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Pirates Must Dream, Birds Must Fly

Marco x Genderbender!Ace
von

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Part II – Birds Must Fly

I

Die Sonne brannte auf sie herab und brach sich auf dem schwarzen Lack von Annes Striker. Dazu flimmerte die Luft um sie herum und egal in welche Richtung Marco blickte, er sah nur gelben Sand – und das schon seit Stunden. Er zog sich bis zum Horizont, wo Gelb in stechend Blau überging. Nicht eine Wolke hing am Himmel, so dass selbst einige Kakteen, an denen sie vorbeibrausten, aussahen als würden sie jede Minute verdorrt zur Seite kippen. Wann hatte es in dieser Gegend das letzte Mal geregnet?

„Hast du jemals von Nebelin gehört, Anne?“, zerbrach Marco das anhaltende Schweigen zwischen ihnen, das nur von den monotonen Geräuschen des Motors begleitet worden war.

„Nein, nie“, erwiderte diese ungeniert. Manchmal war Anne so offen und locker und bei bestimmten Themen wiederum verschlossen und wütend, dass sie in seinen Augen ein laufendes Paradox darstellte. Ob sie sich dessen bewusst war?

„Ist das der Grund, warum du nach Logue Town musst?“

„Ja“, erwiderte er, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. Eigentlich hatte er nicht erwartet, dass Anne jemals von diesem Zeug gehört hatte und eigentlich brauchte er es ihr auch nicht erklären. „Es ist ein Pulver, das Regen erzeugen kann. Eigentlich klaut es viel mehr die Regenwolken einer benachbarten Region. Wo ich herkomme, haben wir Chemiker, die dieses Zeug ziemlich konzentriert und pur herstellen können. Obwohl es von den Regierungen verboten worden ist.“

„Verstehe...“, erwiderte Anne lediglich, ihr Blick fest auf den Sand vor ihnen gerechnet. Nur ab und an warf sie einen Blick auf die Nadel ihres Kompass, den sie am Handgelenk trug.

„Also kauft es dir jemand ab. Deswegen bist du hier.“ Es war eine simple Feststellung, die Annes Meinung darüber außen vor ließ. Wahrscheinlich fand sie es falsch. Das war zumindest, was Marco annahm, obwohl es ihm genauso gut egal sein konnte, was sie darüber dachte.

„Nicht sehr edel, eh?“

„Du wirst schon deine Gründe haben“, war alles, was Anne erwiderte. In Marcos Ohren klang es so, als wollte sie ihm sagen, dass er trotzdem ein guter Kerl war, was ihn die Stirn runzeln ließ.

In der Zwischenzeit hatte sich die Silhouette einer Stadt in der Ferne aufgebaut. Mit jedem vergehenden Kilometer wurde sie größer und wuchs sie in die Höhe. Im Gegensatz zu Windmill Village hatte sie höhere Häuser und stand auf einem asphaltierten Boden. Auf diesen fuhren sie wenige Minuten später auf und düsten mit reduzierter Geschwindigkeit durch die Straßen, die noch belebter waren als die im Dorf.

„Das Spiders Café ist ganz in der Nähe“, bemerkte Anne, als sie in eine verlassene Gasse einbog. Nachdem sie diese durchquert hatten, fixierte Marcos Blick auch schon das violette Schild, das diesen Namen trug. Das Schild hatte die Form eines Fisches, auf dem jedoch eine Spinne abgebildet war.

Ohne weitere Umschweife parkte Anne das Motorrad nahe des Eingangs und neben einigen anderen Maschinen und einer Kutsche, vor die zwei Pferde gespannt waren. Marcos Hand wanderte automatisch zu dem Tütchen in seiner Hosentasche, obwohl er natürlich wusste, dass er das Nebelin dabei hatte.

Anschließend trat er von Anne gefolgt ins Innere des Ladens. Auch hier herrschte reges Treiben. Bis auf wenige Tischen waren alle von einer schnatternden Menge besetzt, über die Marco nun seinen Blick schweifen ließ.

„Wie sieht deine Kontaktperson aus?“, fragte Anne von der Seite, doch er konnte nur mit den Schultern zucken. Er hatte keine Ahnung, schließlich kannte er nur den Decknamen der Frau, die er treffen sollte.

Kurz blieb sein Blick an der Barkeeperin hinter dem Tresen hängen, die ihn durch ihre Brille mit ihren Augen durchbohrte. Ihr welliges, dunkles Haar war zu einem Zopf zusammengebunden und hatte dieselbe Farbe wie ihre Schürze. War das Miss Bloody Sunday? Er wollte sie schon ansteuern, als eine Hand sich auf seine Schulter legte und seinen Kopf zur Seite rucken ließ.

„Ich hatte angenommen, du kommst alleine...“, sagte die schwarzhaarige Frau, die zu ihnen getreten war. Miss Bloody Sunday hätte genauso gut mitten aus dem Nichts auftauchen können, Marco hatte sie nicht bemerkt. Und das, obwohl sie ziemlich extravagant gekleidet war mit ihrem weißen Mantel und dem Cowboyhut. Darunter trug sie nur ein knappes Oberteil und einen Minirock. Die Frauen wurden aber auch immer freizügiger, wurde Marco abermals klar.

„Das ist meine Partnerin“, log er und zuckte mit den Schultern. Seine Gegenüber schmunzelte nur, als sie Anne in Augenschein nahm. Dann nickte sie jedoch sachte und wandte sich zum Gehen. „Wenn das so ist, folgt mir.“
 


 

II

Die Kutsche vor der Tür des Spiders Café brachte sie in einen anderen Teil von Logue Town. Einen, wo Läden die Passage füllten und die Häuser aus Stein statt Holz gebaut worden waren. Auch die Menschen, die hier auf den Straßen unterwegs waren, trugen feinere Kleidung, was darauf schließen ließ, dass sie im Regierungsviertel der Stadt sein mussten. Anne war noch nie hier gewesen, obwohl sie vergleichsweise oft nach Logue Town kam.

„Ich hatte schon angenommen, du würdest unsere Verabredung nicht einhalten“, entrann es Miss Bloody Sunday inzwischen. Ein anzüglicher Ton lag in ihrer Stimme verborgen, den Marco jedoch nur mit dem Heben einer Augenbraue quittierte.

Anne lehnte sich derweil weiter in den Sitz zurück.

„Es hat ein paar unvorhergesehene Komplikationen gegeben.“

Die Frau auf der Sitzbank Marco und ihr gegenüber legte den Kopf etwas zur Seite, die Arme noch immer vor der üppigen Brust verschränkt.

„Ich hoffe, dass das nicht unseren kleinen Deal beeinflusst“, erwiderte sie, ehe sie den Blick aus dem Fenster lenkte und die an ihnen vorbeifliegende Straße betrachtete.

