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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

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Endlos

Endlos
 

„Kul-Elna …“

Bakura starrte hinab auf den Papyrus, der ausgebreitet auf dem Tisch lag. Wie konnte das sein? Warum war das letzte Relikt, der letzte göttliche Gegenstand, ausgerechnet in seinem Heimatdorf versteckt? Irrte er sich vielleicht? Nein. Nein, das tat er nicht. Es konnte nichts anderes gemeint sein, als der Ort, an dem die Milleniumsgegenstände einst ihren Ursprung hatten. Dort waren sie gegossen worden, dort hatte man sie aus den Seelen von einhundert Menschen erschaffen.

„Bist du dir absolut sicher?“, riss ihn die Stimme des Pharao schließlich aus den Gedanken.

Der Grabräuber fand seine Fassung daraufhin erstaunlich schnell wieder. „Oh nein, ich habe das einfach mal so in den Raum geworfen – natürlich bin ich mir sicher, was denkst du denn?“

Atemu sah ihn einen Moment lang forschend an, dann nickte er. „Gut. Ich werde die Anderen zusammenrufen, dann sehen wir, wer von uns dorthin gehen wird.“

Er wollte sich bereits abwenden, da hielt Bakura ihn harsch zurück. „Vergiss es. Ich gehe.“

Der Regent legte die Stirn in Falten, offenbar skeptisch ob dieser Entscheidung. „Bist du sicher?“

„Allerdings. Keine von diesen Maden wird auch nur einen Fuß in das Dorf setzen, geschweige denn darin herumschnüffeln. Ich breche umgehend auf.“

Einen Moment lang schien Atemu nicht überzeugt, dann jedoch nickte er. „Gut. Ich werde ein Pferd satteln und mit Proviant versehen lassen. Denk daran, dass du Caesian praktisch entgegen reitest. Am besten machst du einen Bogen um das Heer.“

„Deine Ratschläge kannst du dir sparen. Ich kann auf mich selbst aufpassen.“

Damit rauschte der Grabräuber an ihm vorbei und aus dem Raum hinaus. Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, wanderte der Blick des Pharao zurück zu der Seele der Zeit. Er musste zugeben, der Gedanke, Bakura auf das letzte Artefakt anzusetzen, behagte ihm ganz und gar nicht. In diesem Fall weniger, weil er befürchtete, dass er sich mit dem Speer der Sachmet aus dem Staub machen könnte, sondern aus zwei anderen Gründen. Zum einen kam er, so sehr er den Anderen auch verabscheute, nicht umhin zuzugeben, dass Diabound eine mächtige Ka-Bestie war. Ihre Kraft würde in der bevorstehenden Schlacht fehlen. Zum anderen gefiel ihm nicht, dass Bakura ausgerechnet nach Kul-Elna ging. Der Ort hatte eine Geschichte, eine, die Dreh- und Angelpunkt im Leben des Grabräubers war. Er hatte bereits mehrfach deutlich gemacht, dass er sich Atemus annehmen wollte, sobald dieser Krieg vorbei war – ein Konflikt, den der Regent nach Möglichkeit nach wie vor vermeiden wollte. Die Rückkehr an den Platz seiner Geburt und einer unfassbaren Tragödie zugleich würde den Hass, der in Bakuras Herz brannte wie eine nicht zu sättigende Glut, noch weiter befeuern.

Er verdrängte die Gedanken. Das alles lag noch in der Zukunft. Hier und jetzt musste er sich auf Caesian konzentrieren, allem anderen würde er seine Aufmerksamkeit widmen, wenn es akut wurde. Eine Frage blieb jedoch.

„Was hast du dir dabei gedacht, als du das Relikt an diesem Ort versteckt hast?“, murmelte er in die Dunkelheit hinein.
 

Es war nun bereits einige Umläufe her, dass Caesian Men-nefer hinter sich gelassen hatte. Seitdem hatte Taisan seine Zeit damit verbracht, den Wiederaufbau der Stadt zu überwachen und sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. Dabei beschränkte er sich allerdings nicht nur darauf, sich im Palast und der Stadt umzusehen. Auch hatte er die Tempel besucht und zahllose Stunden in der Bibliothek zugebracht, um sich mit Geschichte und Kultur Ägyptens tiefer auseinanderzusetzen. Und doch fand er keine Ruhe.

Immer wieder kehrte die Frau mit dem weißen Haar in seine Gedanken zurück. Er hatte seit diesem Abend, da er sie zum ersten und bislang einzigen Mal gesehen hatte, nichts mehr von ihr gehört. Die Wachen hatten auf Nachfrage gesagt, dass sie wieder weggesperrt worden war und sich seitdem ruhig verhielt. Und dennoch musste er immer wieder an diese Begegnung zurückdenken, an ihr unscheinbares Äußeres, ihren verängstigten Blick. Er wurde dieses unbestimmte Gefühl nicht mehr los, jenes, das ihm zuflüsterte, irgendetwas stimme hier nicht. Es drängte sich ihm wieder und wieder auf, unnachgiebig, unerbittlich, verfolgte ihn selbst des Nachts und raubte ihm den Schlaf. So hatte er schließlich eine Entscheidung getroffen.

Mit entschlossenen Schritten wanderte er durch den Palast, dem Ort entgegen, wo man die Frau eingesperrt hatte. Der Wachmann, der ihn begleitete, hatte anfangs versucht, ihn davon abzuhalten, doch alle Bemühungen waren vergebens gewesen. Nachdem er das eingesehen hatte, hatte er begonnen, seinem Herren eindringlich zu predigen, dass den Worten dieses Weibes kein Glauben geschenkt werden durfte. Erst, als Taisan ihm mit einer für seine Verhältnisse harschen Geste zu schweigen geboten hatte, war er endlich verstummt. Er würde selbst entscheiden, wem er Gehör schenkte und wem nicht – zumal er zu diesem Zeitpunkt nicht vorhatte, Caesians Entschluss in irgendeiner Art und Weise in Frage zu stellen.

Er würde seine Gründe gehabt haben, diese Frau einzusperren. Doch auch sein Bruder war nicht unfehlbar, auch der jetzige Herrscher Ägyptens war nur ein Mensch – ebenso wie die junge Frau, die wie jeder andere auch ein Recht darauf hatte, dass man der Sache gebührend nachging, ehe man sie verurteilte. Und genau das würde er tun. Sollte er an der Seite Caesians herrschen, konnte er nicht immerzu alle Verantwortung, alle Entscheidungen auf seinen Bruder abwälzen. Er musste eigene Schlüsse ziehen und dementsprechend handeln.

So erreichten sie schließlich den Flur, auf dem die Kammer der Weißhaarigen lag. Der Hauptmann setzte sich einige Schritte vor ihn und gab Anweisung, die Türe zu öffnen. Die Schlüssel des dicken Bundes, den eine der Wachen bei sich trug, klirrten laut, während nach dem richtigen Öffner gesucht wurde. Taisan konnte schließlich hören, wie der Riegel zurückschnappte und das Holz knarrend aus dem Rahmen schwang.

„Euer Hoheit, lasst mich Euch begleiten. Sie ist wirklich …“

„Davon werde ich mich selbst überzeugen, Hauptmann. Nun geht.“

Damit wandte sich Taisan um und verschwand in dem Zimmer, ehe die Tür leise ins Schloss fiel.
 

Yugi ließ sich erschöpft im Schatten nieder und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Er griff nach dem Wasserschlauch und trank gierig daraus. Joey, Tristan und Duke begutachteten derweil ihr Werk. Gerade hatten sie gemeinsam eine weitere Fallgrube fertiggestellt. Wusste man nicht, dass sie existierte, war es ein leichtes, sie zu übersehen. Genau aus diesem Grund waren die Gassen Thebens, die mit Hinterhalten gespickt waren, auch mit kleinen Wimpeln und anderen Dingen kenntlich gemacht worden. Nicht, dass am Ende noch einer der ihren in die Falle tappte. Sie hatten sich bei den Markierungen allerhand einfallen lassen müssen, um kein eindeutiges Muster zu hinterlassen, das dem Feind eventuelle Hinweis auf die Dinge gaben, die ihn erwarteten. Eine Lösung war jedoch mit gewöhnlichen Alltagsgegenständen schnell gefunden worden. Neben den bereits genannten Wimpeln waren auch Töpfe, Steine und andere Dinge des täglichen Gebrauchs, die in den Straßen einer großen Stadt nicht weiter auffallen würden, genutzt worden. Heute war bereits der vierte Tag, an dem sie eine Falle nach der anderen installierten. Allmählich mussten sie immer genauer darauf achten, wo sie hinliefen, doch bislang hatte ihr Makierungssystem einwandfrei funktioniert.

Joey kam schließlich zu ihm herüber und setzte sich neben ihn, ehe er ebenfalls nach dem Wasserschlauch griff. Auch Duke und Tristan gesellten sich zu ihnen.

