Zum Inhalt der Seite

Vom gleichen Schlag

~Eine Geschichte um God & Princess~
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

"Nun, Caden, was macht das Geschäft? Ich habe gehört, ihr wollt expandieren." begann Wendys Vater, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und genüsslich seine Pfeife zu rauchen begann.

"Oh, es geht gut," antwortete Caden und dann verloren die beiden sich in einen unverständlichen Jargon, dem zu folgen er weder willens noch fähig war.
 

Sein Vater, Caden Charteris, war stämmig und untersetzt und etwas kleiner als seine Frau, was er dadurch zu kompensieren versuchte, dass er speziell für ihn angefertigte Schuhe mit dickeren Sohlen trug. Er hatte krauses, rotblondes Haar, ein Erbe seines schottischen Urgroßvaters, der, wie er nie zu erzählen müde wurde, vor vier Generationen mit nichts in der Tasche in dieses Land gekommen war und eben jene Firma gegründet hatte, die Caden noch heute fortführte und die er, Donivan, eines Tages übernehmen sollte. Sein einziges Hobby war Schießen und wenn er las, dann meistens die Times oder irgendwelche Wirtschaftsblätter.
 

Philip Adlington schien auf den ersten Blick das genaue Gegenteil von ihm zu sein. Er war als Abgeordneter im Parlament in Wellington tätig, wo die Familie auch eine geraume Zeit gewohnt hatte, ehe sie nach Auckland gezogen waren. Er war ein großer Mann mit einem kleinen Bauchansatz und einem dezenten Schnurrbart, der seine Pfeife, seinen Garten und gutes Essen und guten Wein liebte - und natürlich seine Tochter, auf die er sehr stolz war.
 

"Nun, Wendy," meinte er jetzt, "hättest du nicht Lust, uns nach dem Dessert ein kleines bisschen auf dem Klavier vorzuspielen?" Wendy nickte, während sie ihr Erdbeereis löffelte.

An die anderen Tischgäste gewandt, fügte ihr Vater hinzu: "Wendy hat beim letzten Weihnachtskonzert ihrer Schule eine Auszeichnung erhalten. Ihr Spiel war wirklich wunderschön, nicht wahr, Mabell?"
 

"Ja," bestätigte seine Frau lächelnd und fuhr mit den Fingern ihrer rechten Hand durch ihre brünetten Locken.
 

Sie saßen auf der Terrasse der Adlingtons in der Abendsonne, es war Sonntag und die sonst so gestressten Erwachsenen wirkten alle sehr entspannt und gelassen. Die Adlingtons hatten ihn, seine Eltern und seinen Bruder, der auf einem Klappstühlchen saß und gerade Game Boy spielte, zu einem Essen eingeladen, das Mabell, Wendys Mutter, selbst gekocht hatte und er musste zugeben, dass es sich von dem Fraß, den ihre Köchin sonst kochte, erfreulich unterschied.
 

"Das war köstlich, Mabell," rief auch seine Mutter Lavinia, wobei sich mit einem Tuch über den Mund tupfte. "Ich verstehe wirklich nicht, warum du nicht öfter kochst."
 

"Oh, das würde ich gern," lachte Mabell, "aber Philip meint, er bekommt mich so schon wenig genug zu Gesicht, und wenn ich dann auch noch jeden Tag in der Küche stehen müsste... deshalb hat er die Köchin eingestellt."
 

"Ach so, ich verstehe," erwiderte Lavinia.
 

Sie hatten keine Köchin - nicht, weil sie es sich nicht hätten leisten können, sondern weil sein Vater es vorzog, niemandem im Haus zu haben - das störe seine Privatsphäre, meinte er - und weil er, ehrlich gesagt, auch ziemlich geizig war.

Seine Mutter kochte ebenfalls gut, nur fehlte ihren Essen wohl einfach der Glanz des Besonderen. Und es war tatsächlich so, dass das Kochen sehr viel von ihrer Zeit beanspruchte, doch schien das weder ihr noch Caden viel auszumachen.

Er hatte sich schon oft gefragt, wie es ihr gelang, trotz Fett und Flecken, die man in der Küche unweigerlich abbekam, immer so adrett auszusehen - wahrscheinlich lag es daran, dass sie wie alle Mütter, die er kannte, nicht arbeiten ging und ihre restliche Zeit mit gelegentlichem Kirchgang und dem Einkauf von Kleidung und Kosmetikartikeln verbrachte. Und sie verstand es wirklich, sich geschmackvoll zu kleiden und zurechtzumachen, fand er - eine gertenschlanke, hochgewachsene Frau Ende 30, deren feines blondes Haar noch von keiner grauen Strähne durchzogen war.
 

