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Die Klingen des Kaisers

von

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Emsby

Lorgnan entpuppte sich als kleine, fast übermäßig befestigte kleine Stadt, an deren Stadtzentrum Sarifa nichts fand, was die wilden Gerüchte bestätigt hätte, als sie in einem Gasthaus unterkamen, das eindeutig für Händler besserer Gattung die Anlaufstelle darstellte. Michel gab denn auch zu, dass die Gerüchte in der Marche wohl übertrieben worden waren, bestand jedoch darauf, sich als einfacher Mann allein zum Schwarzen Lamm zu begeben, der einzigen Kontaktadresse, die sie bekommen hatten. Und dieses lag, soweit reichte der große Stadtplan, den Graf Uther ihnen mitgegeben hatte, eindeutig in der Hafengegend. Sarifa, die darin nur die nördliche und höfische Manier erkennen konnte, jedoch keine Beleidigung ihrer Fähigkeiten, wartete geduldig in ihrem Zimmer.

Es war schon weit nach Mitternacht, ehe ihr Partner zurückkehrte.

Sie setzte sich abrupt auf, sagte aber lieber nichts, da er recht finster dreinsah. Und eine dunkle Prellung am Unterkiefer zeigte, dass seine Aussage, er werde sich schlagen müssen, nicht ganz sinnlos gewesen war.

Michel bemerkte ihre Reaktion und achtete darauf, die Tür sorgfältig zu schließen, ehe er meinte, durchaus geschmeichelt: „Du solltest meinen Gegner sehen. Und der durfte dem Wirt noch zehn Gulden zahlen, weil er gegen diverse Tische geprallt ist und sie zerlegt hat. Ich bin meist ausgewichen, weil der Kerl komplett betrunken war. - Das könnte mühselig werden.“

„War Henri Gustav nicht da?“

„Doch, schon. Und das gezeichnete Bild entspricht ihm wirklich mehr als... Aber er saß in einem Eck und sprach mit niemandem.“

„Er wurde heute aus dem Gefängnis entlassen, womöglich sucht er Verfolger.“

„Genau das denke ich auch, meine Sachlichkeit. Ich hütete mich daher auch nur den Anschein zu erwecken an ihm interessiert zu sein und ließ mich mit einem anderen Mann auf ein längeres Gespräch ein. Ich gab an Arbeit zu suchen, am Hafen oder so, weil ich nicht mehr auf See fahren wolle. Ich bin jungverheiratet und meine Frau erwarte ihr erstes Kind...“ Er bemerkte den zweifelnden Blick der Assassine: „Mir fiel nichts Besseres ein, um mein Interesse an egal was für einer Arbeit hier zu bekunden. Der meinte, ich solle mich an den Hafenmeister wenden, der vergäbe die Arbeiten hier. Besagter Hafen ist übrigens von den ganzen....hm...“ Wie sollte er das einer sittsamen jungen Dame erklären? „...Kneipen und anderen Dingen durch eine Palisade getrennt. Nicht aus Holz, sondern aus Ziegeln, vermutlich aus Brandschutzgründen. Nun, gleich. Als Gustav endlich ging, folgte ich ihm möglichst unauffällig. Zu meiner Überraschung marschierte er hier ins Stadtzentrum und stieg in eine Kutsche. An deren Schlag war ein Wappen angebracht, und glaube mir, ich kenne alle hier im Kernland: das war das Wappen der Emsby.“

Sarifa hob die Brauen: „Ein Adeliger, Piraten und ein Überfall auf die Stadtkasse?“

Er teilte diese Überraschung: „Auf alle Fälle hat der Herr von Emsby interessante Bekannte. Nun gut, vielleicht arbeitet Gustav schlicht bei ihm, er muss ja schließlich von etwas leben.“

„Michel,“ meinte Sarifa sanft: „Würdest du einen Dienstboten in deiner eigenen Kutsche abholen lassen?“

„Womit du Recht hast.“ Er ließ sich auf das Lager fallen: „Ich bin ein wenig müde, mein Engel. Wann gibt es hier Frühstück?“

„Wann du willst. Allerdings kostet es unten einen halben Gulden für uns beide, wenn wir hier oben essen einen viertel.“

Michel hütete sich zu lächeln: „Ein halber Gulden wäre offiziell ein Dukat, ein Viertel ein Silberpfennig, aber das sagt natürlich hier niemand. Heißt das im Süden anders?“

„Ich kenne nur Gulden. Innerhalb des Dorfes gibt es ja kein Geld.“

„Eines Tages besuche ich dich doch. - Gut. Dann schlafen wir uns aus, frühstücken und gehen, lassen unser Gepäck aber hier. Das dürfte unauffälliger sein. Und wir werden uns morgen Nachmittag und Abend mal ganz dezent das Herrenhaus von Emsby ansehen. Es liegt an der Küste, wenn ich mich recht erinnere.“

„Du kennst den Herrn von Emsby nicht?“

„Nein.“ Er dachte nach: „Ich weiß, dass ich damit etwas verbinden sollte, aber mir fällt nichts ein. Vielleicht bin ich ihm einmal bei Hofe vorgestellt worden, aber.....“ Er zuckte die Schultern: „An all die Leute erinnert sich kein Mensch.“

„Vielleicht fällt es dir wieder ein.“ Sarifa legte sich ebenfalls wieder hin: „Dann gute Nacht.“
 

Am folgenden Tag regnete es, als die beiden Agenten die Stadt verließen, und herbstliche Winde fegten über das Land. Wie üblich lagen kurz außerhalb der Mauern Pferdeställe und Michel mietete zwei Tiere. Sarifa trug ihren Umhang und darunter verborgen ihre Assassinenkleidung, er selbst hatte sich als einfacher Bürger in schlichten Brauntönen angezogen, seine blondgelockten Haare straff nach hinten zu einem Zopf gebunden und jeden Schmuck abgelegt.

Nach zwei Stunden Ritt beneidete er seine Partnerin. Sein eigener kurzer Umhang war inzwischen ebenso durchweicht wie die gestrickten Strumpflinge und es wurde ungemütlich kalt – sie war unter dem ihrem noch immer trocken. Allerdings kannte er aus seiner Militärzeit und auch von diversen Aufträgen derartige Unannehmlichkeiten – es gab weitaus Ärgeres, was einem passieren konnte. Allerdings zügelte er sein Pferd unter einem dichten Baum, ehe er aus der Satteltasche die Landkarte hervorzog.

Sarifa hielt sofort neben ihm: „Was ist?“

„Wir sollten nicht durch das Dorf Emsby reiten. Wer weiß, wer dort seinem Herrn so alles dient. - Ah, das ist gut. Der Herrensitz liegt ein Stück außerhalb. Das hier sollte er sein, direkt an der Küste. Dann werden wir ein wenig querfeldein reiten. Das Wetter ist uns hold, denn kaum einer wird auf dem Feld arbeiten.“

„Wie du meinst,“ sagte die Assassine höflich.
 

Fast drei Stunden später hielt Michel erneut an und stieg ab. Seine Partnerin fragte nicht warum, da sie die Ursache entdeckte. Vor ihnen lag das Meer samt der Steilküste von Borea. Sie banden ihre Tiere an, ehe sie gegen den Wind vom Meer weitergingen.

„Sehr steil,“ murmelte Sarifa und betrachtete die fast fünfzig Meter tiefe Klippe vor sich.

„Stimmt. Geh nicht zu nahe heran.“

„Ich bin schwindelfrei,“ protestierte sie prompt.

