Zum Inhalt der Seite

Glue The Heart

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Aliens und Playboys

Mathe war wirklich nicht Ians Stärke und noch weniger war es die Konzentration. Ich hatte es nach einiger Zeit tatsächlich so weit geschafft, ihn zu einem der leichteren Beispiele zu animieren und anfangs schien das auch zu fruchten. Das war, als ich ihm noch einigermaßen zufrieden zugesehen habe, wie er die Angaben abschrieb und zu rechnen begann, mit Formeln, die ich ihm vorher aufschreiben musste, aber na ja, man kann ja nicht zu viel verlangen. Aber dann kam seine Konzentrationsschwäche zum Vorschein. Er begann mich anzustarren und als ich zurück starrte und dabei fragend die Augenbrauen hob, sah er nur wieder weg. Das wiederholte sich circa viermal, und jetzt starrt er schon wieder. Es ist mir wirklich unbegreiflich und ein Phänomen, wie er sich ausgerechnet mich, als interessantesten Gegenstand im Raum aussuchen konnte, um sich von Mathe abzulenken, wo ich im Grunde doch genau das Gegenteil tun sollte.

Also gut, jetzt reicht es. Ich atme tief durch, dann mustere ich ihn streng.

«Hast du ein Dreieck in meinem Gesicht gefunden, oder wieso starrst du mich die ganze Zeit über so komisch an?»

Damit hat er nicht gerechnet. Jetzt blinzelt er nämlich ein wenig betröppelt und scheint dann abzuwägen, was er mir sagen soll.
 

Habe ich die Situation falsch eingeschätzt? Egal woran er gerade denkt, es ist nicht Mathe und irgendwie fange ich an daran zu zweifeln, dass ich wissen will, was es ist. Ich hasse Momente wie diesen, nicht zu wissen was vorgeht, aber dennoch dieses unruhige Gefühl in der Magengegend zu haben.

«Spucks schon aus.»

Das klang genauso wie ich mich fühle, niedergeschlagen und bereit jede noch so schlimme Antwort zu erhalten. Aber Ian scheint immer noch mit Denken beschäftigt sein.

«Na mach schon.» bettle ich schon fast.

Daraufhin seufzt er schwer.

Oje, das kann nichts Gutes zu bedeuten haben.

»Also... ich... hab mich nur gefragt... «

Mehr sagt er nicht. Wieso nicht? Wieso muss man ihm alles aus der Nase ziehen?! Das ist ja nicht zum aushalten!

«Du hast dich gefragt...?»

Ich sehe ihn abwartend an, aber er wendet den Blick ab und mustert lieber wieder sein Matheheft. Warum interessiert er sich ausgerechnet jetzt wieder dafür? Vorhin hat er es doch auch nicht freiwillig angeschaut. Weiß er eigentlich wie sehr er mich damit zappeln lässt?
 

Jede Geduld hat einmal ein Ende und jetzt, in diesem Augenblick, ist es auch mit meiner so weit. Demnach ist es keine Überraschung, dass ich meine Hand nach dem bescheuerten Heft ausstrecke, und es ihm zuklappe. Ich war versucht, es zu nehmen und ihm über den Schädel zu ziehen, aber dann beschloss ich, dass ich das immer noch nachholen konnte, nachdem ich gehört habe, was er mir zu sagen hat.

«Ian, brauchst du auch im Sprechen Nachhilfe, oder soll ich aus deiner Körpersprache schlau werden? Egal was es ist, ich bin sicher, ich werde es verkraften, also sag schon.»

Jetzt werde ich verwundert gemustert, aber dann nickt er endlich.

»Ähm... ja weißt du, eigentlich wollte ich nur wissen, wann du anfängst zu reden.«

Was? Ich? Wieso?

«W.warum? Du hast mich doch...» angestarrt, wollte ich eigentlich sagen, komme aber nicht so weit.

»Du warst heute bei ihm.« fällt er mir ins Wort.
 

Ich kann momentan nicht anders als verblüfft zu blinzeln, bis Ians Worte in mein Hirn durchsickern. Ich war bei ihm, Nick, natürlich. Wieso ist mir das nicht schon früher eingefallen? Die Begrüßung, die mir Ian bereitet hatte, hätte eigentlich darauf schließen lassen müssen, dass das Thema Nick noch nicht restlos gegessen war.

