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Vierzehn

Sommerwichtel '11
von

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Mama

Mit Magenschmerzen hatte Josh die Früchte gepflückt. Jetzt saß er vor Molly an deren Küchentisch und sah der jungen Frau mit dem gleichen Bauchweh dabei zu, wie diese begann, den Pfirsich zu zerteilen. Gleich nachdem die Klinge den ersten Schnitt getan hatte, lief der rote Saft aus dem Pfirsich. Er rann über Mollys Hand und tropfte von dort aus auf den Tisch.

Doch Molly sah keinen Moment so aus, als wolle sie aufspringen und das rot tropfende Obst von sich werfen. Fasziniert sah sie dem aus dem Pfirsich laufenden Saft zu, der bald schon eine nass glänzende Pfütze auf dem Holztisch bildete.

Josh konnte es kaum glauben, aber Molly setzte wirklich zum nächsten Schnitt an. Noch mehr blutroter Saft lief, doch Molly teilte den Pfirsich unbeeindruckt in mehrere Spalten auf, die sie vom Kern löste. Als sie den ersten Pfirsichschnitz zum Mund führen wollte, um ihn zu probieren, löste sich endlich Joshs fassungslose Lähmung.

"Sie schmecken echt gut."

Molly lachte erheitert auf. "Ich habe nichts anderes erwartet. Sie riechen auch unglaublich gut." Sie biss ein Stück ab und kaute nachdenklich.

Atemlos verfolgte Josh jede Regung im Gesicht der Frau vor sich. Noch nie zuvor hatte er jemanden gesehen, der beim Essen so glücklich aussah, wie Molly gerade.

"Oh, Josh, diese dummen Menschen wissen nicht, was sie verpassen!" Mollys Stimme war nur ein leises Hauchen. "Diese Pfirsiche schmecken göttlich."

"Ich weiß." Josh seufzte kaum hörbar. "Aber niemand versucht einen Pfirsich, der blutet..."

"Das lässt sich ändern!" Unwirsch wischte Molly Joshs Befürchtung weg. Sie aß noch ein Stück und danach noch eines. Dann hatte sie offensichtlich eine Idee. "Ich weiß, wie man die Leute dazu bekommt, diese Pfirsiche zu essen und zu lieben."

Josh horchte auf. "Wie denn?"

"Marmelade", entgegnete Molly fröhlich. "Man kocht Marmelade aus ihnen. Und Chutney. Und Soße. Und Kompott. Josh, es gibt so viele unendliche Möglichkeiten!"

Josh schwirrte der Kopf von Mollys Begeisterungssturm. Er hatte ja schon viele Reaktionen von Menschen gesehen, die einen Pfirsich probieren wollten, aber niemand hatte sich über die blutenden Früchte jemals so ausgelassen gefreut, wie Molly. Und es wirkte prompt ansteckend auf Josh.

"Bring mir noch mehr Pfirsiche, Josh, wenn es geht, zwei große Körbe. Wir werden mal sehen, ob die Leute euch nicht die Pfirsiche aus den Händen reißen werden!"
 

Noch am gleichen Abend stand Josh auf dem Pfirsichfeld und pflückte Frucht um Frucht von den Bäumen, die unter den Lasten zu zerbrechen drohten. Und noch nie in seinem Leben hatte er es mit solcher Freude getan. Endlich schien es, als hätte sich sein Wunsch erfüllt, dass sich etwas in ihrem Leben ändern musste. Es begann gerade und ausgerechnet mit dem Teil, der wie ein Fluch seit Jahrzehnten auf seiner Familie lastete und von dem er es nie erwartet hätte.
 

٭

"Na, wie sieht es aus?"

Sprachlos starrte Josh das Glas an, das ihm Molly vor die Nase hielt. Die Sonne, die durch das große Frontfenster des Drugstore schien, brach sich in dem rubinroten Fruchtmus, mit dem das Glas bis zum Rand gefüllt war. Die rote Marmelade sah so lecker aus, dass man direkt Lust bekam, sie zu probieren. Niemand würde bei dem Anblick mehr auf den Gedanken kommen, dass es wie Blut aussehe. In dem Glas war für jeden gut sichtbar ganz normale Marmelade.

"Warte mal." Molly drehte den Deckel des Glases, der sich mit einem leisen Plopp öffnete.

