Beginn einer Reise
Beginn einer Reise
Entgegen Rufus tiefster innerer Erwartungen, klickte das Schloss leise. „Guten ‚Morgen‘, Hüter“, las er auf dem Betrayal, ehe der Einband aufklappte und ihm das Innerste des Buches offenbarte...
Vor Schreck hätte er es fast fallen lassen, fing sich aber im letzten Moment wieder und umklammerte den ledernen Einband. Verwirrt blickte er auf die verschnörkelten Buchstaben in schwarz und dunklem rot hinab die ihm entgegen blickten, doch so sehr er sich auch bemühte darin bekannte Formen zu entdecken es war vergebens.
Verwirrt und zugleich auch neugierig hob er den Blick und sah Helena fragend an die ihn aufmerksam beobachtete. "Was steht da?" ,fragte er und entlockte dem Raben damit ein Krächzen. "Du kannst es nicht lesen?" ,fragte seine Retterin und kam etwas näher. Kopfschüttelnd verneinte er und blätterte ein paar Seiten vorwärts doch blieben ihm auch dort Schrift und Sprache in der es verfasst war ein Rätsel.
Dafür aber fesselten die kunstvollen kleinen Illustrationen seinen Blick. Zwar konnte er auch ihnen nicht viel Sinn entnehmen, doch hatten sie etwas Besonderes an sich. Es dauerte einen Moment bis sein Verstand begriff was es war, dann aber erschauderte er und riss ungläubig die Augen auf. Je länger er nämlich darauf sah, umso mehr hatte er das Gefühl sie bewegten sich.
Fassungslos angesichts dieser Unmöglichkeit sah er wieder zu Helena, die nun wieder spöttisch lächelte. "Ich sagte dir ja Betrayal sei kein gewöhnliches Buch." ,kommentierte sie seinen Blick. Im ersten Moment wollte er entgegnen das das schlichtweg unmöglich war das sich Bilder bewegten, dann aber wurde ihm bewusst das in einem Buch, das in der Lage war sich mit einem zu unterhalten (sofern es das wollte) wohl nichts unmöglich war.
"Aber was bringt es wenn ich es öffnen aber nicht lesen kann?" ,fragte er also stattdessen. "Seit wann beginnt man denn in der Mitte damit ein Buch zu lesen?" ,entgegnete sie in spöttischem Ton was ihn ungewollt rot werden ließ. Er war sich absolut sicher dass der Rabe ihn genauso amüsiert musterte wie sie.
Verlegen senkte er wieder den Blick auf die Seiten und blätterte zum Anfang des Buches. Ein überraschter Laut kam über seine Lippen als er dort die vertrauten Buchstaben und Worte seiner Sprache entdeckte. Neugierig beugte er sich weiter runter und begann zu lesen.
>Sei gegrüßt Reisender.
Wenn Du dies liest bist Du wie ich ein Suchender nach den Geheimnissen der Schöpfung und sei gewiss, Du hast gefunden was Du suchst. Denn ich habe unzählige Geheimnisse ergründet, viele Rätsel gelöst und mehr Wissen erlang als jeder vor mir. Nur eines von so vielen ´magischen´ Gegebenheiten blieb mir verborgen, der Schlüssel zum ewigen Leben.
Der Gedanke, all mein Mühen versinke nach meinem Tod wohlmöglich in Vergessenheit ist mir unerträglich, daher erschaffe ich hiermit etwas das mich überdauern und mein Wissen zuverlässig weitergeben wird.
Alles werde ich zusammen tragen und dem der versteht wird es die Welt offenbaren wie er sie noch nie gesehen hat.
Doch ich teile dieses Wissen nicht mit jedem. Du, der Du diese Zeilen liest hast Dich als würdig erwiesen. Ich rate Dir, missbrauche nicht was Du lernen wirst denn mit großem Wissen kommt große Macht und damit noch größere Verantwortung.
