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Klassisch

KaiHiromi, ReiMao
von

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Bin kaputt, ist'n schönes Leben

Wir schliefen schließlich doch noch miteinander, und zwar am nächsten Morgen. Als ich aufwachte und mich an ihn kuschelte, empfand ich sein Shirt als überaus störend, zumal ich selbst nur in Unterwäsche geschlafen hatte. Also weckte ich ihn, indem ich anfing, ihn von diesem überflüssigen Kleidungsstück zu befreien. Etwaige Proteste erstickte ich vorsorglich mit einem Kuss, und ohne ein Wort zu wechseln zogen wir uns die restlichen Kleider vom Leib und machten unseren versprochenen Versöhnungssex wahr.
 

Danach ging ich kurz in die Küche, um Kaffee aufzusetzen und fand ein kleines Frühstück auf dem Tisch vor, zusammen mit einem kurzen Gruß meiner Mutter. Das war so unglaublich süß von ihr, dass ich ihr sofort eine Dankes-SMS schrieb, bevor ich alles in mein Zimmer trug. „Lass dir helfen“, sagte Kai, als er sah, wie ich die Tür mit dem Ellenbogen öffnete, und nahm mir etwas ab. „Wow, wie hast du das so schnell hinbekommen?“

„Das war meine Mutter“, antwortete ich etwas verlegen. „Sieht aus, als würde sie alles tun, damit du ihr noch eine Weile erhalten bleibst.“

„Also wenn sie so weitermacht, können wir gerne darüber reden.“ Wir machten es uns wieder bequem und nahmen das, was Mama für uns zubereitet hatte, genauer unter die Lupe. Für Mao und mich hatte sie auch schon des Öfteren etwas hergerichtet, doch hier schien sie sich ganz besonders viel Mühe gegeben zu haben. „Sie mag dich“, stellte ich nüchtern fest, bevor ich mir eine Weintraube in den Mund schob. Kai erwiderte nichts, schmunzelte aber ein wenig in sich hinein.
 

„Was machen wir heute?“, fragte ich.

„Wir? Gar nichts.“ Auf meinen beleidigten Blick hin erklärte Kai: „Ich hab keine Zeit, tut mir Leid. Yuriy und ich müssen noch mal durch die Stadt und ein paar Sachen besorgen. Aber wir sehen uns ja dann heute Abend bei Takao.“

„Hm. Okay.“ Ich schmollte noch etwas vor mich hin, aber dem schenkte Kai natürlich keine Beachtung. Ah, der Nachteil einer offenen Beziehung, dachte ich. Und der Nachteil meines Partners, denn wenn Kai mich nicht dabei haben wollte, konnte ich ihn auch nicht überreden, mich trotzdem mitzunehmen. Aber das hatte ja schon wieder so was Mafiöses, diese Behauptung, er müsse mit Yuriy irgendwelche Besorgungen machen...Wie gesagt, ich würde diese Freundschaft nie so ganz verstehen können.
 

Aus den Augenwinkeln betrachtete ich ihn. Er hatte sich zurückgelehnt, eine Tasse Kaffee in der Hand, und sah mit dem typischen Mienenspiel aus dem Fenster. Nicht, dass es dort viel zu sehen gab außer der Wand des Nachbarhauses und vielleicht ein Stück Himmel aus seinem Blickwinkel. Er war noch immer halbnackt und hatte nur die Beine nachlässig wieder unter die Decke geschoben. So hatte ich ihn das erste Mal gesehen, als wir in unserem ersten Jahr als Team gemeinsam an den Strand gegangen waren; ich war damals reichlich nervös gewesen, als einziges Mädchen in der Gruppe und umgeben von entblößten Kerlen. Inzwischen hatte sich sein Körper natürlich verändert: Alles war irgendwie definierter, und man sah ihm schon an, dass er nicht mehr wie besessen für die nächste Beyblade-Meisterschaft trainierte. Auch an mir war diese Umstellung nicht spurlos vorbeigegangen. Nach vielen Jahren als Strich in der Landschaft hatte ich es tatsächlich geschafft, so etwas wie weibliche Formen zu entwickeln, auf die ich natürlich entsprechend stolz war. Was ich jedoch in diesem Moment feststellte, war, dass ich ihm absolut nicht widerstehen konnte. Nicht einmal, wenn ich es wollte. Wahrscheinlich war diese ganze Sache mit der offenen Beziehung das Beste, was mir passieren konnte. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag mit ihm im Bett geblieben.
 

