Zum Inhalt der Seite

Alea Iacta Est

Partner-FF by Corab & Night_Baroness
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Guten Appetit

Es stank. Das war das erste, was ihm auffiel und es traf ihn mit einer solchen Wucht, dass er am liebsten erneut das Bewusstsein verloren hätte. Er war sich ziemlich sicher, dass es so riechen musste, wenn ein Mensch mitten im Verwesungsprozess stand, zerfressen von Zeit und Maden, weshalb er es nicht wagte, die Augen zu öffnen. Stattdessen kniff er sie noch fester zu, als könnte er sich so der Bilder erwehren, die vor seinem geistigen Auge wie Szenen aus einem Horrorfilm auftauchten.

Das ist nur ein Traum, dachte er. Ein furchtbarer Traum aus dem ich gleich erwachen werde.

Aber konnte man Gerüche träumen? Konnte etwas, das so intensiv war, dass man glaubte, es raube einem alle Sinne, wirklich nur vom eigenen Verstand erschaffen sein, ein albernes Trugbild? Er schauderte und versuchte mit aller Kraft seine Atmung allein auf den Mund zu konzentrieren, zu sehr quälte ihn der Gedanke erneut etwas von dem scheußlichen Gestank in seine Nase zu bekommen.

„Ach, du bist wach?“

Erschrocken über die plötzliche Nähe der fremden Stimme, wich er zurück. Die Fesseln verhinderten, dass er sich wirklich bewegen konnte, sodass er lediglich etwas hilflos von ihr wegrobbte. Aber das war nicht das Schlimmste. Das war das, was er sah, nachdem er seine Augen vor Überraschung aufgerissen hatte – dieses Monster hatte ihn direkt in die Hölle gezerrt. Der dunkle Keller, in den man ihn verfrachtet hatte, war nur spärlich ausgeleuchtet, doch es reichte, um das Ausmaß der Schrecklichkeit, die ihn umgab, zu erfassen. Überall, egal wohin er blickte, sah er verwesende oder schon fast vollständig verrottete Kadaver, die zweifellos der Ursprung des Geruchs waren. Ob ihre Natur menschlich war oder nicht, ließ sich in manchen Fällen nicht einmal mehr sagen, so verknotet, zerfetzt und verworren waren die skurrilen Gebilde. Direkt vor ihm löste sich ein schleimiger Klumpen aus einem braunen Etwas, das wohl einmal der Torso eines Hundes gewesen sein musste und fiel mit einem schmatzenden Geräusch zu Boden. Als er eine fette, sich windende Made erkannte, gab es kein Halten mehr. Er beugte sich nach Vorne und kotzte sich die Seele aus dem Leib, hätte die Urheberin der Stimme nicht beherzt zugegriffen und den Knebel aus seinem Mund gerissen, wäre er wohl daran erstickt, doch so ergoss sich die bräunliche Masse nur über die kriechende Larve und nahm ihm die Chance, sich augenblicklich von seinem Leid zu erlösen.

„Na na, das ist in Gegenwart einer Dame aber unhöflich.“, tadelte sie ihn auf eine grausame Art und Weise amüsiert.

Obwohl ihm immer noch Speichelfäden und Krümel seines Erbrochenen in den Mundwinkeln hingen, hob er den Kopf.

Sie ist verrückt, dachte er als sein Blick immer weiter nach oben wanderte, bis er schließlich beim Gesicht angekommen war. Diese Frau hat all diese Lebewesen umgebracht und hier verwesen lassen, sie ist vollkommen wahnsinnig und ich bin in ihrer Gewalt.

Ich bin ihr ausgeliefert.

„Wo bin ich hier?“, fragte Miyoshi leicht benebelt, sichtlich bemüht, so wenig wie möglich von der stinkenden Luft einzuatmen.

Etsuko lachte. „In deinem neuen Zuhause. Ist es nicht schön, wenn Straßenköter jemanden finden, der ihnen ein neues Heim gibt?“

Seine Augen weiteten sich, als könnte er immer noch nicht glauben, dass das, was er gerade erlebte, real war.

„Mein neues Zuhause? Ich soll hier bleiben?“, stotterte er angsterfüllt.

„Keine Sorge, du wirst dich sicher schnell eingewöhnen, dafür werde ich schon sorgen.“

Sie zwinkerte ihm zu und lächelte so warmherzig, dass ihm augenblicklich wieder übel wurde.

„Du bist KRANK!“

„Krank? Ich bitte dich. Krank ist jemand, der wahllos Menschen umbringt und ihnen keine Chance lässt, ich aber mache ihnen nur bewusst, wie kurz das Leben ist und wie sehr es vom Zufall abhängt. Keines meiner Opfer hat wirklich gelebt, sie alle haben darauf gewartet, dass etwas passiert, dass ihr Schicksal sich erfüllt und jetzt müssen sie eben die Folgen tragen, das ist Gerechtigkeit.“

„Opfer?“ Panik ergriff ihn. „Du meinst, du hast noch mehr Menschen getötet?“

Entsetzt sah er sich um und versuchte, in dem Gewirr aus Körperteilen etwas Menschliches zu entdecken.

Sie zuckte nur mit den Schultern. „Darüber können wir später noch genug plaudern.“

Wenn mein Ehrengast eingetroffen ist.

Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sie sich zum Gehen, gerade als sie den Keller verlassen wollte, hörte sie jedoch ein markerschütterndes Schluchzen.

„BITTE!“, wimmerte das Ding, das sie in einer Ecke ihres Schlachtraumes abgeladen hatte. „Bitte lass mich gehen, ich sag auch keinem was – ich…“, erneut unterbrach ihn furchtbares Schluchzen. „Ich will nicht sterben.“

„Das liegt ganz bei dir.“
 

Nachdem sie gegangen war, schrie und heulte er so laut er konnte. Obgleich es aussichtslos schien, konnte er die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihn irgendwer hören würde.

Die Tiere hat auch niemand gehört.

Die Menschen vielleicht auch nicht.

Aber ich kann es nicht akzeptieren. Ich kann nicht sterben.

Ich muss leben.

Langsam öffnete er die verquollenen Augen.

Ohne diese Hoffnung werde ich wahnsinnig hier unten.

Jetzt erkannte er, warum die Frau überhaupt bei ihm gewesen war. Direkt neben ihm stand eine kleine Schüssel, gefüllt mit braunen Bröckchen. Daneben lag ein Zettel auf den jemand mit beinahe kalligraphisch verschnörkelten Zeichen „Guten Appetit“ geschrieben hatte.

Schluckend betrachtete er das Hundefutter. Er begann erneut zu weinen.
 

Die Nacht legte sich wie ein dunkler Mantel über die Stadt und begann damit, Licht um Licht langsam zu ersticken, als handelte es sich um Kerzen, die dem Sauerstoffmangel nachgaben. Etsuko liebte diese friedliche Stille, in der sie sich lautlos wie ein Schatten bewegen konnte. Geschmeidig glitt sie an der Wand entlang, die Ohren gespitzt, bereit, jederzeit in Deckung zu gehen.

In letzter Zeit komme ich ja kaum noch zu etwas anderem, dachte sie schmunzelnd, wurde dann aber sofort wieder ernst und lauschte angespannt. Sie durfte sich diesmal keinen Fehler leisten. Der Wagen stand nur ein paar Meter von ihr entfernt, die Augen vollkommen erloschen, während die Scheiben die Lichter der vereinzelten Laternen spiegelten.

Als würde es schlafen. Eine finstre, tote Maschine inmitten einer schweigenden Dunkelheit, wie poetisch. Ein Jammer, das niemand heutzutage mehr einen Sinn für so etwas hat.

Leicht geduckt sprang sie in Richtung des Autos, wohlbedacht dem fahrigen Licht der Straßenlaterne nicht zu nahe zu kommen. Obgleich sie nicht damit rechnete, beobachtet zu werden, war es besser, kein Risiko einzugehen. Sie hatte das letzte Mal schon gesehen, wie das enden konnte und keine Lust darauf, eine Wiederholung zu erleben.

Glücklicherweise schien ihr der Zufall diesmal tatsächlich in die Hände zu spielen und das nicht zu knapp. Der schöne alte Wagen der Hattoris – ein Hochzeitsgeschenk der Eltern der Braut – war ihr schon bei ihrem ersten Besuch aufgefallen. Anscheinend hatte der gute Heiji eine Schwäche für Oldtimer, etwas, das sie sich zunutze machen konnte. Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, unentdeckt geblieben zu sein, holte sie einen kleinen gelben Tennisball heraus und schnitt ein Loch in die Oberfläche. Hastig presste sie ihn gegen das Schloss einer der hinteren Türen des Autos und schlug mit einem kleinen Hammer gegen den Ball. Im nächsten Moment hörte man ein Klicken im Inneren des Wagens, der Luftdruck hatte den Verschließmechanismus entriegelt. Etsuko steckte ihr Werkzeug zurück in ihre Tasche und kroch ungehindert auf die Rückbank.

Besser kann es gar nicht laufen.

„Ja, natürlich, ich komme sofort.“

Erschrocken zuckte sie zusammen und schloss die Tür so leise wie möglich. Durch das kleine Fenster über ihr konnte sie erspähen, dass Heiji in ihre Richtung hetzte, in der Hand sein Handy, die Jacke nur halb angezogen – offensichtlich hatte er gerade einen wichtigen Anruf erhalten, denn eigentlich hatte er bereits Dienstschluss?

Ihr blieben nur noch wenige Sekunden, bis er bei ihr im Auto sein würde. Schnell griff sie nach einer Decke, die neben ihr sorgfältig zusammengelegt war und rollte sich nach vorne in den schmalen Raum zwischen Rückbank und Vordersitz, die Decke schützend über sie gelegt. Solange Hattori seinen Sitz nicht verstellte, würde sie genügend Platz haben und sie bezweifelte, dass er sich in seiner Eile damit aufhalten würde. Die vordere Tür schwang auf und Heiji stürzte schwer atmend hinein. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sich anzuschnallen, sondern startete sofort den Motor. Das Telefon hatte er sich zwischen Schulter und Ohr geklemmt, Etsuko hatte die Decke an einer Stelle etwas zur Seite geschoben und beobachtete ihn ruhig. Sie hatte überlegt, ihn sofort zu schnappen, nachdem er das Auto betreten hatte, da es zu riskant wäre, zu warten, bis er den Wagen in Bewegung gesetzt hatte, doch irgendetwas hinderte sie daran.

„Kudo hat WAS?“

Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

Shinichi Kudo, was hast du getan? Welche Opfer hast du schon gebracht, um mich zu schnappen?

Sie zog sich wieder etwas weiter in die Schatten zurück und lauschte dem Gespräch, während Hattori das Gaspedal durchdrückte und losfuhr.

„Er ist ins Gefängnis eingedrungen?“, hauchte er fassungslos. „Verarschen Sie mich nicht!“

Die Straßenlaternen rasten nun an ihnen vorbei, in seiner Aufregung fuhr der Anwalt viel zu schnell.

Du bringst uns beide noch ins Grab, dachte sie ärgerlich, in der Hand bereits ein in Chloroform getränktes Tuch. Es jetzt einzusetzen wäre lebensmüde gewesen, bei der Geschwindigkeit, mit der sie sich gerade bewegten. Sie hätte ihn von Anfang an im parkenden Auto erledigen sollen, aber neue Informationen über Kudo waren einfach zu verlockend gewesen. Jetzt musste sie einfach darauf vertrauen, dass er die richtige Entscheidung traf und irgendwo anhielt, bevor er jemanden gefährdete, auch wenn sie es hasste, ihre Pläne so von anderen abhängig zu machen. Wobei die Ironie, wenn sie dann doch gelangen, zweifellos einen gewissen Charme hatte: Ein Opfer, das selbst den unvermeidlichen Galgenstrick zuzieht.

„Okay, mal langsam, er ist ins Gefängnis eingebrochen?“

Einen Augenblick lang war es still, dann riss Hattori mit einem Ruck den Wagen herum. Jemand hupte laut und Etsukos Befürchtung, Heiji würde sie beide umbringen, wurde fast bittere Realität. Jedoch war er ein sicherer Autofahrer, denn er schaffte es gerade noch so, einem entgegenkommenden Wagen auszuweichen und am Randstreifen anzuhalten, was mit einem weiteren verärgerten Hupen quittiert wurde.

„Er hat Agasa befreit? Den Boss der Organisation? Das kann nicht Ihr Ernst sein!“

Sein Atem ging noch schneller als vorher und fast glaubte Etsuko, auch sein Herz schlagen zu hören, das ebenso wenig wie sein Gehirn das zu erfassen vermochte, was er gerade gehört hatte. Hätte sie nicht von Kudos Besuchen bei Agasa gewusst, hätte es sie wohl auch überrascht. Zwar wusste sie, was Rache aus Menschen machen konnte, aber dass jemand wie Shinichi Kudo, ein moralisches Vorbild, so abdriften konnte? Der Gedanke erfüllte sie beinahe mit Stolz, es war wirklich faszinierend, wie leicht man die Menschen von ihrem scheinbar vorherbestimmten Weg abbringen konnte, wenn man nur ein paar Kleinigkeiten veränderte.

Wie ein Puzzle, das man nie beenden kann, wenn ein paar Teile fehlen.

Shinichi Kudo hatte also tatsächlich etwas unternommen, er hatte es irgendwie geschafft, etwas über sie und ihre unrühmliche Vergangenheit herauszufinden und es sich zugleich zunutze gemacht. Entweder hatte er die Folgen nicht bedacht, oder er hatte sie einfach hingenommen, aber er war in ein Gefängnis eingebrochen und hatte einen Mann befreit, der für hunderte Tode verantwortlich war und somit sein Lebenswerk – ihn zu überführen und für alle Zeit wegzusperren – selbst zunichte gemacht.

Ich bin wirklich stolz auf dich, dachte sie spöttisch. Vielleicht sind wir doch nicht so verschieden, zumindest könnte das Spiel jetzt tatsächlich anfangen Spaß zu machen – sofern du dich nicht selbst ins Aus schießt zumindest.

„Das kann nicht sein! Hören Sie, ich bin gleich bei Ihnen, dann lässt sich das vielleicht irgendwie klären.“

Ohne Hast erhob sie sich aus ihrem Versteck. Die Decke glitt lautlos zu Boden und Etsuko wuchs wie ein dunkler Geist immer weiter in die Höhe, die tiefbraunen Augen funkelten im Licht der vorbeifahrenden Autos böse.

„Ich verstehe. Aber sie müssen verstehen, er hat viel durchgemacht, …“

Bevor er es überhaupt begreifen konnte, schnellte etwas nach vorne und umschlang seinen Hals wie ein unerbittlicher Schraubstock. Etwas presste sich ebenso gnadenlos auf seinen Mund, der plötzlich unfähig war, auch nur ein weiteres Wort zu formen und ein beißender Geruch machte sich breit. Ein gackerndes Lachen sollte das Letzte sein, was er wahrnahm, bevor er endgültig das Bewusstsein verlor und zusammensackte. Das Handy fiel zu Boden.

„Hallo…? Herr Hattori, sind Sie noch dran? Wissen Sie, was mit Herrn Kudo los ist?“

„Er hat einfach nicht alle Figuren auf dem Feld beachtet und war so besessen von seiner Strategie, dass er nicht gemerkt hat, wie prekär seine Lage wird, wenn ich erst Schach sage. Eine wirklich tragische Geschichte.“

Lächelnd legte sie auf.

Aber keine Sorge, Kudo, das heißt nicht, dass ich mich nicht auf unser nächstes Spiel freue, denn das hat gerade begonnen.
 

Teaser zu Kapitel 20:
 

Während Etsuko ihre Krallen in den jungen Hattori schlägt, bleibt auch Kudo nicht untätig. Mit seinen neuen Informationen geht er in die Offensive und greift eine von Etsukos Figuren an, sodass nur noch eine Frage bleibt: Wer hat in diesem perfiden Schachspiel die Nase vorn?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück