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Schneestürme aus der Hölle

ehemals 'Sie können dich zerbrechen'
von

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Betet für mich

Unter normalen Umständen dauerte es nicht so lange, wenn er sich auf die Jagd begab. Unter normalen Umständen bedeutete dies vielleicht ein paar Stunden, selten mehr als ein oder zwei Nächte unter freiem Himmel und bestimmt nicht länger als eine Woche blieb er seiner Behausung fern, wenn es sich ‚nur‘ um eine simple Jagd handelte. Unter normalen Umständen würde er nach so vielen Tagen und schon angebrochenen Wochen einen Rückzug antreten und wenigstens einmal duschen gehen; er stank erbärmlich, das wusste Michael. Wie gesagt, er war zwar nicht die sauberste Person, doch auf Pilzbefall legte er nun einmal keinen Wert.

Leider befand er sich nicht unter normalen Umständen.
 

„Leider? Das ist großartig“, stieß er plötzlich auf seine Gedanken antwortend aus und erntete einen fragenden Blick von Camael, was ein weiterer ihn störender Faktor war: Er wollte alleine jagen gehen, da hatte sein Berater nichts an seiner Seite verloren. Michael verabscheute es; diesen pflichtbewussten Teil in Camael, der ihn oft nicht von der Seite des Feuerengels weichen ließ. ‚Berater‘ war nur eine angepasste Bezeichnung an ‚Aufpasser‘, wie Michael empfand, denn er konnte sich nicht erinnern, je einen wirklichen Rat von dem Engel mit dem Metall im Gesicht eingeholt zu haben. Zumal hatte er sich nie selbst dazu entschieden, diesen Fremden in seine Nähe zu lassen. Ein Befehl von weiter oben; vermutlich, um die Aktivitäten des Feuerengels besser kontrollieren zu können.
 

Blöd, dass ich ausgerechnet dann vergesse ihn zu informieren, wenn wirklich ‚wichtige‘ Momente anstehen schoss es Michael durch den Kopf, während der Wind seine Wangen streifte. Er konnte diesen Anstandswauwau einfach nicht immer gebrauchen, er bedeutete immer irgendwie eine Art Behinderung für den Rothaarigen. Dass dieser sich gerne frei bewegte und grundlegend ignorierte, was der geschätzte Rat des Himmels mit seiner engstirnigen Politik verfolgte, machte ihn und den neben ihm fliegenden Camael nun nicht gerade zu guten Freunden. Wie gesagt, er duldete ihn.
 

Doch er wusste auch, dass er neugierigen Fragen nicht entgegenkommen brauchte, denn Camael fragte ihn fast nie, was er vorhatte. Wie oft er sich schon schweigend Michaels Wünschen gebeugt hatte, ließ sich nicht einmal mehr zählen, doch in einer Sache konnte er ihm leider nicht gehorchen und ging seine so bedingungslos geforderte Treue doch sogar bis hin zum Mord im Namen seines Herrn: Er könnte ihn nicht allein lassen, sollte er einmal von den unzähligen Ausflügen Michaels rechtzeitig genug Wind bekommen, um diesen auch zu begleiten. Sei es nun wirklich der vor Jahrhunderten ausgesprochene Befehl ein Auge auf den Erzengel zu werfen oder inzwischen verinnerlichte Sorge um das oftmals gefährdete Wohl Michaels… das konnte Camael nicht sagen.
 

Sorge mag für viele vielleicht übertrieben, denn immerhin war der kleine Körper vor ihm eine einzige, durchtrainierte Waffe; der Engel des Feuers hatte ein beinahe schon beängstigend gutes Gespür für Gefahren, sein Gehör war dank vieler Schlachten geschult genug, um die leisesten Laute als potenzielle Gefahr auszumachen und wenn in ihm alle Stricke rissen, war da noch immer die Macht des Feuers, die er noch loslassen konnte, um wirklich alles und jeden bis auf die Knochen zu verbrennen. Doch trotz der Kraft und unumstrittenen Erfahrung in ihm war auch etwas in Michael, das man nicht missachten durfte; er war hochgradig paranoid und witterte in jedem Fremden – oder auch Bekannten, das war von seiner Laune abhängig – eine potenzielle Bedrohung.
 

