegen und trat direkt auf die Restgruppe zu, der Blick beängstigend. »Gah! Ihr werdet ohne mich gehen müssen! Ja, das müsst ihr. So ein Dreck! Man!«

Gal wirkte mehr als irritiert. »Was ist denn jetzt los?«

»Ich weiß nicht, wie man das in der Medizin nennt, aber da wo ich herkomme, heißt "Scheißeritis"!«

Ihm fielen fast die Augen aus bei der Bemerkung. »Eh...«

Miki gab ein paar Zeichen von sich, woraufhin Uma ihn böse ansah. »Grrr, JA, ich weiß, ich hätte gestern nicht so viel essen dürfen! Jetzt ist es zu spät. Ich hatte eben schon ein riesiges Abschiedsfeuer, das war sicher nicht das letzte!«

Gal wirkte immer noch irritiert, während Paula kicherte.

Die rothaarige Frau warf auch ihr einen bösen Blick zu. »Du brauchst gar nicht zu lachen!« Sie hob ihren Arm und zeigte auf sie alle. »Das kann euch allen passieren, wartet es nur ab. Ja, abwarten könnt ihr es.« Dann verzog sie wieder das Gesicht, hielt sich den Bauch und sie hörten ein lautes Grummeln. »Urgh...« Weitere Worte drangen nicht aus ihr. Sie wandte sich abrupt ab und rannte wieder Unterdeck. Sie hörten erneut die Türen schlagen und dann ein tiefes, schmerzliches Grunzen. Nur Sekunden später ein wütendes Schimpfen. »GAAAAH!«
 

~ ~ ~
 

Paula stand noch immer an der Reling und starrte auf das Land vor sich. Sie war inzwischen wieder allein, die anderen unter Deck verschwunden. Die meiste Zeit über war es ruhig, nur manchmal hörte man Uma grunzen und brüllen. Eigentlich wollten sie auf sie warten, um an Land zu gehen, doch ihr schien es nicht besser zu gehen. Geduldig streifte ihr Blick umher.

Was sie aus dieser Entfernung ausmachen konnte, war nicht viel. Sie konnte den Waldrand sehen, dessen Bäume so dicht wuchsen, dass man nicht einmal ahnen konnte, was dahinter sein mochte. Sowohl rechts, als auch links führte der Steg weiter, bis hin zu einer Handelsstraße oder was vermutlich einmal eine Handelsstraße gewesen sein mochte. Es standen ein paar Fässer und alte Kisten herum, Papier flog vereinzelt über den Boden und die Häuser, die sich hier klein und verfallen aneinanderreihten, ließ den Schluss zu, dass lange niemand hier gewesen war. Sie sah und hörte niemanden.

Die blauhaarige Köchin seufzte und drehte sich endlich um, schlenderte hinunter in die Kombüse. Eine halbe Stunde waren sie nun hier und nichts hatte sich verändert. Sie hatte keine Ahnung, was hier war, was geschehen würde oder wie es Iroko ging. Langsam wurde sie nervös. In der Küche traf sie auf Miki und Gal, die gegeneinander MauMau spielten, Jazz war oben im Krähennest und machte ein Nickerchen. Schweigend schlenderte sie zur Kaffeemaschine und brühte sich einige Bohnen, hörte zu wie die beiden Männer hinter ihr einander abzockten. Einige Minuten vergingen so, ohne dass sich etwas veränderte. Schließlich jedoch, als sie es nicht mehr aushielt, öffnete sie den Mund.

»Ich mache mir Sorgen um Iroko.«

Abrupt hielten die beiden Männer inne und sahen sie an, Gals Blick wich jedoch gleich wieder auf die Karten in seiner Hand.

Sie konnten die Entschlossenheit in ihren Augen sehen. »Wisst ihr nun, was sie hier will? Warum sie hier aussteigen will?«

Sowohl Miki als auch Gal schüttelten langsam den Kopf.

»Ich glaube Bossu hat eine Ahnung, und vielleicht auch Robin.« Sie knabberte sich an den Lippen. »Trotzdem mache ich mir Sorgen.«

Schweigend legte Gal die Karten nieder und schloss die Augen.

