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Kaizoku no Baroque

II. Der salzige Wind der See
von

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Hayu - Lycra

Er war es tatsächlich.

Imposant wie eh und je stand er vor ihr. Die wuchtige Gestalt des durchtrainierten Körpers und die Verdopplung seiner Präsenz durch den riesigen Mantel, den er trug. Die Schuhe blank geputzt, die Haare geschmeidig nach hinten gekämmt. Der Geruch seines dezenten, aber männlichen Parfums. Sein Atem, den sie fast schmecken konnte. Seine tiefen, geheimnisvollen, braunen Augen, die nichts verrieten und ihr doch alles offenbahrten. Er war stocksteif gefroren, starrte sie an, als glaube er kaum, dass sie vor ihm stand. Unsicherheit lag in seinen Augen, aber nicht nur das. Dort war auch Erleichterung, beinahe Freude. Und auch Erregung. Heimtückisch blitzte sie ihr entgegen und fraß sie fast auf. Es war, als spürte sie sein sehnsüchtiges Zittern durch die Luft hindurch, das sich nur noch wünschte sie in die Arme zu nehmen. Doch aus seinem Mund kam nichts. Er unterdrückte jedes einzelne Wort.

»Wo bist du verdammt?« Das näherkommende Gebrüll riss sie aus dem Bann, in den Crocodiles Präsenz sie gezogen hatte, erettete sie, ehe sie sich auf der Achterbahn ihrer Gefühle verlieren konnte. Hastig blickte sie auf und konnte den brünetten Schopf schon in der Menge erkennen; er hielt auf sie zu. Er durfte sie nicht mit Crocodile sehen. Er durfte sie überhaupt gar nicht sehen! Ohne weitere Worte packte sie nach Crocodiles Hand und rannte erneut los, bahnte sich einen Weg durch die Menschen und zog ihn hinter sich her. Sie brauchte kaum Kraft dafür aufzuwenden. Willenlos ließ er sich ziehen, rannte mit ihr zusammen. Doch nur wenige duzende Meter kamen sie voran, ehe sie den Mann an ihrer Hand in eine schmale, leere Seitenstraße zerrte. Ohne weiter darüber nachzudenken stieß sie ihn dort an die Wand der eng stehenden Häuser. Sie drückte ihm zwei Finger gegen die Lippen und ignorierte dabei völlig das warme Kribbeln, das ihre Haut benetzte. Dazu war sie noch zu aufgeregt. Mit klopfendem Herzen starrte sie zur Hauptstraße, wartete darauf, dass Lycra vorbei lief, dass seine Stimme verklang.

Ihre Körper berührten sich ganz leicht, denn auch sie musste sich etwas ducken, als Lycra näher kam. Lauf vorbei, lauf einfach vorbei, war das Einzig an das sie denken konnte.

Nur beiläufig bemerkte sie, wie sein Atem erst stockte, rasselte und schließlich ganz ausblieb. Sie fühlte ein leises Zittern und ein noch größeres Blockieren dessen. Erneut wurde er stocksteif. Noch immer kam kein Wort über seine Lippen, obgleich sie seinen Blick auf sich brennen fühlte. Sein warmer Atem stieß gegen ihre Haut und schickte einen heißkalten Schauer über ihren Rücken. Dann, endlich, hörte sie Lycra, wie er laut rufend an der Gasse vorbei rannte. Er schien sie nicht zu sehen. Doch erst als sie seine Rufe nicht mehr hören konnte, erlaubte sie sich auszuatmen und die Schultern sacken zu lassen. Nur langsam nahm sie die Finger von Crocodiles Lippen. Aber dieser zeigte noch immer keine Regung. Nur das leise Zittern seiner Muskeln, sein gelegentliches schweres Atmen und sein von Sehnsucht geplagter Blick waren die einzigen Lebenszeichen, die er von sich gab.
 

Robin versuchte das nicht an sich heran zu lassen, spähte kurz um die Ecke und zog Crocodile dann noch ein Stück weiter hinter sich her, tiefer in die immer dunkler werdende Gasse. Die Geräusche von der Straße nahmen weiter ab, ehe sie nur noch dumpf zu hören waren. Sie wusste, dass sie hier nicht bleiben konnten. Irgendwann würde Lycra den Weg zurück kommen und sie auch hier suchen. Und sie wusste auch, dass das mittlerweile nur noch eine Ausrede war, Crocodile nicht direkt ansehen zu müssen. Schon längst spürte sie, wie ihre Körpertemperatur ins Unermessliche stieg, wie ihr Atem immer wieder aussetzte und ihr Herz mächtig anschlug. Eigentlich war ihr nach Weinen, vor lauter Glück, vor Erleichterung und noch so einem etwas, an das sie nicht denken wollte. Liebe. Es war wirklich Liebe.

Fast waren sie nun an der anderen Seite der Straße angekommen. Sackgasse. Erst jetzt hielt Robin inne, drückte die Schultern wieder durch und warf einen Blick in Crocodiles Augen. Endlich brachte sie den Mut auf. Sie ahnte nur, was für Einsicht sie ihm zugestand, wie tief er in sie hineinsehen konnte durch diesen ersten Augenaufschlag. Es explodierte förmlich hinter ihren Pupillen. Wellen, Fluten an Endorphinen, die sie nicht mehr aufhalten konnte. Erleichterung, Glück, Unglaube, Freude und vor allem neue Hoffnung. Hörbar schnappte sie nach Luft und bemühte sich, es nicht zu zeigen. »Ich glaube... er ist weg.«

Das Nicken, das daraufhin folgte, wirkte mechanisch, als hätte er seine Bewegunen kaum unter Kontrolle. Seine Haltung verriet fast nichts, doch sein Blick verriet alles. Unermüdlich sah er sie an, nur sie, konnte die Augen nicht abwenden. Fraß sie auf, verschlang sie mit einem Biss. Er wollte sie umarmen, sie küssen, doch er durfte nicht. Mit aller Macht zwang er sich nichts zu tun, nichts zu zeigen, ruhig zu bleiben. Noch nie war ihm das so schwer gefallen. Er war so froh, dass es ihr gut ging.

Es dauerte nur Sekunden, Bruchteile und Lycra war wieder dahin zurück gerutscht, wo er die letzte Jahre verbracht hatte. Auf ihrer emotionalen Mülldeponie. Stattdessen wurde sie überflutet von ihm und den Gefühlen, die sie für ihn hatte. Nieder gerissen von der Hoffnung, die ihr sagte, dass alles gut werden könnte. Solange er an ihrer Seite war. Dann konnte es die ganze Welt nicht mit ihr aufnehmen. Sie konnte es einfach nicht mehr aushalten. Viel zu lange hatte sie es in sich selbst vergraben, hatte es ignoriert, verdrängt und verleugnet. Doch jetzt war er hier und sie hatte ihm nichts mehr entgegen zu setzen. Heftig presste sie sich an ihn, vergrub ihren Kopf an seiner Brust, schlang die Arme um ihn und ließ die Tränen fallen. Ihr war alles egal geworden. Nur noch das Hier zählte. »Du bist wirklich zurück gekommen…«
 

Schlagartig japste Crocodile nach Luft, blieb einen langen Moment vollkommen steif. Er rang nach Atem, nach Worten, doch seine Kehle schnürte sich nur allzu oft wieder zu. Er bekam nichts heraus. Die Wucht der Gefühle erdrückte ihn, brachte ihn fast in die Knie. Er konnte sich kaum dagegen wehren. Noch immer hielt er sich zurück, konnte seinen Körper jedoch nicht davon abhalten seine Arme ganz zaghaft, zögerlich und ohne Druck um sie zu schlingen und sie behutsam in seinen Armen zu halten.

Robin dagegen nutzte ihre ganze Körperkraft sich immer tiefer in ihn zu schälen. Sie wollte ihm noch näher sein, als sie physikalisch dazu in der Lage war, so viel näher. Längst bekam sie keine Luft mehr, aber das war ihr egal. Ihre Finger krallten sich in den vornehmen Stoff, rissen förmlich an ihm. Immer wieder zog sie seinen Duft ein, wäre dabei fast ohnmächtig geworden. Die Worte sprudelten aus ihr heraus wie das erste Wasser eines Springbrunnens im Frühling.

»Du lebst! Du bist wieder da!« Noch mehr Worte, die man unter den Tränen kaum verstehen konnte. »Du hast mich nicht im Stich gelassen. Du…« Dann brach ihre Stimme völlig, obwohl da noch mehr Worte waren, noch mehr, das an die Oberfläche wollte, schon so lange. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass er wirklich vor ihr stand. Dass er sie wirklich nicht alleine gelassen hatte, dass seine Worte nicht gelogen gewesen waren.