„Wieder eine fertig. Wohin geht’s als nächstes?“, äußerte der Braunhaarige, nachdem auch er sich erfrischt hatte.

„Ich hab‘ da vorne noch eine Seitenstraße gesehen, die könnte ebenfalls eine Fallgrube vertragen“, schlug Joey vor.

„Klingt gut. Machen wir das“, stimmte Yugi zu und erhob sich.

Gerade, als sie auf die Hauptstraße hinausgetreten waren, hielten sie jedoch inne. Jemand rief nach ihnen. Als sie sich umsahen, entdeckten sie Mana, die ihnen entgegen eilte. Yugi erkannte die beiden Gegenstände, die sie mit sich führte, sofort. Es handelte sich dabei um zwei Diadiankhs.

„Hallo“, grüßte er sie freundlich, als sie sie erreicht hatte. „Alles in Ordnung bei dir? Wie kommen Tea und du mit der Arbeit voran?“

„Ach, danke, alles gut. Wenn du mich fragst, wäre Tea definitiv Magierin geworden, wäre sie in diesem Zeitalter aufgewachsen. Ich habe ihr jetzt allerdings erst einmal eine kleine Pause gegönnt, nachdem es da ohnehin noch etwas gab, um das ich mich kümmern musste“, erklärte die Hofmagierin. Dann wandte sie sich an Tristan und Duke. „Ihr beide seid ja erst recht spät zu unserer kleinen Gruppe gestoßen und leider auch genau dann, als wir keine Möglichkeit hatten, euch mit entsprechender Unterstützung für die bevorstehenden Auseinandersetzungen auszustatten. Das möchte ich jetzt gerne nachholen“, sagte sie und hielt den beiden die mitgebrachten Diadiankhs entgegen. „Hier bitte, diese beiden sind für euch.“

Die Angesprochenen tauschten einen verdutzten Blick, ehe sie nach den goldenen Apparaten griffen.

„Die sehen aus wie altertümliche Dueldisks“, kommentiere Duke. „Das sind die gleichen, wie ihr sie an den Armen habt, oder?“, erkundigte er sich anschließend bei Yugi. Der nickte zur Bestätigung.

„Moment mal, heißt das, da sind Monster drin, die wir rufen können?“, hakte Tristan derweil bei Mana nach.

„Ganz recht. Sie wurden versiegelt, weil ihre Träger ihrer unwürdig waren. Dass sie an keinen Menschen mehr gebunden sind, hat also rein gar nichts mit den Ka zu tun, ihr könnt ganz unbesorgt sein. Wenn ihr sie rufen wollt, legte einfach den Diadiankh an und konzentriert euch auf ihn. Manchmal klappt es nicht beim ersten Anlauf, aber eigentlich sollte es nach kurzer Zeit gelingen.“

Darum ließen sich die beiden nicht zweimal bitten. In Windeseile saßen die goldenen Gestelle an ihren Unterarmen. Duke gelang es schließlich als erstes, das darin versiegelte Wesen heraufzubeschwören. Vor ihm erschien ein Wolf, der jedoch starke mechanische Züge aufwies. Drei Schweife, die metallenen Peitschen ähnelten, lange, scharfe Eckzähne und im Sonnenlicht glänzende Klauen machten den bedrohlichen Anblick des Wesens aus. Seine Schulterhöhe entsprach etwa der seines Trägers.

„Das ist ein Gigatech-Wolf, oder?“, meinte Duke nach kurzem Zögern. Er kannte die dazugehörige Karte und wusste, dass sie nicht gerade zu den stärksten zählte – jetzt, wo er dieses Wesen allerdings in Lebensgröße vor sich sah, verstand er gar nicht, warum sie im Spiel nicht einen deutlich höheren Stellenwert erreicht hatte.

„Ich glaube schon. Worauf ich vielleicht noch hinweisen sollte, ist, dass die Kraft der Monster in dieser Sphäre von der ihres Trägers abhängt. Die Angriffspunkte, die die Karten aus unserer Zeit tragen, spielen hier also gar keine Rolle“, erklärte Yugi, während nun auch Tristan seinen neuen Begleiter herbeirief.