Es dauerte einen Moment, ehe sie ihre Stimme wieder erhob. »Kommt schon. Wir haben lange genug gewartet. ...Ich denke, wir sollten uns etwas umsehen. Irgendwie habe ich ein ganz schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache.«

»Verdammter DRECK! AHH!« lärmte es von nebenan.

Mit aller Macht ignorierten die drei das.

Dann stand Mister 3 schließlich auf und blickte zu seinem Gegenüber. »Ich komme mit.«

Miki sah zu den beiden und scheinbar grübelte er wirklich angestrengt. Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen und er stierte Paula direkt in die Augen, bewegte plötzlich ein paar Finger. Zeichensprache, in der Hoffnung Kokoroshima hatte ein paar Erinnerungen darüber in Paulas Kopf hinterlassen. "Ich mache mir auch Sorgen." Dann stand er auf und nickte ihnen zu.

Miss Doublefinger und Mister 3 nickten darauf entschlossen. »Lasst uns gehen.«
 

~ ~ ~
 

Unter seinen Schuhen knirschte der Kies, als er den brüchigen Steg verließ und Richtung Stadt marschierte. Stabil genug war das Holz, aber lange nicht gewartet worden. Vereinzelt setzten sich Wolken vor den noch klaren Himmel und die trockene Luft roch nach einer Mischung aus Blütenstaub und verrottetem Holz. Die wenigen Häuser, denen sie am Anlegeplatz begegnet waren, säumten sich immer enger in den Gassen, die sich nun vor Crocodiles Augen auftaten. Irgendwann umschlangen sie einander so eng, dass es keinen Platz mehr zwischen ihnen gab. Ein Haus ging direkt in das nächste über. Sie waren einst weiß gewesen, aber wirkten nun braun, verfallen, die Fenster eingeschlagen, die Türen zum Teil herausgerissen oder schwer beschädigt. Aus ihnen drang eine seltsame Wärme und ein fauliger Geruch, aber sie schienen leer zu sein. Crocodile konnte keine Geräusche hören, kein Atmen, Flüstern, nicht einmal ein Knarren oder Schaben. Nur einen kurzen Blick riskierte er, aber in den dunklen Schatten im zwielichtigen Licht, das durch die letzten Fensterscheiben fiel, konnte er niemanden erkennen. Alles wirkte verlassen, beinahe im Stich gelassen, als hätten die Menschen hastig ihr Hab und Gut gepackt und wären getürmt. Offenbar stimmten Irokos Informationen, auch wenn Crocodile noch keinen Menschen gesehen hatte. Das änderte sich nach wenigen Minuten, in denen er weiter voran schritt. Er sah jemanden aus einer Tür torkeln. Offensichtlich betrunken hielt der Mann noch eine Flasche in der Hand und schwenkte sie vor sich her, als er näher kam. Er stolperte immer wieder über seine Füße, konnte das Gleichgewicht aber halten. Er warf Crocodile einen Blick zu, ehe er weiter voran schwankte. Kein Interesse. Bei einem zweiten Blick auf das Gebäude, aus dem er gekommen war, konnte Crocodile eine Frau sehen, die im Türrahmen stand. Sie trug ein abgenutztes, ergrautes und sehr freizügiges Kleid, dessen Saum sich um ihre Oberschenkel schmiegte. Ihr Blick war leer, ihre Haut fahl und das Gesicht eingefallen. Als sie ihn wahrnahm, spuckte sie vor sich auf den Boden und grinste, zeigte ihm ihre Zahnlücken.

»Na, Süßer? Bist du einsam?«

Doch ehe er wirklich reagieren konnte , rief jemand von innen nach ihr. »Felicitas, komm rein, du hast hier noch nen Kunden! Los, schwing den Arsch, du Schlampe!«

Ein Augenrollen war ihre Antwort. Sie drehte sich auf dem Absatz um und glitt nach innen.
 