Dass Marco nicht antwortete, ignorierte sie, während es Anne sagte, dass da etwas im Busch war. Beeinflusste sein Absturz den Deal? Ein ungutes Gefühl schlich in ihr hoch, das sie jedoch sogleich in den Hintergrund ihrer Gedankenwelt schob. Ändern konnte sie es jetzt sowieso nicht mehr. Was passierte, passierte eben.

Sie wechselten kein Wort mehr, bis sie ihr Zielort erreicht hatten. Dieser stellte sich als die Rückseite des Rathauses heraus. Von Dadan, die gelesene Zeitungsartikel stets lautstark kommentierte, wusste Anne, dass in wenigen Wochen eine neue Bürgermeisterwahl stattfinden würde. Allerdings hatte sie nicht einmal einen Schimmer, wer gerade das Sagen über die Stadt hatte. Regierungen, egal welcher Art, waren sowieso korrupt. Das einfache Volk konnte ihr nicht vertrauen und musste letztendlich sehen, wo es blieb. Wenn Leben so toll gewesen wäre, würden Dadan und ihre Jungs auch nicht Rauben, um über die Runden zu kommen und ständig Ärger mit dem Gesetz haben, so dass Garp, ihr Großvater und Gesetzeshüter der Gegend, sie ständig heraushauen musste. Zwar hatte Anne nichts für Räuber und Diebe übrig, aber das spielte hierbei keine Rolle.

„Wir sind angekommen“, bemerkte die ältere Frau mit einem Lächeln, ehe ihr Fahrer die Tür bereits aufzog und sie ausstieg.

Bei allem was sie tat, besaß sie eine Eleganz, die Anne fehlte und sie unwillkürlich fragen ließ, ob das die Art Frau war, die den blonden Piraten ansprach. Anderseits würde es Anne nichts ausmachen, obwohl sie sich nicht einredete, dass sie gänzlich uninteressiert an ihm war. Nein, Marco hatte das gewisse Etwas, das sie einfach anzog.

Dieser ließ ihr den Vortritt beim Aussteigen und gemeinsam folgten sie Miss Bloody Sunday ins Innere des Backsteingebäudes. Dieses war mit verzierten Säulen und feinen Teppichen gefüllt, so dass selbst Anne, die eigentlich nicht an materialistischen Dingen interessiert war, sich gespannt umsah. Aber es war auch nicht alle Tage, dass die Schwarzhaarige solche Orte besuchte.

Miss Bloody Sunday führte sie eine lange Treppe hoch und in ein Konferenzzimmer hinein. Dieses hatte eine breite Fensterfront, die auf die Stadt hinaussah und einen langen Tisch mit mehreren gepolsterten Stühlen. Und es war leer.

Verloren standen Marco und Anne im Raum, was ihre Gegenüber zunächst mit einem schmalen Lächeln bedachte.

„Macht es euch bequem“, sagte sie dann und wandte sich auf dem Absatz ihrer Stiefel um, eine Hand bereits an der Klinke der Tür. „Man wird sich gleich um euch kümmern.“ Mit diesen Worten zog sie jene zu und es herrschte Stille, nur erfüllt mit sich entfernenden Schritten.

„Was ist dein Problem, huh?“, entrann es Anne, als sie sich auf den nächstbesten Stuhl niederließ.

Marco war nicht ganz so gelassen. Sein Gesicht mochte von Desinteresse sprechen, aber seine Haltung war angespannt, das konnte Anne ganz genau sehen.

„Was meinst du?“, stellte Marco jedoch die Gegenfrage, als er sich an die andere Tischseite setzte. „Seh’ ich aus, als hätte ich ein Problem?“ Einer seiner Mundwinkel zog sich in einem faulen Grinsen in die Höhe und Anne schnaubte belustigt.

Glaubte er wirklich, dass er sie auf den Arm nehmen konnte?
 


 

III

Marco konnte im Nachhinein nicht sagen, wie lange sie gewartet hatten. Wie lange Anne und er schweigend im Konferenzzimmer gesessen und einander immer wieder angesehen hatten. Er wusste nicht, wie es Anne erging, aber sein Blick kehrte ganz von alleine zu ihr zurück. Seine Augen fanden sie immer wieder, obgleich er sich zwang aus dem Fenster zu schauen. Kein Wunder, er war letztendlich auch nur ein Mann mit gewissen Bedürfnissen. Und hier saß ihm eine gutaussehende Frau gegenüber, die ihn mit ihren Blicken wieder und wieder triezte und ihn stumm herausforderte. Genau das war es! Er las Provokation in ihren Augen und wusste nicht, worauf sie beruhte. Wollte sie ihn? Oder flirtete sie nur aus Spaß mit ihm? Marco konnte es nicht genau sagen, obgleich er sonst eine gute Beobachtungsgabe besaß. Doch Anne entzog sich dieser gekonnt, versteckte ihre Gefühle hinter einem sonnigen Grinsen, das viel zu echt für sie wirkte. Jemand in ihrem Alter sollte diese Kunst noch nicht so perfekt beherrschen.

Als sich ihre Blicke abermals trafen, einander hielten, war der Blonde drauf und dran etwas zu sagen.

Im selben Moment, in dem er den Mund öffnete, ertönten jedoch Schritte draußen im Gang. Keine Sekunde später wurde die Tür geöffnet und Miss Bloody Sunday trat erneut ein. Im Schlepptau eine weitere Frau, deren Erscheinungsbild alleine Respekt einflösste, ehe auch nur ein Wort über ihre Lippen gekommen war. Sie schenkte ihnen ein kaltes Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte und die Narbe, die sich quer über ihr Gesicht zog, verzerrte. Dann nahm sie die Zigarre aus dem Mundwinkel, um sie zwischen ihren beringten Fingern zu halten.

„Hast du meine Ware?“, brachte sie gleich auf den Punkt. Als Marco daraufhin das Tütchen mit Nebelin aus seiner Jeanstasche zog, hob sie den Arm mit der fehlenden Hand, die mit einem vergoldeten Harken ersetzt worden war, und signalisierte ihrer Untergebenen.

Diese stellte die kleine Waage, die sie mitgebracht hatte, neben Marco und Anne auf den Tisch.

„Bist du überrascht, Sohn von Whitebeard?“, richtige die Schwarzhaarige das Wort an Marco, während Miss Bloody Sunday ihm das Tütchen abnahm und es sich genauer ansah.

„Eh? Dass die Bürgermeisterin von Logue Town kurz vor den Wahlen Nebelin kauft?“, fragte er desinteressiert und stützte den Arm auf dem Tisch ab, um das Kinn auf die Handfläche legen zu können. „Nein, eigentlich nicht. Ich seh’ da durchaus eine Verbindung, Crocodile.“ Damit erntete er ein Schmunzeln, das so kalt wie der Winter auf offenem Ozean war.

„Schlaues Kerlchen.“ Mit ruhigen Schritten trat Crocodile ebenfalls an den Tisch heran, setzte sich jedoch an das entfernte Kopfende. Dort schlug sie die Beine übereinander und rauchte schweigend.

Anne starrte Marco an, anstatt die anderen beiden Frauen. Dieser spürte ihren Blick deutlich auf seiner Haut brennen, während seine eigenen Augen auf die Waage fixiert waren.

„Es ist eindeutig Nebelin“, erklärte Miss Bloody Sunday schließlich. „Allerdings fehlen einige Milligramm. Das ist nicht die abgemachte Menge.“

„Nicht die abgemachte Menge also, hm...“, kam es derweil von Crocodile. Nachdenklich, bedrohlich ruhig, was ihre Namensgebung erklärte. Sie lauerte auf den richtigen Moment, auf die richtige Sekunde, um ihr ausgewähltes Opfer in Stücke reißen zu können.

„Bei einem Unfall hat die richtige Tüte einen Riss bekommen“, erklärte Marco ohne eine Emotion durchscheinen zu lassen. In diesem Business war das tödlicher, als einen Fehler zu begehen. Gefühle waren gefundenes Fressen und wurden ruchlos ausgenutzt. „Ich hab’ so viel von dem Nebelin gerettet, wie es mir möglich war.“ Der Blick seiner Gegenüber war durchdringend, doch dann nickte sie, als würde sie verstehen. Garantiert war es nichts weiter als eine Show! Nichts weiter, als ihn in Sicherheit zu wiegen, doch das würde bei ihm nicht funktionieren. Er hatte mindestens genauso viel Erfahrung in dieser Branche wie die Frau vor ihm.

„Du hast ein ehrliches Gesicht“, bemerkte sie und zog an ihrer Zigarre. Der Rauch schlängelte sich in die Höhe, um dann als blauer Dunst in der Luft zu hängen. Ihre Augen, die einen Moment noch auf ihm lagen, ruhten im nächsten auf Anne, die dem Ganzen schweigend beigewohnt hatte. „Mit einer niedlichen Freundin.“

Anne hob die Brauen, als sie Crocodiles Blick erwiderte. Als Marco sie ansah, war er sich sicher, dass ihr ein paar harsche Kommentare zu diesen Worten auf der Zunge lagen. Gleichzeitig wurde ihm jedoch noch etwas anderes bewusst.

„Sie ist niemand!“, warf er ein, etwas zu rasch vielleicht, konnte man dem wissenden Lächeln auf Crocodiles Lippen Glauben schenken.

Anne bedachte ihn dagegen mit einem Blick, der sie aussehen ließ wie ein schmollendes Kind.

„Sie ist ein Rookie, der lernen soll, wie das Business läuft. Nicht mehr und auch nicht weniger.“

Crocodile ließ es darauf beruhen und schnipste stattdessen, woraufhin Miss Bloody Sunday an das riesige Panoramabild herantrat, das auf der gegenüberliegenden Seite der Fensterfront hing. Sie klappte es beiseite und öffnete den Safe dahinter.

„Diesmal lass’ ich euch davon kommen und ziehe lediglich ein bisschen Geld ab“, bemerkte ihre Chefin inzwischen und lehnte sich entspannt auf ihrem Stuhl zurück. „Aber nächstes Mal werde ich nicht mehr so freundlich sein. Merk’ dir das und richte das Whitebeard aus. Ein weiteres Mal sehe ich das als persönliche Beleidigung an.“

„Für gewöhnlich sind unsere Lieferungen einwandfrei“, war alles, was Marco erwiderte, als Miss Bloody Sunday den Safe im Hintergrund schloss.

„So sagen die Gerüchte zumindest...“, bemerkte Crocodile, ihre Stimme mit Spott erfüllt.

Marco verbiss sich jeglichen Kommentar, als er das Geld von der schwarzhaarigen Frau entgegennahm.

„Zeig’ ihnen den Ausgang, Miss Bloody Sunday. Ich habe noch Geschäfte zu erledigen und kann nicht den ganzen Tag mit euch Smalltalk halten. Nicht einmal, wenn ich wollte.“
 


 

IV

„Bist du sauer?“

Anne hatte schon auf diese Frage gewartet, nachdem Marco sie einige Zeit bereits von der Seite angesehen hatte. In dieser Hinsicht war er berechenbar, obgleich er eigentlich eine private Person zu sein schien.

„Nein...“, erwiderte sie monoton. Ihr Blick war stur geradeaus gerichtet, als sie einer der sauberen Straßen folgten, von der Marco der Meinung war, dass es sie aus dem Regierungsviertel und zurück zum Spiders Café bringen würde.

Dessen Schweigen sagte ihr unterdessen, dass er ihr nicht glaubte. Dabei ging es überhaupt nicht darum! Sie war nicht sauer. Nicht wirklich, nur war es mal wieder ernüchternd gewesen, diese Worte aus dem Mund eines anderen zu hören. Es war schließlich bei weitem nicht das erste Mal.

„Ich hab’s nicht gemeint“, erklärte Marco, als hätte er ihren Gedanken gelesen. Dann wandte er die Augen von ihr ab, während zwei Pferde an ihnen vorbei ritten, ihre Hufe auf dem grauen Asphalt laut und schallend. „Du bist kein Niemand. Aber Leute wie Crocodile warten nur darauf, dass man Emotionen zeigt, die zu ihren Gunsten ausnutzen können. Egal wie tief oder oberflächlich sie sein mögen.“

Diesmal war es an Anne zu schweigen, als sie ihre Hände in ihre Hosentaschen schob. Allerdings zog sich ein Mundwinkel kaum merklich in die Höhe. Marco musste sich nicht erklären, sie kannten sich schließlich kaum und eine Bindung gab es zwischen ihnen auch nicht. Trotzdem verriet die belegte Tonlage ihr, dass er es ernst meinte. Es ließ das beklemmende Gefühl in ihrer Brust schwinden.

„Wir werden übrigens verfolgt...“, fügte Marco hinzu, als sei es das Natürlichste auf der Welt, einen Stalker auf den Fersen zu haben.

„Du wusstest, dass Crocodile uns jemand auf den Hals hetzt“, wurde Anne klar. Sie drehte sich nicht um, sondern schlenderte auch weiterhin einfach neben Marco her.

Auf dessen Lippen lag abermals ein schmales Grinsen, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte.

