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Lichtbringer

Der Fall des Lichkönigs einmal anders...
von

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Hinterhalt

Mein Lektorat ist krankheits- und arbeitsbedingt im Moment arg verhindert, daher kommen die nächsten beiden Kapitel jetzt erst einmal unlektoriert- Verbesserungen werden beizeiten nachgeschoben!

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Das sanfte Morgenrot wurde langsam wieder von bleigrauen Schneewolken erstickt, die im Osten die Gipfel schluckten und unaufhaltsam den Himmel verdüsterten.

Niamanee, die nicht mehr schlafen konnte hatte Jaelle ins Bett geschickt und an ihrer Stelle die Feuerwache übernommen. Es war bald Zeit, das Lager zu wecken.

Leise beugte sie sich über die Kiste, aus der sie Mathis die Gewürze hatte holen sehen und lächelte, als sie dort wie erhofft gemahlene Malzbohnen und Zucker fand. In den Monaten, die sie auf der Ehrenfeste in der Scherbenwelt zugebracht hatte, hatte sie dieses Getränk der Menschen sehr zu schätzen gelernt. Und es weckte warme Erinnerungen an Bolvar.

Sie nahm den Topf, den Mathis nach dem gestrigen Abendessen noch gesäubert hatte, schlich leise zum Eingang und füllte ihn mit Schnee. Eine der Wachen unterhalb drehte sich hastig um. Als der Elf sie erkannte nickte er beruhigt und wandte sich wieder dem Tal zu.

Niamanee stellte das Dreibein wieder über das Feuer, legte zwei größere Scheite nach und fächelte die Glut hoch. Bald leckten die Flammen an dem Topfboden und es dauerte nicht lange und der Schnee hatte sich in köchelndes Wasser gewandelt. Sie ließ langsam die Malzbohnen einrieseln und inzwischen regte es sich auch unter den dicken Decken und Fellen der anderen Schlafplätze. Die intensive Note frisch gebrühter Malzbohnen verteilte sich langsam in der riesigen Halle.

Das erste, was unter den Fellen von Golofins Schlafplatz auftauchte war seine rote, schnuppernde Nase. Dann schlug er seine Decken zurück und blinzelte verschlafen, aber sehr zufrieden in Niamanees Richtung. „Rieche ich da etwa Bohnenbräu?“

Niamanee grinste. „Ich war so frei. Wir lagern hier ja nicht auf verborgenem Posten.“

„Ah, was für eine brillante Idee!“ Hände reibend kam jetzt Mathis vom Eingang aus auf das Lagerfeuer zu, offensichtlich hatte er mit dem Elfen zusammen die letzte Wache gehabt, den dieser folgte ihm dicht auf. Niamanee sah etwas schuldbewusst zu ihm auf.

„Ich habe mir erlaubt, in euren Proviantkisten zu kramen.“

Mathis lachte. „Oh, dafür immer!“ Dann sah er sich mit gespielter Entrüstung im Lager um.

„Warum macht mir von euch nie einer einen Bohnenbräu, wenn ich von der Wache komme?“

Er fischte einen Holzbecher aus seinen Sachen und füllte ihn mit einer Kelle auf. Auch von anderen Seiten wurden jetzt allenthalben Becher gereicht und Mathis übernahm das Ausschenken. Die Stimmung in der großen Halle war mittlerweile deutlich besser als das Wetter draußen.

„Bohnenbräu kochende Elfen, wo gibt’s denn so was.“ Golofin schüttete sich eine ordentliche Portion Zucker in seinen Becher. „Ich dachte immer, bei euch gibt’s nur Quellwasser und Kräutertees.“

„Blödsinn.“ Kommandant Dunkelschwinge schüttelte grinsend den Kopf und ließ sich von Mathis bereits den zweiten Becher einschenken. Dann sah er hinaus zu den aufziehenden Schneewolken und kräuselte die Stirn. Nachdenklich wandte er sich wieder an Golofin.

„Mit der nächsten Schneefront hatte ich nicht so schnell gerechnet.“

Der Zwerg zuckte mit den Schultern. „Der Wind hat heute Nacht gedreht. Es sieht zumindest nicht nach Sturm aus. Ich glaube, wir haben eine gute Chance, die Argentumsfeste heute Nachmittag noch zu erreichen. Vorausgesetzt, wir brechen jetzt sofort auf.“

Mathis nickte, erhob sich und sah sich um. „Gut, Leute – Frühstück ist beendet, schwingt eure faulen Knochen und seht zu, dass alles abfahrbereit ist! Ich will heute Abend noch ein heißes Bad nehmen!“

Scherzhafte Proteste begleiteten die beginnende Unruhe, Schlafplätze wurden geräumt, Kisten auf Schlitten und den Haltegestellen der Mammuts vertäut, Hunde und Pferde angespannt. Mit Ausnahme von Golofin stiegen alle Zwerge in die Kettenfahrzeuge und kurz darauf blubberte das Geräusch der Motoren durch die Halle. Zweimal gab es einen entsetzlich lauten Knall, eine große, schwarze Rußwolke schwebte an die Decke, dann rollten die stählernen Fahrzeuge langsam in den Schnee hinaus. Die Schlittengespanne und die beiden größeren Versorgungsschlitten folgten während die drei riesigen Wollmammuts träge hinterdrein stapften.

Niamanee hatte neben Mathis auf dem Kutschbock eines der Versorgungsschlitten Platz genommen, da Golofin mit seinem schnellen Hundeschlittengespann als Kundschafter vorausgeschickt worden war.

Auf dem von den Kettenfahrzeugen platt gewalztem Schnee kam das Vierergespann gut voran. Schneeflocken schwebten vereinzelt wie Daunenfedern durch die kalte Luft, verfingen sich in dem zotteligen Fell der kräftigen Bergponys, deren Atem in dichten Wolken aus ihren Nüstern kondensierte. Am östlichen Horizont zog sich unter den bleigrauen Wolken ein breites, glühendes Band entlang, das intensiven Leuchten der Wintersonne goss flüssiges Gold über die eisige Landschaft derweil die langen Schatten der schräg einfallenden Strahlen mit dem Blau des westlichen Zwielichts verschmolzen.

Niamanee hob ihre Hand vor die Augen, blinzelte durch die Finger in das blendende Licht.

Die Fahrzeuge vor ihnen waren nur noch lichtumflutete, kontrastlose Schemen. Dann wandte sie sich um und sah zurück. Hinter dem Treck verschmolz der gewaltige Turm der Außenbefestigungsanlage Ulduars mit dem Blau seiner Umgebung. Aber jetzt sah Niamanee auch die gigantischen Mauern, die aus den Hängen der schroffen Berge emporzuwachsen schienen und den Turm von beiden Seiten einfassten. Kein sterbliches Wesen hätte je Steinquader von solchen Ausmaßen transportieren können. Golofins gesprochene Worte der Taflá hallten in ihrer Erinnerung nach und ein leises Gefühl von überirdischer Erhabenheit stieg in ihr auf. Als würde eine höhere Macht dieses Gefühl unvergesslich machen wollen schoben sich am Himmel die dunklen Schneewolken auseinander und rotgoldenes Sonnenlicht explodierte in einem blendenden Funkeln auf dem eisverkrusteten Mauerwerk.

Die Augen wieder auf den Horizont gerichtet, starrte sie in das Gleißen des breiter werdenden Lichtbandes und versank in Gedanken. Vielleicht gab es ja doch so etwas wie göttliche Führung. Vielleicht war ja alles, was man tat auf eine gewisse Wiese vorherbestimmt.