Das Bild änderte sich kaum, nur die Häuser wurden noch schäbiger, als hätte jemand seine Wut an dem unschuldigen Mauerwerk ausgelassen. Crocodile vermutete, dass es hier Kämpfe in der Vergangenheit gegeben hatte, was ebenfalls zu dem passte, was er selbst über diese Insel wusste. Eine blühende Insel, durch die Marine geschützt, vor bald sieben Jahren in Ungnade gefallen und seitdem verfaulte sie sinnbildlich. Einst hatte sie als wertvolle Insel gegolten, denn in dem weitläufigen Gebirge konnte man Gold abbauen, was vermutlich auch den Zuwachs an Piraten erklärte, der mit der Entlassung des hiesigen Offiziers einherging. Goldgräber, aber noch hatte Crocodile nicht sonderlich viele gefunden. Es war mitten am Tag. Scheinbar ließen sie sich tagsüber voll laufen, um nachts Streit ausbrechen zu sehen. Nur langsam füllte sich die Straße etwas, aber nichts Nennenswertes, was Crocodile nicht schon einmal auf die ein oder andere Weise gesehen hätte, kam ihm entgegen. Hauptsächlich Männer, aber auch ein paar Frauen, die entweder genauso versoffen wirkten, wie ihre männlichen Pendants oder sehr knapp bekleidet und mit breitem Grinsen und lockenden Fingern. Er entschloss sich von hier weiter ins Innere der Stadt zu gehen, weg vom Meer und in den scheinbar wirklich belebten Teil dieser Stadt.

Die Kastenreihe Häuser wurde hier immer wieder unterbrochen und es gab auch so etwas wie einen Marktplatz – beziehungsweise etwas, das einmal einer gewesen war. Die Karren mit zerbrochenen Töpfen und anderen unerkennbaren Gegenständen reihten sich in seinem Weg. Die Geräuschkulisse wurde immer lauter und hier und da hörte er Männer streiten, einer runter gekommener als der nächste. Ein paar Augen sahen sich nach ihm um und er erkannte sehr wohl das ein oder andere Blitzen in diesen gierigen Augen. Crocodile war ja nicht schlecht angezogen, sauber und er trug einen Goldhaken, außerdem wurde er als der erkannt, der er war. Sir Crocodile. Aber offensichtlich war sein Ruf nicht sehr gut bekannt, denn keiner schien wirklich Angst zu haben. Als scheuten sie die Marine nicht.

Niemand sonst sprach ihn weiter an. Er wurde sogar direkt gemieden, auch wenn es der Stimmung in dieser Stadt keinen Abbruch tat. Der Gestank von Alkohol wurde zunehmend penetranter, trat vor die Geruchskulisse der Fäulnis und man konnte schon fast betrunken werden, wenn man nur tief Luft holte. Ab und zu ließ sich ein weiterer Rest des einstigen Reichtums der Insel ausmachen. Es gab Kunstgalerien, Antiquariate, Juweliere, Kleidungsgeschäfte, in denen die Kleider genauso verrotteten wie die Bilder und Bücher in den anderen Bereichen. Der Schmuck war natürlich längst verschwunden. Cafés und Restaurants standen leer oder jemand hatte sie in billige Spielunken und Hurenhäuser umgewandelt.

Der Zustand der Gebäude änderte sich nicht, die Atmosphäre wirkte bedrohlich, aber für jemanden wie Crocodile, der darüber nur ein schwaches Lächeln übrig hatte, bot diese Stadt nichts, was er nicht schon gesehen hatte. Leere Seelen, geleitet von Gier, der Duft von Tod und Niederlage. Die ganze Stadt schien darin unter zugehen. Ohne die Menschen hätte es auch eine Geisterstadt sein können. Er schenkte dem ganzen wenig Beachtung, nahm jedoch jedes Detail auf, dass ihn näher an die Antwort brachte, was Iroko hier suchen könnte. Solche Städte kannte er zu Genüge, es fühlte sich fast vertraut an. Zu einer Zeit seines Lebens war er einer dieser schäbigen Piraten gewesen. Nur stärker, durchsetzungsfähiger, mit mehr Blut an seinen Händen. Er kannte ein solches Leben, es störte ihn nicht. Es drang gar nicht an ihn heran.
 

