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Lichtbringer

Der Fall des Lichkönigs einmal anders...
von

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Neugier ist der Katze Tod

Wind und Schnee zerfaserten die feine Spur aus Duftpartikeln, die sich wie ein fast greifbar schimmerndes Band zwischen Bäumen und Unterholz hindurchschlängelte. Bisweilen hatte sie sich schon derart verteilt, daß er innehalten mußte, um erneut die Witterung aufzunehmen. Was seine ganze Konzentration in Anspruch nahm, denn der unbändige Hunger auf frisches Mäusefleisch und knackigem Engerling erschwerte es erheblich, den Fokus auf Stall- und Pferdegeruch zu halten.

Erneut hielt er inne, schnupperte. Die Luft war merklich eisiger geworden. Je kälter es wurde, desto schneller würde sich der Geruch verlieren. Er reckte sich in die Höhe und sah sich um. Tiefer Schnee bedeckte den Waldboden, die zum Teil abgestorbenen Bäume reckten sich wie drohende, nicht enden wollende Finger dem letzten Rest des vergehenden Abendrots entgegen, daß am Horizont von den aufziehenden Schneewolken verschluckt wurde.

Dieses Jahr war der Schnee hier unten viel zu früh gekommen. Was ihm jetzt zugute kam. Seine geschulten Augen erkannten in den kaum sichtbaren Verwerfungen unter dem frisch gefallenen Schnee sofort die Hufspur. Er glitt wieder zu Boden und sprang los. Der Schnee lag mittlerweile so hoch, daß er gänzlich in dem kalten Weiß versank. Immer wieder mußte er anhalten und sich aufrichten um nicht den Geruch zu verlieren. Das war nicht ganz ungefährlich, denn so machte er auch andere auf sich aufmerksam. Das kleine Herz pochte immer schneller, Angst dominierte nun alles. Aber er behielt die Kontrolle. Und da war sie wieder, die Spur. Klar und deutlich zog der ledrige, würzige Pferdegeruch in seine Nase, kaum wahrnehmbar durchzogen von einer weichen Note, die nicht zu dem Pferd gehörte.

Die Intensität der Spur nahm weiter zu, trotz des mittlerweile heftiger fallenden Schnees. Er näherte sich. Das Schneetreiben würde sie bald zum Halt zwingen.

Dann sah er sie. Unmittelbar vor einer senkrecht aufsteigenden Felswand schimmerte das weiße Fell des Bergponys vor dem dunklen Grau der Felsen. Kurz darauf tauchte eine vermummte Gestalt auf und löste das struppige Geäst, das am Schweif des Ponys gebunden hing um Spuren zuzufegen. Für einen schnellen Moment sah sie sich um, nahm dann die Zügel des Ponys und verschwand in der Dunkelheit der Felsenwand. Sie hatte eine Höhle entdeckt. Er grinste innerlich während er beobachtete, wie sie den Eingang mit Ästen und Laubwerk verschloß.

Mit ihren ständigen Richtungswechseln und dem Verwischen ihrer Spuren hatte sie es ihm nicht einfach gemacht. Sie war gut, wirklich gut. Aber nicht gut genug für ihn. Wie ein fließender Schatten huschte das kleine Wiesel, gelenkt von Sardak Dunkelschwinges Geist in die Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht. Jetzt wußte er, wo sie war.
 

Mit einem leisen Seufzer öffnete er wieder die Augen und brauchte einen Moment, bis sein Bewußtsein wieder gänzlich seinen eigenen Körper fühlte. Er hatte es sich, soweit es ging auf einer massiven Astgabel in einer noch recht dicht belaubten Nordeiche bequem gemacht und sich vorsorglich dort festgebunden. Den eigenen Körper zu verlassen, um sich mit dem Geist eines Tieres zu verbinden barg immer ein gewisses Risiko, ließ man doch seine fleischliche Hülle schutzlos zurück. Und so war es zwingend notwendig, diese Hülle möglichst unsichtbar für andere zu verbergen. Sardak war ein Meister darin. Fast vollständig verborgen unter seinem laubbedecktem Umhang wäre er selbst bei hellem Tageslicht mit den Konturen des Baumes verschmolzen.

Da knackte es im Unterholz, ganz in seiner Nähe. Ruckartig erstarrte er. Links von ihm schob sich der gräulich schimmernde Umriß eines Bären in hellem Winterpelz zwischen dem Bäumen hindurch. Schon am taumelnden, leicht unsicheren Gang erkannte Sardak daß infizierte Tier und beim Näher kommen zeichneten sich auf dem hellen Fell auch die dunklen Schwären ab, die sich über ganzen den Körper ausbreiteten und den Bären bald in ein verfaulendes Monster verwandelt haben würden. Anders als bei menschlichen Wesen tötete die Seuche Tiere nur langsam – sie verrotteten lebendigen Leibes. Wenn der Wahnsinn sie am Ende völlig umnachtet hatte und sie in blinder Freßgier auch ihre eigenen Artgenossen anfielen, waren sie schon viel zu schwach um gegen gesunde Gegner bestehen zu können. Tragischerweise aber rissen sie all diejenigen, die ihrem Angriff widerstehen konnten dennoch mit in den Tod. Einmal im Blut war die Seuche nicht mehr aufzuhalten und somit ebenso wenig die Ausrottung der Tierwelt Nordends.

Mit einem leisen Brummen änderte der Bär wieder seine Richtung und stapfte davon. Bald hatte sich sein grauer Umriß zwischen den wirbelnden Schneeflocken aufgelöst. Sardak spürte eine leise Traurigkeit, als er dem Bären noch einen Moment nachsah. Die unstillbare Gier nach Macht, Einfluß und Reichtum der Menschen wie auch Elfen hatte der Dunkelheit die Tore geöffnet – und das nicht erst seit Arthas auf dem eisigen Thron saß. Und sie riß alles mit sich, was auf ihrem Wege lag, so auch die, die am allerwenigsten dafür konnten.

