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Klassisch

KaiHiromi, ReiMao
von

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Traum vs. Prinz

Uff, dieses Mal bin ich ganz schön ins Schwitzen gekommen. Das Kapitel ist heute erst fertig geworden, und ich bin einfach nur froh, dass ich den Zeitplan einhalten konnte. Da ging er hin, mein schöner Vorsprung von ursprünglich zwei Kapiteln...T.T
 


 

Bevor ich aus dem Haus ging, schrieb ich den Jungs noch eine Nachricht: Guten Morgen! Wenn ihr euren Dornröschenschlaf beendet habt, könnt ihr gerne bei mir duschen, Handtücher liegen vor der Badezimmertür. In der Küche findet ihr Wasser und Kaffee, und wenn ihr nicht den Kühlschrank leerfresst, dürft ihr auch frühstücken. Kai, melde dich einfach beizeiten, okay? –Hiromi. Den Zettel legte ich auf den kleinen Tisch in meinem Zimmer. Direkt daneben lag Kais Blazer. Ich zögerte, doch dann nahm ich ihn auf und besah mir den glänzenden blauen Stoff ganz genau. In dem spärlichen Licht sah es aus, als läge ein ganz leichter, lackschwarzer Schimmer darüber. Fast schon vorsichtig hob ich die Hand, bis die Fasern meine Nase kitzelten. Ich roch Kais Parfum. Das, was ich so mochte. Noch ein, zwei Sekunden verharrte ich so, dann zog ich mir den Blazer an.
 

Ein kurzer Blick zeigte mir, dass die beiden noch immer tief und fest schliefen. Nachdem ich mich aus ihrer Mitte weggestohlen hatte, waren sie wohl zusammengerückt, um die kalte Lücke zu schließen; jedenfalls hatten sie es geschafft, sich in den wenigen Minuten, in denen ich mich fertig gemacht hatte, so ineinander und in die Bettdecke zu verknoten, dass ich mir nicht mehr sicher sein konnte, welcher Körperteil zu wem gehörte. Echte Männerfreundschaft bis in den tiefsten Schlaf. Ich grinste gehässig. Was Kai wohl dazu sagen würde, wenn ich das hier fotografierte und er es morgen auf Facebook begutachten konnte…? Er würde mich unangespitzt in den Boden rammen, ganz klar. Ich ging hinaus; vor dem Spiegel im Flur zupfte ich den Blazer noch einmal zurecht, dann verließ ich das Haus.
 


 

Es dauerte etwa eine Stunde bis zu der Straße, in der der Proberaum lag. Diese Stunde verbrachte ich damit, über mich und Kai und mich und Katsumi nachzudenken. Heraus kam dabei nichts. Mir war klar geworden, dass ich für beide unleugbare Gefühle hatte. Spätestens seit gestern Abend war ich mir dessen auch in Bezug auf Kai sicher. Nun, eigentlich hatte ich es seit dem Tag gewusst, den ich mit ihm verbracht hatte. Und doch…sträubte sich alles in mir dagegen, anzunehmen, dass diese Gefühle auch nur im Entferntesten erwidert werden könnten. Trotz des Ones. Trotz der Küsse. Trotz allem. Es war schier unmöglich, dass Kai Hiwatari irgendetwas von mir wollen könnte. Er war einer meiner besten Freunde, also wie ein verdammter großer Bruder für mich, und nicht wie ein Geliebter!

Katsumi hingegen erfüllte die Voraussetzungen für eine Beziehung schon besser: Er entstammte nicht meinem unmittelbaren Umfeld, wurde von der Clique gebührend misstrauisch beäugt, und ihn und mich verband nichts als unsere Verliebtheit. Genug Abstand von der Alltagswelt für traute Zweisamkeit.
 

Das war also aus meiner Suche nach der großen Liebe geworden: Auf der einen Seite hatte ich provoziert, dass aus einer Freundschaft etwas mehr geworden war, auf der anderen Seite war ich wie ein kleines Schulmädchen in einen Mann verliebt, den ich eigentlich gar nicht kannte. Ich wusste nur das von ihm, was er über das Internet preisgab. Das war nicht viel besser, als wenn ich zu einem Blinddate gefahren wäre.
 