Crocodile bemerkte gar nicht, wie sich die Wolken immer dichter zusammen zogen und die Luft feuchter wurde. Erst als es leise donnerte, war klar, was dieser Insel nun bevorstand. Ein Regenschauer. Von Weiten konnte er den Pub bereits erkennen. Als sich dessen zermürbte Tür öffnete und der Lärm und Qualm seines Inneren sich dem aufkommenden Regen entgegen presste, wurde er für einen Moment langsamer. Eine Frau trat heraus und schüttelte mit einem leichten, erleichterten Seufzen die Haare, als die ersten Tropfen auf sie herab stürzten. Sie erregte sofort seine Aufmerksamkeit, denn sie war definitiv nicht von dieser Insel.

Ihre Haut war so dunkel, dass es an Vollmilchschokolade erinnerte. Die schwarzen Haare hatten hell gefärbte Streifen und umschlossen ihren Kopf kurz und wuschelig, dass man auf den ersten Blick denken könnte, es sei ein Junge. Das Haar auf ihrer linken Schädelseite war kürzer gehalten, auf der anderen wellte es sich leicht. Über ihrer Stirn ein gelbes, dickes Haarband, darunter ihr rundes Gesicht mit den vollen Lippen, den dunklen, geheimnisvollen Augen und goldenen Kreolen. Ihre Beine wirkten abstrus lang, die Hüften breit, die Brüste klein. Das wohl auffälligste war jedoch ihre Kleidung. Sie hatte kaum Stoff am Körper. An beiden Unteratmen trug sie Schutzleder, die Brust und ihr Unterleib waren durch einen robust wirkenden, gelben Bikini, der an allen Seiten Franzen hatte, bedeckt, auf dessen Fläche rote Schlieren und Spiralen abgebildet waren. Ihr gesamtes linkes Bein bedeckte ein Rock, ebenfalls aus dem gleichen Stoff und Muster, die andere Seite war frei zu sehen. Ihre Füße steckten in schlichten, offenen Ledersandalen. An ihrem rechten Bein thronte ein weißes Tattoo, dass an Kratzwunden eines gewaltigen Biestes erinnerte, an ihren beiden anderen Armen waren Tribals zu sehen. Und auf ihrem Rücken trug sie einen großen, langen Speer.

Als sie sich genüsslich im Regen streckte, überschlug Crocodile bereits die Wahrscheinlichkeit, ob diese Frau mit Iroko zu tun haben könnte. Bevor er jedoch zu einem Konsens kommen konnte, stand sie bereits vor ihn und musterte ihn eingänglich. Distanziert und dennoch neugierig, als wüsste sie etwas, von dem er noch nichts ahnte. Als hätte sie etwas entdeckt, das er nicht erkennen konnte. Ein überhebliches Lächeln setzte sich auf ihre Lippen, ehe sie an ihm vorbei schlenderte und langsam durch den Regen lief.

»Die Bar würd ich nicht empfehlen. Der Fusel ist so billig, da kriegt man echt Brechreiz.«

Schweigend blickte er ihr nach, doch als der Regen immer unerträglicher wurde und er spürte, wie er durch seinen Mantel sickerte, entschied er sich doch dafür die Kneipe zu betreten und die Frau gehen zu lassen.
 

In dem Moment als die Tür hinter ihm zuschlug, wurde er halb zur Seite gedrängt und zwei Männer, offenbar im Streit, schoben sich aus der Tür. Er hörte ihre lauten Worte noch durch das massive Holz.

»Kotz dich hier aus, du Dreckskerl. Und komm erst wieder, wenn du für den Fusel bezahlen kannst, Abschaum.«

Wieder ging die Tür auf und der Rausschmeißer kam hinein. Sofort fiel er auf, denn er trug einen langen, nicht mehr ganz so weißen Mantel und Crocodile musste nicht raten, um zu erfahren, was sich auf dem Rücken befand. Nur ein Wort. Marine. Doch das war so ziemlich alles, was an Marine erinnerte. Der Mann selbst wirkte nicht sonderlich gepflegter als der Rest der Kundschaft. Er war groß, reichte fast an Crocodile heran. Er stierte ihm mit einem tiefen Blau entgegen, in Augen, die nicht mehr ganz klar waren, die nah an der Grenze zum Wahnsinn schwebten. Crocodile hatte diesen Typ oft genug gesehen, um ihn sofort zu erkennen. Da war aber noch etwas Anderes. Etwas, dass ihn stocken ließ. Der Fremde warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder abwandte und zurück zu seinem Tisch trottete, den Stolz jedoch deutlich erkennbar in seinem Gang. Als der Mantel hinter ihm her schwang, erkannte Crocodile plötzlich, wo er den Typ schon einmal gesehen hatte. Oder vielmehr, wo er das Gesicht schon einmal gesehen hatte. Die Nase, den strenge Mund und das runde Kinn. Die gleichen rötlich braunen Haare, der gleiche analysierende Schimmer und die kurze, nichts-aussagende Erkenntnis. Iroko. Der Mann sah Iroko so unheimlich ähnlich, dass es nur einen Schluss zuließ.
 