Camael schloss die Augen, als er an eine Szene weit in der Vergangenheit zurückdachte. Natürlich war Michael nicht unverwundbar, wenn dem so sei, wären Raphael viele Überstunden erspart geblieben. Ihm geschah fast jedes Mal etwas, nur befand er es meist nicht für notwendig, jemanden ungewollt nah an sich heranzulassen, damit die Brüche und Schnitte versorgt wurden. Nun, manchmal wurde ihm diese Entscheidung jedoch abgenommen, nämlich dann wenn er vor Schmerz oder gar Blutverlust das Bewusstsein verlor. So wie damals, als ihm der Flügel brach. Das war weiß Gott keine leicht zu bewerkstelligende Verletzung, aber irgendwie hatte es ihn getroffen und der Schmerzensschrei, den Michael von sich gegeben hatte, hallte noch heute im Gehörgang des Beraters wider.
 

Dass er daraufhin abgelenkt und ein nur zu leichtes Opfer war, bewiesen die vielen Prellungen und blutenden Stellen an Armen und Beinen, ehe er den Übeltäter zu Asche verwandelt hatte. Auch einer seiner Soldaten hatte einen Fausthieb einstecken müssen, nachdem er Besorgnis gezeigt hatte und ihm helfen wollte, doch bald schon brach Michael unter der Last des Schmerzes zusammen und Camael hatte ihn zu Raphael gebracht. Aber auch direkt zu Raphael, kein anderer Heiler sollte Hand an den Rothaarigen legen; er würde vor Wut platzen, wenn ihn eine der Frauen behandelte oder ein fremder Arzt die Kleidung von seinem Körper schnitt; insofern er denn dann wieder wach war.
 

Den Umständen entsprechend war Raphael damals wirklich ruhig geblieben, doch er hatte sich auch ebenso gesorgt, wie Camael es oft tat. Es war Zufall, dass er noch mitbekommen hatte, wie Michael kurzweilig zu Bewusstsein kaum und schlagartig nach der Hand des blonden Engels geschlagen hatte, als dieser seine Stirn befühlen wollte. Der Ausdruck in den hellen Augen war reine Angst gewesen; Angst, dass man ihm weitere Schmerzen zufügen würde, denn mehr als einen Schatten dürfte er wohl nicht von Raphael erkannt haben.
 

Camael öffnete wieder die Augen, während er auf die Absätze von Michaels Stiefeln blickte. Ja, der Krieg und die vielen Kämpfe außerhalb der eigentlichen Aufträge hatten dem Kopf des Elementarengels nicht gut getan, vermutlich konnte er sich selten wirklich entspannen. Da war er nicht der Einzige, viele der Soldaten verarbeiteten das Erlebte, indem sie entweder Alkohol konsumierten oder aber nervöse Ticks entwickelten; ein Zucken mit dem Auge, eine unruhig flatternde Hand, das Wackeln mit dem Bein, wenn sie nicht in Bewegung waren. Und sie alle reagierten misstrauisch auf beinahe alles, was sie nicht vorhersagen konnten.
 