Sofort verbreitete die Marmelade einen unwiderstehlichen Duft. Süß und schwer hing er über dem Glas. Josh atmete den Duft tief ein. Er hatte schon ganz vergessen, wie gut die Pfirsiche rochen, wenn sie nicht gerade faulend am Boden lagen. Doch diese hier dufteten nach Früchten, die den Sommer in jeder ihrer Fasern gespeichert hatten, und nach exotischen Gewürzen, mit denen Molly die Marmelade verfeinert hatte und von denen Josh vermutlich nicht einmal die Hälfte kannte.

"Mir ist noch etwas eingefallen. Ich sag es dir, während du die Marmelade kostest." Molly reichte Josh das Glas und drückte ihm einen Löffel in die Hand, den sie von zu Hause mitgebracht haben musste. Zufrieden sah sie Joshs begeistertes Gesicht, nachdem er den ersten Löffel Marmelade probiert hatte. "Ich würde gerne die Pfirsiche mit unserer Pension in Verbindung bringen. Eine Arte Thema, wenn man das so nennen kann. Was hältst du davon?"

Josh schluckte die Marmelade schnell hinunter. Was sollte er davon halten? Er wusste, was Molly meinte, aber warum sie ausgerechnet ihn danach fragte, war ihm absolut schleierhaft. Hilflos zuckte Josh mit den Schultern.

"Langweilige Pensionen gibt es doch wie Sand am Meer", holte Molly zu einer weiteren Erklärung aus. "Stell dir mal vor, wenn wir die Zimmer hier entsprechend dekorieren, oder die verschiedenen saisonalen Feste feiern. Die Pfirsichblüte muss doch fantastisch sein! Und dann zur Ernte gibt es die nächsten Aktionen. Was meinst du, Josh? Sag was!"
 

Josh sagte nichts. Ihm fiel nichts passendes ein. Molly musste sich lange Gedanken wegen dieser Sache gemacht haben. Und wenn er ehrlich war, gefiel sie ihm auch. Die Pfirsiche dürften auch kein Problem sein, sie waren unauffällig, bis man sie anschnitt; und diesen Punkt hatte Molly mit ihrer Idee von der Marmelade grandios gelöst.

"Ich muss das zuerst mit Abby besprechen." Josh lächelte entschuldigend.

"Abby?" Zum ersten Mal hörte Molly diesen Namen. "Gehören ihr die Pfirsichbäume?"

"Nun, im Grunde schon", druckste Josh herum. "Sie ist unsere Mutter."

'Und du nennst sie Abby' hatte Molly sagen wollen, doch Joshs bedrücktes Gesicht ließ sie dazu schweigen. Sie nickte langsam. "Ja, frag sie. Und dann sagst du mir Bescheid. Oder ich komme vorbei und spreche persönlich mit ihr."

"Das ist keine gute Idee", lehnte Josh den Vorschlag der jungen Frau höflich ab. "Abby geht es im Moment nicht so gut."

"Verstehe." Molly schien ihre Gedanken zu sortieren. "Hör zu, Josh, ich möchte mich nicht in eure Angelegenheiten einmischen, aber ist das der Grund, weshalb du Birdie immer mit zur Arbeit nimmst?"

Normalerweise umging Josh dieses unangenehme Thema gerne, doch Molly, zu der er in den letzten Tagen immer mehr Vertrauen gefasst hatte, hatte eine Antwort verdient. Allerdings kam ihm Molly zuvor.

"Wenn du möchtest, kannst du Birdie gerne zu mir bringen, so lange du arbeiten musst."

Josh sah Molly an, wie einen Geist. Wie kam sie dazu, so etwas vorzuschlagen? Er war nur jemand aus der Nachbarschaft, der ihr einfach nur beim Umzug geholfen hatte. Sonst nichts. Was wusste sie von ihnen? Dass sie vierzehn Pfirsichbäume hatten, deren Früchte bisher ungenießbar gewesen waren. Nein, Moment, sie wusste noch gar nicht, dass es vierzehn Bäume waren.

"Ich hole sie abends wieder ab, wenn das in Ordnung ist", antwortete Josh auf Mollys Vorschlag.

Mollys unsicher dreinblickende Augen bekamen einen freudigen Glanz. "Dann sehen wir uns heute Abend."
 

Josh lud die insgesamt fünf Obstkörbe von der Ladefläche seines Pick-Up und trug sie die Veranda zu Mollys Haustür hoch. Das Küchenfenster stand offen und Josh lauschte einen Moment, bevor er an die Tür klopfte.