Sie warf einen letzten Blick zurück auf die selbst in der wachsenden Ferne immer noch imposanten Mauern von Ulduar. Vielleicht waren sie ja alle nicht mehr als Spielfiguren auf dem riesigen Spielfeld unbekannter Götter. Ein trockenes Lächeln umspielte ihre Lippen. Nun, wenn sie alle Spielfiguren waren- dann konnte auch ein König fallen!

Dann wurde sie gewahr, dass Mathis sie ansah. Der ältere Mann schmunzelte, als er ihre kurze Irritation bemerkte. „Wenn man einmal vor den Mauern von Ulduar gestanden hat, hält man sich für ein ganz kleines, unbedeutendes Würmchen, nicht wahr?“

Niamanee nickte abwesend. „Ich hätte gerne mehr von Ulduar gesehen- wenn das nur eine unbedeutende Außenbefestigung ist, wie muss es erst hinter den Mauern aussehen?“

Mathis Lächeln war breiter geworden. „Ich bin sicher, Golofin kann bei seinen Zwergenfreunden in den Greifenstaffeln ein gutes Wort einlegen. Aber wartet erst einmal, bis ihr Eiskrone seht. Man kann ja an diesen verfluchten untoten Rieseninsekten wirklich kein gutes Haar lassen- aber was die Biester da geschaffen haben, ist zugegebenermaßen fast ebenso beeindruckend wie Ulduar.“

Niamanee zog interessiert die Brauen hoch. „Ihr meint diese Neruber, oder?“

Mathis bejahte. „Verdammte, tödliche Monster. Sind schon länger hier als irgendwer sonst. Wahrscheinlich auch schon länger als diese Vyrkul. Und wenn man bedenkt, das diese Kreaturen seid unzähligen Jahrhunderten schon unter diesem Land leben kann man wohl nur erahnen, was sich hier wohl noch alles unter unseren Füssen befinden mag.“ Ein breites Grinsen wanderte wieder über Mathis vernarbtes Gesicht. „Wahrscheinlich hat diese Titanenwächterin Freya als sie den Fluch des Fleisches wandelte die Neruber aus Versehen mit den Bienchen und Blümchen erschaffen.“

Jetzt musste auch Niamanee kurz auflachen. „Als ich im Hafen der Vergeltung ankam habe ich zwei von den Kreaturen lebend gesehen, wie sie in riesigen Käfigen auf eines der Transportschiffe gehievt wurden. Insofern man untot als ‚lebend’ bezeichnen kann.“

Mathis runzelte die Stirn. „Verlassene verschiffen untote Neruber in die östlichen Königreiche?“

Niamanee zuckte abfällig mit den Schultern. „Ich vermute, die wollen die Biester dort studieren. Die nehmen doch alles auseinander.“

Mathis’ Miene verdüsterte sich. „ Ich traue diesem untoten Pack nicht. Was immer sie antreiben mag, Gutes steckt nicht dahinter. Kann nur hoffen, dass der ehrenwerte Tirion Fordring weiß, was er tut. Ich finde sie unheimlich.“

„Mir geht es genauso,“ pflichtete Niamanee ihm bei. „Ich habe nachts auf der Überfahrt zwischen all diesen Untoten auf dem Versorgungsschiff kaum ein Auge zugetan. War für mich aber die einzige Möglichkeit, nach Nordend zu kommen.“

Mathis nickte und grinste. „Dann schon lieber eine Rotte Orks.“

Niamanee erwiederte das Grinsen amüsiert, zog dabei fragend die Brauen hoch.

„Diese Vyrkul, die hier leben – sind die wirklich doppelt so groß wie unsereins?“

Wieder nickte Mathis. „Wenn das mal hinkommt. Ich hab’ mal vor einem gestanden und kam mir mächtig klein vor“

„Stimmt es, dass sie dem Lichkönig dienen?“

„Nicht alle. Aber viele Clans halten ihn für eine Art Totengott.“ bestätigte Mathis. „Es gibt da ein paar sehr schlaue Gelehrte, die behaupten, die Vyrkul seien die Urahnen allen humanoiden Lebens auf Azeroth. Wenn sie tatsächlich schon so lange hier sind, kann ich mir nur vorstellen, dass die negative Aura von Yogg Saron ihre Gehirne in dieser langen Zeit ganz schön durchweicht hat. Und der Lichkönig hat sich ihren Totenkult zu Nutze gemacht. Mit den Möglichkeiten die er hat, musste er bestimmt nicht viel Überzeugungsarbeit leisten.

Nur gegen ihre Runenleser, dagegen kommt selbst der Lichkönig nicht an.“

„Runenleser?“ Niamanee hob wieder interessiert ihre Brauen.

„Sie benutzen eine archaische Form der Magie, die sie die Kraft der Runen nennen – die Kirin Tor zerbrechen sich immer noch darüber die Köpfe. Ihre Runenleser werfen die Knochen, lesen die Zeichen- und sagen, wo’s langgeht. Da kann der Lichkönig soviel befehlen wie er will, wenn die Runen etwas anderes sagen rühren die keinen Finger.“

Ein schiefes Grinsen wuchs unter Mathis grauem Bart. „Aber ich schätze, das Arthas sich die meisten der Runenleser gekauft hat- irgendwie scheinen die Runen für ihn immer günstig zu fallen...“

Der Weg des Trecks führte jetzt über eine weitläufigere, etwas abfallende Fläche, deren gleichmäßige Schneedecke nur von der schnurgeraden Schlittenspur geteilt wurde, die Golofins Gefährt hinterlassen hatte. Und dort, wo die Spur am schneebedeckten Horizont endete, eröffnete sich zwischen verschneiten Felsen unter dem aufgeklarten Himmel ein atemberaubendes Panorama. In einer unendlich erscheinenden Weite erstreckte sich eine schneebedeckte, zerklüftete Landschaft, teilweise durchzogen von dichten, langengestreckten Waldzungen, deren kahle Bäume vom eisigen Winterhauch versilbert worden waren.

Zur rechten schob sich jetzt langsam ein Hochplateau ins Bild hinter dessen schroff aufragenden Felsen ein gigantischer Talkessel lag, wie eine offene, blauschimmernde Wunde tief in das dunkle Gestein des Plateaus gerissen. Und inmitten dieses ausgedehnten Areals erhob sich, bewehrt mit Zinnen die wie gierige Fänge zum Himmel griffen, eine gewaltige, dunkle Festung. Mehrere ringförmige Segmente umschlossen mit steinernen Zähnen einen steil aufragenden Kegel, um dessen lang gestreckte Doppelspitze ein bläuliches Leuchten waberte und sich auf den Rippenbögen der ausladenden Vorsprünge fortsetzte.

Die Symmetrie des Gebäudes an der Stirnseite durchbrechend, gähnte wie das weit aufgerissene, alles verschlingende Maul einer Dämonenfratze ein gewaltiges Tor und spuckte eine tief hinabreichende, breite Freitreppe aus, die in einem von hohen, dolchzinnengekrönten Mauern umgebenen Hof endete.

Zur rechten führte eine zweite Freitreppe zu einem weiteren, ähnlich bizarr aussehendem Gebäude hinauf. Wenn sich dieses Gebäude auch klein neben der gewaltigen Festung ausnahm, so hatte es doch immer noch imposante Ausmaße, wirkte aber weitaus fragiler in seinem Aufbau. Wie die Spitze einer schwarzen Rosenknospe wuchs es dornenbewehrt aus dem schwarzen Felsen.

Im Hintergrund der mächtigen Zitadelle ragte das Skelett eines weiteren, offenbar noch unfertigen Bauwerks in die Höhe. Mehrere schwarze, dichte Rauchfahnen stiegen durch das dunkle Gerüst, das sich wie die knöchernen Krallen eines Greifvogels in den Fels grub.