Irgendwann wurde diese Zeit des Grübelns beendet. Ich stieg aus der Bahn, brauchte eine Weile, um mich zu orientieren und schlug dann tatsächlich den richtigen Weg ein, denn ein paar Minuten später stand ich vor dem richtigen Haus. Hier war man der Innenstadt nahe, eine Straße weiter tobte das Leben, aber es war seltsam leer und ruhig, bis auf die gedämpften Geräusche von Menschen und Verkehr. Ein abgenutztes Neonschild hing über dem Eingang, jetzt natürlich ausgeschaltet, das auf einen Club im Erdgeschoss hinwies. Der Proberaum befand sich im Keller. Ich stieg die ausgetretenen Stufen hinab und betätigte probehalber die Klinke der Stahltür, die mich unten erwartete. Sie war offen. Sobald ich eingetreten war, hörte ich Stimmengemurmel. Es lotste mich den schmalen, dunklen Gang entlang zu einer weiteren Tür, die angelehnt war. Ich erkannte Katsumis Stimme auf Anhieb. Als ich anklopfte, wurde die Tür sofort aufgerissen und Makoto grinste mich an; er musste direkt daneben gesessen haben.
 

„Hallo…“, grüßte ich verschüchtert, doch das ging praktisch unter in einer Umarmung seitens Katsumi. Er war einfach plötzlich vor mir aufgetaucht, ich hatte ihn gar nicht kommen sehen. „Schön, dass du da bist!“, sagte er. „Wir werden dir heute leider nicht so viel bieten können. Eigentlich wollten wir eine kleine Jamsession machen, aber irgendwie quatschen wir die ganze Zeit nur.“

„Kein Problem…“, nuschelte ich. Es überwältigte mich noch immer, wie offen und locker er sich mit mir unterhielt.

„Setz dich, nimm dir was zu trinken, oder warte, ich hole was. Was möchtest du? Nicht, dass die Auswahl groß ist. Wir haben Cola und Bier.“

„Äh, Cola, bitte.“ Ich hatte das dringende Bedürfnis, nüchtern zu bleiben. In einer Ecke des Raumes stand eine Couchgarnitur. Zwar waren an jeder Ecke winzige Füßchen angebracht, doch in der Mitte hingen die Sofas sämtlich bis zum Boden durch. Als ich mich auf einem niederließ, fühlte ich mich, als säße ich auf einem Wasserbett. Da mussten unglaubliche Sprungfedern drin sein.
 

„Alles klar. Shun, hol der Frau mal ne Dose Cola!“ Nachdem er die Aufgabe erfolgreich abgetreten hatte, setzte er sich neben mich und legte schwungvoll einen Arm um meine Schultern. „Du bist so eine Süße“, meinte er. „Ich mag das. Ist mal was anderes als diese Teenager, die sich viel zu erwachsen für ihr Alter benehmen.“ Darauf wusste ich nichts zu erwidern, aber ich nickte und versuchte zu lächeln, denn ich hatte schon verstanden, dass das wohl ein Kompliment sein sollte. Plötzlich beugte er sich zu mir und schien an mir zu schnuppern. „Wow, du riechst echt gut! Welches Parfum benutzt du?“

„Jetzt lass die Frau doch mal Luft holen!“, mischte Yoshio sich ein, der das Ganze vom Sessel aus beobachtet hatte; und an mich gewandt fügte er hinzu: „Schalte einfach ab, wenn es dir zu viel wird. Er quasselt ständig, wie eine Frau –ohne dich beleidigen zu wollen.“

„Schon gut“, meinte ich und fühlte mich trotzdem noch etwas hilflos. „Also, äh…“ Ich drehte mich zu Katsumi, der mich anlächelte. Erst zu spät merkte ich, dass es wohl ein zärtliches Lächeln war. „Wie kam es eigentlich, dass ihr bei MingMing Vorband wart?“
 

