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Die Klingen des Kaisers

von

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Trauer

Raoul schrak zusammen, als er erkannte, wer neben ihm stand: „Ihr...Ich meine, Prinzessin ….Habt Ihr....?“ Da sie einfach nickte, stiegen ihm die Tränen in die Augen. Sie wusste, dass Raoul Uthers engster Vertrauter gewesen war, ein Freund und Wegbegleiter über Jahrzehnte. Er fragte nur: „Hat er...sehr leiden müssen?“

„Ja,“ gab sie ehrlich zu: „Aber er starb in Michels Armen.“

Raoul holte tief Atem. „Wenigstens das,“ flüsterte er, ehe jahrelange Pflichterfüllung ihn fragen ließ: „Was kann ich für Euch tun?“

„Ich muss mit dem Kaiser sprechen, ihm berichten, denn, nur wenn er alles weiß, kann er auch entscheiden. Nur, so gekleidet...?“ Sie deutete auf ihre Assassinengarderobe. Er würde ihr doch bestimmt Hofkleidung verschaffen können, wenn sie an den Fundus an Verkleidungen dachte.

„Ich werde ihn herholen,“ sagte Raoul. Und da er ihre Überraschung bemerkte: „Glaubt mir, er kommt.“ Er ging.

Sarifa holte tief Atem, ehe sie sich ein wenig müde an die Wand lehnte. Sie war jetzt tagelang unterwegs gewesen, sicher, dank des kaiserlichen Kurierpasses alle Stunde mit frischen Pferden versorgt gewesen, aber sie war weder stundenlanges Sitzen im Sattel gewohnt noch dieses Tempo. Überdies hatte sie auch bei Nacht kaum geschlafen, durchaus auch in der sicheren Annahme, dass der Schlaf sie fliehen würde. Sie hatte versagt, ihren Auftraggeber nicht geschützt. Und ohne Michel hätten sie ihn nicht einmal gefunden.
 

Sie zuckte erst zusammen, als sie erkannte, wer hereinkam, und deutete eilig einen Hofknicks an.

Dagobert winkte ab: „Setzt Euch. Raoul sagte, Ihr habt Uther....gefunden.“

„Ja,“ Sie wartete, bis er Platz genommen hatte, ehe sie antrainiert nüchtern Bericht erstattete. Als sie erzählte, wie Michel Uther in diesem alten Kerker gefunden hatte, presste der Kaiser seine Zähne so fest aufeinander, dass die Wangenmuskeln hervortraten. Aber er schwieg, bis sie von ihrer Trennung berichtete und dass eine Kutsche mit Michel – und Uther – unterwegs sei.

„Verdurstet!“ sagte er ingrimmig: „Wenn ich je den Mann finde, der diesen Befehl gab....“ Dann jedoch nahm er sich zusammen. Er war acht gewesen als er das erste Mal in einem Heer mitgekämpft hatte, eine Rede an seine Männer gehalten hatte, vierzehn, als er das dritte Mal eine Schlacht gewonnen hatte. Lebenslang hatte er die Trennung zwischen persönlichen Gefühlen und Notwendigkeiten gekannt und so überlegte er auch jetzt erst einmal sachlich die Lage. „Michel dachte wie gewohnt mit. Sehr gut. Es wird besser sein, wenn niemand davon erfährt, dass Uther gefunden wurde, dass ich, wir wissen, dass auch alle Zeugen beseitigt wurden. - Übrigens, gestern Abend wurde Chilperich ermordet aufgefunden.“

„Chilperich?“ Sarifa entsann sich des bürgerlichen Mannes, Markwards Kämmerer und ständiger Begleiter. „Zufall...?“

„Mir wäre wohler, wenn ich das wüsste. - Nun gut, Sarifa. Geht nach Hause und ruht Euch ein wenig aus, ehe Ihr Euren Dienst bei der Kaiserin wieder aufnehmt. Wir werden eine Trauerfeier für Uther offiziell mit einem leeren Sarg abhalten, aber er soll seinen Platz neben unserem Vater einnehmen, wie es ihm gebührt. Ich werde Michel zu Eurer Wohnung senden, dort dürfte er sicher sein. Raoul wird ihm dann weiter Bescheid geben, wenn ich.....wenn ich mir etwas überlegt habe.“ Und er sich etwas beruhigt hatte.
 