„Sagen wir, dass ich nicht sonderlich überrascht bin“, meinte er, ehe sein Gesichtsausdruck ernst und hart wurde. „Wenn ich nicht aufgetaucht wäre, hätte sie garantiert einen Feldzug gegen Paps gestartet. So aber wird sie sich damit zufrieden geben, einen von uns zu töten, damit der andere ihre Warnung an Paps weitergibt.“

Es war nicht schwer, die Sachen zu erraten, die Marco nicht äußerte. Zum Beispiel, dass sie hinter ihrem Kopf her waren und nicht hinter Marcos. Sie wollten an ihr ein Exempel statuieren, deswegen hatte er diese verletzenden Dinge gesagt.

Am liebsten hätte sich Anne eine Hand vor die Stirn geschlagen für ihre eigene Dummheit und dafür, dass sie es nicht früher verstanden hatte.

„Dann trennen wir uns einfach und lauern ihm auf!“, schlug Anne zähneknirschend vor. „Angriff ist die beste Verteidigung!“

„Das wäre Selbstmord.“ Marcos durchdringender Blick streifte sie, doch sie hütete sich davor ihn zu erwidern. Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Wir müssen nur dein Motorrad erreichen. Ich glaube nicht, dass sie uns über die Grenzen von Logue Town folgen werden.“

„Ich renne niemals weg!“, beharrte Anne und hielt abrupt in ihrem Gang inne.

Marco packte sie am Oberarm, zog sie hinter sich her und um die Straßenecke herum. Dort presste er sie kurzerhand gegen die Außenwand des Hauses. Einige vorbeilaufende Leute warfen ihnen Blicke zu, aber letztendlich kümmerte sich doch jeder um sich selbst.

Marcos Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren, doch von der Vertrautheit, die seit ihrem Treffen zwischen ihnen geherrscht hatte, war keine Spur mehr.

„Du wirst hier nicht sterben!“, war alles, was er sagte. Anschließend zog er sie weiter.

Das Regierungsviertel hatten sie längst verlassen. Der Unterschied war gravierend und doch fühlte sich Anne unter den einfacheren Leuten wohler. Sie mischten sich unter sie, drängten sich durch eine kleine Menschenmasse hindurch und reihten sich in eine andere ein. Zwischendrin warf Anne einen Blick über ihre Schulter zurück und traf die Augen eines Mannes, der sie fixiert hatte.

Er war größer als Marco und seine hellgrauen Haare standen im starken Kontrast zu seiner dunklen Hautfarbe. Mit langen, ruhigen Schritten folgte er ihnen, und Anne konnte den Killerinstinkt in seinem Gesicht ablesen.

Als er mit ihnen aufzuholen begann, rutschte Marcos Hand Annes Arm herunter und umfasste ihr Gelenk. Perplex starrte sie ihn an, als er im nächsten Moment losrannte und sie in eine schmale Häusergasse hineinzog.

Ihre Schritte halten von den Wänden wieder, genauso wie der erste fallende Schuss. Sie duckten sich hinter einigen Holzkisten hinweg und Marco zog den Revolver aus seinem Gürtel. Er schoss zurück, doch anstatt dass ihr Gegenüber in Deckung ging, schritt er auch weiterhin auf sie zu. Kugeln flogen über sie hinweg, hallten laut in Annes Ohren und schlugen um sie herum ein. Eine erwischte Marco, so dass die Waffe aus seiner Hand fiel und über den Boden schlitterte.

Instinktiv griff Anne danach. Sie feuerte einmal auf ihren Verfolger, dann richtete sie die Waffe auf das Schloss an der Tür, die sich wenige Meter von ihnen entfernt befand. Sie traf haargenau, so dass es klirrend zu Boden fiel. Ihre Augen fanden Marcos, der sich seinen Oberarm hielt.

Während Anne auch noch die restlichen Patronen verfeuerte, rannten sie gemeinsam geduckt zur Tür herüber und verschwanden im Inneren. Es sah aus wie irgendein Hinterzimmer, mit gestapelten Kisten und zugestellten Regalen.

Anne zog einen Stuhl vor die Tür, was es unmöglich machte, die Klinke herunterzudrücken. Dann folgte sie Marco aus einer anderen heraus und den Gang herunter, wobei ihr Blick auf dessen blutenden Arm fiel.

„Alles in Ordnung, Marco?“

„Ja, ist nur ein Streifschuss“, erwiderte er leise.

Jener Gang führte unterdessen in einen offenen Raum, der sich als ein Laden für Kleidung herausstellte. Die Angestellte hinter der Theke war in einem Gespräch mit einer Kundin verwickelt, so dass sich beide unbemerkt zwischen den einzelnen Ständern mit Mänteln und Kleidern hindurchschlängeln konnten.

Sie verließen den Laden mit hektischen Schritten, um daraufhin die Passage herunterzurennen. Bis zum Spiders Café war es ein Katzensprung, wo sie auf Annes Striker sprangen und beim Losfahren beinahe einen alten Mann mit seinem Kamel umfuhren, der meckernd hinter ihnen zurückblieb.
 


 

V

„Hast du denn keinen Reservekanister für Fälle wie diesen?“, fuhr Marco Anne an. Er ging ein paar Schritte und besah sich den Himmel, an dem die Sonne mittlerweile beinahe vollständig untergegangen war, und die flache Ebene, die keinen Ort, sondern nur Wildnis zeigte soweit das Auge reichte.

„Wo denn?“, konterte Anne, die inzwischen gegen ihr Motorrad gelehnt stand. Dieses hatte vor wenigen Minuten den Geist aufgegeben, weil der Sprit aufgebraucht war. „In der Hosentasche vielleicht? Willst du mal nachsehen, hm?“

Marco warf ihr einen angepissten Blick entgegen, ehe er sich im Sand niederließ. Zwar hatte er einen Teil seines Hemdes abgerissen, um damit die Wunde an seinem Arm abzubinden, doch der Blutverlust machte sich dennoch bemerkbar. Es war nicht das erste Mal, dass er verletzt war, weshalb er die Symptome erkannte.

Auch Anne schien zu sehen, dass es ihm schon mal besser gegangen war, als sie sich von ihrer Maschine abstieß und ihn musterte. „Wir bleiben einfach über Nacht hier. Morgen können wir uns dann immer noch überlegen, wie wir zurückkommen.“

„Ach, und was ist mit dem Zeug, das hier nachts rauskommt und mit dem ich keine Bekanntschaft machen will?“, gab Marco zu bedenken, woraufhin Anne jedoch nur grinste. Dann stiefelte sie bereits zu einigen Büschel irgendeiner Pflanzeart herüber, die an einem staubtrockenen Ort wie diesen nur Gott wusste wie wachsen konnte. Mit ihrem Jagdmesser schnitt sie diese ab und brachte sie herüber, um sie in einer Mulde in den Sand zu legen. Danach fischte sie eine Packung Streichhölzer aus der Hosentasche und entzündete sie. Feuer begann zu knistern und vertrieb wenigstens ein bisschen die aufgekommene Kälte.