Und wie ein kurioser Fremdkörper ragte inmitten des Tales ein steiler Hügel auf, an dessen felsigen Hängen ein ganzes Vyrkuldorf klebte, die archaische Architektur stand im krassen Widerspruch zu den mächtigen Wehrmauern, die den ganzen Talkessel durchzogen. Auch die schroff ansteigen Felsen des Hochplateaus waren an einer Stelle durchbrochen und ein gewaltiges Tor zwischen massiven Mauern eingesetzt worden.

„Na, habe ich zuviel versprochen?“ Mathis leise Stimme durchbrach Niamanees Staunen.

Die Elfe nickte, ohne den Blick abzuwenden. „Es ist beängstigend.“

Mathis stimmte ihr zu. „Ich weis ziemlich genau wie man sich fühlt, wenn man Eiskrone zum ersten Mal sieht.“

Der Anblick der gewaltigen Befestigungsanlage schlug Niamanee immer noch in ihren Bann.

Mehr zu sich selbst denn zu jemanden anderen flüsterte sie: „Da sitzt er also.“

Mathis wies mit dem Finger auf die Spitze der gewaltigen Zitadelle, wo das bläuliche Leuchten pulsierte. „Dort, in der Spitze der Eiskronenzitadelle soll sich der Frostthron verbergen.“ Sein Finger wanderte weiter und blieb auf dem kleineren Gebäude hängen.

„Wir nennen sie die schwarze Kathedrale. Angeblich auf einem Bereich uralter, schwarzer Magie errichtet, so schwarz, dass es alles Licht schluckt. Es heißt, dort hält der Lichkönig seine bestialischen dunklen Messen ab, mit Menschenopfern und allem, was dazugehört.“

Schaudernd hob Niamanee ihre Brauen. „Wirklich?“

Mathis zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. So wird halt geredet. Aber soviel ich weiß war noch nie jemand tatsächlich vor Ort, der davon hätte erzählen können.“

Sein Finger hielt jetzt auf das unvollendete Bauwerk hinter der Zitadelle. „Und das ist Malykriss. Dort baut sich der Lichkönig eine Festung aus purem Saronit. Wenn wir es nicht schaffen, Arthas vor Vollendung dieses Bauwerks zu schlagen wird es nahezu unmöglich sein, ihn zu besiegen. Eine Festung aus purem Saronit ist nicht zu knacken. Und noch einmal wird er uns den Gefallen , vor seine Tür zu treten wohl kaum tun. Nicht nachdem das an der Pforte des Zorns passiert ist.“

Niamanee sah Mathis forschend an. „Schon wieder die Pforte des Zorns. Aber irgendwie will niemand darüber so richtig sprechen.“

Mathis verzog verdrießlich seinen Mund. „Kein Wunder, nachdem was da passiert ist.“ Er zeigte auf das gewaltige Tor zwischen den aufragenden Felsen des Hochplateaus.

„Das ist Angra’thar- die Pforte des Zorns, wie wir sie nun nennen. Dort fand die erste große Offensive des Argentumbündnisses statt. Riesige Truppenverbände der Allianz und der Horde forderten gemeinsam den Lichkönig zum Kampf. Und tatsächlich- Arthas selbst trat aus dem Tor und erhob die Toten.“ Mathis wischte sich schniefend mit dem Ärmelrücken über seine frostrote Nase.

„Die Armeen standen sich gegenüber – aber dann geschah das gänzlich Unerwartete. Es gab mehere große Explosionen und unzählige Fässer, randvoll gefüllt mit Seuchenbrühe ergossen sich über das Schlachtfeld, töteten die Lebenden und vernichteten die Toten. Arthas selbst konnte in seine Festung zurück entkommen, aber es raffte unzählige Kämpfer dahin, ob Allianz oder Horde oder Untote, das Gift machte keinen Unterschied.“

Niamanee sah den älteren Mann fassungslos an. „Was war denn passiert?“

Mathis’ Mund verzog sich zu einem freudlosen Grinsen. „Die Verlassenen.“

„Fürstin Sylvanas?“ Niamanees grünleuchtende Augen waren noch eine Spur größer geworden.

„Das dachten alle zunächst,“ entgegnete Mathis bejahend. „Aber nicht Sylvanas steckte dahinter. Es war der Dämon, mit dem sie diese unheilige Allianz geschlossen hatte, der in Unterstadt eine Gruppe von Verlassenen aufgewiegelt und diese dazu gebracht hatte sich gegen das Argentumsbündnis zu wenden und mit diesem Überraschungsangriff zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen- ihren verhassten Todfeind Arthas und seine Geißel zu vernichten und gleichzeitig die Armeen des Argentumbündnisses auszuradieren. Denn eigentlich hassen sie die Lebenden fast genauso wie die Geißel.

König Varian von Sturmwind selbst griff mit seinen Truppen die Ruinen von Lordaeron an und besiegte die Verräter. Auch Kriegshäuptling Thrall fiel mit Truppen der Horde in Unterstadt ein und sie waren es, die den Dämon zur Strecke brachten und zurück in die Schatten schickten. Dennoch steht König Varian der Horde jetzt mit unverhohlener Feindschaft gegenüber, da er die Horde für diese Katastrophe verantwortlich macht. Das ist wohl auch der Grund, warum er seitdem persönlich hier in Nordend anwesend ist um seine Truppen zu befehligen – es ist kein Geheimnis mehr, das er der Führung von Tirion Fordring misstraut. Er scheint nur darauf zu warten, dass Hochlord Fordring einen entscheidenden Fehler macht, der klar beweist, dass ein Bündnis mit der Horde unmöglich ist und er das Kommando dann an sich reißen kann.“

Niamanee brannte die Frage nach Bolvar Fordragon auf der Zunge. Aber etwas in ihr ließ diese Frage keine Worte finden. Das nagende Gefühl tief in ihrem Bauch hatte sich immer mehr verstärkt, aber alles in ihr weigerte sich die entscheidende Frage auszusprechen. Für einen langen Moment schlug der Anblick von Eiskrone sie wieder in ihren Bann. Dann wandte sie sich wieder zu Mathis.

„Und was haltet ihr von Hochlord Fordring?“

Mathis Gesicht war jetzt ungewöhnlich ernst. „Ich halte ihn für einen integeren, ausgesprochen ehrenwerten Mann. Er war es, der uns in der Stunde tiefster Verzweiflung wieder Hoffnung gegeben hat, er hat das Licht wieder in die Dunkelheit geholt. Seinetwegen habe ich damals das zerstörte Lordaeron nicht verlassen sondern meinen Hammer mit einer Klinge getauscht und mich ihm und seinen Widerstandskämpfern angeschlossen.“

„Ich habe gehört, er habe vor Jahren einem Ork das Leben gerettet und sei dafür in Ungnade gefallen?“

„Diese alte Geschichte aus seiner Vergangenheit scheint sich immer mehr zu einer Legende zu verweben,“ lächelte Mathis. „Nach allem, was ich weiß, hat er vor vielen Jahren irgendwo im Norden Lordaerons einen Orkschamanen getroffen und diesen zum Kampf gestellt. Wie immer die Umstände auch gewesen sein mögen – Fordring unterlag. Aber der Ork tötete ihn nicht sondern verband seine Wunden und brachte ihn ungesehen zu den Pforten eines der nördlichen Klöster. Nachdem er genesen war begab er sich erneut auf die Suche nach diesem Ork. Aber nicht, um ihn erneut zu stellen sondern um zu verstehen, warum dieser ihn verschonte und rettete. Und er fand ihn. Nach langen Gesprächen erkannte Fordring, dass die Orks den Menschen gar nicht so unähnlich waren und es entwickelte sich wohl so etwas wie eine enge Freundschaft zwischen beiden. Aber man hatte die beiden gesehen und

Soldaten von König Terenas II nahmen den Ork gefangen. Fordring wurde ebenfalls als Volksverräter unter Arrest gestellt. Aber es gelang ihm dennoch den Ork zu befreien, bevor man diesen hinrichten konnte. Dafür wurde er des Hochverrats angeklagt und wahrscheinlich war es nur seine hohe Stellung, die ihn davor bewahrte, den Kopf zu verlieren. So enthob man ihn aller Titel und Ländereien und schickte ihn in die Verbannung.