Kurz durchzuckte ein greller Schein die Straße, dann materialisierte es sich vor ihm: eine Gestalt, die ihrem Träger gerade einmal bis zur Hüfte reichte und in der Luft schwebte. Ein bläuliches, jedoch scheinbar nicht formfestes Gesicht mit zwei tiefblauen Augen lugte unter der Kapuze eines dunkelvioletten Umhangs hervor. Darüber trug es einen mit Stickereien verzierten, roten Überwurf. Ein halbkreisförmiges Gebilde schwebte knapp über seinem Kopf. Die Arme waren nicht mit dem Körper verwachsen, sondern schienen sich frei in der Luft zu bewegen. Eine Handvoll Irrlichter folgte jeder Bewegung des Wesens, das sich neugierig und hohe, summende Laute ausstoßend umsah.

„Ähm … was … ist das?“, fragte Tristan schließlich in die Runde, wahrlich bemüht darum, das ihm anvertraute Ding nicht zu verärgern.

„Das ist Qi“, erklärte Mana. „Hierbei handelt es sich um einen Spezialfall. Dieses Monster stammt von einem jungen Mann, der dem Wahnsinn nach einer Krankheit anheimgefallen ist, sodass man ihm die Ka-Bestie nehmen musste. Er hätte in seiner Verwirrung ansonsten großen Schaden anrichten können. Da sein ursprünglicher Träger nichts dafür konnte, haben wir uns entschieden, ihm den Namen zu lassen – sofern dir das nichts ausmacht.“

Tristan wirkte sichtlich überfordert. „Nein, der ist wenigstens leicht zu merken, aber … irgendwie …“

Yugi war indes näher getreten. „Ich glaube, ich weiß, was das für ein Monster ist. In unserer Zeit heißt es ‚Die Phantomritter des Uralten Schleiers‘. Finsternis, Typ Krieger, drei Sterne, Effekt. Angriff 800, Defensive 1000.“

Joey sah ihn entgeistert an. „Woher zum Teufel weißt du das?“

Der Kleinere zuckte nur mit den Schultern. „Na ja, Duelmonsters war schon immer meine Passion. Und da ich irgendwann einmal Opas Spieleladen übernehmen will, versuche ich mich immer über die aktuellsten Karten auf dem Laufen zu halten.“

Tristan wandte sich indes an Mana. „Du hast nicht zufällig eine Ahnung, was der alles kann, oder?“

Die Hofmagierin schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Darüber fehlen leider die Angaben. Am besten ihr lernt euch einfach ein wenig kennen und probiert seine Fähigkeiten mal in einem abgelegenen Teil der Stadt aus, dann findest du es mit Sicherheit heraus.“

Duke war diesem Rat derweil schon zuvor gekommen. Er hatte sich frei heraus einfach einmal an den mechanischen Wolf vor sich gewandt und sich vorgestellt. Dieser schien einen Augenblick lang gar nicht darauf zu reagieren, ehe er mit vorsichtigen Schritten näher kam und begann, den ihm unbekannten Menschen zu beschnüffeln. Dem Schwarzhaarigen lief ob der langen Reißzähne, die sich ihm bedrohlich näherten, zwar ein Schauer über den Rücken, aber er vermied, dies offen zu zeigen. Anschließend umrundete ihn das Monstrum einmal, ehe es wieder vor ihm zum Stehen kam und sich hinsetzte. Mit der nächsten Reaktion hatte Duke dann allerdings nicht gerechnet: Der Wolf hielt ihm mit einem Mal die Pfote hin. Sein neuer Träger zögerte einen kurzen Augenblick, ergriff sie schließlich jedoch trotz der scharfen Krallen und schüttelte sie vorsichtig. „Hat er auch schon einen Namen?“, erkundigte er sich bei Mana.

„Nein. Du wirst einen aussuchen müssen.“

„Okay … hm, wie könnte ich dich nennen?“, überlegte er laut, während er das Wesen vor sich eingehend musterte.

„Einige von uns haben sich auch einfach an die Namen aus dem 21. Jahrhundert gehalten“, warf Yugi helfend ein.

„Richtig. Rotauge ist und bleibt bei mir immer Rotauge, egal in welcher Zeit wir uns befinden.“

„Aber auch das ist ein Name, den du ihm gegeben hast. Bei uns heißt er immerhin ‚Rotäugiger schwarzer Drache‘, oder nicht?“, entgegnete Duke.

„Dann nenn ihn doch einfach Giga. Oder Wolfi oder so …“, schlug Tristan vor.

„Nein, das ist nichts“, widersprach der Schwarzhaarige. Das Wesen vor ihm war bedrohlich, wendig, zum Rennen gebaut … Irgendetwas, das diesen Eindruck wiedergab musste es sein. Dann kam ihm eine Idee.

„Ich hab’s!“, proklamierte er. „Was hältst du davon, wenn ich dich Strike nenne?“

Der Wolf legte zur Antwort den Kopf schief.