„Haha, lange Geschichte…“, antwortete Yoshio. Sie erzählten abwechselnd, wie sie im Internet über MingMings Homepage gestolpert waren, auf der eine Anzeige um eine Vorband geworben hatte. Es sollte ein kleiner, privater Wettbewerb vor MingMings Augen stattfinden, woraufhin sie sich eine Vorband wählen konnte. Und irgendwie hatten Showdown es halt geschafft. „Das war so krank“, meinte Shun, der inzwischen zurückgekommen war und mir meine Cola gebracht hatte. „Man kam sich vor wie bei ‚Star Search‘ oder so was –dabei haben wir uns immer geschworen, niemals bei sowas mitzumachen.“

„Never ever“, bestätigte Katsumi, der mir frech die Dose aus der Hand nahm, um selbst einen Schluck zu trinken. Dabei zwinkerte er mir verschmitzt zu, was ihn so hinreißend –ich meine wirklich hinreißend, es gibt einfach keinen passenderen Ausdruck für diesen Blick– machte, dass ich mich kurz fragen musste, ob das hier alles wirklich real war. Ich schüttelte leicht den Kopf, um die Taubheit darin zu minimieren und fragte: „Und was habt ihr jetzt vor?“

„So dies und das“, meinte Yoshio. „Wir warten erstmal ab, ob wir noch ein paar Alben verkaufen können und jammen ein Bisschen rum. Und wenn dabei was rauskommt, gehen wir wieder richtig ins Studio. Alles easy.“
 

Obwohl ich an diesem Nachmittag das Tageslicht nicht mehr sah, fühlte ich mich in dem dunklen, heruntergewirtschafteten Raum gut aufgehoben. Es musste einfach ein Bisschen ranzig sein, wenn richtige Talente am Werk waren. Irgendwann konnten sich die Jungs auch tatsächlich noch dazu aufraffen, eine kleine Jamsession vom Zaun zu brechen. Ich verhielt mich ganz still und lauschte gebannt, wie aus ein paar experimentellen Riffs ein kleiner Song wurde. Sogar Katsumi stieg ein, indem er einfach irgendetwas vor sich hinsang, das mehr Melodie als Text war. Er hatte eine wahnsinnig schöne Stimmfarbe, die jetzt, ohne großartige Verstärkung, noch besser zum Vorschein kam. Es hörte sich einfach viel natürlicher an. Ich konnte einfach nicht fassen, dass dieser schöne Mann mit dieser wundervollen Stimme sich zu mir hingezogen fühlte.
 

Später setzte er sich dann wieder zu mir, während die anderen noch weiter machten. Er legte einen Arm um mich und raunte mir irgendwas zu. Ich mochte seine Sprechstimme, aber sie machte mir nicht die gleiche Gänsehaut wie sein Gesang. Angenehm war es trotzdem. „Hast du einen Bruder?“, fragte er mich auf einmal. Verwundert schüttelte ich den Kopf. „Wieso?“

„Naja…“ Er zupfte an meiner Schulter herum. „Das ist doch ein Männerblazer, oder? Oder machst du gerade den Boyfriend-Style mit? Ich meine, versteh’s nicht falsch, das Teil steht dir.“

„Danke…“, nuschelte ich lediglich, denn mir war die Absurdität der Situation aufgegangen. Da saß ich nun, bei einem Mann, für den ich etwas empfand, in ein Kleidungsstück gehüllt, dass ich einem anderen Mann stibitzt hatte, für den ich auch Gefühle hatte.
 

Katsumi schien von meinem inneren Konflikt nichts mitzubekommen. Er war schon bei einem ganz anderen Thema: „Musst du heute wieder nach Hause?“ An dieser Frage war nicht lange herumzuinterpretieren. Er wollte, dass ich mit zu ihm kam. Scheiße. Das ging mir aber arg zu schnell. „Ähm, ja, ich habe meiner Clique versprochen, heute noch vorbei zu kommen.“ Stimmte so zwar nicht, aber zur Not konnte ich bei Takao erscheinen, wann ich wollte.