„Wann musst du denn los?“, fragte ich dennoch, woraufhin er einen Blick auf den Wecker warf, der neben meinem Bett auf dem Tisch stand. „Hm. Na spätestens in zwei Stunden…“

„Okay“, sagte ich und griff nach seiner Tasse, um sie ihm abzunehmen und irgendwo hinzustellen, „Du hast zwei Stunden, um mich auf meinen harten, einsamen, langen Tag vorzubereiten.“ Dabei sprach ich die Adjektive besonders theatralisch aus, was ihn grinsen ließ. „Armes Mädchen…“, murmelte er und zog mich auf seinen Schoß. Beinahe sofort beugte ich mich zu ihm hinunter und küsste ihn stürmisch.

Eines muss man uns lassen, unser Sex war einfach traumhaft. Ich hatte keine Ahnung, wie und wann er mich ausgezogen oder wo er das Kondom hergenommen hatte, aber auf einmal schliefen wir wieder miteinander, und meinetwegen hätte es ewig so weitergehen können. Er ließ mich eine Weile oben bleiben, bevor er einen Arm fest um mich legte und mich in einer einzigen Bewegung auf den Rücken drehte. Ich schlang die Beine um ihn, damit wir uns noch näher waren und erntete einen verlangenden Blick, der mich erschauern ließ. Und irgendwann ließ ich mich einfach fallen und genoss.
 


 

Zweieinhalb Stunden später saß ich vor meinem Computer und klickte mich gelangweilt durchs Netz. Der Tag versprach öde zu werden. Telefon und sämtliche Internetdienste schwiegen, was aber auch daran liegen konnte, dass es noch früh war, also praktisch noch vor Mittag, und eigentlich erreichte man am Wochenende niemanden vor zwölf. Dabei hätte ich gut jemanden gebrauchen können, dem ich meine Gedankengänge anvertraute, dann würden sie sich vielleicht sogar ordnen lassen. Denn eigentlich verwirrte mich diese ganze Dreiecksgeschichte, in die ich hineingeraten war, ungemein. Zwar lebte ich die Sache aus und war glücklich damit, aber irgendwie fuhren meine Gefühle seitdem, also seit noch nicht mal vierundzwanzig Stunden, gewaltig Achterbahn. Es war schon krass: Die Sache mit Katsumi lief doch auch noch gar nicht so lange, genaugenommen auch erst ein paar Tage, auch wenn es mir länger vorkam; und gleich danach hatte das mit Kai ernsthaft angefangen. Nach meiner langen Abstinenz war das beinahe ein Bisschen zu viel.

Resigniert legte ich den Kopf auf meine verschränkten Arme. Ich hörte das leise Knistern und Summen meines Laptops, das mich ganz schläfrig machte. Irgendwie war ich seit geraumer Zeit dauermüde. Reizüberflutung, das musste es sein…
 

Das Klingeln meines Handys riss mich aus dem leichten Schlaf. Verdammt, ich war tatsächlich in dieser Position eingenickt. Jetzt taten mir Arme und Nacken weh, sodass ich mich erst einmal strecken musste, bevor ich abhob.

„Guten Morgen!“

Ich brauchte eine Weile, bis ich die Stimme erkannte. Es war Katsumi, offensichtlich prächtig gelaunt, denn er brüllte beinahe vor Freude. Sofort war ich hellwach. „Hey“, murmelte ich, „Was gibt’s?“

„Ich will dich sehen“, antwortete er, „Lust auf Eis und einen Spaziergang? Ich muss auch noch unbedingt in den Elektromarkt, das neue Korn-Album kaufen…“ Sein Frohsinn steckte mich irgendwie an, sodass sich meine Mundwinkel noch während er redete zu einem Grinsen verzogen. „Na klar, gute Idee“, sagte ich, sobald er geendet hatte, „Wir treffen uns am besten am Brunnen im Park, kennst du den? Da in der Nähe ist ein schönes Café, die haben riesige Eisbecher.“
 

Als ich am Brunnen ankam, wartete er schon auf mich. Er trug verwaschene Jeans und ein schwarzes Shirt, seine Haare hingen ihm lose ins Gesicht. Er gab mir einen Begrüßungskuss, und obwohl mir dabei ein Bisschen flau wurde, hatte ich weniger Schuldgefühle als erwartet. Also ließ ich ihn auch meine Hand halten, während wir zu dem Café schlenderten. Katsumi redete beinahe unentwegt. Er hatte unglaublich viel zu erzählen, angefangen vom Kauf eines neuen Sets Saiten für seine E-Gitarre bis hin zu der Idee für einen Song, die ihm gestern kurz vorm Einschlafen kam und die er, natürlich, heute Morgen vergessen hatte. Aber das machte wohl nichts, denn eigentlich war Makoto der Songschreiber der Band, und Katsumis Texte würden nach eigener Angabe nie und nimmer an seine heranreichen können.