Sie hörte sein Herz klopfen, unnatürlich laut und schnell, aufgeregt. Es wollte ihr etwas sagen, doch sie konnte es nicht hören. Robin nahm es kaum war, zu sehr flossen plötzlich Dinge aus ihrem Kopf, aus ihrer Seele, die sie lange unter Verschluss gehalten hatte. Nur ein kleiner, rudimentärer Teil in ihr sorgte dafür, dass ihre Körpertemperatur weiter anstieg, so sehr, dass ihr regelrecht heiß wurde. Sie redete und redete einfach weiter.

»...Noch nie ist jemand zurück gekommen. Nicht für mich. Noch nie. Ich bin so froh, dass es dir gut geht. Habt ihr Kuzan getroffen? Was hat er gesagt? Lässt er euch in Ruhe?« Ihre Worte wurden immer undeutlicher, erinnerten bald an Uma, so aufgeregt und durcheinander war sie. »Bin ich jetzt keine Last mehr für dich?«

Doch auf keine ihrer Fragen konnte er antworten. Zu sehr hatte er mit seiner Atmung zu kämpfen und mit dem Drang sie nicht zu zerquetschen, würde er den Druck in der Umarmung verstärken. Er konnte kaum noch denken. Aber das brauchte er auch nicht. Vollkommen hatte das Glück ihn endlich überwältigt. Betäubt, gelähmt. Es war ihm egal. Nur sie zählte nun. Nur sie und diese Umarmung, die ihm Hoffnung gab. Hoffnung, dass sie ihm verziehen hatte. Hoffnung, dass es eine Zukunft für sie gab.

Robin erwartete nicht einmal Antworten. Ihre Gedanken waren schon wieder ganz woanders. Ihr Geist handelte instinktiv. Sie hob ihren Kopf und presste sich ihm erneut entgegen, diesmal ihre warmen Lippen auf seine. Nichts war wichtig in diesem Moment, nichts anderes als dieses Gefühl, als der Augenblick in dem sie ihn schmecken konnte, in dem sie ein Teil von ihm wurde.
 

Und das war der Moment, in dem in Crocodile alle Barrieren brachen, nieder gerissen wurden. Kein Funken Selbstbeherrschung mehr, keine Rücksicht auf sie. All das angestaute Wasser strömte in einer Sintflut aus ihm heraus, auf sie herab und riss sie mit sich, tauchte seinen Kopf unter Wasser. Ruppig griff er nach ihr, presste sie an sich, ließ etwas der Angst nach außen, die er um sie gehabt hatte. Die Sehnsucht und den Schmerz, die Gedanken sie zu verlieren. Er schleuderte es ihr alles entgegen, rupfte an ihrem Hemd, riss ihren Körper nach oben, dass sie auf Zehenspitzen stehen musste und verbiss sich in ihren Mund. Sein Kuss war viel zu stürmisch, so unbarmherzig wie sein Tötungstrieb, doch er hatte es längst nicht mehr unter seiner Gewalt. Er wollte nur noch fühlen, sie nur noch spüren. Wissen, dass das echt war und nicht wieder einer seiner Träume, die er seit Wochen hatte. Wissen, dass Robin in seinen Armen lag und ihn küsste.

Sie wusste gar nicht wie ihr geschah, alles ging so schnell. Sie sprang ihn an, damit sie wirklich auf Augenhöhe mit ihm kam, klammerte ihre Beine um seine Hüften und fuhr mit den Händen in seine Haare, die sie zärtlich durch ihre Finger gleiten ließ. Nur ihr Kuss war hitzig, aber wohl längst nicht so stürmisch wie der seine. Sie ließ es einfach geschehen, vergaß alles um sich herum, die Zeit, die Vergangenheit und die Zukunft. Das leise Keuchen wurde nicht mehr umgewandelt in ihren Ohren, auch nicht die Silben, die ihr noch von den Lippen glitten.

Und selbst diese Worte verschlang er noch unter seinem Kuss. Es war kein Kuss der Erregung - hier ging es nicht um Sex. Alles, was in diesem Moment aus ihm heraus in sie hinein floß, war seine Sehnsucht nach ihr, seine Suche nach ihr, die Suche nach Vergebung und die Hoffnung auf einen Neuanfang. Es war seine aufrichtige und genauso dreckige, vergiftete Liebe. Gnadenlos, kompromisslos, verstandslos. So oft hatte er sich in den letzten Wochen vorgestellt sie nie wieder zu sehen. Er hatte damit gerechnet sie nicht mehr auf Hayu zu finden. Weil sie geflohen war - vor ihm. Weil die Marine sie erwischt hatte. Hatte sich vorgestellt, wie sie vor ihm stand und ihm ihren Hass entgegenschlug, ihm sagte, dass sie ihn nie wieder sehen wollte. Er hatte mit allem gerecht, aber nicht hiermit. Manchmal hatte er davon geträumt, es sich vorgestellt. Doch jedes Mal hatte er die Vorstellung zerschlagen. Sie in seinen Armen, ihre Küsse, ihr Lächeln - das war längst außer Reichweite geraten. Er hatte abgeschlossen mit ihr, mit seiner Liebe für sie. Er hatte sich keine Hoffnungen machen wollen, denn er hatte Angst gehabt, dass sie zerschmettert werden würde. Es hätte ihn nicht umgebracht, oh nein. Aber es hätte ihn zerstört.
 

Die Zeit zog einfach an ihnen vorbei. Es hätten Minuten sein können, vielleicht auch nur Sekunden, aber in dem Moment, als das Wasser sie traf, schreckte Robin zusammen und löste sich von ihm, fiel beinahe von ihm ab. Sie hörte kaum die Stimme über sich, die sie schallend auslachte.

»Hahaha, selber Schuld! Was stellt ihr euch auch direkt unter mein Fenster?!« Eine alte Frau schaute von oben, aus einem der höheren Stockwerke aus ihrem Fenster, den Eimer noch in der Hand. »Junges Volk, nur das eine im Kopf.«

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Robin erst zu der Frau, dann an sich herab und schließlich zu Crocodile. Wie ein begossener Pudel. Crocodiles Gesicht wirkte düster, sie sah sogar einige Stressfalten sich auf seiner Stirn bilden. Und dennoch wirkte er sanfter als sonst. Dort war nicht die Mordlust, die sie kannte, nicht der unsägliche Hass, die zerstörrerische Wut. Nichts davon, nur ein leises Knurren, ehe er die Augen schloss und davon watschelte, den Körper demonstrativ von ihr abgewand.

Sie konnte sich gar nicht helfen. Sie musste leise lachen und es war ein so befreiendes Gefühl wie sie es noch nie erlebt hatte. Nach zwei Monaten Einsamkeit, Wut und Schmerz küsste er sie und es brachte ihre Welt aus den Fugen. Sie war noch nie so glücklich gewesen.

Erst nach einigen Sekunden mahnte sie sich analytisch zu bleiben. Sie waren noch nicht aus dem Schneider, Lycra könnte jeden Moment auftauchen. Sie hielt ihn an seinem Ärmel fest. »Warte. Wir können den Weg nicht zurück nehmen. Er kommt sicher noch einmal hier vorbei.«

»...Er?« Kam es ruhig, leise gebrummt. Er hatte den Kopf halb zu ihr gewand, der Blick ein wenig stechend, aber noch immer erregt.

»Ein... ein Bekannter, dem du nicht begegnen willst, glaub mir.« beendete sie schnell und wand den Blick ab. »Wir sollten eine Abkürzung durch eines der Häuser nehmen.« Wieder zog sie an ihm, bis er ihr folgte. Sie führte ihn auf der gegenüberliegenden Seite der unhöflichen Nachbarin durch eine Tür. Sie achtete gar nicht darauf, ob jemand zu Hause war. In dieser Gegend und um diese Uhrzeit unwahrscheinlich, außerdem schloss hier niemand je seine Türen ab. Auch eher typisch für Hayu.
 

Das Gebäude, in das sie nun traten, war völlig abgedunkelt und etwas überrascht stellte Robin fest, dass das Haus scheinbar verlassen war. Die Tür hatte sie direkt in das einstige Wohnzimmer geführt, das in einem kurzen Flur endete und dort mit der Haustür abschloss. Ein paar alte Möbel standen noch hier, vergessen, eingefallen und von Motten zerfressen. In allen Ecken klebten Spinnennetzte und das Licht fiel nur schwerlich durch das dreckige Fenster neben dem Haupteingang. Die Luft war stickig, aber zumindest stank es nicht abgestanden oder so, als würde etwas verwesen.