„Nicht deswegen. Aber es ist Kalkfelsen und der bröckelt.“

Wo er Recht hatte....Sie wich etwas zurück: „Wo liegt nun Emsby?“

Michel deutete nordwärts: „Ungefähr dort. Ich hoffte, man würde den Herrensitz von hier aus sehen.“

Die Küste machte in der Tat einen eleganten Schwung landeinwärts. Sarifa dachte nach: „Der Regen vermindert die weitere Sicht. Aber näher heranreiten wäre auch schlecht, oder?“

„In der Tat. Während wir eine..hm...Besichtigung machen könnten jemandem die Tiere auffallen. Nehmen wir ihnen den Zaum aus dem Maul und lassen sie hier.“ Michel wischte sich kurz den Regen aus dem Gesicht: „Und wir gehen spazieren.“

Falls Sarifa Einwände dagegen gehabt hätte bei dem auffrischenden Wind und Regen einen Spaziergang zu machen, so war sie doch Profi genug um zu wissen, dass die Pferde auffällig waren. Hier wuchsen wenigstens noch Büsche und würden sie einigermaßen verstecken, jedoch keine Bäume. Und in die Richtung, in der das Herrenhaus lag, wuchsen nur noch niedrige Heidekräuter und andere Zwergbüsche. Der ständige Wind mochte die Ansiedlung von Bäumen verhindern.

Michel kam zu ihr: „Lass deine Dolche hier,“ meinte er und ergänzte eilig: „Ich weiß, dass du sie gern trägst, aber, falls wir auffallen, sei es, dass wir nur beobachtet werden, sei es, dass wir als Gäste empfangen werden – das würde unsere Tarnung auffliegen lassen.“

„Du bist also unbewaffnet.“ Mit innerem Seufzen schnallte sie die Dolche ab. „Ich verstehe nur mühsam....“

„Armreifdolche sind keine gewöhnliche Tracht einer Bürgerin, meine Teure. Und wenn Emsby oder einer seiner Männer mitdenkt, würde er sich wundern.“

„Sie sollen uns doch gar nicht sehen.“

„Stimmt. Aber man weiß ja nie. Ich hoffe sowieso, dass das schlechte Wetter die Leute im Warmen hält und keiner guckt ob hier Fußgänger herumlaufen.“ Und so gesehen war der Regen ein Segen, so lästig und kalt er sonst auch sein mochte.

Das stimmte freilich und so schob sie ihre Messer in die Satteltasche, allerdings froh, dass er keine weiteren Anweisungen hatte. So wichtig es auch sein mochte harmlos zu erscheinen – ohne Klingen war sie nur ungern. So zog sie nur die Kapuze tiefer über ihr Gesicht: „Gehen wir.“
 

So liefen die beiden an der Steilküste entlang, bis Michel stehenblieb: „Oha...“

Das galt der Befestigungsmauer vor sich. Der Herrensitz von Emsby war von einer fast drei Meter hohen unvermörtelten Mauer aus grob behauenen Steinen umgeben – zur Landseite hin. Zur Steilküste hatte man sich die Arbeit gespart. Vorsichtig trat Sarifa an den Rand und beugte sich vor, ehe sie zurückkam: „Sie waren nicht leichtsinnig. Die Klippe wurde abpoliert. Hinaufzuklettern wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Aber du sagtest ja, dass es immer wieder Überfälle von Westceltica gab.“

„Ja. Solange das Kaiserreich in sich zerstritten war, ja, Bürgerkrieg herrschte, nutzten es die lieben Nachbarn aus. Jetzt ist nur die Preisfrage, wie wir hineinkommen.“

„Dort scheint eine Art Garten zu sein....“ Die Assassine deutete nach rechts.

