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Weißdorn und Birke

von

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Kapitel 4

Joshua Birk war ein überaus verantwortungsbewusster, freundlicher und wohlerzogener junger Mann. Stets höflich, besonnen und mit einem offenen Lächeln begegnete er so gut wie jedermann. Kurz: er war absolut langweilig. War jemand nicht zumindest ähnlich wie er, so ergriffen sie nach höchstens einer Stunde mit ihm die Flucht, um nicht den qualvollen Tod der Langeweile zu sterben. Nie hatte der junge Mann bewusst eine Regel verletzt, vermutlich sogar noch niemals unbewusst. Seine Gesprächsthemen enthielten niemals Klatsch oder Gerüchte, niemals möglicherweise kritische Themen und selbst wenn er etwas Interessantes zu berichten hatte, so verlor er sich dermaßen in  Details und der korrekten Ausdrucksweise, dass niemand ihm länger als zehn Minuten zu hören wollte. Joshua fiel das, in seinem grenzenlosen Optimismus und seiner naiven Art die Dinge zu sehen, natürlich nicht auf. Der Grund, warum er in diese Geschichte überhaupt verwickelt war, war das er einer der wenigen Menschen des Landes waren die über wirkliche, neue medizinische Kenntnisse verfügte.
 

Joshua wuchs größtenteils in einem Kloster auf. Sein Vater war früh gestorben und seine Mutter hatte Jahrelang damit zu kämpfen gehabt, sich selbst und ihren Sohn mit dem mickrigen Gehalt einer Weberin durchzufüttern. Schließlich verließen sie ihren kleinen Heimatort und die Mutter gab ihren damals fünfjährigen Sohn in die Obhut eines Klosters, nahe der Berge. Die 50 Silberlinge die sie dafür bekam waren natürlich durchaus kein negatives Argument für diese Entscheidung gewesen, doch musste man gerechtigkeitshalber sagen, dass das Kind in dem Kloster die besten Überlebenschancen hatte. Die Mutter selbst zog einige Kilometer entfernt in einen kleinen Ort, wo sie vier Jahre später an einer Lungenkrankheit verstarb. Joshua blieb im Kloster, hatte zu Essen und zu Trinken, sowie eine kleine Schlafkoje, lernte Lesen und Schreiben und wurde streng nach den Moralvorstellungen der Kirche und der Gesellschaft erzogen. An sich hätte Joshua also heute ein Mann ganz nach den Vorstellungen der Kirche und der Gesellschaft sein müssen. Dummerweise hatte der Junge vor seinem Eintritt in das Kloster bereits Erfahrungen gemacht die ihm das Kloster nicht mehr nehmen konnte. Und diese Erfahrungen sollte er sein Leben lang  nicht mehr vergessen und prägten einen Teil seines Charakters bis heute.
 

An dieser Stelle sollten vielleicht ein paar Worte zum Thema Religion gesagt werden. Wie eigentlich überall auf der Welt war Religion ein kritisches Thema. Gerne mal wurden Gruppen, die der eigenen religiösen Meinung  nicht zustimmen, ab gemeuchelt. Auf der anderen Seite war natürlich nichts einfacher als einen Menschen auf die Palme zu bringen indem man seine Religion beleidigte.  In diesem Fall hatte die Kirche schon immer eine starke Position im Land gehabt. Die drei großen Fürsten holten sich ständig Rat beim aktuellen Bischof der hiesigen Kirche und die Menschen gingen teilweise häufiger in die Messe als auf die Toilette. Der höchste Gott war der stolze Adalmar, der Erschaffer der Welt. Ihm zur Seite standen seine Frau Berschta und ihr Sohn Ekwin. Zusammen bildeten die drei Götter die Triade, das Göttliche. Wir wollen uns nicht groß an der Religion aufhalten lassen, daher nur ein paar Worte zu den drei Göttern. Natürlich war Adalmar der höchste der Dreien, denn er war ein Mann und erschuf die Welt in der unsere Geschichte spielt. Er regierte die Anderswelt, in die die reinen Seelen nach ihrem Tod gelangten. Das Schicksal eines Menschen hing von seiner Gunst ab. Man war sich sicher, dass er seine Geschöpfe liebte (außer jenen natürlich die sich von ihm abgewandt hatten), doch war er auch streng und zielstrebig. Seine Frau Berschta war von dem Geschlecht der Geister, die die Welt bevölkerten, und eine gütige und weise Frau. Sie stand ihrem Mann zur Seite und war ihm absolut loyal und treu ergeben. Ihr Sohn war Erkwin, der Stolze. Mit der Kraft des Vaters und den magischen Kräften der Mutter gesegnet beherrschte er das Feuer und soll bis zum heutigen Tage im Kampf ungeschlagen sein. Das Symbol der Triade war ein Dreieck, mit der spitze nach unten, deren Ecken aus drei Runen bestand: den Runen für Stärke, Klugheit und Liebe.

So viel also zu den religiösen Vorstellungen.
 

An diesem Morgen stand Joshua in seiner kleinen Stube im Wirtshaus „Zur Kornblume“. Er war aufgeregt. Wie immer, seit er in diese Stadt gekommen war. Schließlich sollte er helfen, der Mordserie, die die Stadt in Angst und Schrecken versetzte, ein Ende zu bereiten. Man konnte ihn also praktisch als letzte, verzweifelte Lösung des Bürgermeisters erklären. Vor knapp einem Monat war der Erste von fünf Morden geschehen. Der Sohn eines bekannten Adligen der Stadt. Erstochen auf dem Marktplatz. Kein schönes Bild musste man sagen. In seinen Arm hatte man eine unbekannte Rune geritzt.
 