~ ~ ~
 

Nebel bedeckte den Boden, streifte die Bäume, verfing sich in den Farnwedeln. Regen tropfte in einem monotonen Trommeln vom Himmel. Die Dunkelheit verdichtete sich, als sie den Wald betrat, schien sie nach unten zu drücken und verwandelte den Nebel in einen Geisterfluss. Sie fühlte sich klein und erschreckend schutzlos. Man konnte sich beinahe vorstellen, wie eine Hand aus dem Nebel kam, nach dem Fußgelenk griff und das Opfer nach unten zog. Es wäre einem gerade noch Zeit für einen kurzen Schrei geblieben und das einzige, letzte Geräusch... ein Schlurfen. Aber vor Geistern musste Iroko wohl nun keine Angst mehr haben. Ihr eigener schwebte lautlos und unsichtbar in ihrer Nähe - vermutete sie zumindest. Sie hatte ihn weder gesehen noch gehört, seit sie Omoide verlassen hatten. Sie sprach kein Wort, nur ihr seichter Atem drängte sich an die sonst so störrische Oberfläche, als sie sich ihren Weg durch ihre Vergangenheit bahnte. Sie hatten den Weg direkt vor sich, kannte jeden Schritt, ganz gleich wie bewachsen und dschungelartig er bereits geworden war. Sah wie sich die Vögel unter dem Schleier beschwerten, wie Kleintier im Geäst Unterschlupf vor dem Regen suchte, aber all das interessierte das Mädchen nicht. Sie schleppte sich weiter durch die Nässe, durch die irrige Dunkelheit des Waldes, der einmal ein Rückzugsort gewesen war. Jetzt schimmerte nur noch die traurige Erinnerung in ihrem Herzen.

Der Nebel schien sich zu lichten, wurde dünner, verwandelte sich in Strudel und löste sich schließlich auf. Der Pfad, den sie ausgesucht hatte, führte stetig bergauf. Das Licht veränderte sich, bis auch das leuchtende Grün von schwachem Sonnenlicht durchsetzt war. Es fiel durch die kleinen Lücken zwischen den Blättern und auf den Lichtungen entdeckte sie bunte Wildblumen. Sie achtete jedoch nicht lange auf sie. Sie hatte ein ganz konkretes Ziel. Das Kronendach öffnete sich weiter, mit wolkenverhangenen Gipfeln und einem Himmel, der wie polierter Stahl wirkte. Der Boden unter ihren Füßen war bereits durchweicht und die Luft schmeckte so feucht wie Wasser.

In der Ferne sah sie den Fluss, der sich durch die Bäume, Hügel und zackige Steininseln wand, die wie geballte Fäuste durch das graue Wasser drangen. Der Wind schlug ihr ins Gesicht, rauschte in den Baumkronen hinter ihr und wurde vom Wald verschluckt. Nach weniger als einem Kilometer brachten ihre Füße sie um und der Schmerz in ihren Wadenmuskeln wurde schier unerträglich. Der letzte Teil der Strecke führte sie fast steil nach oben. Es war viele Jahre her seit Iroko das letzte Mal diese Strecke zurückgelegt hatte, dennoch kannte sie den Weg noch ganz genau. Als sie noch jünger gewesen war, hatte es sie nicht gestört.