Michel erkannte im strömenden Regen tatsächlich Beete und einen Brunnen. Sicher war das erst in den letzten zehn Jahren angelegt worden, als die Überfälle aus Westceltica aufgehört hatten und man sich den Luxus eines Gartens außerhalb der Mauern leisten durfte. Das bedeutete, wenn der Gärtner keine Umwege durch das Haupttor machen wollte, würde es wohl eine kleinere Pforte auf dieser Seite geben, da hatte sie Recht. „Hm, sie haben die Tür wohl ein wenig getarnt,“ meinte er mehr zu sich selbst. „Siehst du Wachen?“

„Nein. Du?“

„Nein. Aber es sind ja auch deutlich friedlichere Zeiten. - Falls uns wer fragt, was wir hier machen, ich suche Arbeit und ein Zimmer für dich und mich. Wir bleiben bei der Legende, die ich dem anderen Mann im Schwarzen Lamm erzählte.“

„Das heißt, ich bin schwanger? Ich habe keine Ahnung, wie man sich dann benimmt.“

„Auch nicht anders. Denke ich. - Komm.“
 

Tatsächlich fanden die Zwei eine kleine, sichtlich neue Tür in der Mauer, die allerdings von innen versperrt war. Sarifa, die die schmaleren Finger besaß, tastete durch den Spalt und schob den Riegel hoch.

„Ein gewisses Talent als Einbrecher kann man dir nicht absprechen,“ murmelte Michel, ehe er voran in den Hof des Herrenhauses ging: „Mach wieder zu,“ warnte er noch, ehe er sich umsah. Tatsächlich war kein Mensch zu sehen. Hühner bevölkerten einen Misthaufen, er erkannte die üblichen Stallungen, eine Schmiede, in der allerdings kein Feuer brannte. Insgesamt war alles vollkommen still. Fast zu still, wie er aus eigener Erfahrung wusste. Aber Geräusche der Menschen mochten auch im Wind und Regen untergehen. Im Erdgeschoss des Haupthauses selbst schimmerte Licht und so ging er vorsichtig näher. Sarifa folgte ihm unverzüglich.

Beide entdeckten durch die kleinen, in diesem Klima wohlweislich mit teuren Glasscheiben bedeckten Fenster mehrere Männer. Und stillschweigend waren sie sich einig, dass man wohl lange suchen müsste, um erneut eine derartige Ansammlung von Galgenvögeln zusammen zu bekommen. Einer der Männer trug eindeutig adelige Kleidung. Das und sein Platz am Kopf des Tisches verrieten, dass es sich um den Hausherrn, den Herrn von Emsby, handeln musste. Michel erkannte Henri Gustav, der anscheinend allerlei erzählte.

Sarifa wandte den Kopf und sah sich um. Es war ungut, wenn beide aufmerksam in eine Richtung blickten – zumal auf feindlichem Gebiet. Sie bemerkte, dass auch ihr Partner zu dieser Entscheidung gekommen war, denn er drehte ebenfalls den Kopf.

„Zur Tür,“ flüsterte er, in der Hoffnung, dass sie ihn verstehen würde. Er hatte seinen Entschluss gefasst. Das gesamte Haus war bis auf diese Männer anscheinend unbewohnt – verdächtig, in einem solchen Herrenhaus keine Frauen, keine Mägde zu sehen, die Wasser holten, keine Eier sammelten, Wäsche wuschen und anderes. Auch die Schmiede war kalt.....Sehr verdächtig. Aber Beweise für eine Schuld Emsbys oder auch Gustavs waren sicher nur im Haus zu bekommen, im Arbeitszimmer des Hausherrn. Das war das Risiko, und sie mussten es eingehen.

Falls sie erwischt würden, müsste ihre, zugegeben dünne, Tarngeschichte herhalten. Aber sie waren einfach gekleidet, und es sollte nicht verwunderlich sein, wenn Leute in einem Herrenhaus nach Arbeit fragten. Er warf einen Blick zum Haupttor. Doch, es war zumindest für einen Fußgänger offen.... Gut.