Keine zehn Tage später der zweite Mord. Die alte Lady Cope. Eine der ältesten Damen der Stadt. Erwürgt vor der eigenen Haustür, am frühen Morgen aufgefunden worden.

Dann die Nummer drei. Die wohlbehütete Tochter Josefina von Buxus war mit zertrümmertem Schädel im Rotlichtviertel aufgefunden worden.

Dann vor knapp einer Woche Lord Georg. Er wurde ebenfalls erschlagen in seinem Garten entdeckt. Das Zimmermädchen, welches ihn gefunden hatte, war bisher nicht ansprechbar gewesen.

Und schließlich der Mord an Lady Uz, vorgestern.

Alle Personen waren aus der Oberschicht, alle weitestgehend beliebt oder zumindest bekannt. Die Jüngeren waren alle ausgesprochen hübsch gewesen, gerade ins heiratsfähige Alter gekommen.

Man fand keine Spur, keine wirklich Zeugen.

Es gab schlichtweg nichts.
 

Nichts bis auf die Leichen, mit denen aber die Meisten nicht viel anfangen konnten. Alle bis auf die wenigen ausgebildeten Ärzte des Klosters Sandorra, zu denen Joshua zählte. Denn dieses Kloster hatte sich seit je her auf die Medizin und das Heilen spezialisiert. Neue Impulse in diesem Bereich kamen fast ausschließlich aus Sandorra. So auch die neuste Methode Leichen zu untersuchen, bei uns bekannt auch unter der Autopsie. Da es, wie erwähnt, keine Zeugen oder Beweise gab, außer den Toten selbst, hatte man Joshua kommen lassen. Eine mehr als wichtige Aufgabe für den jungen Mann, gerade 23 Jahre alt geworden. An diesem Morgen stand er in seinem kleinen Räumchen im Gasthaus ‚Kornblume‘. Bis auf die vorher schon vorhandene Einrichtung standen in dem Zimmer nur eine etwas ramponierte, lederne Tasche und ein kleiner Stoffsack. In der ledernen Tasche lagen eigenartige, metallene Instrumente, Flaschen mit Pulvern und Flüssigkeiten in bunten Farben, Verbände, sowie ein dickes Handbuch. Also alles was er für  seine Arbeit benötigen würde. In dem Sack lag alles andere was er benötigte. Also Kleidung und persönliche Gegenstände. Alles in allem war seine Habe recht übersichtlich. Zwei paar Hosen, beige und lang, zwei weiße Hemden, langärmlich und mit befestigten Kutten. Dazu eine kupferne Kette die das Zeichen der Triade zeigte und ein einziges Paar alter Schuhe. Drei dicke Wälzer waren in dem Sack, die mit einem ledernen Band zusammengehalten wurden. Dazu noch ein kleiner Lappen, eine Bürste und ein Stück Kernseife. Seinen Proviant hatte er auf dem Weg nach Vigor bereits verzerrt. Und das war alles was der junge Mann besaß. Nun ja, natürlich hatte er noch einen ledernen Beutel, in dem er sein Geld aufbewahrte. Und ein geblümtes Taschentuch, als Andenken an die schon lange verstorbene Mutter. Doch das war dann auch wirklich alles. Priester sollten allem Weltlichen ja eher abgeneigt bleiben.
 

Im Moment stand Joshua gerade vor einem kleinen Spiegel und versuchte mit der Hand sein rotes Haar zu bändigen. Rote Haare waren in diesem Land schon lange kein Zeichen für Hexerei mehr, ungewöhnlich blieb es trotzdem. Aus dem etwas schmutzigen Spiegeln schaute ihn ein ovales, freundliches Gesicht an, dass deutlich jünger aussah, als er eigentlich war, fast noch kindlich. Unter dem roten, weit abstehenden rostbraunen Haar sahen freundliche nussbraune Augen aus dem Spiegel heraus. Die Nase war klein und früher zierten Sommersprossen sein Gesicht. Er war blass und seine Augen sahen ein klein wenig müde aus. Der Mund war schmal, die Wangen aber rosig, die Ohren standen etwas ab. Er war mittelgroß und schlank, weit davon entfernt muskulös zu sein, aber immerhin sah er gepflegt aus, was zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Allerdings lächelte sein Spiegelbild nicht, so wie es das sonst immer tat, sondern wirkte besorgt. Eine neue Leiche war aufgetaucht und er musste sich diese ansehen. Keine schöne Aufgabe, noch dazu stand er unter Druck. Denn streng genommen war dies sein erster praktischer Auftrag. „Du schaffst das…ich muss einfach nur das was ich weiß anwenden und logische Schlüsse ziehen.“, beruhigte er sich selbst und atmete ein paar Mal tief ein. Die Untersuchung der ersten Leichen hatte nicht viel Erfolg gebracht. Die erste war sogar schon beigesetzt worden und die Angehörigen weigerten sich, ihn wieder ausgraben zu lassen. Der Rest war in so einem schlechten Zustand gewesen, dass er kaum etwas Brauchbares hatte heraus filtern können. Seine Hoffnung lag nun also auf der neuen Leiche. „Und dann musste ich mich auch noch mit dem Richter anlegen…“ Dabei hatte er doch nur höflich angemerkt, dass die Runen nicht hexischer Natur waren, sondern eindeutig nordische Runen waren. Solche die vor allem Menschen verwendeten. Doch irgendwie hatte das Richter Boretsch mächtig wütend gemacht.

Keine Ahnung wieso.



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