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Klassisch

KaiHiromi, ReiMao
von

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Gary und Stue - Arschlochmodus

Die Saiten gaben ein Geräusch von sich, als wollten sie gleich wieder reißen, während Makoto sie stimmte. Ich saß ihm gegenüber auf dem siffigen Sofa, den Kopf auf die Hände gestützt, und sah zu, aber eigentlich war ich mit meinen Gedanken ganz woanders. Seit dem Streit zwischen Kai und Rei zweifelte ich an allem, was bis jetzt passiert war. Es entsprach einfach gar nicht meiner Person, mich auf so etwas einzulassen. Ich war nur ein stinknormales Mädchen, das am glücklichsten in einer stinknormalen Beziehung war. Scheiß auf Abenteuer. Vor allem, wenn dadurch die Gefahr entstand, unsere Gruppe auseinander zu reißen. Ich hatte ziemlich Mist gebaut, fand ich. Und ja, ich spielte mit dem Gedanken, die Sache zu beenden, in welcher Weise auch immer. Genau das war ja das Schwierige: ich wusste immer noch nicht, was ich nun wirklich wollte.
 

Katsumis schallendes Gelächter riss mich aus meinen Grübeleien. Yoshio und er standen um Shuns Drumset herum, auf dem letzterer mehr schlecht als recht herumtrommelte. Er schien auch in irgendeiner Krise zu stecken, die aber wahrscheinlich weit weniger schlimm war, als meine. Ich seufzte neidvoll.

„Was ziehst du denn für eine Flappe, Hiromi?“, fragte Makoto mit seiner tiefen Stimme. Er nuschelte, weil er einen Kaugummi im Mund hatte und einer der wenigen Menschen war, die es nicht schafften, unbemerkt zu kauen.

„Ach nichts…“, murmelte ich, „Ist im Moment eben so…“ Was sollte ich auch anderes sagen? Ich konnte ihm schlecht unter die Nase reiben, dass ich am liebsten den ganzen Tag im Proberaum verbracht hätte, weil ich absolut keine Lust verspürte, nachher zu Takao zu gehen und vielleicht direkt in einen weiteren Streit zu geraten und noch eher die eisige Funkstille zwischen Kai und Rei und die dadurch heraufbeschworenen Fragen ertragen zu müssen.
 

Makoto hob die Schultern und beschäftigte sich weiter mit seiner Gitarre. Ich hatte schon bemerkt, dass er sich nicht gerne überall einmischte. Wenn man seinen Rat wollte, musste man schon zu ihm gehen und direkt sagen „Du, ich hab ein Problem, hör’s dir mal bitte an.“ Aber das würde ich natürlich nicht tun. Makoto kannte Katsumi schon seit seiner Kindheit. Er würde sich also keineswegs auf meine Seite stellen, wenn ich ihm alles erzählte. Und außerdem brauchte auch ich jemanden, der mich sehr gut kannte, um mich auszusprechen.
 

Ich hatte mit Mao geredet. Beinahe sofort, nachdem ich Kais Wohnung verlassen hatte, hatte ich sie angerufen und in ein Café bestellt. Ich wollte ihr trotz allem immer noch keinen Vorwurf machen, sondern wirklich nur reden. Vor allem, da auch ihr Name in dem Streit der beiden Jungs gefallen war. Sie erzählte mir bereitwillig, wie es dazu gekommen war, dass sie den Mund nicht länger hatte halten können. Rei hatte da so einen bestimmten Gesichtsausdruck oder Ton in der Stimme, der ihr beinahe Angst machte. Dann konnte sie ihn einfach nicht anlügen. Mir würde es wahrscheinlich nicht anders ergehen; ich hatte Rei mehr als einmal wütend erlebt und wusste, dass in ihm eine recht fiese Seite schlummerte, die ihn wohl selbst anekelte, gegen die er aber auch nicht angehen konnte. Also tröstete ich sie sogar, und später fiel mir auf, dass eigentlich ich hatte getröstet werden wollen. Es lief halt nichts so, wie ich es geplant hatte. Vielleicht war ich auch einfach zu gutherzig.

