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Die Geister die wir riefen...

von

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Was Zeus anging besaß die Gruppe keinen Bedarf nach einem Wiedersehen und es hier in Natura zu sehen bestärkte sie in diesem Wunsch. Bereits in ihrer Kindheit hatte das Bit Beast einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es war das einzige Wesen das sie schon damals in Angst versetzte. Sein Besitzer Brooklyn schien ihnen gestraft mit diesem Partner an seiner Seite. Das Bit Beast hatte eine merkwürdige Aura, die einen ungewöhnlichen Effekt auf seine Umgebung besaß. Es schien wie ein Loch, dass alles in seiner unmittelbaren Nähe in sich aufsog. Da drängte sich unwillkürlich die Frage auf, ob das schwarze Fell tatsächlich von seiner Farbe herrührte. Die Grashalme beugten sich in Zeus Richtung, als würden sie magnetisch angezogen und berührten die Hufe des zentaurenartigen Bit Beasts den Erdboden, hinterließ es einfach nur ein finsteres Loch. In jenem Moment erinnerte Tyson die Konsistenz des Bodens, an flachgerollten Teig, in den man eine runde Form stach und nur der Einschnitt übrig blieb. Außerdem bemerkte er das Zeus Bewegungen merkwürdig stockend abliefen. Als würde man einer Figur in einem Daumenkino beim Gehen beobachten.

Es wirkte so noch surrealer…

Die Schwingen des Bit Beast lagen eng an den Seiten angelehnt, dafür waren die Klauen umso mehr auf Bereitschaft. Es setzte die Spitzen ständig aneinander und wieder auf, was ein klackerndes Geräusch verursachte, wie ein Krebs mit seinen Scheren.

Das Maul war weit aufgesperrt. Der starre Kiefer mit den langen Zähnen, machte den Eindruck das Gesicht wäre nichts anderes als eine hölzerne Maske. Die giftgrünen Augen glühten und zogen einen nebligen Schimmer mit sich, sobald es den Schädel umwandte. Es besaß ergrautes Haar und an seinen Schultern sprossen schwarze Federn hervor.

Während ihrer Flucht hatte Allegro erkannt, dass es sinnlos war, vor dem Bit Beast fortzurennen, so lange der Wind ihren Geruch in dessen Nase trieb. Also dirigierte er die Gruppe in einem schnellen Spurt zu einem Gewässer, von dem er sich erhoffte, dass es ihre Fährte verdeckte.

„Ray wird uns verlieren wenn wir weiter weg rennen!“, keuchte Max.

„Ich wittere ihn schon auf! Und desto weiter uns Zeus folgt, umso besser für den Jungen.“

Tyson hoffte inständig das er damit recht behielt. Er zerrte Kai hinter sich her, der Mühe hatte durch das hohe Graß zu folgen. Max gab vor ihm einen erschrockenen Ausruf von sich, als es plötzlich bergab ging und kurz darauf trat auch Tyson ins Leere. Sie schlitterten einen kleinen Hang hinab in ein seichtes Flussbett hinein. Allegro sprang auf den flachsblonden Haarschopf von Max und hielt Ausschau nach einem geeigneten Versteck.

„Watet durch das Wasser zu dem hohlen Baumstumpf dort hinten!“, seine kleine Pfote gestikulierte wild auf die andere Seite. Dort war ein Teil des besagten Stamms in den Fluss gerutscht, während die Zeichen der Zeit in Form von Moos darüber hinweg wucherten. Die Gruppe lief gegen die leichte Strömung an und erreichte das andere Ufer noch bevor das Bit Beast sie ins Visier nehmen konnte. Sie kauerten sich in den hohlen Baumstamm, ignorierten den modrigen Geruch in dessen Innerem und wagten dabei kaum noch zu atmen. Die Sonnenstrahlen welche durch die Ritzen der brüchigen Rinde fielen, hinterließen helle Lichtflecken auf ihren Körpern. Tyson konnte in den Gesichtern seiner Freunde die Anspannung lesen.

Max kaute nervös auf der Unterlippe während Allegro ihre Umgebung abhorchte. Seine Ohren schnellten dabei in jede Richtung aus der er einen Laut vernahm. Kai hatte er zu sich auf den Schoß gezogen, da sie ansonsten nicht nebeneinander in ihr Versteck hineingepasst hätten. Alle starrten auf die Öffnung, in der Hoffnung das Bit Beast wäre zu faul, um sich hinab zu beugen und ihren Schlupfwinkel auszukundschaften.

Tyson dachte an Ray und ärgerte sich darüber, dass er einfach so überstürzt abgehauen war. Ihm wäre lieber gewesen, ihn bei sich in der Nähe zu wissen, wo er in Sicherheit wäre. Ob das aber wirklich der Fall war, bezweifelte er in jenem Moment, als sie die Rufe des Bit Beast ganz in ihrer Nähe vernahmen.

Es hatte eine grässliche Stimme die einem durch sämtliche Knochen jagte. Es war ein Misch aus Röhren und einem unheimlichen Klackern. Kai vergrub sein Gesicht in Tysons Hemd samt seiner Finger. Es erinnerte ihn daran wie Brooklyn seinen Freund, mit diesem Bit Beast, bei ihrem ersten Kampf besiegte.

Ob hier Kais Unterbewusstsein eine Botschaft schickte?

Halt dich fern von diesem Monstrum - es hat dich schon einmal verletzt?

Tyson schluckte als die Lichtkegel auf Maxs Haut erloschen. Er starrte in das Gesicht seines Freundes, der aschfahl wurde. Beide ahnten dass dies nur verheißen konnte, dass das Bit Beast sich vor dem Baumstamm herumtrieb. An der Öffnung erschienen ein Paar Vorderhufe. Sie scharrten so ungestüm im Wasser dass die Spritzer bis zu ihnen hinein flogen. Niemand atmete mehr.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, doch dann lief das Bit Beast rückwärts aus ihrem Sichtfeld. Der Platz an dem seine Vorderhufe geweilt hatten hinterließ eine Öffnung, in welches sich das Wasser in Form eines feinen Wirbels hinein ergoss.

Es wurde still…

Dann ging ein Ruck durch den Stamm, als das Bit Beast ihm mit einem lauten Brüllen einen Hieb versetzte. Der Teil des Baumes der nicht in den Fluss gefallen war löste sich krachend. Sobald sie wieder zum Liegen kamen trat es erneut zu und brachte den Stamm ins Rollen. Dabei lösten sich die Rinde an manchen Stellen und enttarnte sie vor den Augen ihres Verfolgers. Mit dem weiten Kiefer wirkte das Gesicht von Zeus hämisch.

Wann immer sie sich drehten schien die starre Fratze sie auszulachen.

Irgendwann hatte das Bit Beast so viel vom Stamm zerstört, dass eine große Luke sich auf einer Seite auftat. Die Karussellfahrt hatte für sie erst ein Ende, als die Ränder dieses Lochs sich in den schlammigen Untergrund im Fluss fraßen.

„Raus hier!“, schrie Allegro.

Das ließ sich keiner zwei Mal sagen.

Max und Tyson preschten auf unterschiedlichen Seiten aus dem Stamm hervor - gerade rechtzeitig. Denn mit einem weiteren Hufschlag hatte Zeus den Baum zertrümmert. Die bröselnden Überreste landeten klatschend im Wasser. Für einen Moment schien das Bit Beast sich zu fragen, auf wen es die Jagd eröffnen sollte. Tyson und Kai schienen das fragwürdige Los gezogen zu haben, denn sobald Zeus entdeckte, wer dort vor ihm türmte, setzte er ihnen im Galopp hinterher. Das Wasser stob unter seinen Hufen zu allen Seiten und kündigte Tyson an, wie weit das Bit Beast von ihnen entfernt war. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus stieß er Kai von sich weg. Das Kind landete überrascht im Wasser, doch Zeus hatte ein solches Tempo drauf, das es an ihm vorbei galoppierte. Dafür bekam eine seine Klauen ihn am Kragen seiner Jacke zu fassen und Tyson fand sich kurz darauf in der Luft baumelnd. Das Bit Beast hob ihn an sein Gesicht und die unheilvollen Augen stierten den Jungen an. Aus der Nähe wirkte Zeus noch erschreckender. Die Fratze vor Tyson flackerte merkwürdig, als würde er in einen altmodischen Fernseher mit Störungen blicken. Es musterte ihn eindringlich und irgendwann kam die Erkenntnis, in Form eines gellenden Schreis. Nervös schluckte Tyson den Kloß in seinem Hals hinab und sagte:

„Schon lange nicht mehr gesehen.“

Das Bit Beast schnaubte. Dabei spien seine Nüstern giftgrünen Rauch hervor.

„Du erkennst mich wohl auch wieder!“, lachte Tyson verlegen auf. Sein Blick versuchte den lauernden Augen auszuweichen, doch so recht wollte es ihm nicht gelingen. „Das ist wirklich sehr schmeichelhaft, ehrlich! Aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne wieder runter.“

Ein dunkles Grollen drang aus der Kehle hervor. Es klang hämisch und versprach alles - nur nicht das seinem Wunsch stattgegeben würde.