Sardak fühlte sich erschöpft und müde. Die vergangene Nacht hatte der Schlaf einfach nicht kommen wollen und so war er schon vor der ersten Morgendämmerung auf den Beinen gewesen. Immer wieder waren seine unruhigen Gedanken um das bleiche Mädchen gekreist. Als er im Basislager Vysjeddhold von ihrer Suche nach Hochlord Bolvar Fordragn erfuhr, ahnte er, daß es Schwierigkeiten geben würde. Denn im Gegensatz zu allen anderen im Lager wie auch in der weit entfernten Argentumsfeste wußte er bereits, daß entgegen aller Annahmen der Hochlord noch am Leben und ein Gefangener des Lichkönigs war. Er wußte es bereits seit Wochen, noch bevor er den Posten des Kommandanten für das Basislager Vysjeddhold in den Sturmgipfeln übernommen hatte.

Von dem Moment an hatte Sardak beschlossen, Niamanee nicht mehr aus den Augen zu lassen. Denn er glaubte prinzipiell nicht an Zufälle. Und als er nach dem Vorfall am Nachmittag mit Vereesa Windläufer im ‚Hängenden Prinzen’ erfahren hatte, wer Niamanee war, erst recht nicht. Aber zumindest stütze es ihre Glaubwürdigkeit. Vorerst.

Sardak Dunkelschwinge schloß die Augen und lehnte sich zurück. Ein Tier entgegen seiner Instinkte und Ängste zu steuern kostete Kraft. Und entsprach so gar nicht den Regeln des Cenarius-Zirkels. Weswegen er auch schon lange nicht mehr dem Zirkel angehörte. Regeln waren für Sardak Dunkelschwinge schon seid jeher nur eine Herausforderung seiner Kreativität gewesen. Was nicht bedeutete, das er rücksichtslos war, das Wohl der Tiere lag ihm durchaus am Herzen, tatsächlich sogar mehr als as Wohl seines eigenen Volkes. Deswegen war er überhaupt so lange bei dem Cenarius-Zirkel geblieben.
 

Auch wenn seine Kindheit schon so weit zurücklag, daß er sich kaum mehr erinnern konnte, war doch das Gefühl geblieben, Tieren oftmals näher zu stehen als seinesgleichen. Trotzdem war er zunächst dem Wunsch seiner Eltern nachgekommen, die hohe Schule der körperlichen Künste zu besuchen. Klingentänzer genossen in den elfischen Gefilden von Kalimdor mindestens genauso hohes Ansehen wie die Priester, die über das größte Heiligtum des Volkes wachten – die Brunnen der Ewigkeit. Diese verdammten Brunnen, die er schon lange als Ursache verstand, daß er, der Krieg bisher nur aus Legenden kannte seine tödlichen Fähigkeiten zum ersten Male gegen seinsgleichen einsetzen mußte. Die ganzen Jahre hatte man ihn geschult und gelehrt, das er und die anderen Klingentänzer das unüberwindbare Bollwerk gegen die Armeen der dämonischen Schatten wären, deren Handlanger, die Trolle, sie in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder heimgesucht hatten. Und dann war das erste Opfer seiner Klingen dieser schlaksige Bursche, mit dem er früher zur Schule gegangen war. Der, wie sich später herausstellte einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, als sich die wütende Menge gegen Königin Azshara erhob.

Vor Hunderten von Jahren waren es die Zwillingsbrüder Malfurion und Illidan Sturmgrimm gewesen, die den ersten Kontakt mit den Dämonischen hatten. Seid Elfengedenken schon flammte der Krieg zwischen Elfen und Trollen immer wieder auf und nun verstand man auch, warum. Diese unansehnlichen, animalischen Kreaturen wurden kommandiert von Dämonen aus der Schattenwelt, die nur danach trachteten, der Welt das Licht und die Schönheit zu nehmen.

Ganz so einfach war es natürlich nicht, aber as war im Großen und Ganzen die Erklärung, welche die Brüder ihrem Volke zunächst gaben. Getrieben von der Suche nach Antworten forschten die Brüder weiter, allen voran Illidan. Schon seid jeher hatten Elfen einen Hang zur Magie, nur erkannten sie es lange nicht als solche. Die Gabe, Feuer aus dem Nichts entzünden zu können oder Wasser gefrieren zu lassen sahen sie wie die vielen anderen kleinen Gaben als Geschenke der Natur und nutzen sie auch als solche – stets mit Respekt und mit dem Willen, alles in der Balance zu halten. Illidan fielen diese Gaben besonders leicht zu und schon ihn jungen Jahren hofierte man ihn als Liebling der Naturgeister.

Getrieben von dem Verlangen, die Dämonischen zu verstehen, tauchte Illidan immer weiter in die Geheimnisse der Magie ein und begriff langsam, was für ein unglaubliches Potential hinter diesen kleinen Annehmlichkeiten stand. Ein Potential, richtig genutzt, daß ihre Feinde für alle Zeiten aus dieser Welt schleudern sollte!

Unter seiner Anleitung wurden die ersten Brunnen gebaut – Konstrukte, die entweichende Seelenenergien speichern und bündeln konnten. Nie versiegende Energien, die dem elfischen Volke nun für ihre neuen, magischen Künste zur Verfügung standen. Der Tod hatte nun nichts mehr Endgültiges, denn noch über den Tod hinaus würde ein jeder Elf seinem Volke noch dienen können. Mehr noch- diese Quelle beinahe unerschöpflicher Energie ermöglichte immerwährendes Leben. Allerdings- und das machte die ganze Angelegenheit schon etwas pikanter– nicht für alle. Denn es mußte ja schließlich weiter gestorben werden, sonst würde die Quelle ja irgendwann versiegen.

Aber das elfische Volk war durchaus verständig und einverstanden, das diejenigen, die das Wissen hatten und die Geschicke des Volkes leiteten durchaus berechtigt sein sollten, länger zu Leben, denn es war ja zu ihrer aller Vorteil. Was auch für eine recht beachtliche Zeitspanne stimmte. Das Volk der Elfen prosperierte, die Ländereien waren ertragreich wie nie und es gingen glückliche und vor allem sichere Jahre ins Land. Trolle ließen sich nach ihrer letzten, desaströsen Niederlage nicht mehr blicken.