Robin rieb etwas von dem Schmutz des Fensters herunter und spähte hindurch. Kein Lycra weit und breit, aber sie kannte ihn zu gut. Er würde noch einmal hier entlang kommen. »Vielleicht ist es besser, wenn wir uns aufteilen.«

»...Aufteilen?« Er verzog den Mund und merkte gar nicht, dass er wie ein Papagei klang. Es war ihm auch vollkommen egal. Seine Sinne hörten nach diesem Kuss sowieso kaum noch auf ihn.

Sie nickte, als bemerke sie seinen Zustand gar nicht. »Du gehst zuerst. Geh einfach weiter nach rechts, durch die Stadtmitte, bis du ans Ende der Stadt kommst. Ich warte hier ein paar Minuten und folge dir dann. Es wäre nicht gut, wenn er uns zusammen sieht.«

Nun knurrte er leise. Das machte ihn gehörig wütend. »...ER

Darauf zuckte sie deutlich zusammen. So ziemlich alles in ihr sträubte sich dagegen, ihm diese Sache näher zu erklären. »Nichts... Gravierendes. Geh einfach, okay?«

Sein Bick wurde finsterer, fast schon beängstigend. »Was ist los? Haben sie dich gefunden? Wirst du gesucht?«

»Nein. Nein, werde ich nicht. Nicht so... wie du denkst.«

»Bist du aufgeflogen?«

»Das ist es nicht.«

»Was ist dann los?« kam es etwas zu ruppig von ihm. Sein Puls war auf Hundertachzig. Hatte er sich all das Glück eingebildet? Waren sie am Ende wirklich in eine Sackgasse gekommen?

Sie musste es ihm sagen! Sie musste es erklären, irgendwie. Wieder beschleunigte ihr Herzschlag. »Ich war schon einmal hier. Nun, nicht nur auf der Durchreise, sondern für fast ein halbes Jahr. …Es gibt hier ein paar Leute, die mich kennen. Als Robin, aber sie wissen nicht, dass ich Nico Robin bin. Und der Kerl, der uns verfolgt hat... naja... das war…« Sie konnte ihn nicht ansehen.

»...Ja?« Noch mehr Nachdruck.

Sie presste die Augen zusammen und holte tief Luft. »Lycra, mein Exfreund.«

Das zog eine heftigere Falte in seine Stirn. »...Huh?«

»Du weißt schon. Der einzige Typ, den ich vor dir hatte, als ich 18 war. Das ist seine Heimatinsel.« Heftig schluckte sie nach Luft.

Nun verzog sich sein Gesicht noch mehr, er wirkte mehr als irritiert, obwohl auch etwas Angst dazwischen steckte. »Und... du wolltest ihn sehen?...«

»NEIN!« Sie schreckte zurück, als sie ihren Schrei hörte, ehe sie sich abwandte. »Nein, wollte ich nicht! Ich habe es die ganze Zeit geschafft, ohne ihm über den Weg zu laufen. Aber heute hat er mich erkannt.« Sie ballte ihre Fäuste. »Ich wäre durchaus zufrieden gewesen, wenn ich ihn nie wieder hätte sehen müssen, nachdem er... nachdem... Aber das ist jetzt auch egal!«
 

Schweigend musterte er sie. Man konnte nicht erkennen, was er dachte. Er schien zwischen den Stadien umherzupendeln. Nicht sicher ob er irritiert, aufgeregt oder verunsichert sein sollte.

»Ich habe Hayu ausgewählt, weil ich sie neben Arabasta wie meine Westentasche kenne, weil ich die Menschen hier kenne, weil ich weiß, dass sich niemand für mich interessieren würde, selbst nicht nachdem mein Tod in allen Zeitungen abgedruckt war. Und weil Hayu unheimlich nah lag und wir schnell handeln mussten!«

»...«

»Ich hasse ihn. Ich bin nicht zum Spaß weggelaufen.« Wütend und erregt stierte sie aus dem Fenster. Sie wollte nicht darüber reden. Es riss nur alte Wunden auf.

»...Also weiß niemand, dass Nico Robin noch am Leben ist?«

»...« So ein Mist.

Doch er blieb hart, bedrängte sie mit seinem bohrenden Blick und ließ nicht zu, dass sie um das Thema herum schweifte.

Ihr Kopf fiel zurück. »... Lycra weiß wer ich bin. Er hat mich damals vor der Marine versteckt.«

»...«

»Er hat mich aber nie verraten. Auch nachdem was zwischen uns passiert ist, hat er das nie in Betracht gezogen.« Abrupt wandte sie sich wieder zu ihm um. »Darüber können wir später reden. Ich will nicht mehr hier sein, wenn er zurück kommt.«

Wortlos verschränkte er die Arme, musterte sie eindringlich. Sein Blick war noch immer verschwommen, doch sie wusste nicht im Geringsten, was er dachte.

»Bitte zwing mich nicht dazu gerade jetzt mit dir darüber zu diskutieren. Lycra wird mich nicht verraten. Der weiß noch nicht einmal, dass ich offiziell für tot gehalten werde.«

»Tss...« Zischend warf er den Kopf zur Seite und bleckte die Zähne.
 

Alles in ihr sträubte sich dagegen, ihm diese Geschichte zu erzählen. Es hätte die Dinge nur noch verkompliziert, ihr eine entgültige Entscheidung abgezwungen. »Schön, dann gehe ich eben zuerst.« Ein weiteres Mal blickte sie durch das Fenster, öffnete dann vorsichtig, so unauffällig wie möglich die Tür.

»Warte!« Laut stampfend kam er näher und blickte mit blitzenden Augen zu ihr hinab. »Hier ist gar nichts geklärt. Was ist mit dem Typ? Was will der von dir? Und wie kann ich mir sicher sein, dass er dich nicht an die Marine vertickt?! Wo willst du überhaupt hin?«

»Zu einer kleinen Bar auf der anderen Seite der Stadt. Ich hab da ein kleines Zimmer« Auf den Rest ging sie gar nicht ein, vornehmlich, weil sie nicht so recht wusste, wie sie das erklären sollte, ohne es schlimmer zu machen. Sie wünschte sich so sehr wieder in seinen Armen zu liegen und Ruhe zu finden. Doch das war nicht der richtige Augenblick.

»Und?«

»Und was? Ich wollte die paar Sachen holen, die ich noch habe und jemandem Aufwiedersehen sagen.«

»...Etwa diesem Typen?«

Diesmal war ihr Blick giftig. »Hast du nicht zugehört? Ich will ihn nicht wiedersehen!«

Sie sah es in seinen Augen brodeln. Eifersucht ganz klar. Aber nicht vordergründig. Allen voran sah sie Furcht. Davor, dass am Ende alles umsonst gewesen war. »Wem dann?«

»Sie heißt Walrada und ihr gehört die Kneipe und das Zimmer, in dem ich übernachtet habe. Und nein, sie weiß nicht, wer ich bin. Und das bleibt besser auch so.«

Er schnaufte etwas, versuchte sich wieder zu beruhigen, aber es fiel ihm schwer. »Und dann? Was willst du dann tun?«

»Nun ich...« Ihr Blick wurde unsicher. »Ich dachte, du würdest mindestens ein paar Tage bleiben, damit es nicht merkwürdig erscheint. Aber... ich ging davon aus nicht hier zu bleiben, diesmal.«

Schwerfällig nickte er, hievte noch immer nach Luft. »Ja... wir müssen die Tarnung aufrecht erhalten. Wir können nicht sofort wieder abreisen.«

»Ich… ich…« Sie hätte nie geahnt, dass ihr diese Worte so schwer fallen würden. Nie gedacht, dass sie sich wirklich auf so etwas einlassen würde. Und doch tat sie es, sie hatte den Entschluss längst gefällt. Sie wollte bei ihm bleiben. Koste es, was es wolle. »…Ich habe nicht vor, als Nico Robin auf die Minerva zurückzukehren…« Ihre Stimme erstarb fast, unter der Last, die diese Worte ausdrückten.
 

Sie hörte ihn keuchen. »...Was heißt das genau?«

»Ein neuer Name, eine Perücke... was ich sonst noch tun kann, um nicht mehr das Dämonenkind von Ohara erkannt zu werden.« Es schmerzte das auszusprechen, doch sie rang sich durch. So wie die Dinge standen, gab es keine andere Möglichkeit. Nico Robin und Sir Crocodile war auf Dauer unmöglich. Sir Crocodile und irgendeine unbekannte, fremde Frau war es nicht. Das hatte sie endlich eingesehen. Und es stimmte, sie konnte unerkannt nach dem Rio Poneglyph suchen. Und wenn sie es fand, dann könnte sie der ganzen Welt die Wahrheit sagen, die so akribisch versucht hatte sie zu vernichten.