„Ich habe gehört Bit Beast sind liebreizende Wesen, die überhaupt nicht nachtragend sind!“, überspielte er mit einem schalen Witz ihre gemeinsame Vergangenheit. Ein bedrohliches Knurren war die Antwort. Er fand wohl keine Zustimmung…

„Lass ihn runter!“, Kai kam auf das Bit Beast zu gerannt, doch Max eilte zu ihm und packte das Kind am Kragen. Er strampelte mit hochroten Wangen gegen den größeren Jungen an, der wiederum mit weit aufgerissen Augen um jeden Geistesblitz dankbar zu sein schien.

Zeus legte seinen Kopf auf die Seite und beugte seinen Oberkörper vor. Da seine Bewegungen ohnehin unnatürlich wirkten, jagte es Tyson einen Schauer über den Rücken. Er schien die Gesichter der beiden anderen Knaben genauestens zu studieren und blieb an Kais besonders lange hängen. Die Nüstern blähten sich und jeder Zug in die Lunge hob den Brustkorb des Bit Beasts an. Tyson rann ein Schweißtropfen die Schläfe entlang und interpretierte das folgende Fauchen, als Bestätigung dass Zeus Kai – trotz seiner Jugend - ebenfalls erkannte.

„Nein, nein, Kumpel!“, log er fadenscheinig. „Das ist nicht Kai. Der Kleine heißt… Lee.“

Er wusste beim besten Willen nicht wie er jetzt auf ihn kam.

Es verfehlte auch komplett seine Wirkung denn Zeus brüllte so laut, dass der Speichel nur wahllos aus seinem Maul spritzte. Tyson blinzelte angeekelt und wischte sich über seine Wange. Dann flog ein Schlammklumpen durch die Luft, dessen Flug ein jähes Ende im Rachen des Bit Beats fand. Augenblicklich grunzte es auf und keuchte erstickt. Seine Hufe tippelten unruhig.

„Treffer!“

Alle Blicke drehten sich geschockt zu Kai.

Das Kind streckte jubilierend die schlammbefleckten Hände in die Höhe.

In einem anderen Moment hätte Tyson das wirklich putzig gefunden, doch nicht jetzt! Allerdings musste er neidlos gestehen, dass sein Freund noch immer sehr zielgenau war.

„Er hat es nicht so gemeint!“, Max hob beschwichtigend seine gesunde Hand in die Höhe und Allegro zerrte jaulend seine Ohren vor die Augen. Doch sobald Zeus seine Überraschung überwunden hatte, bäumte es sich mit gespreizten Schwingen auf und brüllte der Gruppe seinen puren Zorn entgegen.

Max starrte ihn verdattert an, dann rief er „Ach scheiß doch drauf!“ und stieß seine freie Hand in den sandigen Untergrund. Sobald das Bit Beast im Galopp zu ihnen aufschloss, hatte er einen Klumpen aus Schlamm geformt und es Zeus direkt zwischen die Augen geworfen. Erblindet rannte es in die Gruppe hinein, die auseinander stob. Das Monstrum schüttelte den Kopf, während Tyson bald schlecht von dem schaukelnden Ritt wurde.

Mit dem freien Arm versuchte das Bit Beast seine Augen zu säubern, doch in diesem Moment waren seine langen Klauen eher kontraproduktiv und da die Jungen nicht auf den Kopf gefallen waren, nutzten sie die Gunst der Stunde. Tyson war insgeheim dankbar für ihre frühere Beybladekarriere, denn seine Freunde waren wirklich treffsicher und warfen dorthin, wo es richtig unangenehm war.

Das Bit Beast sträubte sich unter dem Beschuss bis es ihm aber zu bunt wurde. Es stampfte mit einer solchen Wucht auf den Erdboden auf, dass alles bebte und der Druck eine Welle formte, welche die beiden Jungen von den Beinen riss.

Max landete auf dem Rücken. Sein geschwollener Arm hinderte ihn daran, schnell auf die Beine zu kommen. Das Wasser um ihn herum stob in alle Richtungen, als er sich prustend versuchte aufzustemmen. Es sah aus als fände an dieser Stelle eine wilde Lachswanderung statt. Tyson versuchte sich frei zu strampeln, doch das Bit Beast hielt jene Körperhälfte von ihm zugewandt, an der sein verletzter Arm in der Schlaufe baumelte. So war es ihm unmöglich mit seiner gesunden Linken auszuholen. Er war ohnehin Rechtshänder.

Er vernahm Allegros Hilferuf und unweit neben ihm, kam Kai aus dem Wasser zum Vorschein. Das Kind schüttelte sich hustend während die klatschnassen Strähnen in seinem Gesicht klebten. Der Pegel des Flusses lag nicht hoch, reichte einem Jungen seines Alters aber dennoch bis zum Bauch. Allegro sank mit blubbernden Bläschen unter. Kai wischte sich die Strähnen aus der Sicht und mit einem schockierten „Oh nein!“ wühlte er im Wasser nach der Strommaus. Es wäre nicht von Vorteil für den wackeren Mäuserich gewesen, wenn er ausgerechnet jetzt zu einem Blitz geworden wäre, daher war er im Fluss vollkommen unterlegen. Kurz nachdem das Kind die Maus erneut zutage förderte, erschallte ein lautes Gelächter durch das Flussbett.

Mit einem Schnauben wandte sich Zeus aus schlammverkrusteten Augen dem Ursprung zu und grunzte überrascht. Wahrscheinlich starrte Tyson genauso dumm drein, denn auf einem Felsen, standen zwei Gestalten von eindeutig menschlicher Natur.

Es waren ein Mann und eine Frau.

Tysons Augen wurden groß als er Maxs Mutter Judy unter ihnen erkannte. Ihm sträubten sich die Nackenhaare, als er an seine erste Begegnung mit Draciel dachte. Er wusste noch dass die wahre Gestalt hinter diesem totblassen Gesicht, jene einer aufgedunsenen Wasserleiche war. Mittlerweile hatte es Maxs bewerkstellig sich aufzurichten. Sobald er sein ehemaliges Bit Beast erblickte erstarrte er. Es musste schrecklich für ihn sein die Überreste seiner Mutter so schamlos missbraucht zu wissen. Tyson sah wie er voller Schmerz zu den beiden Neuankömmlingen blickte und die Zähne zusammenbiss.

Er konnte ihm seine Trauer nicht verübeln. Dagegen verstand er nicht was Draciels Kompagnon so komisch fand. Wer war das überhaupt?

Ein Mann mittleren Alters, mit schwarzem Haar das zum Pferdeschwanz zusammengebunden war. Um sein Kinn lag ein leichter Bartwuchs, doch die leichenblasse Haut verriet Tyson das es sich dabei nur um ein weiteres Bit Beast in einem toten Körper handeln konnte. Das Gesicht kam ihm bekannt vor und da er ohnehin ein gutes Gedächtnis besaß was das anging, brauchte er nicht lange, um den Mann wiederzuerkennen, der ihn an jenem Abend nach seinem Streit mit Kai ansprach. Es konnte sich nur um Dragoon oder Driger handeln. Er schloss Letzteren aber aus reiner Intuition aus. Das Bit Beast krümmte sich vor Lachen und deutete auf Zeus.

„Ist das dein Ernst? Du lässt dich von den Bälgern so vorführen? Das ist einfach zu köstlich!“, er streckte sich und hielt sich die Hand lachend vor die Augen. „Unglaublich! Der Kaiser der Alpträume…“

Zeus gab ein bedrohliches Knacken von sich. Offensichtlich war es nicht in der Lage zu sprechen, dennoch verstand Dragoon was es sagte.

„Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen.“, zuckte er feixend mit den Schultern. Tyson hoffte inständig sein alter Partner möge aufhören das Bit Beast so zu reizen. Doch der legte lieber noch einen drauf.

„Du bist eingedeckt mit Schlamm man meint du kommst aus einem Scheißloch raus.“

Zeus bäumte sich und grunzte etwas mit seinen seltsamen Lauten. Dragoon winkte nur beschwichtigend ab.

„Na na… Wer wird gleich so ausfallend.“, dann nahm er einen geschäftlicheren Ton an. „Allerdings darf ich dich daran erinnern, dass du in der Irrlichterwelt nichts zu suchen hast?“

Zeus knurrte.

„Blaff mich nicht so blöde von der Seite an. Das hier ist meine Welt!“, sprach Dragoon süffisant, doch das böse Funkeln in seinen Augen ließ eine Drohung herauserkennen. „Dann bist du wohl auch für die ganzen Löcher hier zuständig? Hast du eine Ahnung wie viel Arbeit es macht hinter dir her zu räumen? Ich meine, dass ist nicht meine Aufgabe… Dafür ist sie da.“, er deutete achselzuckend auf Draciel, als hätte er sie zum Spülen verdonnert. Das Bit Beast äußerte sich aber nicht weiter dazu und starrte gleichgültig in die Ferne.