Die Katastrophe, die über die Elfen hereinbrach und das Volk bis heute entzweite, hatte Zeit genug gehabt, sich langsam aufzubauen. Die Zeichen waren allenthalben sichtbar gewesen und hätte man ihnen die entsprechende Beachtung geschenkt, wäre wohl vieles anders gekommen. Aber Zeichen interessierten zu diesem Zeitpunkt niemanden. Niemanden außer Malfurion und einigen seiner engsten Vertrauten. Der ältere Zwilling hatte mittlerweile sehr wohl begriffen, daß sein Bruder ein Faß ohne Boden geöffnet hatte. Über unermeßliche Macht zu gebieten und sie vor allem weise einzusetzen ist nur wenigen gegeben – die vor vielen Jahren an die Macht gekommene Königin Azshara gehörte mit Sicherheit nicht dazu.

Als ihr Mann, König Mahaliath, einer der Wenigen, denen Malfurion eben diese Qualitäten zugetraut hatte, bei einem Jagdausflug tragischerweise verunglückte und starb, war seine Gemahlin Azshara einfach an der Macht geblieben. Der Form halber, wie es hieß. Als Stellvertreterin, bis ein neuer König gefunden und vom Volke gewählt werden würde. Aber das Elfenvolk war bequem geworden. Es lief doch alles. Natürlich gab es durchaus immer mal wieder potentielle Kandidaten, aber ein jedes Mal scheiterte eine Wahl an mangelndem Interesse des Volkes. Ashzara erkannte darin ganz eindeutig die unausgesprochene Wahl ihrer selbst und ließ sich öffentlich zur anerkannten Herrscherin krönen. Nennenswerte Proteste gab es keine. Schon zu dieser Zeit war Malfurion zum Mahner geworden, aber nur wenige hörten auf seine Worte. Azshara indes ließ es sich gut gehen, baute ihren Palast und ihren Hofstaat aus und begünstigte diejenigen, die ihr treu zur Seite standen mit Langlebigkeit. Architektonisch gesehen war dies sicherlich die prunkvollste Epoche die die Kaldorei, die Sterngeborenen, wie sich die Elfen auf Kalimdor seid Anbeginn der Zeit nennen, je erlebt haben.

Zunächst begegneten die Elfen ihrer wunderschönen Königin und ihrem prunkvollen Hofstaat mit großer Ehrfurcht und betitelten sie wie auch alle, die ihr direkt unterstanden Quel’dorei, was soviel wie ‚Hochwohlgeboren’ heißt. Soviel Pracht und Herrlichkeit hatte man bisher nicht erlebt. Aber Königin Azshara war nicht nur wunderschön, sie war auch ausgesprochen schlau und bald hatte sie sich ein Machtimperium aus gegenseitiger Kontrolle und Bespitzelung geschaffen, das seinesgleichen suchte.

Und so machte sich langsam aber sicher Unmut innerhalb der Gesellschaft breit, eifersüchtig wurde auf diejenigen geschielt, die in der Gunst der Königin standen und mit Unsterblichkeit belohnt wurden. Immer ausschweifender wurde der Lebensstil der Königin und ihres Hofstaates auf Kosten ihrer Untertanen, die bald selbst kaum mehr genug zum Leben hatten. und langsam dämmerte dem gemeinen Elfenvolk, daß sie für all die Pracht und Herrlichkeit einen bitteren Preis zahlten. Zum ersten Mal in der Geschichte des Elfenvolkes wurde ein neues Wort erwähnt: Armut.

Potentielle Königskandidaten bekamen mittlerweile gar keine Gelegenheit mehr, sich wählen zu lassen, die meisten verstarben zuvor aus ungeklärten Umständen. Des Volkes Seele begann langsam zu kochen. Und Malfurion verstand es, immer wieder Öl hineinzugießen, während sein Bruder Illidan sich aus all dem heraus hielt und leise im Hintergrund seinen Studien nachging.

Vielleicht hätte die Königin nicht gerade den Baum der Ahnen im Garten ihres Palastes für den Bau eines Badehauses fällen lassen sollen – das es aber auf kurz oder lang passieren würde, war unausweichlich. Des Volkes Zorn kochte über. Die Paläste wurden in Überzahl überrannt, die zum Schutze der Königin abkommandierten Klingentänzer hatten trotz ihrer überragenden Fähigkeiten keine Chance gegen die wütenden, hereinstürmenden Massen. Dazu kam, daß viele von ihnen einfach Skrupel hatten, ihre Fähigkeiten gegen ihr eigenes Volk einzusetzen. Das Volk jedoch, das die einstmals so stolzen Kämpfer nur noch als Erfüllungsgehilfen der verhaßten Königin sah, hatte keine. An diesem Tag endete die alte, ehrwürdige Geschichte der Klingentänzer. Und mit ihrem Tode erkauften sie der Königin und ihrem Gefolge die Flucht über das große Meer.

Aber Azshara und viele ihrer Getreuen sollten niemals mehr das Land erreichen. Sie habe sich mit den Dämonischen eingelassen und ihre dunkle Magie zur Flucht benutzt, hieß es. Dabei sei in den Boden des Meeres ein riesiges Loch gerissen worden, daß sie und viele ihrer Schiffe in einem gewaltigen Malstrom in die Tiefe gezogen hätte, wo sie noch heute mit ihren Getreuen am Meeresgrund lebt. So zumindest lautete die Legende, die schon kurz nach ihrem Ableben die Runde machte. Einige der Schiffe aber fanden das Festland von Azeroth und unter der Führung von Kalethan Sonnenwanderer und Gaianae Windläufer erreichten die Flüchtigen den hohen Norden von Azeroth, wo sie mit Quel’ Thalas ein neues Königreich errichteten. Und sich dort trotzig weiterhin die Quel’dorei nannten.