Lange Zeit hörte man nichts mehr von ihm. Aber als Arthas Uther Lichtbringer tötete und das Land im Schatten versank, war er plötzlich wieder da und rief zum Widerstand auf. Und überall erhoben sich die Menschen, es schien, als hätten alle nur auf dieses Zeichen gewartet. Nachdem Fordring siegreich aus Schlacht an der Kapelle des Lichts mit dem gereinigten Aschenbringer zurückkehrte war er eine strahlende Lichtgestalt geworden, der die Menschen scharenweise zurannten. Und nicht nur die Menschen. Auch unter den Orks geniest er höchsten Respekt und nur ihm konnte es gelingen, Allianz und Horde unter einem Banner im Kampf gegen den Lichkönig zu vereinigen.“

Mathis Gesicht verdunkelte sich wieder. „Aber seitdem König Varian hier ist, ist das Bündnis wieder sehr brüchig geworden- der König aus Sturmwind macht nicht den geringsten Hehl aus seinem Hass gegenüber den Orks. Wenn man mich fragt- der Mann praktiziert die reinste Kriegstreiberei. Wäre er bloß in Sturmwind geblieben.“

„Und wie steht ihr zu den Orks?“ hakte Niamanee nach.

Ein Schulterzucken war die Antwort. „So richtig warm werde ich mit den Grünhäuten ja auch nicht. Sie sind nun mal unzivilisierte, unberechenbare Barbaren. Aber ihr Kriegshäuptling, dieser Thrall, scheint ein recht vernünftiger Bursche zu sein. Ein Glück, dass auch er nach Nordend gekommen ist, und das Kommando über diesen Haufen Wilden übernommen hat.

Der bisherige Kommandant der Hordentruppen hier stand König Varian in Sachen Kriegstreiberei nämlich um nichts nach. Ein unglaublich aggressiver und streitsüchtiger Ork namens Garrosch Höllschrei. Sein Vater muss wohl so etwas wie ein Nationalheld bei den Orks gewesen sein, weswegen man ihm hier das Kommando gegeben hat.

Alles in allem glaube ich aber, dass Hochlord Fordring recht hat. Arthas ist unser aller Feind. Nur zusammen bringen wir den Schlächter auf den Frostthron zu Fall.“

Während sich über ihnen noch dunkle Schneewolken ballten, zogen am klaren Himmel des Panoramas vor ihnen, nur noch kleinere, vereinzelte Wolken ihrer Wege. Ihre Schatten wanderten als große, dunkle Flächen gemächlich über das gebirgige Land. Mathis wies auf die Spitze eines höheren Bergkammes genau in dem Augenblick, als ein Wolkenschatten vorbeiglitt und das Sonnenlicht nun umso heller auf dem Schnee des Bergkammes funkelte.

Jetzt erst erkannte Niamanee, das sich auf der Höhe des Bergkamms ebenfalls ein großer Gebäudekomplex befand, umgeben von unzähligen kleineren Gebäuden, die sich innerhalb dreier großer Befestigungsringe den Bergkamm hinab an die Hänge schmiegten. Hauchfeine Rauchfahnen, die von vielen der Gebäude aufstiegen hatten einen leicht gräulichen Dunst über diese Stadt auf dem Berg gebildet. Auffällig waren die beiden schlanken, weißen Türme, die sich mit goldfunkelnder Spitze wie zwei weiße Finger gen Himmel streckten. Ein eigenartiges, kaum wahrnehmbares Flirren schien über dem gesamten Komplex zu liegen.

Auch wenn diese Befestigungsanlag doch beachtliche Ausmaße zu haben schien, so wirkte sie nach einem raschen Blick auf die Mauern von Eiskrone geradezu lächerlich winzig.

„Das ist die Argentumsfeste. Wenn das Wetter weiter so mitspielt, sind wir spätestens heute Abend dort.“

Dann wandte sich der graubärtige Mann wieder Niamanee zu. „Wie kam es eigentlich dazu, dass Hochlord Fordragon euch unterrichtet hat?“

Niamanee sah Mathis überrascht an. Dieser schmunzelte wieder amüsiert. „Ich hielt Wache, als ihr euch mit Dunkelschwinge unterhalten habt. Und ich bin ein neugieriger Mensch.“

Jetzt verzog auch Niamanee ihre blassen Lippen zu einem schrägen Grinsen. „Das ist eine sehr lange Geschichte. Ich erzähle sie bestimmt irgendwann einmal.“

Mathis Schmunzeln war zu einem breiten Grinsen gewachsen. „Schon verstanden.“ Dann wurde er wieder ernster. „Ich habe mir früher nicht viel aus diesem ganzen Lichtglauben gemacht. Dahin, wo ich herkomme verirrt sich das Licht nur recht selten.“ Mit einem trockenen Lächeln im Mundwinkel sah er eine ganze Weile in das blendend helle Sonnenlicht. „Eigentlich bin ich Steinmetz von Beruf. Und als Steinmetz ist es ein ewiges auf- und ab. Mal hast du gut zu tun, bist monatelang in Lohn und Brot, dann wieder kommen Zeiten, wo du nicht weist, wie du deinen Kindern etwas zu Essen kaufen sollst. In einem solchen Monat kam dieser kauzige, alte Priester auf mich zu und bot mir und meiner Familie eine warme Mahlzeit am Tag, wenn ich ihm hälfe, diese Schule in seinem Viertel zu bauen. War besser als nichts – die hungrigen Augen meines Sohnes waren sehr überzeugend.“

Eine zeitlang starrte Mathis wieder in die Sonne und Niamanee beobachtete ihn schweigend, wohl wissend, wohin seine Gedanken in diesem Moment abgeschweift waren.

Wenn es ein Spiel der Götter ist, dann können Götter kein Herz haben, denn es ist ein grausames Spiel.

„Wahrscheinlich lag es daran, dass ich dieser Arbeit nicht die nötige Sorgfalt habe zukommen lassen, weil sie kein Geld brachte,“ fuhr Mathis fort. „So etwas rächt sich. Ich habe eine Mauer schlampig berechnet und sie ist eingestürzt. Hat mich ziemlich übel erwischt.“

Er rieb sich den Hals und Niamanee sah eine breite, weiße Narbe aufblitzen. Mathis nickte.

„Dieses verdammte Holzstück hatte sich quer durch meinen Hals gebohrt. Ich war so gut wie tot. Aber der junge Novize des Priesters hat mich ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit unter dem einstürzenden Gerüst hervorgezogen, den Splitter entfernt und die Blutung gestoppt. Das Gefühl, wie das Licht durch meinen Körper strahlte, werde ich nie wieder vergessen.“ Jetzt schmunzelte er wieder leicht.

„Ich bin danach tatsächlich sogar fast regelmäßig zur Kirche gegangen. Zumindest, solange sie noch stand.“ Mathis Gesicht verdüsterte sich. Er sah Niamanee an und seine Züge entspannten sich wieder zu einem sarkastischen Lächeln.