»...« Nun blickte er weit weg, die Stimme ungewöhnlich stabil. »...Ich habe Ao Kiji die Geschichte erzählt, dass ich dich gezwungen habe bei mir zu sein... und dass ich dich irgendwann rumgekriegt hab, indem ich dir Liebe vorgekaukelte... Ich hab mich als Playboy gegeben und nun ja... ich denke es würde in das Schema passen, wenn ich auf jeder Insel eine Neue hätte... solange sie uns beobachten... und ich bin sicher, das werden sie weiter tun.«

»Das hat er dir abgekauft?«

Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«

»Eine Neue auf jeder Insel? Klingt nach einer Menge Perücken. Ich hatte daran gedacht mir gleich die Haare zu färben.« Sie kam nicht umhin sich selbst lustig zu finden. Irgendetwas stimmte mit ihrem Kopf nicht. Crocodile hatte ihr inneres Magnetfeld durcheinander gebracht. Sie lächelte glücklich und dennoch war ihr zum Weinen zumute.

Nun blickte er sie doch wieder an und sie hörte, dass er die Worte hervor würgte. »...Meinst du... du musst so weit gehen?«

»Ungern. Aber ich nehme an ein größeres Problem ist mein Name. Ehrlich gesagt fällt mir der Gedanke allein schon ziemlich schwer, aber... darüber können wir später reden. Ich will wirklich nicht länger hier abwarten.«

»...« Schließlich drehte er den Kopf wieder zur Seite und löste seine Arme. »Fein... Also... was ist der Plan?«

»Ich gehe vor, zurück zu meiner alten Bleibe, du gehst wie gehabt zur anderen Stadtseite und wartest auf mich. Ich werde dann schon eine Perücke tragen. Wir sollten uns von der Stadtmitte zusammen zumindest fernhalten. Lycra arbeitet in dem Theaterkahn und der ist quasi um die Ecke. Danach können wir weiter reden.«

Widerwillig nickte er und knurrte leise. Er hasste es, wenn es nicht nach seiner Nase lief. Aber das kannte sie ja inzwischen. »In Ordnung.«

Robin wartet gar nicht länger, öffnete die Tür und schlüpfte hinaus. Sie befürchtete, wenn sie ihm wieder in die Arme fiel, würde es nur erneut ausarten. Denn trotz der neuen Gefahr durch Lycra spürte sie die Sehnsucht weiterhin heftig in ihren Gliedern. Ihr Herz klopfte ihr noch immer bis zum Hals und das Lächeln war wie festgeeist. Es wollte einfach nicht mehr weg gehen. Kurz erlaubte sie sich stehen zu bleiben und tief durchzuatmen. Er war zurück gekommen. Er hatte sein Verprechen gehalten. Er hielt zu ihr. Sie hatte nicht mehr daran geglaubt, es aufgegeben – doch jetzt war es wahr geworden. Sie spürte das Leben wieder in sich aufquellen, von ihr Besitz ergreifen, den Tod in ihr vertreiben. Ja, sie spürte das Leben und sie wollte dankbar danach greifen. Eine letzte Chance. Ihr letzter Versuch glücklich zu werden, die Qualen, die dieses neu Leben von ihr abverlangte in Kauf nehmend.
 


 

Crocodiles Zähne knirschten laut, als er sich von ihr abwand und den Blick wutverdunkelt im abgewrackten Haus umherschweifen ließ. Er sah kaum etwas von dem Staub oder den Spinnenweben oder der alten Möbeln. Nur das nasse Wasser biss ihn noch, hatte seinen Mantel vollkommen aufgesaugt. Zischend riss er ihn sich von den Schultern und warf ihn in eine Ecke, drehte sich dann um und ging einmal im Kreis - unbewusst. Er wusste nicht genau, warum er das tat. Ob er Zeit für Robin schinden wollte, ob er einfach nur seine Wut heraus lassen musste oder ob er versuchte sein panisches Herzklopfen in Vergessenheit geraten zu lassen. Sein Innerstes war zerissen. Er war wütend, war angepisst, war ängstlich und verwirrt und er war schrecklich einsam. Sehnte sich nach ihr, nach Robin. Und doch konnte er sich noch immer nicht zurück lehnen. Sie waren noch nicht in Sicherheit. Sie konnten immer noch gesehen werden. Und dann dieser Kerl, der Robin hinterherschnüffelte.

Er wusste, wer sie war? Er wusste, dass Nico Robin noch lebte? Was dachte sie sich dabei? Wollte sie es alles leichtfertig aufs Spiel setzen? Wollte sie ihn selbst umbringen? Denn sterben musste er - so oder so. Es ging nicht anders. Sie konnten Nico Robins Tod nicht anders kaschieren als dadurch, dass alle, die sie erkannten, eleminiert werden mussten. Wollte Robin das? Sollte er es tun? Musste er es tun? Wollte sie überhaupt wirklich auf seinen Plan eingehen? Ihre Identität aufgeben? Für ihn? Er konnte dem allem noch nicht so recht Glauben schenken. Alles, was ihm übrig blieb, war auf Robin zu hören und ihren Anweisungen zu folgen. Auch wenn es ihn krank machte nicht alles unter Kontrolle zu haben. Hastig stemmte er seinen Vorderfuß immer wieder auf und ab und klopfte auf dem Boden herum, zwang sich so viel Zeit zu schinden, wie es ging. Doch es war nutzlos, er hatte so oder so keine Relation zur Zeit mehr. Wie viel davon war vergangen, seit sie gegangen war? Eine Viertelstunde? Zehn Sekunden? Es kostete unheimlich viel Kraft dort in dem Haus stehen zu bleiben, sich zusammenzunehmen und zu warten. Es brachte ihn fast um den Verstand. Doch er wusste, wofür er es tat. Und das war das einzig Wichtige. Er tat es für die Frau, die er liebte. Das Einzige, was ihm noch etwas bedeutete.

Dann, nach einer Weile, hielt er es nicht mehr aus und stahl sich - ohne seinen Mantel - aus dem Haus und versuchte die Stadtmitte zu meiden. Er tat genau, was sie gesagt hatte, erreichte nach einem langen Spaziergang das andere Ende der Stadt und hielt inne. Die Umgebung war schäbiger geworden, die Menschen dreckiger, aber längst nicht so schlimm, wie es auf Toshi-o-Toru gewesen war. Eher typisch für eine Großstadt. Die Außenbezirke waren ärmer und es war auch nicht weit von seinem Standpunkt aus, an dem sich die Kneipe befand, in der Robin ihre sieben Sachen zusammen suchte. Natürlich wusste Crocodile das nicht. Alles was er sehen konnte waren schäbige Häuser, schäbige Menschen und ein paar Touristen. Keine Robin weit und breit. Er würde warten müssen, bis sie hoffentlich wieder auftauchte.

Auch hier hatte er kaum ein Zeitempfinden, das einzige Maß, was ihm blieb war die Anzahl an Leuten, die an ihm vorbei glitten, ihre Geschäfte machten und dann und wann einen neugierigen, aber verhaltenen Blick in seine Richtung riskierten. Er war einfach zu bekannt, selbst wenn es hier niemanden so wirklich interessierte. Es war auch genau an diesem Ort, als er wieder diese Stimme hörte. Mittlerweile waren fast vierzig Minuten vergangen seit er das alte, verlassene Haus hinter sich gelassen hatte.

»Heeey, wo bist du? Komm schon. Ich weiß, dass du irgendwo hier in der Stadt bist.«

Aus der Menge brach nun die Gestalt, welche zu der Stimme gehörte, die Robin verfolgte. Groß, brünett, relativ gut gekleidet, attraktiv. Eigentlich genau Robins Typ. Und er suchte noch immer nach ihr. »Süße, komm schon raus! Ich tu dir noch nichts.«

Etwas angewidert musterte Crocodile ihn für einen Moment, zwang sich dann aber wegzusehen.

Lycra lief nicht unweit an ihm vorbei, schien ihn gar nicht bemerkt zu haben. Ohne einen Zwischenfall verschwand der Mann weiterhin rufend in der Menge. Keine fünf Minuten später hörte er eine zweite vertraute Stimme.