Von drinnen hörte Josh Mae und Birdie, die die lachende Molly mit tausenden Fragen bestürmten. Es war schon lange her, dass man solche Geräusche aus ihrem eigenen Haus zu hören bekommen hatte. Dort war es die meiste Zeit still - außer Abby kam nach Hause... Es roch nach Marmelade und nach anderem Essen und erinnerte Josh wieder einmal schmerzhaft daran, dass man auch gerne nach Hause kommen konnte.
 

"Wir haben schon auf dich gewartet", empfing Molly Josh gut gelaunt. Sie hatte ihr dichtes langes Haar zu einem Dutt zusammengesteckt und eine Kochschürze umgebunden, auf der unzählige rote Flecken prangten. Diese ganze Blutsache schien Molly absolut nichts auszumachen, wunderte sich Josh.

"Hier ist noch Nachschub." Josh hob die Hand, in der er einen der Obstkörbe hielt, der randvoll mit Pfirsichen gepackt war.

Mit großen Augen bestaunte Molly die Menge an Pfirsichen. "Wie viele Bäume habt ihr denn?"

"Vierzehn", entgegnete Josh. "Von ehemals sechzig."

"Sechzig." Molly sagte dieses eine Wort sehr langsam vor sich hin, als könne sie es nur so in seiner ganzen Bedeutung begreifen.

"Josh!" Birdie kam aus der Küche gestürzt und fiel ihrem Bruder um den Hals, der sie gleich auf den Arm nahm und an sich drückte. "Josh, ich hatte so viel Spaß hier!"

"Das freut mich", erwiderte Josh ehrlich. "Warst du auch lieb zu Molly und Mae?"

Birdie nickte eifrig. Ihre Wangen glühten vor Eifer und ihr Haar hing ihr zerzaust ins Gesicht. "Wir haben Marmelade gekocht und noch viel mehr. Und dann haben wir den Tisch gedeckt. Komm mit!"

Josh ließ die strampelnde Birdie zu Boden, die ihn an der Hand packte und in die Küche zog.

Birdie hatte nicht gelogen. Überall standen gefüllte Marmeladengläser und es duftete unglaublich gut. Der Küchentisch, der in der Mitte des großen Raumes stand, war mit Tellern und Besteck eingedeckt. Für vier Personen.

"Setzt euch hin." Molly zeigte zum Tisch.

"Ich weiß nicht", murmelte Josh schüchtern.

"Ich hoffe, das 'Ich weiß nicht' bezog sich darauf, dass du nicht weißt, was es zu Essen gibt..." Molly hatte die Arme in die Seiten gestemmt und blickte Josh herausfordernd an. Sie lächelte triumphierend, als sich Josh endlich unter ihren Blicken hinsetzte und die Hände im Schoß faltete.

Molly, Mae und Birdie brachten Schüsseln mit dampfendem Gemüse und einen großen Teller mit gebratenem Fleisch und stellten alles in die Mitte des Tischs.

Mit Entsetzen sah Josh Birdies Blicke, mit denen sie das Essen bedachte, nachdem sie neben ihm Platz genommen hatte. Das kleine Mädchen sah staunend den gefüllten Tisch an, ohne ein einziges Mal zu blinzeln, als befürchte sie, dass alles verschwand, sobald sie einmal nicht hinsah. Sie tat das so ungeniert, dass sich Josh an ihrer Stelle dafür zu schämen begann.
 

"Vielen Dank für alles." Josh, der die schlafende Birdie auf dem Arm trug, lächelte Molly an, die grinsend abwinkte.

"Birdie ist ein kleiner Schatz", sagte sie und wischte dem Mädchen ein paar Haare aus dem Gesicht.

"Ich weiß", erwiderte Josh leise.

Seine Augenbrauen zogen sich wieder zusammen, wie es Molly schon öfter an ihm beobachtet hatte, wenn das Thema auf etwas kam, das ihm offensichtlich Probleme bereitete. Und Josh schien einige wunde Punkte zu haben. Sie hatte eigentlich vorgehabt, ihn wieder auf ihre Mutter anzusprechen, aber dann doch beschlossen, dass es bessere Tage dafür gab, um ihn das zu fragen, was ihr seit einiger Zeit schon auf der Zunge brannte.

"Und du bist ihr Ein und Alles", sagte Molly stattdessen.

Josh lächelte schief. Er wünschte, es wäre nicht so. Er wünschte sich, Abby wäre das erste Ein und Alles für Birdie und er käme danach. Doch so war es nicht.

"Bis morgen früh", sagte Molly zum Abschied.
 

