Zum Inhalt der Seite

Regen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

1

Die durchlöcherten Fingerlosen Handschuhe halfen nicht viel gegen die Kälte, aber er trug sie aus einem anderen Grund. Sie fühlten sich gut an und die Hände konnte er für ein wenig Wärme auch in die Ärmel seiner Jacken verstecken.

Zu dieser frühen Stunde waren die Straßen leer. Nur ein paar Betrunkene von den Partys der letzten Nacht waren noch auf den Beinen, torkelten laut lachend und redend durch die Straßen. Eine Weile hatte er an einer Bushaltestelle neben einem Schlafenden gesessen, die Zeit genutzt um etwas Geld in seine Taschen zu bringen. Nicht viel, das Meiste war versoffen worden und Geldkarten rührte er nicht an, aber es würde für billigen Schnaps reichen. Mehr wollte er nicht.
 

Mit einem leisen Knarren gab die Tür nach als er sie aufschob, Glas knirschte unter den Sohlen der Stiefel die vorne schon lange so abgewetzt waren, dass man die Stahlkappen durchsehen konnte. Ben hob den Kopf, winselte leise und wedelte unter der Decke mit dem Schwanz. Aufstehen tat der Hund nicht, blieb auf dem alten Sofapolster liegen. Besser so, sonst müsste er ihn neu zudecken damit er nicht fror. Sicher, Ben hatte dichtes Winterfell, aber er sollte auf keinen Fall frieren, das war wichtig. Wichtiger als vieles andere.

„Ich hab dir was mitgebracht.“, murmelte der Junge und ging bei dem Hund in die Hocke, holte ein in schmutziges Papier verpacktes Brötchen mit einem Rest Bratwurst aus der Tasche. Den Ketchup hatte er weg gewischt, der war sicher zu würzig, aber der Rest würde etwas Hunger stillen. Hundefutter, das war noch etwas wofür das gestohlene Geld wichtig war, mehr noch als für den Schnaps. Die schmutzigen Finger kraulten durch dichtes Fell während Ben fraß, danach den Kopf hob und ihm das Gesicht und ein Ohr ableckte, ihn dazu brachte leise zu lachen. Das kitzelte!

Auf der Matratze bewegte sich Chu unruhig im Schlaf, wachte aber noch nicht auf. Ein letztes Mal streichelte er über den Kopf des Hundes, dann stand der Junge auf und streifte die Jacke ab. Die Stiefel würden anbleiben, nur für den Fall einer plötzlichen Störung. Ohne konnte man nicht so schnell weglaufen und er brauchte die verdammten Teile, die ihn schon lange nicht mehr beim Schlafen störten. Vorsichtig schob er sich neben dem Zweiten unter die alten Decken, spürte sofort die Wärme des anderen Körpers. Chu murmelte etwas, drehte sich dann auf die Seite und zog ihn näher.

„Du bist ganz kalt…“, beschwerte der Größere sich kaum verständlich, schien nicht wach werden zu wollen. Sollte er auch gar nicht. Wärme und Nähe in sich aufsaugend schloss Rayn die Augen, lauschte noch einen Moment in die unruhige Stille die sie umgab. Hier war niemand, Ben würde sie warnen. Chus Atem roch nach Bier. Neben der Matratze hatte er zwei leere Flaschen gesehen und obwohl er den Geruch von Bier nicht mochte, an Chu war er gut, gehörte dazu, wie ein absonderliches Parfüm. Der Andere roch fast immer nach Bier und ein wenig vermutete Rayn auch eine Absicht dahinter, nicht nur zufällige Tropfen die am Kinn nach unten liefen und auf die Kleidung fielen. Bier, Zigarettenrauch und Schweiß, der Modergeruch in Matratze und Decken. Gerade war das hier sein zu Hause.
 

„Hey, wach auf du Schlafmütze.“

Nicht gerade sanft wurde er an der Schulter gerüttelt, blinzelte verschlafen und sah die braunen Augen über sich. Der Versuch sich auf die andere Seite zu rollen und das Gesicht in der Matratze zu verstecken half nicht, Chu hatte beschlossen, dass er wach zu werden hatte.

„Will ne Zigarette….“, brummte Rayn unwillig, spürte jetzt schon die Kälte die außerhalb der Decke auf ihn wartete, viel zu schnell bis in die Knochen kriechen würde. „Und Bier.“ Für die Wärme von innen, selbst wenn etwas hochprozentiges da besser wäre. Essen sollten sie auch, wollten sie nicht die ganze Nahrung flüssig zu sich nehmen. Alkohol machte auch satt, auf seine Weise und doch wäre etwas Warmes im Magen nicht schlecht. Wenn es noch nicht zu spät war konnten sie zu einer der Suppenküchen, würden auf diese Weise kein Geld verschwenden das sich besser investieren ließ. Die Versuchung war groß noch liegen zu bleiben, sich noch ein wenig der Illusion von Wärme hinzugeben und entsprechend ruckartig schlug Rayn die Decke zurück und kam auf die Beine, ignorierte Chus Protest, dem nun auch kalt war.