Wieder war es Malfurion, der mit seinem Einschreiten während des Aufstandes das Schlimmste verhindern konnte. Seine Stimme hatte nun mehr Gewicht denn je und es gelang ihm, den wütenden Mob zu beruhigen. Es hatte genug Tote gegeben. Und so hatte Malfurion auch Sardaks Leben gerettet. Wie viele der anderen Klingentänzer hatte er sich nach anfänglicher Gegenwehr geweigert, weiterhin sein eigenes Volk anzugreifen und verteidigte sich nur noch – was bei der Masse an Angreifern unweigerlich wie bei allen anderen zu seinem Tode geführt hätte, wäre Malfurion nicht dazwischen gegangen.

Von dem Zeitpunkt an verband eine enge Freundschaft die beiden Männer. Und Malfurion gefiel Sardaks Skepsis bezüglich der Brunnen. So nahm er ihn mit zu seinen Getreuen, dem Cenariuszirkel, wie sie sich schon seid längerem nannten, zu Ehren des archaischen Waldgottes Cenarius. Sardak gefiel die Naturnähe der ‚Druiden, Männer und Frauen, die sich wieder auf die alten Naturrituale besonnen hatten und danach strebten, die Natur und die Welt als solches in der Balance zu halten. Die Art, wie Magie in den letzten Jahren praktiziert worden war, gehörte nicht dazu. Die Druiden zeigten ihm, wie er Kontakt zu den Tieren des Waldes aufnehmen und sich mit ihnen verbinden konnte. Sie lehrten ihn, wie er mit der Natur eins wurde, um für Feinde unsichtbar zu sein. Und sie unterrichteten ihn in der Kunst, in seiner Umgebung zu lesen, welche Kräfte um ihn wirkten.

Er brachte ihnen bei, zu kämpfen.

Die Fähigkeit, sich mit dem Geist von Tieren verbinden zu können, bereicherte Sardak ungemein- vor allem seinen Kampfstil. Von ihnen lernte er Dinge, die er zuvor nicht für möglich gehalten hatte. Es dauerte nicht lange, und er hatte den Nimbus des Unbesiegbaren. Hoch geachtet, aber genauso gefürchtet sollten sich für ihn recht bald schon ungeahnte Möglichkeiten ergeben.

Der Cenariuszirkel hatte mit seinem Ansinnen, sich wieder vollständig der Natur zuzuwenden trotz ihrer Galionsfigur Malfurion Sturmgrimm nicht den erhofften Erfolg. Viele der Kaldorei hingen noch an den Annehmlichkeiten, die aus den Brunnen durchaus hervorgegangen waren- allen voran die Sicherheit, die ihre Macht gegenüber feindlichen Angriffen boten.

So war man übereingekommen, daß man einige der Brunnen erhielt, aber nur, um in Notfällen auf sie zurückgreifen zu können. Zu Ehren der Mondgöttin Elune – im Lichtschein des Mondes hatte die erfolgreiche Erstürmung von Azsharas Palast stattgefunden – nannte man die Brunnen fortan ‚Mondbrunnen’ und bestimmte, daß nur eine Handvoll ausgesuchter Priester und Priesterinnen Zugang zu ihnen hatte. Auch wurde bestimmt, daß wieder einige wenige vom Volke erwählt wurden, die als Wissensträger von der Unsterblichkeit profitieren sollten.

Irgendwie fand Sardak, dass sich nicht wirklich viel geändert hatte. Nur, dass man jetzt halt wieder mit Holz baute. Aber diesmal profitierte er zumindest davon, denn seine in der Tat einmaligen Kampfkünste waren es dem Volke wert, ihn ebenfalls als Wissensträger zu erwählen. Das Konservieren eines Reliktes nannte er es bisweilen spöttelnd, nahm das Privileg aber gerne an. Und für ein paar Jahre kehrte wieder Ruhe in das Elfenreich ein.

Bis sich Malfurion und Illidan in dasselbe Mädchen verliebten.

Tyrande war eine der Mondpriesterinnen, ihre Weihe lag noch nicht lange zurück. Und obwohl sie noch jung an Jahren war, strahlte sie eine tiefe Weisheit aus – zusammen mit ihrer hoch gewachsenen, schlanken Figur und ihrem bemerkenswert hübschen Gesicht machte sie daß für die beiden Brüder unwiderstehlich. Sie entschied sich schließlich für den wortgewandteren Malfurion.

Sardak hielt sie von Anfang an für ein durchtriebenes Miststück, die genau wußte, welche Saiten sie bei den beiden Brüdern zu schlagen hatte und wie sie die Beiden gegeneinander ausspielen konnte. Was sicherlich auch daran lag, daß Sardak generell keine besonders hohe Meinung von Frauen im Allgemeinen hatte. Er hatte schon viele gehabt und fast jede hatte sich als intellektuelle Enttäuschung herausgestellt. Tyrande war da anders. Und das war möglicherweise auch der Grund, warum er sie erst recht nicht mochte. Auch seine Kampfkunst wurde immer seltener gefragt, kooperierender Kampf mit magischer Unterstützung war jetzt die bevorzugte Verteidigungsvariante und so fühlte er sich einmal mehr als Relikt vergangener Zeiten. Also zog er es vor, Tyrande wenn möglich, aus dem Weg zu gehen und kehrte der Elfenhauptstadt Darnassus immer öfter den Rücken um für Monate irgendwo in der Welt zu verschwinden. Lange Zeit konnte er die beiden Brüder einfach nicht verstehen. Bis er sich schließlich selbst eine ganze Weile später unsterblich verliebte. Aber das war eine andere Geschichte, über die er nicht weiter nachdenken mochte.

Zumindest hatte dieser Umstand ihn weitaus milder bezüglich seiner Meinung über die Sturmgrimm-Zwillinge und Tyrande gestimmt. Sardak hatte sich immer wieder gefragt, ob die Dinge jetzt anders lägen, wäre Tyrandes Wahl auf Illidan gefallen. Aber bis jetzt hatte er keine befriedigende Antwort darauf finden können.

Ohne Frage, der Weg, den Illidan beschritten hatte war falsch, er hätte sich nie so tief in die Schatten begeben dürfen. Er tat es ihretwegen, er wollte Tyrande mit aller Macht beweisen, daß er stärker, daß er besser als sein Bruder war. Aber dabei ging er ein wenig zu weit und führte mit seinem Tun die Welt einmal mehr an den Abgrund. Obwohl er es sicherlich verdient hatte, bedauerte Sardak Illidans Tod.