„Nimm mich doch mit!“, schlug er vor, doch ich winkte ab und versuchte dabei, so locker wie möglich zu wirken. „Nee, lass mal“, meinte ich, „Ich muss sie erst noch ein Bisschen darauf vorbereiten, dass wir was miteinander haben. Ein anderes Mal, okay?“
 

„Okay.“ In seinen Augen flackerte tatsächlich ein wenig Enttäuschung. Ich streckte die Hände aus, zog ihn zu mir heran und verwickelte ihn in einen tröstenden Kuss. So etwas klappte wohl automatisch: Auch wenn ich inzwischen arge Gewissensbisse entwickelte und nicht einmal genau wusste, wem gegenüber, hatte ich das Bedürfnis, ihm zu gefallen. Und dennoch erinnerte ich mich gleichzeitig daran, wie in der Nacht meine Hände genauso auf Kais Wangen gelegen hatten und dass diese sich ganz anders anfühlten, als Katsumis. Katsumi war außerdem viel kleiner als Kai, er überragte mich nur ein ganz kleines Stück. Ich könnte meinen Kopf nicht an seine Schulter lehnen, ohne eine Nackenstarre zu bekommen. Dafür war es viel einfacher, an seine Lippen heranzukommen, wenn ich ihn küssen wollte. Und Katsumi überließ mir gerade tatsächlich die Kontrolle, sodass ich ihn davon abhalten konnte, den Karpfen zu spielen. Alles in allem sehr angenehm.

„Hey ihr zwei Liebenden!“, unterbrach Makoto uns. Er bewarf Katsumi mit einem zerknüllten Zettel. „Nehmt euch ein Zimmer, im Proberaum herrscht Fickverbot. Hier wird gearbeitet!“
 


 

Ein paar Stunden später trat ich wieder auf die Straße. Es war schon früher Abend, und das Licht bekam ganz langsam einen rötlichen Stich. Ich drehte mich nicht noch einmal um, sondern lief zügig und mit irgendwie abgehackten Schritten zur U-Bahn-Station. In meinem Kopf herrschte eine seltsame Leere, ich konnte meine Gedanken auf nichts fixieren. Stattdessen stand ich, zwischen all die anderen Leute gepresst, in der Bahn und las Werbeschilder. Immer und immer wieder. Selbst flüchtige Erinnerungen an Katsumis Küsse, Blicke, Berührungen konnten mich nicht davon abhalten. Irgendetwas stimmte nicht.
 

Ich fuhr zu Takao. Alle waren dort, auch Rei und Mao, die sich mit Eis fütterten, und Kai hatte Yuriy mitgebracht; sie saßen auf der Veranda, wärmten sich in der Abendsonne und unterhielten sich. Ich merkte erst, dass ich noch immer Kais Blazer trug, als er mich darauf ansprach: „Sag mal, hast du keine eigenen Jacken? Ich hab schon gedacht, ich hätte das Ding im ‚Europa‘ vergessen…“ Und Mao musste mir von ihrem Schock des Tages erzählen: Sie war, kurz nachdem ich das Haus verlassen hatte, zu mir gekommen um noch ein paar ihrer Sachen zu holen, die zum Teil immer noch bei mir lagen. Dabei war sie auf Kai und Yuriy gestoßen, die sich einen Kaffee gemacht und beim Trinken auf meinem Bett gelümmelt und ferngesehen hatten. Ihre ersten Gedanken zu dieser prekären Situation waren, auch weil sie dachte, ich wäre noch da und nur im Badezimmer, natürlich ganz und gar nicht jugendfrei gewesen, und die Jungs hatten ihre liebe Mühe damit gehabt, ihre Verdächtigungen zu zerstreuen.
 

Ich hörte ihnen allen zu, doch ich konnte mich nicht richtig auf ihre Worte konzentrieren. Deshalb nickte ich nur und lächelte, bevor ich unter einem Vorwand in die Küche ging. Hier war es schön ruhig. Ich setzte mich an den Tisch und starrte die glatte, weiße Kühlschranktür an. Ob Takao Süßigkeiten im Haus hatte? Bier? Vielleicht müsste noch jemand einkaufen gehen…ach ja, und wir wollten ja noch eine DVD zusammen gucken, irgendwann, das hatten wir vor einer Ewigkeit mal beschlossen. Was war das noch gleich für ein Film gewesen?