Als Michel zu Sarifa kam, war diese bereits gewaschen und hofgerecht umgezogen und bot ihm das Gleiche an. „Unten im Hof befindet sich eine Wasserpumpe. Und ich könnte dir...“

„Nein. Kleidung von dir passt mir bestimmt nicht. Raoul bringt nachher auch sicher etwas mit.“ Er zog sich Wams und Hemd aus: „Wie sieht der Rücken aus?“

„Nicht gut. Mindestens drei Verletzungen sind wieder aufgebrochen. Ich würde sie gern nachher mit Salzwasser auswaschen, so, wie es mir don Falis empfahl. Ich habe noch genug Salz hier.“ Sie bekam fast Angst um diesen Mann, dessen Anspannung sich doch endlich einmal lösen musste. Da war die Sache mit Pavero gewesen und jetzt das....wie viel wollte er noch allein ertragen? Er stand unter solchem Druck und unterdrückte diesen mit ebensolcher Gewalt. Was sollte, konnte, ja, durfte sie tun? Sicher, er war ihr Partner, aber auch ihr Ausbilder. Sollte er nicht besser wissen als sie, wie man mit seelischen Verletzungen umging?

Als er nach unten ging und sie das Salzwasser zubereitete, dachte sie nach. Sie hatte immer zu ihrer Mutter flüchten können, auch ihre Brüder. Die Familie half da sehr. Nur, wenn man gar keine hatte? Sollte sie gemein zu ihm werden, damit er sie anschreien konnte?

Als er zurückkehrte, hatte sie noch immer keine Lösung gefunden.

Michel legte sich wortlos auf ihr Bett in dem er schon einige Nächte verbracht hatte, nach ihrer Rückkehr aus Pavero. Sie hatte dagegen auf den Matten in ihrem so genannten Wohnzimmer genächtigt. Ihr Bett war zu schmal für zwei nebeneinanderliegende Leute – wenn sie nicht überaus eng schliefen.

Sie wusch die aufgerissenen Wunden: „Hat dich eigentlich noch nie jemand gefragt, wo du die ganzen Narben her hast?“

„Ja,“ knurrte er unwillig in das Kissen: „Ich sage dann immer: von diesem Nordlandfeldzug. - Diese hier sind jetzt allerdings wohl etwas schwerer zu erklären. - Entschuldige. Ich bin undankbar.“

„Das ist Unsinn und das weißt du auch. Michel, du bist in so einer nervenzerreissenden Anspannung......“ Kurz entschlossen stellte sie die Schüssel neben dem Bett ab und streckte sich auf ihrem Bett neben ihm aus. „Und so kann dich der Kaiser nicht brauchen, aber ich auch nicht. Das weißt du auch. Komm her. Nun komm schon, so hast du erst vor zwei Wochen in deinen Fiebernächten auch gelegen.“

Er zögerte, dann ließ er sich doch an sie ziehen und bettete seinen Kopf zwischen ihren Brüsten, ließ sich einfach festhalten.

„Ich weiß nicht, wie es im Norden ist“, gab sie zu: „Aber bei uns ist es keine Schande um jemanden zu trauern. Und du kanntest Graf Uther doch schon sehr lange, praktisch dein ganzes Leben lang....Er war immer nett zu dir...“

Da spürte sie, wie er endlich, endlich zu weinen begann, zunächst ungeübt, dann freier. Sie hielt ihn umarmt und starrte an die Decke, selbst Tränen in den Augen.

Irgendwann brachte er hervor: „Er....er sagte zu mir „mein Sohn“...“

Sarifa atmete durch, als sie das gesamte Ausmaß seines Schmerzes begriff. Der einsame, fünfjährige, elternlose Junge und der Schulleiter, der den ihm vermutlich komplett Unbekannten freundlich mit „mein Junge“ oder „mein Sohn“ begrüßt hatte, um dessen Vertrauen zu gewinnen – und der mit dieser Anrede lebenslange, bedingungslose Loyalität erhalten hatte. Aus dieser ersten Begegnung vor fast fünfundzwanzig Jahren hatte sich auch das besondere Verhältnis der Beiden zueinander entwickelt, das so abrupt und grausam geendet hatte....
 