„Nun … das ist Englisch und bedeutet so viel wie ‚Schlag‘ oder ‚Angriff‘. Bist du damit einverstanden?“

Ein banger Moment verging, indem der Wolf ihn nur mit seinen roten Augen anstarrte, dann setzte er den Kopf wieder gerade und nickte einmal knapp. Duke fiel indes ein Stein von Herzen. Dennoch wandte er sich noch einmal an Mana.

„Eine Frage habe ich aber noch: Die Anderen sind in der Lage mit ihren Monstern zu sprechen. Irgendwie kommt es mir aber nicht so vor, als wären die beiden hier recht mitteilsam.“

„Das wird sich noch ändern“, versicherte die Magierin. „Zwischen euch muss erst ein Band entstehen, aber dann wird das schon klappen. Allerdings dürft ihr nicht zu viel erwarten. Euer Bund wird nie dem gleichkommen, der zwischen einem Träger und seinem Ka besteht, wenn sie von Geburt an miteinander vereint sind. Eine solche Einheit kann nicht künstlich hergestellt werden, gleich wie lange und gut man sich kennt.“

„Verstehe … aber das kriegen wir schon hin, nicht wahr, Strike?“

Der Wolf starrte nur teilnahmslos zurück. Indes versuchte Tristan nun das, was sein Kumpane zuvor bereits getan hatte: Er nahm sich ein Herz, schritt auf Qi zu und streckte ihm die Hand hin.

„Hi, ich bin Tristan. Und du bist, Qi, richtig? Freut mich dich kennenzulernen!“

Ein Wimpernschlag verging, dann schwebte einer der beiden Arme heran und schüttelte die dargebotene Hand. Tristan setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. „Na also, scheint ja wunderbar zu funktionieren mit uns. Wir geben bestimmt ein super Team ab!“

Das Gesicht des Monsters blieb bei diesen Worten ausdruckslos wie eh und je. Sein neuer Träger war sich aber dennoch seiner Worte sicher. Bis …

„Also gut, ich muss wieder an die Arbeit. Eines aber noch, bevor ich gehe: Tristan?“ Als sie die Aufmerksamkeit des Angesprochenen hatte, fuhr sie fort: „Hör zu, nach dem Bisschen, was wir über Qi wissen, gibt es genau eine Sache, auf die du achten solltest: Qi ist besonders bedacht auf Manieren. Indem du ihn begrüßt und seine Hand geschüttelt hast, hast du dich mit Sicherheit schon beliebt gemacht, aber du solltest auch in Zukunft darauf aufpassen, wie du mit ihm umgehst. Er kann wohl sehr … ungehalten werden, wenn man gegen die gängige Etikette verstößt.“ Sie warf einen Blick zum Himmel, um sich des Sonnenstandes zu vergewissern. „Oh je, nun muss ich aber wirklich los. Wenn ihr Fragen habt, wendet euch jederzeit an mich. Ansonsten sehen wir uns heute Abend!“

Damit eilte sie davon – und ließ einen Tristan zurück, dem in der Gegenwart Qis nicht mehr ganz so gut zumute war.
 

Eilig trieb Samira ihr Pferd durch die Wüste südlich von Theben. Seit zwei Tagen war sie nun unterwegs und schien ihrem Ziel endlich näher zu kommen.

Nachdem sich das rothaarige Nervenbündel einmal mehr über Riell und sein Verhalten aufgeregt hatte, hatte es eine Weile gedauert, bis sie zur Ruhe gekommen war und wieder klar denken konnte. Nur am Rande hatte sie Atemus Eintreffen und seinen Entschluss, sich gegen Caesian zu stellen, mitbekommen – dennoch hatte sie diese Entwicklung ungemein beruhigt. Nichts hatte ihr mehr Unwohlsein bereitet, als der Gedanke, dem Tyrannen nachzugeben. Wenn sie von Risha in all den Jahren eines gelernt hatte, dann war es, dass Aufgeben niemals eine Option war.

Daraufhin hatte sich dann die Frage gestellt, was sie beitragen konnte, um ihre Chancen auf einen Sieg zu erhöhen. Sich an der Absicherung Thebens zu beteiligen, schien ihr nicht gut genug. Es gab ausreichend Hände, die mitanpackten. Es musste noch etwas anderes, etwas sinnvolleres geben.