Marco beobachtete Anne bei ihrem Tun. Sie war unabhängig, weshalb es ihn wunderte, dass sie sich mit einem Leben unter Wüstenräubern zufrieden gab. Hatte sie denn keine Träume zu verfolgen? Den Drang, mehr von der Welt zu sehen als nur diese Wüste? Mehr zu erleben, als heiße Tage und eiskalte Nächte?

Inzwischen entfernte sich Anne wieder von der Feuerstelle, schnitt sich einen Stock zurecht, der ebenfalls von dem Gewächs stammte und begann mit ihren Stiefeln herumliegende Steine umzukippen.

Eine Überlebenskünstlerin, schoss es Marco durch den Kopf.

„Abendessen!“, entrann es dieser, als ein weiterer zur Seite geworfener Stein eine kleine Schlange enthüllte. Mit einer schnellen Bewegung spießte Anne den Kopf mit dem Stock auf, um ihn danach mit ihrem Messer abzutrennen.

„Bist du sicher, dass man die essen kann?“, fragte Marco von seinem Platz am Feuer skeptisch, doch Anne lachte nur leise auf.

„Hat der große Marco etwa Angst vor Schlangen?“, stichelte sie, als sie herüberkam und das Tier zu häuten begann. „Keine Sorge, sie ist ungiftig und ihr Fleisch schmeckt gar nicht so schlecht. Ehrlich.“

Marco konnte das nicht recht glauben, aber hatte letztendlich keine große Wahl, denn selbst sein Magen knurrte inzwischen. So sah er stumm zu, wie Anne alles bis auf das Fleisch im Sand vergrub und den Rest anschließend auf den Stock gespießt ans Feuer in den Sand steckte.

„Bist du glücklich hier?“, erhob Marco schließlich noch mal die Stimme. Er lag auf der Seite und stützte das Kinn faul auf der Handfläche ab.

Auf seine Worte hin sah Anne fragend auf und das Feuer warf tanzende Schatten auf ihr Gesicht.

Eine ganze Zeit lang hing Stille in der Luft, dass Marco glatt den Eindruck bekam, dass er mit seiner Frage zu weit gegangen war. Noch mehr, als Anne den Blick wieder auf die Flammen senkte.

„Es ist Heimat...“, erklärte sie irgendwann schulternzuckend, das Grinsen schon lange aus ihrem Gesicht gewischt. „Keine besonders tolle vielleicht, aber trotzdem Heimat. Aber seit ich denken kann, träum’ ich trotzdem davon hier wegzugehen.“

„Warum tust du es denn nicht? Wegen deinem Bruder?“ Auf die Erwähnung von Ruffy verzogen sich Annes Lippen doch zu einem Lächeln.

„Ganz ehrlich?“, entrann es ihr. „Eigentlich nicht. Wir haben uns ja versprochen, beide hier abzuhauen und die Welt zu sehen. Ich weiß nicht mal, warum ich noch hier bin.“

Daraufhin herrschte abermals Schweigen zwischen ihnen, während Marco mit sich haderte, den Gedanken, der ihm auf der Zunge lag, auszusprechen oder es sein zu lassen. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn er den Mund hielt. Schließlich kannten sie sich gerade mal einen einzigen Tag und waren sowieso von Grund auf verschieden. Marco bezweifelte sogar, dass es größere Gegensätze gab.

„Warum kommst du nicht mit mir?“, fragte er trotzdem und Anne warf ihm einen spöttischen Blick an den Kopf, so dass er die Röte seinen Nacken hinaufkriechen spürte.

„Deine Maschine hat nur einen Sitz“, bemerkte sie dann – und obwohl sie es nicht sagte, wusste er längst, dass es eine Ablehnung war. Anne war eben doch wie der Wind. Man konnte mit ihr fliegen, sie aber nicht einfangen. Sie war wie das Feuer, das zwischen ihnen knisterte und sich dem schwarzen Himmel entgegenstreckte. Sie war Wind und Feuer zugleich. Sie trieb sich selbst an, weswegen Marco keine Chance hatte, mit ihr mitzuhalten. Und dabei war er noch nicht einmal ein Kerl, der alles anmachte, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Nein, viel eher einer, der sich von eine unter Hunderten angezogen fühlte, die jedoch außerhalb seiner Reichweite lag. Das hatte ihn gedanklich den Kopf schütteln...

„Du kannst auf meinem Schoß sitzen“, erwiderte er jedoch trocken.

„Du meinst wohl, du kannst auf meinem Schoß sitzen.“

Ihre Blicke hielten einander noch für eine lange Zeit.

„Weißt du, Sabo... Er war nicht irgendjemand. Er stammte aus Logue Town und war der Sohn einer ziemlich angesehenen Familie. Als er von zu Hause abgehauen und bei uns aufgetaucht ist, hab’ ich ihn in meinem Zimmer versteckt.“ Anne lachte über diese Erinnerung leise auf und Marco gab sich damit zufrieden ihr zu zuhören. „Er wollte weg aus East Sand und wir haben beschlossen zusammen zu gehen, aber bevor wir diesen Traum verwirklichen konnten, ist er von den Typen, von den er mal Essen gestohlen hat, erschossen worden.“

„Und er war mehr als nur ein Freund...“, beantwortete Marco seine eigene Frage und Anne nickte.

„Was ich meine ist, dass ich immer noch die Welt sehen will, aber dass ich es aus eigener Kraft tun muss.“

„Dann sehen wir uns sicher noch mal“, antwortete Marco. „Man sieht sich schließlich mindestens zweimal im Leben.“
 


 

VI

Es war später Nachmittag, als sie Dadans Haus erreichten. Es war sowieso ein Wunder gewesen, dass überhaupt jemand vorbeigekommen war, als sie heute morgen der Kompassnadel durch die Wüste gefolgt waren. Mehr schleppend als alles andere. Dass es sich dabei auch noch um einen Kamelhändler gehandelt hatte, dem Marco mit einem Teilbetrag von Crocodiles Geld zwei Tiere abkaufen konnte, war dabei reines Glück gewesen.

„Du bist ein verfluchter Glückpilz, Anne“, entrann es Marco, als beide auf der Sanddüne standen, die in den Krater und zu dem einzelnen Haus herunterführte.

Anne grinste darauf nur, ehe sie im Karacho den Hügel herunterritt. Sie brauchte nur an Ruffy zu denken und jeder Enthusiasmus kehrte zu ihr zurück.