Nun wurde Zeus richtig geschwätzig. Es scharrte mit den Hufen. Wieherte, schnaubte und schüttelte sich in einer Tour. Max und Kai blickten irritiert zwischen den Bit Beasts hin und her, während Tyson in seiner angespannten Haltung schon verkrampfte. Sein Shirt schnürte ihm die Luft ab und er japste gelegentlich. Er kam sich irgendwie vergessen vor. Dragoon hörte desinteressiert dem Strom dieses Kauderwelsch zu, nickte einige Male, zum Geheiß das er noch zuhörte und schnalzte irgendwann mit der Zunge.

„Mag ja alles sein. Aber Fakt ist, deine Welt ist die Traumwelt und du bist nun Mal ein Alptraum! Hier wirst du keinen guten Einstieg in den Schlaf von Menschen finden. Dafür ist der Traumstrom da und der befindet sich bei dir zuhause.“

Zeus trabte zwei Mal mit dem rechtem Vorderhuf auf der Stelle. Was immer das Dragoon sagen mochte, er antwortete: „Ist doch dein Problem wenn der Zugang verstopft ist! Dann musst du ihn eben warten. Muss ich mich wirklich noch um deine Welt kümmern?“

Wieder kam ein Schnauben als Antwort.

„Nein, ich erlaube deinen Alpträumen nicht, eine Umleitung durch meine Welten zu nehmen. Wo kommen wir denn da hin…“

Erbost grölte Zeus.

„Du faules Aas! Mach einfach deine Arbeit richtig, anstatt immer die einfachste Lösung zu suchen! Es geht mir gehörig gegen den Strich das du ständig meine Landstriche zerstörst, nur weil du zu bequem bist, um den Traumstrom zu reparieren. Diese ständigen Umwege durch meine Welt hören gefälligst auf!“

Tyson interpretierte den nächsten Laut als eingeschnappte Geste. Denn das Bit Beast trippelte angespannt auf der Stelle. Er hätte gerne einmal gefragt ob er endlich wieder runter konnte.

„Natürlich hat das etwas mit der Geschichte in der Menschenwelt zu tun. Überall wo du auftauchst machst du alles kaputt.“, meinte Dragoon trocken. „Jetzt wilderst du auch noch im falschen Gebiet, attackierst meine Gäste und ich soll dir das durchgehen lassen? Für wen hältst du dich?“

Ein Grunzen war die Antwort und das Bit Beast reckte die Brust.

„Ich bin auch ein Monarch. Jetzt spiel dich mal nicht so auf…“, und als Zeus Tyson in die Höhe hielt und rüttelte, setzte Dragoon noch hinzu. „Mir doch egal ob du mit den Bengeln noch eine Rechnung offen hast! Lass Takao runter und troll dich auf der Stelle zurück nachhause!“

Zeus wandte den Kopf knurrend zu Kai. Die beiden Jungen zuckten zusammen und Max stellte sich schützend vor ihm auf.

„Nein verdammt, den lässt du auch in Ruhe! Sei nicht ständig so furchtbar nachtragend!“

Wütend stampfte Dragoon mit dem Fuß auf. Allem Anschein nach ging ihm diese Konversation gehörig auf die Nerven. Das andere Bit Beast spreizte bedrohlich die Schwingen und bäumte sich auf. Scheinbar hielt es nichts von Dragoons Vorschlag. Es wirkte wie eine Drohgebärde. Tysons alter Partner blitzte Zeus mit wütend zusammengezogenen Brauen an und sah wohl seine Autorität in Frage gestellt. Dann huschte sein Blick zu Tyson und augenblicklich schallte ein barscher Befehl durch seinen Kopf: „Schlüpf aus der Jacke und duck dich!“

Noch bevor er wusste wie ihm geschah machte sich Tysons Körper selbstständig.

Er warf die Arme hoch - obwohl ihm die Rechte dabei höllische Schmerzen bereitete - rutschte aus seiner roten Jacke, fiel zu Boden und kauerte sich dort zusammen.

Keine Sekunde später preschte Dragoon über ihn davon und rammte seine zur Klaue gewordene Hand in den Hals von Zeus. Die Erde erzitterte als das Drachen Bit Beast den Alptraum umwarf. Dragoon schlug den Kopf seines Gegners ins Erdreich des schlammigen Ufers und es entstand ein Wirrwarr aus schwarzen Schwingen, Hufen und wild um sich schlagenden Flüchen.

Tyson richtete sich wankend auf und hielt sich zähnefletschend den schmerzenden Arm, machte aber einen entsetzten Sprung seitwärts, als neben ihn Draciel trat. Das Bit Beast lief in seinem Menschenkörper über das Wasser und stierte gelangweilt auf das Szenario.

Er blickte auf die Füße herab. Sie schauten unter dem langen dreckigen Rock hervor und da das Bit Beast keine Schuhe trug, hatte man offene Sicht auf die faulenden Zehen. Tyson bekam eine Gänsehaut und trat vorsichtig von dem verwesenden Körper weg, dass sein Verhalten nicht weiter kommentierte. Es schaute nur dem „Gebieter“ bei seiner Rauferei zu.

Der hielt inzwischen Zeus im Schwitzkasten und schlug ihm mehrmals verärgert seine Faust gegen den Kiefer. „Bring mir nicht ständig meine Welten durcheinander!“, hörten sie ihn zwischen den Zähnen fletschen. Das andere Bit Beast deutete mit wiederholten Austritten seiner Hinterhufe an, dass er nichts von Dragoons Wunsch hielt.

„Was wartet ihr noch?! Beeilt euch und verschwindet!“, hörten die Jungen Allegro sagen. Der Mäuserich hatte sich von seinem unfreiwilligen Badeausflug erholt und hopste auf Kais Handfläche wild herum. In diesem Moment endete die Rangelei aber jäh, als Dragoon seinem Gegner einen solchen Tritt gegen den Brustkorb versetzte, dass Zeus knapp neben ihnen im Wasser landete und ihren Fluchtweg versperrte. Eine kalte Dusche empfing sie, ausgenommen von Draciel welches einen unsichtbaren Schutzschild zu haben schien. Man konnte beobachten wie die Tropfen daran langsam entlang rannen. Das Wasser schien die Rinnen eines Schildkrötenpanzers nach zu zeichnen.

„Runter von meinem Hab und Gut!“, bellte Dragoon ihm mit drohender Faust entgegen. Zeus stemmte sich mit wackeligen Beinen auf und sträubte sich. Dort wo er gelegen hatte entstand wieder eines dieser merkwürdigen Löcher in welches das Wasser abfloss. Es klackte noch einmal verstimmt und geschlagen trat das Bit Beast den Rückzug an. Dragoon bedachte mit entnervten Ausdruck die Fußspuren die es hinterließ und rief ihm hinterher:

„Und sieh zu das du den kürzesten Weg nimmst!“

Er wandte sich ab, als noch ein letztes Schnauben erklang.

„Das will ich überhört haben!“, Dragoon trat zu Draciel und krempelte sich brummend die zerschundenen Ärmel hoch, die stark in Mitleidenschaft gezogen waren. Noch leicht verärgert fragte er: „Ist der Typ zu fassen?“

Sie antwortete nicht, doch er schien das auch nicht erwartet zu haben. Ohne von seinem Ärmel aufzublicken, rief er ganz nebenbei: „Wo hast du Ray gelassen, Takao?“

Tyson war noch zu perplex von dem Nachbarschaftsstreit und zuckte zusammen. Sobald er seine Überraschung überwunden hatte, schaute er sein Bit Beast argwöhnisch an. Dragoon gab sich so gelassen, als bräuchte ihn kein schlechtes Gewissen zu plagen. Das machte ihn geradezu rasend. Er unterdrückte aber seine Wut und ermahnte sich zur Ruhe. Eventuell ließ sich diese Minute nutzen um sein Bit Beast zur Vernunft zu bringen.

„Ray wird bald zu uns dazu stoßen. Er kann außerdem sehr gut auf sich selbst aufpassen.“

„Sicher kann er das.“, stimmte Dragoon zu. Es kam irgendwie belustigt herüber.

„Was meinst du?“

„Nichts. Passt nur auf das er euch nicht abhandenkommt.“, er wandte sich ihnen zu und beugte sich verheißungsvoll vor. „Tausend Seiten Papier reichen nicht aus, um aufzulisten, was alles in dieser Welt schon verloren gegangen ist.“

Wie um ein Beispiel zu nennen, griff er nach Tysons Jacke, welche die Strömung an seinen Beinen vorbei führte und warf sie ihm zu. Er fing sie mit der Linken auf und schaute nachdenklich auf den weißen Schal, der aus dem Ärmel hervorlugte.

War das ein Wink mit dem Zaunpfahl?

„Habt ihr Ray etwas angetan?“, stieß Max prompt seinen Verdacht aus.