Allerdings fällt es mir auch nicht leicht, darüber zu reden. Das gestern mit dem ganzen Herzausschütten und so ist eigentlich eher untypisch für mich. In Wirklichkeit bin ich nun mal ein schüchterner, unsicherer Nerd, der es irgendwie geschafft hat, sich eine Menge Probleme einzuhandeln und jetzt als Lösung nichts besseres weiß, als davor wegzulaufen.

Ich starre beschämt den Boden an.

«Ist es... okay.. wenn wir nicht über ihn reden?.» murmle ich leise. Gerade eben war ich noch so gut darin Nick zu vergessen, was vermutlich großteils an Ians Anwesenheit liegt, darum will ich meine Gedanken nicht wieder an ihn verschwenden. Selbst ich habe begriffen, dass ich in einer hoffnungslosen Situation mit ihm bin. Es würde mich nur weiter frustrieren, wenn ich mich mit ihm beschäftige.

Ians Gesichtsausdruck zeigt eindeutig, dass er damit nicht ganz zufrieden ist, dennoch nickt er.

«Danke.»

Mir fällt ein Stein vom Herzen und wir gingen beide einen unausgesprochenen Pakt ein, er wird nicht weiter nachfragen und ich werde ihn auf Weiters mit Mathe verschonen.
 

Der weitere Abend verlief ruhig und ähnlich wie der erste, nur dass ich diesmal nicht sobald ich im Bett lag, zu heulen begonnen habe. Ich glaube, ich habe aufgehört Nick nachzutrauern, anstelle der Verzweiflung und Frustration hat sich ein unaussprechliches Verlangen gestellt, eines, dem ich niemals nachgeben darf. Es ist schwer es anders zu beschreiben, als eine Art Suchtzustand, die ich zu Nick aufgebaut habe. Mein Körper reagiert und sehnt sich nach ihm, erinnert sich an seine Berührungen, an seine Stimme. Es ist qualvoll.

Bis zu dem Tag, an dem er es beendet hat, war mir nie bewusst gewesen, wie sehr ich von ihm beeinflussbar bin. Wann habe ich angefangen meine Gewohnheiten so zu verändern, um ihn zu sehen und Zeit mit ihm zu verbringen?

In meiner Kindheit muss doch bereits etwas gewaltig schief gelaufen sein, dass ich einen derartig abgrundtief schlechten Männergeschmack entwickelt habe. Meine Eltern sind schuld, würde ich spontan sagen. Ich verstehe mich schlecht genug mit ihnen, um ihnen mein ganzes verkorkstes Leben vorzuwerfen, obwohl ich vermutlich auch nicht ganz unschuldig an gewissen Wendungen und Handlungen bin. Aber darüber will ich nicht reden und ich will nicht daran denken, denn genauso wie Nick, sind meine Eltern ein Tabuthema für mich, ein katastrophales rotes X in meinem Leben, das ich nicht näher behandeln will.
 

Der nächste Morgen kam genauso unspektakulär, wie der Abend geendet hat. Ians Wecker klirrt vor sich hin, wir fluchen beide, dann steht er auf und ich bleibe liegen. Nach einiger Zeit bemühe ich mich dann jedoch doch noch aus dem Bett zu kommen, um wenigstens mit Ian zu frühstücken. Dabei erfahre ich, dass ich den Tag über allein bei ihm sein werde, da seine Eltern einen lange geplanten Kurzurlaub zu ihrem 18. Hochzeitstag antreten. Da ist sie schon wieder, diese Verliebtheit. Wer sonst fährt an einem 18. Hochzeitstag irgendwo hin und das direkt unter der Woche?