Als Raoul in der hereingebrochenen Nacht fast zwei Stunden später klopfte, fand er bei beiden Agenten wieder ruhig und gelassen vor. Sarifa hatte sich freilich erneut umgezogen, um keine Spuren zu zeigen. Er brachte Hofkleidung für Michel, aber auch einen dunklen Umhang mit Kapuze für diesen.

„Seine Hoheit lässt Euch ausrichten, dass der...der Sarg vorgeblich leer ist, aber in der Tat die...sterblichen Überreste des Grafen enthält. Er wird in dem schwarzen Kabinett aufgebahrt. Nach der zweiten Nachtwache wärt Ihr dort allein, don Michel, falls Ihr hingehen wollt. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der üblichen Vorsicht.“

Ja, das war auch Michel klar. An der eigentlichen Beerdigung würde er nur irgendwo im Hintergrund herumstehen können, wenn überhaupt. Es war freundlich von Dagobert, das so arrangiert zu haben. Überdies sollte er Markward und Chilperich aus dem Weg gehen. Als er letzteres erwähnte, sah ihn Sarifa an:

„Oh, das habe ich ganz vergessen dir zu erzählen: Chilperich wurde gestern Abend ermordet aufgefunden. Der Kaiser wollte dazu noch etwas befehlen....“

„Chilperich? Zufall? Das wäre allerdings ein ganz großer.“ Michel nahm die Kleidung: „Nun, ich gehe mich rasch umziehen. Aber, mein Engel, es wäre nett, wenn du mich dann bis zum Palast sicherst. Hier laufen mir einige Personen zu viel mit Dolchen herum.“ Da sie wortlos nickte: „Gut. Dann werfe ich mich mal in....die Rolle. Wenn ich im Palast bin, kannst du ja wieder her.“

„Weniger. Ich soll morgen meinen Dienst bei Anawiga wieder antreten und kann ebenso gut auch in meinem Zimmer dort übernachten.“

„Noch besser. Wenigstens ein Mitglied der kaiserlichen Familie, an das dann keiner herankommt.“
 

Michel betrat fast lautlos das gewöhnlich unbenutzte schwarze Kabinett. Es hatte seinen Namen von den beiden Säulen aus schwarzem Granit, die die Decke trugen. Jetzt allerdings waren in der üblichen Leere Kerzenleuchter aufgestellt, die einen hellen Ahornsarg zeigten, über den quer ein schwarzes, besticktes Tuchband gelegt worden war. Er trat fast vorsichtig näher. Was sollte er sagen? Es tut mir Leid, dass ich nicht schneller gedacht habe? Sie waren doch nur durch Raten und diesen Wilderer auf die Spur gekommen. Und immerhin hatte er nicht allein in diesem dunklen Loch sterben müssen sondern unter freiem Himmel, in seinen Armen....

„Das ist der Preis der Macht.“

Michel fuhr herum. Er hatte den Kaiser nicht im Dunkel an der Wand sitzen sehen und verneigte sich eilig.

Dagobert stand auf und kam näher. „So viele streben nach Macht – und haben keine Ahnung, welchen Preis man bezahlen muss. Vielleicht nicht einmal man selbst, aber die, die einem lieb sind. Und hier der Liebste von allen. Nein, kein Vorwurf an Euch und Eure Partnerin. Ohne Euch wäre er nicht einmal hier.“ Er blieb neben Michel stehen und betrachtete den Sarg. „Wieder ein Geist, der mich nachts besucht, mich fragt, ob ich das, was ich ihm versprach, auch gehalten habe. Die Liste wird immer länger.“ Seine Alpträume ließen ihn nur mehr bei Anawiga Ruhe finden. Verantwortung wog schwer. „Sag mir, Michel – ist das Macht wert?“

Michel bemerkte, dass der Kaiser ihn ungewohnt duzte, aber ihm war auch klar, dass der mehr mit sich selbst redete. So meinte er nur: „Ich weiß es nicht....“

Dagobert betrachtete noch immer den Sarg: „Nicht?“

„Wenn Euer Hoheit mir ein offenes Wort gestatten....ich fürchte, auch er würde es bejahen. Lieber Ihr als Kaiser, der sich Gedanken macht, Sorgen, als...“ Nein, das sollte er nicht aussprechen. Der Kaiser würde ihn auch so verstehen.