„Wir müssen was Essen.“, bestimmte er, griff nach der Jacke um aus einer alten Zigarettenschachtel einen der vielen Stummel zu fischen, die noch genug Tabak in sich trugen um ein zweites Anstecken lohnenswert zu machen. Gerade an den Haltestellen fanden sich einige davon, Kippen die noch schnell angezündet und dann weg geworfen wurden wenn der Bus kam. Man hätte sie auch aufpuhlen und den Tabak herausholen können, aber das war eine Arbeit zu der er sich selten motivieren konnte. Es lohnte nicht Blättchen zu kaufen und Rayn störte sich nicht daran in den Mund zu nehmen woran schon andere gezogen hatten, fand es manchmal dank Spuren von Lippenstift sogar amüsant. Den brennenden Stummel zwischen den Lippen streifte er die klamme Jacke über. Ben, der immer schon wusste wann er mit durfte sprang auf, schleifte die Decke die über seinem Rücken lag mit, kam um ihn zu begrüßen als hätte er nicht nur wenige Stunden geschlafen sondern wäre Ewigkeiten weg gewesen. Wäre die Matratze nicht zu schmal gewesen, Ben hätte bei ihm geschlafen. Aber Chu war groß und auf ihren Schuhen mochte der Hund nicht liegen. Irgendwann wieder, wenn Chu nicht mehr da war, dann würde er nachts das Gesicht im Nackenfell des Hundes vergraben, solange, bis ein anderer den Platz auf der Matratze einnehmen würde. Oder eben auch nicht.

Die rechte Hand auf der vergeblichen Suche nach Wärme in der Tasche vergrabend beobachtete er, wie Chu auf die Beine kam, sich den Schlaf aus den Augen rieb, unter denen sich dunkle Schatten eingegraben hatten. Er mochte den dunklen Milchkaffeeton der Haut, der eine Illusion der Welt schuf, die er nur von Plakaten und Werbesendungen kannte. Weiße Strände, das Meer, das er noch nie gesehen hatte, Menschen die lachten und bunte Getränke durch Strohhalme schlürften. Eine Welt zu der er nicht gehörte, die ihn nicht vermisste.

„Wenn, dann hab ich ja wohl n Recht müde zu sein.“, stellte er klar und wandte sich zum Gehen ohne auf den anderen Jungen zu warten. Wieder knirschte Glas unter seinen Schuhen und er trat eine Scherbe zur Seite damit Ben nicht hinein trat. Je näher er der Tür kam, desto lauter wurde das Rauschen des Regens. Er hatte es seit dem Aufwachen in den Ohren und doch nicht mit den Bindfäden gerechnet, die da vom endlos grauen Himmel herab kamen.

„Da braucht man ja nen Freischwimmer.“, murrte Chu und zog die Schultern hoch als er hinaus in den Regen trat. Wasser fand seinen Weg in Rayns Boots, saugte sich in die Kapuze und würde bald durch den Stoff der Jacke gedrungen sein. Mit dem Wasser kam die Kälte, fraß sich bis in die Knochen. Sie waren es gewohnt. Im Winter wurde man nie richtig warm. Nicht mal an den Bierzelttischen der Suppenküchen, dafür saß die Kälte zu tief. Und doch mochte Rayn den Regen, besonders den im Sommer.

Die Straßen waren leerer als sonst, Menschen hasteten mit Regenschirmen vorbei, rempelten sie immerhin nicht an. Um Obdachlose machte man lieber einen Bogen. Für Chu war das gut, sonst hätte er wohl den ein oder anderen Schirm abbekommen groß wie er war. Andererseits war Chu niemand mit dem man sich anlegen wollte, was durchaus praktische Seiten hatte. In seiner Gesellschaft konnte man vielen Schwierigkeiten entgehen und der Junge wusste nur zu gut um seine Wirkung. Die andere große Hilfe war Ben, aber den mochte er nicht immer mitnehmen, egal wie ausgelassen der Hund gerade vorlief um dann mit einem Lachen auf dem Gesicht auf sie zu warten. Ben wusste vermutlich wohin es ging und freute sich auf die Wursteinlage der Suppe, die Rayn ihm immer überließ.

Sie waren spät dran und nur noch wenige standen in der Schlange um eine warme Mahlzeit. Für nur ein Geldstück pro Person bekamen sie je eine Plastikschüssel mit Eintopf und eine dicke Scheibe Brot, hockten sich mit ihrer Beute in einen Hauseingang, da der Hund nicht mit in den kleinen dunklen Essensraum durfte. Angewidert betrachtete Chu was da vor sich hinschwappte. Nudeleintopf mit Wurstscheiben. Chu hatte etwas, was man wohl als Nudelphobie bezeichnen konnte. Es klang danach als habe man ihn in seiner Kindheit nur mit dem Zeug ernährt. Leider waren Nudeln billig und standen entsprechend oft auf der Einkaufsliste der Suppenküche.

„Lass mir die Nudeln übrig, dann bekommst du mein Brot.“, bot Rayn an und angelte zugleich eine Würstchenscheibe aus dem Eintopf um sie Ben zuzuwerfen.

„Gib mir lieber die Würste noch dazu. Dem Hund kaufst du schon genug Fressen, der muss nicht auch noch uns unser Essen weg haun.“, beschwerte sich der Größere, wusste aber schon wie Rayn seine Worte am Arsch vorbei gingen. Der drückte ihm nur die Brotscheibe in die Hand und machte sich dann hungrig über seinen Eintopf her, keine Wurstscheibe für sich behaltend. Auf dem Rückweg würde er in einen Supermarkt gehen und ein paar Dosen kaufen. Trockenfutter gab es nur in größeren Mengen und dafür war das Geld nicht da und für die Zukunft plante kaum einer von ihnen. Es brachte eh nichts, würden sie doch nie diesem Leben entkommen können und früher oder später hier draußen auf der Straße oder im Gefängnis verrecken. Das war der Lauf der Zeit. Man konnte sich damit abfinden oder verzweifeln.

„Iss das Brot und halt die Fresse.“, wurde Chu mit vollem Mund beschieden. Immerhin war das Brot nahrhafter als die Nudeln, wobei Chu auch größer war, vermutlich zu Recht behaupten konnte mehr zu brauchen. In der Suppenküche gab es für alle gleich viel, für Rayn genug, für Chu zu wenig. Aber es war eine gute Grundlage auf der man ihn satt bekommen konnte. „Finden sicher was im Container vom Supermarkt, du wirst schon nicht verhungern.“

Sicher, er hätte ihm auch sagen können er solle sich gefälligst Geld besorgen, dann könne er so viel Wurst essen wie er wolle, aber… Rayn gefiel die Art nicht, auf die Chu sich Geld beschaffte. Sie verdarb ihm das Essen. Lieber aussortierte Lebensmittel als das.

„Trotzdem ist die Wurst zu schade für den Hund. Der verträgt gammliges Fleisch besser als ich. Au.“

Der Tritt gegens Schienenbein hatte gesessen, und murrend wandte sich der halbe Riese wieder seinem Eintopf zu. Chu war eine gute Gesellschaft und er mochte Ben, selbst wenn er es nicht zeigte. Es waren Kleinigkeiten die ihn überführten. Und Chu gehörte zu den Menschen, deren Körper besonders warm war. Er hatte viele Vorteile. Die leere Schale zwischen seinen Beinen auf die Stufen stellend lehnte Rayn den Kopf zur Seite, bis er die Schulter des anderen spürte, beobachtete die aufgewühlte Oberfläche der Pfütze. Gurgelnd floss Wasser in die Kanalisation.

„Mach hin, ich hab Durst.“

Und sicher nicht auf den von Abgasen schmutzigen Regen der da runter kam, selbst wenn er sich regelmäßig Wasser aus Pfützen schöpfte um die Trockenheit aus der Kehle zu vertreiben. Dennoch wartete er, brachte dann die Schüsseln zurück, ehe er sich mit den Händen in den Jackentaschen auf den Weg zum Supermarkt machte. Ben setzte sich von selbst unter das schmale Vordach, wusste er hatte hier zu warten bis sie mit Futter und ein paar Flaschen Schnaps wieder raus kamen. Die Blicke der anderen Kunden und Mitarbeiter lagen gewohnt angewidert auf ihnen. Warteten eh alle nur drauf sie beim Klauen zu erwischen und genau deswegen könnten sie es wohl gar nicht, selbst wenn sie es wollen würden. Ja, er war ein Dieb, aber nicht hier. Tagedieb hatte ihn ein alter Mann mal geschimpft und er hatte Recht. Rayn stahl sich Tage, jeden einzelnen den er lebte. Geschenkt bekam er sie ganz sicher nicht.

Drei Dosen und vier Liter billiger Hochprozentiger fanden ihren Weg auf das Laufband. Geld wechselte den Besitzer und im Gehen sah er die Kassiererin nach dem Fläschchen mit Desinfektionsmittel greifen. Sie hatte Geld angefasst das er berührt hatte. So ein Pech für sie, dass es nun zwischen all dem anderen Geld in ihrer Kasse lag. Wollte sie jetzt den ganzen Tag ihre Pfoten säubern?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück