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Die Legende vom Avatar

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Der Morgen graute. Es war ein Morgen wie jeder andere auch. Ein gräulicher Nebel legte sich sanft über das noch ruhende Dorf, schien die noch schlafenden Bewohner in eine feste Umarmung hüllen zu wollen, um sie vor dem angrauenden Tag zu schützen, der den schwarzen Himmel langsam in ein immer heller werdendes blau zu tauchen begann und der gleichsam bedeutete sie aus ihren friedlichen Träumen zu reißen, die sie vor dem harten Alltagsleben behüten wollten. Doch wie an jedem Morgen verlor der Morgennebel auch heute. Die ersten Menschen erwachten in ihren Häusern, reckten sich, krochen mehr oder minder munter unter ihrem Polarbärenfell hervor und streckten sich ausgiebig, bevor sie in den Trott ihres Lebens zurückkehrten, an den sie sich schon seit ihrer Kindheit gewöhnt hatten und den sie, seit einem grausamen Ereignis vor einigen Jahren, mehr zu schätzen wussten als jemals zuvor in der Gesichte ihres Stammes.

Es war ein vollkommen normaler Morgen, einer von jenen, an die man sich unter normalen Umständen nicht erinnert hätte, wenn man auf sein Leben zurückblickte. So gewöhnlich war er, doch wie immer, wenn man glaubte, dass etwas gewöhnlich war, neigte das Schicksal dazu hin und wieder einen Streich zu spielen. Manchmal war er klein, vollkommen unbedeutend, nicht mehr als ein Sandkorn im Ozean, nur vom Opfer dieses Streiches bemerkt; Wie von einem Bauern, der ungläubig mit ansehen muss, wie der Flügelschlag eines kleinen Schmetterlings einen Baum entwurzelt, der einen Karren von Kohlköpfen unter sich begräbt. Manchmal jedoch war er der Anstoß für die größten Ereignisse in der Gesichte, und manchmal war er der Katalysator für etwas, was die Welt in ihren Grundmauern erschüttern sollte. Doch jedem, der an diesem unscheinbaren Morgen seine Augen öffnete, würde er sich auf ewig ins Gedächtnis brennen.
 

Im Schutze des Nebels hatte sich eine Gestalt genähert. Sie glitt fast völlig lautlos über das eiskalte Wasser hinweg, obwohl sie sich nicht einmal die Mühe machte sich zu verbergen, vorbei an den eisigen Klippen, die drohend in die Höhe ragten. Es war die Erfahrung, die die Gestalt sicher durch das Labyrinth aus Eis und Schnee brachte, denn obwohl sich der Nebel langsam lichtete, war es kaum möglich etwas zu erkennen. Zielsicher glitt das kleine Boot durchs Wasser. Das Ziel war klar, es würde ein leichtes sein es zu finden, beinahe unmöglich es zu verfehlen, selbst wenn man nicht wusste, wo es sich befand. Ein kleines Lämpchen leuchtete am Bug. Nicht, dass es die Sicht großartig erweitert hätte, doch als plötzlich eine Stimme aus dem Nebel drang, wusste die Gestalt, dass das Lämpchen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Genauso wie beabsichtigt.

„Wer ist da?“ Die Stimme klang gedämpft, doch sie war klar zu verstehen.

Einen Augenblick antwortete die Gestalt nicht, darauf hoffend, dass sich der Nebel verziehen würde und den Blick auf sich freigeben würde, doch da es nicht geschah, hielt sie es für besser, doch eine Antwort zu geben. Obwohl es bei dieser schlechten Sicht unnötig war, erhob sich die Gestalt. „Ich will zu eurem Anführer.“
 

Kenai schlief, als ein plötzlicher Eindringling ihn aus seinen Träumen riss.

„Harun!“

Einen Moment überlegte Kenai, ob er sich einfach zur Seite drehen und weiterschlafen sollte, doch etwas in der Stimme des Mannes –in der er einen der Wachmänner erkannte- erregte seine Aufmerksamkeit. Er konnte hören, wie sich sein Vater neben ihm gähnend aufrichtete, verwundert über diese frühe Störung, aber auch ein wenig besorgt.