Nachdem Josh sich fürs Bett fertig gemacht hatte und müde über den Flur zu seinem Zimmer hin schlurfte, sah er, dass Abbys Schlafzimmertür einen Spalt weit offen stand. Mattes Licht fiel auf den Flur und Josh konnte sich nicht verkneifen, einen Blick in das Zimmer zu werfen. Was er sah, ließ ihn erschrocken die Luft anhalten.

An Abbys Bett kniete Molly. Sie hatte die angewinkelten Ellenbogen auf die Matratze gestützt und ihr Kopf ruhte auf ihren Händen. Stumm betrachtete sie sich die schlafende Abby. Dann sagte sie etwas, das Josh die Knie weich werden ließ.

"Kannst du Josh bitte sagen, dass er mich bei Molly und Mae lässt?" Birdie wartete kurz auf eine Antwort, die sie nicht bekam. "Dann müsstest du dich nicht mehr ärgern, wenn ich laut bin", fügte sie hinzu und wartete wieder vergeblich darauf, dass ihre Mutter etwas darauf erwiderte. "Josh könnte auch bei uns bleiben und müsste nicht immer so viel weinen." Birdie beugte sich vor und küsste Abbys verschwitzte Stirn. "Ich habe dich lieb, Mama."

Josh ging. Er konnte nicht länger zusehen oder zuhören. Morgen früh würde er mit Abby sprechen. Oder morgen Mittag, wenn es ihr besser ging. Er würde sich das erste Mal seit Jahren mit ihr hinsetzen und ihr erklären, dass sie das alle nicht mehr schafften. Dass es nur ging, wenn sie ihnen half. Wenn sie wieder gesund wurde. Wenn sie endlich wieder zu Birdies Mama wurde. Und vielleicht auch zu seiner.

Mit diesem Vorsatz schlief Josh ein.
 

Ungeduldig sah Josh zur Uhr auf der Kasse, deren digitale Zahlen sich einfach nicht schneller abwechseln wollten. Selten hatte er sich den Feierabend so sehnlich herbei gewünscht, wie heute.

Abby hatte heute morgen noch tief geschlafen, als er und Birdie das Haus verließen. Bis nachher würde sie allerdings wach genug sein, so dass er endlich mit ihr sprechen konnte. Er hatte ihr auch ein paar gefüllte Donuts eingepackt, von denen er noch wusste, dass sie sie einmal gerne gegessen hatte.

Kurz vor Fünf klingelte das altmodische Glöckchen über der Tür des Drugstore. Begleitet von Mae und Birdie, betrat Molly den Laden und steuerte zielsicher auf den Kassenbereich zu.

"Hey, Josh."

Birdie und Mae standen an dem Postkartenständer und besahen sich die Karten.

"Hallo." Josh strahlte über das ganze Gesicht.

"Dir geht’s gut, habe ich recht?", freute sich die junge Frau, worauf Josh glücklich nickte. "Dann geht es auch gleich mit den guten Nachrichten weiter. Ich habe etwas über eure Pfirsichbäume herausgefunden", platzte es schließlich aus Molly hervor.

Mollys Stimmlage klang tatsächlich freudig, doch gute Nachrichten waren in seinem Leben mittlerweile so selten geworden, dass Josh im ersten Moment etwas überfordert war. Was wollte Molly über die Bäume mit den blutenden Früchten herausgefunden haben?

"Ihr habt da einen echten Schatz in eurem Garten." Molly betonte jedes Wort, als wolle sie sicher gehen, dass Josh auch deren unglaublich wichtige Bedeutung verstand. Doch Josh verstand immer weniger.
 

"Eure Pfirsiche sind alles andere als schlecht", fuhr Molly hastig fort. Sie konnte nicht so schnell reden, wie sie Josh die Neuigkeiten am liebsten mitgeteilt hätte und ihre Stimme überschlug sich mehrmals, so dass sie eine kurze Pause machen musste, um sich wieder zu sammeln.

Josh lächelte die Frau mit den vor Aufregung roten Wangen hilflos an.

"Eure Bäume sind wirklich was Besonderes. Wer immer sie auch pflanzte, hatte vermutlich keine Ahnung, wie selten diese Sorte tatsächlich ist und dass die Farbe der Früchte genau richtig ist." Molly erwiderte Joshs Lächeln, das langsam schwand und dem gleichen Entsetzen wich, das Molly selbst empfunden hatte, nachdem sie die Herkunft der roten Pfirsiche entdeckt hatte.
 