"Und wie geht es euch so?" erkundigte sich Wendys Mutter bei seiner interessiert.
 

"Soweit ganz gut," sagte Lavinia, und weil sie selbst merkte, dass das wohl etwas kurz angebunden gewesen war, ergänzte sie: "Donivan hat die Schule gewechselt, er... wir..." Etwas hilflos brach sie ab und ließ den Satz in der Luft hängen.
 

Die beiden Männer unterbrachen ihr Gespräch, in das sie bis eben vertieft gewesen waren.
 

"Ja," meinte sein Vater schnell, sowohl an Mabell als auch an Philip gerichtet, "wir dachten, dass es besser für ihn wäre, weil er dort mehr soziale Kontakte knüpfen kann. Er geht jetzt auf die Wakefield High, eine staatliche Schule," fügte er hinzu.
 

"Hobson High," verbesserte er und staunte zum hundertsten Mal, wie glatt sein Vater lügen konnte. Wahrscheinlich war das eines von den Dingen, die man in seinem Beruf lernte.
 

"Aber es gefällt dir dort, nicht wahr, Donivan?" fragte seine Mutter ihn.
 

"Ja," sagte er und auf einmal merkte er, dass das stimmte.
 

Wendys Eltern nickten bedächtig.
 

"Hm, ja, das ist sicher gut," bemerkte Mabell, "... ... ...es gibt dort sicher auch viel mehr sportliche Gruppenaktivitäten als auf einer Privatschule, oder?"
 

"Richtig," Caden nickte, "Donivan hat dort auch bald ein Fußballspiel, um genau zu sein, am nächsten..." Wochenende? Erntedankfest? St. Nimmerleinstag? Mit langem Gesicht sah sein Vater ihn an.
 

"Wochenende," half er.
 

"...Wochenende," schloss Caden, "ja, das wird sicher ein Erfolg für ihn." Er verschwieg, dass definitiv weder er noch Lavinia bei diesem Spiel zugegen sein würden, weil er Fußball für einen Proletensport hielt und nicht den geringsten Grund sah, weshalb er seine Zeit damit verschwenden sollte. Was ihm, Donivan, sehr recht war!
 

"Oh ja," erklärte Mabell, "an der St. Martha's High findet ja auch bald wieder das Sommerpicknick statt. Das ist eine Tradition in Wendys Schule, wisst ihr, aber dieses Jahr..."
 

"...dieses Jahr," unterbrach sie ihr Mann begeistert, "dieses Jahr werden die Schülerinnen selbst kochen!" Er wuschelte seiner Tochter durch die sorgsam zusammengesteckte Frisur. "Ich bin mal gespannt, was meine kleine Wendy uns zaubern wird. Wirklich, ich freue mich."
 

Wendy lächelte, saß aber stocksteif da. Und bildete er sich das ein, oder versuchte sie gerade krampfhaft, die Tränen zu unterdrücken?
 

Es quietschte vernehmlich auf den Terrakottafliesen, als sie ihren schweren Stuhl zurück schob.
 

"Ich... ich..." begann sie hastig, wobei ihre Augen fahrig durch die Runde streiften. Dann blieb er an ihm hängen. "...zeige Donivan den Garten, in Ordnung? Donivan, kommst du?"
 

Ein flehender Blick. Schnell sprang sie auf und lief so schnell davon, dass er, der noch seinen Rucksack unter dem Tisch hervor kramte, Mühe hatte, sie einzuholen.
 

"Ein schöner Garten." "Ja." "Groß." "Hm-hm." "Mein Vater hat geholfen, ihn anzulegen." "Aha."
 

Sie liefen jetzt eine geschlagene Viertelstunde durch den in der Tat schönen, großen, von Wendys Vater mit angelegten Garten der Adlingtons und etwas Anderes als das war dabei bisher nicht herausgekommen.
 

"Ich zeig dir noch unsern Teich. Der ist ganz neu. Da gibt's Frösche und Goldfische, die ganz zerfressen aussehen. Japanische." rief Wendy und war auch schon auf den moosbewachsenen, extrem glitschigen Steg hinaus spaziert, der den flachen Tümpel teilte.
 

Er eilte hinterher, den Rucksack über der Schulter, als ihm etwas einfiel. "Ach ja. Ich hab dein Buch dabei." Er nahm den Rucksack ab und holte "Anne in Avonlea" heraus.
 

