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Tempora Nova

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Mein Herr, verlorene Erinnerungen (Teil 2)

Als sich alles um mich herum wieder verfestigt hatte und zu einem klaren Bild geworden war, kam mir auch der letzte Rest an diesen Abend wieder in Erinnerung.

Ich war auf der Erde gewesen, um einen Auftrag des Herrn auszuführen, das erste Mal, seit ich in den Himmel gekommen war. Fast fünf Jahre war ich nur oben gewesen, hatte blöde Kleinigkeiten erledigt, bis zu dem Tag meiner Ernennung zum Erzengel Luzifer. Und gleich bei meinem ersten Auftrag war mir klar gewesen, was ich tun würde. Ich hatte den Himmel nie besonders gemocht, es war langweilig und man durfte kaum etwas. Für jedes noch so kleine Vergehen wurde man bitter bestraft und sogar für jeden Zweifel, den man äußerte, wartete die Folterbank auf einen.

Das war kein Leben für mich und das würde es auch nie sein. Stattdessen hatte ich wohl beschlossen, jemanden wieder zu sehen, der mir sehr wichtig gewesen war…

Ich sah mich selbst vor Simons Tür stehen – er war seit meinem Tod längst aus dem Kloster abgehauen, in dem man uns groß gezogen hatte. Ihm gehörte ein kleiner Krämerladen, nicht besonders groß, aber scheinbar reichte es für ihn, um über die Runden zu kommen.

Für eine Weile schien mein früheres Ich nicht gewusst zu haben, was es tun sollte, immerhin betrachtete ich mich selbst einige Minuten dabei, wie ich unruhig vor der Tür vom einen auf den anderen Fuß trat. Ich selbst fand mein altes Aussehen dabei einfach nur abstoßend, die weiße Kleidung, die kurzen Haare. Engel waren allgemein wohl wirklich hässliche Wesen.

Nach einiger Zeit hatte ich mich dazu entschlossen, doch an der Tür zu klopfen, woraufhin Simon wenige Sekunden später die Tür öffnete. Er hatte mich angesehen, als wäre ich ein Geist, wollte die Tür bereits wieder zuschlagen, doch ich hielt sie mit der Hand fest und lächelte ihn freundlich an.

„Hallo Simon…“, hörte ich mich freundlich, dennoch mit einem gewissen zittern in der Stimme sagen.

„Wer bist du?! Verschwinde hier!“ Es hätte mir klar sein sollen, dass Simon geschockt gewesen sein würde, doch ich hatte ihn so unbedingt sehen wollen!

„Bitte hör mir zu! Ich bin es, Sebastian! Du erkennst mich doch! Ich bin zurückgekommen, um dich noch einmal sehen zu können…“

Für eine Weile sagten wir beide nichts, ich starrte ihn hoffnungsvoll an und er blickte zurück, als wisse er nicht, ob das alles wirklich real war und was er tun sollte. Schließlich zog er mich mit einem Ruck nach drinnen und drückte mich fest gegen die Wand, näherte sich meinem Gesicht bis auf wenige Zentimeter und betrachtete jeden meiner Züge, als müsse er sich erst vergewissern, dass ich es auch wirklich war…

„Woher zurück?“

„Aus dem Himmel…“ Scheinbar hatte ihm das genügt – und auch wenn Undertaker mir diese Szene nicht mehr zeigte, höchstwahrscheinlich auch weil Ciel zusah, wusste ich genau, was wir an diesem Abend noch alles miteinander getan hatten, wie wir uns geküsst und geliebt hatten. Ich bekam ein schlechtes Gewissen Ciel gegenüber und dachte nicht weiter daran. Immerhin liebte ich nur noch meinen jungen Herrn!

Wieder verschwand das Bild und ich hatte wenigstens für einen Moment Zeit, meine Gedanken zu ordnen und alles zu verinnerlichen, was ich gerade gesehen hatte. Warum zeigte mir Undertaker all diese Abschnitte, in denen Simon vorkam? Hatte das wirklich noch so eine wichtige Bedeutung? Langsam fügten sich all die Bruchstücke wieder zusammen, doch ein wichtiges Teil in meinen Erinnerungen schien noch zu fehlen. Und dieses Teil machte mir Angst. Simon hatte irgendwas mit alledem zu tun, was jetzt gerade in der Gegenwart geschah, aber was nur?