Und dann war ihr eine Idee gekommen. Heimlich, still und leise war sie des Nachts in die Ställe geschlichen, hatte sich ein Pferd genommen und die Stadt verlassen. Es hatte einige Zeit in Anspruch genommen, ihr Ziel in den ewigen Weiten aus Sand ausfindig zu machen, doch zu ihrem Glück hatten die Gesuchten hier und da eindeutige Spuren hinterlassen.

Sie gab ihrem Pferd einen leichten Tritt in die Seiten, um es eine Düne hinaufzutreiben. Langsam stemmte sich das Tier die Verwehung hinauf, bis es schließlich deren Kamm erreichte und Samira freien Blick auf die Wüste dahinter hatte. Sie brauchte sich nicht lange umzusehen, um zu entdecken, wonach sie gesucht hatte. Dort, am Horizont, hob sich etwas gegen die Sonne ab. Das mussten sie sein.

Diesmal gab sie dem Pferd die Sporen, sodass das Reittier die Düne hinabpreschte und dabei deutlich an Geschwindigkeit gewann. Sand wirbelte auf, als es voran galoppierte, näher und näher an den Tross Menschen heran, der seines Weges zog. Sie bemerkten die Schattentänzerin allerdings noch lange, bevor sie sie erreicht hatte. Augenblicklich ging ein Ruck durch die Reihen und sie konnte sehen, wie sie zum Stehen kamen. Mehrfach blitzte etwas im Sonnenlicht auf, woraus Samira schloss, dass einige ihre Waffen zogen, um sich für einen eventuellen Angriff zu wappnen. So zügelte sie ihr Pferd in gebührendem Abstand, gut ein Dutzend Schritt von den Leuten entfernt.

„Haltet ein! Ich bedeute keine Gefahr für euch!“, rief sie ihnen entgegen und streifte sich die Kapuze vom Kopf.

Sie konnte sehen, wie einige ihre Bogen senkten und andere ihre Schwerter herunternahmen. Offenbar vermuteten sie nicht, dass ein Mädchen, kaum im Erwachsenenalter, ihnen etwas anhaben konnte. Wenn sie nur wüssten … doch Samira verkniff sich eine derartige Bemerkung und wartete stattdessen darauf, dass sie den ersten Zug machen würden.

Und dieser kam auch. Für einen Augenblick schien Verwirrung in den Reihen zu herrschen, die beinahe ausschließlich aus Männern zu bestehen schienen, dann teilte sich die Menge plötzlich und machte einem Kerl Platz, dessen Kleidung ihn als einen Hauptmann der thebanischen Armee auswies – einen desertierten Hauptmann der thebanischen Armee, um genau zu sein.

„Wer bist du und was willst du von uns?“, kam dieser auch ohne Umschweife zum Punkt, kaum da er freien Blick auf das Mädchen hatte, das noch immer auf seinem Reittier saß. Sie wusste, dass sie hier ein Risiko einging, und wollte sich alle Fluchtmöglichkeiten offen halten.

„Mein Name ist Samira. Ich bin ein Mitglied der Schattentänzer und war an der Front, als …“

„Hexe!“

Sie saß den Pfeil, der auf sie zuraste, gerade noch rechtzeitig, und rollte sich vom Rücken des Pferdes herunter. Der Aufprall war unangenehm, verletzte sie jedoch nicht. Eilig kam sie auf die Beine, nur um dem zweiten Geschoss auszuweichen, das auf sie abgefeuert wurde.

„Ich bin nicht hier, um eine Auseinandersetzung mit euch anzufangen! Ich bin gekommen, um …“

Sie konnte sich gerade noch hinter eine Düne flüchten, da hörte sie, wie sich ein weiterer Pfeil in den Sand bohrte. So hatte das keinen Zweck. Gegen die aufgebrachte Meute kam sie mit ihrer Stimme nicht an, sie würde sich kein Gehör verschaffen können. Außer …

Sie sprang hinter der Düne hervor und beschwor die Kräfte herauf, die in ihr schlummerten. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, dann war sie von Flammen umhüllt, aus denen sich langsam eine monströse Gestalt mit gigantischen Schwingen erhob. Ein kräftiger Schlag der Flügel entfachte eine starke, heiße Böe, die die Männer von den Füßen riss und zu Boden warf. Kaum, da sich Kiarna vollständig materialisiert hatte, stieß sie ein wütendes Brüllen aus. Samira sah indes mehr als zufrieden aus.

„Habe ich nun eure Aufmerksamkeit, Hauptmann?“, richtete sie sich mit einem verschmitzten Grinsen an den scheinbaren Anführer des Trosses.

Der antwortete ihr nur mit einem verdatterten Nicken.