Tyrande entwickelte sich auch nicht zu einer zweiten Königin Azshara, wie von Sardak anfänglich befürchtet. Das Volk liebte sie- und sie liebte das Volk. Ihr ganzes Tun war auf das Wohlergehen ihres Volkes ausgerichtet – auch ihr Geliebter Malfurion kam erst an zweiter Stelle. Das einzige Problem war, das sie in Bezug auf die Mondbrunnen in keiner Weise konsensfähig war. Und mit einer gewissen Genugtuung beobachtete Sardak schon länger die wachsenden Spannungen zwischen ihr und Malfurion, da Malfurion inzwischen der festen Überzeugung war, das die Gefahr, die die Mondbrunnen bargen deren Nutzen bei Weitem überstieg.

So kam es, das Malfurion ihn vor etlichen Jahren in verdeckter Mission nach Azeroth schickte, um Kontakt zu den verfemten Brüdern und Schwestern in Quel’ Thalas aufzunehmen.

In Quel’Thalas hatte man so weitergemacht, wie man es zuvor auch schon schätzte – in gewohnter Pracht und Herrlichkeit. Es gab wieder ein Königshaus, zu dem man ehrfurchtsvoll aufschauen konnte und das Leben hatte in dem ständigen Bestreben, die Gunst eben jenes Königshauses zu erheischen wieder einen Sinn gefunden. Kalethan Sonnenwanderer hatte Gaianae Windläufer geehelicht, mit ihr zusammen eine neue Dynastie gegründet und es war ihnen gelungen, den Herrschaftsanspruch der beiden Familien über Generationen zu erhalten. Man hatte schließlich aus den Fehlern Königin Azsharas gelernt. Auch war wieder ein gewaltiger Brunnen erbaut worden, größer als alle Brunnen je zuvor. Im Hinblick auf die kleineren Mondbrunnen nannte man ihn überheblich den Sonnenbrunnen, war der doch um so vieles mächtiger als diese kleinen Pfützen auf Kalimdor. Und man bediente sich seiner endlos sprudelnden Macht hemmungslos. Von der einstigen Naturverbundenheit waren die Hochelfen, wie sie mittlerweile auch offiziell von allen anderen Völkern genannt wurden, weiter entfernt den je.

Umso erstaunter war man in Darnassus, als man von einem gewissen Rasaziel Nebelwanderer hörte, dem Kommandanten der Königsgarde, der sich offen für die Abkehr von dem Sonnenbrunnen einsetze und mittlerweile eine nicht unbeträchtliche Schar von Anhängern um sich gesammelt hatte. Als dann auch noch das Gerücht laut wurde, daß selbst König Anasterian Sonnenwanderer, Sohn von Kalethan Sonnenwanderer sich für diese Idee zu interessieren begann war für Malfurion und die Druiden vom Cenariuszirkel klar, dass man Kontakt zu Rasaziel Nebeltänzer aufnehmen mußte. Und so schickte Malfurion Sardak nach Azeroth, den Freund, dem er am meisten vertraute.

Dies war der Beginn von Sardak Dunkelschwinges ganz persönlicher Tragödie. Zuerst verliebte er sich in die falsche Frau. Und dann machte er den größten Fehler seines Lebens.

Muradin Bronzebart, der Bruder des Zwergenkönigs von Dun Morogh, ein alter Freund, dem er eine Gefälligkeit schuldete, hatte diese bei ihm eingefordert. Zuerst hatte er es vehement abgelehnt. Dann aber war sein Ehrgeiz erwacht. Verfluchter Ehrgeiz! Und er war über alle Maßen erfolgreich gewesen – so erfolgreich, das er ein gutes Stück dazu beigetragen hatte, das die nördlichen Königreiche Azeroths jetzt in Schutt und Asche lagen.

Bei aller Freundschaft würde auch Malfurion dafür kein Verständnis mehr aufbringen und ihn zu Recht des Hochverrats bezichtigen. Noch wußte außer Muradin niemand von dem, was er getan hatte. Und der Zwerg würde sich hüten, ein Wort darüber zu verlieren, steckte er da doch genauso tief drin. Nur Arthas’ Tod konnte noch eine schale Wiedergutmachung für seinen Verrat sein. Nur wenn er denjenigen, der letztendlich die Schuld an seiner ganzen Misere trug, zur Strecke brachte konnte er es wagen, seinem Volk und vor allem Malfurion wieder in die Augen zu schauen.

So hockte er also nun im Schatten der Eiskronenzitadelle in der grimmigen Kälte des nächtlichen Nordends auf der Spur der Tochter des Mannes, den zu finden ihn überhaupt erst in all dies hineingezogen hatte – und den er, Ironie des Schicksals, persönlich nie getroffen hatte. Nein, an Zufälle glaubte Sardak Dunkelschwinge schon lange nicht mehr.
 

Trübes Licht hatte den Wald bereits in ein diesiges Grau gehüllt, als er aus seinem Schlummer erwachte. Ruckartig fuhr er hoch. Viel zu spät! Das ihn seine innere Uhr derart im Stich ließ, war ihm noch nie passiert. Hastig löste er die Seile, mit denen er sich auf seiner Schlafstätte gesichert hatte, zog den Wasserschlauch unter seinem Hemd hervor um einen kräftigen Schluck zu sich zu nehmen und schwang sich mit tänzerischer Eleganz vom Baum.

Ein schneller Blick in die Runde versicherte ihm, daß keine unmittelbare Gefahr in seiner Nähe war. Dann eilte er los.

Bis zur Höhle war es noch ein gutes Stück und die Wahrscheinlichkeit, daß er nicht rechtzeitig dort ankommen würde stieg mit der Intensität der immer stärker werdenden Strahlen der aufgehenden Morgensonne. Er steigerte sein Tempo. Einem dunklen Schatten gleich huschte er beinahe lautlos durch das spärliche, größtenteils abgestorbene Unterholz.

Bald schmeckte er Rauch in der Luft. Noch kaum wahrnehmbar hatte sich ein süßlich- fauliger Gestank über den Geruch von gefrorener Erde und welkem Laub gelegt. Er wußte genau, was sie plante. Oft genug hatte er selbst darüber nachgedacht, auf diesem Wege in die Zitadelle zu gelangen, um Arthas im Alleingang zu stellen. Er hatte auch nie Zweifel daran, daß es ihm gelingen würde, ungesehen in die Zitadelle zu gelangen. Ungesehen ja- aber nicht unbemerkt. Die Wahrscheinlichkeit, daß das Schattengezücht, das vor allem er seine Aura erspüren würde, war einfach zu hoch, um das Risiko einzugehen.

Er war sich nicht ganz sicher, ob er den Mut der jungen Blutelfe bewundern oder bemitleiden sollte. Ihre Überlebenschancen standen allerdings weitaus besser, wenn er sie rechtzeitig einholte.

In diesem Moment nahmen seine scharfen Ohren ein leises, aber rasch näher kommendes Geräusch direkt von vorne wahr. In einer einzigen, fließenden Bewegung sprang er in das Gebüsch hinter einem dicken Baum und verschmolz unter seinem schneebedeckten Umhang mit der Umgebung. Aus dem eisigen Morgendunst stob mit geblähten Nüstern und in vollem Sattelzeug das weiße Bergpony und fegte im gestreckten Galopp unmittelbar an ihm vorbei, eine Wolke aufgewirbelten Schnees hinter sich herziehend. Damit war klar, daß er sie nicht mehr rechtzeitig erreichen würde.

Als er endlich an der Höhle ankam, lag diese, wie erwartet verlassen. Nichts wies darauf hin, daß sie über Nacht eine Elfe und ein Pferd beherbergt hatte. Zumindest sah es für den einfachen Betrachter so aus. Sardaks Blick glitt die Felsen hinauf. Verdammtes Weibsbild! Jetzt begann es, gefährlich zu werden. Klettern war nicht das Problem. Aber Felsen wie diese boten wenige Möglichkeiten unsichtbar zu werden, wenn Gefahr sich ankündigte. Und mit zwei Elfen in der Wand verdoppelte sich das Risiko. Er beschloß, das Risiko nicht einzugehen. Letztendlich war ihm das Mädchen selbst egal. Wer sich in Gefahr begibt, kommt bisweilen darin um. Dennoch mußte er ihr auf den Fersen bleiben. Sollte es ihr tatsächlich gelingen, in die Zitadelle zu gelangen mußte er wissen, was dort geschah. Er war schon so oft dort gewesen, daß er fast jeden Winkel kannte. Ratten gab es einfach überall und die kleinen Biester ließen sich dankbar einfach lenken.

In der Argentumsfeste kannte man ihn nur als engen Vertrauten Malfurion Sturmgrimms. Nur einige der älteren Nachtelfen erinnerten sich, daß er dereinst ein legendärer Schwertkämpfer gewesen sein mußte und zu den Uralten gehörte. Seine Verbundenheit mit den Druiden des Cenariuszirkel lag allerdings so weit zurück, das die Erinnerung daran völlig verblaßt war. Und das war auch gut so. Es waren ja genug Druiden vor Ort, die die Zitadelle bereits gründlich ausgespäht hatten. Genau wie die Schamanen der Horde, die über ähnliche Fähigkeiten verfügten. So war keine Notwendigkeit gegeben, Tirion Fordring oder sonst wen darüber in Kenntnis zu setzen, welche Fähigkeiten er neben dem Kampf noch beherrschte.

Er sah sich um. Alles um ihn herum war gespenstisch ruhig. Das war schlecht- denn wenn er nicht bald eine Möglichkeit fand, die Felsen hinaufzugelangen, mußte er wohl doch selber klettern. In diesem Moment hallte ein schrilles, klagendes Rufen vom Himmel hinab. Gargylen! Blitzschnell huschte Sardak in die dunkle Deckung der Höhle. Kein Wunder, daß sich hier nirgends ein Vogel oder sonstiges Getier blicken ließ. Er spähte wieder hinaus und sah den großen Schatten am mittlerweile blauen Himmel kreisen. Wie Hunde abgerichtete, abscheuliche Kreaturen, die für die Geißel das Areal um die Zitadelle aus der Luft überwachten, bei Sichtung von Eindringlingen unüberhörbar Alarm schlugen und damit erste Panik verbreiteten. Ein Alarmschrei konnte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Begegnungen mit Gargylen endeten meist tödlich. Starben die Opfer nicht bereits durch die messerscharfen Krallen, dann verreckten sie an dem Gift, das aus den feinen Drüsen unterhalb der Krallenwurzel schoß. Sardak beobachtete die am Himmel zirkelnde Kreatur mit ihren riesigen, ledrigen Schwingen. Bis jetzt war alles entspannt, die Gargyle konnte das Mädchen noch nicht entdeckt haben, das klagende Rufen diente nur zur Verständigung mit Artgenossen.

Der Gedanke, der ihm jetzt kam war völlig verrückt. Aber letztendlich - Gargylen waren auch nur Tiere. Und irgendwie war es geradezu eine Herausforderung. Er zog sich zurück in die Dunkelheit der Höhle, setzte sich mit überkreuzten Beinen auf den laubbedeckten Boden und schloß die Augen. Die Welt um ihn herum verlor ihre Form und sein Geist ging auf die Suche. Die Gargyle zu finden war nicht schwer- sie war die dominierende Präsenz in seiner direkten Umgebung. Aber nun mußte er schnell sein- wenn er sie spürte, spürte sie ihn auch.

Die Gegenwehr war überraschend heftig – diese Bestien waren nahezu intelligent, daß hatte er so nicht erwartet. Immer wieder warf es ihn in seinen Körper zurück, er spürte, wie sein Blut in den Schläfen pochte, es bedurfte seiner ganzen Willenskraft, um an der Kreatur zu bleiben. Und seine Willenskraft war stark- zu stark für die Gargyle.

Als er den kalten Wind in seinem Gesicht spürte, fühlte, wie der eisige Luftstrom über seine weit ausgebreiteten Arme glitt, öffnete er die Augen. Unter ihm im Schein der niedrig stehenden Mittagssonne breitete sich der gewaltige, bläulich schimmernde Eiskronengletscher aus, wild zerklüftet und durchzogen von unzähligen Mauern zwischen steil aufragenden Gebäuden in deren Zentrum die Eiskronenzitadelle hoch in den Himmel ragte. Und sein Blick, um so vieles schärfer als der seiner eigenen Augen reichte noch weit darüber hinaus, über die dicht verschneiten Wälder der Boreanischen Taiga im Süden bis hin zu den aufgetürmten Eisschollen am den Gestaden der vergessenen Küste. Im Norden sah er die goldenen Kuppeln von Ulduar zwischen den weißen Sturmgipfeln hindurchfunkeln. Fast zum Greifen nahe erhob sich im Gegenlicht der Umriß der alten Königsfeste auf dem steil abfallenden Bergkamm in unmittelbarer Nähe zu den vorderen Bollwerken von Eiskrone. Einige Wolkenfetzen zogen unter ihm vorbei während er sich von der Thermik immer höher tragen ließ. Ihm gehörte der Himmel! Er war die Gargyle und er war Sardak, mit ihren Sinnen sah sein Geist die Welt unter sich und für einen Moment überließ er sich dem unglaublichen Hochgefühl des Fliegens. Sich mit einem fliegenden Tier zu verbinden war schon immer ein besonderes Erlebnis gewesen. Diese Kreatur aber war bei weitem das Größte, mit dem er je geflogen war – und mit Abstand das Erhabenste! Das war besser als jeder Drogenrausch!

Dann aber besann er sich wieder, tauchte hinab und begann nach der Blutelfe Ausschau zu halten. Die Gargyle würde sich an nichts erinnern, wenn er ihren Geist wieder verlassen hatte, so ging er auch kein Risiko ein. Direkt unter ihm, teilweise verhangen von rußigen, stinkenden Rauchschwaden lagen die Fleischwerke. Einen entsetzlicheren Ort hatte er zuvor noch nicht zu Gesicht bekommen und selbst in dieser Höhe überkam ihn der Ekel, wenn er nur hinabschaute. Es war ein eigenartiges Gefühl den beißenden, aufsteigenden Gestank in seinem Geist als widerwärtig zu registrieren, mit den Sinnen der Gargyle ihn aber nicht als solchen zu empfinden. Er schwebte weiter über dem braun befleckten Areal und suchte. Nicht lange, da entdeckte er sie. Sie hatte offensichtlich einige der alten Rüstungsteile, die hier allenthalben zwischen den Felsen herumlagen, angelegt und darüber eine vor Schmutz starrende Decke wie einen Umhang geworfen. Es amüsierte ihn. Gar keine schlechte Idee. Was ihn allerdings irritierte, jetzt wo er mit den Augen der Gargyle sah, war die Erkenntnis, daß die Gargyle sie schon längst gesehen haben musste ¬– aber nicht reagiert hatte. Und dann begriff er auch, warum. Mit den Sinnen der Gargyle erspürte er ihre Aura. Und diese Aura hatte für die Gargyle etwas Dunkles, etwas Vertrautes. Die Gargyle hatte das Mädchen nicht als Eindringling gesehen. Fasziniert erkannte Sardak, daß die Blutelfe sehr wohl beste Chancen hatte, unbemerkt in die Zitadelle einzudringen. Es war die Felmagie, welche die einstigen Hochelfen seit der Zerstörung ihres Sonnenbrunnens umgab, ihnen ein verändertes Aussehen- und offensichtlich noch mehr beschert hatte. Und angesichts der Anfälle, die das Mädchen immer wieder zu bekommen schien, war die Aura der Felmagie bei der Tochter von Rasaziel Nebeltänzer offensichtlich besonders ausgeprägt. Das aber stand wiederum im krassen Gegensatz zu der Tatsache, das Niamanee Zugang zum Licht hatte. Irgendetwas passte da so gar nicht zusammen. Ein Grund mehr, das Mädchen nicht aus den Augen zu lassen.

Er beobachtete sie, während sie behende zwischen den Felsen hindurch zum Aquädukt hinabkletterte. Langsam wurde es Zeit, einen neuen Wirt zu suchen. Sein Blick glitt über die rußbedeckten Felsen und gewahrte auch schon bald eine huschende Bewegung. Eigentlich bewegte es sich überall in den Schatten der Steine. Sardak grinste. Da waren sie ja, die feisten Biester. Für die Menschlichen mochte es die Hölle hier sein – für die Ratten war es das Paradies. Zu Hunderten hausten sie in den Nischen und Höhlen der Felsen nahe den Feuern und fraßen, was die Geißelmetzger nicht mehr verwerten konnten. So unterschiedlich sie in ihrer Größe auch waren- einige kamen fast an eine ausgewachsene Hauskatze heran – so hatten sie doch eines gemein: Sie waren allesamt unglaublich fett.

Sardak spähte ein kleineres, nicht ganz so kugeliges Exemplar aus und konzentrierte sich. Als er sich aus dem Geist der Gargyle zurückzog wurde es für einen Moment schwarz um ihn, ein dunkler Wirbel in einem bodenlosen Nichts, die kaum wahrnehmbare Präsenz der Ratte nicht mehr als ein schwach aufglühender Funke im endlosen Schlund der Schatten. Dieser kurz aufglimmende Funke reichte Sardak. Mit unfehlbarer Sicherheit griff sein Geist zu.

Von einem Wirt zum nächsten zu wechseln ohne zwischendurch in den eigenen Körper zurückzukehren galt als schwierigste Disziplin in der Tierbeherrschung überhaupt. Nicht wenige angehende Druiden waren bei dem Versuch gescheitert und wahnsinnig geworden, da ein Teil ihres Geistes den Sprung nicht schaffte und beim ersten Wirtstier verblieb. Malfurion hatte oft genug gewitzelt, daß es wohl Sardaks grenzenlosem Ego geschuldet sei, daß er mit Leichtigkeit das schaffte, was andere schon in die Umnachtung getrieben hatte.