Es half nichts. Ich fühlte, wie ich langsam aber sicher keine Luft mehr bekam. Und dann heulte ich los. Ich wusste nicht, warum. Vielleicht wollte ich es auch nicht so genau wissen. Auf einmal, als ich die ganze Clique gesehen hatte, war mir hundeelend geworden. Ich wollte einfach nur ein paar Minuten mit mir allein verbringen, dann könnte ich vielleicht wieder zu ihnen gehen. Einfach nur ein Bisschen weinen.
 

Natürlich war mir das nicht vergönnt. Nachdem ich eine Weile still, aber haltlos vor mich hingeflennt hatte, ging die Tür auf. „Hiromi…?“

Es war Yuriy. Verdammte Scheiße, der hatte echt ein Talent für Fettnäpfchen. Doch anstatt peinlich berührt auf seine Zehenspitzen zu starren, ging er ohne merkliches Zögern in die Offensive: „Hey, dass kein Bier da ist, ist doch kein Grund zum Heulen!“, meinte er und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. „Was ist los?“

Natürlich konnte ich nicht antworten. Ich stand auf, kramte in einer Schublade nach Taschentüchern und wischte mir die Wangen trocken. Ich konnte Yuriy nicht ansehen, spürte seinen Blick jedoch auf mir, der eine Intensität hatte, die ich bis jetzt nur von einer anderen Person kannte. „Okay, vergiss es“, hob Yuriy wieder an. „Ich weiß schon, was los ist. Kai, oder?“
 

„Was?“, stammelte ich. Er zog die Augenbrauen hoch und sah mich irgendwie tadelnd an. „Süße, glaubst du, ich merk es nicht, wenn zwei Leute nachts anfangen, neben mir rumzumachen?“ Ich verlor sofort jegliche Beherrschung über meine Mimik, was ihn sehr zu amüsieren schien. „Oh Gott, das tut mir Leid, wirklich…“, stotterte ich zusammen, doch er winkte ab. „Ist ja nicht so, dass ihr Sex hattet. Da hätte ich dann schon was gesagt. Obwohl…ich bin ja auch so ein Bisschen voyeuristisch, glaube ich…hm…“ Auf meinen Wangen breitete sich Hitze aus.

„Nein, mal ganz im Ernst, Hiromi“, sagte er, „Warum machst du nachts mit Kai rum und gehst dann tagsüber zu einem anderen Kerl? Ich bin ja im ‚Europa‘ schon stutzig geworden, als er sich diese Bitch angelacht hat; aber als du ihm dann die Szene gemacht hast, wurde mir so einiges klar. Die Frage ist nur, warum das bei euch so kompliziert ist? Dass Kai erst um drei Ecken denkt, bevor er mal den Arsch an die Wand kriegt, weiß ich ja, aber dass du genau so drauf bist…“

„Moment mal“, unterbrach ich ihn. Sein kleiner Monolog hatte mir genug Zeit verschafft, um mich wieder zu fassen. Die Tränen waren zumindest weg. „Mach mal langsam, bitte. Zwischen Kai und mir ist nichts. Jedenfalls nichts Ernsthaftes. Ich meine, gut, wir haben miteinander geschlafen, aber das war nur einmal, hat gar nichts zu bedeuten…“
 

„Okay…“ Anstatt mir ordentlich zu antworten stand er auf und begann, die Küchenschränke zu durchsuchen. Er wühlte ein wenig zwischen Gewürzen und Vorräten herum, bis er endlich mit einem leisen, triumphierenden Laut eine Chipstüte in der Hand hielt. „Takao hat gesagt, dass die hier irgendwo rumliegt“, erklärte er knapp auf meinen verwirrten Blick hin, bevor er die Tüte aufriss und die Hand darin versenkte. „Mann, hab ich einen Hunger…Also“ Unterbrochen von Rascheln und Knuspern redete er schließlich weiter auf mich ein: „Erstmal glaube ich dir kein Wort. Wenn du diesen One, oder was auch immer das war, mit Kai nicht ernst nehmen würdest, säßest du jetzt nicht heulend hier. Punkt. Die Frage ist nur, warum du dir das Leben so kompliziert machst und mit diesem Katsumi gehst, anstatt Kai klarzumachen.“