Dann fragte er tatsächlich, wie es mir so ginge und was ich so getrieben hätte in den vierundzwanzig Stunden, die wir uns schon nicht mehr gesehen hatten. Ich druckste herum; abgesehen von Kai war schließlich nicht so viel passiert. Irgendwie redete ich mich damit heraus, dass es gestern bei Takao sehr langweilig gewesen und ich früh nach Hause und ins Bett gegangen war.
 

„Trefft ihr euch denn jeden Tag?“, fragte Katsumi daraufhin neugierig.

„Ja, fast.“

„Hm“, machte er, „Wird das nicht sowieso irgendwann langweilig?“

„Ach naja.“ Ich winkte ab, gab ihm im Stillen aber doch irgendwie Recht. Wenn ich nicht regelmäßig wegginge, würden mir die Cliquenabende wohl ganz schön öde vorkommen. „Ich verschaffe mir Abwechslung: Konzerte, Partys, Shoppen…was man so macht, wenn man zu viel Freizeit hat.“ Er lachte und ich wartete darauf, dass er mich nach meinen Plänen fragte –Was willst du nach den Ferien machen? Wo wirst du studieren? Oder gehst du ins Ausland? Darauf hatte ich nicht die mindeste Lust. Meine Pläne gingen keinen etwas an, und wenn jemand fragte, zuckte ich inzwischen nur noch die Achseln und wimmelte ihn irgendwie ab. Doch er fragte einfach nicht, sondern beließ es bei dem Lachen.
 

Im Café angekommen durfte ich mir einen wirklich monströsen Eisbecher auf seine Kosten bestellen. Als er vor mir hingestellt wurde, konnte ich Katsumi auf der anderen Seite des Tisches nicht mehr sehen. Doch das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn sein eigener Becher stand dem meinen in nichts nach. Die nächsten Minuten verliefen demzufolge auch schweigend, denn wir hatten beide genug damit zu tun, die erste Schicht Eis zu löffeln, ohne dass etwas danebenfiel.
 

„Also…“, fing Katsumi dann wieder an, „Gehst du denn heute auch dorthin?“ Er war wohl immer noch bei Takao. Ich hob die Schultern. „Ja, eigentlich hatten wir ausgemacht, dass wir uns wieder dort treffen. Aber ich glaube, heute ist irgendwas im ‚Kittchen‘ los, also werden wir später wohl noch da hingehen.“

„Ich weiß.“ Er nickte bekräftigend, „Die haben da eine Metalband aus Osaka aufgerissen, die spielen heute da. Hm. Eigentlich keine schlechte Idee. Nimmst du mich mit?“

„Oh, äh…“ Scheiße. Eigentlich hätte mir ja klar sein können, dass Katsumi mich so etwas fragen würde. Hatte er ja gestern schon angedeutet. Doch es traf mich trotzdem ziemlich unvorbereitet. Fieberhaft überlegte ich, ob ich nicht irgendeine Ausrede erfinden konnte, aber mir fiel partout kein stichhaltiger Grund ein, warum er meine Freunde nicht kennenlernen sollte. Zumal diese Freunde im wahrsten Sinne des Wortes schon viel von ihm gehört hatten. Nur, wie sollte ich das Kai erklären?
 

