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Schule und andere Katastrophen

von

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Dienstag, 9.September, 7:44 Uhr
 

Der Tag hatte nicht gut angefangen. Die Woche auch nicht. Und das Jahr war bis jetzt auch nicht gerade genial gewesen.
 

Im Grunde genommen konnte er sich nicht wirklich daran erinnern, wann es das letzte Mal so richtig gut gelaufen war.
 

Wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt, bevor sein Vater wieder geheiratet hatte. Aber selbst daran besaß er mittlerweile nur noch eher verschwommene Erinnerungen. Aber wozu hätte er auch in der Vergangenheit schwelgen sollen, wenn das doch sowieso nichts verbesserte. Er hatte sich seinem Schicksal ergeben. Schon lange. Dies hier war nur der letzte Schritt.
 

Der Wind wehte eine Plastiktüte vor die Füße des Jungen, der den gepflasterten Weg ohne große Eile entlangging. Diesmal von Aldi. Schon insgesamt fünf andere Tüten hatten seinen Weg bis jetzt geziert (zweimal Norma, einmal MediaMarkt, einmal H&M und dann nochmal von irgendeinem Bäcker). Das war kein gutes Zeichen.
 

Unglaublich, das Schuljahr fängt gerade erst an und das Schulgelände ist schon eine halbe Müllhalde, ich will mir gar nicht vorstellen, wie es am Ende des Jahres hier aussieht.
 

Seufzend hob Neji nun auch die Alditüte auf, um sie im Inneren des Gebäudes, das sich im schicken Bunker-Design vor ihm auftürmte, gleich entsorgen zu können. Wenn er schon nicht mehr das Recht auf eine schöne Bildungsanstalt in Anspruch nehmen konnte, so plante er doch, auf einen zumindest erträglichen Schulweg zu bestehen.
 

Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Der Weg vom Internat bis zum öffentlichen Eingang der Schule war nicht lang und im Grunde ganz hübsch gestaltet. Zu seinen beiden Seiten wuchsen Büsche und Bäume, die sich leicht im Wind des ausklingenden Sommers wiegten, auch ein paar Bänke und einige offenbar im Kunstunterricht entstandene Steinskulpturen bereicherten das Bild. Als störend empfand er – neben dem Müll, versteht sich – letztendlich nur die Menschen, die hier überall waren. Ein Grüppchen Unterstüfler vor ihm versuchte gerade offenbar lautstark, einem wilden Kaninchen hinterherzujagen (Idioten!), ein paar Achtklässler machten vor dem sich ihm nun nährenden Eingangsportal lachend unanständige Witze (Lächerlich!) und er konnte ein paar Eltern ausmachen, die stolz ihre Söhne und Töchter zu ihrem ersten Tag am Gymnasium begleiteten. Auch dies fand er im Grunde verachtenswert, aber etwas in seinem Kopf weigerte sich, diese glücklichen Familien zu beleidigen. Letztendlich, lieber Neji, bist du nur neidisch.
 

Er bereute es nicht, in diese fremde Kleinstadt und in dieses Internat gezogen zu sein, ganz und gar nicht. Er war zwar nicht gerade glücklich darüber, aber das einzige, was er wirklich bereute war, sein Zuhause nicht schon früher verlassen zu haben. Und es war ja nicht alles schlecht an diesem Arrangement. Sein Zimmergenosse Jugo schien wirklich nett zu sein, auch wenn er sich selten blicken ließ und die Gemeinschaftsräume des Internats waren gemütlich und groß genug, um Neji unter Wahrung einer angenehmen Privatsphäre lesen oder lernen zu lassen. Auf mehr hatte er gar nicht erst gehofft, zumindest was seine Unterkunft betraf.