„Wie käme ich denn dazu.“, sprach Dragoon. Tyson beschlichen üble Gedanken und er glaubte seinem Bit Beast nicht ein Wort. Etwas lag im Busch und liebend gerne hätte er auf dem Absatz kehrt gemacht um nach ihren abwesenden Freund zu suchen. Stattdessen überlegte er sich, dass dies die erste und vielleicht letzte Möglichkeit war, mit seinem früheren Partner von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. Er zog sich schwerfällig die Jacke wieder über und verzog das Gesicht, als er seine verletzte Hand durch den Ärmel schob. Außer schweren Vorwürfen seinerseits hatte er bei ihrem letzten Zusammentreffen nichts für sein Bit Beast übrig gehabt. Daher nahm sich Tyson nun vor die Angelegenheit diplomatischer anzugehen. Zumindest wollte er jede Möglichkeit ausschöpfen um wieder nachhause zu gelangen.

„Dragoon, können wir bitte reden?“

„Wenn du mich so höflich fragst sicher. Bei unserem letzten Treffen wirktest du etwas verstimmt.“

Das Bit Beast grinste schief und entblößte einen langen Schneidezahn. Es hatte etwas Überlegenes an sich, was Tyson überhaupt nicht mochte. Unweigerlich fühlte er sich an die Zeit erinnert, als er sich nach seinem Abschluss bei einigen Werkstätten beworben hatte und haufenweise Abfuhren erhielt. Seine schulischen Leistungen waren schlechtes Mittelmaß gewesen und er hatte sich in seine Beybladekarriere so hineingesteigert, dass seine Lehrerin ein Kreuz in ihren Kalender malte, wenn er seine Hausaufgaben doch mal mitbrachte. Zu jener Zeit war ihm nicht bewusst gewesen, dass sein schlechtes Abschlusszeugnis ihn geradezu dazu nötigen würde, bei den regionalen Werkstätten zu Kreuze zu kriechen. Es hatte ihn gelinde gesagt total angewidert…

Da war er heilfroh gewesen, als sich ein Bekannter seines Großvaters seiner erbarmte und ihm eine Lehre anbot. Er hatte sich wirklich ins Zeug gelegt um zu beweisen, dass seine praktischen Leistungen sich weit von den theoretischen unterschieden.

Trotzdem bekräftigten Tyson die unschönen Wochen der erfolglosen Suche, in seinem Entschluss, irgendwann auf eigenen Beinen stehen zu wollen. Es war eine seiner klügsten Entscheidungen gewesen, dass Geld seines Großvaters, nach seiner Lehre, in eine eigene Werkstatt zu investieren. Nie wieder wollte er sich von einem anderen Menschen so hochnäsig belächeln lassen. Das er gerade mit seinem ehemaligen Partner diese unliebsame Erfahrung jetzt wiederholte schien ihm wie blanker Hohn.

Dennoch biss Tyson die Zähne zusammen. Einen Tod musste man wohl sterben damit sie wieder heil nachhause kamen. Vielleicht konnte Dragoon auch etwas an Kais Zustand ändern?

„Was mag mein alter Freund wohl von mir wollen?“, fragte ihn sein Bit Beast süffisant.

„Ich denke du weißt worum es geht.“, er versuchte freundlich zu bleiben, auch wenn es ihm gehörig stank, wie sich Dragoon gab.

„Ihr wollt uns verlassen? Wie traurig… Ich meinte wirklich ihr hättet euch eingelebt.“

„Natürlich haben wir das!“, schnauzte Max ihn an. „ Mal abgesehen von den Anlaufschwierigkeiten durch das eine oder andere Bit Beast was uns töten wollte, sind die Tage hier eine wahre Wonne! Wenn ich nachhause komme setzte ich mich an den Laptop und schreibe einen umfassenden Erfahrungsbericht über die wundervolle Gastfreundschaft hier!“

„So etwas infantiles willst du doch nicht wirklich tun, oder?“, entrüstete sich Allegro und schaute ihn auf Kais Handfläche mit zur Seite gelegten Kopf verwirrt an.

Max stöhnte entnervt.

„Du musst wirklich mal Sarkasmus googeln.“

„Stehst du nicht etwas zu weit unten in der Nahrungskette für derlei Spott?“, wollte Dragoon wissen. Max hatte einen weiteren bissigen Kommentar auf den Lippen, doch Tyson schnitt ihm das Wort ab.

„Hör mal Dragoon, ich möchte wirklich begreifen was in dir vorgeht. Du bist wütend weil ich dich die letzten Jahre vernachlässigt habe und ich muss gestehen - ich sehe meinen Fehler sogar teilweise ein. Aber ist es wirklich nötig das du uns hier festhältst?“

„Wäre es dir lieber ich würde mich an deinem Großvater rächen?“

„Nein.“, knurrte er durch seine Zähne hindurch und hatte Mühe seinen Groll zu unterdrücken. „Aber worauf soll dein Spielchen hinauslaufen? Sollen wir bis ans Ende unserer Tage hier bleiben?“

„Wenn es dich zu Verstand bringt - warum eigentlich nicht?“

Max öffnete empört den Mund, doch Tyson hob seine Hand um ihn zum Stillschweigen zu bringen. Es trug wohl nicht zur Verbesserung ihrer Situation bei, wenn sie das Bit Beast beschimpften. Er hatte sie in der Hand. Wäre ein anderer vor ihm gestanden hätte Tyson wohl ähnlich gehandelt, doch jetzt riss er sich der Gruppe zuliebe zusammen.

„Was muss ich tun damit wir wieder auf einen grünen Zweig kommen?“

„Überrasch mich!“, frohlockte Dragoon.

„Was ist wenn ich mich entschuldige?“

„Vielleicht bringt es etwas? Lass es uns herausfinden.“

Tyson atmete hörbar aus. Er dachte an seinen Großvater und das er dabei war, sich bei dem Bit Beast einzuschmeicheln, dass ihn ins Krankenhaus befördert hatte.

„Tu es nicht, Junge!“, forderte Allegro. „Glaub ihm nicht!“

Seine Einwände wurden aber ignoriert.

„Es tut mir Leid dass ich dich so vernachlässigt habe.“

„Das war wahrlich nicht schön von dir.“, stimmte Dragoon ein. „Weiter?“

„Ich hätte dich mit dem Respekt behandeln sollen der dir zusteht.“

„Das hättest du.“

„Du standest mir immer zur Seite als ich dich während meiner Beybladematches gebraucht habe. Es war ziemlich unfair von mir, dich in Vergessenheit geraten zu lassen.“

„In der Tat.“

„Wenn du uns also wieder in die Menschenwelt zurücklässt“, wagte sich Tyson vorsichtig vor. „Werde ich dich nicht mehr als Selbstverständlichkeit erachten. Ich werde mir für dich mehr Zeit nehmen. Vielleicht könnte ich Mr. Dickenson bitten ein Turnier zu veranstalten, um der alten Zeiten willen… Würde dir das nicht gefallen?“

„Ah!“, schwärmte Dragoon. Die Augen des Bit Beast schwelgten in Erinnerungen. „Gegen ein schönes Match wäre nichts einzuwenden.“

Tyson lächelte in sich hinein – arroganter Gockel.

„Aber darüber bin ich hinweg gewachsen. Trotzdem nehme ich deine Entschuldigung an.“

„Was soll das heißen?“, fragte Max irritiert. „Lässt du uns nun gehen, oder nicht?“

„Natürlich nicht.“, flötete das Bit Beast vergnügt.

„Warum nicht?“, fuhr Tyson ihn an. „Du hast gesagt wenn ich mich entschuldige…“

„Ich sagte vielleicht“, fiel ihm Dragoon dazwischen. „Du musst lernen zuzuhören. Das war schon immer eines deiner Hauptprobleme.“

Er belehrte ihn wie ein Vorschulkind und als das Bit Beast Tysons vor Zorn geröteten Wangen bemerkte, lachte es ihm ungeniert ins Gesicht.

„Dein Groll belustigt mich!“

„Kannst du dann wenigstens etwas für Kai tun?“, das Kind blinzelte fragend zu ihm auf. Es begriff nicht worauf Tysons Bitte hinaus lief. „Er kann sich noch immer nicht an uns erinnern und das obwohl Dranzer tot ist!“

Dragoon blickte das Kind mit mitleidiger Miene an und seufzte. Tyson wusste nicht wie er diese Geste deuten sollte.

„So einfach ist das nicht. Er ist verflucht.“

„Was heißt das?“

„Das seine Erinnerungen wahrscheinlich hinüber sind. Dranzer macht da keine halben Sachen.“, zuckte er beiläufig mit den Schultern. „Ich denke nicht dass sich da noch etwas machen lässt. Das Einzige was womöglich helfen könnte, wäre ihn einer Situation auszusetzen, die ihn stark an ein Erlebnis erinnert, dass ihn in der Vergangenheit intensiv geprägt hatte. Es müsste eine Erinnerung sein die so einschneidend für ihn war, dass sie sich bis in seine Seele gebrannt hat.“

„Vielleicht Janas Geburt!“, kam Max der Einfall und tatsächlich war Tyson auch der Gedanke gekommen. Kai blickte irritiert zwischen den Jungen umher.

„Womöglich. Dumm nur dass ein Mensch nur einmal geboren werden kann. Ihre Geburt lässt sich wohl kaum wiederholen.“

Für das Bit Beast schien das Thema vom Tisch, denn die Augen schielten beiläufig zu Kai. Tyson bemerkte das Dragoons Pupillen nichts weiter als schmale schwarze Schlitze waren. Es ließ sich wohl nur teilweise verbergen was er tatsächlich war. Ein Lächeln trat auf seinen Mund, doch darin fehlten die Zeichen echter Freude. Bald begriffen die Jungen dass es Allegro galt. Die Strommaus hob nur angriffslustig den Schweif und legte sich in Kais Handfläche auf die Vorderpfoten. Es sah aus als wolle er einen Katzenbuckel machen. Wie immer ließ sich ihr winziger Held nicht einschüchtern.

„Die Welt steckt voller Überraschungen…“, sprach Dragoon gedehnt. „Ich nahm an Strommäuse pissen sich bereits ein wenn ein Blatt vom Baum fällt.“

„Da kennst du mich schlecht, du gemeingefährlicher Schuft!“, Allegro hob die Faust voller Inbrunst an die Brust und die andere Hand theatralisch zum Himmel. „Meine Ehre verbietet es tatenlos dabei zuzusehen, wie ihr diese jungen Seelen in ihr verderben reitet! Mon dieu wie könnt ihr euer Antlitz noch im Spiegel ertragen! Ich würde mich schämen!“

Dragoon hob schmunzelnd eine Braue.

„Aha.“, gab er trocken von sich. Kai schien der lauernde Blick des Mannes nicht zu gefallen, denn er hielt die andere Hand schützend über die Strommaus und schaute schüchtern auf.

Allegros Standpauke wurde nur dumpfer, die Schimpftirade verstummte aber keinesfalls.

„Es wird der Tag kommen, da werden sich nicht nur die Menschen gegen eure Unterjochung wehren, sondern auch die Unterklassen der Irrlichterwelt! Auf das die Massen sich erheben!“

Dragoon verschränkte nur ungläubig die Arme vor der Brust.

Tyson hätte zu gerne gewusst was in ihm vorging. Jedenfalls schienen ihn die Drohungen des Unterklasse Bit Beast nicht sonderlich Nahe zu gehen. Entweder war er derlei Anfeindungen gewohnt oder was wahrscheinlicher war – Allegro war ihm die Mühe nicht wert. Stattdessen kniete er sich zu Kai hinab und schaute das Kind mit einem geradezu jugendlichen Lächeln an.

„Schön dass wir uns hier noch einmal begegnen. Mit dir muss ich ohnehin sprechen, Kleiner.“

Kai schrak überrascht zurück und drängte sich an Tysons Hosenbein. Er schien nicht zu wissen, was er von dem Neuankömmling halten sollte und ohnehin war der Gruppe nicht entgangen, dass er als Kind stark fremdelte.

„Ohne seinen Rechtsbeistand werde ich keinerlei Interaktionen zwischen dir und diesem Minderjährigen gestatten!“, Allegro spreizte seine Glieder in Kais Handflächen um sich zu befreien. Dabei machte er fast einen Spagat und ein kleiner Zeigefinger deutete drohend auf Dragoon. Tyson und Max tauschten verwirrte Blicke aus, da sie nicht begriffen woher die Springmaus diese Worte immerzu aufschnappte. So langsam vermuteten sie dass er im Server einer Anwaltskanzlei seine Arbeit verrichtete.

Max fing sich jedoch schnell und sagte: „Ich halte auch nichts davon. Lass Kai in Ruhe!“

„Pah! Als könntet ihr mich davon abhalten.“, unbeeindruckt schnippte Dragoon die Strommaus weg – aber mit was für einer Kraft? Die kleine Geste genügte um Allegro in hohem Bogen aus Kais Hand zu katapultieren. Sie hörten den Mäuserich panisch schreien als er durch die Luft flog und irgendwo in einem Baumwipfel landete.

„Bist du verrückt!“, fuhr Tyson ihn an.

„Diese Viecher sind robuster als du denkst. Das bringt ihn nicht um. Driger hat mal eines im Ganzen verschluckt, da hat das Viech ihm so lange gegen die Magenwände getrommelt, bis er es ausgekotzt hat.“, Dragoon tat eine gelangweilte Handbewegung. Dann wandte er sich erneut an Kai. „Warum so schüchtern? Hast du mich vergessen?“

Das Kind legte misstrauisch den Kopf zur Seite.

„Wir haben uns in Dranzers Haus getroffen. Weißt du noch?“

„Wer ist das?“

„Natürlich. Ich vergaß… Dir hat sie sich als Dame Solowéj vorgestellt.“

Damit ging dem Kind wohl ein Licht auf. Sofort als ihm bewusst wurde wen er vor sich hatte, zogen sich Kais Brauen vorwurfsvoll zusammen.

„Sie sind der Mann der Anastasia geärgert hat!“

Dragoon grinste. Er wirkte damit wie ein boshaftes Raubtier.

„Dieses Handwerk beherrsche ich gut, nicht wahr? Das war doch ein Heidenspaß.“

„Nein. Sie waren unhöflich zu ihr.“

„Oh, das kränkt mich.“, tat Dragoon gespielt.

„Was willst du denn von ihm?!“, Tyson wusste nicht worauf das hinaus sollte und auch Max mischte sich nun ein. „Lass ihn gefälligst in Ruhe!“

Dragoon schaute die beiden nicht einmal an.

„Jetzt halte ich euch mal die Luft an.“

Der Satz kam ihm so unvermittelt in seinen Sinn und plötzlich kündigten Tysons Stimmbänder ihm jeglichen Dienst. Er hatte noch einige Fragen auf der Zunge gehabt, stattdessen bewegte sich sein Mund ohne dass ein Mucks aus ihm heraus kam und er konnte nicht atmen! Er sog mit kräftigen Zügen etwas in seine Lunge, doch es war kein Sauerstoff. Max starrte ihn geschockt an und griff sich panisch an den Hals. Der plötzliche Luftmangel versetzte beide in helle Aufregung.

„Was ist mit ihnen?“, wollte Kai wissen. Er schaute seine Freunde aus großen Augen an, die förmlich wie die Fische auf dem Trockenen japsten.

„Ich habe ihnen lediglich den Atem abgewürgt um ein wenig ungestört mit dir zu sein.“

„Aber es tut ihnen weh!“, begehrte Kai auf.

„Na dann wollen wir mal schnell machen, bevor sie tot umfallen.“, schlug er heiter vor.

Das Kind wurde aschfahl.

„Um mein Anliegen auf den Punkt zu bringen“, begann Dragoon ruhig und Tyson verfluchte ihn dafür dass er so langsam sprach. „Du warst recht lange bei der hübschen Dame. Gab es den einen oder anderen Moment, an dem sie dir von einem Notfallplan berichtete, falls sich eure Wege trennen sollten?“

Max ging auf die Knie und krümmte sich. Kai knetete voller Panik seine Hände und starrte nur hilflos auf den flachsblonden Jungen der um sein Überleben kämpfte.

„Sieh nicht die beiden an sondern mich.“, sprach Dragoon. Er setzte zwei Finger an Kais rechte Wange und mit sanfter Gewalt zwang er den Jungen in seine Richtung zuschauen. „Desto eher du dich erinnerst, desto besser für deine Freunde. Also noch einmal… Gab es eine solche Unterhaltung?“

„N-Nein.“, stotterte das Kind. Trotz des Griffes schielte es zu Tyson. Seine Lippen waren blau angelaufen und er brach nun ebenfalls zusammen.

„Gut, du lügst nicht. Das ist schon mal von Vorteil.“, stellte Dragoon nachdenklich fest. „Solltest du aber vielleicht etwas für sie verwahren? Etwas Wertvolles?“

Kai schüttelte vehement den Kopf.

„Versuch dich zu erinnern.“, drängte er. „Hast du etwas Seltsames in dem Haus gesehen?“

„Nein!“, wiederholte Kai. „Bitte mach dass sie wieder Luft bekommen!“

Sein Wunsch blieb ungehört.

„Denk erst nach bevor du sprichst!“, das Kind begann vor Anspannung zu zittern. „War etwas auf dem Grundstück? Ein goldleuchtendes Ei? War es in dem Haus? In einem der Räume?“

„Nein!“

„Konzentrier dich.“

Max rührte sich kaum noch und Kai schrie verzweifelt.

„Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Bitte hör auf damit, du tust ihnen weh!“

„War irgendwo ein Ei?“

„Lass sie in Ruhe. Bitte!“

Tyson war dabei das Bewusstsein zu verlieren, doch erinnerte sich plötzlich an den Vorfall als Kai das Ei erbrochen hatte. Das letzte bisschen Kraft in seinem Körper, reichte gerade noch um nach Dragoons Hosenbein zu greifen und heftig daran zu zerren. Das Bit Beast blickte fragend an sich herab, direkt in seine Augen und schien die Botschaft zu begreifen. Es schnipste. Sein Atem kam zurück und beide Jungen sogen gierig die ersten Atemzüge ein. Tyson fühlte sich als wäre er aus einem tiefen Gewässer aufgetaucht noch bevor er ertrank. Sein ganzer Körper zitterte und er versuchte seine Atmung zu beruhigen, stattdessen klang es als ob er hyperventilierte. Vielleicht tat er das sogar…

Sein Kopf war noch nicht ganz da, sondern beschränkte sich auf die wichtigste Funktion: Atmen!

Max bekam einen heftigen Hustenanfall. Er klang als wäre er kurz vor dem Erbrechen. Kai riss sich gewaltsam von Dragoon los und rannte zu dem am Boden keuchenden Jungen.

Das Bit Beast behielt seine Einwände für sich und starrte stattdessen Tyson interessiert an.

„Nun?“

„Arsch…“, war das Einzige was er hervorbrachte. Tyson stemmte sich auf wackeligen Gliedern auf die Knie. Die Anstrengung und Todesangst ließ seinen Körper noch immer zittern. Ihm war als fühle er sein Herz hart gegen den Brustkorb schlagen.

„Hast du das auch mit meinem Großvater getan?!“

„Lenk nicht vom Thema ab. Was weißt du über das Ei?“

„Warum sollte ich dir helfen?“, keuchte er.

„Na gut. Wenn Maxi noch einmal daran glauben soll. Aber dieses Mal nehmen wir noch den Knirps mit ins Boot…“, zuckte Dragoon mit den Schulter.

„Hör auf, ich rede schon!“, lenkte Tyson ein. Er legte seine Stirn auf den kühlen Sand und wurde sich seiner Machtlosigkeit zu schmerzlich bewusst. „Kai und ich sind kurz nachdem wir ihn aus Dranzers Illusion gerettet haben in den Fluss gefallen. Dort drinnen hat er sich merkwürdig gekrümmt und irgendwann dampfende Bläschen ausgespuckt.“

Tyson musste einige tiefe Atemzüge nehmen, bevor er in der Lage war noch einmal so einen Mammutsatz zu Stande zu bringen. Momentan war jedes Wort ein einziger Kraftakt. Er hörte Kai auf Max einsprechen und als er aufblickte, strich das Kind ihm sorgenvoll über den Rücken.

„Diese Bläschen haben sich an der Oberfläche zu einem Ei geformt. Es sah ziemlich unangenehm für Kai aus. Ich denke er hat es vor lauter Schmerzen gar nicht richtig wahrgenommen.“

„Das würde erklären warum ich keine Lüge erkennen konnte.“, sprach Dragoon nachdenklich und hielt sich die Hand ans Kinn. „Natürlich… Dann ergibt alles einen Sinn. Eigentlich war ihr Plan in Kai wiedergeboren zu werden. So hätte sie sich an seine Seele heften können. Aber dann seid ihr ins Wasser gestürzt. Sie braucht eine starke Wärmequelle um auf die Welt zu kommen. Die kalten Fluten hätten aber zu einer Frühgeburt geführt und Kais Körper hat das Ei wieder ausgestoßen, damit es sich eine neue Energiequelle suchen kann.“

Es klang als führte das Bit Beast einen Monolog und Tyson erkannte, dass Dragoon ihn auch nicht sonderlich beachtete. Tyson konnte ihm ohnehin nicht folgen, da er mit seinem eigenen Befinden beschäftigt war. Alles hörte sich wie Kauderwelsch an. Sein Bit Beats erhob sich und wandte sich an Draciel.

„Das Miststück ist hinterhältiger als ich annahm.“

Tyson stemmte sich hoch, knickte aber schwach ein. Er wollte zu Max.

Es bedurfte weitere zwei Anläufe bis er mehr auf allen Vieren zu ihm gelangte. Der Amerikaner hatte sich mit Kais Hilfe aufgesetzt, doch der Schreck saß ihm noch in den Gliedern. Er war totenblass und sein helles Haar bestärkte ihn nur in seinem kränklichen Anblick. Ebenso matt schaffte es Tyson ihm lediglich eine Hand auf die Schulter zu legen. Max nickte leicht. Er verstand die stumme Frage. Es ging ihm den Umständen entsprechend gut.

„Es tut mir Leid Tyson.“, sagte Kai. Das Kind schaute ihn schuldbewusst an und sein Geständnis klang tiefgetroffen. „Ich wusste nicht was ich sagen soll.“

„Das kommt unter den Besten mal vor.“, versuchte Tyson ihn zu trösten.

„Du siehst ganz schlimm aus.“, bemerkte Kai. Seine Unterlippe bebte und es hätte Tyson gerade noch gefehlt, wenn er jetzt weinte. Doch der kleine Kämpfer verbiss sich den Impuls. Tyson schenkte ihm ein mattes Lächeln.

„Alles ist gut. Mach dir keine Sorge.“

„Wo ist das Ei jetzt?“

„Was weiß ich was mit ihm passiert ist!“, fauchte er über seinen Rücken hinweg. Das Thema wurde richtig leidlich. Er drehte sich zu Dragoon der mit verschränkten Armen vor ihnen positioniert lag und ungeduldig mit dem linken Fuß tippte.

„Lüg mich nicht an.“

Die Wut wallte so stark in ihm auf, dass er sich gar nicht fragte, woher Dragoon diese Gewissheit nahm.

„Es ist irgendwo hingetrieben worden, okay?! Es sah aus wie die Menschenwelt. Vielleicht war es aber auch eure beschissene Kopie von Tokyo!“

„Zügle dein Mundwerk.“, ermahnte ihn Dragoon und wandte sich an Draciel.

„Für dich dürfte es doch kein Problem sein, nachzuvollziehen, wohin dieser Flussverlauf führt. Geh der Sache sofort nach! Wenn das Ei in der Menschenwelt gelandet ist, hat es vielleicht noch niemand aus dem Wasser gezogen. Dann kannst du es wieder in die Irrlichterwelt runterziehen.“

Draciel nickte. Das Bit Beast wandte sich langsam um.

„Ich weiß du bist eine Schildkröte aber hier ist Schnelligkeit gefordert!“

Er klatschte auffordernd in die Hände. Was immer sie dachte, ihr Gang wurde dadurch nicht zügiger. Die beiden ergaben einen ziemlichen Kontrast. Er schien geradezu sprunghaft Lebhaft, während Draciel wohl mit offenen Augen schlief.

Dragoon seufzte. Dieser Tage gute Dienerschaft zu finden war ein Elend.
 

„Das ist alles was dich interessiert, oder?“
 

Er schaute Tyson fragend an.

„Was meinst du, Junge?“

„Du hättest uns beinahe umgebracht wegen einem bescheuerten Ei!“

„Das ist ein ernstes Anliegen.“, das schien ihm wirklich mehr Sorgen zu machen. Tyson fragte sich ob er sich seiner Schuld bewusst war. „Und überhaupt, wieso umgebracht? Ihr lebt doch noch.“

„Es hätte aber auch schief gehen können!“

„Ach.“, Dragoon rollte voller Sarkasmus mit den Augen. „Was seid ihr weinerlich.“

„Weinerlich?“, echoten die Jungen wie aus einem Mund.

„Ich kenne dieses Gehabe von euch Menschen nur zu gut. Sobald ihr über den Jordan geht, werdet ihr geradezu hysterisch. Das ist allgemein bekannt.“

„Ich bin keineswegs hysterisch, du wolltest uns umbringen! Da ist es mein gutes Recht das ich mich aufrege!“

„Beruhige dich Takao.“, Dragoon hob belehrend seinen Finger in die Höhe. „Im Angesicht des Todes ist das Leben am stärksten präsent. Nimm es als Lebensweisheit mit.“

Dann zwinkerte er ihnen zu.

„Ich hätte euch schon nicht sterben lassen. Vertrau mir.“

„Wie soll ich jemanden wie dir vertrauen?!“, brauste Tyson auf. Wo immer er die Energie hernahm, er schaffte es sich aufzustemmen und sein Bit Beast scharf zu taxieren. „Wie gefiele es dir, wenn du plötzlich dein ganzes Leben an dir vorbeiziehen siehst!“

„Nicht so gut. Ich bin einige Millionen Jahre alt… Das könnte sich als langwierig entpuppen.“

„Sag mal verarscht du mich oder verstehst du wirklich nicht worauf ich hinaus will?“, Tyson begriff diese Fahrlässigkeit nicht. „Du tust das ja als reine Belanglosigkeit ab!“

„Bei aller Freundschaft Takao, aber ihr Menschen sterbt jeden Tag in Scharen. Es ist der Lauf des Lebens. Wenn ich mir um jeden Gedanken machen müsste, ob es ihm passt das er heute krepiert, oder er noch ein Jahr weiter vegetieren will, wo käme ich denn dann hin?“

„Ich rede davon dass du uns ermorden wolltest!“

„Wollte ich keineswegs. Und deshalb lebt ihr noch. Also reg dich ab.“

„Du hast mit unseren Leben gespielt!“, brüllte Tyson ihm zornig entgegen. „Für dich war das alles vielleicht ein riesen Spaß, aber wir wären tatsächlich draufgegangen!“

„Sei nicht so melodramatisch.“

„Du hast leicht reden! Dir ist das ja auch nicht passiert. Ich möchte dich mal in unserer Situation erleben! Ob du dann noch so locker scherzen würdest, wenn es um deinen Arsch gegangen wäre, bezweifle ich stark!“

Dragoon lachte dunkel und schüttelte den Kopf.

Er belächelte ihn wie ein kleines Kind und fuhr fort.

„Weißt du, Takao, was mich schon immer an euch Menschen fasziniert hat, ist euer begrenzter Horizont. Du hast gerade Mal zwei Minuten um dein Überleben gekämpft und schon machst du ein riesen Theater. Aber natürlich tust du das, wir reden hier schließlich von einem Menschenleben. Das ist ja etwas Besonderes!“ Er setzte das letzte Wort spöttisch in Anführungszeichen. „Ihr seid ja viel kostbarer als jeder Grashalm, jede Mikrobe oder Tier. Würdigt ihr aber das Leben? Da habt ihr Treibnetzte in euren Meeren, in denen Fischarten umkommen, die ihr gar nicht zum Verzehr benötigt. Ihr schlachtet Tiere, deren Fleisch für eure Kaufhäuser abgepackt werden, nur um entsorgt zu werden, wenn das Verfallsdatum einen Tag überschritten wurde. Dann willst du mich über meine Nachlässigkeit belehren? Und wie sieht es unter euresgleichen aus? Seid ihr da zimperlich wenn es darum geht, eure Grenzen zu verteidigen und religiösen Ansichten mit Waffengewalt zu verbreiten? Es stört euch nicht wenn ein anderer für eure Ziele ins Jenseits wandert, aber wehe ihr selbst seid davon betroffen. Dann jammert ihr und schreit wie die Säuglinge.“

Dragoon zuckte lächelnd mit den Schultern.

„Gut, vielleicht habe ich mit eurem Leben gespielt. Aber wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Stein-…“

„Ach halt doch die Klappe! Da hast du dir ja eine fadenscheinige Ausrede zurechtgelegt um deine Hände in Unschuld zu waschen!“, schnitt ihm Tyson so plötzlich das Wort ab, dass alle erstaunt die Luft anhielten. Seine Augen sprühten vor Zorn und Max war überrascht. Tyson konnte sich ärgern, sehr oft sogar. Doch das hier war pure Verachtung.

„Weißt du was mir an deiner dummen Rechtfertigung nicht passt? Dass du alle komplett über einen Kamm scherst! Einige Brennpunkte hier und da, wo irgendwelche Psychopathen oder Ungerechtigkeiten auftauchen und du schließt sofort daraus, dass alle Menschen in dieser Situation nicht anders handeln würden!“

„Würden sie nicht?“

„Natürlich nicht! Weil jeder Mensch anders gestrickt ist und einen freien Willen besitzt! Aber das kannst du gar nicht beurteilen, weil du da oben auf deinem hohen Ross sitzt und nur den Gesamteindruck siehst!“

Der Vorwurf hatte wohl getroffen, denn Dragoons Augen verengten sich.

Seine Mundwinkel fielen steil ab ob dieser Frechheit.

„Du blendest komplett aus dass der Großteil der Bevölkerung auch ohne Gewalt sein Leben führt. Eine Handvoll Spinner und natürlich ist jeder Mensch für dich verkorkst! Aber an diesem Zustand ändern tut der gottgleiche Dragoon auch nichts und wir wissen beide wieso… Weil es dir gerade Recht kommt, wenn sich einige Idioten auf der Erde den Kopf einschlagen! Dann kannst du ebenfalls deine dreckigen Spielchen treiben und danach feige die Hände in die Höhe halten und auf die schrecklichen Taten der Menschheit verweisen! Ganz nach dem Motto – die anderen machen viel schlimmere Sachen, also bin ich dagegen noch harmlos. Du versucht doch so nur dein Gewissen zu beruhigen! Und sowas wie du behauptet von sich selber ein höhere Gewalt zu sein?!“

Die Miene seines Bit Beasts versteinerte.

„Pass auf deine Wortwahl auf!“

„Hast du mich jemals einen Menschen töten sehen? Auf wie viele Leute trifft deine blöde Behauptung denn überhaupt zu?!“, ignorierte Tyson ihn und deutete auf seine Freunde. Er hatte sich so in Rage geredet, dass Dragoon gar nicht die Gelegenheit fand ihm Einhalt zu gebieten. Stattdessen zog sich der Himmel über ihnen bedrohlich zu.

„Sieh uns an! Wir kommen alle samt aus verschiedenen Kulturen die ihre Differenzen hatten. Die Amerikaner haben in Japan Bomben abgeworfen, macht das Max deshalb zu einem kriegsverherrlichenden Massenmörder? Kais Familie ist russisch-orthodox, greife ich aus religiösem Eifer deshalb zu einer Waffe und lege ihn um? Verdammt noch mal, Dragoon, die Welt besteht nicht nur aus Schwarz und Weiß! Wir Menschen sind facettenreicher als du es dir einbildest, aber da du das Leben mit Füßen trittst und keinen zweiten Blick auf uns wirfst, ist dir komplett entfallen wie verschieden die Ansichten bei uns sind!“

„Ich bin ein Uralter!“, ein kräftiger Wind kam auf der durch die Baumwipfel peitschte. Es bedurfte nicht viel Wissen über diese Welt um zu begreifen, wessen Stimmung ihre Umwelt nun wiederspiegelte. Sich solche Vorwürfe von einer vermeintlichen Eintagsfliege anzuhören, schien Dragoon trotz ihrer früheren Partnerschaft zu weit zu gehen.

„Ich habe euch Menschen schon beobachtet, als ihr noch in euren Höhlen gehaust habt und eure Ärsche noch mit Blättern abgewischt habt. Ich mag kaum noch zählen wie viele Kriege ich erlebt habe, seit ihr auf dem Antlitz der Erde erschienen seid! Und da wagst du es dir anzumaßen mir Vorhaltungen zu machen?“

„Ha!“, Tyson schnaubte unbeeindruckt auf. „Du denkst das macht dich zum Fachmann?“

„Ich weiß jedenfalls zu was ihr im Stande seid!“

„Wie willst du das beurteilen? Du hast doch keine Ahnung was einen Menschen bewegt, noch nicht einmal was ein Leben wert ist! Dir tut es noch nicht einmal Leid was du mit meinem Großvater getan hast. Genau wie der Rest deiner ach so heiligen Uralten! Haben wir jemals ein Bedauern wegen Judy gehört? Du bist doch nichts anderes als ein großes Kind mit einer Lupe das Ameisen ansengt! Jemand wie du verdient überhaupt nicht so viel Macht!“, im letzten Satz brüllte er seinen ganzen Frust hinaus.

So laut dass seine Wangen eine tiefrote Färbung annahmen.

Nur mit Mühe konnte er an sich halten, um Dragoon nicht einen herzhaften Fausthieb in das arrogante Gesicht zu verpassen. Er ahnte wie erbost sein Bit Beast war.

Der Himmel hatte sich schwarz gefärbt. Es starrte ihn aus glühenden Augen an. Auf seiner Haut zeichneten sich die Umrisse seiner blauen Schuppen ab, die sich von Innen gegen die äußere Hülle pressten. Ein weiteres falsches Wort und Dragoon würde zu seiner Drachengestalt wechseln. Er würde ihm vorführen wie mächtig er doch war und wie klein Tyson dagegen. Ein Mensch hatte es gewagt mit einem Uralten respektlos zu sprechen. Max spürte ebenfalls die lauernde Gewalttat und hielt Kai fest in den Armen. Er war alarmiert und stierte zwischen beiden Parteien hektisch hin und her. Die angespannte Aggression war förmlich auf der Zunge zu schmecken und als der Moment eintrat, indem sich die Gefühle des Bit Beasts entluden, hob es sie beinahe fort.

Eine starke Druckwelle zwang sie in die Knie.

Max umklammerte Kai fester. Das Kind war zu leicht um dem Sturm standzuhalten. Er kauerte sich mit ihm auf den Boden. Tyson selbst konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten, doch er kannte diese Situation nur zu gut. Es war wie ein Déjà-vu. Wenn man so viele Matches wie er bestritten hatte, wusste man, dass man sich bei einem Kampf nicht nur gegen die Energie eines fremden Bit Beasts, sondern auch des Eigenen wappnen musste. Es wäre Unvorteilhaft für Tyson gewesen, hätte er sich bei einer Weltmeisterschaft, von einer von Dragoon erzeugten Sturmböen wegfegen lassen. Natürlich war diese Erfahrung kein Vergleich zu der jetzigen Situation, doch es half ihm zumindest soweit, um seinem Bit Beast nicht die Genugtuung zu verschaffen, vor dessen Angriff einzuknicken. Mit wütend zusammengefletschten Zähnen beobachtete Tyson wie der menschliche Körper Dragoons in kleine Einzelteile zerbröckelte und sich der massige, schlangenartige Drachenleib aus ihm emporwand. Die Erscheinung war anders als sonst. Sie schien aus flirrenden, blauen Linien zu bestehen, die nur die Konturen offenbarten. Als wäre das Bit Beast fast schon transparent. Das Maul des Drachens öffnete sich.