Während sie weiter kletterte, vergaß sie beinahe ihre Schmerzen. Die Gedanken daran schwammen aus ihrem Kopf als sie die Spitze erreichte und den dichten Wald hinter sich ließ. Vor ihr erstreckte sich ein riesiges, weites Tal, das man vom Meer nicht hatte erahnen können. Iroko sah auf den See hinunter, der matt silbern wie alle Spiegel der Welt in der Ferne glänzte. Die wellige Oberfläche reflektierte die Berge wie Schatten. Die Luft roch scharf nach Kiefern, Kälte und dem feuchten Duft des regennassen Bodens. Das Mädchen machte sich nichts vor. Sie starrte auf das Wasser, um den Blick nicht auf das Gebäude werfen zu müssen, das im Westen des Sees lag. Es stand umringt von Bäumen und schien leicht verwittert. Früher hatte der Waldpfad direkt zu diesem Haus geführt. Iroko spürte ein plötzliches Gefühl von Wärme, das schnell in Trauer umschlug.
 

Trotz Regen und Nebel leuchtete der Wald grün, ein Pulsschlag aus einer anderen Welt betonte die dichten Farnbüschel und knotigen, moosbewachsenen Hügel. Überall tropfte und schimmerte es. Über sich hörte sie plötzlich ein Knacken und sah, wie ein dicker Ast herunter fiel und auf den Waldboden krachte. Sie konnte gerade noch ausweichen. Die Bäume umzingelten sie wie die riesigen Gitterstäbe eines uralten Gefängnisses. Robin hatte Weite erwartet, stattdessen marschierte sie unbehaglich weiter durch eine fremde Welt, in der das Licht geheimnisvoll leuchtete und die Natur sich in unheimlichen, primitiven Formen offenbarte.

Selbst die Geräusche und Gerüche erschienen ihr fremd und überwältigend. Die Luft war feucht. Sie ertappte sich dabei, wie sie immer wieder über die Schulter zurückblickte. Sie konnte spüren, wie der Wald nach etwas rief, als hätte er lange auf diesen Moment gewartet, als wäre die Zeit für das Ende endlich gekommen. Zeit für Robin sich zu beeilen, denn viel blieb ihr nicht übrig. Sie wusste wozu Iroko hierher gekommen war und sie wusste überdies, dass es Irokos letzter Schritt in den Untergang sein würde. Das Mädchen hatte aufgegeben und das konnte Robin nicht zulassen. Also zwang sie ihren nassen Körper den Anstieg zurück zu legen, den Iroko vor ihr geleistet hatte. Irgendwie würde sie ihr helfen, sie aufhalten, in jedem Fall beistehen. Sie hatte gesehen, was passiert war und gespürt, was Iroko spürte, wusste was der kleine Körper in sich vergrub und niemals ans Tageslicht ließ. Robin würde sie nicht im Stich lassen.
 

~ ~ ~
 

Die gleiche, nasse, kalte Hand des Regens und des Nebels hatte auch Paula, Miki und Gal erfasst, die unter einem großen Ahornbaum mitten im Wald Schutz gesucht haben. Unter seinen gewaltigen, zackigen Blättern blieb es zumindest halbwegs trocken. Dennoch wrang sich die Blauhaarige das Wasser aus den Haaren. Sie war froh darüber, dass sie keinen Gips mehr trug, sonst wäre das unangenehm worden. Seufzend schüttelte sie ihren nassen Schopf und verschränkte die Arme. Miki schüttelte sich wie ein nasser Hund, erstaunlich schnell für seine Verhältnisse. Und auch Gal murrte leise. Der Regen war kalt und beißend und hatte sich bis zu seiner Unterhose hinab gefressen. dennoch versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.

Paulas Blick verfinsterte sich weiter und streifte durch das kalte, nasse Grün. »Uh wunderbar...«

Miki starrte unterdessen um sich, sagte aber nichts - natürlich.

Einige schweigende Minuten vergingen, doch als das Prasseln des Regens noch penetranter wurde, drehte sich Paula endlich wieder zu ihnen um und gesellte sich nahe zu Gal, der sich an den Baum gesetzt hatte, lehnte sich fast an ihn, so nahe war sie ihm. Miki rührte sich gar nicht, als schien ihm der Regen nicht sonderlich viel auszumachen. Während Gal zwischen Irritation und Scham hin und her pendelte, seufzte Paula schwer und spielte mit ihren Fingern.