„Was gibt es denn?“

„Da ist ein Mann eingetroffen, der dich sprechen will“, antwortete die Wache hastig. „Er will dich sehen.“

„Und wer ist er?“

„Er behauptet, sein Name wäre Nuka.“

Etwas stimmte nicht. Kenai konnte förmlich spüren, wie sich die Atmosphäre schlagartig veränderte. Etwas Drohendes lag plötzlich in der Luft. Mit gerunzelter Stirn öffnete Kenai die Augen. Im blassen Morgenlicht konnte er nur spärlich die Umrisse seines Vaters erkennen, doch selbst dieses fahle Licht reichte aus um zu erkennen, dass beim Klang dieses Namens jegliche Farbe aus seinem Gesicht gewichen war. Unruhe regte sich in Kenai und langsam stemmte er sich in die Höhe. „Was ist denn los?“, fragte er schläfrig und rieb sich die Augen. Zu seiner eigenen Verwunderung schien ihm niemand antworten zu wollen. Die Wache hatte seinen Blick abwartend auf Harun gerichtet, doch dieser schien in weite Ferne zu blicken. Verwundert hob Kenai eine Augenbraue und sah die beiden Männer abwechselnd an, doch plötzlich kehrte das Leben in seinen Vater zurück.

„Hast du Nuka gesagt?“ Die Wache nickte. „Sag ihm, das ich gleich bei ihm bin.“ Sofort zog sich die Wache zurück. Harun verlor keine Zeit. Im nu stand er auf den Beinen.

„Was ist denn los, Vater?“, fragte Kenai, der ein wenig skeptisch mit ansah, wie Harun nach seinem dicken Pelzmantel griff und ihn sich überwarf, ohne sich vorher umzuziehen. Aus irgendeinem Grund beschlich ihn der Gedanke, dass er irgendetwas nicht mitbekommen hatte, doch bevor er sich diesem Gedanken völlig im klaren war, musste er verblüfft mit ansehen, wie sein Vater nach einem Speer griff, der am hintersten Ende des Zimmers gegen die Wand lehnte. Kenai war bisher immer davon überzeugt gewesen, das dieser mittlerweile dort fest geeist war. Harun war das unangefochtene Oberhaupt des Wasserstammes, doch jeder im Dorf wusste, selbst die Allerkleinsten, dass er es hasste, eine Waffe in die Hand zu nehmen und es nur äußerst ungern tat. Selbst bei der Jagd verzichtete er darauf. Das der Name ‚Nuka’ ausreichte, um diese Reaktion bei ihm auszulösen, weckte Neugierde in Kenai, doch zugleich verspürte er auch eine Spur von Furcht, ein Gefühl, dass er sofort zu unterdrücken versuchte, als er es bemerkte. Immerhin war er mit seinen vierzehn Jahren beinahe ein Mann.

„Du bleibst hier“, sagte Harun schließlich und ohne eine Antwort abzuwarten verließ er das Haus. Kenais Blick folgte ihm, doch kaum war er aus der Türe verschwunden, sprang der Junge auch schon aus dem Bett und sammelte seine Kleidung vom Boden auf, die er Abends zuvor achtlos in eine Ecke geworfen hatte und zog sich hastig an. Eigentlich tat er immer, was sein Vater ihm sagte –bisher hatte es auch noch nie eine Veranlassung gegeben, ihm nicht zu gehorchen-, doch heute schien sich sein Körper beinahe ohne sein Willen zu bewegen. Ehe er sich versah, war er auch schon aus dem Haus gestürmt und folgte ihm in sicherer Entfernung.

Auch in den anderen Häusern kehrte bereits Leben ein. Kenai konnte hören, wie sich die ersten Familien unterhielten. Einige traten sogar vor die Türe oder schauten aus einem der Fenster um zu sehen, was es wohl für ein Tag werden würde. Jene, die dies taten, kamen nicht umhin zu bemerken, wie Harun mit einem Speer bewaffnet durch die Straße zog. Einige sprachen ihn an, doch er reagierte nicht auf sie. Und so galt ihre Neugierde Kenai, der ein wenig später als sein Vater an ihnen vorbei kam.

„Schönen guten Morgen, Kenai“, grüßte ihn eine alte Frau, die er immer Granni nannte, obwohl er sich nicht mehr erinnern konnte warum. „Du bist heute aber schon früh auf.“

„Ja“, antwortete er abwesend, all seine Sinne nur auf seinen Vater gerichtet, der seinem Blick zu entschwinden drohte. Er wollte weitergehen, doch Granni versperrte ihm den Weg.