„Eine Ameise sollte ein Kind mit einer Lupe nicht reizen!“, Dragoons Stimme hatte sich in ein monströses Grollen verzerrt. „Hast du eine Ahnung was du mir alles verdankst? Ich bin der Grund weshalb deine gesamte Art existiert. Dank mir durftest du dich von der gesichtslosen Masse deiner Spezies herausheben! Meiner Güte hattest du all deine Erfolge in der Vergangenheit zu verdanken. Ohne mich wärst du ein weiteres kümmerliches Subjekt in diesem Meer von grauen Gestalten!“

Es stampfte erbost mit seinen krallenartigen Hinterpfoten auf und reckte den langen schmalen Hals herausfordernd Tyson entgegen. Der Wind schien die anklagenden Sätze des Bit Beasts bis in den hintersten Teil dieser Welt zu tragen. Die Worte schallten im Talkessel noch lange nach.

„Fordere dein Glück nicht heraus, Takao! Du begreifst immer noch nicht was für ein großes Geschenk dir überhaupt zu Teil geworden ist mit meiner Freundschaft! Stattdessen wagst du es und spuckst mir in die helfende Klaue! Noch genießt ihr alle einen Sonderstatus, doch meine Güte findet auch irgendwann ihr Ende… Wäre es dir lieber gewesen du wärst nichts anderes als eine kleine Ameise geblieben?!“

Die Böe hob Tyson fast von den Sohlen.

Das Wasser des Flussbetts peitschte bereits über die Ufer, bis nur noch der lehmige Boden zurückblieb. Tyson nutzte diesen Vorteil und vergrub seine Schuhe tief in den Schlamm um sich noch mehr Halt zu verschaffen.

„Wärst du lieber eine dumme nichtssagende Ameise geblieben?! Ein kleiner jämmerlicher Wurm der nur in den Tag hineinarbeitet bis er ins Grab fällt?“

„Ja verdammt! Das wäre mir lieber gewesen!“, schmetterte er seine Antwort dem Bit Beast entgegen. So abrupt wie der Sturm aufgekommen war, so plötzlich hielt er inne.

Als wären sie im Auge eines Hurrikan. Selbst die Wolken bewegten sich kaum noch, als seien sie eine aufgemalte Kulisse. Die Schlitze der schwarzen Drachenpupille fokussierten Tyson starr. Er spürte mit jeder Faser seines Körpers das Entsetzen über seine Worte.

Der Drache war bis ins tiefste Mark seiner Seele erschüttert…

Doch verdammt noch mal - das war Tyson ebenfalls!

Seine Fäuste bebten. Zorn, Enttäuschung und Trauer ließen ihm die Sicht verschwimmen.

Er wusste dass er dabei war die alten Banden zu kappen – doch er hatte heute jegliche Hoffnung für sein Bit Beast verloren. Es würde niemals zur Vernunft kommen, dafür gingen ihre Moralwerte zu weit auseinander. Seine Stimme klang belegt als er sprach, doch es scherte ihn nicht mehr, stattdessen offenbarte er seinem Bit Beast sein Innerstes als er begann:

„Als du das erste Mal zu mir gekommen bist, konnte ich mein Glück kaum fassen. Es war nicht nur die Tatsache dass ich ein Bit Beast besitze, sondern viel mehr deine Gestalt die mich beeindruckt hat. Ich dachte: Ausgerechnet ein Drache kommt zu mir! Ein Wesen das für seine Entschlossenheit, seine Stärke, seine Tapferkeit bekannt ist. Allein dadurch fühlte ich mich unbesiegbar, weil ich ein Bit Beast an meiner Seite wusste, dass diese Eigenschaften in sich vereint! So wollte ich von da an auch sein… Bei einem Match habe ich mir immer eingeredet, dass ich genauso wie mein Partner sein muss. Du warst tatsächlich mein Vorbild! Ich wollte so wie ein Drache sein. Für meine Familie und meine Freunde ein zuverlässiger Beschützer…“

Max hielt den Atem an. Er hatte sich schon immer gefragt, woher sein Freund diesen unbeugsamen Willen hernahm. Ausgerechnet jetzt die Antwort zu erhalten, hinterließ einen traurigen Nachgeschmack. Tyson lachte inzwischen freudlos auf als er an seine Naivität dachte.

„Jetzt sehe ich hinter diese Fassade und mit jeder Stunde die ich hier bin, gehen meine Kinderträume weiter zu Bruch. Ich sehe keinen vertrauenswürdigen Beschützer mehr. Kein heldenhaftes Wesen, das für die Gerechtigkeit kämpft. Da steht nur ein selbstgefälliger Tyrann.“

Die schwarzen Schlitze vor ihm weiteten sich. Der Drache bäumte sich langsam zurück.

„Im Nachhinein denke ich, dass ein Leben als Ameise hundertmal besser ist als das hier. Zumindest hätte ich dann niemals angefangen zu jemanden aufzusehen, der mich so tief enttäuscht hat wie du.“

Die Stimmen des Windes verklangen und mit ihnen verebbte der Sturm. Doch die tiefhängenden Wolken in der Irrlichterwelt blieben. Das Bit Beast kam auf den vorderen Krallen auf und starrte ihn nur an. Niemand mochte wissen was in dem Geist vorging.

Irgendwann schüttelte der Junge ihm gegenüber nur noch den Kopf.

„Lasst uns Allegro suchen.“, meinte Tyson. Er streckte Max seine gesunde Hand hin. Der schaute zunächst argwöhnisch zu dem Bit Beast, dem sein Freund so leichtfertig den Rücken zuwandte. Doch das rührte sich nicht. Zusammen mit Kai half ihm Tyson auf die Beine, wo er wacklig wie ein Fohlen zum Stehen kam.

Er spürte kleine Finger die seinen Handrücken sachte berührten, als wolle das Kind an seiner Seite ihm tröstenden Beistand gewähren. Kais markante Augen schauten bedrückt zu Tyson auf. Er nickte nur und sagte: „Kümmern wir uns lieber um Max.“

Dann warf er sich dessen Arm um die Schulter. Bevor er aber ging wandte er sich noch ein letztes Mal zu Dragoon. Heute war ihre Freundschaft zerbrochen.

Vor sieben Jahren wäre das für ihn undenkbar gewesen…

Tyson atmete aus und hätte am liebsten angefangen zu heulen. Ihm war als ob er einen Teil von sich selbst zurück ließ - das letzte bisschen Kind das ihm noch geblieben war.

Als würde er es wie einen ungezogen Hund an eine Laterne binden und fort fahren.

„Ich hätte niemals gedacht das es so zwischen uns endet.“, gestand er ein.

Erst dann wandte er seinem alten Partner den Rücken zu. Die Gruppe kletterte den Hang des leeren Flussbetts hinauf und schlug sich durch die Büsche in jene Richtung, in die Allegros unfreiwilliger Sturzflug ihn gebracht haben mochte.
 

ENDE Kapitel 24
 

Ich hätte eigentlich schon früher das neue Kapitel hochgeladen, nur ist es für mich ständig eine Überwindung, wegen der ganzen Formatierung bei der Kursivschrift und das kommt in den künftigen Kapiteln auch häufiger vor. Mich graut es mehr davor als vor den Zombies. >.<

Ich hoffe ihr habt euren Spaß und wünsche euch ein schönes Halloween! ^_~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Minerva_Noctua
2015-11-01T10:35:26+00:00 01.11.2015 11:35
Wow. Einfach nur wow.
Dieses Kapitel war fantastisch!
Dragoons Auftauchen kam überraschend und dieser Dialog war erschütternd und sehr sehr gut.
Dragoon sucht nach Dranzer und rangelt sich mit Zeus wie ein pubertierender Halbstarker.
Ich bin unheimlich gespannt darauf, wie Dragoon mit Takaos Worten umgehen wird. Sie schienen ihn sichtlich berührt zu haben. Ich habe den Verdacht, dass er nur umso zorniger wird, weil es leichter ist als sich ernsthaft selbst zu analysieren.
Ich bin gespannt, was Kais Erinnerung zurückholen wird. Vielleicht ist es eine Situation, die der am Baikalsee(?) nahe kommt.
Ich fand die Erklärung über Tysons Werdegang als Werkstattsbesitzer gut. Ich freue mich jedesmal über solche Szenen.
Ich werde allmählich traurig, weil die Geschichte nicht mehr ewig dauern kann. Sie ist so fesselnd:)
Danke für dieses Kapitel (trotz zugegeben sehr nervig einzusetzender Kursivschrift, die geht mir auch immer auf den Sack)!
Schönen Sonntag und gute Woche!

Liebe Grüße,

Minerva
Von:  Zion108
2015-10-30T09:18:08+00:00 30.10.2015 10:18
Ohh die arme Kursivschrift xD
Ein sehr traurieges ende, ich hoffe die vertragen sich alle wieder.


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