Später schaffte ich es dann doch noch, Mao von Reis Zweifeln an ihrer Beziehung zu erzählen. Es musste sein, egal, was die Jungs dachten. Es war Mao gegenüber nur fair. Sie reagierte erstaunlich gefasst. Nach kurzem Schweigen meinte sie, sie habe es schon länger geahnt und ihn deswegen einfach überzeugen wollen. Sie habe besonders glücklich und unkompliziert wirken wollen, um ihm keinen Grund zu geben, sie zu verlassen.
 

Als ich jetzt wieder daran zurückdachte, erkannte ich, dass ich mir wohl jemand anderes suchen musste, um mit meinen Problemen fertig zu werden. Mao kam dafür gerade nicht infrage. Nur, konnte ich im Gegensatz dazu vielleicht Mao helfen? Ich fühlte mich dazu nicht im Geringsten in der Lage. Meine Gedanken kreisten meist nur um Kai und Katsumi, Katsumi und Kai. Ich bemitleidete mich und war im gleichen Moment wütend über dieses Selbstmitleid. Es konnte doch einfach nicht so schwer sein, zu einem Ja und dem anderen Nein zu sagen!
 

„Hey, mein Schatz.“ Katsumi setzte sich zu mir und legte mir einen Arm um die Schultern. Mein Schatz. So hatte Kai mich noch nie genannt. Aber Kai zeigte Zuneigung ja auch auf ganz andere Art und Weise. Durch Berührungen. Oder diese Art, wie er zuhörte: nicht einfach mal nebenbei oder mit der Intention, danach sofort einen guten Rat parat zu haben. Wenn Kai zuhörte, sog er einfach alles in sich auf. Aber so etwas wie „mein Schatz“, so etwas Simples, Beziehungstypisches, das konnte er nicht.

„Makoto sagt, dich bedrückt irgendetwas“, fuhr Katsumi fort, „Ich will nicht sagen, dass ich es nicht bemerkt habe. Aber ich dachte, du rückst vielleicht von selbst mit der Sprache raus.“

„Es ist nichts, nur…“ Verdammt. Das „nur“ hatte ich gar nicht aussprechen wollen. Jetzt musste ich den Satz irgendwie beenden. „Zwei meiner Freunde haben sich ziemlich heftig gestritten. Kai und Rei. Die beiden reden seitdem kein Wort mehr miteinander.“
 

„Oh, das ist mies“, sagte Katsumi, „Also steckt eure Gruppe jetzt in einer Krise, ja? Hm, das wird schon wieder, denke ich. Wir sind ja alle erwachsene Menschen. Und so, wie ich euch bis jetzt erlebt habe, glaube ich nicht, dass so ein kleiner Streit euch auseinanderreißen wird. Oder ging es um etwas sehr wichtiges?“

„Naja, es ist so eine Beziehungssache…“, erzählte ich. Es würde guttun, wenigstens einen Teil der Geschichte loszuwerden, auch wenn ich Katsumi wieder anlügen musste. Ich war es leid, ich hasste es, zu lügen, vor allem, wenn mir derjenige etwas bedeutete. Das konnte es doch alles nicht Wert sein! –Und trotzdem. Trotzdem konnte ich ihm hier und jetzt auch nicht die ganze Wahrheit sagen. „Also, Rei war wohl wegen Irgendetwas wütend auf Kai, und in der Hitze des Gefechts hat Kai ihm an den Kopf geworfen, er würde Mao nur vortäuschen, dass zwischen ihnen wieder alles in Ordnung ist…“ Katsumi wusste natürlich von dem kleinen Drama zwischen Rei und Mao. Ich hatte ihm alles Wichtige über unsere Clique erzählt, damit er nicht in ein Fettnäpfchen trat.

Jetzt schwieg er sich kurz aus, bevor er wieder ansetzte. Während er sprach, strich seine Hand langsam und tröstend über meinen Oberarm und ich konnte nicht anders, als mich an ihn zu lehnen.
 