»Wir sitzen fest... aber das ist ja nichts Neues.« Allmählich hob sich ihr Kopf und betrachtete, wie die schweren, riesigen Blätter sich dem Regen beugten. »...Ich kann... es irgendwie immer noch nicht fassen...«

Nun kauerte sich Gal etwas weiter zusammen, starrte in ein Nichts vor sich.

Nur einen Moment lang ließ sie es sacken, ehe ihre Lider sich abwesend ein Stück senkten. »Ich mein... ich hätte nicht, gedacht, dass Bossu so weit gehen würde... Das ist... das ist...« Ihr Kopf schüttelte sich und Wassertropfen fielen aus ihrem blauen Haar. »Sagt Mal... wie geht es euch damit?«

»Scheeeeeeeißeeeeee…«

Mister 3 zögerte, kratzte sich unsicher am Kopf, ehe er unsicher das Gesicht verzog. »Nun, es ist nicht so, dass wir ihn davon abbringen könnten. ...Es ist seine Entscheidung. ...Selbst wenn...«

Sie knabberte sich an den Lippen. »Ich fühle mich jetzt schon wie Scheiße... Das geht... einfach zu weit.«

Miki sagte nichts, hob nur eine Hand, fuhr sich durchs Haar und seufzte dann laut aus, ehe er ein paar Zeichen von sich gab. »Es kotzt mich an.«

Darauf schwiegen seine beiden Partner. Paula zog ihren Körper näher zu sich und kuschelte sich an Gal, dass dieser noch irritierter wurde. »Du hast Recht, Gal... wir können es nicht mehr ändern... Alles, was uns bleibt ist unseren Part weiter zu spielen.«

Eisiges, verständnisvolles Schweigen umhüllte sie und drückte sie gleichsam nieder. Als es begann sie völlig in den Abgrund zu ziehen, seufzte Paula erneut und lächelte die beiden Männer an.

»Aber das ist jetzt erst einmal unwichtig, richtig? Lasst uns weiter gehen und nach Iroko suchen. Die freche Göre hat sich nicht einmal richtig von uns verabschiedet.«

Beide Männer nickten etwas zuversichtlicher und Paula half Gal wieder auf die Beine. Er klopfte sich den Dreck von der Hose und drehte sich dann zu den beiden anderen um, die bereits losliefen. In diesem Moment jedoch blieb er abrupt stehen und starrte zu der Silhouette, die sich nun aus dem gefährlichen Grün des Waldes schnitt. Eine Frau, die ihre Hüften dezent auf sie zu schwang und dabei breit grinste.

»Hab ich dich...«
 

~ ~ ~
 

Die Panik war wie ein Flüstern in ihrem Kopf, eine eisige Liebkosung auf ihrer Haut. Aber sie zwang sich am rostenden Tor stehen zu bleiben. Die Mauern, die das Grundstück umgaben, waren hoch, solide und damals zumindest leuchtend weiß gestrichen. Mittlerweile blätterte sogar stellenweise schon der Putz ab und hinterließ einen schwachen Blick auf das Leben darunter. Die Bäume und die zurückgezogene Lage schützen das Haus, aber auch aus der Entfernung konnte Iroko es erkennen. Weiß mit roten Schindeln auf dem Dach. Iroko kreuzte die Arme vor der Brust, umfasste ihre Oberarme und krümmte den Rücken, als kämpfe sie gegen eine plötzlich einbrechende Kälte. Von hier konnte man sie nicht erkennen, aber Iroko erinnerte sich an den Rosengarten. Dutzende von Rosenbüschen. Bei Fujikos Geburt hatte ihr Vater einen weißen Rosenbusch gepflanzt, bei Irokos einen roten. Er hatte sie selbst eingepflanzt, weil sie etwas Besonderes waren. Immer wenn er die Insel hatte verlassen müssen oder zurück kam, legte er eine Rose auf die Kissen seiner Töchter. Sie fragte sich, ob es diesen Garten noch immer gab. Das Haus war groß, war ihr immer wie ein Palast vorgekommen. Hohe Decken und riesige Fenster. So viele Räume und jeder auf seine Art etwas Besonderes. Dafür hatte ihre Mutter gesorgt.