Ich gebe zu, dass es mir schwer fällt, die beiden zu beobachten ohne dabei diesen giftigen Beigeschmack im Mund zu haben. Eifersucht ist etwas schrecklich Lästiges, aber selbst wenn man nicht eifersüchtig sein will, funktioniert das nun einmal nicht einfach so, dass man es mit einem Fingerschnippen nach belieben an oder abstellen kann. Ich hasse dieses Gefühl doch selbst, obwohl ich momentan viele meiner Gefühle hasse und dieses also keine große Ausnahme zu den anderen darstellt. Ich hoffe nur, man sieht es mir nicht an, ich will nicht undankbar erscheinen, oder einen schlechten Eindruck machen.
 

Wie dem auch sei, Ian war weg, Ians Eltern waren weg, einzig ich war noch da, na ja, ich und die Katze. Dieses Alleinsein ist vielleicht am Anfang noch relativ angenehm, wenn man dir Ruhe genießen und noch mal ins Bett gehen kann, aber spätestens nach dem Duschen und einem exzessiven Fernsehvormittag, weiß man nichts mehr mit sich anzufangen, ich zumindest nicht. Ich erwische mich sogar dabei, wie ich immer wieder ungeduldig Richtung Wanduhr schaue, um endlich bald mit Ians Rückkehr belohnt zu werden.
 

Mittlerweile bin ich den Fernseher satt geworden und ich liege nur noch so auf der Couch herum. Dabei wandern meine Gedanken wieder in alle möglichen Richtungen meiner Gehirnwindungen und mir stellt sich erneut die eine große Frage, die ich seit Ians erstem Auftauchen nicht mehr aus meinem Kopf kriegen konnte. Wieso tut er das alles? Für mich ist es immer noch unerklärlich, aber da ich nun einmal Zeit habe, schließe ich die Augen und beginne mir verschiedene Szenarien auszudenken, wieso das Mysterium Ian so handelt, wie es nun mal handelt.
 

Szenario eins:

Ian hat beobachtet, wie ich Nick das blaue Auge verpasst habe. In Wirklichkeit ist er Mitglied in einem Kickbox-Verein und war derart beeindruckt von meiner Rechten, dass er beschlossen hat, mich genauer zu analysieren. Dazu gehören meine Gewohnheiten, Essensvorlieben und sogar meine Schlafstellungen.
 

Na ja, ein eher unwahrscheinliches Szenario...
 

Szenario zwei:

Ian ist genau der Playboy, für den ihn alle halten und momentan geht er mit mindestens fünf Mädchen gleichzeitig aus. Weil er aber festgestellt hat, dass das mit der Zeit immer komplizierter wird, braucht er ein Alibi, das jedes der Mädchen in Sicherheit wiegt. Und genau da komme ich ins Spiel. Er tut so, als wäre er ein Wohltäter und Menschenfreund, stattdessen lässt er mich jedoch bei sich daheim links liegen und amüsiert sich mit den Mädchen.
 

Das klingt zutiefst unbefriedigend. So etwas würde er doch nicht tun, oder? Ich zweifle immer mehr daran, Ian richtig einschätzen zu können, aber ich bin davon überzeugt noch ein Szenario zu finden, dass ihm mehr entspricht und auch mich einigermaßen glücklich macht.
 

Szenario drei zum Beispiel:

Alien Ian ist auf die Erde herabgestiegen, um Anomalien im menschlichen Verhalten zu analysieren und ich bin das Paradebeispiel, dass ihm bei seinen ganzen anderen Alienkollegen Respekt und Anerkennung eintragen wird.
 

Da bitte schön, das klingt doch schon viel befriedigender. Damit könnte ich mich abfinden. Nur, an der Wahrscheinlichkeit hapert es noch ein bisschen.
 

Also gut, Szenario vier:

Ian ist einfach ein netter Mensch, der Mitleid mit mir hatte, als er mich heulend auf einer Parkbank gefunden hat, was übrigens die denkbar schlechteste Art ist, jemanden kennenzulernen. Wenn erste Eindrücke derart stark zählen, dann bekomme ich den meinen wohl nie wieder weg.

Egal, wie gesagt, Ian ist ein netter Mensch, gabelt mich aus Mitleid heraus auf, einen Wildfremden…
 

Klingt noch unwahrscheinlicher als die Alienvariante. Allerdings fürchte ich, dass sie trotzdem mehr der Wahrheit entspricht, was irgendwie ziemlich erbärmlich ist.
 

Abänderung von Szenario vier:

Ian spaziert gelangweilt durch den Park und sieht einen Typen, den er für gewöhnlich nie angesprochen hätte. Allerdings erkennt er mich, weil.. ja weil... er mich gesehen hat, in der Schule mit Nick und nicht nur das, er hat auch über uns beide Bescheid gewusst – hat er nicht, sonst hätte er nicht derart heftig reagiert, als ich ihm mein Herz ausgeschüttet habe, aber das ist ja vorerst egal – und das hat ihn neugierig gemacht, weil er ein ähnliches Problem hat wie ich. Er steht nämlich auf seine Geschichtslehrerin, die kleine mausgraue Frau Heinrich.
 

Bei dieser Vorstellung muss ich breit grinsen, schüttle dann aber nur den Kopf. Das wäre zu grausam.
 

Szenario vier, die zweite Abänderung:

Er gabelt mich auf, nicht weil er auf seine Lehrerin steht, sondern weil er seine schwule Neigung entdeckt hat und es auch bei mir irgendwie gespürt hat, deshalb wollte er meinen Ratschlag.
 

Er hat mich nie um Rat gefragt, er kommt nicht schwul rüber und ich glaube meine Nähe schreckt ihn ab. Das ist also wohl das unwahrscheinlichste Szenario von allen.

Ich seufze schwer.
 

Aber, wenn er schwul wäre, wenn er mich mitgenommen hätte, weil er auf mich steht und sich nur nicht traut, es zuzugeben...

Ich beende diesen Gedankenzug nicht. Irgendwie habe ich Angst davor. Sie sind zu verlockend, zu angenehm und reines Wunschdenken. Nicht, dass ich an Ian interessiert wäre, aber die Vorstellung, dass sich jemand für mich interessieren könnte, mich lieben könnte und zwar nicht nur körperlich sondern auch geistig, vor allem geistig, ich denke, das könnte ich jetzt gut gebrauchen nach allem was war.

Ian wäre sicher einfühlsam in einer Beziehung, so einfühlsam wie er mir gegenüber ist, nur noch zärtlicher. Außerdem ist er bestimmt auch sehr leidenschaftlich und er ist entschlossen, er weiß, was er will und das bewundere ich.
 

Ob diese letzte Möglichkeit wirklich dermaßen abwegig ist?

Mein Zeigefinger kreist auf der Couchlehne und ich starre darauf. Wenn ich anstelle von Nick mit jemandem wie Ian zusammen gewesen wäre, ich frage mich, ob ich dann in der selben Lage wäre wie jetzt?

Dann höre ich ein Schlüsselgeräusch und ich werde sofort aus meinen Gedanken gerissen. Grinsend sehe ich zu wie Ian die Wohnung betritt.

«Hi Ian.»

Aber er hört mir gar nicht zu. Seine Aufmerksamkeit ist auf jemand anderes gerichtet, ein Mädchen mit braunen schulterlangen Haaren und einem Lächeln bei dem die Sonne aufzugehen scheint, betritt kurz nach ihm die Wohnung.

Dann scheint er mich endlich zu bemerken.

»Oh, hallo Finn, darf ich dir Anna vorstellen? Sie ist-«

«Seine Freundin.» fällt sie ihm strahlend ins Wort.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  _Haru_
2011-06-20T12:11:29+00:00 20.06.2011 14:11
oh nein..
jetzt hatte sich Finn gerade dieses wunderbare Szenario ausgedacht und dann das...
*sniff*
der Ärmste..
Von: abgemeldet
2011-06-17T22:40:16+00:00 18.06.2011 00:40
"oh mann" kak ich fühl so mitm finn mit; traurig das ganze aber gut geschrieben!!
Von: haki-pata
2011-06-12T14:37:04+00:00 12.06.2011 16:37
*klirr*
Da brach ein Herz...

Der arme Kerl!
Von:  sensi-chan
2011-06-12T12:28:15+00:00 12.06.2011 14:28
x.x
!!!
Ian!
Finn!
seine Freundin!
aaaaahhh!
...
armer Finn...
was der alles durchmacht...


Zurück