Ihr blonder Mistreiter folgte mit seinem eigenen Tier dagegen eher bedächtig, aber er sah sowieso noch ziemlich blass um die Nasenspitze aus.

Noch bevor sie das Haus gänzlich erreicht hatten, öffnete sich die Eingangstür und Dadan trat heraus.

„Wo zum Teufel hast du gesteckt, Anne?“, schnauzte sie, doch Anne glitt nur gelassen vom Rücken des Tieres und reichte die Zügel einem der Banditen, die Dadan ins Freie gefolgt waren.

Marco tat es ihr gleich.

„Du hast gesagt, ihr wolltet das Flugzeug nur zu Franky bringen und das war das Letzte, was man von euch gehört hat!“

„Anne!“, rief Ruffy inzwischen aus, als er angerannt kam. „Guck’, was ich gefangen hab’!“ Er hielt ihr einen riesigen Käfer hin, woraufhin ihm Anne stolz auf die Schulter klopfte.

„Übrigens hat sich Franky gemeldet. Sie meinte irgendwas mit kleiner Fehler in... keine Ahnung“, informierte Dadan und zuckte wegwerfend mit den Achseln.

Anne, die schon auf den Weg ins Haus war, fror in ihrem Schritt ein. Eine Befürchtung kroch in ihr hinauf, die sie nicht einmal Ruffys verwirrten Blick wahrnehmen ließ.

„Auf jeden Fall kannst du morgen schon von hier verschwinden“, bestätigte Dadan keine Sekunde später ihren Gedanken.

Es war, als konnte Anne Marcos Blick in ihrem Nacken spüren, obwohl das auch ihre blühende Fantasie sein konnte. Letztendlich konnte es ihr sowieso egal sein, wann der Blonde ging. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen - ob nun in einem Tag oder in einer Woche machte dabei keinen Unterschied!

„Danke, das sind wirklich gute Neuigkeiten“, erwiderte Marco, und Anne musste ein Schnauben unterdrücken.

„Franky bringt’s her, hat sie gesagt“, erklärte inzwischen einer der Banditen, ehe er ein paar anderen half, sich um die Kamele zu kümmern. „Scheinbar hat sie einen Narren an dir gefressen“, rief er noch lachend zurück.

Derweil schob sich Anne schweigend an ihrem Bruder vorbei ins Innere und verschwand. Die Unterhaltung lief auch gut ohne sie, da musste sie nicht dumm daneben stehen und sich anhören, wie heiß Franky auf Marco war. Das war wirklich das Letzte, was sie interessierte. Ihretwegen sollten die beiden ruhig ein Techtelmechtel anfangen, solange Marco noch hier war. Anne war das egal. So verdammt egal, dass sie über ihre eigene Verleugnung beinahe lachen musste, als sie zwei Stufen auf einmal nahm und sie in ihrem Zimmer verschwand.

Dort warf sie sich bäuchlings aufs Bett und vergrub den Kopf im Kissen. Eigentlich wusste sie ganz genau, was sie wollte – und das war nicht Franky, die sich an Marco heranwarf -, aber gleichermaßen war da dieses aufgewühlte Gefühl in ihrem Inneren. Warum sollte jemand wie Marco sie wollen? Er war nicht nur viel älter, sondern viel erfahrener, hatte schon so viele Orte gesehen und war so vielen unterschiedlichen Menschen begegnet. Und Anne,... sie war nur die, die große Träume hatte, aber bisher nicht dazu gekommen war, sie umzusetzen. Jemand, von dem Leute behaupteten, dass es besser gewesen wäre, wenn sie nie geborgen worden wäre und in der es eine Stimme gab, die sich fragte, ob das nicht vielleicht sogar stimmte.

Vielleicht war ihre Existenz wirklich ohne Grund. Anderseits war das im Moment nicht der Punkt und überhaupt egal. Das würde sie dann herausfinden, wenn sie von hier weggehen und so leben würde, wie sie es wollte.

Die Wut verflog allmählich und sie hob den Kopf, um aus dem einzigen Fenster des Zimmers in den wolkenlosen Himmel zu blicken. Er war endlos und einfach da und perfekt zum Vergessen und Träumen.

Ein Klopfen ließ sie zusammenzucken und über ihre Schulter zur Tür schauen.

Keine zwei Sekunden drückte sich die Klinke herunter und Marco schob sich durch einen Spalt ins Zimmer. Seine Anwesenheit hatte Anne überrascht blinzeln, was er mit einem schmalen Lächeln quittierte. Er schloss die Tür lautlos hinter sich, blieb jedoch bei ihr stehen.

„Dadan möchte, dass du beim Essen machen hilfst“, entrann es ihm, worauf Anne sich eher widerwillig vom Bett schob.

Dafür war er hergekommen? Normalerweise machte sich Dadan nicht die Mühe, jemanden zu ihr hochzuschicken, sondern brüllte stattdessen einfach das gesamte Haus zusammen.

Plötzlich umschlossen Marcos Finger jedoch ihr Handgelenk und abermals fror sie in ihrer Bewegung ein. Ihre Blicke trafen sich, wobei der ihres Gegenübers unleserlicher denn je war. Und trotzdem verstand sie die stumme Nachricht. Oder vielleicht ging sie einfach aufs Ganze, weil sie wusste, dass sie es bereuen würde, wenn sie es nicht tun würde. Bereuen wollte sie nicht. Nicht jetzt, nicht hier, niemals! Deswegen drehte sie sich zu Marco herum und legte ihre freie Hand an sein markantes Kinn. Ihn zu sich heranziehend küsste sie ihn.

Der Moment, in dem Marco den Kuss erwiderte, war der, in dem alle Gedanken vergessen waren und die Welt nur noch aus atemraubenden Gefühlswahrnehmungen bestand. So sanft und langsam die Berührung ihrer Lippen war, so schnell rückte Leidenschaft nach. Es verbreitete sich wie Laubfeuer und setzte jeden verfluchten Nerv in ihrem Körper unter Strom. Raue Hände fuhren über ihre Haut nach oben und nestelten an dem Verschluss ihres Bikinioberteils.

Männer, ging es ihr grinsend durch den Kopf. Ihr Bikini fiel raschelnd zu Boden, gefolgt von Marcos Hemd, während sich eine vorwitzige Zunge zwischen ihre Lippen schob.

Und Marcos Geruch in ihrer Nase und Marcos Gewicht auf ihrem Körper, als sie das Bett erreichten. Marcos Lippen küssten ihrem Hals und ihre Fingernägel vergruben sich in Marcos Rücken. Alles rotierte um Marco wie ein Kreisel. Schneller und schneller, wilder und immer wilder! Sie lachte leise auf und spürte wie sich Marcos Lippen gegen ihre Haut als stumme Antwort zu einem Lächeln verzogen.
 


 

VII

Als Marco erwachte, war es stockfinster im Zimmer und der Platz neben ihm leer und kalt. Verschlafen setzte er sich auf, doch auch als er sich umsah, war keine Spur von Anne. Zwar hatte er keine Ahnung, was er eigentlich erwartet hatte, doch es war sicherlich nicht, sich alleine im Bett wiederzufinden. Anne war eben doch wie der Wind, oder nicht? Eine Sekunde wehte er noch, in der nächsten stand die Luft bereits still. Und da war nichts, was man dagegen tun konnte. Nichts, außer es so hinzunehmen.

Seufzend schob sich der Blonde aus dem Bett und sammelte seine Klamotten auf, die auf dem Boden verstreut lagen. In der Dunkelheit dauerte es länger, aber das war ihm gleich. Er wusste nicht wie spät es eigentlich war, doch mit einem Blick aus dem Fenster, nahm er an, es müsste früher Morgen sein, da sich in der Ferne der Himmel heller färbte.

Den Reißverschluss seiner Jeans hochziehend verließ er den Raum und stieg die Treppe herunter. In der unteren Etage brannte eine kleine Öllampe, die groteske Schatten an die Wände warf. Kurz hatte Marco die vage Hoffnung, dass es Anne war, doch ehe sich diese manifestieren konnte, stand er schon Ruffy gegenüber, der sich über die offensichtlichen Reste des Abendessen hermachte. Wäre er an einem anderen Ort gewesen, hätte er angenommen, dass man etwas für Anne und ihn aufgehoben hatte, doch hier war das unwahrscheinlich. Hier galt: wer zuerst kam, malte zuerst.

„Marco“, stellte Ruffy inzwischen mit vollem Mund fest. Er saß an dem Holztisch im Esszimmer und nach einem kurzen Zögern setzte sich der Blonde ihm gegenüber. Er schlug die Beine übereinander und stützte das Kinn auf die Handfläche ab, während er Ruffy musterte.

„Falls du Anne suchst, die ist schon vor einigen Stunden abgehauen.“

Das hatte sich Marco beinahe gedacht. Trotzdem fühlte es sich merkwürdig an, in ihrem eigenen Zuhause von ihr sitzen gelassen zu werden. Anderseits schätzte er, dass es für sie einfacher war zu gehen, anstatt jemanden gehen zu sehen. Ihn gehen zu sehen.

„Du sagtest gestern, dass Anne sauer wird, wenn du über ihre Eltern redest“, sprach Marco das Thema an, dass ihm schon eine Weile durch den Kopf schwirrte. „Warum?“

„Eigentlich nur, wenn ich über ihren Vater spreche“, stellte Ruffy klar, als er mit einem Finger gegen sein Kinn tippte. „Ihr Vater ist Gol D Roger.“

Marco hob die Augenbraue. Wirklich? Es gab keinen, der diesen Namen nicht kannte. Nein, dieser Name trug Geschichten mit sich, die jedem zu Ohren gekommen sind.

„Ich glaube, sie gibt ihm die Schuld für was die Leute im Dorf sagen.“

Nachfragen, was der Junge vor ihm meinte, brauchte Marco nicht. Nein, er wusste selbst, was die Leute über Gol D Roger und sein Vermächtnis, ein Schatz von unvorstellbarem Wert irgendwo in der Welt versteckt, sagten. Jene Leute, die nicht ausgezogen waren, um ihn zu finden, verfluchten ihn für die ausgelöste Welle der Kriminalität. Gerade so kleine und schutzlose Dörfer wie Windmill Village waren gefundenes Fressen für die einfallenden Sucher, die über Leichen gingen, um als erster jenen Schatz zu finden.

Und wenn man das Blut eines Kerls, den der Großteil der Bevölkerung hasste, in seinen Adern fließen hatte, ging so etwas nicht spurlos an einem vorbei. Auch nicht an ein eigensinniges Mädchen, das in einem abgelegenen Haus mit einem Haufen Banditen als Babysitter aufgewachsen war.

In seinen Gedanken vertieft, schaufelte sich Ruffy weiter das Essen in den Mund. Unterdessen hellte sich der Himmel auf und die Temperaturen stiegen an. Als der Morgen zunehmend herangerückt war und Marco nicht mehr sagen konnte, wie lange sie beide schweigend beieinander gesessen hatten, riss ein schrilles Hupen ihn in die Realität zurück.

„Das muss Franky sein!“, erklärte Ruffy und sprang auf, so dass die leeren Teller vor ihm klirrten.

Marco folgte ihm hinaus, wo Ruffy Franky zuwinkte, die ihre Maschine, die eine verdammte Ähnlichkeit mit einem Zug auf Rädern hatte, die Sanddüne in den Krater heruntermanövrierte. Hinter sich zog sie den Anhänger mit seinem Motorflugzeug her.

Marco sah sich nach Anne um, obwohl er sie in Windmill Village vermutete. Das fehlende Motorrad, das bisher zwischen anderen Dingen im Sand gelegen hatte, verstärkte seine Vermutung. Ihr Striker lag schließlich noch immer irgendwo in der Wüste. Vielleicht war sie es auch holen? Auftauchen, um sich von ihm zu verabschieden, würde sie sich wohl nicht und vielleicht war das sogar besser so. Für sie beide, auch wenn sein Gefühl genau das Gegenteil behauptete.

„Der Motor ist noch nie besser gelaufen, das kann ich dir versprechen!“, begrüßte Franky sie, als sie vor ihnen hielt und von ihrer Maschine sprang. „Dir wird einer abgehen, wenn du drin sitzt“, fügte sie mit anzüglichen Grinsen hinzu.

Marco kratzte sich am Kopf und fischte nach seinem Geldbeutel.

„Lass stecken!“, fuhr sie ihm dazwischen. „Ich sag’ doch geht aufs Haus.“

„Bist du sicher?“, fragte er, erhielt jedoch lediglich ein Nicken als Antwort. „Dann ein doppeltes Danke, schätz ich.“

Kurz ließ er seinen Blick noch mal über die Umgebung gleiten, ehe er Franky dabei half, sein Flugzeug vom Anhänger zu herunterzulassen. Er positionierte es auf dem steinigen Boden. Der Krater war lang genug, um ihn als Bahn zu benutzen. Abheben sollte daher kein Problem sein.

„Wenn du deinen Hintern noch mal hierher bewegst, gibt’s kein kostenfreies Motel mehr, Mister!“, motzte Dadan, die inzwischen zu ihnen gestoßen war. Auch ein paar ihrer Männer hatten es vor die Tür geschafft, einige davon noch im Schlafanzug.