»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Walrada hat mich nicht so schnell gehen lassen wollen.«
 

Eine Frau schälte sich hinter ihm aus der Menschenmenge, aber er hätte sie fast nicht erkannt. Zumindest nicht, ehe sie den Kopf etwas anhob und er die Augen unter dem breiten Sonnenhut erkennen konnte. Sie trug ein weißes Sommerkleid und eine brünette Perücke. Das Kleid fiel ihr bis zu den Knien, das Oberteil war leicht gerafft und formte sich eng um ihren Busen und die Tallie und die Haare fielen ihr bis zum Bauch in leichten Locken. Es war Robin, aber irgendwie auch nicht.

Dieser Anblick brachte Crocodile schwer zum Schlucken und er erstarrte in der Bewegung. Ihr Erscheinungsbild warf ihn in die harte Realität zurück und in das Loch, das vor ihm klaffte. Die Leere, die fragte: Und was machst du jetzt? Unsicher öffnete er den Mund, nur um ihn wieder zu schließen und starrte sie an. Das war eine gute Frage. Was sollte er nun schauspielern?

Die Frau versuchte sich an einem leichten Lächeln, brach es aber gleich wieder auseinander, kam etwas näher. »Und? Leicht durchschaubar oder wirkte ich wie jemand, denn du noch nie gesehen hast?«

Er schluckte abermals und hielt seine Stimme unten. » ...Der Hut... verdeckt viel.«

Hastig nahm sie ihn ab. »Und so?«

»Lass ihn lieber auf.«

»Ich mag Hüte…« fing sie etwas schüchtern an, mied den direkten Kontakt zu seinen Augen. »Aber ich kann kaum auf jeder Insel so ein Teil tragen. Ich hatte gehofft die Haare bringen es.« Dennoch setzte sie ihn wieder auf. »Laufen die anderen auch durch die Stadt?«

»Nein nein... du siehst... gut aus. Aber dein Typ läuft hier rum und deswegen der Hut... « Er schielte zur Seite, höchst verunsichert. So kannte sie ihn gar nicht. »Und ja... einige sind auf der Insel. Um den Schein zu wahren et cetera.«

»Hast du ihn gesehen?« kam es ruppiger als sie wollte, hatte alles Andere schon wieder vergessen. »Und was meinst du bitte mit "dein Typ"? Er ist nicht "mein Typ".«

»Er war eben hier... also lass uns von hier verschwinden.« Auf mehr ging er nicht ein, blickte ihr nur wieder in die Augen und sie sah das unsichere Funkeln in ihnen. »Wie ist der Plan? Wie sollen wir uns verhalten?«

Sie lief in irgendeine Richtung, nahm an, dass er ihr folgen würde. »Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich, ich habe gerade damit angefangen, den Gedanken zu ertragen, nicht mehr ich selbst zu sein. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll…« gestand sie leise.

Hart schluckte er den Kloß in seinem Hals und die Zweifel in seinen Beinen herunter und erwürgte seine Zurückhaltung, indem er ihr einen Arm um die Hüfte legte und sie an sich zog, den Blick nach vorne gerichtet. Jetzt war nicht die Zeit unsicher zu sein. Er musste stark sein für sie. Das war das Einzige, das zählte. »Wie wärs... wenn wir einfach so tun als wäre es ein One-Night-Stand?«

Das wierrum irritierte sie beinahe zu Tod. »Ein... was? Ich ... ich dachte du meinst wegen Lycra...«

Er zog eine Augenbraue hoch und blickte sie an. »...Wer redet von denn von dem?«

»Du willst mir sagen, du hast nicht das Bedürfnis ihn über den Jordan zu schicken?« Es klang beinahe anklagend.
 

Heftig biss er die Lippen auf einander und blickte zur Seite, dämpfte die Stimme. »Was hab ich bitte für ein Recht das zu entscheiden? Es liegt allein bei dir...«

»Natürlich.« spuckte sie ihm etwas zu bitter entgegen. Sie konnte nicht anders, die Erinnerung war noch zu frisch. »Ich kann es mir schließlich aussuchen, ob ich alles zunichte machen möchte, was ihr, was du durchmachen musstest oder ob ich Lycra aufgeben will.« Ihr Kopf wandte sich von ihm ab, ihr Körper wurde steif und erneut hasste sie sich. Sie wollte so nicht mit ihm sprechen, sie hatte es doch eigentlich überwunden. Nun... alles vielleicht nicht und Lycra machte es nicht besser. Wieso musste es immer so schwierig sein? Hatte sie denn kein bisschen Ruhe verdient?

»Du… würdest also die Insel verlassen, ohne Lycra irgendetwas anzutun?« Resümierte sie hastig, ehe er auf ihre Anklage reagieren konnte. »Obwohl er weiß wer ich bin und vermutlich irgendwann erfährt, dass ich tot sein sollte?« Sie sprach leise, flüsterte fast.

Abrupt blieb er stehen, sah sie nicht an, bewegte sich nicht, schwieg für einen langen Moment. Er blickte sie nicht an, sprach ebenfalls sehr leise und behielt seine steife Haltung. »...Das würde ich, wenn du es wollen würdest.«

»Wann du dich einmischst und wann nicht, ist das willkürlich oder plannst du das?« Dieser Mann war wirklich ein absolutes Rätsel für sie.

»...Ich plane alles… aber es liegt in deiner Hand.«

»Muss wirklich schrecklich sein, es nicht unter Kontrolle zu haben, hm?« Da war es wieder, der versteckte Groll und die angestaute Enttäuschung und die Wut, die sie auf ihn hatte. Sie versuchte sich wieder herunterzukurbeln. Aber zurück nahm sie ihre Worte nicht. Als er darauf jedoch nicht antwortete, wanderten ihre Augen wieder zu den seinen. »Lycra hat mich sehr verletzt... du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr... Aber er hat mich niemals verraten. In all der Zeit nicht, hat es nie in Betracht gezogen. Er hat es mir selbst gesagt, weil ich es nach drei Monaten meines Aufenthaltes auf dieser Insel nicht fassen konnte, dass noch keine Marine angerückt war. Er hat einfach akzeptiert, wer ich war und damit auch die Gefahr, die von mir ausging. Ich bin ihm nie eine Last gewesen, mein Name bedeuetet ihm nichts. Aber allein für das, was er getan hat, würde ich ihn umbringen... mittlerweile zumindest. Ich…« Ihr Kopf fiel ab. »..ich weiß nicht mehr, was mir Wichtiger ist. Das Vertrauen, was ich ihm ohne Bedenken gegeben habe oder das, was ich damit aufs Spiel setzte.«

»...Es ist deine Entscheidung... denk darüber nach... Ich werde dir folgen, egal was du entscheidest.«
 

»Wenn ich es sehe, wenn ich es bei dir sehe, wirkt es immer so einfach... Eine Bewegung und er wäre Geschichte.« Jetzt kamen ihr fast die Tränen, aber sie wischte sich hartnäckig über die Augen und ging einfach weiter. Sie wusste nicht, warum sie weinte, aber sie wusste, dass ihr dieser Gedanke weh tat.

Crocodile entgegnete darauf nichts. Schweigend folgte er ihr, ging jedoch dieses Mal auf Distanz und umarmte sie nicht. Er wagte es nicht, wenn all diese Augen auf ihm lagen. Ohne weitere Worte zu verlieren, liefen sie die Straße entlang. Robin führte ihn aus der Stadt heraus, zu dem einzigen Ort, der ihr hier sicher erschien. Die Klippe, auf der sie zugesehen hatte, wie die Minerva verschwunden war. Crocodile war der erste Mensch, dem sie diesen versteckten Ort zeigte. Sie sagte noch immer kein Wort, hatte die linke Hand in ihrer Rocktasche und hielt sich mit der anderen die falschen Haare aus dem Gesicht. Als sie endlich die Klippen erreichte, atmete sie tief durch. Alles ging so schnell, sie hatte kaum Zeit gehabt richtig durchzuatmen. Aus dem Augenwinkel betrachtete sie ihn, drehte sich schließlich ganz zu ihm um. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag traf sie eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, die sie selbst überraschte.

»Es gibt da etwas, was ich schon sehr lange tun wollte.«

Er antwortete nicht, doch sie sah die Unruhe in seinen Augen. Sie waren bis oben angefüllt mit schlechter Vorahnung.