Katsumi beobachtete mich aufmerksam und schob sich dabei weiter Eis in den Mund. Er war sexy. Wahrscheinlich wusste er das auch. Innerlich musste ich mir eine kleine Kopfnuss geben. „Hör mal“, meinte er, „Wenn deine Freunde mich nicht leiden können, sag es doch einfach!“

„N-nein!“, rief ich aus, „Das verstehst du falsch!“ Zusätzlich wedelte ich ein Bisschen mit den Händen herum. „Nein, es ist nur so…naja, es ist für mich ziemlich ungewöhnlich, mit einem Mann dort aufzutauchen…“ Na, das hörte sich doch sogar plausibel an. Und stimmte im Prinzip ja auch. Katsumi entspannte sich sichtlich, als er diese Antwort hörte. „Ach so. Ich dachte schon, ich muss mich jetzt deiner Clique stellen und mir den Weg zu dir freikämpfen wie Scott Pilgrim.“ Er machte ein paar minimalistische Martial-Arts-Handbewegungen und verzog das Gesicht, sodass ich nicht anders konnte, als in mädchenhaftes Kichern auszubrechen und mich beinahe an meinem Eis verschluckte. So ging das Kichern in Husten über, bevor ich mit Tränen in den Augen antwortete: „Quatsch. Nee, das ist alles kein Problem. Ist nur eben eine ungewohnte Situation. Naja. Komm einfach mit. Ich denke, die anderen werden sich freuen.“ Was hätte ich auch anderes sagen können? So, wie ich Katsumi bisher erlebt hatte, hätte er ansonsten seinen Hundeblick ausgepackt und nicht länger wieder verschwinden lassen, bis ich zugestimmt hätte. Jetzt breitete sich wie auf Knopfdruck ein Strahlen auf seinem Gesicht aus. „Super!“, sagte er und stürzte sich dann wieder auf sein Eis.
 

Später betraten wir den Elektromarkt, der sich in der örtlichen Mall befand und gleich vier Stockwerke Ladenfläche umfasste. Die Mediathek befand sich ganz oben, sodass wir erst die Küchengeräte, Fotoapparate, Fernseher und Haushaltshilfen passieren mussten. Katsumi schien sich hier bestens auszukennen, denn er zog mich sofort hinter sich her in eine Ecke, wo über den Regalen ein Schild mit der Aufschrift „Alternative & Metal“ angebracht war. Ich fühlte mich ein paar Jahre meines Lebens zurückversetzt in die Zeit, in der ich meine ersten Alben gekauft hatte. Die CDs waren mir damals noch so wertvoll vorgekommen, dass ich sogar darauf aufpasste, dass sie in meiner Tasche nicht allzu sehr hin- und hergeschleudert wurden, denn ich nahm an, sie würden Kratzer bekommen, wenn sie in ihrer Hülle rotierten.
 

Er fand das neue Korn-Album sofort und machte beinahe den Eindruck, die pappverhüllte CD umarmen zu wollen. Doch er schien sich gerade so beherrschen zu können und winkte mich mit sich. Wir landeten an einem der Scanner, die an jedem Regalende angebracht waren. Dort konnte man den Barcode des Albums einscannen und es daraufhin anhören. Leider gab es nur ein Paar Kopfhörer, deswegen drehte Katsumi die Lautstärke auf voll und hielt sie nur so hin, dass bei uns beiden was ankam. Ohne jeglichen Bass und arg verzerrt drangen Drums, Gitarren und Gesang an unsere Ohren. Trotzdem konnten wir nicht anders, als kurz nach den ersten Akkorden in rhythmisches Kopfnicken zu verfallen wie die letzten HipHopper. Wir grinsten uns an, Katsumi wirkte beinahe selig ob der guten Musik. „Die ist ihr Geld wert“, urteilte er nach fünf Minuten.
 


 

So zog sich der Tag hin. Wir bummelten durch die Stadt und hielten bald sogar Händchen (Katsumi hatte die Initiative ergriffen), während wir uns den Weg durch die Menschenmassen bahnten, die es bei dem schönen Wetter ebenfalls nach draußen trieb. Es war angenehm warm, doch in den Läden herrschte die trockene Kälte von Klimaanlagen, weshalb wir uns gar nicht erst lange in ihnen aufhielten, sondern meistens schon nach ein paar Minuten unverrichteter Kaufdinge weitergingen.

Irgendwann wurde es später Nachmittag, und nach einem Blick auf die Uhr drängte ich ihn zum nächsten Bahnhof. Von hier aus war der Weg zu Takao ziemlich lang und man musste ein paar Mal umsteigen. Wahrscheinlich würden wir dieses Mal als letztes auftauchen.
 