„Wunderbar! Also, worauf ich hinaus wollte, ehe ich so unhöflich unterbrochen wurde, ist folgendes“, begann sie, bevor sie ihren Blick eindringlich über die Menschen schweifen ließ. „Wie feige seid ihr eigentlich?“

Kurze Zeit herrschte betretenes Schweigen, dann ging ein Raunen durch die Menge.

„Was willst du damit sagen?“, äußerte schließlich der Hauptmann, der als Erster seine Stimme wiedergefunden hatte, obgleich Kiarna in nur wenigen Schritten Entfernung vor ihm aufragte. Seine Augen wanderten jedoch immer wieder unsicher zu dem gewaltigen Biest.

„Ganz einfach: Während ihr hier davonlauft, stellen sich der Pharao und seine Verbündeten dem Feind, bereit ihr Leben für das Wohl Ägyptens zu geben. Ihr erscheint mir weder verwundert, noch alt, noch kindlich. Sagt mir also, was tut ihr hier, während andere den Mut finden, sich Caesian zu stellen?“

„Das ist kein Mut, das ist Wahnsinn!“, erklang es von irgendwo her.

„Genau! Wir haben gehört, was in Men-nefer passiert ist! Die Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht!“, stimmte irgendjemand zu.

„Wenn die verrecken wollen, bitte, aber ich opfere mich nicht für den Pharao!“

„Ihr habt also gehört, was in Men-nefer geschehen ist, ja?“, wiederholte Samira noch einmal lauter und verschaffte sich erneut Gehör. „Ich bin beeindruckt, ehrlich“, fuhr sie dann mit Sarkasmus in der Stimme fort. „Soll ich euch etwas sagen? Ich war dort und ja, es war bestimmt eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte dieses Landes. Aber ich habe überlebt – und was noch viel wichtiger ist: Ich bin weiterhin bereit zu kämpfen, denn Caesian darf nicht einfach ungestraft bleiben! Und noch weniger dürfen wir ihn einfach so nach Theben hereinspazieren lassen!“

„Natürlich lebst du noch! Hast du zufällig mal hinter dich gesehen?“

„Eben! Mit so einem riesigen Federvieh wäre jeder sicher!“

Kiarnas Kehle entstieg ein Grollen, Samira gebot ihr jedoch gedanklich zu schweigen. „Ach, ist das so? Dafür, dass ihr scheinbar keine Träger eines Ka-Wesens seid, wisst ihr aber gut Bescheid“, entgegnete sie schnippisch. „Hunderte Angehörige meines Clans haben in diesem Krieg ihr Leben gelassen, für einen König gekämpft, der nicht der ihre ist, um dieses Land, dessen Kinder wir alle sind, zu beschützen! Sie haben nie einen Eid geschworen, und dennoch haben sie sich vereint gegen Caesian gestellt. Ihr hingegen habt genau das getan: Einen Schwur geleistet. Und dennoch seid ihr nun dabei, euch wie feige Ratten aus dem Staub zu machen!“

„Wir erkennen immerhin, wann wir verloren haben!“

„Ja, genau! Der Pharao ist blind!“

„Allerdings! Und selbst, wenn es ihm gelingt, diesen Feind zu besiegen, so hat er sich doch schon einen neuen in die eigenen Reihen geholt!“

„Wir lassen uns nicht als Opfer für einen Wahnsinnigen missbrauchen, die, sollten sie überleben, anschließend im Schlaf erdrosselt werden! Wir haben genug!“

Samira entging die Anspielung auf ihren Clan nicht. Sie waren also immer noch überall – die Vorurteile, mit denen sie kämpften, schon lange bevor die Rothaarige überhaupt zu den Schattentänzern gestoßen war. Dass Atemu sich bereitwillig mit ihnen verbündet hatte, schien für mehr Skepsis zu sorgen, als sie zunächst angenommen hatte.

„Was spielen denn Zugehörigkeiten jetzt noch für eine Rolle?“, rief sie schließlich aus, sichtlich wütend. „Wir haben einen gemeinsamen Feind, der dabei ist, sich dieses Land zu unterwerfen, es seiner Geschichte, seiner Kultur und seiner Götter zu berauben! Und ihr wollte wie feige Hunde den Schwanz einziehen und davonlaufen, ihn einfach machen lassen, anstatt euch dagegen zu wehren, dass er sich eure, unsere Heimat nimmt?“

„Das ist nicht deine Heimat, du Flittchen! Die Götter verachten Hexen wie dich!“

„Wir dienen keinem König, der einen Feind besiegen will, indem er sich mit einem anderen verbündet!“

Sie benötigte alle Kraft, um ihre Wut im Zaum zu halten, auf dass Kiarna sich nicht einfach auf die Männer stürzte. Die allmählich aufkommende Verzweiflung in ihrem Herzen bahnte sich jedoch einen Weg und drängte nach außen.

