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Die Klingen des Kaisers

von

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de Bellisario

Michel starrte ein wenig deprimiert in den Nieselregen. Oben auf den Bergen über Piedamonte hatte es bereits geschneit und auch die kaum erkennbare Burg Bellisarios lag schon überzuckert. Der Winter hatte spürbar eingesetzt und er dachte an seine Partnerin, von der er seit fast drei Wochen nichts gehört hatte. Das Mädchen aus dem Süden würde vermutlich ganz schön frieren – obwohl sie mit ihm ja auch schon eine Nach unter freiem Himmel bei Regen ohne Murren geschlafen hatte. Er sollte wirklich aufhören, an sie als gewöhnliches Mädchen zu denken.

Ärgerlicher war, dass er selbst nicht gerade weit gekommen war. Sein Auftrag hatte gelautet, sich Mario de Bellisario auf gesellschaftlicher Ebene zu nähern – ein Ding der Unmöglichkeit. Der schien seine Burg nur einmal in der Woche zu verlassen, dann in Begleitung von einigen Bewaffneten. Immer wieder führte ihn dieser Weg schnurstracks zu der Bank de Pisan, ehe er wieder zurückfuhr. Michel hatte sich zwar höflicherweise dem Bürgermeister vorgestellt und dezent nach anderen anwesenden Adeligen gefragt, aber das waren alles nur Besucher. Bellisario mied jeden Kontakt zu Gästen oder auch Einheimischen von Piedamonte. Alles, was er über diesen zusammengetragen hatte können waren Gerüchte, keine Beweise, und er begann zu begreifen, warum selbst erfahrene Polizisten hier auf Granit gebissen hatten, ja, aufgefallen waren, wenn sie ihren Auftrag um jeden Preis erfüllen wollten.

Hoffentlich war Sarifa weitergekommen und nicht auf Probleme gestoßen. Sie war nie bei den Leuten, die Bellisario begleiteten – hatte sie eine andere Aufgabe oder war sie aufgeflogen? Aber daran durfte er nicht denken.

Er warf sich einen warmen Umhang über. Heute war Markttag wie auch letzte Woche, und da hatte er einige Frauen mit Bellisarios Kutsche in die Stadt kommen sehen, sichtlich Dienstboten, die Einkäufe erledigten. Er musste sich an die halten. Vielleicht konnte er das Eine oder Andere aufschnappen, auch, wenn er mittlerweile nach den frustrierenden Tagen annahm, dass der gute Mario seine Leute perfekt ausgesucht hatte. Wie konnte er selbst nur in diese Burg gelangen? Es wäre zu peinlich, wenn der Graf Uther sagen müsste, dass er das nicht vermocht hätte. Die Lösung zu dem gesamten Problem der Meuchelmörder schien an Bellisario zu hängen.

Er verließ die gastliche Stätte und schlenderte durch die kleine Stadt in Richtung auf den Marktplatz. Wie er bereits vergangene Woche gesehen hatte, boten Bauern der Umgebung noch immer eingelagerte Früchte an, auch Reis, der wohl aus dem zwei Wochen entfernten Gebieten des größten Flusses südlich der Hohen Berge stammte. Aber im eigentlichen Winter würden es wohl Händler sein, die Früchte und Gemüse aus dem weit entfernten Süden heranschafften, Melonen und Zitronen, aber auch Kürbisse und Rüben aus den nördlichen Gebieten. Ein Vorteil des riesigen Kaiserreiches war eindeutig der weite und in aller Regel doch sicherere Handel zwischen den Königreichen und Provinzen. Nur dort, wo in den Bergen oder tiefen Wäldern niemand das Sagen hatte, sammelte sich lichtscheues Gesindel – ob auch die Meuchelmörder sollte er ja herausfinden.

Er betrat einen Laden am Marktplatz. Schon wegen der Gerüche und Abwasser lagen die wichtigen und für Piedamonte berühmten Gerbereien und Sämereien außerhalb der Stadt, aber die besten Ledermacher vertrieben ihre Sättel und Lederwaren möglichst nahe im Zentrum. Da er erst vor zwei Wochen einen kompletten Sattel und Zaumzeug in Auftrag gegeben hatte, nahm der Händler an, er käme, um nachzufragen, wie weit er sei.