„Ihr seid die Erste die ich hier im Norden treffe, die anscheinend nicht der Vergeltung wegen hierher gekommen ist.“

Die Elfe wandte nachdenklich ihren Blick von Mathis ab und beobachtete eine lange Weile, wie das Himmelsblau am Horizont die Schneewolken immer weiter vor sich hertrieb. Tatsächlich hatte einzig der Gedanke an Bolvar sie hierher gebracht. Der Überfall der Geißel auf Silbermond war nach all dem, was sich mittlerweile ereignet hatte bereits in so weite Ferne gerückt. Natürlich war ihr klar, warum Bolvar Fordragon hier war. Aber erst in den letzten beiden Tagen, seitdem sie sich dem Erkundungstrupp angeschlossen hatte, waren der Lichkönig und seine grauenvolle Armee wieder schmerzvoll in ihr Bewusstsein gerückt.

Ein diffuses Gefühl der Angst stieg in ihr auf. Das undefinierbare Gefühl, dass etwas so gar nicht stimmte.

Mit einem dumpfen Aufprall bohrte sich der schwarze Pfeil in das Holz des Kutschbockes und blieb dort mit einem schnarrenden Vibrieren stecken.

„Überfall!“ Von überall her erklangen jetzt aufgeregte, teils panische Stimmen, der Treck war in kürzester Zeit zum Halt gekommen und die Fahrzeuge formierten sich ohne Zeitverzug wie ein präzise einstudierter Reigen zu einem geschlossenen Kreis.

Auch Mathis hatte sofort reagiert, die angesichts des ausbrechenden Tumultes immer noch erstaunlich ruhigen Ponys gewendet und den Versorgungsschlitten in den Kreis eingegliedert. Hastig griff Niamanee nach hinten und zog ihr Schwert heraus, sprang hinter Mathis her vom Kutschbock und suchte wie die anderen hinter ihrem Fahrzeug Deckung. Mit einem Ruck löste Mathis einen Bolzen am Deichselkreuz des Schlittens und führte die Zugtiere hastig ins Innere der Wagenburg. Wieder sausten mehrere schwarze Pfeile auf sie hinab, bohrten sich in das Holz und in die Ladung.

Die vier Elfen hatten bereits ihre Bögen gespannt und schossen zurück, bevor Niamanee überhaupt erkennen konnte, worauf sie zielten. Aber dann sah sie es.

Von beiden Seiten wie auch von hinten schälten sich immer mehr schwarze Gestalten aus dem Schnee, wie aus dem Nichts erhoben sie sich unter der weißen Eisdecke und eilten ausgesprochen behände auf sie zu. Viel flinker, als Niamanee es bisher bei Untoten erlebt hatte. Ihre Hände umschlossen den Griff ihres Schwertes noch fester und die Angst pochte wild in ihrer Kehle. Es waren so viele!

Eine erneute Phalanx dunkler Pfeile raste in das provisorische Bollwerk, überall um sie herum erklang das Stakkato dumpfer Einschlaggeräusche, als sich die schwarzen Pfeilspitzen in die Fahrzeuge und die Ladung bohrten und mit metallischen Schaben von der stählernen Panzerung der Kettenfahrzeuge abprallten. Eines der Mammuts brüllte laut trompetend auf.

Die Elfen schossen zwischen den Fahrzeugen hindurch zurück und einige der untoten Kreaturen sackten leblos in den Schnee, was aber bei der erdrückenden Überzahl ihrer Angreifer überhaupt keinen Unterschied machte.

Mit knarrendem Quietschen hatten sich endlich auch die Geschütztürme auf den zwergischen Kettenfahrzeugen ausgerichtet und mit einem lauten Bellen schoss jetzt zu beiden Seiten ein gewaltiger Feuerstrahl auf die nahenden Untoten zu. Lichterloh brennend marschierten diese zunächst völlig unbeeindruckt weiter bis dann doch einer nach dem anderen im Schnee zusammenbrach. Hinter ihnen kam die nächste Welle Angreifer. Wieder jagte glühendes Feuer aus den Geschützrohren, aber die vordersten Widergänger waren schon zu nah, um noch von den Flammen ergriffen werden zu können. Sie setzten mit einer geradezu grotesken Gelenkigkeit über die Fahrzeuge hinweg, zückten ihre Waffen und griffen noch aus dem Sprung heraus an.

In einer einzigen Drehung tauchte Niamanee unter dem anfliegenden Widergänger weg und parierte seinen Schlag, wobei ihr Angreifer nach hinten taumelte, seinen Nachbarn anstieß und dieser so frontal in die scharfe Klinge von Mathis Langschwert kippte. Der graubärtige Mann riss die Klinge hoch, zerteilte verwesendes Fleisch und Knochen und stieß die toten Überreste angewidert von sich. Kampflärm erscholl nun von allen Seiten, mittlerweile waren die Untoten an mehreren Stellen durchgebrochen.

Eine Gruppe von sieben, vielleicht acht Untoten hatte zum Sturm auf den Versorgungsschlitten angesetzt, doch kamen zwei von ihnen gar nicht erst dort an, da die mächtige Axt von Kulgin, der vom Kettenfahrzeug auf den Versorgungsschlitten gesprungen war, die wandelnden Kadaver in der Mitte zerteilt hatte. Die Restlichen stürzten sich mit ihren schartigen Waffen auf Niamanee und Mathis, kreisten sie ein und attackierten sie mit wuchtigen Schlägen. Mathis konterte, rutschte dabei aber aus und fiel. Fast instinktiv reagierte Niamane, wie sie es bei Bolvar gelernt hatte. Der hellgleißende Schutzschild, den sie auf Mathis hinabeschwor, lenkte im letzten Moment einen vermutlich tödlichen Streich ab.

Und in diesem einen Moment achtete sie nicht auf ihre rechte Flanke. Der stumpfe Schlag, der sie am Kopf traf, schleuderte sie zu Boden und raubte ihr für mehrere Augenblicke die Sinne. Mit einem verschwimmenden Blick aus den Augenwinkeln heraus nahm sie noch wahr, wie Kulgin ihren Angreifer mit seiner Riesenaxt niederstreckte. Dann wurde es kurzfristig schwarz und sie kam erst wieder zu sich, als Mathis kräftige Hände sie vom Boden hochrissen und zur Seite drückten. Hastig beugte sie sich zu ihrem Schwert hinab – und starrte auf ihre Hand, die immer stärker begann, zu zittern. Nein! Nicht jetzt!

Aber das Zittern hatte auch schon in ihren Beinen begonnen, bald würden ihr die Knie versagen und sie sich in Krämpfen auf dem Boden winden. Panik würgte in ihrer Kehle, während um sie herum Stahl durch die Luft zischte und tote Körper in den Schnee sanken.

Ich habe schon seid Tagen nicht mehr daran gedacht, ein Fläschchen zu trinken!

Sie spürte, wie die Luft in ihren Lungen knapp wurde, ihr Atem begann zu rasseln. Mit aller Willenskraft stemmte sie sich gegen den beginnenden Anfall, aber Willenskraft alleine würde hier wenig ausrichten, ihre zitternden Hände kaum mehr unter Kontrolle fingerte sie verzweifelt in ihren Taschen nach den winzigen Tongefäß. Endlich fühlte ihre Finger das ersehnte Fläschchen, zogen es aus der Tasche, aber erneut stießen sie raue Hände zur Seite, das Gefäß glitt ihr aus der Hand und fiel in den Schnee. Mühsam unterdrückte Niamanee einen hysterischen Aufschrei, sank wieder zu Boden und versuchte, das Fläschchen mit dem letzten Rest an Bewegungskontrolle zu erhaschen. In diesem Moment sprang ein weiterer dunkler Schatten mitten in ihre Gruppe und blanker Stahl glühte in der hellen Sonne auf.