»Jeden Abend hat mir jemand eine Geschichte erzählt. Meine Mutter, er – oder Fujiko, wenn sie Babysitten musste. Aber Fujiko kannte keine richtig guten Geschichten. Manchmal feierten sie eine Party, dann lag ich im Bett und hörte die Musik und das Lachen. Mama hatte gern Menschen um sich. Oberst Brise war oft da. Er hat mir immer Bonbons mitgebracht, dabei habe ich das nie gemocht. Ich erinnere mich, dass er da war als...« Vehement schüttelte sie ihren Kopf. »Ich habe mir immer gewünscht, dass er aufhören würde uns zu besuchen. Mama mochte ihn nicht und Papa wirkte immer so wütend, wenn sie zu dritt waren. Ich dachte... vielleicht würde es besser werden.«

Iroko lehnte ihren Kopf gegen das Tor. »Irgendwann ist er gar nicht mehr gegangen.« Sie wusste nicht, warum sie ihm das erzählte. Sie traute diesem Geist noch nicht einmal, aber vermutlich musste sie es aussprechen, jetzt wo sie zum ersten Mal seit diesem Tag wieder hier stand. Gerade, als sie sich dazu überreden wollte, endlich das Tor aufzumachen, stockte ihr plötzlich der Atem, verfing sich direkt in ihrer Lunge und wollte nicht mehr heraus kommen. Sie begann zu röcheln. Sekunden vergingen, aber kein Sauerstoff wollte ihr über die Lippen kommen. Irgendwann wurde ihr schwindelig und sie ging in die Knie, klammerte sich halb an das Gitter und sah die Welt um sich schon verschwimmen.

Zur gleichen Zeit spürte sie das Amulett glühen und hörte eine tiefe Stimme in ihrem Innersten brummen. besorgt, aber noch immer distanziert, als wäre er nicht so recht sicher, was zu tun war. »Iroko-san?«

Sie konnte gar nicht auf ihn reagieren. Neben dem Mangel an Sauerstoff gesellte sich nun zudem ein unsagbarer Schmerz, zog in ihre Füße, in die Beine, bis hin zur Hüfte und verteilte sich von dort in jede Faser ihres Oberkörpers. Sie hätte geschrien, wenn sie den Atem dazu gehabt hätte. Für ein paar Sekunden wurde es so schlimm, dass sie fürchtete in Ohnmacht zu fallen.

Doch mit einem Schlag war der ganze Schmerz verschwunden und sie konnte sich überrascht und keuchend wieder auf die Beine bringen. Verwirrt fuhr sie sich durch die Haare, die plötzlich viel länger waren. Die Zöpfe hatten sich gelöst und baff glitten ihre langen Finger durch die Strähnen. Aufgebracht schnappte sie nach Luft, als ihr noch etwas Anderes auffiel, als sie an sich hinab blickte. Sierras Stimme hatte sie schon wieder vergessen. Ihre Kleidung, sonst schlabbrig, nur lose ihren Körper umhüllend, quetschte an allen Seiten und ihr Rock war unheimlich kurz. Ihre Strumpfhose war auf einer Seite aufgerissen, weil sie sich zu sehr ausgedehnt hatte. Wieder stockte ihr Atem, als sie sich bewusst wurde, was passiert sein musste. Auch wenn sie nicht verstand, wie das sein konnte. Sie war gewachsen. Mindestens fünfzehn Zentimeter gewachsen, die Haare reichten ihr bis zum Hintern und sie hatte Brüste! Sie konnte kaum gerade laufen, weil ihr Körper sich anders zu bewegen versuchte, als sie gewohnt war. Mit einem Mal lag da ein leichter Schwung in ihrer Hüfte, der sie prompt an Paula erinnerte. Ihre Stimme zitterte. »Was.. zum...«



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ysaye
2011-10-10T10:53:09+00:00 10.10.2011 12:53
Whoa, das ist eine Überraschung... was in aller Welt ist mit Iroko passiert?

Bitte bald weiterschreiben!

Lg, Ysaye
Von:  Aja1992
2011-10-10T09:01:12+00:00 10.10.2011 11:01
hammer kapi^^
macht weiter so^^


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