Aus den verschwommenen Schlieren bildete sich nun ein neues Bild, alles um mich herum wurde weiß, wieder befand ich mich in einer ähnlichen Situation wie bei meiner Ernennung zum Erzengel, nur das dies hier mein Fall war.

„Sebastian Michaelis!“, hörte ich Gabriels Stimme donnern. Er war die rechte Hand Gottes und führte all die Befehle aus, bei denen sich der Herr selbst die Hände nicht hatte schmutzig machen wollen. Ich selbst kniete auf dem Boden, meinen Kopf hielt ich gesenkt, sodass ich niemandem ins Gesicht sehen musste. Auch wenn mir das mit Simon gefallen hatte, war meine Angst in diesem Moment enorm gewesen, immerhin hatte ich keine Ahnung, was mit mir passieren würde und ob ich meine Augen jemals wieder öffnen würde, wenn Gabriel mit mir fertig war…

Fast könnte man sagen, dass ich es bereute, was ich mit Simon getan hatte. Aber auch nur fast~

„Du hast eine schwere Sünde begangen! Du, der auserwählt wurde, als Luzifer – unser Lichtbringer – ausgerechnet du hast uns am meisten enttäuscht!“ Gabriels Stimme war so schallend laut, dass sie mir fast die Ohren zerriss, selbst wenn das hier nur meine Erinnerungen waren… Es war ein schrecklicher Moment gewesen.

„Bitte Erzengel Gabriel! Es war doch nur… Ich liebe diesen Mann! Er ist mein Freund gewesen, als ich noch ein Mensch war!“

„Aber nun bist du kein Mensch mehr! Man muss loslassen, wenn man in das Reich Gottes eintritt, alles was man besaß und alles was man geliebt hat.“

So ein Schwachsinn. Und genau da lag der Vorteil darin ein Dämon zu sein. Kein Verlust, keine Enthaltsamkeit, viel Sex und viel Macht. Was wollte man mehr? Meine Güte, erst jetzt bemerkte ich all die Vorzüge, die mir mein jetziges Leben zu bieten hatte, sah man mal von dem ständigen Konkurrenzkampf um Seelen ab und vergaß, dass die Engel einen töten wollten – und selbst das war angenehmer, als der Himmel es jemals sein würde. Ich würde mich sicherlich nie wieder über mein Dasein beschweren.

„Luzifer, hiermit verbanne ich dich aus unserem vom Herrn geheiligten Land! Deine Seele soll in den Abgrund fahren, dort kannst du mit deinen Sünden leben! Und fortan soll jede Seele, die sich zu Lebzeiten der Sünde hingab, zu dir hinab fahren und in deinem Höllenfeuer schmoren!“

Wirklich, ich hatte inzwischen das Gefühl für die Zeit vollkommen eingebüßt, aber ich nehme trotzdem stark an, dass ich verrückt geworden wäre, wenn ich mir das geschwollene Gerede Gabriels noch länger hätte anhören müssen.

Nur für eine Sekunde wurde es hell, strahlend hell, sodass man das Gefühl hatte, es würden einem die Augen herausgebrannt, bevor ich mein früheres Ich in die tiefe Dunkelheit fallen sah…

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Das Bild löste sich erneut auf und endlich wachte ich auf dem Fußboden Undertakers auf, von dem ich mich während der ganzen Sache scheinbar keinen Millimeter wegbewegt hatte.

Gerade als ich die Augen aufschlug, sah ich Undertaker meinen Cinematic Record zuklappen, wie immer grinste er mich hämisch an, was war auch anderes zu erwarten.

„Und ab da kennst du die Geschichte ja, nicht wahr Luzifer?“

„Hör auf mich so zu nennen.“, erwiderte ich knapp und hörte, wie der Bestatter wie immer in schallendes Gelächter ausbrach. Manchmal fragte ich mich wirklich, ob bei dem Shinigami noch alles in Ordnung war oder ob ihm sein hohes Alter endgültig das Hirn vernebelt hatte.

Vorsichtig setzte ich mich auf und sah an mir herunter. Kein Blut, keine zerrissene Kleidung, alles war wie neu, nur dass ich endlich meine wahren Erinnerungen wieder hatte.

Ciel saß derweil auf einem von Undertakers Särgen und sah mich böse an. Hatte er alles mitbekommen, was ich gesehen hatte? Wenn ja konnte ich mich schon einmal darauf gefasst machen, dass heute einer meiner Todestage sein würde…

„Mein Herr, was habt Ihr?“, fragte ich leise und versuchte das Gelächter des grauhaarigen weitgehend zu ignorieren – was allerdings nicht gerade leicht war.