Das verunsicherte sie wieder und nur zaghaft machte sie ein paar Schritte auf ihn zu. »Erst habe ich mich nicht geraut, weil Suimin eine tiefe Wunde bei uns allen hinterlassen hat und danach schien nie der richtige Moment gekommen zu sein. Bis vor Kurzem dachte ich, du würdest es niemals wollen...« Die Haare fielen in ihr Gesicht, sodass er ihre Augen nicht sehen konnte. Ihre gesamte Haltung wirkte unentschlossen, schüchtern, fast ängstlich. Sie war sich unsicher, ob sie das wirklich tun sollte. Es war noch zu früh, der Moment nicht richtig. Aber wann, wenn nicht jetzt? Und wenn es schief lief, hatte sie ihre Antwort. Sie hatte Angst. Angst wieder verstoßen zu werden. »Du musst es natürlich nicht annehmen. Das ist vielleicht auch nicht, der richtige Moment, aber ich weiß nie, ob es nicht vielleicht die letzte Gelegenheit ist…«

Schließlich zog die Hand aus der Tasche, hatte sie zur Faust geballt und hielt sie ihm hin, drehte sie und drückte ihre Finger auseinander, offenbarte den Schatz, der dahinter verborgen war. Ein kleiner, grüner Ring, mit eingravierten Zeichen, eine fremde Sprache, zumindest für Crocodile. Ihre Stimme brach.

»Vielleicht gefällt er dir auch gar nicht...«
 

Etwas perplex starrte er auf das Schmuckstück vor sich. Man sah seinem Gesicht die Überraschung und Irritation an. Er hatte wohl mit etwas ganz anderem gerechnet. Hastig und hart schluckte er Worte herunter, ehe sie ihm doch scheinbar wahllos aus dem Mund purzelten. »...W-was.... wieso... wo... wann... ich...«

»…Sicher erinnerst du dich an diese Affeninsel und die Schatulle, die ich dort gefunde habe. Vielleicht auch an den Stein darin. Er war unheimlich alt und der letzte seiner Sorte. Sehr wertvoll. Du magst doch teures Zeug, nicht? Außerdem dachte ich, du magst Grün.«

»Ich... äh... ist der... für mich? ...Was... aber warum... ich verstehe nicht.« Hilflosigkeit schimmerte ihr entgegen.

Robin bemühte sich ernst zu bleiben. »Ja ist er. Seit Wataru warte ich nur darauf deinen Ohrring zu ersetzten. Ich mag das an dir, aber... der Gedanke an sie, macht mich krank...«

Sie hörte ihn hart schlucken, doch nichts weiter als Schweigen folgte. »...«

Ihre Hand begann langsam zu zittern. »Nimm ihn oder lass es bleiben.«

»Ich... bist du dir... wirklich sicher?«

Röte schoss ihr in die Wangen und sie wurde wütend, dass er sie so warten ließ. »Ja doch! Würde ich hier stehen und mir bald in die Hosen machen, wenn ich es nicht wäre?«

Widerwillig scheinbar streckte er die Hand aus und griff nach dem Stück Schmuck, betrachtete es noch einen Moment ehe er es mit den Fingern umschloss und nicht den Mut aufbrachte ihr ins Gesicht zu sehen. Das schwere Herzklopfen in seinem Innersten, das ihm die Luft abschnürte, bekam sie kaum mit. » ...Danke...«

Auch ihr Kopf sank ab. »Ich... konnte nicht widerstehen. Ich habe etwas eingravieren lassen. Die Sprache ist ausgestorben, also unwahrscheinlich, dass es je jemand lesen können wird. Außer mir.« Ihr Herz schlug ähnlich schwer, wie in seiner Brust. Fast hatte sie gedacht, er würde ihn nicht annehmen, sie gar auslachen. Aber gefiel er ihm überhaupt?

Crocodile traute sich nicht nachzufragen. Stattdessen steckte er den Ohrring schnell in seine Hosentasche und umarmte sie dann, ehe sie sich wehren konnte. Seine Arme schlangen sich fest und warm um sie, ließen sie nicht mehr los. Worte kamen nicht über seine Lippen. Dazu war er viel zu uneins mit sich selbst, viel zu überrascht und erleichtert. Hieß das, sie wollte wirklich bei ihm bleiben? Sie konnte ihm verzeihen, was er getan hatte? War eine Zukunft für sie doch möglich? Er umarmte sie noch fester, als wolle er sie erdrücken, legte den Kopf neben den ihren und kuschelte sich in ihr Haar, hielt den Atem an, um den Moment nicht entfliehen zu lassen.

Sie ließ noch nicht locker, krallte sich etwas in sein Hemd und schloss die Augen, atmete sehr flach. »Wirst du ihn tragen?«

»..Natürlich...« flüsterte er sanft und aufrichtig.

Das sprengte ihr wirklich einen riesigen Stein vom Herzen. Sie lächelte. »Ich will nicht zu aufdringlich wirken, aber...« Hastig tauchte sie mit den Fingern in seine Hosentasche, während sie gleichzeitig an seinem Ohr herumfuchtelte. »Ich bin ziemlich scharf darauf, das Ding nie mehr wieder zusehen...« Geschickt entfernte sie den Goldring und ersetzte ihn mit ihrem eigenen. Als der Verschluss zuschnappte, streichelte sie ihm vom Ohr über die Wange, stieß ihre Stirn gegen seine. Das dämliche Grinsen wollte einfach nicht aus ihrem Gesicht weichen. »Ich wusste doch, dass er dir steht...«

Als auch er lächelte, spürte sie eine unbekannte Art von Genuugtuung. Es fühlte sich wie ein Sieg an. Er lächelte – nur für sie. Sie spürte, wie die Schmetterlinge in ihrem Bauch so sehr flatterten, dass ihr schlecht wurde. Und doch konnte sie nur lächeln, so voll wie sie es noch nie getan hatte. All der Schmerz und die Wut der letzten Monate waren wie weggeweht, nur noch klein in der Ferne zu sehen. Sie hatte sich entschieden. Sie hatte sich für ihn entschieden.

»Ich denke… dass ich dir verzeihen kann, Crocodile.« Nur ein Flüstern entdrang ihren Lippen, ehe sie sich wieder nach oben kräuselten. »…Ich denke, dass ich das kann.«
 

Erneut schluckte er hart und packte sie wieder, kuschelte sich an sie. Die Stimme war nur noch ein dünner Streifen, voller Sehnsucht. »...Danke...«

»Ich weiß… die Worte bedeuten dir nichts und ehrlich gesagt finde ich es unheimlich schwer es auszusprechen… vor allem, wenn es der Wahrheit entspricht.« Wieder peitschte sie ihre Schamesröte aus und ein Kloß machte ihr das Reden schwer. »…Aber ich hoffe, du weißt was sie bedeuten, wenn ich es sage…« Sie redete um den heißen Brei herum, versuchte Zeit zu schinden, ehe sie endlich tief durchatmete und ihren Kopf gegen seinen Hals legte, die Augen fest zusammen gepresst. »Ich liebe dich. Vielleicht habe ich diese Form der Freiheit niemals gewollt, aber solange ich sie mit dir leben kann…solange ich keine Last für dich bin, werde ich bei dir bleiben.«

Robin spürte, wie er heftig nach Luft rang und sie dann schmerzhaft in seiner Kehle zusammenpresste. Ein leichtes Zittern ging durch seinen Körper, sie spürte, dass er etwas sagen wollte, doch es blieb ihm im Halse stecken. Sie erwartete gar nicht von ihm, dass er darauf etwas erwiderte. Das hatte sie nie und würde sie nie. Es reichte, wenn sie wusste, dass er es wusste. Das war alles, was sie wollte. Sehnsüchtig kuschelte sie sich an ihn und genoss seine Wärme, seinen Geruch und seine Umarmung.

»Es… gibt nur eines, was ich von dir verlange…« fügte sie schließlich hinzu. Sie streichelte über seine Brust, über die Schwertnarben, die unter dem Stoff lagen »...Ich wünsche mir, dass du mir vertraust.«

»...Das werde ich...« brachte er wie unter Schmerzen heraus, legte die Hand in ihr Haar und streichelte es, strich es ihr aus dem Gesicht. »…Ich werde nie mehr… über dich entscheiden. Es tut mir leid, Robin… Ich verspreche es…«

Ihr Blick war noch unsicher, aber ihre Iris glitzerte regelrecht, leuchteten ihm entgegen und in diesem Moment wirkten ihre Augen wirklich wie die Sterne auf ihrem teuersten Kleid. Sie lächelte. Ein Lächeln, das selbst den schönsten aller Sterne klein und unbedeutend erschienen ließ.
 