Das taten wir tatsächlich. Zur Begrüßung rief Takao: „Hey, wir wollten schon die Bullen anrufen, damit sie nach dir suchen gehen…oh“, fügte er hinzu, als er Katsumi sah. „Hallo. Bist du der Typ, von dem sie immer redet?“ Ich glaube, ich errötete sichtbar. Schnell wimmelte ich Takao ab und ging in den Garten, denn ich wollte die Begrüßung so schnell wie möglich hinter mich bringen. Es waren wirklich wieder einmal alle da. Sogar Kai und Yuriy hatten es pünktlicher geschafft als ich. „Hey Leute“, sagte ich laut, nachdem ich einmal tief Luft geholt hatte, und grinste angestrengt in die Runde. „Ähm, also das ist Katsumi…“ Vorgestellter hob die Hand und winkte einmal kurz. Während Max und Daichi die Geste nachlässig erwiderten und sich dann wieder ihrem Kartenspiel widmeten, kam von Mao ein mädchenhaftes Kichern. Sie sprang auf, baute sich vor uns auf und meinte: „Ich weiß, das soll man nicht sagen, aber wir haben schon viiieeel von dir gehört!“ Während Katsumis Blick noch auf ihr ruhte, ließ ich meinen über ihren Kopf hinweg zu Kai wandern, wo er sich mit seinem traf. Er schien weder wirklich wütend oder so etwas zu sein. Naja, eigentlich konnte man gar nichts aus seiner Miene ablesen, wie immer. Nur Yuriy neben ihm hatte die linke Augenbraue bis zum Anschlag hochgezogen. In einer entschuldigenden Geste hob ich die Schultern.
 

„Willst du mich nicht vorstellen, Hiromi?“, kam es in diesem Augenblick von Mao. „Oh!“, entfuhr es mir, „Natürlich, entschuldige.“ Ich ging der Reihe nach alle Leute durch: Mao und Rei, Takao und Kyouyju am Laptop, Max und Daichi bei den Karten, Kai und Yuriy rauchend; wir setzten uns zu ihnen, und auch unser zweites Pärchen folgte uns. Und dann geschah etwas, was ich nie im Leben erwartet hätte.

Kaum dass wir uns gesetzt hatten nahmen Kai und Yuriy ihr Gespräch wieder auf, das sie wohl noch schnell zu Ende führen wollten, ehe ein neues Thema begonnen wurde. Schon nach wenigen Worten stellte sich heraus, dass es wohl mal wieder um Musik ging, und ich merkte, wie Katsumis Aufmerksamkeit immer weiter zu ihnen abdriftete.
 

„Ich sag dir, das ist die geilste Mischung, die ich seit Langem gehört habe!“, meinte Yuriy, „Und das hätte ich echt nicht erwartet. Metal und Dubstep, das hat sich für mich angehört wie…Schlager und Speedpunk. Ich dachte wirklich, das geht nie und sie fallen damit voll auf die Schnauze.“

„Hab ich doch gesagt“, entgegnete Kai mit einem selbstgefälligen Grinsen, „Damals bei ‚Get Up‘ hab ich mir schon fast in die Hosen gemacht, aber der Rest ist doch mindestens genauso gut. Ich sag dir was: Scheiß auf Linkin Park. Da kommt nix mehr. Aber Korn…“

„Sagt bloß, ihr habt auch schon das neue Album?“, klinkte Katsumi sich ein. Ich erwartete, dass Kai ihn daraufhin mit einem einzigen Blick töten würde. Wirklich. Ich sah ihn schon hintenüber fallen. Doch stattdessen drehte er, meine Affäre, sich nur zu Katsumi, meinem fast-Freund, um und meinte: „Geiler Stoff, oder?“ Von diesem Moment an schienen die beiden für die Welt verloren. Das Korn-Gespräch nahm epische Ausmaße an, schließlich argumentierten hier ein praktizierender Musiker, ein Metalexperte und dessen bester Freund. Rei, Mao und ich konnten nur sprachlos daneben sitzen und uns verwirrt ansehen. Vor allem ich verstand die Welt nicht mehr. Das musste wohl eine Facette der seltsamen Männerfreundschaften sein: Kai und Katsumi verstanden sich einfach prächtig.
 