Wie es mit der Schule selbst aussah, das würde er erst jetzt herausfinden. Wie fast alle Internatskinder war er eine Woche vor Beginn des Jahres angekommen und hatte Gelegenheit gehabt, von seinen Mitbewohnern etwas über den Unterricht in Erfahrung zu bringen. Das Niveau war besser als gedacht, er hatte Jugo einer Generalabfrage unterzogen und festgestellt, dass in seiner ehemaligen Klasse auch Leute auf diesem Niveau gewesen waren. Das ließ hoffen. Außerdem war die Bibliothek seines neuen Zuhauses erfreulich gut ausgestattet, er hatte gleich an seinem ersten Tag hier einen Sammelband von Emile Zola in Originalsprache ergattern können. (Offenbar hatte den zwar noch nie jemand vor ihm angefasst, aber schon die Bloße Existenz dieses Stückes Weltliteratur in der Internatsbibliothek ließ Nejis Achtung vor seinen Mitschülern steigen. So viel Oberflächlichkeit muss sein.)
 

Von fern konnte er Jugo erspähen. Sein Zimmergenosse hatte das Haus heute schon vor ihm verlassen und Neji hatte die Theorie aufgestellt, dass er wohl noch jemanden vor dem Unterricht hatte treffen wollen. Diese Vermutung schien sich zu bestätigen, denn tatsächlich sah er den breitschultrigen Jungen mit zwei anderen Schülern zusammenstehen.
 

Allerdings hatte er nicht viel Gelegenheit, sich zu seiner Menschenkenntnis zu beglückwünschen, denn der Aufzug seines Zimmergenossen ließ ihn stocken. Zwar trug er wie in der letzten Woche auch eine ausgebeulte Jogginghose, doch irgendetwas hatte er mit seinen roten Haaren gemacht, was sie nun in alle Richtungen von seinem Kopf abstehen ließ. Außerdem trug er ein Bandshirt, das Neji noch nie zuvor an ihm gesehen hatte und zu allem Überfluss sah es aus der Distanz beinahe so aus als hätte er… Eyeliner verwendet? Neji traute seinen Augen nicht. Er selbst hatte nicht von seiner Lektüre aufgesehen, als Jugo sich verabschiedet hatte, aber mit so einer radikalen Verwandlung hatte er ja auch nicht rechnen können.
 

Er sah genauer hin. Vielleicht tat dieser sonst so entspannte Kerl das auch nur für seine Freunde. Bei ihm waren ein Mädchen mit knallrot gefärbten Haaren und dicker Brille, das heftig gestikulierte und ein Junge mit mittellangen offenbar gebleichten Haaren, der das Mädchen ab und zu mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht unterbrach. Beide trugen eine ähnliche schwarze Kluft.
 

Aber sie sind nicht komplett. Irgendwas am Auftreten dieses Trios gab Neji dies deutlich zu verstehen. Alle drei blickten immer wieder verstohlen in die Richtung der nahe gelegenen Bushaltestelle und machten insgesamt den Eindruck, als warteten sie auf jemanden, der sie von einer zufällig zusammengestellten Gruppe in eine echte Clique verwandeln würde.
 

Interessant. Ich glaube, ich werde sie irgendwann noch ein bisschen genauer beobachten. Aber nicht jetzt. Ich kann froh sein, wenn ich das Zimmer für die Einführung in die Oberstufe finde, ohne jemanden dumm fragen zu müssen.
 

Kurz bevor er die schwere Eingangstür des Gymnasiums aufstemmte, sah sich Neji noch einmal um. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen. Alle waren sie viel zu beschäftigt mit sich und ihren kleinen, heilen Welten, um ihre Umwelt ernsthaft wahrzunehmen. Umso besser für ihn. Er strich sich eine Strähne seines langen, kastanienbraunen Haares aus dem Gesicht und betrat das Gebäude.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  UnNESSAsceryxinxLove
2011-11-14T15:03:24+00:00 14.11.2011 16:03
Meiner Meinung nach sehr gut geschrieben! Respekt! Gefällt mir bisher sehr gut <3


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