Während des Gespräches behielt Michel allerdings den Beginn des Marktes im Auge. Hier gab es eine Wendehaltestelle für Gespanne, hier kamen Kutschen an, und er hoffte, dass auch die Dienerinnen Bellisarios heute wieder für Nachschub für de Küche sorgen wollten.

Als er die Kutsche mit dem Wappen am Schlag erkannte, verabschiedete er sich rasch von dem Händler, nicht, ohne dem ein gewisses Trinkgeld dazulassen. Er hatte schließlich einen Ruf zu verteidigen.

Zu seiner gewissen – unangenehmen - Überraschung war diesmal nicht nur der Kutscher dabei, sondern auch ein Mann im Harnisch, der eilig vom Bock herabsprang und den Schlag öffnete. War das etwa Bellisario persönlich? Nein, das war eine junge Dame, seine junge Frau oder eher Tochter, war sie doch kaum fünfzehn. Nirgendwo in den Unterlagen war vermerkt gewesen, dass Bellisario Familie besaß. Nun gut. Es war ein Fakt, und damit musste man leben.

Ein wenig neugierig trat Michel etwas näher. Die donna de Bellisario schien nicht viel vom Markt zu halten, denn sie wies die drei sichtlich einfacher gekleideten Frauen nur an, die notwendigen Einkäufe zu erledigen, während sie sich umsehen wolle. Der Kutscher fuhr ab und der Bewaffnete folgte der jungen Dame, deren Interesse wohl eher den Putzmacherläden und Schneidern der Wollgasse galt, die sich an einem Kanal fast quer durch Piedamonte zog.

Michel blieb in behutsamen Abstand, denn der Leibwächter der jungen Dame blickte sich immer wieder um, schien allerdings nur die direkte Umgebung zu beobachten. Hm. Wenn Bellisario seine Tochter doch recht gut zu beschützen schien, schließlich waren Wachen beim Einkauf nicht sonderlich üblich, so sollte man sich das doch zu nutze machen können. Bislang war er ja nicht gerade weit gekommen und konnte nur hoffen, dass Sarifa mehr Glück gehabt hatte. Er schlenderte in einen Laden, der Posamente, Spitzen, Rüschen und Bänder feilbot und dessen Besitzer eine so sichtlich interessierten Kunden eilig bediente. Schließlich konnte er donna de Bellisario nicht in einen weiblichen Schneiderladen folgen. Mit gewissem Amüsement dachte er daran, dass das wohl für den Leibwächter kein sehr angenehmer Ausflug werden würde.

Nach einigen Bändern trat er wieder auf die Straße und sah sich um. Direkt daneben lief der Kanal, der wohl auch der Belieferung der Läden hier diente, lagen doch kleine Kähne am gepflasterten Ufer. Jetzt war nichts mehr von der morgendlichen Geschäftigkeit zu spüren und die ersten Schneeflocken blieben auf den leeren Booten liegen. Es wurde bitter kalt und er fragte sich, ob er das unbeteiligte Mädchen wirklich in so eine unangenehme Lage bringen sollte, wie es sein Einfall gewesen war.

Andererseits: ihr würde kaum etwas geschehen und sie war immerhin die Tochter eines Mannes, in dessen Haus Meuchelmörder ein- und ausgingen. Bei diesem Wetter waren kaum Menschen zu sehen, die, die es wohl tun mussten, hasteten mit Kapuzen über dem Kopf zu der Brücke, die über den Kanal in Richtung Marktplatz führte, sicher um dort einzukaufen. Es schien nicht gerade so, als würde die kleine donna zu oft Ausgang in die Stadt erhalten, wenn sie jetzt hier einkaufte. Sein Auftrag lautete, sich mit Bellisario bekannt zu machen – also musste er das Risiko eingehen, dass sich jemand wunderte.

Ah, die junge donna kam mit einem Pakt aus dem Laden, das der Bewaffnete tragen durfte. Unprofessionell und natürlich für ihn selbst erleichternd. Sie wandte sich nach links, gefolgt von ihrem Leibwächter. Michel machte, dass er hinterher kam, schien den Bewaffneten rechts überholen zu wollen – ehe er ihm ein Bein stellte.

Der Leibwächter stolperte, hielt krampfhaft das Paket unter seinen linken Arm geklemmt und versuchte sich abzustützen. Leider an der Dame vor ihm.

Michel half nach, in dem er ihn seitwärts stieß.