Dieser nickte nur etwas: „Wärt Ihr auch bereit, den neuen Geheimdienstleiter zu unterstützen?“

„Ja.“ Aber Michel blickte fragend zur Seite. Raoul? Lothar? Zusätzlich zu dessen Aufgaben als Leiter der Polizei?

Dagobert hob etwas die Hand. „Ich bin mir noch nicht sicher. Ich möchte nicht so reagieren, wie es die Gegenseite plante. - Ich gehe. Aber seid Euch bewusst, dass Ihr einer der wichtigsten Männer im Reich seid. Und ich Euch vertraue.“

„Danke, Hoheit.“ So offen war Dagobert selten bis nie zu ihm gewesen.....Aber dann blickte Michel auf den Sarg und nahm persönlichen Abschied.
 

Sarifa schrieb einen langen Brief nach Hause, in dem sie offen gestand, dass sie versagt hatte, ihr Auftraggeber ermordet worden sei. Freilich war da die Sache mit Anawiga, auf die sie hauptsächlich aufpassen sollte, aber letzten Endes war das keine Entschuldigung. Und ein Versagen bedeutete Strafe – so lautete die Regel, schon in der Ausbildung der Jüngsten, aber auch die Erwachsenen unterwarfen sich dieser eisernen Disziplin. Und so rechnete sie damit abgezogen zu werden, nach Hause zurückkehren zu sollen – mindestens.
 

Dankward las die Brieftaubennachricht über den Unfalltod seines Onkels betroffen. Sein Vater hatte ihm persönlich in den möglichen Zeilen mitgeteilt, dass Uther gestorben war. Der junge Bischof von Tailina spürte, wie Tränen in seine Augen stiegen. Das war einfach ungerecht. Onkel Uther hatte sein ganzes Leben lang nichts getan, als seinen Bruder zu unterstützen. Vater musste sich jetzt so einsam und verlassen vorkommen.....Er musste ihm schreiben. Unbedingt. Oder besser noch, wenn schon nicht zu der Trauerfeier, so doch anreisen, um ihm persönlich das Beileid auszusprechen. Vater und Onkel hatten ihm selbst so viel Verständnis entgegengebracht, ihm so geholfen, wie er es nie erwartet hatte.

Er griff nach der Klingel auf seinem Schreibtisch „Ich möchte don Rodrigo sprechen.“

Rodrigo war, da Dankward nur den Titel eines Bischofs trug, jedoch kein Mann der Kirche war, das religiöse Oberhaupt Tailinas. Er war zunächst ein wenig, nun ja, dachte Dankward, verschnupft gewesen, dass ihm ein so junger Mann, noch dazu der Sohn des Kaisers vor die Nase gesetzt worden war, aber inzwischen wusste der, dass er selbst Rodrigos Kirchenkarriere fördern würde und sich selbst nur um die Verwaltung und natürlich die Seeschule kümmerte. So kamen sie nach einigen angestrengten Wochen doch gut miteinander aus, oder, wie Rodrigo es genannt hatte: zwei Pferde im gleichen Gespann.