Marco hob die Hand zum Abschied, ehe er ins Cockpit stieg und den Motor anließ. Franky hatte nicht übertrieben. Zwar ging Marco keiner ab, wie sie es genannt hatte, aber der Klang hatte etwas Gesundes und Starkes und Unbezwingbares. Es trieb ihm ein Grinsen auf die Lippen, über die er mit seiner Zunge leckte.

Noch einen Blick auf die kleine Meute, darunter ein grinsender Ruffy, werfend setzte er das Flugzeug in Bewegung. Es rollte knirschend über den Boden, schneller und schneller. Adrenalin flutete Marcos Blut. Die gegenüberliegende Sanddüne rückte näher, genauso wie der Moment des Abhebens.

Plötzlich vermischte sich das Geräusch seines Flugzeugs jedoch mit einem anderen. Einem eines anderen Motors!

Marcos Kopf ruckte herum und er beobachtete ungläubig wie ein Motorrad den Hügel rechts von ihm heruntergedonnert kam, kurz Kontakt mit dem Boden verlor und flog. Schwarzes Haar peitschte im Wind, als Anne auf ihm zugerast kam. Anstatt mit ihm zu kollidieren, riss sie ihre Maschine herum und fuhr neben ihm her.

Marcos Blick wechselte von ihr und der Sanddüne vor ihnen hin und her. Zum Anhalten war es zu spät. Seine Hände umklammerten den Steuerknüppel und zogen die Maschine hoch. Das Motorrad blieb unter ihm zurück und krachte in den Sand, da seine Fahrerin an der Stange eines der Räder hing und in der Luft baumelte.

Hastig zog Marco die Tür auf, um Anne hereinziehen zu können. Es stellte sich als schwerer heraus, als Marco angenommen hatte, als sie nebenbei noch ihren Leuten winkte.

„Danke für alles, Dadan!“, rief sie breit grinsend. „Wir sehen uns, Ruffy!“

„Bis dann, Anne!“, schrie Ruffy zurück und wedelte mit den Armen. Inzwischen reichte Mogura der stockstarr stehenden Dadan sein Taschentuch, damit sie ihre Tränen trocknen konnte.

„Du bist durchgeknallt, Anne!“, stellte Marco derweil mit dieser auf dem Schoß fest, als er die Tür zuzog und die Arme um sie herumlegte, um nach dem Steuerknüppel fassen zu können.

„Willst du sehen, wie durchgeknallt, Marco?“, fragte sie und beugte sich zu ihm, um seinen Hals zu küssen.

„Wenn du willst, dass wir abstürzen...“ Er spürte Anne grinsen und fühlte wie sich seine eigenen Mundwinkel in die Höhe zogen.

„Ich lag falsch...“, wisperte Anne dann ernster. „Einfach die Welt sehen reicht mir nicht. Sie mit dir sehen, vielleicht aber schon.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Wisteria
2017-06-14T16:17:17+00:00 14.06.2017 18:17
Moin,
echt tolle Geschichte, super Idee das Ace weiblich ist!
Ich hat schon befürchtet sie geht nicht mit ihm mit.
Schön geschrieben und fesselnd, man merkt nicht wie lang die Kapitel sind.
LG
Von: abgemeldet
2011-07-03T00:03:43+00:00 03.07.2011 02:03
Das war ein verdammt toller Abschluss. <3 Psychologisch gut durchdacht das ganze mit Crocodile und IC und hach...! Aber das Wort Chitchat war komisch. XD Das war so... anglizistisch in einem deutschen Text. Aber sonst kann ich nur schwaermen... Charas IC und die Beziehung so toll und genauso waere die Beziehung der Beiden meiner Meinung nach auch, wenn Ace eine Frau waere! Und das mit Sabo und Dadan, dass das eingebaut wurde, und die anderen Ace-Zweifel, das ist auch toll. Und traurig ;__; Aber jetzt hat Ace/Anne ja sein/ihr Glueck gefunden!
Vielen Dank fuer diese tolle FF <3
Von: Arianrhod-
2011-05-23T14:03:17+00:00 23.05.2011 16:03
Also... ich hab dir ja schon gesagt, was ich von dem OS halte und so...
Aber ich finde, er verdient total einen Kommentar, ich mag ihn nämlich sehr und schon rein aus Prinzip (wg. Genderbender und von dir und so) hätte ich ihn trotz OP sowieso auch gelesen, wenn du ihn mir nicht gegeben hättest. (So können die Meinungen auseindander gehen. |D)

Mir hat die Story sehr, sehr gut gefallen.
Die Darstellung der Charaktere (so weit ich das beurteilen kann) fand ich klasse, ebenso wie die Welt und dein Stil passte perfekt dazu.

Das Ende gefällt mir übrigens besonders gut. Also, das mit den Ketten und dem Zerreißen und der plötzlichen Freiheit. Da hat man das Bild tatsächlich vor Augen, das hat man fast am eigenen Leib spüren können. ;)

Mehr weiß ich im Moment nicht zu sagen. :/

Gruß ^^~
Sorca~
Von:  Chimi-mimi
2011-05-15T08:40:15+00:00 15.05.2011 10:40
So, ich bin durch. Dein Schreibstil erleichtert einem das Lesen wirklich, es ging schneller als gedacht.
Ich finde, das Bild ist schön eingearbeitet worden und gerade im letzten Absatz sieht man förmlich, wie Anne ihre Ketten durchbricht. Auch die Wahl von Marco als Protagonist hat mir sehr gut gefallen.
Nur... ich kann absolut gar nichts mit AU anfangen und noch viel weniger mit Genderbender, da hilft in dem Fall auch dein sehr angenehmer Schreibstil nichts.
Zwischendurch gab es doch einige Rechtschreib- und Kommatafehler, aber keine gravierenden.
Von der Idee her an sich (ohne Genderbender und ohne AU) hat es mir wirklich gut gefallen.
Von: abgemeldet
2011-05-08T15:43:08+00:00 08.05.2011 17:43
woow. ich stehe ja total auf AU ... und du hast so eine schöne beschriebende art. du gehst dabei ins detail, gibts aber andererseits nie zuviel an sodass man irgendwann mit informationen total überladen wird die man dann letztlich sowieso nicht braucht.
außerdem hast du es gut geschafft, aces charakter auf anne zu übertragen. eine frau ist ja trotzdem immernoch ein bisschen anders als ein kerl, auch wenn es letztendlich die selbe person bleibt.
ansonsten ... rechtschreibfehler sind mir nur ein paar wenige aufgefallen, nichts gravierendes.

definitiv geil! :D


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