Als wir schließlich alle ins ‚Kittchen‘ aufbrachen, nahm ich Yuriy beiseite und fing an, ihn auszufragen: „Sag mal, hab ich was verpasst?“

„Das gleiche könnte ich dich fragen“, entgegnete er und wies unauffällig auf Katsumi, der, noch immer im Gespräch mit Kai, uns vorausging. „Warum hast du ihn mitgeschleppt?“

„Hat sich so ergeben“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „Hätte ja keiner ahnen können, dass zwischen Kai und ihm die große Liebe ausbricht…“

„Amen“, brummte Yuriy. Wir warfen den beiden Männern vor uns einen abschätzenden Blick zu. Als ich mich daraufhin wieder abwandte, bemerkte ich, dass Mao uns beobachtete hatte. Sie starrte neugierig zu mir herüber, während sie bei Rei untergehakt ging. Ich tat, als hätte ich nichts bemerkt, ahnte jedoch schon, dass in ihr wohl langsam einige Fragen aufkeimten.
 


 

Im Club war schon ordentlich was los. An allen Ecken sah man lange Haare und schwarze Klamotten. Die Stimmung war ausgelassen und die besten Plätze schon besetzt, doch Katsumi packte kurz nachdem wir hereingekommen waren meine Hand und zog mich in die Menge. Ich drehte mich zu Kai um, doch der machte keine Anstalten, uns zu folgen, sondern schlug den Weg zur Bar ein. Achselzuckend ging ich weiter; aber es war schon Schade, dass wir heute nicht zusammen das Haus rockten.

Katsumi stellte sich beschützend hinter mich und legte mir die Arme um die Taille. Das hatte ich bisher nur bei anderen Paaren gesehen, die mir mit dieser Gestik immer arg auf die Nerven gegangen waren. Deshalb drehte ich mich zu ihm um und meinte: „Lass mich ja los, wenn sie anfangen, sonst kriegst du einen Ellenbogen ins Gesicht.“

„Aye, Aye, Käpt’n“, entgegnete unbeeindruckt, und in diesem Moment ging das Licht aus.
 

Die Band war okay. Musik, bei der man den Text kaum bis nicht verstand, war zwar nicht wirklich mein Ding, aber zum abhotten reichte es allemal, und die Jungs da vorne waren wahre Meister des Headbangens, boten also genug fürs Auge. Katsumi schien ebenfalls seinen Spaß zu haben; tatsächlich bekam irgendwann ich seinen Ellenbogen ab, woraufhin ich mich revanchierte und wir unseren eigenen Zwei-Mann-Moshpit eröffneten. Nach fünf Minuten war ich durchgeschwitzt und durstig, also griff ich die Gelegenheit beim Schopf und bedeutete ihm, dass ich zur Bar gehen würde. Er nickte nur, bevor er weiterrockte. Gut. Das würde mir ein paar Minuten geben, in denen ich mit Kai reden konnte.

Der saß immer noch an der Bar, vor sich eine Flasche und in ein Gespräch mit dem Barkeeper vertieft, das er jedoch abbrach, als ich mich neben ihn setzte. „Na?!“, grüßte ich, „Krieg ich was zu trinken?“

„Was bettelst du mich an, frag Katsumi“, meinte er, was nicht wirklich ernst gemeint klang, und winkte den Barkeeper noch mal heran, damit ich etwas bestellen konnte. Als ich mein Getränk in den Händen hielt versuchte ich mich an einem Gespräch: „Warum bist du nicht mit vor die Bühne gekommen?“ Er warf mir einen Kai-Blick zu und seufzte theatralisch: „Ach Hiromi…“

„Was?“, quengelte ich. Das mit dem Gespräch funktionierte nicht. Alles spielte sich nur zwischen unseren Augen ab. Wir starrten uns nicht die ganze Zeit an, sondern ließen die Blicke immer wieder schweifen, aber sie fanden dennoch zueinander zurück. Ich bemerkte, dass die anderen zusammen in einer Ecke am Tisch saßen.
 

„Mir ist warm“, sagte ich schließlich, „Ich geh kurz nach draußen. Kommst du mit?“ Wir verließen den Club und liefen ein Stück nebeneinander die Straße entlang. Beinahe automatisch steuerte ich eine dunkle Ecke an, die man vom Eingang des ‚Kittchens‘ aus nicht sehen konnte. Kurz, bevor ich sie erreichte, nahm ich ihn bei der Hand, zog ihn das letzte Stück hinter mir her und zu mir heran. Ich fühlte, wie er die freie Linke in meinen Nacken legte, als wir uns küssten. Seine Finger strichen durch mein Haar. Ich schlang beide Arme um ihn und drückte mich fest an ihn.