Abrupt hörte das Fallen auf und beinahe schmerzhaft spürte Sardak die Enge des kleinen Rattengehirns. Hatte er sich soeben unendlich frei und groß gefüllt, so war er jetzt eingepfercht in den plumpen Körper einer fetten Ratte und die schwammige, farblose Sicht der kleinen Äuglein ermöglichte ihm kaum, das Aquädukt noch wahrzunehmen. Aber er roch es. Der Duft von frischem, dampfendem Wasser drang durch den penetranten Fäulnis- und Schmorgestank, der ihn jetzt um ein vielfaches intensiver umgab. Er mußte sehr an sich halten, um sich nicht zu übergeben. Beinahe wehmütig lauschte er kurz dem Klang des Gargylen- Schreis, als sein vorheriger Wirt langsam in die Ferne entschwebte.

Dann aber setzte er sich rasch in Bewegung und huschte auf kleinen, trippelnden Pfoten hinab zum Aquädukt. Sie hatte bereits einen guten Vorsprung, würde aber in der Wasserrinne aufgrund ihrer Größe nicht so schnell vorwärtskommen wie er.

Am Ende des Wasserlaufs sah er sie dann auch. Ganz offensichtlich hatte sie ein Seil in der Nähe der Durchlaßöffnung befestigt und stieg nun vorsichtig hinaus. Er wartete. In seiner Vorstellung sah er sie, wie sie sich langsam die Mauer an der Zisterne hinabließ und zählte.

Jetzt mußte sie soweit hinabgeglitten sein, daß sie ihn nicht mehr wahrnehmen würde. Schnell hatte er die Öffnung erreicht und spähte vorsichtig über den Auslaß hinaus, nahm hektisch schnuppernd seine Umgebung war. Es roch nach Eis, Fäulnis und Tod. Die Elfe konnte er nicht wahrnehmen, rostige Rüstungsteile und die schmierige Decke überlagerten ihren Geruch vollständig. Sehen konnte er sie auch nur noch schemenhaft aus der Höhe, die Augen einer Ratte waren wahrlich nicht auf Weitsicht ausgelegt. Aber er wußte ja, wo sie hinwollte und beobachtete das Schemen des Mädchens den Weg hinab entschwinden.

Er inspizierte das Seil. Es war lang genug für eine Elfe aber entschieden zu kurz für einen Nager. Kletterte er ganz hinab um von dort einen Sprung auf den Korridor zu wagen, lief er große Gefahr, daß dies mißlang und er in das sprudelnde Wasser der unten offenen Zisterne stürzte. Er sah sich um. Die Bögen des hohen Kreuzgewölbes oberhalb des Korridors endeten auf totenkopfähnlichen Sockeln, die wiederum auf einem kleinen Vorsprung standen. Dieser Sims würde ihn zwar ein gutes Stück in entgegengesetzter Richtung den Korridor hinaufführen, aber dort würde sich mit Sicherheit eine Gelegenheit finden, ganz hinabklettern zu können. Und da er im Gegensatz zu Niamanee genau wußte, wo Arthas Bolvar Fordragon in der Feste gefangen hielt, würde er diesen Umweg entspannt in Kauf nehmen können und sie dennoch wieder rechtzeitig einholen. Falls nicht sogar bereits etwas anderes sie aufgehalten hatte. Mittlerweile spürte er eine gewisse Spannung in sich aufsteigen- die Tatsache, daß das Mädchen es soweit geschafft hatte und vermutlich noch weiterkommen würde empfand er als ausgesprochen faszinierend. Vielleicht steckte ja doch weitaus mehr dahinter und das Gefühl, einer ziemlich großen Sache auf der Spur zu sein verstärkte sich immer mehr.

Es war ein etwas hakeliges Unterfangen, den prallen Rattenkörper das Seil hinab zu manövrieren, aber das kurze Stück war schnell geschafft und schnell huschte er den Sims entlang zur nächstbesten Möglichkeit, ganz hinabzuklettern. Die nur leider nicht kam.

Unterhalb des Simses waren die großen Granitquader der Wand geradezu nahtlos aneinandergefügt und die Säulen, die unterhalb der Kreuzbogensockel zu Boden führten waren rund und glatt. Allmählich wurde er nervös- sein Umweg führte ihn immer weiter in die entgegengesetzte Richtung und es sah nicht so aus, als ob es sich in absehbarer Zeit ändern würde. Er näherte sich immer mehr der Haupthalle.

In unregelmäßigen Abständen schepperten unterhalb von ihm immer wieder kleine Wachtrupps entlang, gelegentlich wankte ein größeres Schemen in ihrer Mitte mit. Auch wenn er es nur verschwommen wahrnahm, wo wußte er doch, daß es eine dieser zusammengeflickten Abnormitäten war, die den Fleischwerken entsprangen. Widerliche, zähe Gegner, denen selbst er lieber aus dem Weg ging. Den Geräuschen nach war es in der Haupthalle sehr belebt und für einen Moment überlegte er, ob es nicht besser sei, wieder umzudrehen und den Sprung über die Zisterne zu wagen. Dann hörte er die Stimme. Seine Stimme.

„Was bringt ihr mir?“

Jetzt war es wirklich an der Zeit, umzukehren!

„Ich habe die Angriffspläne, Meister!“

Abrupt hielt er inne. Er kannte diese Stimme. Nur allzugut kannte er diesen Klang. Das konnte doch nicht wahr sein! Er mußte näher heran, er mußte sicher sein, daß er sich nicht geirrt hatte! Licht fiel ihm aus der Haupthalle entgegen und warf einen Schatten auf das Gesims. Das war gut, so würde niemand die kleine fette Ratte in der Höhe bemerken. Hastig trippelte er weiter vor. Das Licht kam näher.

Ein greller Blitz war das letzte was er sah bevor eine donnernde Explosion in seinem Kopf ihn in die Dunkelheit riß.



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