„Also an sich finde ich es erstmal richtig, dass die Sachen jetzt so offen auf dem Tisch liegen. Obwohl das wohl nicht allzu taktvoll dort hingelegt wurde, aber meiner Meinung nach fährt man in einer Freundschaft am besten, wenn man ehrlich ist. In Beziehungen übrigens auch. Es kann also nur hilfreich sein, wenn Rei dadurch einen kleinen Schubser bekommen hat, damit er mit Mao redet…oder sich zumindest selbst mal fragt, wie er zu ihr steht und ob das noch einen Sinn hat. Glaubst du, er würde sich von ihr trennen?“

„Ich weiß nicht“, seufzte ich, „Die beiden waren für mich immer das Traumpaar schlechthin. Aber sie sind schon ein paar Mal getrennt gewesen. Liegt an der Entfernung…“

„Oh ja, das ist ein ziemlicher Killer.“ Er lachte in sich hinein. „Aber ganz ehrlich, Hiromi“, sagte er dann, „Du solltest dich da nicht so reinsteigern. Du bist viel zu emphatisch. Das ist gut, versteh mich nicht falsch, ich mag es ja gerade, dass du dich so gut um deine Leute kümmerst. Aber du darfst dir einfach nicht immer die Sorgen anderer aufbürden, okay?!“

„Ja, du hast Recht…“, murmelte ich und schmiegte mich noch mehr an ihn. Ich lächelte zu ihm hoch. Es tat gut, dass er da war. „Wenn du möchtest, kannst du heute bei mir bleiben“, schlug er vor und ich willigte nur zu gern ein. Ich hatte keine Lust, mich wieder in die Höhle des Löwen, also das Kinomiya-Dojo zu wagen, zumal auch der Rest der Jungs langsam die Nase voll von der Eiszeit haben dürfte, die zwischen Kai und Rei herrschte.
 


 

Als wir später nach draußen kamen, standen zwei Mädchen vor dem Haus. Zuerst dachte ich, sie würden einfach hier wohnen und sich nur unterhalten; doch dann sprach eine von ihnen die Jungs an.

„Wir sind große Fans.“

Der nächste Blick galt mir. Er war skeptisch und nicht gerade erfreut. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und war auch sehr dankbar dafür, dass Katsumi nicht herausposaunte, ich wäre seine Freundin. Er sagte ein paar nette Worte und schob das Gespräch dann auf Shun und Yoshio ab, die offensichtlich nichts gegen den Fanbesuch hatten. „Wir gehen dann schon mal“, sagte Katsumi und nahm mich an die Hand. Oje, spätestens jetzt war offensichtlich, dass ich zu ihm gehörte. Ich warf allerdings keinen Blick zurück, um zu sehen, ob die Mädchen es bemerkt hatten, sondern wollte einfach nur weg. Sich jetzt darüber auch noch den Kopf zu zerbrechen wäre zu viel gewesen.
 

Katsumi wohnte ganz in der Nähe des Proberaums, man musste nur kurz mit der Bahn fahren. Die Wohnung war genauso winzig wie die von Kai und Rei und befand sich in einem kleinen Haus mit Garten, dass von einer geschwätzigen Alten vermietet wurde, die penetrant darauf achtete, dass alle ihre Mieter auf Sauberkeit achteten. Dafür drückte sie bei wechselndem nächtlichem Besuch ein Auge zu, wie Katsumi mir erzählt hatte. Die meisten seiner Nachbarn waren Studenten und einige von ihnen recht umtriebig. Es war schön hier. Allein die paar Bäume und Sträucher verleiteten zur Entspannung. Manchmal strich eine Katze durch den Garten, aber heute sah ich sie nicht, als ich das Fenster öffnete und hinausblickte. „Machst du Tee?“, fragte ich Katsumi, „Oder soll ich?“

„Wenn du Tee machst, geh ich noch mal zum Konbini und besorge irgendwas zum Knabbern“, entgegnete er. Als ich nickte, zog er seine Schuhe wieder an. „Der Computer müsste noch an sein, falls du ins Internet oder Musik hören willst“, rief er noch, bevor er verschwand.
 

Nachdem ich den Tee aufgegossen hatte, setzte ich mich vor seinen Laptop und loggte mich auf Facebook ein. Es war nicht sonderlich viel los; bei dem schönen Wetter hatten wohl alle etwas Besseres vor, als zu surfen. Max hatte vor einigen Stunden ein paar Musikvideos geteilt. Unter einem von ihnen war eine heftige Diskussion zwischen ihm, Takao und Kai entbrannt, in der es darum ging, ob der Künstler nun von „Thriller“ abgekupfert hatte oder nicht. Auf Kais Profil hatte Boris von NeoBorg in großen, englischen Lettern geschrieben: „ALTER, WO IST UNSER TEAMCHEF??“. Der Post war ganz banal von Yuriy geliked worden.
 

Ich öffnete Kais Profilbild. Da war ich. Mit meiner Perücke und dem aufgemalten Schönheitsfleck. Eins musste man unserer Gruppe lassen: Wir waren ziemlich gut im Verkleiden. Max hatte in der Schule Theater gespielt und so auch einmal einen Kurs in Theaterschminken bekommen; er machte sich immer gerne über uns her, wenn es um Mottopartys ging. Vor über anderthalb Jahren hatten wir Halloween im Tim-Burton-Stil gefeiert, und obwohl wir tagelang brauchten, um die beiden zu überreden und ihnen kurz vorher einen guten Schluck Alkohol einflößen mussten, hatte er es am Ende geschafft, Kai und Rei wie eine zweifache Ausführung von Sweeney Todd aussehen zu lassen. Das war wirklich unheimlich gewesen: da sie beide etwa gleich groß waren, konnte man sie die ganze Nacht nicht auseinander halten; erst recht nicht mit steigender Promille. Ich grinste in mich hinein. Irgendwo müssten doch auch davon noch Fotos herumgeistern…Ich klickte mich durch die Bilder, auf denen Kai verlinkt war. Es gab Fotos von Konzerten (schwarzgekleidete Menschen mit und ohne Bart, die grinsten wie kleine Kinder vorm Weihnachtsbaum) und Festivals (Luftaufnahmen der Masse vor der Bühne, und wenn man darüber fuhr, blinkte ein Viereck auf, das gefühlte zweihundert Köpfe umfasste und Kais Namen trug), überwiegend russische Schnappschüsse (Yuriy hatte immer den Fotoapparat dabei) und natürlich Aufnahmen von Partys (die modische Vielfalt reichte von simplem Schwarz über edle Blazer bis hin zu den freakigen Gruppenfotos in Kostümen), unter denen ich schließlich auch das gesuchte fand. Auf den ersten Blick sahen sie wirklich wie Zwillinge aus. Man müsste Kai und Rei dieses Foto mal wieder zeigen, überlegte ich, um sie daran zu erinnern, wie eng ihre Freundschaft damals gewesen war.
 

„Er ist wirklich stylisch.“

Erschrocken zuckte ich zusammen. „Schleich dich doch nicht so an!“, rief ich, doch Katsumi lachte nur und stellte sich hinter mich, stützte sich auf die Stuhllehne. „Ich wollte ihn beizeiten sowieso mal fragen, wo er seine Klamotten kauft…“

„Wen meinst du?“, fragte ich, „Kai?“

„Jepp.“

„Ähm, ich dachte immer, Männer würden sich eher weniger über Klamotten unterhalten…“

„Hey, ich bin Musiker, ich steh auf einer Bühne“, entgegnete er, „Ich muss mir schon darüber Gedanken machen, was ich anziehe. Nein, aber ganz ehrlich“, fügte er hinzu und drehte sich um, um Tee einzugießen, „Deine Jungs sind cool. Vor allem Kai. Der kommt in einen Raum, und du denkst nur, wow, was ist das bitte für ein Typ?“
 

„Hm“, machte ich hilflos, doch ich wusste ganz genau, dass Katsumi dadurch nicht verstummen würde. Er bemerkte es einfach nicht, wenn jemandem ein Gesprächsthema unangenehm war. Und ich konnte mir weit Besseres vorstellen, als zuzuhören, wie ein Kerl über einen anderen schwärmte.

„Ich muss gestehen“, fuhr Katsumi nach einer kurzen Pause fort, „Als wir uns damals kennengelernt haben…auf dem Konzert…da bin ich dir doch noch mal hinterher gelaufen, wegen der Email-Adresse. Naja, und als ich gesehen habe, dass du neben ihm gesessen hast, war mein erster Gedanke: Verdammt, die hübschen Frauen sind immer vergeben.“

„Du hast gedacht, wir wären zusammen?“, fragte ich perplex und stellte erst danach fest, dass ich genauso gut hätte sagen können „Du fandst mich schon damals hübsch?“
 

„Naja…“ Katsumi gab mir eine Tasse und wies einladend auf den Kuchen, der auf seinem Bett lag, bevor er sich selbst das erste Stück nahm. Ich blieb jedoch erstmal auf meinem Stuhl sitzen. „Vielleicht nicht gerade zusammen“, meinte er kauend, „Aber als ich euch so sah, dachte ich, du wärst eine von denen, die zwar für Musiker schwärmen, sich letztendlich aber doch Typen aus ihrem Umfeld nehmen, weil sie denken, das wäre realistischer… Und, naja, ganz ehrlich –ich versteh nicht unbedingt, was in Frauen so vorgeht. Ich weiß auch nicht, was Frauen an Männern anziehend finden. Aber Kai ist einfach mal ein cooler Typ und optisch jetzt auch nicht gerade eine Baracke…und er stand dir offensichtlich näher als ich.“
 

Ich hob die Schultern. „Und trotzdem bin ich jetzt hier, oder nicht?!“, meinte ich provokant und beugte mich vor, um mir was von dem Kuchen zu nehmen. Während Katsumi geredet hatte, hatte ich mich bei Facebook ausgeloggt und das Fenster geschlossen. Ich konnte es nicht ertragen, dass gleichzeitig von Kai gesprochen wurde und ich seine Fotos immer im Augenwinkel hatte. Dieser Name schien heute wie ein Fluch auf mir zu lasten, und das, obwohl ich mich gerade heute eigentlich auf Katsumi konzentrieren wollte. Komisch, zuvor hatte es mich nie gestört, wenn einer der Jungs über den anderen redete. Aber das war auch noch nicht so oft vorgekommen…
 

Es klopfte an der Tür. Katsumi und ich sahen uns verwirrt an, dann verzog er den Mund und stand auf, um zu öffnen. Seine Vermieterin stand auf der Schwelle und fing sofort an zu reden. Sie regte sich furchtbar auf, ich wusste gar nicht, worüber, hörte aber irgendwas von Zigarettenkippen auf dem Rasen und wer denn bitteschön daran schuld sei. Katsumi redete beschwichtigend auf sie ein. Während die beiden diskutierten, beäugte ich den Kuchen und überlegte, welche Sorte ich als nächstes essen sollte. Und dann bemerkte ich ein vertrautes Brummen, das von meiner Tasche kam.
 

Kai rief mich an. Kurz überlegte ich, ob ich einfach auflegen sollte, als ich seinen Namen auf dem Display sah; aber dann warf ich einen kurzen Blick zur Tür, der mir sagte, dass Katsumi wohl noch ein paar Minuten beschäftigt sein würde, und ging schließlich doch ran. „Hey. Was gibt’s?“

„Kommst du heute zu Takao?“, fragte er schlicht.

„Nein.“

„Später zu mir?“

„Eher nicht.“ Ich überlegte vielleicht eine Sekunde, bevor ich hinzufügte: „Ich bin bei Katsumi und werd wohl bis morgen bleiben.“

„Ach so.“

Ich wartete, aber mehr kam nicht. Auf einmal wurde ich furchtbar wütend. Konnte dieser Scheißkerl nicht mal den Anstand haben, eifersüchtig zu werden, wenn ich praktisch kurz davor war, mit seinem Konkurrenten ins Bett zu steigen und die Nacht durchzuvögeln?