„Ich kann Kai nicht klarmachen.“

„Warum?“

„Weil er nichts Ernstes von mir will.“

„Warum?“

„Herrgott, wir sind beste Freunde!“

„Na und?“

„Warum stellst du so bescheuerte Fragen, Ivanov?“

„Ich war mal Teamchef von NeoBorg, bescheuerte Fragen zu stellen liegt mir praktisch im Blut.“
 

Nach diesem Schusswechsel blieb ich erstmal still. Ich war wütend auf Yuriy. Er verstand gar nichts. Wir starrten uns über den Tisch hinweg an, er schob sich immer noch Chips in den Mund, den ein belustigtes Lächeln zierte. Seine ganze Art war irgendwie herablassend, und zum ersten Mal störte es mich wirklich. Kurzum: ich war beleidigt; ich hatte keine Lust mehr, mich mit ihm zu unterhalten. „Du hältst dich wirklich für richtig schlau, oder?“, giftete ich ihn schließlich an. „Es ist eben nicht alles so einfach! Du kannst nicht so mir nichts, dir nichts zu jemandem hingehen und ihn klarmachen. Ich will eine richtige, ernsthafte Beziehung, die langsam wächst. Nicht so etwas…Spontanes.“ Meine Rede klang ja richtig einleuchtend. Anstatt mich auf Kai zu stürzen und irgendwann festzustellen, dass es ja doch nichts für mich war, tastete ich mich ganz langsam und geduldig zusammen mit Katsumi vor. Unsere Beziehung lief einfach, wie es sollte, ha! –Ich war tatsächlich ein wenig gespannt darauf, wie Yuriy nun reagieren würde.

Sein Grinsen wurde noch ein Stückchen breiter. „Du hast Angst!“, sagte er. Das war das Letzte, was ich erwartet hätte. „Warum sollte ich?“, fauchte ich deswegen, doch er hörte gar nicht zu, sondern redete einfach weiter: „Kai hat mir von deinem Traumprinzengefasel erzählt. Totaler Bullshit, wenn du mich fragst, und ich sag dir was: Du glaubst doch nicht einmal selbst, was du da vor dich hinlaberst.“

„Was?!“
 

„Verarsch mich nicht, Hiromi.“ Seine Stimme hatte jegliche amüsierte Färbung verloren. Er hörte sich jetzt sogar ziemlich gereizt an, und sofort wandelte sich mein gesunkener Respekt zu leichter Furcht. Schon beeindruckend, schoss mir durch den Kopf, wie er meine Gefühle beeinflusste, rein durch die Art und Weise, wie er etwas sagte. „Du machst doch das genaue Gegenteil von dem, was du wolltest“, fuhr er fort. „Anstatt auf deine Gefühle zu achten und das zu tun, was dir emotional richtig erscheint, vertraust du nur auf deinen Dickschädel. Klar, im Gegensatz zu unserem Antiromantiker muss Katsumi ein wahrer Prinz sein, und eure Chancen stehen ja nicht einmal schlecht –aber wenn du so überzeugt von eurer Beziehung wärest, würdest du schon längst nicht mehr so zwischen den Stühlen sitzen, wie du es gerade tust.“
 

Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Das war alles so kompliziert, dass mir der Kopf schwirrte. Ich hatte einfach nur darauf warten wollen, bis ich mich vollends auf Katsumi einlassen konnte, doch Yuriy machte gerade eine Mücke zum Elefanten und mir ein noch schlechteres Gewissen. „Was willst du überhaupt von mir?“, fragte ich deswegen.