Und in genau diesem Moment hörten sie das süffisante Klatschen von Händen, gefolgt von einer tiefen Stimme. »Wirklich… was für eine Show.«

Robin wurde stocksteif. Nur langsam kam er auf sie zu, ein Lächeln war in sein Gesicht geritzt. Nicht gehässig, auch nicht wütend – nein, er schien sich wirklich zu amüsieren. Seine grünen Augen funkelten die beiden mit einem zwielichtigem Genuss an, dass es ihr einen kalten Schauer den Rücken hinab jagte. Endlich blieb er vor ihnen stehen und breitete einladend die Arme für sie aus, das Grinsen noch immer vorhanden.

»Robin. Dachte ich mir doch, dass ich dich hier finde. So ein Kostüm, dachtest du wirklich, das hält mich ab? Ich würde dich immer erkennen.«
 

Sie spürte die Umarmung fester werden, steifer, ehe Crocodile sie los ließ und sich dem Mann nur halb zu drehte, den Kopf mit furchterregenden Augen zu ihm, den Körper zu ihr gewand. »...«

Lycras Augen wurden größer, als er die gefährliche Aura wahrnahm, die von diesem Mann ausging, der seine Robin da festgehalten hatte. »Das glaub ich jetzt nicht... Sir Crocodile?« Er verschrenkte die Arme. »Marine? Bist du lebensmüde oder ausgefuchster als ich dachte?«

Robin kämpfte mit den Worten, focht einen inneren Kampf mit sich selbst. »Woher... weißt du von diesem Ort?«

Er lachte. »Ganz ehrlich? Meinst du, ich bin dir nicht gefolgt, nach unserer zweiten Nacht? Als du heulend weggelaufen bist?«

Sie spannte sich noch mehr an. »Du...«

»Hast mich nicht bemerkt. Aber verständlich. Du warst anderweitig beschäftigt.«

»Du mieser...!« wütend trat sie zwei Schritte auf ihn zu.

»Alte Kamellen, Robin. Komm schon. Erklär mir lieber, was du mit dem da machst. Sag nicht, er bietet dir Schutz. Das glaubst du doch nicht, oder? Du weißt genau, dass sie dich alle verraten. Außer mir natürlich.«

»Was willst du von mir?!« keifte sie ihm entgegen.

Er lachte wieder, fuhr sich durch das Haar. »Das weißt du doch, Herzchen. Das, was ich immer von dir wollte.«

»Du weißt ganz genau, dass ich dich nie wieder sehen wollte!«

»Du hast schon mal Nein gebrüllt und mich doch wieder ran gelassen, warum sollte es jetzt anders sein?«

Sie riss die Augen auf, keuchte und ballte die Fäuste. Sie konnte sich keinen Milimeter bewegen. Ihre Atmung kam so schnell, dass sie befürchtete ohnmächtig zu werden. Nicht das erste Mal, an diesem Tag. »Sei still...«

»Huh? Wieso? Willst du nicht, dass dein neuer Macker das hört?« Er sah Crocodile abschätzend an. »Nachdem was ich über ihn gehört hab, würds ihm wahrscheinlich sogar gefallen.«

»SEI STILL!«

»Oh komm schon. Wann gibst du das endlich auf? Ich habe dir doch gesagt, dass es beim ersten Mal wehtut.«

Voller Scham, voller Abscheu gegenüber sich selbst, Angst, dass Crocodile dies alles zu hören bekam, machte sie ein paar Schritte weiter auf ihn zu. »Ich sagte, du sollst deinen Mund halten!«

»Warum? Willst du nicht, dass er es hört? Warum nicht? Weil er dir dann sagen würde, das du völlig überreagiert hast?«

»ÜBERREAGIERT?!«

Seine Miene wandelte sich endlich, wirkte nun nicht mehr so belustigt. »Ja, allerdings. Es tut eben weh. Das Pech, das ihr Frauen habt.«

Sie knallte ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Es geht nicht um den Schmerz du dreckiger Mistkerl! Es ging nie um den physischen Schmerz! Ich habe schon Schlimmeres erlebt!«

Irritiert torckelte er zurück und hielt sich die Wange. »Was... was ist dann das Problem?«

Hass strahlte ihm entgegen. »Das Problem ist deine Interepretation von: "Nein, hör auf, lass mich los!"«

Nun wurde er wütend. »Frauen sagen doch immer Nein, wenn sie eigentlich Ja meinen.«

»WENN SIE SCHREIEN UND WEINEN?!«

»Oh man! Jetzt hör schon auf! Dir hats doch gefallen!«

»Ge...fallen? Ge... wie bitte? Hast du mich je Stöhnen gehört? Habe ich dir je gesagt, dass es gut war?« Ihre Stimme bebte vor Wut und noch mehr Scham. »Du hast alles kaputt gemacht!«

»Ich? Du bist es doch, sie so unnahbar ist. Ist es meine Schuld, dass du nicht richtig feucht werden kannst?«

»Halt dein MAUL!!!« Sie zitterte, Krämpfe stießen regelrecht durch ihren Körper. Sie ertrug das nicht, sie konnte das nicht mehr mitansehen. Seine ganze Existenz machte sie krank. »Verschwinde…«

»Was?«

»VERSCHWINDE! Geh jetzt oder ich vergess mich!«

»Aber...« Robin warf ihm einen Blick zu, der ihm klar machte, wie ernst sie es meinte. »Hau ab! Hau ab oder ich bring dich um...«

»Robin...«

»LOS!«

»Kch, wie du willst, ich muss eh zurück zum Schiff. Die Vorbereitungen für die nächste Veranstaltung laufen schon, aber eins sag ich dir…« Endlich wandte Lycra sich um, verschwand wieder zwischen den Bäumen. »…ich bin noch nicht fertig mit dir!«
 

Keuchend ging sie zu Boden und versteckte ihr Gesicht hinter ihren Händen. Das war schrecklicher, als sie gedacht hatte. Warum hatte er das sagen müssen? Vor Crocodile. Außgerechnet vor ihm. Sie zitterte so sehr, sie konnte es nicht mehr kontrollieren. Vor lauter Scham kamen ihr nun schon die Tränen und sie konnte den Mann hinter sich nicht ansehen. Oh Gott, wie dreckig sie sich vorkam, wie widerwärtig sie sich in ihrem eigenen Körper fühlte. Er hatte es alles gehört. Was musste er jetzt denken? Sie hätte niemals Hayu auswählen dürfen. Es war so töricht gewesen. Und jetzt hatte sie ihn an der Backe. Lycra. Sie konnte beinahe ihre eigenen Schreie hören, spürte fast, wie die Erinnerungen sich erneut in ihrem Kopf abspielten. Der Schmerz, ihr gebrochener Stolz, ihre Angst. So frisch, als hätte sie es niemals ganz verdaut. Sein irritierender Blick, diese grünen Augen, die sie noch oft in ihren Albträumen gesehen hatte. Das Wissen, dass sie doch eigentlich stärker war als das. Aber... sie war so schwach geworden in den letzten Monaten, das war einfach zu viel. Viel zu viel.

Schritte kamen auf sie zu, doch mehr folgte nicht. Sie konnte nicht deuten, was sie aussagten, was sie verbargen, was sie wollten. Er blieb nur hinter ihr stehen, starr und schweigend. Endlich zwang sie sich wieder auf die Beine, konnte sich ihm aber nicht zuwenden, konnte ihn nicht ansehen. Sie wollte den Ekel nicht sehen, den sie erwartete. »...Tut mir leid...«

Immer noch nichts, doch die Luft zwischen ihnen bebte.

»...Ich konnte... dir... ich konnte nicht... ich...« Sie begann zu schluchzen, verschluckte sich beinahe dabei, unterdrückte ihre Tränen weiter, so gut sie konnte.

»...Du bist viel zu weich für diese Welt...« kam es hart, aber nicht distanziert. Sie spürte den Kloß in seinem Hals, der seine Stimme drückte und sie gequetscht wirken ließ.

Ihr Körper begann sich schmerzhaft zu verkrampfen, rang mit ihrem Bewusstsein sie nicht zu verlassen.

Er zischte und wandte sich ab, seine Faust zitterte. »...Ich will gar nicht wissen, was da wirklich abging zwischen euch... Auch wenn es mir schwer fällt ihm nicht sofort den Kopf abzureißen... ich... akzeptiere, was du willst...«

Jetzt fielen sie doch wieder, die Tränen. Sie hatte es so dermaßen satt ständig vor ihm in Tränen auszubrechen. »...Ich wollte nicht, dass du das hörst... Ich weiß, wie es dir dabei geht...«

»...Bitte hör auf zu reden.«

Hart biss sie sich in die Lippen und das Glück, was sie eben noch gefühlt hatte, war verpufft. Gott, was musste er jetzt von ihr denken. Schwächling, Dummkopf.

Crocodile drehte sich von ihr ab und schritt wieder auf die Klippe zu, blickte auf das Meer und versuchte hartnäckig seinen Hass und die überschäumende Wut in ihm zu unterdrücken, zu begraben. Es war unmöglich. Er wollte diesen Kerl lychen. Er wollte ihn foltern dafür, was er der Frau angetan hatte, die er liebte. Aber er hatte ihr sein Wort gegeben nichts zu tun. Und wenn er das brach, wie viel Vertrauen konnte sie dann in Zukunft auf ihn setzen? Wie sollte er ihr dann je wieder klar machen, dass er es ernst meinte? Er hatte nicht gelogen - ihm war es egal, wenn er starb bei dem Versuch glücklich mit ihr zu sein. Ihm war sein Titel nichts mehr wert, er brauchte ihn nicht. Er hatte kein Problem vor der Marine zu fliehen. Er konnte ihr Vertrauen einfach nicht noch einmal aufs Spiel setzen.
 

»Ich würde ihn umbringen… wenn ich es könnte. Aber es fällt mir nicht so einfach wie dir…« Sie wandte sich ebenfalls von ihm ab, von der Klippe weg und rieb sich über die Augen. »...Wie machst du das? Wieso ist das so leicht für dich?«

»…«

Eigentlich wusste sie es. Es war leicht, weil er nicht einmal darüber nachdachte. Alles was er spürte war Hass, der aus seiner Brust schwellte. Hass, den sie bisher nur ein einziges Mal so gespürt hatte, dass es sie zum Mord getrieben hatte. Elisa war die Einzige, die sie je so gehasst hatte. Aber mit Lycra war die Sache nicht so einfach zu lösen, war es nicht so leicht, sich schlicht in der Wut zu verlieren.

»Du... denkst, dass ich ihn töten sollte, nicht?«

Auch darauf schwieg er.

»Er ist ein zu großes Risiko...« Robin torkelte auf die Beine, drückte die Schultern durch. »Ich hätte ihn gar nicht gehen lassen dürfen...« Ihr Kopf war noch immer gegen den Boden gerichtet, die Tränen noch nicht versiegt, aber sie hatte keine Wahl. Nein, sie glaubte nicht, dass Lycra sie verraten würde, aber darauf konnte sie kaum vertrauen. Sie hatte sich selbst in diese Situation gebracht, sie musste sich wieder heraus holen. Und wenn das Lycras Tod bedeutete, dann musste es wohl so sein.

»Und was jetzt... willst du ihm das Rückrad brechen?« kam es eigenartig tonlos von ihm.

Er hörte sie schlucken. »Das Genick wäre schneller, schmerzloser. Außerdem sollte es unvorbereitet kommen. Lycra ist nicht völlig wehrlos.«

Langsam drehte er sich wieder zu ihr um, das Gesicht kalt und erbarmungslos. »Und wo willst du es tun? Auf der Straße oder wie?

»Ich... ich weiß nicht...« Am liebsten hätte sie sich zusammen gekauert und gewartet, bis alles vorbei war. Hastig schüttelte sie den Kopf. »In seinem Theater. Wenn er denkt, dass ich nur mit ihm reden will, kann ich... dann könnte ich...« Erneut glitt ihre Hand über ihr Gesicht, in ihr Haar.

»...Was ist? ...Kannst du dich nicht entscheiden?« Es klang fast etwas trotzig, noch immer kühl.

»Nein, das kann ich nicht!« schrie sie plötzlich. Sie trat von ihm zurück. Sie ertrug das nicht. Sie ertrug das einfach nicht.

»...Willst du ihn überhaupt umbringen? Oder zwingst du dich dazu?«

»Ich habe es mir so oft vorgestellt. Nach jedem Albtraum, jedes Mal, wenn ich ihn gespürt habe, wenn... immer wenn mich nach ihm ein Mann so angesehen hat, wie er...« Sie redete kaum mit ihm, sagte es sich vielmehr selbst. »Für jede Sekunde, in der ich mir wie Dreck vorkomme, in der ich mich für mich selbst schäme, möchte ich, dass er leidet, stirbt...«

»...Aber letztendlich willst du es doch nicht.« stellte er mit einem Unterton fest.

»Er hat... mich nie verraten...«

Endlich sah sie ihn an, der Schmerz deutlich erkennbar in ihrem Blick. »Das war der einzige Grund. Er hat mich nie verraten. Niemals! Ich habe ihn nie geliebt, aber das ist etwas Anderes. Mein Traum war es immer jemanden zu finden, dem ich nicht zur Last falle. Ich wollte nur einen Menschen haben, dem es egal ist, wer ich bin. Den es einen Dreck interessiert...«

Erneut drehte Crocodile sich von ihr ab, doch sie konnte nicht erkennen, was sich dahinter verbarg.

»Ich...ich habe Angst davor Crocodile... Ich bin dann nicht mehr die Gleiche. Ich bin schon jetzt nicht mehr, die Robin, die ich kenne.«

»...Dann sei es nicht... Ich habe dir bereits gesagt, dass ich kein Problem damit habe mit Nico Robin zu segeln. Wenn du es nicht aufgeben kannst, dann geht es nicht anders. Ich folge dir, egal ob du Nico Robin sein willst oder jemand anderes. Für mich macht das keinen Unterschied…«
 

In diesem Moment spürte er sie hinter sich, wie sie sich an ihm festhielt, in seinen Rücken drückte. »Ich will... einfach nur Robin sein...«

»...Das bist du.«

»...Ich kann das nicht alleine...«

»...Du musst es nicht tun.«

»Ich verlange nicht, dass du es für mich tust... Ich will nur nicht... allein sein. Wenn ich alles zurück lasse, wenn ich mein altes Leben endgültig aufgebe... Ich will nicht mehr allein sein.«

»...Was willst du, dass ich tue?«

»Bleib einfach bei mir.«

»Okay.«

Sie legte den Kopf zwischen seine Schulterblätter und er konnte die Tränen durch den Stoff sickern spüren. Sie ließ ihn nicht los.

»Robin?«

»Ja?« flüsterte sie nur.

»...Ich hoffe du tust ihm ordentlich weh für das, was er getan hat.«

»...Du meinst... ich soll ihn foltern?«

»Habe ich das so ausgedrückt?«

»Ich weiß nicht, was du sonst unter wehtun verstehst.«

»Nun, gib ihm einfach was er verdient. Denn wenn ich es tue, wird er nie wieder im Leben froh.«

»Das wird er wohl kaum können, wenn er tot ist.« Sie ließ ihn los, wischte sich schon wieder über die Augen, dieses Mal mit Erfolg. »Außerdem wird er sich sicherlich wehren. Und das kann er. Er... ich hab den Namen vergessen, aber es ist eine Teufelsfrucht. Schall glaube ich. Er hat es nie direkt vor mir angewandt, aber es steckt in seiner Stimme.«

»Gut zu wissen...« Kam es wieder kälter und er drehte sich zu ihr um, musterte sie noch einen Moment. Ein Häufchen Elend, das beschrieb sie ziemlich akkurat. Er ging unberührt davon an ihr vorbei, nur beim Vorbeigehen, berührte er sie scheinbar zufällig mit der Hand an ihrer. »Wenn es hart auf hart kommt, bin ich immer noch da. Ich mach den Job, wenn dus mir sagst.«

»Du hast genug Blut an dir.«

»Irgendwann ist das nicht mehr wichtig«

»Du irrst dich. Es ist wichtig… Aber das ist jetzt egal.«

Darauf antwortete er nicht. Sein Blick ging starr gerade aus, unbarmherzig nach vorn, auf sein Ziel gerichtet. Er wusste nicht, ob er sich zurückhalten konnte, wenn er den Kerl wieder sah, doch er würde es versuchen. Um Robins Willen. Doch würde sie zögern, konnte er nicht garantieren, dass kein Blut floss. Der Hass brodelte so stark in ihm, dass es ihn krank machte. Mordlust peinigte ihn, geißelte ihn. Und insgeheim hoffte er, dass er sie befriedigen konnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Aja1992
2011-11-07T08:24:19+00:00 07.11.2011 09:24
Hammer kapi^^

Die zwei sind einfach der hammer^^
Ich fand das süß von ihr ihm das zu schnken^^

Bin gespannt wie es weiter geht^^
Von:  Ysaye
2011-11-06T22:24:15+00:00 06.11.2011 23:24
Whew.. heftiges Chapi. Wie nur wird die Geschichte ausgehen und was stellt Robin mit Lycra an?

Bitte bald weiterschreiben,

Ysaye


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