„Das war doch eben Harun, der hier vorbeigekommen ist.“

„Ja“, antwortete Kenai, der versuchte sich vorbeizuschieben, doch aus irgendeinem Grund versperrte ihm plötzlich ein Gehstock den Weg.

„Es sah so aus, als hätte er einen Speer dabei.“

„Ja, scheint so.“ Kenai versuchte es mit der anderen Seite, doch abermals war es der Gehstock, der ihm am vorbeischleichen hinderte.

„Will er denn etwa Fischen gehen?“, fragte Grannie mit unschuldiger Miene, als sie die Spitze ihres Gehstocks in Kenais Rücken rammte, der versucht hatte unter ihr hindurch zu kriechen.

„Nein, will er nicht“, stieß Kenai mit tränenden Augen und noch immer auf dem Boden liegend hervor. „Es geht um irgendeinen Nuka.“ Spätestens jetzt hätte sogar ein Blinder erkannt, dass etwas mit diesem Namen nicht stimmte. Klappernd fiel der Stock aus Grannis alten Händen, die Augen vor Schreck geweitet. Vollkommen fassungslos drohte sie sogar das Gleichgewicht zu verlieren, doch Kenai konnte sie noch rechtzeitig auffangen.

„Hast du- Hast du Nuka gesagt?“, fragte sie mit bebender Stimme.

„Wer ist dieser Nuka?“ Sie sah ihn an, doch er war sich nicht sicher, ob sie ihn wirklich wahrnahm. Tränen schimmerten in ihren wasserblauen Augen. Sorge regte sich in ihm. Warum benahmen sich alle so seltsam wenn sie diesen Namen hörten? Erst sein eigener Vater, dann Granni. Und letztere schien auch noch kurz davor zu sein in Tränen auszubrechen. Sanft legte er ihr eine Hand auf die Schulter. „Granni? Ist alles in Ordnung?“

Mit großen Augen schien sie durch ihn hindurch zu starren. Vollkommen reglos stand sie da, zuckte noch nicht einmal mit einer Wimper. Mit gerunzelter Stirn wedelte er mit seinen Händen vor ihr Gesicht herum. Keine Reaktion. Er kniff sie. Keine Reaktion. Er schüttelte sie. Keine Reaktion. Ein plötzlicher Schreck fuhr durch seine Glieder. Sie hatte doch nicht etwa einen Herzstillstand?! „Oh nein“, wisperte er, schlagartig käseweiß. „Ich habe sie umgebracht!“

„NUKA IST ZURÜCK!!!“

Vor Schreck machte Kenai einen Satz nach hinten. Vollkommen verblüfft starrte er Granni hinterher, die nicht einfach nur in die Richtung, in die sein Vater verschwunden war, rannte, sondern regelrecht raste. Trotz ihres hohen Alters und des Gehstocks, der traurig auf dem Boden lag. Kenai wollte ihn gerade aufheben, als er von einer plötzlichen Horde von Dörflern umgerannt wurde, die rein zufälligerweise in Hörweite gewesen waren. Was, zum Henker, ging hier vor sich?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kupoviech
2012-03-14T16:49:11+00:00 14.03.2012 17:49
Es gibt nur wenige Autoren, die Spannung aufbauen können. Und es gibt noch weniger Autoren, die mit wenig gezielten Worten eine Stimmung aufbauen können. Du kannst beides, meine Hochachtung. Das erste Kapitel gefällt mir sehr gut. Der Anfang ist dir sehr gelungen und ich frage mich, wo du eigentlich Probleme damit hast?

Dein Stil ist wie immer flüssig und ist wie heiße Schokolade, träumerisch, sanft und zum dahinschmelzen. Dein Stil erinnert mich immer an den von T.A.Barron, vielleicht liegt es daran, dass du so wunderbar die Umgebung und vor allem Natur beschreiben kannst.

Auch die Charaktere gefallen mir sehr gut. Sie sind tiefgründig, ihre Gedanken und Gefühle nachvollziehbar. Es sind Charaktere, die man einfach lieb gewinnt und ich hoffe, dass es auch in den anderen Kapiteln so weiter geht.

Negativ ist mir nichts aufgefallen. Ich kann dir daher nur ein großes Lob aussprechen und den ein oder anderen Leser dazu animieren dir auch einen Kommentar dazulassen und sollte er wie meiner auch nur Positives beinhalten. ;)

Liebe Grüße
Kupo


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