Die Füße der Kämpfenden zogen sich von ihr zurück und sie nutze diese Gelegenheit, griff mit dem letzten Quäntchen Willenskraft das Fläschchen und kippte den Inhalt mit einem einzigen Schluck die Kehle hinab. Es dauerte nicht lange und ihr Körper begann sich zu beruhigen. Wieder griffen Hände nach ihr, zogen sie dicht an die Ladung des inzwischen umgekippten Versorgungsschlittens. Es war Kulgin, der sie für seine Verhältnisse recht besorgt ansah.

„Geht’s wieder?“

Nickend versuchte Niamanee, sich wieder aufzurappeln und erkannte jetzt den dunklen Schatten, der mitten zwischen die Untoten gesprungen war, die sie bedrängt hatten.

Mit wehenden, blauen Haaren schwang Sardak Dunkelschwinge seine zwei schlanken Elfensäbel durch die Meute der immer noch nachdrängenden Untoten mit einer derart tödlichen Präzision das Niamanee vor lauter Faszination einen Augenblick vergaß, dass sie sich noch immer inmitten eines wilden Kampfes befanden. Noch niemals zuvor hatte sie jemanden sich so bewegen sehen. Der Nachtelf kämpfte nicht- er tanzte!

Aber obwohl Dunkelschwinge die Widergänger reihenweise ummähte, so brachen weitere doch immer wieder an anderen Stellen durch den Kreis, der Strom der nachdrängenden Kreaturen riss einfach nicht ab- lange würde sich der Trupp hier nicht mehr halten können. Mittlerweile war auch das letzte Öl in den Kettenfahrzeugen verfeuert worden und Niamanee konnte in den meisten Gesichtern der Kämpfenden nur zu deutlich ablesen, dass es allein noch darum ging, sich so teuer wie möglich zu verkaufen. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass sie hingegen jetzt völlig ruhig war. Und dies war nicht allein dem Fläschchen geschuldet. Mit dem sichereren Gefühl, dass dies noch nicht das Ende war, packte sie ihr Schwert und griff ungeachtet der Schwäche, die sie immer noch in ihren Gliedern verspürte wieder in den Kampf ein. Ihre Bewegungen kamen jetzt automatisch, als würde die Zeit langsamer laufen reagierte sie akkurat auf jeden Angriff. Der in der Sonne gleißende Stahl ihres Schwertes trennte verweste Gliedmaßen von knochigen Körpern und trieb die untoten Angreifer immer weiter aus dem Kreis zurück.

Durch den Kampftumult drang jetzt der lang gezogene, dunkle Ton eines Signalhorns. Kurz darauf antwortete ein weiteres Signal von der gegenüberliegenden Seite. Irritiert hielt ein Großteil der Untoten inne – was vielen auch gleich zum Verhängnis wurde, denn nicht einer des Erkundungstrupps ließ sich von den Hornsignalen ablenken.

Am Horizont tauchte jetzt eine über die ganze Weite der Ebene reichende Reihe schwarzer Reiter auf, die zwischen aufgewirbelten Wolken glitzernden Schnees rasch näher kamen.

Verunsichert starrten leere Augenhöhlen und verschrumpelte Augäpfel auf die heranpreschenden Reiter. Während eine größere Gruppe untoter Bogenschützen sich vor der Wagenburg positionierte und dem anstürmenden Gegner noch einen Pfeilhagel entgegen schickte, ließen andere bereits unwillig knurrend ihre Waffen sinken und rannten davon. Angesichts nahender Rettung brandete der Kampf nochmals in einem furiosen Finale auf, keinem der Fliehenden gelang es aus dem Inneren der Wagenburg zu entkommen. Auch die Bogenschützen verließen jetzt einer nach dem anderen ihren Platz und stolperten durch den hohen Schnee davon während die ersten schwergepanzerten Reiter durch ihre aufbrechenden Reihen pflügten und mit stählernen Streitkolben und leuchtenden Runenschwertern ihre Reihen lichteten. Die wiederbelebten Kadaver fielen wie Korn vor der Sense.

Niamanee hatte ihr Schwert sinken lassen und starrte atemlos auf die schwarzen Reiter, die genauso tot waren wie die, die sie angegriffen hatten- aber aus den Visieren ihrer dunklen Helme brannte blaues Feuer, genau wie in den Augen ihrer skelettierten Schlachtrösser.

Todesritter! Das konnten nur Todesritter sein, die berüchtigten Elitekämpfer des Lichkönigs!

Sie hatte gehört, dass einige von ihnen zum Argentumsbüdniss übergelaufen waren – aber diese unheimlichen Krieger in unmittelbarer Nähe zu sehen ließ einen Schauer über ihren Rücken laufen. Und tatsächlich schien es mit der Ankunft der Todesritter merklich kälter geworden zu sein.

Während ein größerer Teil der schwarzen Ritter noch den versprengten Untoten nachsetzte, war ihr Anführer bereits von seinem Pferd gestiegen und kletterte über zwei umgekippte Hundeschlitten in die Wagenburg. Kommandant Dunkelschwinge steckte mit einer überaus eleganten Bewegung seine beiden Säbel in die Futterale auf seinem Rücken zurück und wandte sich dem Ankömmling mit leicht spöttischem Grinsen zu.

„Mograine! Kommt ja nicht allzu oft vor, dass ich mich freue, euch zu sehen!“

Der so Angesprochene nahm seinen Helm ab und erwiderte Dunkelschwinges Grinsen mit einem für einen Untoten geradezu charmanten Lächeln. Im Leben musste er mit seinen honigblonden Haaren und dem gepflegten Bart ein ausgesprochen ansehnlicher Mann gewesen sein, selbst auf seinen fahlgrauen, kalten Zügen lag noch eine gewisse Attraktivität, die nun allerdings durch das kalte, blaue Leuchten seiner Augen etwas dämonisches bekam.

„Dunkelschwinge! Kommt ja glücklicherweise nicht allzu oft vor, dass ihr dieser hirnlosen Brut auf den Leim geht!“

Der Spott auf dem tätowierten Gesicht des Nachtelfen wurde noch eine Spur schärfer. „Wie gut, dass ihr gerade zufällig in der Gegend wart.“

Auch das Lächeln des Todesritters wurde breiter. „Nicht wahr? Stets zur Stelle, wenn man uns braucht!“ Aber dann verfinsterten sich seine Züge.

„Als uns eure Nachricht erreichte, dass ihr das Lager aufgeben würdet, dachten wir uns schon so etwas. Ihr seid nämlich nicht die Einzigen, denen so etwas passiert ist. Vor zwei Tagen hat es Wolkenfängers Trupp erwischt. Haben ihr Lager aufgrund der anhaltenden Überfälle am Hurfjälletpass aufgegeben. Von denen ist keiner mehr zurückgekehrt. Wir kamen zu spät.“

Jetzt war auch der Spott aus Sardaks Gesicht gewichen. „Verdammt! Nicht Taneleron.“

Darion Mograine nickte mit unbewegter Miene. „Bedauerlicherweise doch. War ein guter Mann.“

Sardak Dunkelschwinge beobachtete eine Weile nachdenklich die von der Untotenhatz zurückkehrenden Todesritter. „Die haben sich hier eingegraben und einschneien lassen. Als ob sie gewusst haben, welchen Weg wir nehmen würden.“

„Und? Konnten sie es wissen?“

Der Nachtelf verneinte. „Mein Späher und ich haben erst am Morgen unserer Abfahrt unseren Weg festgelegt. Da hatte es aber bereits aufgehört, zu schneien.“

„Dieser neue Seuchenpirschertypus ist weitaus intelligenter, als wir bisher angenommen haben.“ Der Kommandant der Todesritterschwadron lies seinen Blick in die Runde schweifen wobei sich seine Züge wieder entspannten.

„Aber ihr scheint nicht einen einzigen Mann verloren zu haben.“

Dunkelschwinge nickte. „Ist ja auch mein Trupp.“

Mograines glühenden Augen blieben für einen längeren Moment auf Niamanee hängen bevor er sich wieder dem Nachtelfen zuwendete und seine Lippen zu einem feinen Lächeln verzog.