„Vielleicht habe ich morgen Abend ein Bisschen Zeit für dich, aber ich weiß noch nicht“, sagte ich kalt.

„Ist okay. Sag einfach Bescheid, wenn du sicher bist.“

Innerlich explodierte ich bei diesen Worten. „Gut!“, quetschte ich heraus und konnte gerade noch so verhindern, dass ich laut wurde. Mit aller Kraft drückte ich den Knopf mit dem roten Hörer ein und hoffte, meine Aggression so bewältigen zu können, aber diese kleine Geste reichte bei Weitem nicht aus.
 

Katsumi kam zurück. „Nur weil sie mich einmal mit einer Kippe gesehen hat, denkt sie gleich, ich wäre der einzige, der ihren Garten verwüstet“, beschwerte er sich, „Dabei raucht mein Nachbar wie ein Schlot, der geht sogar mitten in der Nacht vor die Tür, wenn ihm die Lunge piept, weil drinnen dürfen wir ja nicht.“

„Hm“, machte ich zerstreut. In Gedanken verfluchte ich noch immer Kai. Energisch griff ich nach dem Kuchen und begann, ihn herunterzuschlingen. Katsumi beobachtete mich mit einem spöttischen Lächeln. „Keine Angst, ich ess dir schon nicht alles weg. Du kannst dir auch Zeit lassen“, meinte er, und erst jetzt bemerkte ich, wie hastig ich war und mir stieg die Hitze in den Kopf. Als er meine Reaktion sah, fing er an zu lachen und griff nach mir, um mich an sich zu drücken. „Hey, was auch immer bei euch gerade los ist“, murmelte er, „Ich bin da, okay?“
 

Ich wollte heulen. Es war so unfair, dass er so lieb zu mir war! –Doch dann dachte ich mir, warum eigentlich? Er tat doch genau das Richtige in dieser Situation: Seine Freundin hatte Sorgen, also kümmerte er sich um sie. Damit machte er seine Sache schon mal besser, als gewisse andere Herrschaften…

Ich drückte ihn sanft von mir weg. „Danke. Es geht schon wieder.“ Und fing sein Lächeln auf, das gleichzeitig tröstend und glücklich war. Das beschämte mich irgendwie; ich konnte nicht glauben, dass er überhaupt einen Grund dafür haben sollte, sich über meine Anwesenheit zu freuen. Aber das war wahrscheinlich wieder so ein Frauending. Zweckpessimismus oder so.
 


 

Als ich am nächsten Tag nach Hause fuhr, traf ich Yuriy in der Bahn. „Wo kommst du denn her?“, fragte ich ihn überrascht und er erzählte mir von einem Park am Stadtrand, in dem er heute Morgen fotografiert hatte. Er reichte mir sein „Heiligtum“, eine digitale Spiegelreflex, für deren Preis er sich laut eigener Aussage auch seinen Kleiderschrank neu hätte füllen können, und ich klickte mich durch die Bilder. „Die sind wirklich schön“, sagte ich anerkennend, als ich ihm das Gerät zurückgab, „Und ich find’s klasse, dass wir uns mal wieder sehen. Hab mich schon gefragt, ob du vielleicht auch einfach wieder abhaust, ohne Bescheid zu sagen. Dein Team vermisst dich ja.“

„Hast du etwa wieder auf Facebook gestalkt?“, entgegnete Yuriy und grinste, als er meinen unschuldigen Gesichtsausdruck bemerkte. „Naja, ich bleib nicht mehr allzu lange. Gibt ja noch Uni und Geldverdienen und so…“

„Alles überbewertet, wenn du mich fragst“, spottete ich, „Aber bevor du abhaust machen wir noch mal was, ja? Ich nehm mir auch extra Zeit, versprochen. Ich hatte ja auch eigentlich gedacht, dass ich dich noch öfter bei Kai sehe, aber der scheint dich ja immer rauszuschmeißen…“
 

„Ach, ich schmeiß mich eher selbst raus“, meinte Yuriy leichthin, „Hatte sowieso vor, mir die ganze Gegend anzugucken und ein paar Aufnahmen zu machen. Und da wollte ich Kai auch nicht immer mitschleppen. Er würde mich jetzt nicht stören, aber wenn er mit seinem Mädchen zusammen sein kann, anstatt irgendwo zu sitzen und ewig warten zu müssen, bis ich endlich mal den Auslöser drücke…“ Er hob die Schultern. „Also mir würde die Entscheidung nicht schwerfallen.“

Ich nickte lediglich und sah auf meine Schuhspitzen, die sich im Lichtfleck des Fensters befanden. Draußen schien die Sonne, und im Abteil lag ein leichter Geruch von Schweiß und abgegriffenen Kunststoffen. Ein perfekter Tag für einen Stadtbummel und Eisessen.
 

„Weißt du, wie es mit Rei inzwischen steht?“, fragte ich.

„Hm“, machte er, „Ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung. Kai ist ziemlich stur in der Sache. Er meinte nur zu mir, dass er Rei jetzt bestimmt nicht vorkauen würde, wie er zu handeln hatte und dass Rei schon selbst auf ihn zukommen muss, wenn er sich wieder beruhigt hat. Ich meine, es war ja auch ein ganz schöner Schuss in den Ofen für Rei, oder?“

„Wie meinst du das? Dass er eigentlich Kai zur Sau machen wollte wegen einer Frauengeschichte und Kai ihm dafür seine eigenen Fehler unter die Nase gerieben hat? Hm. Aber ich versteh immer noch nicht, warum die beiden sich jetzt anschweigen wie kleine Mädchen. Es nervt mich.“ Allein wenn ich daran dachte, war ich wieder gefrustet. Es gab doch gar kein Problem zwischen den beiden. Sie sollten sich lieber um Mao und mich kümmern, anstatt sich anzuschmollen. Aber da stand ihnen wohl wieder ihr hochheiliger Stolz im Weg…
 

Yuriy musterte mich von der Seite, doch ich ignorierte seine Blicke. „Ich verstehe schon, warum Kai so mauert. Er will einfach, dass Rei die Sache mit Mao endgültig klärt“, sagte er, „Und du kennst ihn ja: Wenn Rei dafür eine Person braucht, auf die er währenddessen seinen Frust schieben kann, stellt er sich dazu gerne zur Verfügung. Die Sache ist nur die, dass Kai selbst seine Frauenprobleme nicht so einfach lösen kann. Ich glaube, er hat dir die Entscheidung überlassen, Hiromi.“
 

Ja, das war mir auch schon klar geworden, stellte ich fest, ich war hier diejenige mit zwei Kerlen und das war ganz allein mein Problem. Niemand würde mir helfen, niemand würde mir die Entscheidung abnehmen. Ich war eine freie, emanzipierte Frau, die sich den Mann nehmen durfte, den sie wollte. Gott, es kotzte mich so an.
 

„Weißt du was, Yuriy?“, sagte ich, „Wenn Kai sich lieber um Rei Gedanken macht, als um mich, bitteschön. Ich werd mich von ihm trennen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  Scary_Mel
2012-01-27T16:21:57+00:00 27.01.2012 17:21
uhh nee neee neeeeee das ende gefällt mir nischt Dx...


aber ich bin echt gespannt wie es weiter geht ;)
also immer weiter und so ja?

LG
Revi
Von:  man-chan89
2012-01-25T19:57:19+00:00 25.01.2012 20:57
oh nein nicht trennen O.o
wie kann sie nur...
nein ich kann sie ja irgendwie auch verstehen... das ist halt alles nicht das, was sie eigentlich wollte

und mach dir keinen streß mit dem schreiben - keiner erwartet ein kapi nach termin ;)

bin trotzdem gespannt wie es nun weitergeht :D

lg
manchan
Von:  Catan
2012-01-23T21:43:10+00:00 23.01.2012 22:43
WHAAA!!!! Der letzte Satz von Hiromi ist ja total falsch zusammen gestellt! Da muss Katsumi stehen ned Kai, also echt Papierkorb!