Ciel sah zu mir auf, sein Blick sprach Bände, doch seine Stimme war kühl, als er zu sprechen begann.

„Schön, dass du diesem Simon immer noch so hinterhertrauerst. Vielleicht sollten wir ihn suchen, damit ich diesen Idioten fertig machen kann. Du weißt nicht, was er getan hat! Er ist ein verdammter Bastard!“

Umso länger mein junger Herr sprach, umso mehr Emotion war in seiner Stimme aufgekommen. Er war wütend, das spürte ich.

„Junger Herr, ich versichere Euch, das mit Simon ist vorbei. Glaubt mir bitte, die Erinnerungen daran tun weh, aber nur der Schuld wegen. Mein Herz gehört nur Euch…“

„Darum geht es nicht verdammt! Ich habe deine Gedanken gehört, ich weiß, dass du mich liebst! Aber weißt du, was dieser Mistkerl getan hat?!“ Ciels Augen füllten sich das erste Mal seit langem mit Tränen, ich versuchte ihn zu mir zu ziehen doch er drückte mich beiseite und versuchte mit aller Kraft, nicht zu weinen. Kaum hatte er sich beruhigt seufzte er kurz, sah mir dann direkt in die Augen und schockte mich mit seinen Worten weit mehr, als ich es selbst zugeben wollte.

„Simon ist einer von den Engeln. Damals war er höchstwahrscheinlich nicht besonders wichtig. Er war es, der mich zuerst gefoltert und beschmutzt hat. Er hat sich förmlich darum gerissen, mir das anzutun…“

Einen Moment lang brachte ich es nicht fertig, auch nur einen Laut von mir zu geben. Ich war geschockt und vollkommen am Ende. Simon, den ich geglaubt hatte zu kennen hatte Ciel das alles angetan?! Er war es, der Ciel das Mal aufgetan und ihn gegen seinen Willen berührt hatte.

Und mir war klar, weswegen. Undertaker hatte mir das alles nicht umsonst gezeigt. Simon hatte sich kurz nach unserer letzten Begegnung das Leben genommen, um bei mir im Himmel zu sein, doch dort war ich bereits in der Hölle…

Sicherlich hatte er mich all die Zeit still beobachtet, hatte all dies in die Wege geleitet, als er bemerkt hatte, wie ich für den Jungen empfand… Alles was Ciel zu gestoßen war: Die Ermordung seiner Eltern, die Qualen, die sie ihm angetan hatten. Alles. Es war alles seine Schuld! Was auch immer er erzählt haben musste, damit die Engel die Phantomhives ausradieren wollten, es war sicherlich nichts Gutes.

„Du hast es verstanden, nehme ich an?“, meldete sich plötzlich Undertakers Stimme zu Wort. Ich nickte nur, denn zu mehr war ich gerade nicht in der Lage. Es dauerte sicherlich eine Weile, bis ich das verdaut hatte.

Ciel hatte sich währenddessen wieder auf den Sarg gesetzt und sah gedankenverloren an die Wand.

„Nun ja, es hat mich eine Weile gekostet, doch nun weiß ich, wo Simon ist und vor allem wer er jetzt ist. Aber es wird dir sicherlich nicht gefallen…“

„Spuks einfach aus.“, meinte mein junger Herr trocken und ich nickte erneut, um meine Zustimmung zu geben. Ich dachte eigentlich, dass mich jetzt nichts mehr schocken würde, doch ich hatte mich getäuscht.

„Der liebe Simon hat einen Weg gefunden, Gott außer Gefecht zu setzten und seinen Platz eingenommen. Alle Befehle, die die Engel erhalten, stammen von ihm.“ Mir blieb der Mund offen stehen und Ciel ging es nicht anders.

Es gab eigentlich nur noch eines, was mir dazu einfiel. Dieser Kerl war krank.

Und egal was passierte, wir mussten so schnell wie möglich handeln, egal was es kosten würde! Wenn es so weiterginge, würde uns die Apokalypse nicht erspart bleiben.

„Was sollen wir jetzt tun?“ Ich traute mich kaum zu fragen, doch zu meinem Glück konnte Undertaker wieder lächeln.

„Ganz einfach. Wir holen die junge Lady Elizabeth zurück zu uns auf die Erde!“



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