"Die Leute, die die Gerüchte über eure Pfirsiche verbreitet haben, waren so furchtbar dumm."

Josh hörte kaum, was Molly sagte. Er sah an ihr vorbei zu seiner kleinen Schwester hin und spürte, wie die Wut in ihm hochzukriechen begann. Die Wut darüber, was ein paar lächerliche Gerüchte mit ihrer Familie angestellt hatten. Jeder einzelne, der jemals behauptet hatte, ihre Pfirsiche seien verflucht, hatte Schuld an jedem Tag, den er und seine Familie darunter hatte leiden müssen. An jedem Schluck Alkohol, den Abby zu sich genommen hatte. An jeder Ohrfeige, die sie Josh in einem ihrer Wutanfälle gegeben hatte. An dem herausgeschlagenen Zahn, der Josh nächtelange Schmerzen bereitet hatte. An jeder einzelnen Träne, die ihre Mama an den Morgen nach einem solchen Abend voller Alkohol, Wut und Geschrei, geweint hatte.

Mollys kühle Hand riss Josh aus seinen düsteren Gedanken. Als sie sich seiner Afmerksamkeit wieder sicher war, kramte sie in ihrer Handtasche und förderte eine längliche Geldbörse daraus hervor, die sie öffnete und ein paar Scheine hervorzog, die sie vor Josh auf den Tresen legte. "Das ist für die Pfirsiche." Sie zählte noch ein paar Scheine ab, die sich zu den anderen auf die Theke gesellten. "Und das ist die Anzahlung für die nächste Ladung."

Verblüfft sah Josh auf das Geld.

"Weißt du, was das heißt?"

Josh schüttelte den Kopf.

"Ich habe mit meinem Mann über die Pension und die Pfirsiche gesprochen und genau wie ich ist er der Meinung, dass das gut laufen könnte." Molly schien um eine Kopflänge gewachsen zu sein. "Wenn das ganze dann erst mal richtig anläuft und die Marmelade gut weggeht, dann wird sich euer Gewinn natürlich entsprechend erhöhen. Er will dich übrigens kennenlernen."

"Wer?" Joshs Hände wurden kalt. Das alles waren zu viele Informationen auf einmal.

"Mein Mann. Er kommt dieses Wochenende nach Hause." Molly sah auf ihre Armbanduhr. "Du hast gleich Schluss, oder?"

"In einer viertel Stunde."

"Ich warte draußen auf dich." Molly winkte ihm schnell zu und verließ mit den beiden Mädchen das Geschäft.
 

"Bekommst du die noch gefüllt?" Molly sah Josh zu, der ihr die leeren Obstkörbe abnahm und sie auf die Ladefläche seines Pick-Up stellte.

"Vermutlich sogar zweimal. Dieses Jahr gibt es viele Pfirsiche", lachte Josh.

"Das ist gut." Molly gab Josh den letzten Korb. "Weißt du, das einzige, das ich gerade noch tun kann, bis das Baby endlich kommt, ist, Pfirsiche zu schneiden und einzukochen." Sie strich sich über ihren gewölbten Bauch.

"Ich habe auch noch etwas", sagte Josh, nachdem er alle Körbe gut verstaut hatte. Er ging um seinen Wagen herum zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und kam gleich darauf mit einem großen flachen, in Papier eingewickelten Gegenstand zu Molly zurück. Mit roten Wangen überreichte er ihn Molly, die gleich das Papier aufriss.

"Oh, Josh, wo hast du das denn her?" Molly verschlug es den Atem. Sie hielt ein Ölgemälde in den Händen, das einige pinkfarben blühende Bäume zeigte, die unter strahlend blauem Himmel in einem Meer aus Blumen standen.

"Ich dachte, dass es sich sicher gut in der zukünftigen Pension machen würde."

Molly ließ das Bild auf der Motorhaube ihres Autos liegen und wandte sich an Josh. Schneller, als der reagieren konnte, hatte ihn die junge Frau in den Arm gezogen und ihm einen beherzten Kuss auf die Wange gedrückt.

"Schon gut." Josh lachte auf. "Das ist nichts im Gegensatz zu dem, was ihr die ganze Zeit schon für uns tut."

"Mach dich nicht über mich lustig!" Molly wischte sich über ihre nassgewordenen Augenwinkel. Sie wartete, bis Josh das Bild auf die Rückbank gestellt und die Tür geschlossen hatte.