So rannte er zu der Tür des eigentlichen Herrenhauses, ehe er sich erneut zu seiner Partnerin umdrehte: „Denk an unsere Geschichte,“ mahnte er leise: „Erfahrungsgemäß liegen die Zimmer des Hausherrn unten, also, die offiziellen, weil er hier arbeitet und Besucher empfängt. Ich mach mal auf.“

Er öffnete, scheinbar ein wenig schüchtern, um, falls er gleich von drinnen entdeckt wurde, seine Rolle zu spielen, während sich Sarifa noch einmal umsah. Irrte sie sich oder beobachtete sie jemand? Nun, das war egal. Beweise mussten her, sonst würde Gustav ein zweites Mal dem Gefängnis entkommen und die anderen gleich dazu. Dazu mussten sie nur die Rollen spielen, Michel auf Arbeitssuche und sie als seine Frau.

Im Haus empfing sie Düsternis und Kühle, aber auch Schutz vor dem Regen. Michel stellte fest, dass er förmliche Pfützen hinterließ – das würde auffallen, wenn jemand aus der Halle links kam. Ärgerlich. Aber momentan schienen sich alle dort aufzuhalten. Er sah sich rasch um. Eine steinerne Treppe führte schmal und eng in den ersten Stock, eine weitere wohl in den Keller. Sie war allerdings mit einer festen Holzbalkentür verschlossen. Eine weitere Pforte führte geradeaus – in das Arbeitszimmer des Hausherrn? Stimmen kamen nur von links aus der Halle und so ging er möglichst leise geradeaus, öffnete dort die Tür. Ja, das war das gesuchte Zimmer und es war leer. Sehr gut. Da er bemerkte, dass ihm seine Partnerin lautlos gefolgt war, ließ er sie eintreten und machte wieder zu. Hoffentlich würden ihre Spuren trocknen, ehe es jemand bemerkte.

Er ging zum Schreibtisch: „Komm her, schnell. Wir sollten hier keine Wurzeln schlagen. Sie sind doch zu sechst.“ Und sie beide waren unbewaffnet, schon um ihrer Tarnung willen. So durchsuchte er eilig die Papiere, die auf dem Schreibtisch lagen, fand aber nichts, was nicht für einen vornehmen Herrn üblich gewesen wäre. Rechnungen, Pachterträge und anderes. Nun gut. Wenn Emsby tatsächlich etwas mit den Piraten zu schaffen hatte, würde er kaum Beweise offen herumliegen lassen. Er öffnete die Schubfächer, als er hörte, wie Sarifa scharf einatmete, und aufblickte. Seinen Fluch unterdrückte er lieber.

„Was für reizende, pitschnasse Täubchen,“ sagte der Herr von Emsby, der soeben sein Zimmer betreten hatte, leider in Begleitung von Henri Gustav und den anderen Vier, die alle Degen oder Messer in den Händen hielten. „Diebstahl, also?“

„Äh, nein, das...das ist nicht so, wie es aussieht, edler don,“ beteuerte Michel sofort, möglichst in dem Dialekt der einfachen Leute: „Ich...ich suche Arbeit....Meine Frau...sie erwartet ein Kind, wisst Ihr?“

„Bis eben nicht. - Hm. Hübsches Kind, muss ich sagen. Schnappt euch die beiden.“

Sarifa warf einen raschen Blick seitwärts, aber sie erkannte, dass auch Michel keine Chance sah zu entkommen. Ein Sprung durch das Fenster war unmöglich. Zum einen war es zu klein, zum anderen musste dahinter die Klippe sein – das wäre ein Sprung in den sicheren Tod. Und die sechs Männer standen zwischen ihnen und der Tür, fünf kamen auf sie zu. Zwei von ihnen zogen Stricke aus den Gürteln, was den beiden Agenten verriet, dass die Sechs genau gewusst hatten, dass sich Fremde hier befanden. Egal, warum, gleich, wie.

Eine kurze, fachmännisch durchgeführte Überprüfung ergab, dass die Einbrecher weder Messer noch Degen trugen.