Der Priester kam und sah sofort, dass der junge Bischof erschüttert war: „Schlechte Neuigkeiten?“

„Onkel Uther hatte einen tödlichen Unfall. Ich würde gern nach Paradisa reisen, um meinem Vater mein Beileid persönlich auszusprechen. Ein Brief könnte kaum ausdrücken, was ich fühle.“

„Ich verstehe. Ihr seid wohl auch sehr an Eurem Onkel gehangen?“

„Ich habe erst sehr spät erkannt, dass er immer da war. Für Vater, für mich, für alle. Er war so ruhig, aber immer da.“ Dankward stand auf: „Ich denke, ich bin in zwei Wochen zurück. Übernehmt Ihr?“

„Natürlich. Danke für Euer Vertrauen.“ Das war ernst gemeint. Rodrigo war Ende Dreißig, ein Mann aus einfachsten Verhältnissen. Ohne die Kirche wäre er weder zu einer Schulbildung gekommen, noch hätte er gar studieren können – und er hatte durchaus eine gewissen Verachtung des neuen Bischofs höchster Herkunft befürchtet, zumal der kaum über Lebenserfahrung verfügte. Inzwischen wusste er jedoch, dass Dankward zwar sehr wohl darauf pochte Regent Tailinas zu sein, sich jedoch nicht in kirchliche Angelegenheiten mischte und ihn da gewähren ließ. Mehr als das. Der Junge versuchte wirkliche Zusammenarbeit, auch mit diesem Offizier, der aus Navarone gekommen war, um die zu gründende Seeschule aufzubauen. Und jetzt bestellte ihn der Kaisersohn einfach so für zwei Wochen zu seinem Stellvertreter – ein Vertrauensbeweis, ja, ein Lob, obwohl Dankward inzwischen wusste, dass seine Eltern arme Kleinbauern am östlichen Rand des Reiches gewesen waren. Rodrigo verneigte sich etwas, überzeugt, dass er dieses Vertrauen seines Vorgesetzten rechtfertigen würde.
 

Konstantin las die kurze Nachricht mit einem seltsamen Gefühl, ehe er aufblickte, da der Anführer seiner Geharnischten hereinkam: „Neuigkeiten?“

„Zwei Männer wurden im Norden der Stadt tot aufgefunden. Aufgrund ihrer Bewaffnung, ihrer Bekleidung und nicht zuletzt des Goldmünzenbetrages bei ihnen vermuten wir Meuchelmörder. Sie wurden jedenfalls nicht ausgeraubt, Todesursache ist unbekannt. Das Gold wurde beschlagnahmt.“

„Gut. Das Andere teile der kaiserlichen Polizei mit.“ Es gab immerhin einen Wandteppich, den er ersetzen musste. Er stand auf. „Ich reise nach Paradisa, nur mit einem kleinen Gefolge, um dem Kaiser persönlich mein Beileid auszusprechen.“ Und womöglich neue Kontakte zu knüpfen, die alten jedenfalls aufzufrischen. Immerhin war er nun einmal ein Mitglied der kaiserlichen Familie.
 

Markward ging wieder einmal zum Fenster und starrte hinaus. Hatte er zunächst sich fast über Onkel Uthers Tod gefreut, immerhin war ein weiterer Kandidat als Vaters Nachfolger ausgeschieden, so wusste er nun nur zu gut, dass sein Vater trauerte – aber nicht weich wurde. Im Gegenteil. Mittlerweile hatte er durchaus den Verdacht bekommen, dass Onkelchen da Vater eher noch gebremst hatte. Er musste nur einen Blick auf die Papiere auf dem Tisch dort werfen. Der Kanzler hatte ihm lauter alte Hochverratsfälle als Lektüre präsentiert. Markward war klar, dass er sie, langweilig oder nicht, lesen musste. Im Zweifel würde sein Vater ihn abfragen.

Und er steckte hier allein. Der arme Chilperich! In den Straßen der Hauptstadt überfallen und erdolcht. Und ihm fehlte jetzt der Berater. Was sollte er nur tun? Sein neuer Kämmerer, den er sicher zugeteilt bekommen würde, würde kaum so viel mitmachen, ihn so gut beraten können.

Ach, musste denn alles schief gehen?

An seinem ganzen Pech war nur dieser dumme de la Montagne schuld. Wäre der nicht nach Pavero gereist und hätte ihn in die Versuchung gebracht dem so richtig schön eine reinzuwürgen, wäre er sicher noch der Minenleiter von Gruvenant – und damit würde bestimmt auch Chilperich noch leben. So gesehen war Michel de la Montagne Schuld an Chilperichs Tod. Und dafür würde der noch bezahlen, wenn er je Kaiser wäre.
 