„Camael.“ Michael stoppte im Flug und setzte zur Landung an, kam mit einem leisen Geräusch auf einer Gesteinsplatte an, während hinter ihm der andere Engel folgte. Er antwortete nicht auf die bloße Nennung seines Namens, doch Michael wusste, dass er ihm zuhörte; es wäre unverzeihlich, wenn er noch einmal nachfragen müsste, was der Feuerengel gerade von ihm wollte. „Was denkst du?“
 

Michael wandte sich um und sah deutlich, dass er ihn damit aus dem Konzept gebracht hatte. Keine Gesichtsregung verriet ihm dies, er kannte ihn einfach gut genug. Schließlich ließ sich der größere Engel Zeit mit seiner Antwort; an sich keine Neuigkeit, doch er wusste es einfach. „Ich verstehe nicht“, antwortete er schließlich der Wahrheit nachkommend, was Michael mit einem Zucken des Mundwinkels quittierte; missbilligend. „Natürlich nicht…“ Eine kurze Stille trat ein, während der Rothaarige sich wieder umdrehte und seinen Blick über das verwüstete Plateau streifen ließ. Seitdem die Dämonen die Stützpfeiler zerstört hatten, hatte er eigentlich reichlich zu tun, doch dies war schon mehr als zweihundert Jahre her. Und es hatte sich vieles verändert, was Michael nur mit bitterer Erkenntnis hingenommen hatte.
 

Zum einen wäre da der Tod des Messias und seiner Schwester; dass diese sich bis im hohen Alter zur Seite stehen würden, hätte er wirklich nicht gedacht. Dann ein mehr oder weniger gut situierter Waffenstillstand; allein der Gedanke auf Luzifer zu treffen und diesen nicht in Stücke reißen zu wollen war trotz der Erkenntnis ihrer gegenseitigen Liebe zueinander schon beinahe eine Art Frechheit. Und leider auch Alexiel, wie sich zum Bedauern des Feuerengels rausgestellt hatte, denn nachdem diese Rosiel in sich aufgenommen hatte, nahm sie wieder eine hohe Position im Himmel ein. Sie kam ihm nicht in die Quere und ließ ihm seine Freiheit, aber dennoch störte ihn der Gedanke dass sie der Grund war, weswegen er Jahrtausende auf einen vernünftigen Zweikampf mit seinem Bruder hatte verzichten müssen, rannte dieser ihr doch von Epoche zu Epoche nach wie ein räudiger Köter.
 

Das ist nicht gerade nett, was du da denkst erinnerten ihn seine Gedanken und es zeichnete sich ein grimmiges Lächeln auf den dünnen Lippen ab. Nein, das war es nicht, aber niemand erwartete von ihm, dass er es war, oder? Doch, jeder, aber sie wussten es besser und akzeptierten den verdrehten Charakter lieber, statt sich mit ihm zu konfrontieren. Feiglinge jagte es ihm wieder durch den Kopf und er konnte es nicht unterlassen, angewidert auf den Boden zu spucken. Überall Feiglinge, was ist nur aus uns geworden? Und diese Frage brachte ihn an den Punkt: Was war aus ihm geworden?
 

Sollte Camael sich nur weiterhin den Kopf darüber zerbrechen, was seine Worte bezwecken wollten, Michael beschäftigte sich nun doch lieber wieder mit sich selbst und ließ sich auf einen kleinen Felsen sinken. Ab wann ist ein Fels eigentlich kein Fels mehr sondern ein Stein? Ach, machst du dir nun schon über so einen Scheiß Gedanken, um nicht über dich selbst nachdenken zu müssen?

Dass er so zynisch mit sich selbst umgehen konnte, war ihm ja doch bekannt, dennoch gefiel ihm nicht, dass seine Gedanken sich gegen ihn stellten und er kickte etwas von sich weg, dass entweder Stein oder Fels war.
 

Wo waren wir? Ach, bei mir. Ja, was ist los…

Das war eine wirklich gute Frage, denn er hatte seit langem keine Antwort mehr, wer oder was er eigentlich war. Du bist der verdammte Heerführer der verdammten Armee des verdammten Himmels! Was auch sonst? Natürlich war er das, so würde es auch bleiben, bis er sein Ende fand und in ein Grab geschickt wurde und eines war sich Michael wenigstens sicher: Wenn er starb, dann im Kampf und ihn durfte niemand Geringeres töten als Luzifer selbst.
 