„Ich habe etwas gegen Diebe,“ sagte Emsby derweil: „Genauer gesagt, ich kann es buchstäblich auf den Tod nicht leiden, wenn mich jemand bestehlen will. Habt ihr wirklich gedacht, ich hätte euch nicht über den Hof kommen sehen? Fesselt sie. Und....oh, was hast du denn an, meine Schöne? Das sieht aber so gar nicht nach einer ehrbaren Bäuerin aus. Also professionelle Diebe, hm?“ Er wartete, bis seine Männer den beiden Gefangenen die Hände auf den Rücken gebunden hatten: „Das ändert die Sache erheblich. Ich werde euch nicht den Behörden von Lorgnan übergeben, die euch doch nur durchfüttern und dann wieder laufen lassen würden. Nein, wir werden ein Exempel statuieren. Es ist schon später Nachmittag, wie günstig.“

Michel und Sarifa sahen sich an. Exempel aus diesem Mund – das klang nicht gut. So versuchte er es noch einmal: „Edler don, könnt Ihr denn niemanden brauchen, der für Euch arbeitet? Ich bin wirklich fleißig und...“

„Halt den Mund. - Bringt sie hinunter. Und wenn er noch einmal etwas sagt, schlagt ihn zusammen.“

Michel presste die Lippen zusammen. Das war ja eine hübsche Lage, in die er sie beide da gebracht hatte. Aber woher hätte er auch ahnen sollen, dass Emsby derart skrupellos reagierte. Hinunter? Also in den Keller? Was sollte das? Er sah ein wenig besorgt zu seiner Partnerin, aber Sarifa schien ihre Angst nur zu spielen. Immerhin etwas. Wenn sie eine Chance bekamen mussten sie sie nutzen.
 

Aber es kam keine Chance. Sie wurden beide in den Keller geführt, durch einen Weinkeller hindurch, eine weitere schwere, verriegelte Tür wurde geöffnet. Dahinter zeigte sich Fels, eine weitere steile Treppe führte hinunter. Jetzt beschloss Sarifa, es noch einmal zu versuchen.

„Edler don, bitte....“

„Gib dir keine Mühe, schönes Kind,“ sagte Emsby fast väterlich: „Ich würde dir sowieso nicht glauben. Und es ändert auch nichts an meiner Meinung, dass Diebe, die mein Geld stehlen wollen, durchaus einen kleinen Unfall haben können. - Bindet sie unten an den Steg.“

Steg?

Die Gefangenen begriffen erst, als sie erkannten wohin die Stufen führten, die sie hinuntergezerrt wurden. Dämmerlicht drang von draußen in eine große Höhle und sie hörten das Meer rauschen. Ein vielleicht einen Meter breiter Bach floss aus dem Hintergrund zum Ausgang und wand sich über den schlickigen Boden. Am Fuß der Treppe befand sich ein Steg, wie er gewöhnlich zum Anlegen von Schiffen diente. Eine Holztreppe führte an ihm hinunter auf den Höhlenboden. Zwei der Männer zerrten Michel dorthin. Ehe er ganz begriff, legte sich Metall um seinen Hals und er wurde an eine Holzstütze des Steges gezogen. Vermutlich wurde hier ein Schiff angebunden, wenn der Wasserspiegel höher war – und da verstand er.

„Edler don....“ begann er, als einer der Männer ihm die Faust in den Magen rammte und er sich keuchend im Schmerz und der Übelkeit vorbeugen musste, soweit es die Kette um seinen Hals zuließ.

Sarifa hatte besorgt zugesehen, aber zwischen Gustav und einem anderen Mann stehend, die Hände auf den Rücken gefesselt, hatte sie wenig Chancen etwas zu unternehmen. Wo war Emsby denn bloß? Er kam mit etwas erst jetzt die Treppe hinunter, das klirrte.

„Hier, für die Kleine.“

Gustav nahm das Metall und grinste: „Oh, gute Idee, don.“ Er bückte sich und befestigte das seltsame Gewirr an dem Holzbalken, an den auch Michel gefesselt war, der sich langsam erholte und nun zu erkennen versuchte, was passieren sollte.

Sarifa wurde neben ihn gestoßen. Noch ehe sie ganz verstand, schloss sich etwas schmerzhaft beißend und fest um ihren linken Knöchel und sie hätte fast aufgeschrien.

„So, ihr zwei Hübschen,“ meinte Gustav grinsend: „Wir werden, na, so in sechs Stunden nach euch sehen. Viel Spaß!“

Die Männer wandten sich zum gehen und Michel sah entschuldigend seitwärts, bemüht, seine Rolle noch immer zu spielen: „Es tut mir Leid, Liebling....aber jeder kann sich mal irren.“

„Ich auch,“ fauchte sie zurück: „Als ich einmal zu oft Ja gesagt habe!“

„Oh, ein Sprung in der Laute?“ fragte Emsby ein wenig höhnisch: „Ihr habt noch Zeit euch zu streiten, keine Sorge. Aber wir gehen jetzt.“

Die Gefangenen sahen ihnen nach, bis sie die Treppe empor gegangen waren und die feste Tür hinter sich zuzogen.

Michel murmelte einen Fluch, ehe er hinunterblickte, so gut es die Kette um seine Kehle gestattete: „Ein Tellereisen? Tut es sehr weh?“

„Es könnte schlimmer sein – es ist immerhin nicht gezackt. Aber ich fürchte, mein Knöchel ist zumindest geprellt. - Wäre es jetzt nicht an der Zeit deinen Plan B auszupacken?“

Er seufzte etwas: „Ich versuche meine Handfessel aufzubekommen, damit ich die Kette um den Hals und dein Eisen abnehmen kann. Allzu lange sollten wir uns hier nicht aufhalten.“

„Sie kommen erst in sechs Stunden wieder. Warum eigentlich?“

Er war verwirrt, ehe ihm einfiel, dass sie aus dem Binnenland stammte: „Die Flut kommt wohl. Und das bedeutet, dass diese Höhle sicher auch unter Wasser steht. Wenn ich mir den Steg so ansehe, kann man hier mit einem Schiff bei Flut hereinfahren. In Borea ist der Tidenhub oft fünf Meter.“

„Das wäre über uns,“ konstatierte sie nüchtern. „Also sollen wir ertrinken – und rein zufällig werden unsere Leichen dann irgendwo gefunden. Ein netter Unfall, bedauerlich, aber dem Herrn von Emsby kann nichts nachgewiesen werden. Übrigens – es ist kein Wunder, dass die kaiserliche Marine das Versteck der Piraten nicht finden konnte. An eine Höhle dachte sicher niemand.“

„Ja, das Geheimnis haben wir geklärt. Jetzt sollten wir nur zusehen, dass wir das auch noch jemandem erzählen können.“ Er versuchte den Knoten um seine Handfessel zu erreichen. Aber er war durchnässt und die straffe Fesselung ließ seine kalten Hände noch zusätzlich steifer werden. Er sah seitwärts. Er trug die Verantwortung für ihre Lage – aber sie machte ihm keine Vorwürfe.

Sie blickte zu ihm auf, blass durch den Schmerz, jedoch bemüht sich zusammenzunehmen: „Was hast du?“

„Ich habe nur gerade gefunden, dass du wirklich hübsch bist.“

Sarifa lachte auf, ein heiteres Lachen ohne jede Hysterie: „Und das fällt dir gerade ein?“

„Ich habe dich nie zuvor im Halbdunkel einer Höhle gesehen,“ gab er zu, als er bemerkte, dass er sich wirklich beeilen sollte. Der Bach war nun fast zwei Meter breit – und das Wasser floss IN die Höhle. Die Flut hatte eingesetzt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  kiji-chan
2012-04-22T18:13:45+00:00 22.04.2012 20:13
Auf zu den Piraten, oder wie? ^_^
Sehr interessant finde ich, dass Henri Gustav von einer Adelskutsche abgeholt wurde. Wie erklärt man das dem Kutscher? Na hol den einfachen Typen ab? Geld hier, dein Schweigen gekauft?
Ich glaube, Oberbösewicht hat in der Hinsicht recht, man kann alles erkaufen, nicht nur weil Menschen käuflich sind, sondern weil man sonst keine Arbeit findet. o0
Tja mein Lieber Dagobert, dein Reich hat Verbesserungspotenzial. Ich finde immernoch, du solltest deine Klingen als deine Nachfolger ernennen. Legal wäre es doch...?

ncha!
Kiji
Von:  Krylia
2012-04-10T14:27:38+00:00 10.04.2012 16:27
Wenn Sarifa nicht ebenfalls an mit den Händen oben an den Steg gefesselt ist, müsste sie sich doch selbst von dem Tellereisen befreien können, oder nicht? Ist ein Tellereisen nicht so etwas ähnliches wie eine ungezackte, kleine Bärenfalle?

Jedefalls ist die Lage ja ziemlich heikel für die Beiden. Dafür sind sie aber noch ziemlich gut drauf. Ein bisschen Smalltalk...
Von:  Cistus
2012-04-06T13:15:57+00:00 06.04.2012 15:15
Nette Idee. Die beiden einfach dem steigenden Wasser zu überlassen. Mag ja sinnvoll sein um sich nicht selber die Hände schmutzig machen zu müssen, aber gibt den Gefangenen Zeit einen Fluchtweg zu finden. Und das werden die beiden sicher ausnutzen.
Irgendwie bin ich über die Gegebenheiten dieses Ortes etwas überrascht. Vor dem Anwesen ein Garten, der offenbar nicht total verwildert ist, da Michel darauf kommt des es eine Geheimtür gibt um keinen grossen Umweg zu machen um dorthin zu gelangen, aber scheinbar kein Fußvolk welches die alltägliche Arbeit, die auch bei schlechtem Wetter nicht ruht, ausführt.

mfg
Cistus
Von:  00schnepel8
2012-04-05T11:58:06+00:00 05.04.2012 13:58
Das klingt garnicht gut!!
Und ich habe keinen blassen Schimmer wie sie es da raus schaffen sollen.Ich hoffe zwar das sie es schaffen, aber naja...
Der Typ der von Michel verprügelt wurde tut mir irgendwie Leid.
Und die Preislage vom Frühstück finde ich irgendwie unlogisch.Ich meine, auf dem Zimmer frühstücken ist doch eigentlich besser als unten im Schankraum oder??
Emsby ist ein ziemlich unangenemer Geselle, aber das waren Piraten wohl im allgemeinen immer und mit denen hat er ja viel zu tun.Allerdings frage ich mich warum die Beiden so unvorsichtig waren.Und ich hoffe das Sarifa beim nächsten Mal auf ihre Istinkte/Gefühle hört und/oder sie Michel wenigstens miteilt.

Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel, auch swenn es leider noch ein wenig dauert...
Von:  Teilchenzoo
2012-04-05T11:19:44+00:00 05.04.2012 13:19
Na, das sieht übel aus. Kann man sich aus einem Tellereisen befreien? Irgendwie muss man ja sein Opfer da wieder rauskriegen. Sarifa kann froh sein, dass sie es umgelegt bekommen hat und nicht es auslöste, sonst wäre ihr Knochen wohl hinüber. Ich glaube aber trotzdem, dass die Piraten mit dieser "netten Idee" einen Fehler begangen haben. Sarifa kann unter Umständen heraus; und wenn sie das ist, dann auch Michel befreien.
Ich hab mich schon gefragt, wieso die beiden einfach so über den Hof spazieren - ist schließlich im Normalfall nicht empfehlenswert, wenn man unentdeckt bleiben will, auch bei Regen.
Aber das war wohl Pech.
Wenigstens hat sich die Frage nach den Piraten und ihren Geheimnissen ganz schnell gelöst.

Tja, und wie weiter?


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