"Morgen bringe ich die nächsten Pfirsiche, wenn das in Ordnung ist."

"Und ob!" Molly rief nach Mae und beide stiegen in ihren Wagen. Durch das herunter gekurbelte Fenster sah sie Josh noch einmal glücklich an. "Das kostet dich noch ein Abendessen, das weißt du hoffentlich."

"Ich habe fast damit gerechnet." Josh nahm Birdie an die Hand und half ihr in den Pick-Up. Er stieg ein und ließ den Motor an.
 

Molly, die neben Josh geparkt hatte, ließ ihn vorfahren und folgte dem roten Pick-Up in kurzem Abstand zur Kreuzung.

Fröhlich winkte Mae Birdie zu, die ihnen mit beiden Armen aus dem Rückfenster des Pick-Up zuwinkte. Molly hatte gerade ihre Hand gehoben und die Finger gekrümmt, um dem kleinen Mädchen ebenfalls einen Gruß zukommen zu lassen, da verschwanden sie auch schon aus ihrem Blickfeld. Wie eine große Hand, die eine Fliege vom Tisch vertrieb, wurde Joshs Pick-Up vor ihren Augen von einem Truck von der Straße gewischt, so dass Molly nicht einmal die Zeit blieb, vor den kreischend bremsenden Autoreifen und dem Geräusch zusammengepressten Metalls zu erschrecken. Ein Obstkorb, der aus dem angefahrenen Pick-Up geschleudert worden war, polterte auf Mollys Motorhaube.

Schockiert schaute Molly vor sich auf die nun leere Straße. Sie hatte freie Sicht bis zur gegenüberliegenden Kreuzung, obwohl gerade noch Josh und Birdie dazwischen gestanden hatten.

Mae, die ihre bleich gewordene Mutter sah, begann leise zu weinen.
 

Müde saß Abby am Küchentisch. Schon seit Stunden starrte sie die Obstschale vor sich an. Sie streckte die Hand danach aus und nahm den letzten Pfirsich aus der gleichen Schale, aus der vor vierzehn Tagen ihre kleine Birdie früh am Morgen Tom den Pfirsich gereicht hatte, damit dieser ihn ihr schälen und schneiden konnte.

Von alledem wusste Abby nichts. Ihre zitternden Hände konnten den Pfirsich und das Messer kaum halten. Wie in Trance schnitt sie die Frucht auf. Der Saft, der aus dem Schnitt quoll war bis auf einen leichten Gelbton klar. Die Pfirsiche, die sie seit Jahrzehnten kannte und die ihrer Familie schon so viel Leid gebracht hatten, bluteten plötzlich nicht mehr.

Abbys Mund bebte unter dem aufsteigenden Kummer. Lautlose Worte schlichen über ihre spröden Lippen, während sie ihre Blicke nicht von dem Pfirsich lösen konnte, dessen Fruchtfleisch auf einmal goldgelb glänzte, statt blutrot.

Abby schrie auf. Sie warf den Pfirsich so weit von sich, wie sie konnte. Er prallte gegen den Küchenschrank und rollte über den alten Küchenboden, bis er genau an der Stelle liegen blieb, an der der weinende Josh ihr vor etlichen Wochen erklärt hatte, dass sie nie mehr seine Mutter sein werde.

Abby sank über der Tischplatte zusammen und weinte.
 

Molly hielt den Pfirsich in ihrer Hand und verwünschte ihn aus tiefster Seele. Dieses verdammte Ding! Wo war das Blut?

Die Augen weit aufgerissen, stach Molly das Messer erneut in den Pfirsich, aus dem der klare Fruchtsaft lief, als wäre es nie anders gewesen. Sie stach noch einmal zu. Und noch einmal. Und noch einmal. Und endlich verfärbte sich der Fruchtsaft rosa. Und dann rot. Und dann noch roter.

Molly lachte.

"Schatz?" Die leise Frage kam von ihrem Mann, der mit besorgtem Blick in der Tür stand. Aus dem besorgten Blick wurde ein schockierter, als er die blutende Hand seiner Frau sah, die einen Pfirsich hielt. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und nahm sie in den Arm. Ihre Hände ließen den Pfirsich und das Messer fallen und krallten sich fest in seinen Rücken.

Mollys Körper bebte unter dem Weinkrampf, der sie erfasst hatte. "Liebling", flüsterte sie mit nahezu tonloser Stimme.

"Was ist?"

"Ich glaube, das Baby kommt."
 


 

٭ Ende ٭
 



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