Tolles Chapter, gefällt mir - bzw. gefällt mir ja eigentlich nicht,xD
Die Wende das Hiromi sich von Kai trennen will, find ich schlicht gesagt, doof. xD

Aber sonst, vom Stil her natürlich wieder schön zum lesen.
Lass dir mit dem nächsten Kapitel soviel Zeit wie du brauchst auf "Termindruck" sind noch nie schöne Zeilen entstanden. Außerdem muss dir die Geschichte genau so gefallen wie uns!

Aber nen kleinen Tipp..... WIR LIEBEN KAI!! xD
Der andere Spak*hust* darf gerne wieder abziehen.

Gruß, Catan
Von:  Dradra-Trici
2012-01-23T14:07:05+00:00 23.01.2012 15:07
Whaaa, das kann sie nicht machen Q_Q
Bzw. doch, eigentlich schon ôo
Kai führt sich wirklich grad ziemlich scheiße auf und wenn ihm wirklich was an Hiromi liegen sollte (was wir natürlich hoffen xD), wird es dann Zeit für ihn, um sie zu kämpfen! òoo
Und dann gibt's hoffentlich ein Happy End für die beiden <3

Genauso wie hoffentlich für Ray und Mao! Q_Q
Maos Reaktion wirkte ja fast schon so, als ob sie geahnt hat, was in ihrem Freund vorgeht...
Die Zwei sollten sich dringend zu einer Aussprache zusammenraufen! Òoo
Nur hoffentlich bleiben sie nach dieser zusammen! Q____Q

Jetzt haben wir echt das ganze Kappi durchgelesen xDD
- und das, wobei wir doch gar kein AU mögen xD
Gute Leistung von dir ;D

glg
Von:  SkyAngel
2012-01-22T23:44:52+00:00 23.01.2012 00:44
Hm... Das Ende passt mir nicht. Aber gut schauen was passiert! ^^

Ich liebe das Face-Stalking <3

grüße sky
Von:  FreeWolf
2012-01-22T21:37:07+00:00 22.01.2012 22:37
Ich schließe mich meinen Vorkommentatoren an: Mensch, sie trennen sich? Huh, das kann doch nicht gut gehen.. ;)
Die ENS ist übrigens praktisch, toll, dass ihr das so handhabt. ^___^

Ich mag zwei Szenen besonders: Facebook-Stalking und das Treffen mit Tala. Facebook ist bösääh. Tala auch, manchmal. ;)

Ich bin gespannt, wie das mit Rei, Mao und Kai und Hiromi ausgeht..

gruß und Kuss
Wolfi
Von:  Cameo
2012-01-22T19:01:22+00:00 22.01.2012 20:01
Ich hab mich echt gefreut als deine ENS kam. Ich war in letzter Zeit ziemlich am verzweifeln, ob das nächste Kapitel überhaupt noch kommt xD
Allerdings fand ich das Kapitel etwas traurig. Nicht nur weil hiromi sich jetzt trennen will, sondern auch weil ich Maos Reaktion auf die Sache mit Rei ziemlich komisch fand. Ich hätte angefangen zu weinen, wenn ich sie wäre.
Aber ich freu mich trotzdem auf das nächste Kapitel :)

Von: abgemeldet
2012-01-22T17:51:39+00:00 22.01.2012 18:51
Och ne, was soll denn das jetzt? u___û
Das Ende ist mies, man. Nicht trennen, düü~ Egal, bin froh, dass es mal wieder weiter ging. War in den letzten Tagen öfter mal da, um zu gucken, ob du vllt nur vergessen hast, mich zu benachrichten *lach* Wünschte, es wäre so gewesen. Naja, jetzt ist das Kapitel ja da. Doof nur, dass es so ein Katsumi-lastiges Kapitel war, wie ich finde *hüstel* Irgendwie mag ich den Typen nicht *mecker*


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