Natürlich musste ich irgendwann wieder loslassen, auch wenn ich nicht wirklich Lust dazu hatte. „Scheiße“, murmelte ich, als ich bemerkte, dass wir schon wieder etwas getan hatten, was in unserer jetzigen Lage wirklich arg an der Grenze war. „Kannst du laut sagen“, stimmte Kai mir zu, „Vielleicht sollten wir doch nicht alle gemeinsam weggehen.“

„Hm“, machte ich unzufrieden. Das schien mir keine richtige Lösung zu sein, eher eine Verschiebung des Problems. Ich spürte seine Lippen an meiner Schläfe. „Du hast es so gewollt.“
 

Ja, hatte ich. Scheiße. Ich hob mal wieder einfach die Schultern und schlug den Weg zurück ein. Gemeinsam tauchten wir wieder in den stickigen Raum ein, doch noch bevor ich auch nur daran denken konnte, wohin ich jetzt gehen wollte, trat Mao in meinen Weg. „Hey, ich hab dich gesucht“, meinte sie freundlich, „Wollen wir uns irgendwo hinsetzen und reden?“ In diesem Augenblick wusste ich, dass sie etwas von der Dreieckssache ahnte. Allerdings hatte ich ja eh vor, ihr alles zu erzählen, also konnte es mir nur recht sein. Wir setzten uns nahe der Damentoilette in eine ruhige Ecke. Sie sah mich erwartungsvoll an. „Nur damit das klar ist“, sagte sie, „Verarschen kann ich mich selber. Was läuft da zwischen dir und Kai? Bitte verständlich und ungeschönt.“

„Na gut“, meinte ich. „Ich hab parallel zu Katsumi was mit ihm. Katsumi weiß davon nichts. Das mit Kai ist…eine offene Beziehung. Wir schlafen miteinander.“ Mao schaffte es nicht ganz, ihr Erstaunen zu verstecken, wirkte aber recht gefasst. „Wie lange geht das schon?“

„Mottoparty“, antwortete ich knapp, und da fiel ihr schließlich doch kurz der Unterkiefer hinab. „So lange? Oh Scheiße, und ich hab dich danach doch noch aufgezogen! Also hast du wirklich mit ihm gepennt? Warum hast du denn nichts gesagt, Mensch?“
 

„Hallo?“, entgegnete ich, „Ich und Kai Hiwatari? Ich? Die ich die ganze Zeit von Katsumi schwärme? Und er, wo er doch grad was mit Alyona hatte?“

„Hm“, machte sie, „Da ist was dran. Aber, ganz ehrlich, also…ist das jetzt was Ernstes? Ich meine, wegen Katsumi…wenn es nur um den Sex geht, ich sag dir gleich, Männer sind da lernfähig, mit ein Bisschen Geduld kriegst du das mit Katsumi auch noch hin…“ Daraufhin unterbrach ich sie und erklärte, dass es da schon um mehr als nur Sex ging. Aber das schien sie nicht gerade zu beruhigen. Sie druckste noch eine Weile herum, suchte nach Wörtern, bis sie schließlich sagte: „Naja, versteh mich nicht falsch, irgendwie freue ich mich ja für dich, aber trotzdem…ich kann es irgendwie nicht so locker hinnehmen. Überleg doch mal, das könnte total schief gehen. Was hält dich denn davon ab, dich für einen zu entscheiden?“

Nun war ich diejenige, die herumdruckste. Ganz realistisch betrachtet war Katsumi nett, zärtlich und wusste, wie man mit Frauen umging. Kai führte auch jetzt noch zu einem großen Teil sein eigenes Leben, war kaum spontan und die Beziehung mit ihm zu endlosen Aufs und Abs verurteilt. Folgte ich aber meinen Gefühlen, würde ich mich im Moment aber eher für Kai entscheiden. Doch wer wusste schon, wann sich das wieder änderte.
 

„Ich will mich nicht falsch entscheiden“, murmelte ich schließlich. Es tat gut, das Mao gegenüber aussprechen zu können, auch wenn sie mich wahrscheinlich nur mit Mühe verstand. Ich hoffte einfach, dass sie es vielleicht irgendwann akzeptierte. Im Moment versuchte sie natürlich nur, mich davon zu überzeugen, einen Schlussstrich zu ziehen und am besten Katsumi zu nehmen. Aber ich schaltete einfach auf Durchzug. Hauptsache, sie wusste es, Hauptsache, ich konnte mit einer weiblichen Person darüber reden. Erst der zweite Tag, und schon so ein Haufen Argumente für und wider.
 

Wir blieben so lange in unserer Ecke, bis auf einmal Katsumi vor uns stand und die Hände nach mir ausstreckte. Die anderen würden langsam loswollen, meinte er, und ob wir mitgehen würden. Ich konnte nur nicken und ließ mich bereitwillig von ihm mitnehmen. Wir liefen händchenhaltend, neben uns Rei und Mao, offensichtlich glücklich miteinander. Kai war irgendwo hinter uns, unterhielt sich mit Yuriy auf Russisch. Manchmal drangen die fremden Worte, ohne hörbare Pause, wie kleine Ströme, an mein Ohr. Die vielen Spitzen in der russischen Betonung ließen ihre Stimmen lebhafter klingen. Die Sätze hatten einen ganz bestimmten, wenn auch nicht wirklich greifbaren Takt. Ich schloss die Augen, lauschte und überließ Katsumi derweil die Führung.



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2011-12-30T23:00:15+00:00 31.12.2011 00:00
Böhm, bin ich jetzt blöd oder wie? Ich dachte, das wäre nur die Hälfte des Kapitels und jetzt ist es beendet? Hab ich was verpasst? >__<
Von:  SkyAngel
2011-12-18T23:19:21+00:00 19.12.2011 00:19
bäm katsumi kann einpacken xD auch wenn er das noch nicht weiß haha

<3
Von:  man-chan89
2011-12-18T19:18:24+00:00 18.12.2011 20:18
hach war ja klar, dass sie nicht die finger von kai lassen kann... wer kann das schon ;D

aber lange kann das ja nicht gutgehen...
ich bin gespannt und warte sehnsüchtig, dass es weitergeht :)

lg
Von: abgemeldet
2011-12-18T16:41:42+00:00 18.12.2011 17:41
Ich mag deine FF. Wirklich gerne sogar.
Sie ist nicht so eine "klassische" (*hust* schlechter Wortwitz xD *hust*) FF, wo's Probleme gibt, die sich irgendwie aber sofort von selbst lösen und die Charaktere sind auch keine einfach gestrickten, herummachenden Roboter, sie haben alle irgendwie eine Persönlichkeit, die anders ist, als ihre im Anime, aber trotzdem toll. Ich ziehe meinen Hut vor dir, dass du es geschafft hast, so eine tolle, in meinen augen klischeefreie, Dreiecksbeziehung hinzukriegen, ohne micht zu langweilen. Ich bin sehr gespannt auf neuen Lesestoff und wenn du so freundlich wärst, mir eine ENS bei einer Fortsetzung des Kapitels zu schicken wäre ich dir äußerst dankbar.

Zombie :)
Von:  Scary_Mel
2011-12-18T16:29:43+00:00 18.12.2011 17:29
der rest des Kappis fand ich auch super :) dödöddööm!

ich bin echt gespannt wie es im nächsten kappi weiter geht! und was noch so alles passiert und und und ;D

immer weiter so!

LG
Revi~
Von:  Scary_Mel
2011-12-16T20:03:19+00:00 16.12.2011 21:03
aalso :D die ersten 50 % sind doch schon mal perfekt nun noch die anderen 50% perfekt schreiben und dann ist dieses kappi wie die anderen perfekt²
:D

bin ja schon gespannt wie es weiter geht ^^ weil iwie hab ich das ungute gefühl, dass nun eifersucht und so vorprogramiert is ne
?!

immer schön weiter schreiben -.^

LG
Revi~
Von:  celebhel
2011-12-14T06:16:37+00:00 14.12.2011 07:16
hihihi...
bin schon jetzt am schmunzeln.
Da ist die Eifersucht und das Chaos doch vorprogramiert...
Bin gespannt was noch so kommt
lg
Von:  man-chan89
2011-12-13T12:34:08+00:00 13.12.2011 13:34
ist ja nicht schlimm, dass es nur die hälfte ist :D

der erste teil war auf jedenfall supi - bin mal gespannt wie das treffen am abend wird. da ist doch chaos vorprogrammiert ^^

bin gespannt auf den anderen teil :)

lg
Von:  SkyAngel
2011-12-13T10:49:43+00:00 13.12.2011 11:49
Die ersten 50 % sind schon mal perfekt^^
Arg, was das wohl gibt wenn die beiden auf einander treffen xD
Bin gespaaannt ^^



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