„Das ausgerechnet ihr auf Völkerverständigung setzt, ist mir neu.“

„Ich bin voller Überraschungen.“ Das lauernde Grinsen war auf Sardaks Gesicht zurückgekehrt und jetzt wandte sich auch der Nachtelf zu seinen Leuten um.

Es grenzte an ein Wunder, dass niemand bei der Übermacht an Gegnern ernsthaft verletzt worden war. Es gab ein paar Schnittwunden und Prellungen, aber das war auch schon das Schlimmste, was passiert war. Die Pfeile, die die Mammuts getroffen hatten, waren im dichten Fell stecken geblieben und hatten keine ernsten Wunden verursacht.

Noch ganz im Bann der Ereignisse realisierte Niamanee, dass Jaelle neben sie getreten war. „Lasst mich mal sehen, was ihr euch da am Kopf eingefangen habt.“

Irritiert wandte sich Niamanee um und spürte erst jetzt, dass ihr etwas Warmes die Schläfe hinabrann. Fast automatisch fuhren ihre Finger zum Kopf, aber Jaelle schüttelte den Kopf und drückte ihre Hände wieder nach unten.

„Da klebt ja noch untotes Fleisch an euren Händen! Ganz dumme Idee.“ Vorsichtig strich die hagere Frau ihr die Haare aus der Stirn und betrachtete die Verletzung eingehend. „Kaum mehr als eine Schramme.“ Mit einem feuchten Stoffballen tupfte sie das Blut ab und schmierte dann aus einem hölzernen Tiegel eine grünliche Paste auf die Wunde. Das warme Gefühl von Dankbarkeit kribbelte in Niamanees Nacken und sie nickte Jaelle verhaltend lächelnd zu. Mit einem gutmütigen Zwinkern wandte sich die Ältere wieder ab und schenkte ihre Aufmerksamkeit jetzt Mathis, den es am Arm erwischt hatte.

Nun erst spürte Niamanee langsam die Erschöpfung in ihren Beinen und sie ließ sich nicht unweit von Mathis auf einer umgekippten Holzkiste nieder. Mathis sah sie an.

„Scheint, als ob jetzt nicht nur Golofin in eurer Schuld steht,“ stellte er fest. „Schätze, ihr habt mir wohl das Leben gerettet.“ Dann runzelte er die Stirn. „Aber was war das da vorhin mit euch? Seid ihr drogensüchtig? Ich habe gehört, dass viele Blutelfen drogensüchtig sind. Ziemlich unpassender Moment, Entzugserscheinungen zu bekommen.“

„Felwahnsinn, Mathis.“ Überrascht und verständnislos sah Mathis zu Dunkelschwinge auf, der plötzlich vor ihnen stand. Niamanee schien, als stünde da wieder diese leise Verachtung in dem Blick des Nachtelfen, mit der er ihr von Anfang an begegnet war. Sie setzte dem demonstrative Gleichgültigkeit entgegen.

„Felwahnsinn?“ Ratlos drehte Mathis sich zu Niamanee um. Diese nickte jetzt etwas zerknirscht.

„Es ist eine Krankheit. Krämpfe, die einem die Kontrolle über den eigenen Körper nehmen. Ein ewiges Andenken der Geißel. Genau wie dieses grüne Leuchten in unseren Augen.“ Sie seufzte. „Als Arthas mit seinen Heerscharen unser Land vernichtete und den Sonnenbrunnen zerstörte ist soviel Schattenmacht freigesetzt worden, dass es unsere Körper verändert hat – so haben es uns unsere Gelehrten erklärt. Eine Überdosis Felmagie sozusagen.“

Ein bösartiges Lächeln umspielte jetzt Dunkelschwinges Lippen. „Nicht nur eure Körper.“

Niamanee sah wütend auf- schluckte aber dann die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, wieder hinunter. Er hat ja recht.

Sie stand auf, nahm ihr Schwert, das sie an den Schlitten gelehnt hatte und wollte es zurück in die Schwertscheide stecken als Dunkelschwinge auf sie zutrat und seine Hand ausstreckte.

„Darf ich es mal sehen?“

Überrascht sah Niamanee auf Dunkelschwinge, dann auf ihr Schwert. Nach kurzem Zögern nickte sie und reichte ihm das Heft. Der Nachtelf nahm das Schwert, wog es in der Hand und ließ es ein paar Mal schwungvoll durch die Luft sausen. Dann reichte er es ihr mit einem leisen Lächeln zurück. „Federleichter Titanstahl. Perfekt auf eure Proportionen abgestimmt und ausbalanciert. Eine wunderschöne Zwergenarbeit. So eine Waffe sieht man nicht sehr häufig. Woher habt ihr sie?“

Die unvermittelte Freundlichkeit des Nachtelfen irritierte Niamanee. „Bolvar Fordragon hat sie für mich in der Scherbenwelt bei einem Zwergenschmied anfertigen lassen.“

„Bolvar Fordragon hat euch nicht viel lehren können, sagtet ihr.“ Dunkelschwinge stand jetzt direkt hinter ihr und seine Stimme flüsterte so leise in ihr Ohr, das nur sie es hören konnte.

Der Klang seiner Stimme hatte jetzt wieder etwas so bedrohliches, das Niamanee unwillkürlich zurückzuckte.

„Es missfällt mir, wenn man mich belügt. Ich habe euch kämpfen sehen.“

Mit diesen Worten ließ er sie stehen und ging wieder zu Darion Mograine hinüber. Niamanee starrte ihm völlig perplex hinterher.

„Fräulein Niamanee!“ Die gutbekannte Stimme, die ihren Namen rief, ließ sie herumfahren.

Golofin Gnollhammer kam mit freudig ausgestreckten Armen auf sie zugeeilt.

„Bin ich froh zu sehen, dass auch euch nichts geschehen ist! Korrigiere, fast nichts geschehen ist!“

Er grinste etwas schief, ergriff dann ihre Hand und schüttelte sie kräftig. Golofins Enthusiasmus war ihr fast schon etwas unangenehm und sie begegnete seinem herzlichen Empfang mit einem reichlich erzwungenem Lächeln. Mathis, der gerade eben die Bergponys vor den wieder aufgerichteten Versorgungsschlitten gespannt hatte, sah mit einer übertrieben verächtlichen Miene auf.

„Ah, der Herr Gnollhammer! Du bist mir ja ein feiner Fährtenleser! Hast uns hier mit dem untoten Gezücht sitzen lassen!“

Golofin verzog verdrießlich seinen Mund und nickte missmutig. „Ich sollte wohl besser wieder in die Minen gehen. Steine klopfen ist wohl eher etwas für so einen tumben Kerl wie mich. Jetzt hab’ ich’s schon zum zweiten Mal verrissen.“

Mathis feixte. „Selbst Adlerauge Dunkelschwinge hat nichts gemerkt – und der riecht Gefahr doch für gewöhnlich schon zwanzig Meilen gegen den Wind. Mach’ dir keine Vorwürfe, Golofin- in die Falle wäre jeder getappt. Dem Licht sei Dank sind Fürst Mograine und seine schwarzen Reiter gerade noch rechtzeitig gekommen.“

Dann zog ein Schatten über sein narbiges Gesicht.

„Wie ich gehört habe, ist Taneleron Wolkenfängers Erkundungstrupp dasselbe passiert. Die hatten wohl weniger Glück als wir. Sind alle tot.“

Golofins stieß einen wütenden Zwergenfluch aus und seine dunklen Augen wanderten zornesschmal zusammengekniffen über das weitläufige Panorama der Eiskronenzitadelle und ihrer Befestigungsanlagen.

„Er gewinnt immer mehr an Boden,“ zischte der Zwerg. „Er treibt uns wie verängstigte Hasen aus ihren Löchern.“

Mathis nickte nachdenklich, während er nochmals die Schnallen der Pferdegeschirre überprüfte. „Wird Zeit, dass endlich was passiert.“ murmelte er und drehte sich zu der Blutelfe um. „ Fräulein Niamanee, hoch auf den Kutschbock, es geht weiter!“

Langsam setzte sich der Tross wieder in Bewegung, zu beiden Seiten flankiert von Mograines Todesrittern. Zurück inmitten einer großen Fläche schmutzigen, zerwühlten Schnees blieb ein lichterloh brennender Scheiterhaufen aus aufgetürmten, verrotteten Körpern. Wie ein drohendes Fanal beugte sich die dichte, schwarze Säule aus Qualm gen Eiskrone. Diese Toten hatten sich zum letzten Mal erhoben.

Eine Weile saßen die bleiche Blutelfe und der ältere Mann schweigend nebeneinander auf dem Kutschbock, ein jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Dunkelschwinges Worte gingen Niamanee nicht aus dem Kopf. Ich habe euch kämpfen gesehen. Natürlich hatte sie gekämpft. Wie alle anderen auch. Wahrscheinlich hatte sie mit diesem verfluchten Anfall die anderen sogar noch behindert. Sie schielte unauffällig zu dem Nachtelfen hinüber, der mit einer geradezu nonchalanten Lässigkeit neben einem der Elfen auf dem anderen Pferdeschlitten saß. Dunkelschwinge war arrogant, er war überheblich – und er war gefährlich. Auf ihr Bauchgefühl hatte sie sich bisher immer recht gut verlassen können. Kommandant Sardak Dunkelschwinge war definitiv jemand, dem man besser aus dem Weg ging.

Sie lenkte ihren Blick wieder nach vorn und blieb auf Darion Mograine hängen, der mit wehendem, dunkelrotem Umhang auf seinem schwergepanzerten Schlachtross an der Spitze seiner Todesritter ritt. Seine tragische Geschichte war bis nach Silbermond getragen worden. Der letzte aus der Blutlinie der alten Könige, der den Aschenbringer in den Händen gehalten hatte. Und sich dann in die scharfe Klinge der legendären Waffe stürzte um den Schatten nicht lebend in die Hände zu fallen. Er hatte das größte aller Opfer gebracht um zu verhindern, dass die Schatten die volle Macht des Schwertes für ihre Zwecke missbrauchen konnten. Mit den Erinnerungen an seine Geschichte spürte Niamanee eine leise Traurigkeit in sich aufsteigen. Wie es sich wohl anfühlte, eine seelenlose Kreatur zu sein? Was war von dem selbstlosen Streiter des Lichts geblieben, der er einst war? Es musste schlimm sein, sich an sein altes Leben erinnern, aber es nicht mehr spüren zu können.

„Ich muss euch um Entschuldigung bitten.“ Mathis’ Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Etwas verwirrt sah sie ihn an. „Entschuldigen wofür?“

„Das ich euch Drogensucht unterstellt habe. Blutelfen haben bei uns halt nicht den besten Ruf und da ist mir das eben so in den Kopf gerutscht, als ich euch da so gesehen habe.“

„Unsinn.“ Niamanee winkte ab. „Schon vergessen. Konntet ihr ja nicht wissen. Und ganz unschuldig bin ich daran auch nicht. Ich vergesse gerne mal, rechtzeitig die Medizin zu nehmen, die diese lästigen Anfälle verhindert.“

„Man kann es nicht heilen?“

Die Elfe schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Unsere Gelehrten zerbrechen sich schon seid Jahren den Kopf darüber – aber mehr als diese Rezeptur für einen Trank, der diese Krämpfe verhindert haben sie noch nicht herausgefunden.“

Mathis grinste. „Wenn wir in der Feste angekommen sind, solltet ihr mal nach Seyfried fragen.“ Niamanee sah ihn etwas verständnislos an.

„Seyfried stammt aus derselben kleinen Stadt in Lordaeron wie ich und gehört mittlerweile Tirion Fordrings Paladinen an. Der Junge ist der verdammt beste Heiler, den ich je erlebt habe- der stellt jeden Priester in den Schatten.“

Ein mildes Lächeln glitt über Niamanees bleiche Züge. „Bolvar Fordragon hat es bereits versucht. Aber auch ihm ist es nicht gelungen, den Felwahnsinn zu kurieren.“ Sie zuckte resignierend mit den Schultern. „Es ist halt so, wie es ist. Sein Schicksal kann man sich nicht aussuchen.“ Sie nickte mit dem Kopf in Darion Mograines Richtung.

„Er hätte mit Sicherheit auch ein anderes Schicksal gewählt, wenn er es gekonnt hätte.“

„So eine traurige Geschichte,“ pflichtete Mathis ihr bei. „Erst der Verrat seines Bruders und dann sein tragisches Ende. Und nicht genug damit, im Tode verhöhnen ihn die Schatten noch, indem sie seinen wiederbelebten Körper den verderbten Aschenbringer führen lassen. Möge Darion irgendwann endlich seinen Frieden finden.“ Dann huschte ein trockenes Lächeln über sein Gesicht. „Und wenn ich euch einen guten Rat geben darf- kommt niemals auf die dumme Idee, ihn auf den Aschenbringer anzusprechen. Fürst Mograine kann sehr merkwürdig werden.“

Die Elfe schüttelte abwehrend den Kopf. „Licht bewahre, würde mir nie in den Sinn kommen. Verlassene oder Todesritter – diese Gesellschaft ziehe ich vor zu vermeiden.“

Niamanees Blick schwenkte für einen kurzen Moment wieder zu Sardak Dunkelschwinge. „Was ist eigentlich mit Kommandant Dunkelschwinge? Wo kommt er eigentlich her? Ich habe noch niemals jemanden so kämpfen sehen.“

Mathis grinste. „Unglaublich, nicht wahr? Tja, über Sardak kursieren die wildesten Geschichten und niemand weiß, ob irgendetwas davon wahr ist, denn von ihm selbst wirst du nichts erfahren. Das einzige, was ich mit Bestimmtheit weiß ist, dass er ein alter Freund von Muradin Bronzebart ist. Dann hört es aber schon auf. Angeblich ist er ein legendärer Kampfmeister aus Darnassus und soll sogar zu den Uralten gehören. Es gibt Gerüchte, die besagen, dass er sein Volk verraten habe und auf der Flucht sei, andere wiederum erzählen davon, dass er lange Zeit den Schatten gedient habe, bis die Liebe einer Frau ihn errettet habe.

Ein Geheimagent, der im Auftrage des darnassischen Herrscherpaares inkognito hier ist... Such dir aus, was dir gefällt! Wahrscheinlich ist die Wirklichkeit viel profaner, aber er geniest seinen Nimbus des mysteriösen Fremden. Aber bis jetzt hat er sich immer loyal zu Tirion Fordring verhalten. Und ganz ehrlich – er hat uns allen heute den verdammten Arsch gerettet, ohne ihn hätten wir nicht solange durchgehalten! Da werde ich mich hüten auf diese ganzen komischen Gerüchte auch nur ein Kupfer zu geben.“

Niamanee seufzte innerlich. Mathis hatte nur zu recht. Ohne Sardak Dunkelschwinge hätten Mograine und seine Todesritter wohl nur noch Tote vorgefunden. Sie warf dem Nachtelfen einen erneuten, verstohlenen Blick zu. Vielleicht versteckte Sardak ja irgendwo auch ein paar nette Seiten. Gesehen hatte sie davon allerdings noch nicht sehr viel.



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