„Nun, eigentlich will ich nur, dass du einen Schlussstrich ziehst. Gleich, welcher Art. Die Situation, so wie sie jetzt ist, ist viel gefährlicher für deine Freundschaft mit Kai, als wenn du dich für eine Seite entscheiden würdest. Glaub mir, Kai macht sich auch so seine Gedanken. Er fragt sich, warum du nicht endlich ganz zu Katsumi gehst.“ Autsch. Das tat ungewöhnlich weh. „Und dann ist da noch die Sache mit Alyona. Weißt du, jetzt, wo ich weiß, dass ihr was miteinander habt, wundert mich nicht mehr, warum er sie loswerden will.“ Jetzt fing Yuriy wieder an, nach Chips zu fischen und wandte den Blick von mir ab. Ich jedoch war vollkommen verwirrt. „Was hat das mit Alyona zu tun?“, hakte ich nach. „Er will doch sowieso nichts von ihr.“
 

„Naja…“, sagte er zwischen zwei Bissen, „Das stimmt nicht so ganz. Immerhin haben sie sich mal geliebt. Also, so richtig. Das ist nie ganz weg. Und Kai stellt auch langsam fest, dass er lange genug alleine war. Du wärest übrigens nicht die schlechteste Wahl für ihn. Du bist unkompliziert. Kai hat keinen Bock auf eine Tussi, die ihn den ganzen Tag lang beansprucht. Also hast du bei ihm in letzter Zeit wohl ordentlich punkten können. Aber wenn du nicht willst…“ Er zog demonstrativ die Augenbrauen hoch und tupfte Chipskrümel von der Tischplatte.

„Was dann?“, fragte ich; ich konnte nicht verhindern, dass es sich gepresst anhörte.

„…dann nimmt er halt Alyona.“

BAMM. Das war scheiße.
 

„Na was denn, Hiromi?“, fragte Yuriy, als er meinen Blick bemerkte, „Denkst du, er wartet auf dich, bis du dich mit Katsumi ausgetobt hast, und dann könnt ihr einfach da weiter machen, wo ihr aufgehört habt?! Wir reden hier von Kai. Der hat’s nicht so mit schicksalshafter Liebe, wie du. Was nicht geht, geht halt nicht. Und mal ganz ehrlich, was erwartest du denn von ihm? Dass er Katsumi aufs Maul haut und dann heroisch vor der ganzen Welt erklärt, wie sehr er dich liebt?“

In diesem Moment schossen mir wieder die Tränen in die Augen. Einfach so, ich konnte es weder verhindern noch wieder aufhalten. Irgendwie schien mich Yuriy mit diesen Worten verraten zu haben; sie hatten sich direkt in meinen Kopf gebohrt und dort Gedanken freigesetzt, die ich mir zuvor nicht eingestanden hatte. Ich war glücklich, dass ich Katsumi hatte. Aber Kai wollte ich eben auch. Doch vor einer Beziehung mit Kai hatte ich schlicht und ergreifend Angst. Er würde mich mit Sicherheit nicht so behandeln, wie ich immer hatte behandelt werden wollen. Ich kannte ihn gut, ich wusste, wie er tickte. Es würde Momente geben, in denen er mich entweder furchtbar wütend oder furchtbar traurig machen würde, und das wollte ich einfach nicht.
 

„Yuriy…“, gelang es mir irgendwann zu sagen, „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.“

Es knisterte laut, als er die Tüte zusammenknüllte und in einem hohen Bogen in den Mülleimer warf. Dann jedoch streckte er die Hand aus und berührte mich ganz leicht am Arm. „Das kann ich dir auch nicht sagen“, meinte er. „Ich bin nur hier, um dir den Kopf zu waschen. Gern geschehen, übrigens.“ Er war so seltsam. Total direkt und ziemlich ungeduldig, aber dadurch brachte er die Leute zurück auf den Boden der Tatsachen. Tat er das hier für mich, oder wollte er bloß seinem besten Freund einen Gefallen tun? Man bekam schnell das Gefühl, dass Yuriy die Dinge nur tat, weil er irgendein für ihn bedeutsameres Ziel verfolgte.

Ich sagte nichts mehr, sondern heulte lieber noch ein Bisschen weiter. Yuriy war selbst schuld, wenn er dadurch ein schlechtes Gewissen bekam. Aber das war wohl nur Wunschdenken; ein Yuriy Ivanov hatte wegen so etwas kein schlechtes Gewissen. Trotzdem blieb er sitzen und sah mich wohl immer noch an, doch ich erwiderte diesen Blick nicht. Und dann hörte ich Schritte auf dem Flur.
 

Wieder ging die Tür auf. „Sagt mal, ist hier irgendwo ein schwarzes Loch, dass euch alle verschluckt…?“ Zwischen Kais Augenbrauen entstand eine deutliche Falte, als er uns sah: Ich, verheult und verquollen und Yuriy, dessen Hand immer noch nur wenige Zentimeter von meinem Unterarm entfernt auf dem Tisch lag. Er holte Luft, um irgendetwas zu sagen, doch Yuriy kam ihm zuvor: „Gut, dass du kommst. Ihr zwei könntet mal einige Sachen klären.“ Daraufhin schloss sich Kais Mund nur sehr langsam wieder, und ich beobachtete zum ersten Mal, wie sich Resignation, Zweifel und Erleichterung zugleich auf seinem Gesicht ausbreiteten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  FreeWolf
2020-05-06T10:42:08+00:00 06.05.2020 12:42
Ich glaub, das ist mein Lieblingskapitel. Mit dem Abschluss vom letzten und dem nächsten. Ich liebe Yuriy und Hiromi immer noch. Und lustig: Ich finde immer noch den Satz den ich in meinem Kommi von 2011 erwähnt habe, total gut. 😂
Von:  FreeWolf
2011-11-15T10:33:25+00:00 15.11.2011 11:33

„Ich war mal Teamchef von NeoBorg, bescheuerte Fragen zu stellen liegt mir praktisch im Blut.“

DIESEN Satz möchte ich gerne Adoptieren und an der Leine mit mir herumführen. *lach*
Hm, warum machen die Frauen und Kai es sich nur immer so kompliziert?.. XD

Nein, im Ernst. Ein tolles Kapitel, wieder, und ich bin wie immer gespannt, wie es dann am Ende noch weitergehen wird. ;)
lg
Von:  wolf_girl-93
2011-11-14T22:39:24+00:00 14.11.2011 23:39
hammer einfach der Wahnsin
ich bin echt gespant was die zwei jetzt wohl besprechen
das ist wirklich spannent für wen sich Hiromi entscheidet
aber mal ehlich wer würde Kai schon von der bett kante stoßen xD
Mach bitte schnell weite

Liebe grüße
wolf_girl-93
Von:  man-chan89
2011-11-14T18:46:29+00:00 14.11.2011 19:46
wieder ein echt hammer kapi :D

das gespräch zwischen den beiden war echt super. endlich mal jemand der die wahrheit einfach auf den tisch haut.
nun bin ich mal gespannt was sie macht. für wen sie sich entscheidet... und vor allem was werden kai und hiromi jetzt reden?
wahh schreib ja schnell weiter *totalgespanntbin*

lg
Von:  Scary_Mel
2011-11-14T07:43:57+00:00 14.11.2011 08:43
einfach ein hammer Kappi :D

wie immer meine ich xD und ich hab mir echt denken können, dass Yuri wusste das die zwei da rumgefummelt haben :]

Und dann auch das Gespräch mit Yuri und ihr gut gemacht wirklich !
:D

weiter so ja? ^^

LG

Revi~
Von:  SkyAngel
2011-11-13T23:11:03+00:00 14.11.2011 00:11
arg, der wahre hammer. <3
ich find das mit yuri so geil. also das er mit hiromi redet. xD
gott so nen kai wie er bei dir ist, den würd ich auch nehmen. xD und wenn auch nur für nen one. <3333

Grüße Sky
Von:  Cameo
2011-11-13T21:09:43+00:00 13.11.2011 22:09
Also ich wär ja dafür, dass sie sich für Kai entscheidet >> Ich will nicht, dass Kai mit seiner Ex zusammen kommt Dx
Aber ich mag das Kapitel :)
Bitte mach schnell weiter ^^


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