Das bringt uns aber nicht weiter. Welche Armee eigentlich? Armee wofür? Die Dämonen, die seit was-weiß-ich wie lange am Wideraufbau der Hölle beteiligt sind? Und diesem scheiß Friedensvertrag mehr Gehör schenken als ihren niederen Instinkten, die sie zum Töten und Quälen auffordern?

Er knurrte leise vor sich hin, knirschte dabei mit seinen Zähnen und spielte etwas mit dem… was-auch-immer auf dem er saß und seiner Hand, in der sich Flammen durch die Finger leckten. Wenn ich lange genug durchhalte, bist du am Ende verschwendete er einen weiteren Gedankengang an seine Sitzgelegenheit und neigte den Kopf kaum merklich auf die Seite, als Camael hinter ihm ein Geräusch von sich gab; er hatte seine Flügel gefaltet, kein Grund zur Besorgnis. Vielleicht sollte er selbst sie endlich einmal einziehen, denn die langen Federn ganz außen hingen achtlos im Staub. Und wenn schon.
 

Gut, ich bin Heerführer einer Armee, die gerade niemand braucht. Ich gehe auf eine Jagd, die ohne Beute nicht stattfinden kann und ich sitze auf einem… Ding von dem ich nicht weiß, was es eigentlich ist. Kann ich Gestein sagen? Gilt doch für beides?

Mürrisch klopfte er mit der Hand auf dem Stein herum, rutschte dann aber mit einem Schwung herunter und setzte sich direkt auf den staubigen Boden. Das war ein Felsen, jetzt hatte er wenigstens deswegen seine Ruhe.
 

„Michael-Sama?“

„Ist dir inzwischen eingefallen, was du denkst?“ Langeweile schwang in seiner Stimme mit, während er mit den Fingern im Staub Kreise zeichnete. Gut, Eier…

„Nein.“ „Dann denk weiter nach, ich würde es wirklich gerne erfahren.“

„Wie Ihr wünscht.“ Camael setzte sich nicht, das erlaubte sein Pflichtbewusstsein ihm nicht. Irgendwie erinnert er mich an Katan, den treuen Trottel durchwanderte der nächste Gedanke den Kopf des Rotschopfes. Er hatte nichts gegen Rosiels persönlichen Diener, denn dieser hatte trotz seiner Loyalität noch einen eigenen Kopf. Gut, vielleicht war Camael doch nicht ganz wie Katan.
 

„Camael?“

„Ja?“

„Wer bin ich?“

Wieder kehrte Schweigen ein, denn diese irrationale Frage aus dem Mund des Feuerengels stellte eine Belastungsprobe für Camaels Nerven dar; was wollte er nun hören? Die philosophische Antwort auf ein Lebewesen mit schlagendem Herzen und einer starken Seele oder eine rein sachliche Auskunft über Namen und Herkunft?

Schließlich entschied er sich für die Wahrheit.
 

„Ihr seid Michael, der Erzengel des Feuers, Kronprinz des Lichts und Führer der himmlischen Heerscharen.“

Ein Seufzen war zu vernehmen. „Das hatte ich befürchtet.“
 

Da liegst du etwas falsch, Camael. Mal wieder. Zu den Kreis-Eiern gesellten sich nun fünfzackige Sterne, die er in der beliebt einfachen Version des Pentagramms zeichnete, dann mit der Hand durch die Kritzeleien fuhr und wieder von vorn anfing.

Ich bin Michael, der keine Verwundung für sich findet und aus lauter Langeweile heraus seit einigen Monaten immer mal wieder den Weg in Raphaels Bett findet. Ich bin Michael, der es vermisst sich zu prügeln und dem selbst die Erde im Moment nichts zu bieten hat. Ich bin der, den man gerade nicht braucht.
 

Und das war ein furchtbarer Gedanke, denn so sehr er auch in Selbstmitleid getränkt war, entsprach er doch der Wahrheit. Leider einer solchen, die ihn Jahrtausende nicht ereilt hatte und allen Willen zu Trotze einen bitteren Beigeschmack hinterließ.

„Ich denke…“, setzte es plötzlich hinter ihm an und der Feuerengel blickte über die eigene Schulter auf den wie immer gerade stehenden Camael. „Ich denke, wir sollten umkehren. Ihr habt seit Wochen nichts getan als Euch die Gegend anzuschauen.“ „Stellst du mich gerade in Frage…?“ „Nur Eure Langeweile. Verzeiht.“
 

Einige Atemzüge lang musterte Michael seinen Berater – Anstandswauwau – ehe er sich erhob und den Staub von der ohnehin verdreckten Hose klopfte, seine Schwingen spannte. „Lass uns gehen. Ich bin müde.“ Er sah den Anflug von Erleichterung in Camaels Gedanken einkehren, als auch dieser sich mit ihm in die Lüfte erhob und seufzte innerlich auf. Müde vom Nichtstun.
 

„Flieg weiter, ich halte noch bei Raphael an.“ Warum er das tat, ging Camael nichts an, doch es war nicht aus dem Grund um wieder in dessen Bett zu steigen. Nein, er hatte sich eine Blessur zugezogen; ein eigentlich nichtiger Grund doch es war ihm lieber als die bedrückende Stille in seinem Thronsaal und so trennten sich ihre Wege unmittelbar über dem Krankenhaus, in dessen Innenhof der Feuerengel landete, dann langsamen Schrittes in Richtung des Büros ging, in welchem Raphael sich meist aufhielt; wenn er nicht gerade bei einem Patienten war und genau dies schien der Fall zu sein, denn er begegnete ihm schon auf dem Gang.
 

Erst schien er ihn nicht zu bemerken, denn Raphael schlug einen anderen Gang ein, der unmittelbar an dem grenzte, in welchem Michael sich befand, doch nur wenige Sekunden später sah man ihn mit fragendem Blick zurückkehren. Schließlich stach der Haarschopf des Feuerengels dermaßen hervor, dass er ihn einfach nicht übersehen konnte und so drehte er sich zu ihm, kam mit raschen Schritten und wehendem Kittel auf den Kleineren zu, ein Ausdruck tiefster Besorgnis in den Augen; auch, wenn sein Gesichtsausdrück verschlossen bleiben sollte.
 

„Mika-Chan, du hinkst.“

Arzt dachte der Angesprochene sofort, denn selbst Camael hatte nichts gesagt; dazu reichten Blicke meist aus, er musste es ja nicht zwangsweise aussprechen.

„Was geht’s dich an?“ „Riskier nicht so eine dicke Lippe, lass mich das ansehen“, wurde er unterbrochen und an den Schultern gepackt, schließlich gedreht und ein Stück weit geschoben, ehe er sich mit einer herrischen Bewegung losmachte und in Richtung des Behandlungszimmers schlenderte, welches ihm nur zu vertraut war. Immer frei, denn es war einer von Raphaels Räumen und wenn dieser auf den Fluren anzutreffen war lag der Schluss nahe, dass sich niemand dort befand, oder?
 

„Setz dich auf die Liege und zieh den Schuh aus. Wann hast du das letzte Mal gebadet…?“

„Könnte ein oder zwei Wochen her sein“, wurde die freche Antwort in den Raum gestellt und jetzt bemerkte er auch wieder den beißenden Geruch, der von ihm ausging. Irgendwie lag Häme in seinen Augen, als der blonde Engel nun doch zu Latexhandschuhen griff. „Mein Rat als Arzt: Geh baden. Dir wachsen sonst noch Pilze in den Ohren. Von anderen Regionen fang ich gar nicht erst an.“
 

Es war nicht der offensichtlich widerwärtige Geruch und auch nicht, dass der Feuerengel trotz all seiner Beherrschung beim Auftreten mit dem rechten Fuß immer wieder abknickte, was Raphael einen Stich versetzte. Auch hatte er nicht erwartet, dass der Kleinere sich ‚mal bei ihm melden‘ würde; nein, das war ihm fast schon alles egal. Es waren einfach – wie so oft – Michaels Augen, die ihn verrieten. Wenn er nahe am Rande der Verzweiflung war, wenn er vor Wut überschäumte, wenn er in absoluter Ekstase eines Kampfes oder – seit Neustem – eines Liebesspiels war… es waren jedes Mal unterschiedliche Ausdrücke, die in den goldenen Augen lagen aber schon lange hatte er nicht mehr gesehen, dass der Feuerengel sich oder zumindest einen gewissen Anteil von sich selbst aufgab.
 

Zwei Stiefel flogen auf den Boden; scheinbar hatte er keine Lust, sich für eine Seite zu entscheiden, was aber auch egal war. „Tut mir Leid aber ich sprüh dich mal etwas mit einem Deodorant ein…“ „Wage es nicht.“ „Mika-Chan du stinkst! Und das nicht zu wenig.“ Eine kleine Hand hielt ihn am Kittel fest und unpassend zu diesem zierlichen Körper wurde er mit einer enormen Kraft nach unten gezogen, dass seine Nase fast gegen die des anderen Erzengels stieß. „Was meinst du, wie es unter den Klamotten riecht…“ Er grinste ihn ja so gewaltig dreckig an…

„Das ist ekelhaft“, kommentierte der Blonde, machte sich aus dem Griff wieder los und ertrug sein Schicksal, einen müffelnden Mika-Chan zu verarzten; dessen Socke war verklebt von Schweiß und ganz offensichtlich auch Dreck. „Bist du etwa ohne Schuhe mit Socken drau0en rumgelaufen?“
 

„Gelegentlich“, kam die amüsierte Antwort zurück und Raphael konnte nur seufzen, zog seinen Stuhl zu sich heran und setzte sich vor ihn, legte sich das betroffene Bein auf den Schoß, ehe er mit spitzen, in den Latexhandschuhen steckenden Fingern die Socke vom Fuß zog. „Dir macht es furchtbar Spaß, wenn ich mich ekel, oder?“

„Jup.“

„Na herzlichen Glückwunsch… ist das ein toter Käfer?“ Mit Skepsis beäugte er die schon krümelnde Socke und das, was an ihr klebte. „Oh, da müssten mehrere drunter kleben.“

„Mika-Chan ich sollte dich rausschmeißen für diese Abartigkeit!“

„Und warum tust du es dann nicht?“

„Weil da leider auch eine Menge Blut dran war und das ist nicht erst von heute. Krieg ich die Geschichte dazu erzählt?“ Er setzte sich die Brille auf die Nase und hob den dreckigen seines Patienten an, verzog wieder das Gesicht und tastete neben sich nach den Desinfektionstüchern, reinigte dann erst einmal vorsichtig die Umgebung von dem, was er da behandeln sollte.
 

„Bin in was reingelatscht.“

„Das seh ich, geht’s auch etwas genauer?“

„Du tust mir weh!“

„Tut mir Leid mit Dreck arbeite ich für gewöhnlich nicht“, murrte Raphael und warf das erste Tuch weg, nahm sich ein zweites. „Mit Barfuß bist du auch rumgelaufen oder hat sich der Dreck durch deine Socken gefressen? Sag mal ist die Haut verbrannt?“

Schweigen schlug ihm entgegen, was Raphael entgeistert blinzeln ließ. „Mika-Chan…“

„Nenn mich nicht so! Hey!“ Mit einem kräftigen Ruck am Fußgelenk rutschte er unweigerlich etwas vor, dann rückte sich der Heiler die Brille zurecht und betrachtete die Fußsohle genauer.
 

„Mehr Informationen wären trotzdem ganz reizend von dir, Michael.“

Ein Schnaufen, während sich der Rotschopf wieder etwas aufrichtete, seinen Fuß weiterhin auf Raphaels Bein.

„Hatte keine Schuhe an, bin rumgelatscht zum Pinkeln, plötzlich Schmerz, aua, aua… hab versucht, das Ding raus zu brennen, ging nicht, bin hier, du meckerst… das war’s.“

Er erntete einen kurzen Blick, dann erhob sich der Windengel und kramte in einer Schublade nach etwas herum, kehrte schließlich mit einer Mullbinde und einem Fläschchen voll Irgendwas zu ihm zurück, zog eine Pinzette aus einem Regal. „Was? Kannst du’s nicht einfach so heilen?“

„Leider ist die Wunde etwas zu alt, um sie so zu heilen. Wann genau war das?“ Er setzte sich wieder, legte sich erneut Michaels Fuß auf das Knie und rückte noch einmal die Brille zurecht.
 

„Drei Tage her glaub ich…“ Der Feuerengel seufzte nun hörbar, ließ sich flach auf den Rücken sinken und breitete die Arme auf der Liege aus, schloss die Augen. Raphael anflehen, ihn bitte zu betäuben? Klar, damit er danach hinkte wie ein Einbeiniger auf Stelzen? „Das mit dem Rausbrennen war nicht so klug, Mika-Chan…“ „Willst du mir nun ‘ne Predigt halten…?“

„Ja, das gehört leider zu meinem Job. Wenn ich schon einen müffelnden Engel behandeln muss, dann kann der sich wenigstens etwas anhören. Jetzt halt still bitte.“
 

Ein ziehender Schmerz glitt durch den rechten Fuß und jagte das Bein des Rothaarigen hoch, welcher die Zähne aufeinanderbiss und eine Anspannung im Brustkorb ansammelte, bei welcher er die Luft anhalten musste. Millimeter für Millimeter spürte er, wie sich der Fremdkörper in seinem Fleisch entfernte und schließlich blieb der sengende Schmerz zurück, als das Ende aus seinem Körper geglitten war. Der Druck war weg und auch den in seiner Brust löste er mit einem angestrengten Stöhnen, atmete einmal tief ein. Ein Tuch wurde an die Fußsohle gepresst, dann wischte der Arzt ihm wieder mit einem Desinfektionstuch über die wunde Stelle.
 

„Mitten in eine Kralle bist du gelaufen. Wahrscheinlich von einem Dämon, den du mal getötet hast.“

„Welch Ironie“, presste der Feuerengel hervor und setzte sich schließlich wieder auf, als Raphael ihm noch den Verband um den Fuß wickelte. „Eigentlich würde ich dich nun noch gerne nach eventuellem Pilzbefall untersuchen – schau mich nicht so an, ich habe in der letzten Zeit gebadet! – aber ich befürchte, ich würde vom Gestank umkippen. Du solltest dich waschen, wirklich. Dieses Mal im Namen eines Freundes und nicht des nervigen Arztes, okay?“ Nun legte Raphael ein dreckiges Grinsen an den Tag. „Und als Freund werde ich dir sehr gerne dabei helfen, richtig sauber zu werden.“

„Du meinst…“

„Oh ja, mit Seife.“
 

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Was hat mich denn da geritten? Auf jeden Fall hatte ich meinen Spaß beim Schreiben aber meine Sorge, ich will die beiden nicht verarschen Oo die Geschichte bekommt noch einen ernsteren Charakter ;)
 

Bis nächstes Mal

I.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Mad-Panda
2012-01-22T19:29:26+00:00 22.01.2012 20:29
Tolles FF :)
Fand den Erstenteil ja schon gut aber der hier gefällt mir noch besser...
Bin gespannt ob Raphie Mika irgendwann wieder sauberbekommt XD

Also schön weiterschreiben


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