Dagobert hatte dagegen eine Besprechung mit seinen engsten Mitarbeitern, die er seit Jahren, Jahrzehnten, kannte: Kanzler Godomar, Graf Lothar, der Leiter der Polizei, und Stallmeister Charibert, der Befehlshaber der Reiterei und damit des wichtigsten und größten Teiles des Heeres. Sie alle trauerten um Uther, aber auch ihnen war klar, dass nun der Geheimdienst führerlos war.

Der Kaiser sah in die Runde: „Ich denke, es ist Euch allen bewusst, dass der Platz des Geheimdienstleiters neu besetzt werden muss. Dabei geht es nicht nur um laufende Aktionen, sondern auch und vor allem um das Spionagenetz an sich. Spione und Beobachter müssen bezahlt werden, soll nach außen hin niemand bemerken, dass der Platz an der Spitze unbesetzt ist. Es waren stets nur sehr wenige Vertraute, die Uther in dieser Position kannten, arbeiteten sie auch innerhalb des Geheimdienstes, so dass kaum etwas durchsickern dürfte. Es steht jedoch zu befürchten, dass ein ominöser Gegenspieler durchaus wusste, was Uther tat. Dennoch sollte man ihn nicht bestätigen. Das Geschäft muss weiterhin geführt werden, Unterschriften für Auszahlungen geleistet werden.“

„Da habt Ihr recht. Geschäft wie normal, bis sich der neue Leiter eingearbeitet hat.“ Der Kanzler legte die Hand an seine Amtskette: „Ich hoffe nur, Ihr denkt nicht an mich.“

„Nein. Ihr alle hier im Kreis seid auf Euren Positionen sehr fähig, wie sich in all den Jahren herausgestellt hat, und keiner von Euch hätte die Zeit rein bürokratische Dinge noch zusätzlich zu erledigen.“ Dagobert lehnte sich zurück und verschränkte die Hände in einer Art, die seine alten Mitstreiter aus Jahrzehnten zu deuten wussten. Er hatte seine Entscheidung getroffen, rechnete mit Widerstand – aber er würde sich ihm nicht beugen. „Ich dachte an die Kaiserin.“

Schweigen, ehe Godomar einwandte: „Ich möchte um Himmels Willen nicht den Verstand der Kaiserin anzweifeln – aber sie ist eine Prinzessin aus dem Ausland....“

„Ihr vergesst, dass sie guter Hoffnung ist,“ meinte dagegen Lothar: „Eine Mutter wird immer die Interessen ihres Kindes vertreten. Und dazu gehört auch, dass, wenn sie ihre schwere Stunde hat, auch der Kaiser noch ihr Ehemann und der Kaiser ist.“

Dagobert nickte ein wenig: „Daran dachte ich auch, abgesehen davon, dass sie mir ihre persönliche Loyalität versprach.“

„Aber,“ ergänzte Charibert: „Mit Verlaub, sie ist eine Frau, weich, behindert durch Skrupel. Wie sollte sie die durchaus manchmal notwendigen Mordbefehle geben?“

„Aus diesem Grund wollte ich ihr für äußere Operationen Prinzessin Sarifa an die Seite stellen. Ihr erinnert Euch doch an sie?“

Der Stallmeister nickte: „Selbstverständlich, Hoheit. Graf Uther bat mich sie vorzustellen. Ein Mädchen aus dem Süden.....“

Dagobert lächelte ein wenig: „Dann hat mein Bruder nicht einmal Euch das gesagt. Offiziell ist sie die Kämmerin, in Wahrheit die Leibwächterin der Kaiserin. Sie ist eine Assassine. - Noch immer überzeugt, dass Frauen zu weich sind?“

Assassine.

Godomar und Lothar sahen sich an. Also existierte dieses geheimnisumwitterte Volk noch, Dagobert und Uther hatten davon gewusst, aber geschwiegen. Was nur bedeutete, dass sie für den Kaiser arbeiteten. Das erklärte, warum es im Süden derart ruhig war, aber auch, warum durchaus Missionen, die Uther beaufsichtigt hatte, sehr erfolgreich verlaufen waren, ohne dass man wusste durch wen.

Charibert wurde ein wenig blass. Dieses hübsche, junge Mädchen, dessen Hand in der seinen vor Aufregung gezittert hatte, als er sie in den Kaisersaal zur Vorstellung führte? Ja, wenn er jetzt so nachdachte – ihre Finger waren rau gewesen wie die eines Mannes, der regelmäßig mit Waffen umgeht. Du liebe Güte. Aber er meinte nur: „Ich verstehe. Ihr wollt die Last des Geheimdienstes auf diese beiden Frauen aufteilen. Dennoch, wer soll den Kontakt zu den Leuten halten?“

„Raoul, wie bislang auch. Und noch jemand, der bis jetzt Operationen draußen durchführte, aber unbekannt bleiben sollte. Die beiden Männer bringen die Erfahrung, die beiden Frauen die Kenntnisse in Politik, Geografie und Verwaltung. Intelligente Menschen wachsen nicht auf Bäumen, meine Herren. Und ich halte die beiden jungen Damen für ausgesprochen fähig.“

Sein Kanzler zuckte ergeben die Schultern: „Wie Ihr wünscht. Ihr habt Eure Fähigkeit für überraschende Entscheidungen behalten.“

„Auf dem Schlachtfeld ist so etwas für den Gegner fatal,“ murmelte Charibert unwillkürlich: „Und Euer Hoheit vermutet wohl diesmal das auch, wenn auch im Intrigenspiel.“

„Darauf hoffe ich.“ Denn Dagobert wollte nicht noch ein Familienmitglied verlieren.
 

**
 

Die Idee mit den Geistern am Bett stammt aus Richard dem Dritten von Shakespeare.

Das nächste Kapitel bringt: Konsequenzen – und die Stellungsnahme des Bösewichts.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Krylia
2012-12-19T16:05:23+00:00 19.12.2012 17:05
Ich bin froh, dass Michel etwas von seinem seelischen Balast loswerden konnte.
Das neue Team ist wirklich großartig. Ich war auch völlig erstaunt, als er die Kaiserin nominierte. Alles andere war dann aber nicht weiter verwunderlich.

Und, falls ich nicht mehr dazu komme: Frohe Weihnachten! ^^
Von:  Teilchenzoo
2012-12-19T14:19:37+00:00 19.12.2012 15:19
Hm, neue Entwicklungen, die ich nicht geahnt habe. Ja, es ist besser, viele Leute in der Hand zu haben für den Geheimdienst, so muss nicht einer allein alles schultern. Und die Wahl ist nicht schlecht. Trotzdem werde ich den alten Hasen vermissen ;___;.
Auf die Reaktion von daheim bin ich gespannt. Sollte Sarifa abberufen werden, widerspricht das ja ganz klar ihren anderen Befehlen. Sollte aber ein anderer Befehl von daheim eintreffen ... nun, ich bin gespannt.

Armer Michel. Er hat wirklich sehr viel durchgemacht, gut, dass er Sarifa hat. In 90 % der Geschichten wären die beiden jetzt im Bett gelandet, nur nicht so harmlos wie bei dir ... wie gut, dass das bei dir nicht so war. Das wäre unrealistisch gewesen. Tausend dank also von meiner Seite, dass du den Bogen nicht wie die meisten überspitzt hast.

Lg
Von:  fiZi
2012-12-18T22:16:13+00:00 18.12.2012 23:16
Schönes Kapitel, mir gefällt die Entwicklung deiner Figuren, die neuen Positionen und Möglichkeiten besonders für die Frauen, die sie durch Uthers Tod erhalten (auch wenn es mir natürlich lieber gewesen wäre, Uther hätte überlebt). Ich schätze mal, dass man auf Sarifas Brief anders reagiert als sie erwartet und dass sie nicht gehen muss, möglicherweise sogar Verstärkung eintrifft.
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel und wünsche an dieser Stelle schon mal Frohe Weihnachten ;-)


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