Donna de Belllisario und der Bewaffnete stürzten aufschreiend in das kalte Wasser des Kanals – immerhin lag kein Boot dort, wie Michel gesehen hatte, ehe er nun hineilte.

„Oh je, donna...ist Euch etwas geschehen? Kommt, reicht mir die Hand....“ Wenn sie nicht schwimmen konnten, müsste er auch in das Wasser. Schließlich sollte sie ihn mit ihrem Vater bekannt machen und nicht ertrinken. Irgendwie gelang es ihm das Handgelenk des panisch um sich schlagenden Mädchens zu fassen und sie etwas aus dem Wasser zu zerren „Ganz ruhig,“ redete er weiter, sich mit einem Blick vergewissernd, dass der Bewaffnete zwar sein Paket verloren hatte, aber wohl schwimmen konnte: „Ich habe Euch...so, jetzt fasst meine andere Hand...Vorsicht, sonst falle ich auch noch hinein....so, gleich......“ Er zerrte die junge Dame nicht sonderlich sanft über die Steine der Ufermauer, aber das Mädchen war wohl zu erschreckt, um das auch noch zur Kenntnis zu nehmen. Jedenfalls zitterte sie und er konnte ihre Zähne klappern hören. Mit einem echten schlechten Gewissen löste er seinen warmen Umhang und legte ihn um sie: „Oh, je, arme kleine donna.....Wohnt Ihr hier in der Gegend?- Und was ist mit dem Mann dort?“

Sie bedachte ihren Begleiter, der sich soeben bemühte an eine Treppe zu schwimmen, mit einem vernichtenden Blick, ehe sie doch zugab: „Ich bin Florentina de Bellisario...mein....Meinem Vater gehört die Burg dort oben....“

„Oh, dann seid Ihr sicher mit einer Kutsche hier. Kommt, wo ist sie? Ihr solltet rasch in die Wärme.“

„Ich...ja, danke....“ Sie schien sich jetzt erst auf ihre Erziehung zu besinnen: „Vielen Dank, edler don....“ Doch, ein rascher Blick verriet ihr, dass ihr unbekannter Retter von Adel sein musste. „Ich weiß nur nicht, wo die Kutsche parkt....“

„Kommt. Ich bringe Euch erst einmal in meinen Gasthof, das ist nicht sehr weit, und die Wirtin wird sich gewiss um Euch kümmern. Dann schickt nach Eurem Kutscher.“ Er half ihr auf: „Er kann ja nicht weit sein und Euer Wappen wird die Wirtin sicher kennen.“

„Ja, das...das ist sicher gut.....“ Sie zog den Umhang enger um sich. Ihre Schuhe waren ebenfalls durchnässt und sie hatte das Gefühl jeden Moment zu erfrieren. Dieser...oh, sie konnte gar nicht sagen, für was sie ihren angeblichen Leibwächter hielt. Er hatte sie in das Wasser befördert! Und ihr schönes, neues, bestelltes Kleid im Kanal versenkt. Das konnte sie sicher nicht mehr tragen. Wenn dieser fremde Adelige nicht gewesen wäre.....
 

Nur kurz darauf erklärte Michel seiner Wirtin was – offiziell - geschehen war, und übergab die durchnässte junge Dame deren Obhut, während er sich in den Speiseraum im ersten Stock zurückzog. Allein der kurze Weg vom Kanal hierher hatte ihn frieren lassen und er hoffte wirklich, dass die kleine donna nur eine Erkältung bekommen würde. Allerdings war ihm auch klar, dass er manchmal anders handeln musste, als er eigentlich wollte, um seinen Auftrag zu erfüllen.

Jetzt konnte er eigentlich nur hoffen, dass die junge Dame ihrem Vater von ihrer Rettung erzählte und Bellisario Edelmann genug war, sich bei ihm zu bedanken. Das war ihm der bessere Weg erschienen, als sich diesem aufzudrängen. Kam der auf ihn zu, so wäre er selbst womöglich ein wenig unauffälliger.

Stimmen aus dem hinteren Zimmer des Erdgeschosses ließen ihn annehmen, dass die Dienstboten inzwischen ebenfalls hier eingetroffen waren. Ein behutsamer Blick aus dem Fenster bestätigte, dass die Kutsche vor dem Gasthof hielt. Gut. Der Rest lag nun bei Bellisario. Er zog sich in sein eigenes Zimmer zurück und beschloss ein wenig zu schlafen.
 

Zwei Stunden später weckte ihn Klopfen: „Ja? Ach, Frau Wirtin.....“

„Vergebt, don de la Montagne, wenn ich Euch störe. Aber don de Bellisario bittet Euch um die Ehre eines Gespräches.“

„Sagt ihm, ich komme.....in den Speiseraum?“

„Ja, ich werde es im ausrichten.“ Die Wirtin zog sich zurück und Michel legte eilig eine goldene Kette um und ordnete die Rüschen und Bänder an seinem Wams, ehe er rasch sein Haar bürstete. Es war wichtig, einen guten Eindruck zu machen.

Er ging hinüber und neigte höfisch den Kopf: „Mein Name ist Michel de la Montagne. Ich habe die Ehre mit...?“

„Mario de Bellisario.“

Er war ein Mann Mitte der Fünfzig, graue Strähnen in den modisch langen Haaren verrieten es nur zu deutlich, aber er hielt sich noch sehr gerade. Sicher konnte er fechten, dachte Michel unwillkürlich, aber er bemerkte auch eine steifere Haltung des linken Armes – ein Dolch? Sarifa hätte es wohl genauer abschätzen können. Aber er neigte den Kopf erneut: „Bitte, nehmt Platz, edler don. - Ich hoffe, Eurer Tochter geht es gut?“

„Dank Eures umsichtigen Eingreifens, ja. Ich stehe wirklich in Eurer Schuld, edler don. Glaubt mir, der Mann, der diesen Unfall verursacht hat, wird es bedauern.“

Michel überlief ein gewisser Schauder – er war es ja gewesen, auch, wenn sich Bellisario wohl auf den Leibwächter bezog. Aber er lächelte nur: „Ich bin erfreut, der jungen Dame einen Gefallen getan zu haben. Es befand sich ja niemand auf der Straße. Es war nicht der Rede wert.“

„Bleibt Ihr noch einige Zeit in Piedamonte?“

Wusste er die Antwort? Hatte er ihn schon überprüfen lassen? „Leider ist der Sattler noch immer nicht ganz mit meinem Auftrag fertig. Wie lange dieser noch braucht, konnte – oder eher wollte - er mir nicht sagen. Aber da sich in wenigen Tagen hier ein großes Fest ereignen soll, werde ich dies sicher noch abwarten.“

„Ja, das Winterfest von Piedamonte ist berühmt. Es werden einige Gäste erwartet, sagte mir der Bürgermeister bereits. Dann werdet Ihr doch die Zeit finden mich auf meiner Burg zu besuchen? Ein kleines Abendessen, nur ein wenig Erkenntlichkeit für Eure Freundlichkeit gegenüber meiner Tochter. Kein gesellschaftliches Ereignis, eher familiär...“

Das bezog sich auf die notwendige Garderobe, war aber wohl auch ein Hinweis, dass Bellisario keine engere Freundschaft wünschte, auch, wenn er die Höflichkeit zu wahren gedachte. So lächelte Michel etwas: „Natürlich. Ganz wie es Euch beliebt.“

„Dann sagen wir...am folgenden Freitag? Am Tag vor Beginn des Winterfestes, dass Ihr doch sicher genießen wollt?“

„Natürlich.“

„Ich werde Euch meine Kutsche senden...oder habt Ihr...?“

„Nein, ich reiste mit der öffentlichen Post. Vielen Dank, es wäre sehr freundlich von Euch.“

Man verneigte sich höfisch ein wenig gegeneinander, dass verschwand de Bellisario. Erst dann erlaubte sich der Agent ein gewisses Aufatmen. Freitag käme er in die Burg, würde womöglich Sarifa sehen können, wenn schon nicht mehr. Und auf dem Winterfest wollte auch Graf Uther erscheinen, das erste Mal, dass er zu seinem Auftraggeber Kontakt aufnehmen konnte. Hoffentlich würde er etwas herausfinden oder hatte seine Partnerin bereits etwas in Erfahrung bringen können. Immerhin schien sie noch am Leben zu sein, und nicht aufgeflogen, sonst wäre Bellisario kaum so freundlich zu ihm. Oder war das nur eine Falle? Er würde sich vorsehen müssen. Und, um jeden Argwohn zu vermeiden, unbewaffnet hingehen.
 

Tatsächlich ließ ihn de Bellisario von seiner Kutsche abholen. Neben dem Kutscher saß ein Bewaffneter, der Mann, der ihn persönlich abgeholt hatte, stieg zu ihm in den Innenraum. Er hatte sich ihm als Gianno vorgestellt, und Michel vermutete zu Recht in ihm den Anführer der Wachen. Auf seiner linken Brustseite zeichnete sich für geübte Augen eine kleine Ausbuchtung ab – ein zusätzlicher Dolch neben dem, den er offen in einer Scheide am Gürtel trug.

Oben in der Burg sah sich Michel rasch um, seiner Meinung nach keine ungewöhnliche Geste für einen Gast, der ein unbekanntes Schloss betrat.

„Kommt nur, edler don,“ sagte Gianno: „Don de Bellisario und donna Florentina erwarten Euch.“

Also die Tochter. Gab es keine Ehefrau? Immerhin schien das Mädchen das kalte Bad unbeschadet überstanden zu haben. „Ich hoffe, die junge Dame befindet sich wohl...“ Das verlangte nach keiner Antwort, war aber eine höfliche Bemerkung.

Bei dem Gastempfang in der steinernen Vorhalle stellte Mario de Bellisario seine Tochter seinem Gast noch einmal offiziell vor, ehe er sich noch einmal bedankte und dies auch die – nun weitaus schüchternere - junge Dame tat. Dann wurde zum Essen gebeten, in einem kleinen, deutlich modernisierten Raum, der den heutigen Maßstäben entsprach, beheizbar war und auch die Mauern verputzt.

Ein Tisch war für vier Personen gedeckt worden, wie Michel sofort bemerkte. Gab es doch eine donna de Bellisario, eine Ehefrau? Ihm wurde der Platz neben der Tochter des Hauses zugewiesen, üblich höfisch. Drei Lakaien in Uniform in den Farben de Bellisarios standen herum, schoben Stühle zurecht und würden wohl bei Tisch bedienen. Unbewaffnet, wie es schien. Aber dennoch wiegte sich Michel nicht für einen Moment in dem Gefühl der trügerischen Sicherheit. Hier waren Polizisten verschwunden und er verspürte wenig Lust, die Nummer Sechs auf der Liste zu werden. Beim kurzen Gang über den Hof und durch die Burg hatte er seine Partnerin nicht entdecken können – gutes oder schlechtes Zeichen? Er wusste nur zu gut, dass sie, Assassine hin oder her, ihn nicht lange würde decken können, hätte sie erst einmal das Misstrauen des Hausherrn erregt. Es gab da überaus probate Mittel. Leider.

Aber er lächelte höflich, als er mit Florentina de Bellisario einige Artigkeiten austauschte, ehe die Tür sich erneut öffnete und ein Lakai eine junge Dame hereinließ. Im ersten Augenblick dachte Michel an die Hausherrin, ehe er sie erkannte.

Sarifa!

Sie beging nicht den Fehler ihn anzusehen, sondern achtete auf ihren „Arbeitgeber“. Michel erhob sich, wie es üblich beim Eintreten einer Adeligen war. Er durfte nicht wissen, wer oder was sie war.

Mario de Bellisario wandte sich ihr zu: „Ah, meine Teure, schön dass Ihr kommen konntet. So können wir doch unser Mahl beginnen....Ich darf vorstellen: Michel de la Montagne, der Retter meiner Tochter – donna de Cyr.“

Zum ersten Mal wagten es die Partner sich in das Gesicht zu sehen, einander anzulächeln, auch, wenn es nur den kurzen, höflichen Moment dauern durfte.

„Entzückt, Euch kennenlernen zu dürfen, ma donna,“ sagte Michel nur mit einer leichten Neigung des Kopfes, ohne seine Erleichterung zu zeigen. Also lebte sie noch, war nicht aufgeflogen – was jedoch hatte sie in diesen drei Wochen herausbringen können?

Sarifa nickte ihm zu: „Gleichfalls. Ich hörte, dass Ihr donna Florentina aus dem Kanal halft.“ Am Liebsten hätte sie ihn umarmt, aber das wäre natürlich überaus unprofessionell gewesen. Aber nach drei einsamen Wochen, in denen sie jedes Wort, jede Geste auf die Goldwaage legen musste, ohne jedoch zu deutlich zu zögern, war es schön, ein vertrautes Gesicht wiederzusehen. Es gab ein gewisses Gefühl der Sicherheit – war aber auch trügerisch, wie sie wusste.

„Bitte, donna de Cyr, nehmt Platz.“

Auf diesen Satz des Hausherrn hin zog ein Lakai den Stuhl neben ihm zurück und die angebliche donna setzte sich, ehe Mario de Bellisario neben ihr Platz nahm: „Nun, können wir essen....“

Beim Essen führten die Vier höflich Konversation, ehe sich die Damen zurückzogen und die beiden Herren sich in dem Arbeitszimmer des Burgherrn niederließen, um noch Wein zu trinken. Michel erzählte dabei, seiner Rolle getreu, vom Kaiserhof, de Bellisario fragte nach einigen Leuten, die er dort getroffen hatte. Allerdings hoffte der Agent, dass seinem Gastgeber nicht auffiel, dass er nach einem Versteck Ausschau hielt. Irgendwo hier im Arbeitszimmer sollten sich die wichtigen Unterlagen befinden, die Nachweise, dass de Bellisario mit den Meuchelmördern in Verbindung stand. Ob Sarifa schon etwas herausgefunden hatte? Er persönlich tippte ja auf diesen Wandteppich, der so unschuldig direkt hinter dem Burgherrn hing – der Einzige im gesamten Raum. Dahinter ließ sich gut ein Wandfach verbergen. Aber ein Einbruch heute Nacht wäre überaus riskant. Irgendwie müsste er seine Partnerin treffen. Nur, wie? Er kannte sich in der Burg nicht aus, sie dagegen hatte bereits drei Wochen hier verbracht. Nein. Er musste hoffen, dass sie ihn aufsuchte, falls er überhaupt hier übernachten durfte. Es wäre allerdings nicht sehr nett von de Bellisario gewesen, den Retter seiner Tochter in die mittlerweile eisige Nacht hinauszujagen.

Tatsächlich war es bereits fast Mitternacht, als der Burgherr schließlich meinte: „Ich sollte Euch Euer Gästezimmer zeigen lassen. - Gianno!“

„Natürlich. Vielen Dank.“ Gianno – also der Anführer der Wachen. Dieser musste vor der Tür gestanden haben, da er prompt mit einer Kerze hereinkam. Doch, in der Tat. De Bellisario war ein überaus vorsichtiger Mann. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht, don de Bellisario.“

„Euch ebenfalls, don de la Montagne.“ Der Burgherr goss sich noch einen Wein ein.

Wollte er noch länger aufbleiben? Dann würde ein Versuch das Arbeitszimmer zu durchsuchen scheitern. Überaus vorsichtig, in der Tat. Michel folgte jedoch Gianno ein Stockwerk höher.

„Hier ist ein Waschraum und auch ...äh...“ Gianno suchte sichtlich nach höflichen Worten.

Michel winkte daher ab: „Ich verstehe, danke. Und mein Bett?“

„Hier, den Gang entlang. Die vierte Tür.“ Er öffnete sie und trat ein, fast unverzüglich die frische Kerze auf dem Tisch anzündend.

Michel sah sich rasch um. Ein kleines Zimmer, dunkle, altmodische Möbel, ein kleines Fenster, das mit einem dicken Fell verhüllt war. Immerhin gab es hier einen Kamin, auch, wenn kaum geheizt werden würde. Es war kalt und als er die Hand auf das Bettzeug legte, so war es klamm. Aber das war in alten Gemäuern eben so und er war froh, dass er in Paradisa ein deutlich moderneres Haus bewohnte. Nun gut, auch da musste er das Holz bezahlen. „Vielen Dank, Gianno....“ Etwas Trinkgeld wechselte den Besitzer, dann fand sich Michel allein.

Nur, um herumzufahren, als er im matten Kerzenlicht eine Bewegung hinter sich mehr ahnte als sah.

Seine Partnerin lächelte, legte jedoch den Finger auf den Mund, ehe sie zur Tür huschte und lauschte.

„Er ist weg,“ flüsterte sie. Sie trug Männerkleidung, aber nicht ihre Rüstung. Ihren Umhang hatte sie sowieso in Paradisa gelassen, um sich nicht als Assassine zu verraten.

„Gut. Dein Bericht?“

„Die Unterlagen befinden sich im Arbeitszimmer. Don de Bellisario wird bald ins Bett gehen, denn er bleibt nie nach Mitternacht auf, dann kannst du sie dir ansehen. Ich wusste nicht, welche Unterlagen für Graf Uther wichtig sind. Du musst dir das abschreiben.“

„Er steht in Verbindung mit den Meuchelmördern?“

„Ja. Ich soll welche ausbilden. Michel, sie stammen in der Mehrheit aus zwei Dörfern, die im Sumpf liegen, seit zwanzig Jahren. Der Kaiser und der König von Pisan haben damals den großen Fluss dort umgeleitet und so die gesamte Sumpfregion trockengelegt.“

„Ja, das weiß ich. Es war eine Brutstätte für Malaria und so wurde viel neues Ackerland geschaffen.“

„Fast. Bis auf diese beiden Dörfer. Ihre fruchtbaren Felder wurden in Sumpfland verwandelt. Um nicht zu verhungern, benötigten sie andere Einkünfte. Einer von ihnen hatte bereits als Meuchelmörder gearbeitet und kam als reicher Mann zurück. Darum auch die anderen....“

„Autsch.“ Michel dachte rasch nach. Also aus diesem Grund gab es seit zwanzig Jahren so viele Meuchelmörder. Not – und Hunger – konnten einen Menschen weit treiben. Da war wohl ein Fehler bei der gut gemeinten Trockenlegung passiert – Tausenden ging es besser und zwei Dörfer waren übersehen worden. „Wie sieht es hier mit Wachen aus?“

„Keine hier im privaten Wohntrakt. Es sei denn, es ist etwas geändert worden, weil du hier übernachtest, aber ich konnte auf meinem Herweg niemanden feststellen.“

„Gut. Dann gehen wir gemeinsam zum Arbeitszimmer. Du zeigst mir die Unterlagen, ich schreibe das Wichtigste ab und gebe es dir dann.“

„Wäre es nicht sinnvoller, du nimmst es mit hinaus?“

„Du bist unter Tarnung und im Zweifel, falls unser kleiner Einbruch bemerkt wird, werde ich der Verdächtige Nummer Eins sein. Morgen beginnt übrigens das Winterfest. Graf Uther wird dort sein.“

„Ich weiß. Übermorgen werde ich abreisen, das wurde mir nahegelegt.“

De Bellisario schien sich wirklich abzuschotten. „Du kannst mit dem Grafen fahren. Dessen Kutsche wird kaum durchsucht werden.“ Er musste ein wenig lächeln. Nein. Nicht einmal der König von Pisan würde es wagen, die Kutsche eines Sonderbotschafter des Kaisers anzutasten, um wie viel weniger, wenn es sich dabei auch noch um Dagoberts Bruder handelte. „Gut. Gehen wir hinunter. Ich glaube, ich hörte eine Tür.“ Und in diesem Stockwerk würde nur der Hausherr schlafen.

Sarifa nahm die Kerze.
 

***
 

Das nächste Kapitel bietet dann: Einbrüche und sonstige Überraschungen



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Teilchenzoo
2012-07-30T18:47:17+00:00 30.07.2012 20:47
Hui. Jetzt kommt es wieder zu einem kleinen Showdown. Sicher geht es nicht so glatt, wie es sollte ...

Hm. Wollte Bellosario Michels Reaktion testen, als er ihm die donna vorgestellt hat? Das war ja eigentlich unvorsichtig, nicht?

Florentinas Abgang war sicher sehr ärgerlich für sie; für ihren Vater womöglich eine deutliche Warnung, wenn er den Wächter verhört und ihm Glauben geschenkt hat. Es fällt schließlich auf, wenn man in den Kanal geschubst wird. Das ist also ein Risiko.

Tjaaa ... also geht wieder was schief, wenn ich den Titel richtig deute.
Von:  Krylia
2012-07-18T14:49:57+00:00 18.07.2012 16:49
Haaaah, so ei Agentenleben wäre nichts für mich. Viel zu nervenaufreibend! Aber zum Glück bin ich nur ein Leser, und das sehr gern. :)

Ich hoffe ja für die beiden, dass der Einbruch reibungslos verläuft, aber das "und andere Überraschungen" im Titel des nächsten Kaps lässt mich irgendwie daran zweifeln.... :(
Wie gesagt, in der Praxis viel zu nervenaufreibend!


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