„Habt ihr eigentlich alle den Verstand verloren?“, brüllte sie schließlich über die zahllosen Stimmen hinweg, die sich nach und nach erhoben hatten. „Ich kann einfach nicht glauben, dass ich, dreizehn verfluchte Sommer alt, hier hunderte von erwachsenen Männern vor mir habe, die sich weigern ihr Land zu verteidigen, während ich an vorderster Front stehen werde, bereit mein Leben zu geben! Was, bei allen Göttern, ist aus dieser Welt geworden? Was ist aus der Menschheit geworden, dass sich derartige Furcht in euren Herzen breit machen konnte? Schämt ihr euch nicht? Wie blind, wie taub, wie stumm, wie verbittert müsst ihr sein, um einen verdammten Glaubenskonflikt vor die Zukunft des ganzen Reiches zu stellen?“

Betretenes Schweigen hallte ihr entgegen. Zwar waren die Widerworte für den Augenblick verstummt, doch sie erhielt auch keine Form der Zustimmung. Sie schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Das hier hatte keinen Sinn. Was hatte sie sich eigentlich erhofft?

„Geht eurer Wege“, schrie sie schließlich weiter. „Verschwindet wo immer ihr hin wollt! Aber wagt es nie wieder auch nur einen Fuß in dieses Land, das ihr im Stich gelassen habt, zu setzen! Ansonsten werde ich euch jagen und euch zur Strecke bringen!“

Damit wirbelte sie auf dem Absatz herum, schwang sich auf ihr Pferd und gab ihm die Sporen. Kiarna folgte ihr erst, als sie eine sichere Distanz zwischen sich und die fliehende Meute gebracht hatte.

Ist alles in Ordnung, Samira?, streiften die Gedanken der Ka-Bestie nach einer Weile die ihren. Doch sie antwortete nicht. Es war nicht nur die abgrundtiefe Wut über die Feigheit dieser Männer, die sie stumm hielt. Nein, es war auch eine Erkenntnis, die sie soeben ereilt hatte. Das Volk hasste ihren Clan, das war ihr wieder einmal klar geworden. Aber Atemu hatte das ignoriert. Er hatte mit der Wut, der Verachtung seiner eigenen Leute rechnen müssen und dennoch hatte er den Schattentänzern in ihrer schwersten Stunde Zuflucht geboten und mit ihnen auch danach zusammengearbeitet. Sie würden auch in Zukunft keinen Platz in Ägypten finden, aber das war nicht Atemus Schuld – und diese Erkenntnis war es, die schwerer wog, als all das, was sie heute gehört hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Der schnellste Upload seit Jahren ... *hust* Gepriesen seien freie Wochenenden!

In dem Kapitel passiert nicht ganz so viel, wie ich anfangs geplant hatte, aber der Cut war an dieser Stelle einfach nötig. Immerhin hat Samira jetzt endlich in ihren Dickschädel bekommen, dass Atemu nicht das zweitschlimmste Übel nach Caesian ist. Zumindest für den Augenblick, bis ihr wieder etwas nicht passt ... Ich mag die Kleine eigentlich ganz gerne. Anfangs hatte Sam wirklich nur ein Nebencharakter werden sollen, der ganz vereinzelt auftaucht, aber irgendwie hat sie sich dann doch fester in der FF etabliert. Was haltet ihr eigentlich von dem kleinen Nervenbündel? Geht sie euch auf den Keks oder könnt ihr mit ihr leben?

Und ehe ich es vergesse: Tristan und Duke haben jetzt Ka-Bestien! Yay! Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet diese beiden genommen habe, aber es passte in meinen Augen einfach irgendwie. Meinungen?

Beim nächsten Mal nehmen wir dann wieder mehr Fahrt auf und steuern weiter dem Ende entgegen.

Bis dahin!
LG, Sech Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Seelendieb
2016-05-02T05:24:31+00:00 02.05.2016 07:24
*smile*

Sieh mal einer an... Smaira fängt an zu begreifen udn vor allem fängt sie an nachzudenken... Sehr schön!
Antwort von:  Sechmet
02.05.2016 20:49
Besser spät als nie, nicht wahr? :)


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