Erfreut drehte Wendy sich zu ihm um. "Ja? Hast du es gelesen?"
 

"Nun..."
 

Er hatte es gelesen. Wirklich. Obwohl es schwer gefallen war. Es hatte ihm nur überhaupt nicht gefallen. Er hatte es überspannt, naiv, kitschig, dumm, sinnlos, unlogisch, langweilig und realitätsfern gefunden.
 

"...ja."
 

Wendy kam auf ihn zu. "Ja? Und wie fandest du es?" fragte sie aufgeregt.
 

"Na ja..."
 

Erwartungsvoll sah sie ihn an.
 

"...es war nicht so ganz mein Fall." meinte er lahm.
 

"Nein?" rief sie enttäuscht, "Was mochtest du denn nicht daran? Doch nicht Gilbert, oder? Ich finde ihn toll!"
 

"Also..."
 

Tatsächlich hatte er Gilbert am allerschlimmsten gefunden. Dieser eingebildete, strohdumme, schleimige Kerl war ihm irgendwann so auf den Geist gegangen, dass er nahe daran gewesen war, alle Szenen mit ihm kurzerhand zu überspringen... was er letztendlich doch nicht getan hatte, da das Buch leider zu drei Vierteln daraus bestand, und er sich beständig von einer kleinen Wendy beobachtet fühlte, die auf seiner Schulter hockte und tadelnd die Augenbrauen hochzog. Was bei ihm lediglich für noch weitere Aggressionen gegenüber Gilbert gesorgt hatte.
 

"...ich mochte ihn nicht so."
 

"Ach? Und warum nicht?" erkundigte sie sich schnippisch.
 

Gute Frage. Wenn sie die Antwort denn hören wollte!
 

"Weil, liebe Wendy, solche Typen wie er auf dieser Welt leider nicht existieren - und es, nebenbei bemerkt, auch nicht könnten - und ich es darum extrem dumm finde, sie in Bücher einzubauen, die bei den Lesern vollkommen falsche Vorstellungen wecken und sie den Sinn für die Realität verlieren lassen. Ich meine, es ist ja klar, dass Mädchen solche Bücher lesen und mögen, aber..." erklärte er etwas gönnerhaft, wurde von ihr jedoch unterbrochen.
 

"So?" Sie fixierte ihn. Scharf. Ihr Blick war seltsam. Und ihre Stimme klang merkwürdig gepresst, als sie fragte: "Was liest du denn bitte schön für Bücher? Hm, Donivan?"
 

Damit hatte er nicht gerechnet. Darauf fiel ihm nichts ein.
 

"Ähm... ja... zum Beispiel... Sachbücher."
 

"Sachbücher!" Verächtlich stampfte sie mit dem Fuß auf.
 

Das hätte sie nicht tun sollen. Der altersschwache Steg erbebte und schüttelte sie beide kräftig durch, Wendys heißgeliebtes "Anne in Avonlea" entglitt seiner Hand und flog in hohem Bogen in den Teich. Fast in Zeitlupe schien es durch die Luft zu segeln, bis es schließlich auf der Wasseroberfläche aufschlug und die japanischen Goldfische an den Rande des Herzinfarkts brachte.
 

Wendy fing an zu weinen. Er fluchte, krempelte sich aus seinem Jackett und watete in das niedrige Gewässer, bemüht, das Buch zu fangen, ehe es endgültig unterging und im Morast verschwand. Wie ein Wilder angelte er nach ihm, doch immer wieder schwappte es weg, kaum dass er in Reichweite kam. Als er es schließlich hatte, war es aufgequollen und die Farben auf dem Umschlag in alle Himmelsrichtungen zerlaufen - und seine Klamotten sahen nahezu identisch aus.
 

"Wendy! Jetzt wein doch nicht! Komm! Es ist doch nicht so schlimm! Bitte!" bat er und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. "Ich trockne es dir, ich leg es unter den Bettpfosten, dann wird es schon wieder schön, ich kauf dir ein neues, ach was, zehn neue, zwanzig neue, wenn du willst, aber bitte, hör auf zu weinen..." Hilflos wedelte er mit dem ruinierten Buch, sodass ein paar Wassertropfen durch die Gegend spritzten, die nur zur Folge hatten, dass Wendys Tränenstrom noch heftiger wurde.
 

"Ich will kein neues," hörte er sie schluchzen, "ich will nicht, dass jemand über mein Buch lacht und ich will nicht zu diesem Sommerpicknick, ich will nicht, dass meine Eltern enttäuscht sind und ich will gar nichts..."
 

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Fast achtlos legte er das Buch auf seinem Rucksack ab, sah nicht einmal hin. Er stand nur da, ohne etwas zu tun und blickte sie an.

Er verstand sie. Oh, und wie er sie verstand. Er verstand, wie es war, wenn die Menschen, die man doch liebte, lieben wollte, Erwartungen an einen hatten, die man erfüllen musste, um von ihnen geliebt zu werden. Und wenn man stattdessen versagte, ihren Erwartungen zuwiderhandelte und mit Verachtung gestraft wurde.
 

Und er verstand nicht, warum er sie nicht einfach in den Arm nahm und ihr das alles erzählte, er verstand nicht, warum er die Hand von ihrer Schulter nahm, sich räusperte, verlegen sagte: "Jetzt komm schon. Ist doch alles halb so wild. Wann ist dieses Picknick denn?"
 

Vielleicht war auch er jemand, dessen Erwartungen nicht erfüllt worden waren.
 

"Es ist... am nächsten Wochenende..." flüsterte sie, ihre Stimme erstickt von Tränen, "es ist... meine Eltern werden kommen, und die ganze Schule wird dabei sein und zusehen, und ich werde kochen müssen, und alle werden probieren, und ich... ich kann nicht kochen. Ich kann es wirklich nicht. Ich hab es schon so oft versucht, aber immer kommt nur ungenießbares Zeug dabei heraus. Aber meine Eltern wissen das nicht... sie denken... sie denken, ich würde mich auf das Picknick freuen... das denken sie!"
 

"Wendy," begann er, wobei er sich bemühte, seinen Tonfall sicher und überzeugend klingen zu lassen, doch obwohl sie hier zusammen auf dieser wackligen Brücke standen und nur wenige Zentimeter sie trennten, schien irgendwie die Entfernung zwischen ihnen immer größer zu werden. "Wendy... du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst das bestimmt schaffen. Deine Mutter kann doch auch gut kochen, warum solltest du dann nicht..."
 

Ein Aufschrei unterbrach ihn. "Eben! Das ist es ja gerade! Sie kann kochen und ich nicht, und deshalb werden sie es nicht verstehen... deshalb..." Wieder schluchzte sie, wischte sich hastig mit der Hand über die Augen und senkte den Kopf.
 

"Wendy. Mach dir doch keine Sorgen," sagte er beschwichtigend, "schau... ich hab am Wochenende auch ein Fußballspiel an meiner Schule, und dann werd ich an dich denken."
 

"Ein Fußballspiel...?"
 

Er horchte auf, doch die Veränderung in ihrer Stimme war so wenig zu greifen wie der Wind.
 

"Donivan!" Ruckartig hob sie den Kopf, ihr Pony wirbelte durch die Luft und sie lachte auf. "Donivan! Darf ich mitkommen?" Allenfalls eine leichte Röte in ihrem Gesicht erinnerte noch an die Tränen, die sie eben geweint hatte.
 

Ihm war, als träfe ihn der Schlag, doch nicht schnell, heftig, sondern langsam, schleichend und deshalb um so unerträglicher.
 

"Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist - " wollte er sagen, aber sie strahlte ihn an, wie zu Beginn ihres Gesprächs viele Erwartungen zuvor, und meinte hoffnungsvoll: "Schau, wenn du meine Eltern fragst, dann werden sie nicht ablehnen. Sie werden höflich sein wollen. Und wenn ich dann sage, dass ich gern hingehen möchte, werden sie sich freuen und ja sagen und ich muss nicht zu diesem Sommerpicknick und kochen gehen!"
 

Und ich?, dachte er. Was werde ich müssen?
 

Aber als sie dann auf ihn zukam und ihn anlächelte und sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste, da wusste er, dass er wieder einmal verloren hatte.
 

Scheiße, dachte er. Scheiße!
 


 

(c) by Amber 2003



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2003-04-22T16:31:31+00:00 22.04.2003 18:31
Wieder mal sehr gelungen dieser Teil.
Die Beschreibungen der Eltern fand ich echt klasse. Besonders der Teil mit den extra angefertigten Schuhen ist gut.
Aber auch die Vorstellung wie Wendy (im Keinformat) Donivan immer wieder ermahnt, während dieser sich durch das Buch quält ist toll.
Auch die Endszene fand ich spitze. Das Männer weinenden Mädchen aber auch nicht widerstehen können.
Hoffentlich kommentiert auch noch mal jemand anders. Die Story ist nämlich wirklich gut.
Bye Jenny


Zurück