Ich verfasse dieses wundervolle Werk in einer Sprache die schon lang vergessen ist, damit es für ungeschulte Augen verborgen bleibt. Ich hauche ihm eine Seele ein, damit es sich selbst schützen kann. Doch der größte Schutz wirst nun Du sein, denn von diesem Augenblick an bist Du nicht mehr nur ein Suchender sondern auch ein Hüter. Hüter des machtvollsten Buches dieser Welt.<
Mehrmals las Rufus die Zeilen in der Hoffnung ihnen noch einen anderen, versteckten, Sinn zu entnehmen als den offensichtlichen. "Und wenn ich nicht will?" ,platzte es schließlich aus ihm heraus und er sah zu Helena auf. "Wenn du was nicht willst?" ,fragte die ruhig. "Hüter sein! Ich suche nicht nach irgendeinem Wissen. Und ich will mit diesem Buch nichts zu tun haben." ,sagte er scharf und schlug selbiges zu.
Fast gegen seinen Willen fiel sein Blick dabei auf den Einband auf dem sich augenblicklich neue Worte bildeten. >Du bist mein Hüter. Ich habe dich gewählt.< "Ich hab aber nicht eingewilligt." ,entfuhr es ihm bevor es ihm überhaupt bewusst war. Daher brauchte es auch einem Moment bis er den nächsten Satz verstand. >Ich wähle, nicht du.< ,stand da was ihn aus einem ihm unbekannten Grund schlucken ließ. "Aber warum denn ich?" ,fragte er verzweifelt. >Ich bin nicht verpflichtet diese Frage zu beantworten.< ,kam es zurück und fast glaubte er die Worte nicht zu lesen sondern zu hören. Gesprochen von einer Stimme so unerbittlich und kalt wie die seines Stiefvaters.
"Ich hab dich in Sicherheit gebracht, also such dir doch einfach jemand anderen." ,versuchte Rufus es nochmal, doch irgendwie überraschte ihn das >Nein.< nicht mehr wirklich das er als Antwort erhielt. ´Unterhalte ich mich hier gerade wirklich mit einem Buch?´ ,fragte er sich in Gedanken und ließ das Betrayal nun wirklich fallen, als sich auf dem Einband die Worte >Ja, tust du.< bildeten.
Erschrocken sprang er auf. "Es liest meine Gedanken?" ,fragte er mit leicht panischer Stimme und sah zu Helena und dem Raben die ihn interessiert beobachtet hatten. "Nun, es ist eben nicht mit anderen Büchern zu vergleichen." ,sagte sie. Ihre Stimme klang dabei gelassen doch in ihren Augen lag etwas Mitleidiges. "Du wirst dich dran gewöhnen müssen." "Muss ich?" ,fragte er und hob eine Augenbraue. "Ja, du bist sein Hüter." "Aber..." "Nichts aber. Wie ich dir bereits sagte bist du nicht der erste unfreiwillige Hüter des Betrayal, aber wie die anderen hast auch du keine Wahl." ,sagte sie verblüffend sanft.
Er schüttelte hilflos den Kopf. Eigentlich wollte er Fragen wie sie (oder Betrayal) ihn dazu zwingen wollte, doch irgendwas sagte ihm das ihm die Antwort nicht gefallen würde. Oder würde er sie nur nicht verstehen? Es blieb sich gleich.
"Wer hat das geschrieben?" ,fragte er nach einer Weile des Nachdenkens leise. "Sein Name würde dir nichts sagen, er hielt sich und sein Wissen im Verborgenen. Doch er ist im Betrayal zu finden." ,sagte sie geheimnisvoll und trat zu ihm und hob das Buch sanft auf und legte es neben Rufus aufs Bett. "Diese Männer die es haben wollen wissen nicht was darin steht?" "Sie wissen genug um zu wissen welche Macht sie damit erlangen könnten." "Aber können sie es denn lesen? Da stand dass die Sprache längst vergessen ist..." "Jeder Sprache die einmal gesprochen wurde kann wieder belebt werden, man muss nur wissen wo man zu suchen hat. Jedoch...Betrayal teilt sein Wissen nicht mit jedem. Dem Hüter öffnet es sich und wie du gesehen hast übersetzt es sich für ihn in eine Sprache die er beherrscht." "Was bringt es ihnen dann es in ihren Besitz zu bringen?" ,fragte er verwirrt. "Nun ja, ist es erst einmal geöffnet so steht es jedem offen. Wer die alte Sprache also kennt, kann erfahren was immer er will."
Rufus nickte verstehend und seufzte. Gerade wollte er Fragen wie das Ganze nun weitergehen sollte als ein lautes Krachen ertönte, das nicht nur die beiden Menschen sondern auch den Raben erschrocken zusammenzucken und zur Tür sehen ließ.
