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Auch Engel essen Fleisch

von

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Prolog

Wie verhält man sich, wenn einem ein Engel erscheint? Wenn man vollkommen unvorbereitet von der Situation übermannt wird, von einer Sekunde auf die andere? Wenn man niemals im Leben auf diese Begegnung gehofft, geschweige denn, sie beschworen hatte? Wenn man nicht einmal religiös war und schon gar nicht betete? Wenn es wenigstens in einer Kirche gewesen wäre, dann hätte Luise es nachempfinden können. Doch dem war nicht so.

Es war auch kein klarer Nachthimmel, keine Sterne am Himmelszelt, oder eine Scharr herab sausender Sternschnuppen, die sich ihren Weg durch die Atmosphäre bannten. Keine Himmelsglocken, kein strahlendes Licht. Luise stand in ihrem Garten, wie jeden Tag, doch gleich gegenüber stand dieser atemberaubend schöne Engel. Er war durch nichts zu beschreiben, lächelnd und elegant hatte er seine Arme auf den zinnfarbenen Lattenzaun gestemmt und sah Luise entgegen. Nein, doch nicht so elegant. Der Zaun war alt und an den Spitzen bereits morsch, so, dass der Engel ins Schwanken geriet, aber sich rechtzeitig noch einmal abstützen konnte. Aber das änderte gar nichts.

Er blickte Luise unverändert und freundlich an. Es war fast so als könne sie seine weiten, schneeweißen Flügel erkennen, und den Heiligenschein, der sein Haupt zierte.

Und was war Luise schon im Vergleich dazu?

„Du hast eine Banane auf dem Kopf.“, flüsterte ihr der Engel zu.

Das Mädchen verstand die Worte des himmlischen Geschöpfs nicht, perplex glitt sie mit den Händen an ihren Haaren nach oben.

Tatsächlich. Da lag eine Banane. Eine Bananenschale, um genauer zu sein.

„Die… ist mir gar nicht aufgefallen.“, erwiderte Luise stotternd, ohne eine Ahnung zu haben, welches Verhalten man sonst gegenüber einem Engel an den Tag legte.

„Achso… Du trägst normalerweise keine?“, fragte der Engel ohne sein Lächeln zu unterbrechen.

Luise schüttelte stoisch den Kopf

„Würde dir auch nicht sonderlich gut stehen.“, teilte ihr der Engel mit.

Luise nickte und ließ die Banane wieder in die Tonne mit dem Biomüll fallen, in die sie sich vorhin hals über gebeugt hatte. Kurz darauf wurde ihr die Absurdität, aber auch die Peinlichkeit der Situation bewusst.

„Ich… ähh… hatte nur den Müll falsch getrennt und mich hinein gebeugt um ein paar alte Zeitungen umzuschlichten.“, verteidigte sie sich.

Das Grinsen des Engels wurde breiter, glaubte er ihr nicht?

„Das ist die Wahrheit!“, glaubte Luise mit Nachdruck sagen zu müssen.

Der Engel nickte schwach.

„Ja, ich glaube dir doch.“, sagte er amüsiert und strich sich die langen, glatten Haare nach hinten.

Sie waren nicht golden, sondern in einem sehr hellen Brünnet-Ton. Dennoch empfand Luise diese Farbe als weit aus schöner, sie passte hervorragend zum Glanz dieses Wesens.

„Wo… kommst du auf einmal her?“, brachte es Luise endlich zur Sprache.

„Aus dem Himmel.“, erwiderte der Engel lammfromm.

Das Mädchen schnitt eine ungläubige Grimasse.

„Aus Himmeldorf, um genau zu sein. Wir sind heute erst eingezogen.“, konkretisierte der Engel seine Antwort.

Luise nickte nur langsam.

„Das erklärt, warum ich dich noch nie hier gesehen habe. Im Haus nebenan, wohnt nur Frau Sommer, aber das ist eine gehbehinderte, alte Dame.“, murmelte das Mädchen vor sich hin.

Der Engel nickte zustimmend.

„Was… ist mit ihr?“, hakte Luise nach.

„Die ist tot.“, gab der Engel schlicht von sich.

Luise hob eine Augenbraue.

„Wirklich?“

Der Engel zuckte mit den Schultern.

„Naja, vielleicht auch nicht. Vielleicht hat es sie auch nur ins nächste Altenheim verschlagen, wäre auch gut möglich. Jetzt wo du mich daran erinnerst… Papa sagte, sie käme nicht mehr allein zurecht und hatte das Haus deswegen verkaufen müssen.“, sagte der Engel, mit dem Zeigefinger das Kinn abstützend.

Was war das nur für ein Engel? Besuchte er die Erde nur, um sich über Luise lustig zu machen? Es erschien ihr beinahe so.

„Wie heißt du?“, wollte er schließlich wissen.

Luise schluckte und nannte ihm ihren Namen.

Der Engel mit den glatten, brünneten Haaren nickte, als brauche er diese Zeit um sich den Namen auch wirklich merken zu können.

„Und… du?“, fragte Luise fordernd, als ihr Gegenüber keinen Anstalten machte etwas zu erwidern.

„Sarah.“

Natürlich, welchen Namen konnte ein Engel bitte schön sonst tragen? Bei dieser Gelegenheit kam es Luise in den Sinn, dass sie noch einen weiblichen Engelsnamen vernommen hatte. Gab es im Himmel überhaupt weibliche Engel? Oder war Gott frauenfeindlich?

Nein, es musste welche geben, wie sonst, konnte Sarah vor ihr stehen und sie mustern?

Sie… sehr stark mustern. Warum schlich sich in Luise plötzlich das Gefühl auf vollkommen nackt zu sein?

„Muss ich Angst haben?“, wollte Sarah wissen.

„Angst? Wovor?“, konnte ihr Luise schwer folgen.

„Na vor Leuten im Nachbargarten, die mit Bananenschalen auf dem Kopf herumlaufen. Ich kenne hier noch niemanden und brauche unbedingt einen Verbündeten.“

Luise spürte ihre Aufregung, aber ohne das übliche Unwohlsein.

„Und jemand, der sogar keine Scheu besitzt sich schmutzig zu machen, nur um ordentlich den Müll zu trennen, kann keine schlechte Person sein, oder?“, warf Sarah ein.

„Ja…“, konnte Luise nicht anders, als ihr zuzustimmen.

„OK.“, meinte der Engel und drehte sich um.

Auch von der Rückansicht her, schien er seinen Glanz nicht zu verlieren.

„Warte!“, rief Luise, die endlich wieder zu sich kam.

Ein Glück! Der Engel hatte sie gehört und drehte sich nochmals um.

„Werde… ich dich wieder sehen?“

Das Mädchen hatte nicht den leisesten Schimmer, wie sie gerade jetzt auf diese seltsame Frage kam.

Sarah streckte ihren Zeigefinger auf und zeigte auf das Gebäude vor ihr.

Luise wand ihren Blick und sah auf das verwitterte Haus der alten Frau Sommer. Ihr Blick hatte es bereits unzählige Male eingefangen, wenn sie auf der Straße entlang schritt, oder aus dem Fenster sah. Doch niemals hätte sie vermutet, dass sich darin der Himmel befinden konnte. Das Haus war alt, die Pflanzen wucherten die Wände empor.

Selbstverständlich, was hätte eine alte, gehbehinderte Frau schon dagegen ausrichten sollen? Doch es war weder maroden, noch bröckelte bereits der Putz ab. Man konnte es sich schön herrichten so, dass es diesem Engel würdig war. Der Engel… Moment!

Wo war er? Luise sah sich hilfesuchend nach allen Richtungen um. Er war verschwunden! Verdammt, sie hatte nur einen Moment nicht aufgepasst. Aber so war es vermutlich immer bei solchen Erscheinungen. Menschen konnten nicht belegen, dass das, was sie gesehen hatten wirklich real war.

Also hatte Luise alles nur geträumt? Nein, sie spürte, dass dieser Engel echt war. Aber würde sie ihn wirklich wieder sehen?

Kapitel 1

„Du strahlst ja richtig.“, wurde das Mädchen von einer Stimme aus seinen Gedanken aufgeschreckt.

Luise blickte nach rechts in die Küche und erblickte ihre Mutter, die wie sonst – nicht nur literarisch – den Kochlöffel schwang.

„Ich… ich habe etwas gesehen. Ein Geschöpf…“, murmelte das Mädchen etwas heiser.

Ihre Mutter stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Schon einer diese Marder? Ständig knabbern sie mir die Wäscheleine an.“, beschwerte sie sich.

Luise schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tisch.

Gern hätte sie ihrer Mutter gesagt, dass sie einen leibhaftigen Engel gesehen hatte, aber sie würde es wohl nicht verstehen.

„Mama, wusstest du, dass wir neue Nachbarn haben?“, traute sich das Mädchen zu fragen.

Diese schien kurz nachzudenken.

„Ja, das mit Frau Sommer ist schon schlimm. Ich habe die Gute immer gemocht, sie war sehr sympathisch. Doch für uns alle kommt einmal die Zeit. Und niemand wollte noch nach ihr sehen, weder ihre Kinder, noch ihre Enkel. Wenn ich einmal so alt bin… erinnerst du sich hoffentlich daran, wer dir jeden Tag aufopfernd das Essen zur Verfügung gestellt hat, oder?“, fragte sie scharf.

Luise nickte dankbar.

„Keine Sorge, ich hoffe dir wird es noch seeeehr lange möglich sein für mich zu kochen.“, entgegnete sie.

Ihre Mutter hob drohend den Kochlöffel.

„Hast du die Leute die eingezogen sind schon gesehen?“, fragte Luise hoffnungsvoll.

Ihre Mutter schnitt auf einmal ein Gesicht, als hätte sie etwas Elementares vergessen.

„Ach stimmt ja! Das hatte ich total verdrängt! Es war als du noch in der Schule warst. Ich und Joachim haben uns herrlich unterhalten.“, teilte sie ihrer Tochter mit.

Wer war Joachim? Das klang ganz und gar nicht nach dem Namen eines Engels. Müsste es nicht Michael, Gabriel, oder so etwas heißen?

„Oh Verzeihung, ich meine Herrn Heidenreich. Er ist mit seiner Tochter erst heute eingezogen, du glaubst gar nicht wie viele Fragen er hatte. Ich, als gute Nachbarin habe natürlich versucht sie ihm so gut wie möglich zu beantworten. Und irgendwie bin ich sogar neidisch. Frau Sommer kam ja leider nicht mehr dazu, das Haus schön herzurichten, aber dennoch ist es bei weitem größer als unseres. Ich hatte mich beinahe geschämt, doch Joach… Herr Heidenreich war wirklich sehr freundlich und hat mir sogar geholfen die Zutaten ins Haus zu schleppen.“, schloss sie ihren Bericht.

Luise spürte wie ihre Kehle austrocknete, weshalb sie schnell einen Schluck trank.

„Und… seine Tochter? Hast du sie auch kennen gelernt?“, versuchte sie so beiläufig wie möglich zu klingen.

Doch ihre Mutter verneinte und Luise spürte Enttäuschung in sich aufkommen.

„Sarah heißt sie glaube ich. Sie wollte sich etwas die Umgebung ansehen, obwohl ich mich gefreut hätte ihr zu begegnen. Herr Heidenreich hat vollkommen von ihr geschwärmt, was für ein braves und anständiges Mädchen sie doch sei. Obwohl sie wegen seiner Arbeit oft umziehen müssen, steht sie zu ihm und benimmt sich nicht wie viele anderen pubertären Mädchen in ihrem Alter.“, erzählte sie.

Luise brummte.

„Möchtest du damit auf jemand Bestimmtes anspielen?“, fragte sie mit gespielt drohender Stimme.

Ihre Mutter schüttelte vehement den Kopf.

„Nie und nimmer! Ich weiß doch was ich an meinem Liebling habe!“, stellte sie sofort klar.

Dann servierte sie das Essen und setzte sich ihrer Tochter gegenüber. Genüsslich schlang Luise die Suppe herunter und danach die fein hergerichteten Teigtaschen, die ihre Mutter für gewöhnlich einmal die Woche zauberte.

„Bist du krank?“, fragte diese auf einmal wie aus dem Nichts.

Luise blickte sie perplex an.

„Naja, seit vorhin wirkst du so abwesend und du warst etwas rot, als du zur Tür hereinkamst. Du wirst doch jetzt kein Fieber bekommen? Das neue Schuljahr hat gerade erst begonnen.“, schien sie sich echte Sorgen um ihr Kind zu machen.

Luise schüttelte sofort den Kopf.

„Es ist nichts, wirklich. Mir geht es gut.“

Zumindest soweit man das nach der Begegnung mit einem himmlischen Wesen sagen konnte.

„Keine Sorge, du wirst sie schon noch kennen lernen. Sie ist in deinem Alter.“, glaubte ihre Mutter sie aufmuntern zu müssen.

Luise lächelte sie lediglich an und verschwieg ihr, dass sie das bereits getan hatte.

„Ja… irgendwann.“, murmelte sie stattdessen mit vollem Mund.

Ihre Mutter gab einen undefinierbaren Laut von sich, wahrscheinlich weil ihr Mund gerade ebenfalls mit einer Teigtasche gefüllt war.

„Nein heute Abend! Ich habe Herrn Heidenreich und seine Tochter nämlich zum Essen eingeladen! Als eine Art glücklichen Einstand.“

Es war lange her, seit Luise zuletzt etwas gewonnen hatte. Und zwar in der Grundschule, als der Lehrer im Deutschunterricht eine Tafel Schokolade für die beste Geschichte in Aussicht stellte. Heute gewann sie sogar gleich zweimal.

Zum einen den Preis für die ekligste Person. Erst im Müll herumwühlen, dann eine Banane auf dem Kopf, und jetzt fiel ihr ein großer Klumpen Teig aus dem Mund, weil es unmöglich war ihn bei dieser Neuigkeit geschlossen zu halten.

Der zweite Preis war Sarah. Sie hatte gehofft diesen Engel wieder zu sehen, aber so schnell?

„Sarah… kommt zu uns zum Essen?“, fragte sie nochmals nach.

Ihre Mutter nickte angeregt.

„Ja, ich bin schon ganz hippelig. Es ist schon Urzeiten her, seit wir zuletzt Besuch empfangen haben. Ich hoffe ich vermassle den Abend nicht und es endet in einer Peinlichkeit.“

Luise sah auf ihren Teller.

„Du wirst ihnen aber keine Teigtaschen vorsetzen, oder?“, fragte sie zögernd.

Ihre Mutter vollführte sofort eine abwehrende Handbewegung.

„Was glaubst du denn? Ich habe extra in meinen Kochbüchern gestöbert und mein Fondue-Wissen etwas aufgefrischt. Ich habe Herrn Heidenreich gefragt, was er gerne mag, und er meinte ihm wäre alles recht. Seine Tochter hingegen soll eine ziemliche Fleischtigerin sein, also dachte ich mir, das wäre das Beste. Ist es denn auch in deinem Interesse?“

Luise nickte mit zusammengepressten Lippen.

„Fleisch ist in Ordnung.“

Sie war beileibe keine Vegetarierin, bangte aber, dass ihre Mutter das Fleisch zu sehr braten oder gar verkohlen lassen mochte. Innerlich stellte sie sich die Situation vor.

Ein Engel kam in ihre vier Wände geschwebt, setzte sich und sie servierte ihm einen Teller mit rabenschwarzem Fleisch.

„Mama, ich helfe dir natürlich bei der Vorbereitung.“, entgegnete Luise und hielt die Hand ihrer Mutter fest. Diese schien die übertriebene Geste gar nicht als das wahrzunehmen was sie war, und dankte ihrer Tochter vielmals.

Als alle Teigtaschen restlos verschwunden waren, räumte Luise das Geschirr weg und sah zu, wie sich ihre Mutter bereits wieder in ihr Kochbuch vertiefte.

Das Mädchen würde ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen, doch zuvor standen noch einige Dinge an.

Sie war erst vorhin aus der Schule gekommen und hatte die Angewohnheit ihre Hausaufgaben immer auf der Stelle zu erledigen, bevor sich ihr ein Ereignis aufzwingen konnte, dass zu viel ihrer Zeit fraß.

Doch diesmal war Zeit nicht das Problem. Luise hockte über ihrem Mathebuch und ihre Augen flogen über die Seiten mit dem neuen Stoff. Normalerweise fiel es ihr sehr leicht zu lernen und die Aufgaben in Windeseile zu lösen. Doch nicht heute.

Ihre Gedanken waren bei dem Engel, nichts anderes schien ihr Gehirn mehr zu akzeptieren.

Es half nichts. Luise war ohnehin ein Nachtmensch und sie glaubte auch nicht daran, dass das Abendessen mit den neuen Nachbarn allzu lange dauern würde. Ihre Lehrerin hatte das Grundprinzip der doppelten quadratischen Gleichungen gut erklärt, Luise hatte die Methode verstanden. Spät abends würde ihr Kopf freier sein, so hoffte sie.

Also stürzte sie sich auf die Englisch-Hausaufgaben, die nicht sonderlich viel Konzentration abverlangten. Dann stützte sie sich um Bettpfosten ab und ließ sich hinein fallen.

Es war weich und angenehm, aber vermutlich nichts im Vergleich zu den Flügeln eines Engels.

Luises Blick fiel nach links auf ihr Nachtkästchen, wo wie immer ihr Handy lag.

Sie konnte gar nicht anders, sie musste es jemandem erzählen. Sie brauchte gar nicht ihr Adressbuch zu durchforsten, um jemand passenden zu finden, das Einfache drücken der „2“ reichte in diesem Fall.

Drei Freizeichen später meldete sich eine Stimme, die ihr sehr bekannt war.

„Du hast doch einmal von einem Bekannten erzählt, der ein UFO gesehen hat, richtig?“, erschien es Luise sogar unnötig ihren Namen zu nennen.

Eine kurze Pause.

„Wie kommst du auf einmal darauf?“, stutzte ihre beste Freundin.

„Du hast dich damals lustig gemacht, weil du einfach nicht daran geglaubt hast. Das weißt du doch noch, oder Sabine?“, fragte Luise, deren Stimme nun doch etwas zu kritisch klang.

„Sag mir jetzt nicht… du hast auch eines gesehen.“, fragte ihre Freundin zögerlich.

Luise wollte antworten, doch dann setzte ihre Stimme aus. Unsicher kaute sie an ihren Lippen, bis Sabine noch einmal nachfragte.

„Du darfst mich nicht auslachen, verstanden? Ich habe… einen Engel gesehen. Ich weiß wie das klingt, aber nimm mich ernst!“

Sabine gab dem Drängen ihrer Freundin nach und hörte sich die ganze Geschichte von vorne an.

Erst dann lachte sie.

Luise brummte verstimmt und war nahe daran das Handy gegen die rosafarbene Wand zu schleudern. Seit ihrer Kindheit war sie nie dazu gekommen diese in eine für ihr Alter gerechte Farbe zu streichen. Lag es am fehlenden männlichen Anteil im Haushalt? Oder gar am Unvermögen ihrer Mutter, handwerkliche Tätigkeiten als ernst anzusehen?

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht auslachen. Ich dachte du hast tatsächlich einen Engel gesehen, aber es war nach deiner Schilderung nur irgendein Weib!“, rechtfertigte sich Sabine.

Luise räusperte sich lautstark.

„Ok ok! Eine Frau, ein Mädchen, ein bezauberndes weibliches Wesen. Besser?“

„Ich habe das Gefühl, dass du mich immer noch nicht ernst nimmst.“, sagte Luise ihrer Freundin offen zu.

„Doch das tue ich! Wirklich! Und was du mir gerade geschildert hast, klingt verdächtig nach Liebe auf den ersten Blick.“, sprach sie ihren Verdacht aus.

Jetzt war es Luise die lachen musste.

„Das war so klar, dass du an sowas glaubst! Da gefällt mir die UFO-Sabine wesentlich besser!“

Ein murrendes Geräusch am anderen Ende der Leitung.

„UFOs gibt es nicht, Pasta! Aber Liebe auf den ersten Blick sehr wohl, zumindest glaube ich daran.“, sprach sie sich aus.

Luise zögerte aber.

„Ich habe mich nur umgedreht, und da ist sie gestanden! Ich habe zuvor noch nie etwas von dieser Sarah gehört oder gesehen, wie könnte ich bitte so jemanden lieben?“

Sabine seufzte.

„Da spricht wieder die Pragmatikerin und Realistin aus dir. Du hast dieses Mädchen selbst als Engel beschrieben. Und sag mir bloß nicht, es wäre nur eine einfache Schwärmerei.“

Luise schüttelte schnell den Kopf, obgleich ihre Freundin dies sehen konnte oder nicht.

„Selbst Schwärmereien brauchen ihre Zeit um sich zu entwickeln.“, hielt sie ihr einen Vortrag.

Sie spürte deutlich die Resignation auf Seiten ihrer Freundin.

„Ja, schon verstanden. Sie ist das bezauberndste Wesen auf der Welt für dich, aber du willst nichts von ihr.“, glaubte sie die Situation nun endlich begriffen zu haben.

„Wie kann ich etwas von jemandem wollen, den ich nicht mal wirklich kenne?“, wand Luise ein und Sabine ging dazu über ihrer Freundin einfach nur stetig recht zu geben.

„Und? Wirst du sie wieder sehen?“, war der Umschwung in Sabines Stimme nun nicht mehr zu überhören.

„Ich muss, meine Mutter hat sie und ihren Vater heute zum Abendessen eingeladen.“, informierte Luise ihre Freundin.

„Mmmmmmmmmmmmm.“

„Was?“

„Mmmmmmmmmmmmmmmm.“

„Bitte rede Klartext mit mir!“, wies Luise ihre Freundin an.

„Ja, tut mir leid, ich stelle mir die Situation gerade bildlich vor. Ihr setzt euch an den Tisch, eure Eltern unterhalten sich angeregt, sie fragt dich etwas, und du kannst nichts anderes tun als zu sabbern.“

Luise bereute es bereits wieder Sabine angerufen und von ihrem Erlebnis erzählt zu haben.

„Ich… ich weiß nicht was das vorhin war. Ja… Sarah sieht ganz in Ordnung aus… sehr gut sogar, würde ich sagen.“

„Mmmmmmmmmmmmm.“

„Ja ja, sie gefällt mir, ist es das, was du hören wolltest? Und ich werde auch ganz bestimmt nicht sabbern oder sie komisch ansehen. Besonders nicht, wenn meine Mutter mit am Tisch sitzt.“, sagte sie bestimmt.

„Denkt sie immer noch, sie würde mal ein benutztes Kondom finden wenn sie eines deiner Mathebücher abstaubt?“, kicherte Sabine munter.

„Häh? Wer würde dort jemals ein benutztes… nein, vergiss die Frage, ich habe es bei dir lange aufgegeben. Und nein, es hat sich noch nicht ergeben, dass ich ihr erzählen konnte, dass ich…. dass ich…“

„Dass du auf Engel stehst?“, half ihr Sabine auf die Sprünge.

„Eventuell auf Engel stehe, ja. Irgendwann… wenn der Zeitpunkt passt.“, stand für Luise fest.

„Gut, dann erzähl mir wie es gelaufen ist. Versprich es mir!“, forderte Sabine.

„Wieso?“, schien Luise das für unnötig zu empfinden.

Sabine seufzte nur.

„Sei doch froh, dass sich jemand für dein Liebesleben interessiert!“, entgegnete sie wild.

Luise brummte nur.

„Es gibt aber keines!“, erinnerte sie ihre beste Freundin daran.

„Dann tu was dafür! Ob Schwärmerei, Liebe auf den ersten Blick, oder nur himmlischer Schein, ich erwarte einen detaillierten Bericht!“

Luise war beinahe so genervt, dass sie auflegen wollte, doch Sabine kam ihr zuvor. Was redete sie da überhaupt? Luise konnte froh genug sein, dass dieser Engel sie eines Blickes gewürdigt hatte, mehr konnte sie nicht verlangen. Oder doch?

Ob sie es wollte oder nicht, in ein paar Stunden würde sie sie wieder sehen, vielleicht sogar eine Unterhaltung mit ihr führen.

Doch was sollte sie nur mit ihr reden? Wie sollte sie mit ihr umgehen? Und noch viel wichtiger… was sollte sie anziehen?
 

Was, wenn man jemandem überhaupt nicht sympathisch ist? Wenn eine Person einen überhaupt nicht ausstehen kann, oder ihn sogar hasst? Sie geht demjenigen aus dem Weg. Punkt. Kein Weltuntergang, aber was wenn dies der Gegenpartei mehr als missfällt? Nein, sie wollte, dass Sarah sie mochte, so viel hatte sie bereits herausgefunden.

Luise stand vor dem Spiegel im geräumigen Badezimmer und drehte sich demonstrativ. Also sie selbst gefiel ihr, aber das musste noch nichts bedeuten. Auch ihrer Mutter gefiel, sie, die vorhin hastig an der offenen Tür vorbeigehuscht war und die sich das Mädchen getraut hatte nach ihrer Meinung zu fragen. Doch auch sie war parteiisch.

Wie würde Sarah sie sehen? Würde es ihr überhaupt auffallen, dass sich Luise auftakelte?

Vorhin im Garten trug sie noch die schlichten Secondhand Klamotten, wegen denen sie sich in der Schule von Sabine ständig die Leviten lesen lassen musste. Doch sie waren bequem und passten einfach zu ihr. Nicht so wie diese Luise, die ihr da im Spiegel unsicher entgegen starrte. Sollte sie etwa versuchen mit Natürlichkeit zu punkten? Die brave Luise mit ihren zerwuschelten Haaren und den rauen Lippen? Vielleicht noch mit Lesebrille, wie vorhin, als sie versuchte sich in ihr Mathebuch zu verstiefen?

Nein, Sarah würde sie definitiv ignorieren, egal ob sie sich im selben Alter befanden, oder nicht. Aber war das schon das Schlechteste? Luise und sie waren vollkommen gegensätzliche Typen, ein Grund mehr warum sie nicht nachvollziehen konnte, warum sie seit ihrem Treffen im Garten so fasziniert von ihr war.

Es wäre definitiv das Einfachste. Luise müsste ihr nur hin und wieder zulächeln und der Großteil des Abends würde mit dem Gespräch zwischen ihren Elternteilen zugebracht werden. Ist die Nachbarschaft auch sicher? Wie sieht es mit der Schule aus? Gibt es Freizeitmöglichkeiten?

Luise würde alles abnicken und sich bedeckt halten. Ganz im Hintergrund, ganz vom hellen Strahl des Engels zurückgedrängt. So und nicht anders würde es ablaufen. So lief es immer ab. Zumindest wenn Luise nichts an der Situation änderte. Eines wurde ihr nun nämlich bewusst.

Sie wollte mit Sarah ins Gespräch kommen. Mit ihr reden, mehr über sie erfahren, zusehen wie sich ihre himmelsgleichen Lippen auf und ab senkten. Sie wollte sie nicht nur still von der Seitenlinie aus betrachten, in ihrem Schatten, als wäre sie selbst nichts Besonderes.

Eine Minute und zwei prachtvollen, aber keineswegs aufdringlich wirkenden roten Lippen später, gab es kein Zurück mehr. Mit beinahe zuckenden Händen hatte sie das Mascara noch einmal von sich weg geschoben. Sie würde an einem Einstandsessen für neue Nachbarn teilnehmen, nicht an einer Verabredung. Was würde Sarah denken? Im schlimmsten Falle, dass sie sich für sie so aufgetakelt hatte? Nein, welchen Anlass hätte sie dafür?

Perfekt.

Das dachte Luise, als sie sich ein letztes Mal vor dem Spiegel drehte und das Badezimmer dann verließ.

Nicht perfekt.

Das dachte Luise, als sie ihren Blick prüfend über die unförmigen Fleischstücke schweifen ließ.

„Die… ähh… das Fleisch wird ja erst kurz vor dem Verzehr gebraten.“, wand ihre Mutter ein.

Luise nickte wissend, immerhin hatte ihre Mutter die Zutaten hergerichtet, während sie demonstrativ aus dem Kochbuch gelesen hatte.

„Oder… werden sie denken, dass wir lediglich versucht haben, schnell etwas zu zaubern? Dass uns ihr Besuch lästig ist?“, zog sich die Stirn der Köchin in Falten.

Luise presste ihre Lippen zusammen und versuchte sie vom Gegenteil zu überzeugen.

Kaum war der Tisch gedeckt, wurden beide Frauen bereits vom Klingeln an der Tür aufgeschreckt.

„Ohje, schon so früh? Wir sind noch gar nicht fertig!“, jammerte Luises Mutter, die ihre voreilige Einladung scheinbar bereits bereute.

„Das redest du dir ein, Mama! Es ist alles fein säuberlich hergerichtet und das Essen an sich ist auch keine Katastrophe. Wenn du jetzt noch eine freundliche Gastgeberin spielst, kann nichts mehr schief gehen.“

Es klingelte erneut.

„Ich… ich geh schon!“, rief Luise, obwohl ihre Mutter gleich neben ihr stand.

Doch ihre erst hastigen Schritte, versiebten, als sie direkt vor der Tür stand.

Ihr Arm war ausgestreckt, konnte die Klinke aber aus irgendeinem Grund nicht erreichen.

Ein drittes Klingeln.

„Weißt du, wenn man sagt ‚ich geh schon’ bedeutet es meistens, dass man vorhat die Tür zu öffnen.“, meinte ihre Mutter, die von hinten an sie heran getreten war.

„Ja ja, sicher!“, maulte Luise beinahe und öffnete eiligst die Tür.

Wie ein Pflaster, das man am besten schnell abzog um es hinter sich zu haben.

Schließlich blickte Luise hinaus in die Nacht. Lediglich die Beleuchtung des Eingangsbereichs ihres Hauses spendete Licht. Zuerst sah sie genau das, was sie erwartet hatte. Ein Mann mittleren Alters, fein angezogen, gerade noch als legier geltend.

Sonst niemanden.

Was war geschehen? Hatte der Engel in den Himmel zurück gemusst? War es eine dieser tragischen Geschichten, in denen jemandem nur ein einziger Wunsch erfüllt wurde und das himmlische Wesen danach sofort wieder entschwand?

„Hey Bananenmädchen!“

Erst konnte Luise die Stimme nicht zuordnen, dann strengte sie jedoch ihre Augen scharf an, um über die breiten Schultern des Mannes zu blicken.

Tatsächlich! Die brünnete Engelsmähne!

Langsam und mit zusammengepressten Lippen trat Sarah hinter ihrem Vater hervor.

„Oh, du musst Sarah sein! Dein Vater hat mir bereits einiges über dich erzählt!“, drängte sich nun Luises Mutter in den Vordergrund und spielte wahrlich die gute Gastgeberin.

Sarah hob ihren Arm erst ein Stück und streckte ihn der Frau dann entgegen. Kein einziges Mal sah sie währenddessen zu ihrer nachmittäglichen Begegnung im Garten.

Was war das denn bitte? War dieser Engel etwa schüchtern? Kaum vorstellbar.

Aber nein, gegenüber ihrer Mutter benahm sie sich völlig charmant und lächelte höfflich.

„Luise, nicht wahr?“

Für einen Moment hatte Luise Sarahs Vater vollends ausgeblendet. Er war nicht mehr als ein NPC für sie gewesen, einer dieser unbedeutsamen Charaktere in Videospielen, die einfach nur im Weg standen und nicht relevant für das Geschehen waren.

Natürlich war dies auch hier der Fall, Luise interessierte sich im Moment nur für Sarah, aber das konnte sie wohl schlecht als Entschuldigung verkaufen, nicht mit ihm zu sprechen, oder?

„Ja… sehr erfreut.“, erwiderte sie höflich und reichte ihm die Hand.

„Ok… ich würde vorschlagen wir gehen jetzt hinein.“, entgegnete ihre Mutter, deren Stimme deutlich ihre Aufregung widerspiegelte.

Da die Alternative gewesen wäre, noch weitere Zeit draußen in der nächtlichen Kälte zu verbringen, hatte verständlicherweise niemals einen Einwand.

Sowohl Sarah als auch ihr Vater sahen sich jeden Fleck genauestens an, auf den sie Luises Mutter stieß.

„Ach und die Toilette, ist gleich neben der Treppe.“, ließ sie selbst die möglichst wichtigste Information nicht aus.

Luise wusste nicht ob Sarah wirklich interessierte was sie sah, oder sie sich nur so verhielt, weil es von ihr erwartet wurde.

„Und dein Zimmer?“

Zugegeben, das kam unerwartet. Scheinbar hegte sie doch Interesse für Innenarchitektur, weshalb sonst diese Frage? Für was sollte sie sich auch sonst interessieren, für Luise selbst ja wohl kaum.

Unbeholfen deutete Luise auf die Treppe und zeigte dann ein wenig nach links.

„Darf ich es mir einmal ansehen?“, bat sie schließlich.

Luise schluckte, was sollte sie darauf erwidern?

„Später vielleicht junges Fräulein. Nur weil wir hier zu Gast sind, heißt das nicht, dass du dich benehmen willst, wie es dir beliebt.“, mischte sich Herr Heidenreich ein. Oder auch Joachim, wie ihre Mutter ihn genannt hatte.

„Aber der Gast ist doch auch König, oder?“, wand Sarah ein.

Luise musste ihr unwillkürlich recht geben, auch wenn sie das Mädchen mehr mit einer Prinzessin verglichen hätte.

„Keine Widerrede!“, schärfte ihr Herr Heidenreich nochmals ein.

Sarah gab einen grummelnden Laut von sich, der jedoch nach Zustimmung klang.

„Ach, du siehst übrigens gut aus. Hättest dich nicht so für mich aufbrezeln müssen.“, meinte diese dann und folgte ihrem Vater und Luises Mutter in die Küche.

Luise spürte förmlich den Kloß im Hals, der sich urplötzlich gebildet hatte.

Sofort hastete sie ihr nach und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber.

„Ich habe mich nicht für dich aufgebrezelt!“, flüsterte sie dem Mädchen ärgerlich zu.

Sarah rollte mit den Augen.

„Das würde doch selbst ein Blinder bemerken! Hör mal, Paps und ich sind keine VIPs. Du kannst das hier ganz locker sehen.“, gab sie ihre Meinung ab.

Luises Miene klärte sich auf. Das hatte Sarah also gemeint.

„Naja… meine Klamotten heute Nachmittag waren aber doch etwas zu schlicht.“, fand sie anmerken zu müssen.

Das hatte zur Folge, dass sie Sarah von oben bis unten musterte. Luise war so nervös, dass sie bereits daran war ihre Arme vor ihrem Oberkörper zu verschränken, wie jemand der plötzlich nur in Unterwäsche erwischt wurde.

„Außerdem… du hast dich doch ebenfalls umgezogen, wenn ich mich recht entsinne.“, sagte sie auf Sarahs Outfit starrend.

„Ach das alte Teil?“, meinte diese etwas abfällig und zupfte an ihren T-Shirt.

„Denk dir nichts dabei, meine Tochter wechselt ihre Kleidung zu jedem nur denkbaren Anlass.“, trug Herr Heidenreich zu dem Thema bei, der sich ebenfalls gerade hinsetzte.

Luise fragte sich wie viel Taschengeld Engel wohl bekamen. Mehr als sie? Sarahs Klamotten wirkten teuer und bestimmt nicht Secondhand wie die ihrigen.

Dennoch machte das Mädchen das vor ihr saß weder einen arroganten, noch einen verzogenen Eindruck.

Rein. Ja, genau so mussten Engeln sein, nicht wahr?

„So, es ist angerichtet!“, flötete Luises Mutter und stellte das Tablett mit dem Fleisch auf den Tisch.

Kaum war es angerichtet, begann Sarahs demonstrativ zu schmatzen.

„Wow, das sieht richtig lecker aus.“, sagte sie angeregt und stocherte mit ihrer Gabel bereits an einem der Fleischstücke herum.

Luise wollte etwas anmerken, doch dann war es bereits zu spät.

Sarah hatte das Stück bereits in ihren Mund geschoben und kaute genüsslich darauf herum.

„Also vom Geschmack her… ich weiß nicht, irgendwie fehlt da etwas.“, sprach sie mit vollem Mund.

Luises Augen verengten sich, genau wie die ihrer Mutter.

Herr Heidenreich räusperte sich und entschuldigte sich vielmals für seine Tochter.

„Wieso?“, beschwerte sich Sarah die gerade hinunter geschluckt hatte.

„Du weißt schon, dass das hier ein Fondue ist, oder? Das Fleisch ist roh.“, klärte sie Luise über den Sachverhalt auf.

Sarah schnitt nun ein ernstes Gesicht.

„Wer bitte serviert seinen Gästen rohes Fleisch?“, klang ihre Stimme beinahe vorwurfsvoll als sie zu deren Mutter sah.

Was hatte Luise bis jetzt alles über Engel gelernt? Sie waren eine atemberaubende Erscheinung, besaßen eine zarte Stimme und wundervolle, rote Lippen. Was noch?

Sie waren direkt, vielleicht etwas naiv und hatten keine Ahnung worum es bei einem Fondue eigentlich ging.

Sarahs Vater lastete sich die Mühe auf, sie auf den kochenden Topf aufmerksam zu machen, der in der Mitte des Tisches platziert worden war.

„Achso!“, schien nun der Groschen gefallen zu sein.

Luises Mutter wollte das Umschlichten des rohen Fleisches übernehmen, doch Sarah kam ihr zuvor. Mit einer großen Speisegabel ließ sie ein Stück nach dem anderen in das siedende Wasser plumpsen.

„Irgendwie eine witzige Idee. Wie eine Grill-Party, aber bequem in der Küche am Tisch.“

Na das freut mich, dass du dich freust, dachte Luise nur.

„Ach Joa… ich meine Herr Heidenreich, haben Sie sich und Ihre Tochter bereits eingelebt?“, versuchte ihre Mutter nun charmant zu klingen.

Sarahs Vater räusperte sich lautstark.

„Aber Verehrteste, ich bat Sie doch schon, nicht so formell mit mir umzugehen.“

Luises Mutter lächelte verlegen und schob sich schnell ein Stück Fleisch in den Mund.

„Wir sind gestern Abend erst eingezogen, es liegt irgendwie alles noch in der Gegend rum.“, berichtete Herr Heidenreich lächelnd.

Sarah brummte nur zustimmend.

„Deswegen bist du auch erst vorhin auf meine geliebte Tsurara getreten, unverzeihlich!“

Luise musterte das Mädchen fragend. Auf ihre was?

„Du hättest das Teil auch schon längst auf dein Zimmer schaffen können, junges Fräulein!“, klang er nun etwas anklagend.

Als er die verdutzten Gesichter der beiden Gastgeberinnen erblickte, vollzog eine abfällige Handbewegung.

„Ach das ist nur so ein komisches Stoffkissen mit einer Figur darauf.“, setzte er zur Erklärung an.

„Ein Dakimakura…“, fügte Sarah etwas eingeschnappt hinzu.

„Tut mir leid, dass ich mir so einen einfachen Namen nicht merken kann.“

Doch ihr Vater fand schnell wieder zu sich.

„Verzeihen Sie, Sie müssen sich mit diesen Begriffen wirklich nicht auskennen, ich verstehe selbst selten was meine Tochter von sich gibt.“

Sarah protestierte lautstark.

„Du könntest dich ja auch ruhig mehr für mich interessieren.“, murmelte sie beleidigt.

„Tue ich das nicht bereits in Form des großzügigen Taschengelds, dass ich dir zur Verfügung stelle?“

Sarahs seufzte.

„Hey Luischen, wie viel Taschengeld leierst du deiner netten und kochbegabten Mutter so heraus?“

Luischen? Luise glaubte es noch nie so schwer gehabt zu haben, jemanden einzuschätzen. Sarahs anfängliche Scheu hatte sich plötzlich in Luft aufgelöst.

Dennoch erinnerte sich Luise an ihren Schwur, dass sie nicht einfach nur still dasitzen und Sarah beim Essen zu sehen wollte. Sie setzte bereits zu einer Antwort an, doch ihre Mutter kam ihr zuvor.

„Ach, ich versuche genauso großzügig zu sein, und manchmal macht es mir meine Tochter auch sehr einfach. Du glaubst gar nicht, wie sehr sie mir im Haushalt hilft, und über ihre schulischen Leistungen kann ich mich wahrlich nicht beklagen. Bei jedem Elternsprechtag höre ich nichts als Lob über sie.“

Sarah und ihr Vater tauschten vielsagenden Blicke aus.

Luise fragte sich in wie weit sie sich von ihr unterschied? Dem Haushalt? Den Noten? Oder allem?

„Also eine Streberin…“, entfuhr es Sarah.

Ihr Vater räusperte sich erneut, doch seine Tochter beruhigte ihn schnell wieder.

„Das war ein Kompliment! Ich mag Streber, sie sind wirklich intelligent, ich wünschte ich wäre auch mal einer.“

„Nicht nur du…“, schien es ihrem Vater unmöglich zu sein, auf diese Bemerkung zu verzichten.

Danach wurde es ihm jedoch peinlich und er versuchte das Thema zu wechseln.

„Also? Leben Sie mit Ihrer reizenden Tochter ganz allein hier?“

Luises Mutter kratzte sich verlegen am Hals.

„Ehrlich gesagt, habe ich Luise die meiste Zeit alleine großgezogen und dann wäre da natürlich noch Jonas.“

Luise bemerkte wie Sarahs Ohren zuckten.

„Etwa ein Haustier? Ich hatte leider lange keines mehr, weil wir so oft umziehen. Was ist es denn?“

Luise und ihre Mutter tauschten unsichere Blicke aus.

Wie kam dieses Mädchen auf einmal auf ein Haustier?

„Also…. nein, Jonas ist mein Ältester, er studiert bereits und kommt uns deswegen nur alle paar Wochenenden besuchen. Allerdings ist er nicht gerade die Zuverlässigkeit in Person. Die letzten beiden Besuche wollte er zusammen mit Luise ihr Zimmer neu streichen, aber nie kam es dazu.“

Das wiederum schien ebenfalls die Aufmerksamkeit des Mädchens zu erregen.

„Ach richtig, du hast mir ja versprochen nachher dein Zimmer zu zeigen!“

Luise erinnerte sich genau, dass sie nie etwas dergleichen versprochen hatte, doch Sarah schien sich die Dinge gerne so zurecht zu biegen wie es ihr gefiel.

„Kümmere dich lieber erst einmal um deines.“, ermahnte sie ihr Vater.

Sarah nickte schwach.

„Schon klar, meine PVC-Figuren vergammeln in einem Umzugskarton, es ist unmenschlich ihnen so etwas anzutun.“, erwiderte sie theatralisch.

„PVC?“, ergriff Luise ihre Chance.

„Polyvinylchlorid.“, erklärte Sarah mit ausgestreckten Zeigefinger.

„Aha.“

Sarah nahm einen Biss ohne weiter darauf einzugehen.

Erst als sie Luises verdutzten Blick sah, ging sie ins Detail.

„Kunststofffiguren.“

„Puppen.“, fügte ihr Vater hinzu.

Sarahs Augen wurden weit aufgerissen und ungläubig starrte sie ihren Vater an.

„Das… hast du jetzt doch nicht wirklich gesagt, oder?“, spielte sie die Schockierte.

„Ach, sammelst du so etwas etwa?“, wollte Luises Mutter mehr über Sarahs Hobby erfahren.

Doch auch diesmal war es ihr Vater der für sie antwortete.

„Ja und ich kann Ihnen sagen, diese Finger sind schweineteuer! Doch mein liebes Töchterlein will einfach nicht begreifen, dass das Importieren dieser Figuren ein Vermögen kostet.“

Sarah schnaubte lautstark.

„Man könnte auch sagen ich helfe somit der Wirtschaft! Du machst es beruflich und ich mittels meines Hobbys.“, rechtfertigte sie sich.

„Dein Hobby macht uns noch arm. Wenn du dich wenigstens ein bisschen zurückhalten könntest, wäre ich sehr dankbar.“

Trotz der etwas privaten Konversation klang es keineswegs nach einem Streit und Luise konnte in dieser Situation prima erkennen, dass die beiden wirklich Vater und Tochter waren.

„Wenn du es sagst, bitte! Ich habe mich zwar nämlich erst neulich in dieses Kyouko-Dakimakura verliebt, aber weil du es bist, warte ich gerne noch bis Weihnachten. Und Mangas sind ebenfalls nicht teuer, gegen sie kannst du kaum Einwände haben.“, schlug sie einen Kompromiss vor.

Endlich ein Begriff, den Luise kannte, dachte sie.

„Ach, du interessierst dich für Mangas?“, versuchte sie nicht zu forsch zu klingen.

Sie selbst hatte mal in ein oder zweien gestöbert als sie im Buchladen nach einem geeigneten Roman suchte, über den sie dann für die Schule einen Bericht schrieb.

Sarah beäugte sie aber nur skeptisch.

„Naja wenn man sich für Dakimakuras interessiert, dann ja wahrscheinlich auch für Mangas. Logisch, oder?“

Nein, für Luise war es überhaupt nicht logisch.

Aber solange sich die zierlichen, vollen Lippen des Engels vor ihr weiterhin auf und ab bewegten, akzeptierte sie jede Logik, die man ihr aufzwingen wollte.

„Sie müssen verstehen, meine Tochter verschlingt einfach alles was irgendwie aus Japan kommt.“, glaubte Herr Heidenreich sich entschuldigen zu müssen.

„Nicht alles.“, verbesserte ihn Sarah vehement.

Dann rang sie sich ein Schmunzeln ab.

„Paps ist nicht so bewandert in diesem Thema. Er vergleicht Anime sogar noch mit Zeichentrick, kannst du dir das vorstellen?“

Luise versuchte es ihr gleichzutun und ließ ihr Lächeln nicht aus ihrem Gesicht weichen.

„Ach du meinst diese alten Serien wie Sailormoon?“, glaubte sie endlich etwas zu dem Thema beitragen zu können.

Sarahs Augen verengten sich zu Schlitzen und sie wich Luises Blick aus.

„Ja… wenn du meinst.“, klang ihre Stimme stark danach, dass sie ihr Interesse verloren hatte.

Was zum Teufel hatte Luise jetzt wieder falsches gesagt? Sailormoon war doch so ein Anime, oder wie die Leute es auch nannten, nicht wahr?

Sie musste unbedingt ein Thema finden, bei dem sie mit Sarah auf einer Wellenlänge war.

„Sag mal, auf was für Musik stehst du so?“, versuchte sie ihr Glück.

Luise selbst besaß zahlreiche CD von verschiedenen, aktuellen amerikanischen Sängern und Sängerinnen. Auch wenn sie auf dem Thema nicht so bewandert war wie Sabine. Aber irgendein gemeinsamer Schnittpunkt würde sich doch bestimmt finden lassen, oder?

„Visual Kei.“

„Ähhh…“, war alles was Luise darauf zu sagen hatte.

„Keine klischeehaften schwarz Geschminkten Typen die sich für Vampire, oder was weiß ich halten. Ich bin in der Regel schwer zu beeindrucken, also je ausgeflippter, desto besser.“

Luise spielte verlegen an einer Haarsträhne herum.

„Aber natürlich mag ich auch das normaler J-Pop, Aya Kamiki für den Pep und Haruna Ono, wenn es unbedingt einmal eine Ballade sein muss. Aber bitte frag mich nicht ob ich irgendwelche dieser ständig aus dem Boden sprießenden Boy-Groups gut finde, die meisten haben doch gar keinen eigenen Stil.“

Tja, zumindest in diesem Fall konnte Luise ihre neue Nachbarin beruhigen. Das würde sie sie bestimmt nicht fragen.

„Also… hörst du gerne Katy Perry?“, war Luise keineswegs willens aufzugeben.

Sie schien Sarah kurz zum Nachdenken gebracht zu haben.

„Keine Ahnung, ob ich jemals etwas von ihr gehört habe, da bin ich überfragt. Vielleicht zufällig im Radio. Paps, hast du ein Lied von ihr im Gedächtnis?“

Herr Heidenreich schien genauso überfordert von dieser Frage zu sein.

„Also… können wir nicht lieber über Jimi Hendrix sprechen? Das ist das einzige musikalische Thema, wo ich auch nur ansatzweise etwas beitragen könnte.“, meinte er entschuldigend.

Als Sarah plötzlich ihre Hand auf Luises legte und diese leicht tätschelte, war sie so starr, dass sie nicht einmal auf die Idee kam diese zurückzuziehen.

„Keine Sorge, ich leihe dir gerne einmal meine Girdemo-CD, damit sich dein Musik-Geschmack etwas aufbessert.“, versprach ihr das Mädchen.

Luise bezweifelte, dass ihr Geschmack wirklich schlecht war, doch für Sarah war wohl alles was nicht ihren Interessen entsprach fremdartig und falsch.

Aber was für ein Urteil erlaubte sich Luise überhaupt über das Mädchen? Reichte ein gemeinsamer Abend wirklich aus, um sie bereits gut genug zu kennen?

Wohl kaum.

„Das gilt selbstverständlich auch für mich, werte Frau Fahlbusch… ich meine natürlich Juliane. Wenn Ihnen der sprichwörtliche Zucker fehlt, scheuen Sie sich nicht zu fragen.“, klang er charmant und freundlich.

Dann legte er demonstrativ das Besteck beiseite, ein Zeichen, dass der Abend wohl sein Ende gefunden hatte.

Das Essen war restlos getilgt worden, es bestand kein Grund für ein noch längeres Beisammensein.

„Aber Paps, ich wollte mir doch noch Luises Zimmer ansehen.“, beschwerte sich seine Tochter.

Ja genau, das habe ich dir doch versprochen, dachte Luise. Oder nein, Moment, das hatte sie nicht. Aber im Moment war es ihr egal was um sie herum der Realität und was Sarahs Kopf entsprang. Die Anziehung, die dieses Mädchen auf sie ausübte wollte nicht enden und Luise wollte nicht, dass dieser Tag mit ihr endete.

Es war ihr egal ob sie es unaufgeräumt verlassen hatte, oder ob kompromittierende Gegenstände herumlagen.

„Das kannst du gerne an einem anderen Tag tun, Luise wird dir kaum weglaufen.“, behaarte Herr Heidenreich darauf.

Luise musste ihm erleichtert recht geben.

Nein, solange sie nicht gerade ihr Haus unter den Arm packte und wegrannte, würde sie Sarah wieder sehen. Als ihre Nachbarin.

Diese war nun endlich bereit nachzugeben und bedankte sich für das köstliche Essen.

Als Luise und ihre Mutter sie an der Tür verabschiedeten, drehte sich Herr Heidenreich noch einmal um.

„Eine Bitte hätte ich dann doch noch. Es ist vielleicht etwas viel verlangt, aber Sarah wird wohl dieselbe Schule besuchen wie Ihre Luise. Wäre es möglich…“

Er musste nicht fortfahren, Luises Mutter nickte nur zustimmend.

„Natürlich, Luise freut sich darüber, Sarah unter ihre Pfidiche nehmen zu dürfen.“, schien es für sie selbstverständlich zu sein.

Sie hatte recht, Luise freute sich sogar sehr darauf, aber woher wusste ihre Mutter das?

Ohnein! Hatte sie etwa ein paar mal zu oft in Sarahs Richtung gestarrt?

In diese kastanienbraunen Augen, diese lange, brünnete Mähne, die roten, vollen Lippen, oder den Ausschnitt ihres T-Shirts?

„Klar… ich freue mich darauf, dir alles zeigen zu dürfen.“, sagte sie an Sarah gewand.

Diese hob nur unschuldig die Hand.

„Na dann. Otsgare sama!“, flötete sie und trat dann zusammen mit ihrem Vater den Heimweg an.

„Eine… interessante Familie, nicht wahr?“, fragte Luises Mutter zögernd.

Ihre Tochter konnte lediglich nicken.

„Was… hat sie am Ende gesagt?“, nahm Frau Fahlbusch an, ihre Tochter könnte ihr die Frage beantworten.

Luise ließ sie aber darauf sitzen. Sie hatte nicht den leisesten Schimmer, was Sarah zu ihr gesagt hatte.

Als entschloss sie sich einfach die Worte so zu interpretieren, wie sie sehr gerne hätte, ganz gleich ob es realitätsfern war oder nicht. Die ganz bestimmten Worte, die sie gerne aus Sarahs Mund vernommen gehabt hätte.

Kapitel 2

An diesem Abend tat Luise zwei für sich völlig unübliche Dinge. Zum einen, konnte sie ihre Gedanken nicht von Sarah abwenden, weshalb es ihr unmöglich war sich selbst jetzt auf Mathematik zu konzentrieren. Zum Zweiten musste sie Sabine deshalb bitten, morgen bei ihr abschreiben zu dürfen.

Eigentlich war es ein Witz. Diese Aufgaben hätten kein Problem für Luise dargestellt, wenn sie nur bei der Sache gewesen wäre. Zu ihrem Glück hatte Sabine die Aufgaben diesmal für sich selbst gelöst und so würde morgen eine verkehrte Welt anstehen, da es sonst Sabine war, die Luise erweichte bei ihr abschreiben zu dürfen.

Nun zum Hacken.

Es gab immer einen.

Was hatte Luise eigentlich geglaubt? Dass Sabine das Thema still auf sich beruhen lassen würde?

„Ich hoffe du hast dich wenigstens sexy angezogen?“, klang sie beinahe vorwurfsvoll.

„Aber natürlich, Sabine! Dieses Sommerkleid mit dem tiefen Ausschnitt. Danach sind wir schick essen gegangen, zu diesem teuren Italiener. Sie hat Pasta bestellt und ich Spagetti. Sie musste ständig über meine Witze lachen und wir haben uns bestens verstanden.“

Sabine brauchte etwas, dann grummelte sie unzufrieden.

„Beste Freundinnen erzählen sich immer alles, besonders wenn es um so etwas geht!“, behaarte sie.

Luise begann zu kichern.

„Dann erzähl du mir mal von deiner letzten lesbischen Liebschaft.“, konterte sie.

„Luise das ist nicht fair! Wozu habe ich bitte eine lesbische Freundin, wenn sie mir nicht im Detail von ihren Erlebnissen erzählt?“

„Zum Hausaufgaben abschreiben.“, erwiderte Luise wahrheitsgemäß.

Sabine reagierte darauf mit der einzigen bekannten Technik, die bei Luise Früchte tragen würde.

Schweigen.

Der Unmut ihrer besten Freundin stieg daraufhin derart an, dass sie begann von dem gemeinsamen Essen zu erzählen.

„Weißt du was ein Dakimakura ist?“

„Nope.“

„Eine PVC-Figur vielleicht?“

„Nope.“

„Wie wäre es mit Visual Kei?“

„Nope.“

„Aber Animes und Mangas sagen dir bestimmt etwas, oder?“

„Mein kleiner Bruder liebt Dragonball.“

Luise stöhnte erleichtert auf.

Sie war glücklicherweise nicht die einzige, die sich in Sarahs Welt nicht auskannte. Aber warum glücklicherweise? Sie wollte Sarah doch verstehen und mehr über sie und das was diese mochte in Erfahrung bringen.

„Sailormoon ist doch auch einer, oder?“, glaubte sie fragen zu müssen.

Sabine erinnerte sich sogar noch sehr genau daran und verfiel kurzzeitig einer Nostalgie.

„Siehst du, schon hast du etwas, worüber du dich mit Sarah unterhalten kannst.“, ermutigte sie Luise.

Diese war davon wenig überzeugt.

„Und morgen darf ich mich in der Schule auch noch um sie kümmern!“

Sabine lachte los.

„Oh du Arme, du hast mein Mitgefühl. Aber zumindest werde ich mir diese ominöse Sarah einmal etwas genauer ansehen können. Einfach das Herz meiner besten Freundin zu stehlen, unerhört!“

Luise Stirn zog sich ärgerlich in Falten.

„Sie hat mir gar nichts gestohlen! Außer vielleicht… meine Konzentration.“, rechtfertigte sie sich.

„Einfach die Konzentration meiner besten Freundin zu stehlen, unerhört.“, fuhr Sabine fort.

„Ich lege jetzt auf, danke für deine Hilfe bei den Hausaufgaben.“, wollte Luise sie nun endlich abwürgen.

„Aber klar doch! Und wenn du Liebestipps brauchst…“

Nachdem Luise aufgelegt hatte, stellte sie für morgen den Wecker und packte alles in ihre Tasche, was sie morgen für die Schule brauchen würde.

Bereits morgen würde sie Sarah wieder sehen, und zwar ohne Elternteile.

Doch Luise würde ihr Bestes geben um Sarah die größtmöglichste Hilfe zu sein.

Wie waren im selben Alter, würde sie etwa in ihre Klasse kommen?

Würde sie sich an das Pult neben sie setzen?

Ade Konzentration.

Nein, es gab eine wesentlich wichtigere Frage zu klären. Würde sich Sarah überhaupt mit jemandem wie ihr abgeben? Heute Abend ja, es wurde ja auch von ihr verlangt. Wer war schon nicht freundlich zu seinem Gastgeber, wenn er bei ihm speiste?

Doch in der Schule? Man konnte nicht leugnen wie unterschiedlich sie und Sarah waren. Obwohl sie neu an der Schule war, zweifelte Luise nicht daran, dass sie schnell Freundinnen finden würde. Oder sogar einen Freund?

Wer war sie für Sarah schon? Eine Nachbarin, der man netterweise hin und wieder Guten Tag sagte, mehr nicht. Selbst in der Schule würde sie nur am Anfang mit ihr sprechen und sich dann anderen Leuten zuwenden.

Beliebteren Leuten.

Klar, Luise war ebenfalls beliebt, aber nur wenn es ums Abschreiben ging. Konnte sie vielleicht so die Verbindung zu Sarah halten? Nein, das wollte sie nicht. Es wäre keine Freundschaft, sondern eine Nutzbeziehung.

Doch Luise wollte, dass sich Sarah weiterhin mit ihr abgab, sie mit diesen unaussprechlichen Begriffen bombardierte, wie während des Essens.

Obwohl sie bereits schlafen sollte, schaltete sie ihren Computer ein und tippte unruhig auf der Tastatur herum.

Schließlich klickte sie auf den Browser, der sofort eine Internet-Verbindung herstellte.

Sie fuhr mit der Maus auf die integrierte Google-Schaltfläche und gab das Wort „Anime“ ein.

Dann wartete sie auf die Ergebnisse.

Ungefähr 1.200.000.000.
 

Es soll doch tatsächlich Leute gehen, die gerne die Schule besuchen. Diese haben meist völlig unterschiedliche Gründe.

Einige sind wirklich daran interessiert zu lernen oder sich gar vor ihren Mitschülern zu profilieren. Andere wiederum wegen ihren Freunden, oder anderen Personen die sie schätzten.

Luise nahm die Schule sehr ernst, aber dennoch fühlte sie sich ein klein wenig schuldig, als sie heute das mehrstöckige Gebäude betrat. Wäre sie ohne Sarahs Zutun heute mit einem Lächeln im Gesicht aufgewacht?

„Und wo bleibt dein mysteriöser Schwarm?“, fragte Sabine ungeduldig, die immer wieder auf die Uhr starrte.

Luise musste ihr recht geben. Es waren nur noch wenige Minuten bis zum Klingeln, eigentlich hätten sie längst in der Klasse sein müssen.

Sabine gab auf, doch ihrer Freundin wollte noch eine Weile warten, immerhin hatte sie es versprochen.

Es war eine völlig neue Umgebung für das Mädchen, es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn sie sich irgendwo verlaufen hätte.

Aber war es das auch wert? Luise war Vertrauensschülerin, mehr sogar, die Klassensprecherin der 10-B. Was würden die Lehrer zu ihrem Verhalten sagen? Sollte sie sich schnell umentscheiden und Sabine folgen? Sie konnte es noch rechtzeitig schaffen, ohne den ersten Eintrag ins Klassenbuch ihres Lebens.

Oder hatte sie Herrn Heidenreich missverstanden? War heute gar nicht Sarahs erster Tag in der neuen Schule und sie wartete völlig umsonst?

„Aus dem Weg!“

Woher kam dieses Rufen?

Ein alter Mann schimpfte lautstark und die Laute hastiger Schritte wurden hörbar.

Tatsächlich! Sarah war um die Ecke gebogen, um ihre linke Schulter hing eine fliederne Umhängetasche.

„Huhu! Luischen!“, rief sie der Wartenden zu.

„Du bist zu spät! Und nenn mich nicht Luischen!“, schimpfte nun auch Luise, wenn auch völlig unbeabsichtigt.

„Tut mir leid!“, keuchte sie außer Atem. „Ich stand plötzlich in einer Sackgasse und fand den richtigen Weg nicht!“

Luise und Sarah waren nun nur noch wenige Meter voneinander getrennt, Sarah musste lediglich noch die Treppe nach oben steigen, dann war sie vor den Toren des Schulgebäudes angelangt.

„Jetzt komm schon!“, drängte Luise und streckte dem Mädchen ihre Hand entgegen.

Aber… warum eigentlich?

Ein unbewusster Drang, Sarahs Hand noch einmal zu spüren, so wie gestern, als sie liebevoll darauf herum tätschelte?

Sarah schenkte ihr ein Lächeln, was sie in dem Verdacht bestärkte, dass es eine gute Entscheidung gewesen war.

Zumindest hatte sie das geglaubt.

Sarah wollte sich an ihr hochziehen, übersah dabei allerdings die letzte Stufe.

Ein Sturz war nun unvermeidlich, Sarah kollidierte mit Luise, dass diese nach hinten umkippte. Es war ein Glück, dass Sarah nicht nach hinten und somit die Treppe hinab gefallen war. Nun lag sie längsseitig auf Luise, die Arme zur Seite gestreckt. Wie bei einer Umarmung spürte diese den Kopf des Mädchens in ihrem Nacken. Sarahs Haare waren in ihr Gesicht geflattert, sie raubten ihr kurz die Luft, waren dafür aber sanft und geschmeidig. Außerdem glaubte Luise etwas zu riechen. Ein Parfum? Ein Shampoo? Vielleicht beides? Sie konnte es nicht einordnen, ihre Mutter war diejenige die ihr stets welches mitbrachte. Trotzdem musste sie zugeben, dass es ihr gefiel. Luise verbannte diesen Gedanken, das war wohl kaum der richtige Augenblick für kosmetische Tipps. Das Mädchen auf ihr gab unklare Laute von sich als sie sich den Kopf rieb und langsam erhob.

„Tut…. mir leid.“, sagte Luise ruhig.

Das Mädchen über ihr verhaarte einen Moment, bis sie zu Kichern begann, es aber schnell wieder unterdrückte.

„Hey, ich bin in dich rein gestolpert.“, erinnerte sie und erhob sich.

Das stimmte, also warum die Entschuldigung?

Für die plötzlichen, unlauteren Gedanken? Konnte Luise etwas dafür?

Dann reichte sie der immer noch am Boden liegenden Sarah die Hand, welche diese dankbar ergriff. Als sie wieder aufrecht stand begutachtete sie sofort ihre Kleidung, stellte jedoch erleichtert fest, dass diese Sauberer war als erwartet. Sie sah die Tasche auf dem Boden liegen, bückte sich und reichte sie dem Mädchen. Dieses bedankte sich und entschuldigte sich gleichzeitig.

„Ich hoffe du hast dir nichts getan?“, fragte sie etwas kleinlaut.

Luise schüttelte den Kopf. Als Beweis hob sie ihre Oberarme, eine Geste die das Mädchen ihr gegenüber beruhigte.

Dann wurde Luise regelrecht bleich.

„Wir kommen zu spät!“, erinnerte sie Sarah an diesen Umstand.

Doch das schien sie gar nicht zu müssen, denn ihrer neuen Nachbarin fiel ihre Zwickmühle gleich wieder ein.

Schnell ergriff sie Luises Hand und zerrte sie ins Gebäude.

„Wohin müssen wir?“, kam Sarah schließlich zum Stillstand.

Luise sah sie ungläubig an.

„Wieso führst du, wenn du keinen Schimmer hast?“, ermahnte sie sie.

„Keine Ahnung, aber ich soll mich um 8 Uhr in Klasse 10-C einfinden, wobei ich keine Idee habe, wo sich dies befindet!“, beschwerte sie sich.

Luise schluckte schwer.

Es war die Parallelklasse.

Natürlich war es die Parallelklasse, wie sollte es auch anders sein?

Wie viel himmlisches Glück hatte sie erwartet zu bekommen? Ihre Verbindung zu Sarah würde schneller abreißen als erwartet.

Und das sogar in diesem Augenblick.

Sarah ließ ihre Hand los und Luise fühlte ein schweres Gefühl in sich aufkommen.

Dennoch ermahnte sie sich, klar zu denken und bat Sarah ihr zu folgen.

Nach einigen schnellen Schritten, hatten sie das Stockwerk höher erreicht und Luise zeigte dem Mädchen die Klasse, in dem bereits der Unterricht begonnen hatte.

Sarahs Gesicht drückte Erleichterung aus.

Sie bedankte sich bei Luise und versprach ihr, in der Pause Zeit für sie zu finden.

Diese wartete bis Sarah in der Klasse verschwunden war und fragte sich ob das wirklich der Fall war.

Dann beschlich sie ein mulmiges Gefühl und eiligst huschte sie in ihre eigene Klasse.

Dort wurde sie verdutzt von ihren Klassenkameraden, so wie der Lehrerin erwartet.
 

Es hatte durchaus Vorteile eine Vertrauensschülerin zu sein. Der Lehrer hatte die Verspätung ohne große Schwierigkeiten hingenommen, nein Luise sogar gelobt, dass sie sich um eine verirrte, neue Schülerin gekümmert hatte.

Sabine bestätigte diese Version, obwohl es eigentlich gar nicht nötig war.

Luise war gerettet, aber was war mit Sarah? Die Verspätung war nicht erheblich gewesen und sie war neu, ihre Ausrede hatte also bestand.

Dann entsann sie sich jedoch, dass der Lehrer der 10-C ein ziemlicher Drachen war und er Sarahs Ausrede nicht durchgehen ließ.

Schließlich hätte sie sich bereits im Vorfeld über die Schule informieren und somit pünktlich zum Unterricht erscheinen können.

Aber was für ein Monster, würde jemandem wie Sarah deshalb etwas vorwerfen?

Engel konnten doch auch Fehler machen, oder?

Luise hätte ihr sofort vergeben, da war sie sich sicher.

Gut, sie hätte ihr vermutlich alles vergeben.

Selbst die Tatsache, dass sie sich den Vormittag nicht auf den Unterricht konzentrieren konnte, weil sie nach wie vor in ihrem Kopf rumspukte.

„Ich will sie sehen!“, überraschte Sabine sie in der großen Pause.

Was gab es da zu sehen, dachte Luise.

Natürlich, ein engelsgleiches Wesen, aber wer außer Luise selbst würde Sarah so beschreiben?

Vermutlich alle Jungen in ihrer Klasse die Augen hatten. Und da die Schule auf die Luise ging keinen Behinderten zugänglich war, waren es somit 100 % von ihnen.

Luise rutschte ein kalter Schauer über den Rücken, als wäre sie Sarah selbst, die den ständigen und unangenehmen Blicken des männlichen Anteils der 10-C ausgesetzt war.

Was musste sie leiden, wenn Luise nicht bei ihr war und sie beschützte? Sie genau beriet wer den Jungen ein übler Kerl war und welcher ganz in Ordnung?

Doch die Realität sah anders aus, das wusste sie.

Die anderen Mädchen in der Klasse würden sich um Sarah scharren und detailliert hören wollen, wo überall im Land sie schon war. Ob ihr irgendeine Schule besser gefallen hatte, wie die Jungen oder die Lehrer dort waren, und ob sie hier schon jemanden kannte.

Sarah kannte sie, aber was zählte das schon?

Ihre Angst wurde bestätigt, als sie in der Pause keinen Hinweis auf diese fand. Erst als es zu spät war, berichtete Sabine ihr, dass sich wohl eine Clique hinter dem Schulgebäude versammelt hatte.

Ob Sarah auch dabei? War sie so schnell in eine Clique geraten? Wenn ja, bestünde für Luise absolut keine Chance mehr.

Am Ende des Schultags hatte Luise endlich die Gewissheit eingeholt. Noch immer hatte sie nichts von Sarah vernommen und ihre Hoffnung war dahin. Es kam ihr vor, als würde sich eine große Finsternis um sie herum ausbreiten.

Oder Moment, es kam ihr nicht nur so vor. Von einem Moment auf den anderen war es stockfinster geworden.

„Wer bin ich?“, flüsterte eine Stimme in ihr Ohr.

Wer hatte je behauptet, Dunkelheit wäre etwas Schlechtes? In dieser, in der sich Luise in diesem Augenblick befand, fühlte sie sich geborgen und glücklich.

„Sarah… du bist hier.“, murmelte sie perplex.

Das Mädchen schenkte ihr das Augenlicht wieder und Luise drehte sich überrascht um.

„Das klingt so, als hättest du nicht mit mir gerechnet.“, entfuhr es Sarah.

Luise schluckte schwer, denn dies war die Wahrheit.

„Du meintest du würdest in der Pause auf einen Sprung vorbeischauen.“, erinnerte Luise sie an ihre Worte.

Sarah nickte schwerfällig.

„Das war vielleicht der Plan, aber die Umsetzung war unmöglich. Ständig wollten alle immer etwas von mir wissen, wo ich jetzt wohne, oder wo ich vorher gelebt habe. Sogar die Jungen schien dieses Thema brennend zu interessieren.“

Luise zweifelte daran, ob das wirklich der Fall war, sagte aber nichts darauf.

„Und jetzt… hast du dich erweicht, dich doch von ihnen loszureißen?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Sarah hob belustigt die Augenbrauen.

„Nun, der Unterricht ist zu Ende und mir ist zufällig eingefallen, dass wir denselben Heimweg haben. Da würde es sich doch anbieten wenn wir zusammen gehen, oder?“

Freudig nickte Luise und hoffte das Strahlen in ihrem Gesicht würde keine übertriebenen Züge annehmen.

„Natürlich. Wir können gern miteinander gehen. Also miteinander nach Hause gehen.“, sagte sie sofort zu.

Sarah musterte sie unsicher.

Sie öffnete ihre Lippen, schloss sie dann aber.

Was hatte sie ihr in diesem Moment sagen wollen?

Kapitel 3

„Ach, du bist also Klassensprecherin?“, klang sie wirklich aufrichtig interessiert.

Beinahe 90 % der Strecke hatten sie bereits zurückgelegt.

Noch nie zuvor hatte Luise Mathematik so verabscheut.

„Das ist eigentlich nichts Aufregendes. Ich teile maximal ein paar Blätter aus, mehr ist da nicht zu tun.“, spielte sie ihren Posten herunter.

„Und du hilfst ratlosen Schülern ihre Klasse zu finden.“, fügte Sarah hinzu.

„Ich hatte keine Wahl, oder? Ich hatte doch versprochen mich um dich zu kümmern.“, erinnerte sie.

Sarah seufzte tief.

„Tut mir leid, dass ich so eine große Last für dich darstelle.“

Wieder wusste Luise nicht, ob sie es aufrichtig meinte, oder nicht.

„Aber nein, du bist keine Last!“, betonte sie es dennoch nochmals.

„Noch nicht.“, verbesserte Sarah schnell.

Als sie Luises verdutztes Gesicht sah, fuhr sie schnell fort.

„Stell dir mal vor, du könntest deinen Posten als Klassensprecherin mehr ausfüllen. Ihm einen tieferen Sinn verleihen.“, sagte sie beschwörend.

Wieder einmal wurde Luise bewusst, dass sie nie einen Schimmer hatte, was dieses Mädchen gerade dachte.

„Es ist so, scheinbar seid ihr mit dem Stoff eine klitze Kleinigkeit voraus, zumindest was meinen Wissensstand anbelangt. Ich meine, Quadratische Gleichungen, bitte! Gleichungen sind schwer genug, da ist wohl nicht nötig auch noch Flächenberechnungen mit ins Spiel zu bringen, oder?“, regte sich Sarah künstlich auf.

„Mhm.“, war alles was Luise im ersten Moment erwidern konnte.

„Du hilfst mir doch, oder? Du hast versprochen, ein Auge auf mich zu werfen!“, erinnerte die Bittstellerin.

Naja, Luise hatte wirklich ein Auge auf Sarah geworfen, aber wurde ihr der Spieß jetzt etwa umgedreht?

„Ich habe lediglich zugesichert, dir während der Eingewöhnungszeit in der neuen Schule zu helfen.“, stellte sie klar.

Sarah stellte sich nun vor Luise, um ihr den Weg abzuschneiden.

„Und am besten hilfst du mir indem ich mich schnellstens an dieses Zeug gewöhne.“, startete sie einen weiteren Versuch.

Luise erinnerte sich daran, wie sehr es ihr gefallen war, schon alleine zu lernen, da Sarah ständig vor ihrem geistigen Auge auftauchte. Wie würde es erst aussehen, wenn sie dies vor ihrem physischen Auge tat?

„Naja… ein paar Tipps kann ich dir sicher geben.“, sagte sie, ohne Sarah direkt anzusehen.

Diese klatschte freudig die Hände zusammen.

„Perfekt! Dann schaue ich heute Abend bei dir vorbei und bringe meine Bücher mit. Wäre dir 19 Uhr recht?“

Luise rang sich ein Lächeln ab und sagte schließlich zu.

„Du bist die Beste!“, erwiderte Sarah und schloss sie für ein paar wenige Sekunden in die Arme.

Doch es waren wertvolle Sekunden, wie Luise fand.

Sarah verabschiedete sich von ihr und versicherte ihr, dass sie sich bereits auf den gemeinsamen Lernabend freute.

Und Luise?
 

„Was? Du hast sie doch noch angetroffen? Und ihr seid gemeinsam nach Hause gegangen?“

Luise war gerade in ihre bequemen Hausschuhe geschlüpft und hatte erst ihren Schulranzen, dann sich selbst auf das Bett fallen lassen.

„Und dann hat sie verlangt, dass ich mit ihr lernen soll.“, erzählte sie, als würde es sich darum um etwas Schlechtes handeln.

„Sag mal Luise… diese Sarah existiert doch wirklich, oder? Ich höre ständig von ihr, aber sehe sie nicht.“, sprach Sabine mit einer mysteriösen Stimme.

Luise ließ sich diesen Gedanken einen Moment lang durch den Kopf gehen. Was, wenn Sarah wirklich nur ein Trugbild wäre? Wenn sie sich so eine tolle Person nur eingebildet hatte? Sarah war unglaublich attraktiv und lebensfroh, wieso sollte sich so jemand mit Luise abgeben wollen?

„Ich bin sicher, du wirst sie spätestens morgen in der Schule kennen lernen.“, versuchte sie ihre Freundin zu besänftigten.

Sabine murrte unzufrieden.

„Und was ist mit dir? Wirst du heute Abend einen Versuch unternehmen sie zu verführen?“, fragte sie interessiert.

Luise seufzte. Auf was für Gedanken kam ihre beste Freundin nur immer?

„Sarah ist genauso an Liebschaften unter Mädchen interessiert wie du an deiner Bildung.“

„Autsch. Womit habe ich das verdient?“

Luise ließ sich nach hinten fallen, ihr Kopf landete weich auf dem Kissen.

„Ich bin glücklich genug, dass sie und ich uns so gut verstehen. Zudem habe ich sie erst gestern kennen gelernt, mehr kann ich doch gar nicht erwarten.“, stellte sie klar.

Sabine schien jedoch anderer Ansicht zu sein.

„Meine beste Freundin hat alles Glück dieser Welt verdient, finde ich zumindest.“

Luise hauchte einen kurzen Dank heraus, der aber nicht wirklich aufrichtig klang.

„Oder… glaubst du das nicht wegen der Sache damals? Bist du immer noch so verletzt wegen Svenja?“

Luise drückte das Handy fester zusammen.

Sabine hatte es getan. Obwohl sie das Mädchen gebeten hatte, niemals mehr über dieses Thema zu sprechen.

„Vergleich Sarah jetzt nicht mit Svenja!“, ermahnte sie sie.

Sabine entschuldigte sich gleich darauf.

„Ja ja, tut mir leid. Aber so wie du mir Sarah beschreibst, scheinst sie ganz in Ordnung zu sein. Etwas ausgeflippt, aber ehrlich.“

Luise sah aus dem Fenster.

Sarahs Zimmer lag auf der anderen Seite des Nachbarhauses, es wäre auch zu schön gewesen sie sehen zu können, wann immer sie wollte. Wie eine heimliche Verehrerin, ständig in ihre Welt blickend. Aber was dachte Luise da eigentlich?

Sarah wollte sich mit ihr persönlich treffen, mit ihr reden und lernen.

Besser hätte sie es gar nicht treffen können, oder?

„Am besten verkleide ich mich als Anime-Figur, dann könnte es durchaus sein, dass Sarah doch auf mich abfahren könnte.“

Sabine kicherte.

„Was müsstest du dafür tun?“, fragte sie gespannt.

Luise hatte zwei Stunden damit zugebracht um sich einen raschen Überblick über Sarahs Hobby zu verschaffen.

„Zuerst die Haare färben, am besten in einem schrillen Ton, wie pink oder blau. Dann die Lippen chirurgisch entfernen lassen und außerdem eine Augenvergrößerung, sofern die moderne Medizin zu sowas im Stande ist.“, überlegte sie laut.

„Hört sich schmerzhaft an, würdest du für Sarah wirklich so ein Opfer bringen?“, hakte Sabine nach.

Luise wusste, dass sie übertrieb, aber hatte sie recht?

Wie sehr wäre sie bereit sich zu verändern, nur damit Sarah sie nicht nur als Nachbarin und Nachhilfelehrerin ansah?

„Und du? Würdest du mich danach noch als Freundin haben wollen?“, hakte Luise nach.

Sabine überlegte einen Moment.

„Offen oder heimlich?“

„Ich mach Schluss, Sarah kommt bald.“, speiste sie ihre Freundin schließlich ab.

„Wenn es sein muss. Dann nehme ich an, kommst du heute nicht mehr in den JFC?“

Luise stöhnte auf.

„Du weißt doch, dass ich nicht mehr so gerne hingehe wie früher. Außerdem sind dort größtenteils ohnehin nur Leute aus unserer Schule, die sehe ich ohnehin jeden Tag.“

Sabine akzeptierte Luises Widerwillen und legte schließlich auf. Natürlich nicht, ohne ihrer Freundin noch viel Glück zu wünschen.

Diesmal takelte sich Luise nicht auf, wie es Sarah genannt hatte.

Diesmal würde sie einen professionellen, aber nicht zu lehrerhaften Eindruck erwecken. Sie wollte, dass Sarah sie ernst nahm, sofern das bei dem Mädchen überhaupt möglich war.

„Luise, deine neue Freundin ist da!“, rief ihrer Mutter vergnügt nach oben.

Luise wurde nervös als sie diesen Ausdruck vernahm.

Sarah war nicht ihre neue Freundin. Oder?

Luise hatte ihr Zimmer so gut es ging aufgeräumt, alles was noch einigermaßen kompromittierend wirken konnte, war alles was nicht nach Sarahs Geschmack war.

Also hastete Luise schnell die Treppe hinunter um Sarah persönlich in Empfang zu nehmen.

Wieder ein anderes Outfit, dachte Luise als sie Sarah neben ihrer Mutter stehend vorfand.

Zog sie sich einfach gerne um, oder wollte sie Luise damit beeindrucken? Schließlich war es ein gewöhnlicher Lernabend, selbst ein Jogginganzug hätte gereicht.

„Heute ist es endlich soweit!“, entfuhr es der Nachhilfeschülerin triumphierend.

Luise starrte sie nur verdutzt an.

„Du kommst doch gerade aus deinem Zimmer, oder?“

Luise wollte etwas erwidern, bis ihre Mutter kurz klatschte.

„Gut, dann lasse ich euch mal allein, bei eurem Mädelsabend!“, klinkte sie sich aus und schlenderte in Richtung Wohnzimmer.

Sarah hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und wirkte etwas verlegen.

„Gut ich würde vorschlagen, du folgst mir.“, deutete Luise nach oben.

„Vorschlag angenommen.“, stimmte Sarah zu und erklomm mit Luise die Treppe in den ersten Stock.

„Pass diesmal aber auf die Stufen auf.“, ermahnte sie Luise und Sarah schnitt ein eingeschnapptes Gesicht.

„Dort hat übrigens mein Bruder gehaust und tut es auch jetzt noch hin und wieder.“, wies Luise auf einen Raum an Ende des Flurs.

„Verstehe, dahin muss ich also gehen wenn ich Sexheftchen suche.“, kombinierte Sarah scharf.

Luise kicherte auf.

Ehrlich gesagt hatte sie keine Ahnung, ob Jonas sowas wirklich je besessen hatte oder nicht. Oder sollte sie vielleicht einen Versuch starten und unter seinem Bett nachsehen? Ach was, auf welche Ideen kam sie da bloß?

Sie zeigte Sarah noch die Tür zum Bad, bevor sie an ihrer Zimmertür angekommen waren.

„Warte einen Augenblick, ich muss mich vorbereiten.“, bat Sarah, doch Luise konnte ihr nicht folgen.

Sie würde ihr Zimmer eher langweilig finden anstatt aufregend.

Sie betraten Luises eigenes Reich und Sarah ließ ihren Blick schweifen.

„Cool, ein CD-Ständer. Ich kenne zwar keine davon, aber wollen wir nicht eine auflegen?“, hatte Sarah bereits ihr erstes Ziel entdeckt.

Luise jedoch schüttelte vehement den Kopf.

„Denkst du, du kannst dich so beim Lernen konzentrieren? Vielleicht später.“, entschied sie.

Sarah nickte eingeknickt.

Dann streifte ihr Blick über das Regal mit den Büchern und Zeitschriften.

„Ok, was haben wir hier? Sachbücher, ein paar Krimis….oh!“

Unzufrieden beobachtete Luise wie Sarah an ihren Sammlungen herumspielte.

„Dem Einband nach ein Liebesroman. Aber keine Sorge, ich habe mich auch schon ab und zu herabgelassen so etwas zu lesen.“, zwinkerte sie ihr verschwörerisch zu, und begann dann den Klappentext zu lesen.

„Hm… Anette ist zwar glücklich mit ihrem Beruf als Rallye-Reiterin, hat aber ständig nur Pech in der Liebe. Als ihr eines Tages ihre Kontrahentin Isabel begegnet, glaubt sie…“

Es war der zweite Moment an diesem Tag, als Luise Sarah näher kam als eigentlich geplant.

Schnell drängte sie sich neben sie und schob das Buch ins Regal zurück.

„Und dann verliebt sie sich unsterblich in deren Bruder, und Friede, Freude, Eierkuchen. Aber komm, wir sollten anfangen zu lernen!“, begann sie Sarah zu hetzen.

Diese stöhnte auf und ließ sich von Luise an deren Schreibtisch bringen.

„Hast du alles dabei?“, erkundigte sich Luise nach der Vorbereitung ihrer Schülerin.

Sarah nickte und holte ein Heft aus ihrer Tasche.

„Ich dachte du hast ohnehin eine Version des Mathebuchs.“, fügte sie hinzu und begann in Luises Büchse mit den Stiften zu greifen.

Luise bejahte und schlug das Buch an besagter Stelle auf.

„Was verstehst du denn genau nicht?“, wollte sie wissen.

„Mathe.“

Luise räusperte sich.

„Vielleicht noch ein Stück genauer?“, bat die Lehrerin gnädig.

Sarah begann damit ihr Problem zu schildern, dass Formeln zwar an sich eine gute Sache waren, die Umsetzung sich aber wesentlich schwieriger gestaltete.

Luise war erstaunt, als sich Sarah als aufmerksame, wenn auch nicht immer gleich verstehende Schülerin herausstellte.

Zwei mal bat sie auf die Toilette zu gehen und einmal darum, einen Blick in Jonas’ Zimmer werfen zu dürfen. Luise erlaubte genau zwei der Bitten.

Als die Hausaufgaben fertig waren und es Sarah tatsächlich gelungen war den Großteil davon alleine zu lösen, hopste sie vergnügt auf Luises Bett und kuschelte sich darin ein.

„So weich und flauschig!“

Luise schluckte.

Immerhin war es ebenfalls das Bett in dem sie heute und logischerweise die weiteren Tage, schlafen musste. Und jetzt hatte es außerdem noch Sarahs Geruch an sich, auch wenn Luise zugab damit leben zu können.

Doch Sarah verließ es recht schnell wieder und war zum CD-Ständer gewandert.

„Ist Melissa Etheridge empfehlenswert?“, hakte sie nach.

Scheinbar hatte es sich um eine rhetorische Frage gehandelt, denn sie war bereits daran die CD in den Player einzulegen.

Eine sanfte Ballade erklang aus den Boxen und Sarah streckte ihre Hände nach Luise aus.

„Ähhh… willst du etwa tanzen?“, fragte diese stockend.

Sarah zuckte mit den Schultern.

„Sofern du nichts peppigeres hast. Einen langsamen Tanz habe ich noch nie ausprobiert, also her mit deiner Hand.“, bat sie.

Luise war die Situation plötzlich unangenehm geworden.

Wieso hatte es Sarah heute nur ständig auf ihre Hand abgesehen? Nicht, dass sie groß Einwände gehabt hätte.

Doch es war bereits zu spät.

Sarah hatte ihre Hand ergriffen und schlang ihren rechten Arm um ihre Hüfte.

Luise versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen und versuchte ebenfalls ihren Arm um Sarah zu legen.

Mit mäßigem Erfolg.

Das Mädchen musste nachhelfen und Luise spürte das Kribbeln in ihren Händen.

Langsam bewegten sie und Sarah sich voran und Luise nahm es nicht einmal wahr, dass Sarah ihr einmal kurz auf den Fuß trat.

„Und wie sieht es aus?“, wollte diese wissen.

„Wie… sieht was aus?“, konnte ihr Luise nicht folgen.

„Na, in Sachen Liebe!“, wurde Sarah konkreter.

Luise blickte sie an, als würde Medusa persönlich vor ihr stehen.

„Du brauchst gar nicht so schockiert zu tun. Liebesromane und solche langsamen Songs, entweder fühlst du dich liebestechnisch ausgehungert oder du bist extremst verknallt. Eines dieser beiden Dinge.“, stand für Sarah fest.

Luise unterbrach den Tanz und schritt zum CD-Player. Sie beendete den Abspielvorgang und sah dann zu Sarah.

„Es ist spät, dein Vater will bestimmt nicht, dass du solange weg bist.“, entgegnete sie und hoffte nicht zu streng und lehrerhaft zu wirken, wie sie es sich ja gerade geschworen hatte nicht zu sein.

Sarah nickte leicht und packte dann ihr Zeug in ihre Tasche.

„Du musst mir nichts von dir erzählen, wenn du nicht willst.“, gab sie klein bei.

Luise trat einen Schritt vor, ließ es dann aber bleiben.

Dabei stimmte das gar nicht. Sie wollte Sarah eine Menge von sich erzählen, sie wollte, dass dieses Mädchen erfuhr was für ein Mensch sie war.

Doch was dann? Luise hatte unendliches Glück gehabt, dass Sarah gegenüber Strebern sehr aufgeschlossen war, auch wenn Luise sich selbst nie so betitelt hätte.

Doch was wenn sie erfuhr, dass sie auf Frauen stand?

Sarah würde nie mehr ein Wort mit ihr wechseln. Weder in der Schule, noch wenn sie sich zufällig im Garten begegneten.

„Es ist nur… wir kennen uns erst seit gestern und…“, begann sie stotternd.

„Und du weißt nicht, ob du mich überhaupt magst, stimmt's?“, fuhr Sarah fort.

Luise riss die Augen weit auf.

Natürlich mochte sie Sarah, wie konnte Sarah nur so etwas Dummes behaupten, dass sie Sarah nicht mochte?

„Und jetzt belästigt dich die dumme Buhte auch noch, weil sie selbst zu blöd zum Lernen ist.“, strich sich Sarah peinlich berührt durchs Haar.

Sie wollte bereits wieder auf und davon, doch das konnte Luise nicht zulassen.

„Ähhh… du stehst nicht sonderlich auf Mahou Shoujos, oder?“

Luise hatte keinen blassen Schimmer ob das was sie gerade gesagt hatte, Sinn ergab.

Sarah drehte sich um und starrte sie gebannt an.

„So… nennt man das doch, oder?“, fragte Luise verlegen.

Sarah begann plötzlich in sich hinein zu lachen.

„Du hast dich darüber informiert?“

Luise nickte schnell.

„Natürlich, dein Hobby klingt sehr interessant und ich wollte auch mehr über dich erfahren.“

„Aber…“

„Du bist mir überhaupt nicht lästig und ich mag dich auch wirklich!“, versicherte ihr Luise.

Dann schluckte sie.

Sie kam sich beinahe wie bei einem Liebesgeständnis vor.

„Wirklich nicht?“

„Wirklich nicht!“

Daraufhin rückte Sarah sogar wieder ein Stück näher.

„Du hast recht. Wenn sie nicht gerade Meruru oder Mirakurun heißen, können sie mir gestohlen bleiben.“

Dann blickte sie kurz zur Seite.

„Und? Bist du schockiert?“, wollte sie von Luise wissen.

Diese hob nur fragend die Augenbrauen.

„Nunja, wenn man in die Welt eines Otakus eintaucht, können einem durchaus beängstigende Dinge begegnen.“

Luise strich sich verlegen den Oberarm entlang.

„Nein, es war wirklich sehr… aufschlussreich. Mein Wortschatz hat sich an einem einzigen Tag enorm gesteigert.“, musste sie zugeben.

Plötzlich schien Sarah etwas einzufallen und sie kramte in ihrer Tasche.

„Ich habe total vergessen, dass ich dir etwas mitgebracht habe.“, erwiderte sie und reichte Luise schließlich eine CD.

„Ich hoffe LiSA gefällt dir.“, lächelte sie sie an.

Luise nahm sie musternd entgegen.

„Ich habe dir doch gestern versprochen, dass ich dir meine Girdemo-CD leihe, oder? Aber du darfst sie behalten, ich habe sie extra für dich gebrannt.“, erklärte Sarah ihr Geschenk.

Luise schluckte? Extra für sie gebrannt? Sie hatte kein so persönliches Geschenk von Sarah erwartet, besonders nicht in der kurzen Zeit, in der sie sich kannten.

„Danke, ich werde bestimmt einmal reinhören, versprochen!“, nahm sie Luise dankbar entgegen.

„Sehr gut, also dann bis morgen.“, machte sich Sarah daran sich zu verabschieden.

Aber wollte Luise, dass sie bereits verschwand? Doch wie hätte sie sie zurückhalten sollen? Und aus was für einem Grund? Dabei hatte sie ihr noch so viel zu sagen!

Hatte sie dieses ganze Wissen völlig umsonst in sich aufgenommen?

Es half nichts.

Sie musste Sarah nach unten begleiten, wo sie das Mädchen zusammen mit ihrer Mutter verabschiedete.

„Sarah scheint ja einen guten Einfluss auf dich auszuüben, du wirkst sehr zufrieden.“, fiel Frau Fahlbusch auf.

Luise räusperte sich und trat dann den Rückweg in ihr Zimmer auf.

Dort legte sie die CD ein und ließ sich von der unbewohnten Musik berieseln.

Wenige Zeit später hörte sie lautes Klopfen, doch es schien von draußen zu kommen.

Schnell stellte sie die Musik ab und öffnete das Fenster.

Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich wegducken, denn etwas Schnelles suchte seinen Weg in ihr Zimmer.

„Tut mir leid!“, erklang eine bekannte Stimme.

Schließlich konnte Luise das Ding als Kieselstein identifizieren.

„Ich wollte nur auf mich aufmerksam machen!“, rechtfertigte sich Sarah.

Tja, zumindest das war ihr gelungen.

„Was gibt es denn noch?“, rief Luise dem Mädchen zu, das sich über den Zaun gebeugt hatte und immer noch eine Ladung Kieselsteine in der Hand hielt.

„Ich habe nur die Musik gehört und wollte fragen wie sie dir gefällt.“, erklärte sie sich.

Luise seufzte hörbar.

„Großartig, lässt du jetzt mein Haus bitte in Ruhe?“

Sarah ließ die Kieselsteine auf den Boden kullern und hob resignierend die Hände.

„Reden wir morgen weiter?“, wollte sie stattdessen wissen.

Bestimmt, dachte Luise.

„Mal sehen.“, antwortete sie.

Zum zweiten Mal an diesem Tag verabschiedeten sie sich und Luise ging daraufhin zu Bett.

Ja, morgen, übermorgen und auch die Tage danach, wenn es nach ihr ging.
 

„Huhu!“

Noch nie hatte sich Luise über ein Huhu so sehr gefreut wie an diesem Tag.

Dann zögerte sie allerdings, als sie bemerkte, dass Sarah nicht alleine war. Zwei andere Mädchen hat sich um sie gescharrt, doch Luise folgte ihrem Drang schließlich.

„Schmeckt es?“, waren dies die einzigen Worte die ihr in den Sinn kamen.

Luise selbst hatte sich frisches Gebäck von dem Verkaufsstand geholt, der gegenüber dem Schulgebäude zu finden war.

Sarah und ihre scheinbar neuen Freundinnen hatten es ihr wohl kurz zuvor gleich getan.

Luise spürte die zweifelnden Blicke der anderen beiden Mädchen und sie konnte es nachvollziehen. Unter den dreien war sie es, die am meisten aus dem Raster fiel.

„Ihr kennt euch näher?“, wollte eine von ihnen wissen.

Sarah nickte, während sie noch kaute.

„Luise und ich sind Nachbarn, außerdem ist sie ziemlich schlau. Ohne sie wäre ich vielleicht sogar herabgestuft worden und ihr hättet keine Freude an mir.“, meinte sie belustigt.

„Ähh… Hi.“

Luise hätte sich selbst ohrfeigen können, doch das hätte lediglich zur Folge gehabt, dass die beiden Mädchen sie noch schräger angesehen hätten.

Dafür tat Sarah nun das, was Luise befürchtete. Sie klopfte auf den einzig noch freien Platz auf der Bank, auf der die Gruppe saß.

Was sollte das werden? Erkannte Sarah nicht, dass Luise nicht in diese Gruppe passte? Zu Hause war das etwas völlig anders, doch selbst hier schien sie keine Regeln zu kennen und nur zu tun, was ihr beliebte.

Trotz zunehmender Unsicherheit setzte sich Luise und begann damit an ihrem Brötchen herum zu kauen.

„Wo waren wir? Ich kenne noch keinen einzig guten Laden hier in der Stadt, ohne euch bin ich aufgeschmissen, ehrlich!“, beklagte sie sich.

Die Mädchen – Luise wollten ihre Namen partu nicht einfallen – berieten ihre neue Klassenkameradin so gut es ging.

Eine von ihnen machte Sarah auch Komplimente über ihr ohnehin schon so ausgewachsenes Modeempfinden und fragte sie woher sie ihren schicken Pulli hatte.

Luise verzog die Lippen.

Was war jetzt los? Mit ihren Klassenkameradinnen konnte Sarah über so banale Dinge wie Klamotten reden, aber bei ihr musste es ausgerechnet dieser Otaku-Kram sein?

Dann blickte sie an sich selbst herab. Banal. So konnte man auch ihren Kleidergeschmack bezeichnen.

„Oh, aber Luise hat auch einen sehr ausgefallenen Modegeschmack.“, entkam es Sarah dann.

Nicht nur die Mädchen sahen sie ungläubig an, auch Luise tut es.

„Stimmt doch! Mir gefiel dein Bananenhut, auch wenn das wohl nicht jeder tragen kann. Mir würde er sicher nicht stehen.“, kicherte sie und erzählte schnell von der Geschichte wie sie und Luise sich kennen gelernt hatten.

Ihre Klassenkameradinnen stimmten auf das Gelächter ein und Luise wurde immer mulmiger zu mute.

Was war hier nur los? War das der Dank dafür, dass sie Sarah beim Lernen geholfen hatte? Und warum zog sie die Erzählung so ins Lächerliche?

War ihre Begegnung nicht magisch gewesen? Hatte sie Luise nicht den schönsten Tag ihres Lebens beschert?

Einem der Mädchen schien unerwartet etwas einzufallen und es brauste los. Die andere folgte ihr auf dem Fuß, aber nicht ohne Sarah vorher bescheid zu sagen, dass sie nicht mitzukommen brauchte.

Also verschlang diese weiterhin ihr Pausenbrot und bekam erst nach einigen Sekunden Luises stechenden Blick zu spüren.

„Hm?“

„Nichts Hm! Wie kommst du nur dazu, mich vor anderen lächerlich zu machen? Glaubst du nicht, dass mir das peinlich sein könnte?“, fragte sie wütend.

Das verschreckte Sarah nun, nein, es verstörte sie regelrecht.

„Aber… es war doch eine witzige Situation, ich dachte, du könntest ebenfalls darüber lachen.“, rechtfertigte sie sich.

Doch Luise wand ihr Gesicht ab, weshalb sich Sarah murrend dazu durchrang sich zu entschuldigen.

Diese wollte etwas erwidern, bis ein stumpfer Schrei ertönte.

Wortlos sah sie zu wie ein Mädchen den weiten Platz zu ihnen her rannte.

Dabei winkte sie wie eine Verrückte und Luise hätte sich am liebsten gewünscht, so jemanden nicht zu kennen. Doch das tat sie leider.

Es handelte sich um Sabine.

Schnaufend hielt sie vor den beiden und streckte Sarah die Hand entgegen, welche sie zögernd entgegen nahm.

„Du bist also der sagenumwobene Eng… also Luises neue Nachbarin. Freut mich dich kennen zu lernen!“, sagte sie enthusiastisch und stellte sich dann als Luises beste Freundin vor.

„Rück mal ein Stück!“, bat sie und verdrängte Luise von der Kante der Sitzbank.

Das war albern, da zwischen ihr und Sarah noch jede Menge Platz gewesen wäre. Sollte das ein plumper Verkupplungsversuch werden?

Sie wollte Sarah zwar näher kommen, aber doch nicht auf physischer Ebene.

Doch dann ließ sie sich den Gedanken etwas genauer durch den Kopf gehen und fand die Vorstellung ganz interessant, Sarah auch physisch näher zu kommen.

Doch dann schüttelte sie hastig den Kopf und ermahnte sich selbst dafür, was ihr Gehirn da wieder fabrizierte.

Sabine war wesentlich aufdringlicher als ihre Freundin und begann Sarah auszufragen.

Einmal mehr musste sie Rede und Antwort stehen und vor einer neuen Person die sie gerade erst kennen gelernt hatte, ihre Lebensgeschichte ausbreiten.

Luise bemitleidete sie, fühlte aber auch Dankbarkeit gegenüber Sabine. Allein hätte sie sich nie getraut, Sarah zu bitten mehr von sich zu offenbaren.

Oder sie hätte zumindest Angst gehabt mit einer unendlichen Ladung japanischer Begriffe bombardiert zu werden.

„Wow, das klingt alles so interessant! Tut mir leid, wenn ich lästig bin.“, klatschte Sabine ihre Hände aneinander.

Sarah schüttelte sofort den Kopf.

„Aber nein, deine Art ist sehr erfrischend. Es fällt mir sogar schwer zu glauben, dass du und Luise befreundet seid.“, erwiderte sie.

Was war das jetzt wieder, dachte Luise.

„Ja, Luise geht sehr selten aus sich heraus, aber das bedeutet nicht, dass sie eine Person – sagen wir jetzt beispielsweise dich – nicht mag, oder so.“

Ein Ellbogen stieß Sabine leicht an.

„Ja, ich weiß. Luise hat mir ja bereits gestanden, dass sie mich mag.“, erklärte Sarah dem Mädchen.

Diese weitete die Augen und Luise schluckte schwer.

Woher stammte bloß Sarahs Talent, Worte so sehr zu verdrehen?

Die Glocke läutete und beendete die peinliche Situation.

„Gut, wir sehen uns.“, war Sarah aufgestanden und hatte den Rückweg angetreten.

Luise blickte zu Sabine und hätte ihr ihren verschwörerischen Blick und ihr hämisches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht gerissen.

„Ich gebe zu, du hast Geschmack! Wenn ich lesbisch wäre…“

Luise bot ihr keine Gelegenheit den Satz zu vollenden. Sie war aufgestanden und hatte sich ebenfalls auf den Weg gemacht.

„Ich meine ja nur!“, entgegnete Sabine.

Zurück in der Klasse freute sich Luise bereits darauf wieder mit Sarah zu reden, vielleicht wieder gemeinsam mit ihr den Heimweg antreten zu dürfen.

Ihr Wunsch wurde nicht erfüllt.

Sie traf das Mädchen vor dem Schultor, doch Sarah erzählte ihr, dass sie Lena und Katrin auf eine Shopping-Tour eingeladen hätten. Luise spürte wie hippelig Sarah war, endlich die hiesigen Geschäfte näher unter die Lupe nehmen zu dürfen.

Doch konnte sie ihr kaum verdenken? Sarah lud sie zwar ein, sie zu begleiten, doch Luise lehnte ab.

Die Ausrede, ihrer Mutter im Haushalt zu helfen war zwar plump, aber besser als nichts.

Natürlich, es hätte Spaß gemacht, zusammen mit Sarah zu bummeln, doch sie wäre nur das lästige fünfte Rad am Wagen gewesen.

Sarah hatte bestimmt nur aus Höflichkeit gefragt, Luise hätte niemals zu dieser Gruppe gepasst.

Sabine konnte ihr Verhalten zwar nicht verstehen, doch Luise war auch nicht darauf angewiesen. Sie musste nichts mit Sarah unternehmen, immerhin hatte sie das Mädchen stets in ihrer Nähe.

Sie konnte sie sehen, wann immer zu wollte.

Und sie konnte an sie denken, wann immer sie wollte.
 

Nach einer Woche begann Luise ernsthaft zu zweifeln ob Sarah wirklich ehrlich ihr gegenüber war. Klar, sie sahen einander in fast jeder Pause und sie wohnten Haus an Haus. Sarah grüßte sie, schenkte ihr sogar ein Lächeln.

Konnte Luise noch mehr verlangen? Sollte sie das Mädchen vielleicht fragen ob sie wieder einmal zusammen lernen sollten? Aber würde man das nicht als zu aufdringlich werten?

Sarah hatte neue Freundinnen gefunden, vielleicht sogar eine Beste.

Wahrscheinlich dachte sie nicht mehr an Luise und diese wollte sich auch nicht zwanghaft in ihr Leben drängen.

Es war Freitag und Luise erblickte die zwei Klassenkameradinnen Sarahs an ihrem üblichen Platz.

Sie wusste nicht was sie sich dabei dachte, normalerweise sprach sie mit ihnen. Weder mit Leuten aus anderen Klassen, noch mit Mädchen die einen völlig anderen Stil als sie pflegten.

„Hey, ich will euch nicht stören, aber habt ihr heute schon Sarah gesehen?“, versuchte sie eine freundliche Miene beizubehalten.

Die Mädchen tauschten Blicke aus und schüttelten dann den Kopf.

„Keine Ahnung wo sie gerade steckt.“, entfuhr es der einen mit den kurzen schwarzen Haaren.

Luises Augenbrauen wanderten etwas nach oben.

„Achso. Ich habe nur gedacht, ihr als ihre besten Freundinnen wüsstet es vielleicht.“

Wieder Blicke, diesmal noch intensiver und skeptischer.

„Tun wir nicht, aber… bist du nicht ihre beste Freundin?“, hakte die Blonde nach.

Das erstaunte Luise nun sichtlich.

„Wie… kommt ihr darauf?“, wollte sie wissen.

Darauf folgte ein zeitgenössisches Achselzucken.

„Weiß nicht, sie redet oft von dir, und da ihr Nachbarn seid, dachten wir, ihr seid auch freundschaftlich verbunden.“, berichtete die Schwarzhaarige.

Luise schluckte.

Sarah redete oft von ihr? Sie hatte sie nicht vergessen? Sie hätte aufjubeln können, zumindest wenn sie allein gewesen wäre.

Luise bedankte sich und ließ die beiden alleine. Unsicher schlenderte sie zu Sarahs Klasse, auch wenn sie nicht erwartete diese dort vorzufinden.

Umso überraschter reagierte sie, als das Mädchen durch die offene Tür im Inneren des Raums sitzen sah.

Bisher hatte Sarah auf sie den Eindruck eines Freigeists gemacht, also wieso blieb sie nun freiwillig in der Klasse um zu lernen?

Langsam klopfte Luise an die Tür und Sarah blickte erschrocken zu ihr auf.

Eine Hand mitten im Haarschopf, die andere umklammerte einen dicken Kuli.

„Luischen?“

„Luise.“, wurde sie verbessert.

Sarah schob ihr Heft und ihre stifte beiseite und bahnte sich den Weg zu ihr.

„Das ist nicht deine Klasse.“, glaubte sie sagen zu müssen.

Luise nickte wissend.

„Und es ist Pause.“

Sarah wirkte nun etwas ertappt und wich ihrem Blick aus.

„Du erinnerst dich vielleicht, dass ich sagte, ich hätte Probleme mit Mathe, oder?“

Luise nickte nachdenklich, als wolle sie es aussehen lassen, dass sie sich nur noch dunkel erinnern würde.

„Das stimmte nur zu etwa 33,3 %.“, erklärte ihr Sarah.

„Und die restlichen 66,6?“, hakte sie nach.

„Physik und Chemie.“, gestand Sarah.

Luise seufzte tief.

„Du willst mir also sagen, dass sich deine Defizite auch darauf beziehen?“

Sarah schüttelte schnell den Kopf.

„Ne, ich bin einfach schlecht darin.“

Luise presste die Lippen zusammen.

„Genau das bedeutet es ja, Defizite zu haben.“

Sarah wand ihren Blick ab, als fühle sie sich schuldig.

„Wenn du willst… können wir gerne nochmal einen Lernabend einlegen und den Stoff den du nicht kapierst dran nehmen.“, bot sich Luise an.

Doch Sarah wirkte grüblerisch und unsicher.

„Aber… dann wäre ich doch nur wieder eine Last für dich.“, erwiderte sie.

Luises Kinn hob sich. Eine Last? Sarah? Wie kam sie darauf?

„Ich merke es doch an deinem Verhalten. Immer wenn wir aufeinander stoßen wirkst du so kühl und reserviert. Sicher hast du es satt dich immer um die dumme Neue kümmern zu müssen, die ohnehin nie etwas kapiert.“, offenbarte sie ihre Sichtweise.

Reflexartig packte Luise ihre Schultern und rüttelte sie leicht.

„Ich finde dich überhaupt nicht dumm! Es ist ganz normal, dass jeder andere Stärken hat, dafür hat man ja auch Freunde die einem helfen!“, redete sie auf sie ein.

Sarah rang sich ein Lächeln ab.

„Und ich würde dich nicht nur ausnutzen, wenn ich dich um Hilfe bitten würde?“, fragte sie zaghaft.

Luise verneinte vehement.

„Im Gegenteil, es macht mir Spaß mit dir zu lernen. Du bist immer so erfrischend und lebhaft. Es wäre mir eine Ehre zusammen mit dir lernen zu dürfen.“

Sarahs Reaktion war eine stürmische Umarmung.

„Danke, du bist die Beste! Mit Lena oder Katrin hätte ich nie Fortschritte gemacht, es sei denn in männlicher Anatomie.“

Luise musste lachen.

„Ich fürchte da hätte ich dir auch nicht viel helfen können.“, gestand sie.

Dann wurde ihr mulmig zumute, war aber froh, dass Sarah nicht weiter nachhakte.

Die Glocke zum Pausenende ertönte und sie verabredeten sich für Morgen Vormittag bei Luise.

Dieser wurde bewusst, dass es ihr völlig gleich war wo und wie sie Zeit mit diesem Engel verbrachte.

Wichtig war nur, dass sie es überhaupt durfte.
 

Spätestens als Luise wahrnahm, dass ihr Zimmer fürchterlich stank, wusste sie, dass sie es übertrieben hatte. Hätte es nicht gereicht einfach ein Fenster zu öffnen um den Mief auszutreiben, der sich die letzten Tage über angesammelt hatte? War es wirklich nötig extra ein Duftwasser zu verstreuen?

Immer wieder ermahnte sie sich, dass dies hier kein Date war und Sarah sie im besten Falle nur als gute Freundin haben wollte.

Darüber allein sollte sie schon mehr als glücklich sein, zumindest dachte sie das.

Frisch frisiert und mit frisch gebügelten Klamotten blickte sie auf die Uhr.

Was würde wohl ihre Mutter denken, wenn sie sie so sah? Jedes Mal wenn Sarah zu Besuch kam, grinste sie wie ein Clown und putzte sich fein heraus. Das musste doch auffällig auf andere wirken, oder?

„Luise, deine Freundin ist da!“, kaum das Rufen ihrer Mutter aus dem Erdgeschoss.

Luises linkes Auge zuckte bei dem Wort Freundin.

Schnell huschte sie die Treppe nach unten und begrüßte Sarah, die bereits motiviert ihr Heft schwang.

Nachdem Frau Fahlbusch bereitwillig zwei Gläser Orangensaft sponserte, verzogen sich die beiden in Luises Zimmer.

„Was riecht hier so?“, fragte Sarah auf einmal.

Luise schnitt ein ertapptes Gesicht, zum Glück entging es Sarah.

„Das liegt sicher am neuen Putzmittel das meine Mutter ausprobiert.“, versicherte sie und Sarah gab sich mit der Antwort zufrieden.

Daraufhin setzten sie sich und schlugen die Bücher auf.

„Wie war Keep the Beat?“, wollte Sarah wissen.

Luise brauchte etwas um sich zu entsinnen, dass es sich dabei um den Namen des Albums der bereitgestellten CD handelte.

„Anders.“, erwiderte Luise und fragte sich wie Sarah das aufnehmen würde.

„Wir müssen ja nicht dieselbe Musik mögen.“, zeigte sie sich wiedererwarten einsichtig.

Doch Luise wollte unbedingt Gemeinsamkeiten mit Sarah, sowas brauchten Freundinnen doch, oder?

Da ihr keine adäquate Antwort einfiel widmete sie sich wieder dem Physikbuch. Sarah strengte sich sichtlich an, scheinbar nahm sie das Lernen ernst, oder wollte Luise zumindest nicht enttäuschen.

Nach einer Stunde lehnte sie sich geschafft zurück.

„Pause!“, entschied sie und das in einem Ton, der keine Widerworte zuließ.

Luise gab ihr jedoch recht und sie wollte ihr auch nicht zu viel zumuten.

„Hast du Hunger? Ich könnte mal sehen ob noch etwas im Kühlschrank steht.“, fiel es ihr ein.

Sarah schien jedoch eine besser Idee parat zu haben.

„Du kennst doch diesen JFC, oder? Lena und Katrin haben davon geschwärmt.“

Luise blickte sie verdattert an.

Sarah bezog sich auf den Jugendfreizeit-Club, der sich gerade mal ein paar Querstraßen von der Schule entfernt befand. Noch vor wenigen Tagen hatte Sabine sie eingeladen, sie zu begleiten. Luise selbst hatte irgendwann aufgehört sich dafür zu interessieren.

„Willst du… dort hin?“, fragte sie Sarah zögernd und diese nickte ein paar mal demonstrativ.

Also schob Luise ihr Buch beiseite und stand auf.

„Warum eigentlich nicht? Es ist Freitag, wir können gern etwas zusammen unternehmen.“, willigte sie ein.

„Super, treffen wir uns in 15 Minuten unten, ich ziehe mich schnell um.“, erklärte Sarah und packte ihre Sachen.

Luise wollte andeuten dass dies gar nicht nötig war, da Sarah ohnehin bereits ausgehfertig auf sie wirkte, doch da war es bereits zu spät.

Als sie an sich selbst herabblickte wurde ihr jedoch bewusst, dass sie diesen Schritt noch vor sich hatte.

Dringend sogar.
 

Der JFC war nichts was man leichtsinnig als beeindruckend hätte beschreiben können. Es war ein normales, einstöckiges Gebäude, bestehend aus etwa 4 Hallen für alle möglichen sportlichen Aktivitäten, sowie mehreren kleinen Räumen für Computer – oder Gesellschaftsspiele.

Sarah hielt sich an Luise, was dieser zugegebenermaßen missfiel. Sie war selbst nicht der Typ für solche Örtlichkeiten, außer wenn Sabine sie mitschleifte.

Noch dazu verbanden sie einige unangenehme Erinnerungen an diesen Ort, von denen sie Sarah aber nichts erzählen wollte.

Beide begannen mit einer Runde Dart, als die Pfeile nach einiger Zeit frei wurden.

„Wir können auch etwas anderes machen, zu was hast du Lust?“, sagte Sarah dann auf einmal.

Luise drückte sich mit einem leisen Brummen aus.

Was gab es schon, womit sie Sarah hätte beeindrucken können?

Skaten? Wohl kaum. Selbst beim Eislaufen fiel sie ständig auf den Hintern.

Billard? Sie würde das Futter des Tisches zerkratzen und jede Menge Ärger riskieren.

Schließlich einigten sie sich noch auf Tischtennis, eine Disziplin, bei der Luise zumindest einigermaßen mithalten konnte.

Nur nicht bei Sarah.

Am Ende stand es 20:2 und Luise war völlig außer Atem, während Sarah noch quietschvergnügt herum hopste.

Luise konnte sie etwas bremsen, als Sarah die Spielautomaten für würdig befand ihr nächster Gegner zu sein. Erst beschwerte sie sich, dass nur einfache Spiele wie etwa Tetris, oder Backman darauf zu finden waren, befand sich aber Sekunden später bereits mitten im Spiel geschehen.

„Also… hast du ein paar schöne Sachen gefunden die dir gefallen haben? Also ich meine, als du neulich shoppen warst.“, begann Luise ein Gespräch.

„Stör mich jetzt nicht!“, beschwerte sich Sarah.

Luise brummte leicht und hoffte, dass ihre Freundin es nicht bemerkte. Jetzt brachte sie es schon mal über sich mit ihr zu reden und dann wimmelte sie sie einfach so ab. Unerhört!

Es war doch Sarahs Idee gewesen herzukommen, wenn sie Luise auf einmal ignorierte, wieso musste sie dann mitkommen?

Nur wegen dem Dart oder Tischtennis? Sarah war so offen und liebenswert, dass sie bestimmt schnell einen anderen Partner gefunden hätte.

Ein Aufschrei seitens der Beschäftigten und Luise erkannte, dass sie den Highscore geknackt hatte.

„Gratuliere.“

Diese Worte kamen nicht von Luise.

Doch das hätten sie, da sie im selben Moment daran dachte.

Aber nein, es handelte sich um eine Stimme hinter den beiden Mädchen und beide wanden sich um.

Wie verhält man sich, wenn einem ein Teufel erscheint? Wenn man vollkommen unvorbereitet von der Situation übermannt wird, von einer Sekunde auf die andere?

Wenn das Böse plötzlich über einen hereinbricht und man von der Angst gepackt wird.

Es herrschte weder Finsternis, noch schlugen Flammen über den Köpfen der beiden zusammen.

Sie befanden sich nicht in der Hölle, aber dennoch war dieser Teufel hier.

Und zwar in Gestalt einer hoch gewachsenen, jungen Frau mit gepiercter Lippe und einer Lederjacke.

„Ähhh…. Danke?“, ließ Sarah es wie eine Frage klingen, da sie überrascht worden war.

Luise ging es genauso. Oder nein, sie war eher geschockt, kurz vor einem Panikanfall.

Die Augen des Teufels taxierten erst Sarah und dann Luise.

Ein Grinsen zierte sein abscheuliches Gesicht.

Die Ironie dabei war, dass Luise es nicht immer scheußlich gefunden hatte. Nein sogar einmal attraktiv und zart.

„Svenja…“, keuchte sie beinahe und rang nach Worten.

Sofort erhellte sich Sarahs Miene.

„Oh, eine Freundin von dir?“

Luise hätte sie in diesem Moment wirklich gerne angefaucht.

Hatte dieses Mädchen überhaupt einen Sinn für gespannte oder peinliche Situationen?

„Ex-Freundin.“, verbesserte Svenja sie.

Sarahs Stirn zog sich etwas in Falten.

„Das mit uns ist bereits einige Zeit her, doch unsere Luise schien wohl genug von mir gehabt zu haben.“, erklärte sie und sah zu ihrer noch immer perplexen Ex.

„Was willst du eigentlich hier? Ich dachte du hättest inzwischen angefangen zu studieren?“, war dies das erstbeste, das ihr einfiel.

Svenja zuckte nur mit den Schultern.

„Und deswegen darf ich nicht ab und zu hier vorbeischauen? Hier gibt es immerhin Leute die ich kenne und man kann sich gut die Zeit vertreiben.“, rechtfertigte sie sich.

Dann musterte sie Sarah eingehend, allerdings mit einem Blick den Luise zutiefst missbilligte.

„Und das hier? Deine neue Schnalle?“, ruhten ihre Augen inzwischen auf Sarahs Beinen.

Luise wäre am liebsten aufgesprungen und hätte Svenja das Gesicht zerkratzt.

Doch das hätte bestimmt seltsam gewirkt, sofern es sich nicht in einem von Sarahs Mangas abgespielt hätte.

„War nur ein Scherz, du und so eine Braut, würde wohl ziemlich seltsam aussehen.“, spukte sie die letzten Worte förmlich.

Luises Wut steigerte sich ins Unermessliche..

Zugegeben, sie und Svenja hatten sich nicht in aller Freundschaft getrennt, aber wie konnte sie ihr sowas nur antun?

Es war ihr bestimmt egal, ob Sarah wusste, dass sich Luise zum schöneren Geschlecht hingezogen fühlte, oder nicht. Ihr war nur daran gelegen herum zu zicken und Luise den größtmöglichen Schaden zuzufügen.

Dann blicke Svenja demonstrativ auf ihr Handy und stöhnte auf.

„Schon so spät? Ich wünsche ich noch viel Spaß. Damit meine ich dich Süße, denn mit dieser Langweilerin wird das echt schwierig.“, grinste sie und wand sich dann um.

Jetzt! Jetzt wäre die ideale Möglichkeit gekommen, Svenja einen spitzen Gegenstand in den Rücken zu rammen, dachte Luise.

Erst als sie sicher war, dass Svenja außer Sichtweite war, wagte sie es ihren Kopf langsam in Sarahs Richtung zu drehen.

Deren Stirn war in Falten gezogen und ihre Augen musterten Luise nachdenklich.

Was sollte sie ihr nur antworten? Sich herausreden? Dass Svenja mit Ex gemeint hatte, dass sie einmal befreundet waren?

Nein, Svenja hatte sich klar und deutlich ausgedrückt.

Doch was wenn sich Luise ab sofort ehrlich gegenüber Sarah verhielt? Wie würde diese reagieren? Sie glaubte zwar nicht, dass Sarah sie als ‚dumme Lesbe’ oder noch schlimmeres bezeichnen würde, dich es wäre sehr gut möglich, dass sie ihre Sachen packte und ging.

Aber dann war auch ihre gemeinsame Verbindung gerissen und sie waren wirklich nichts mehr weiter als gewöhnliche Nachbarn.

„Irgendwie scheinst du die sehr… sehr verärgert zu haben.“, gab Sarah dann ihr Statement ab.

Luise biss sich herzklopfend auf die Unterlippe.

„Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.“, sagte sie kleinlaut.

Sarah zuckte mit den Schultern.

„Keine Sorge, ist nicht die erste Zicke die ich getroffen habe.“, räumte sie ein.

Luise musste kurz Schmunzeln, scheinbar gelang es Sarah gewisse Situation doch richtig zu lesen.

Schließlich wand sie sich langsam wieder dem Spielautomaten zu.

Luise war klar, dass sie ihr den peinlichen Moment ersparen wollte und anbot, die ganze Begebenheit zu vergessen.

Nichts war vorgefallen, Svenja war nicht erschienen und hatte sich nicht über ihre gemeinsame Vergangenheit ausgelassen.

War es wirklich so einfach? Alles tot zu schweigen?

Es wäre die ideale Gelegenheit für Luise, ihre und Sarahs Beziehung würde sich nicht verändern, alles würde so weiterhin wie bisher.

Nein. Sie konnte es nicht.

Lena und Katrin hatten sie als Sarahs beste Freundin bezeichnet und das nicht ohne jeglichen Grund. Eine wahre Freundschaft verlangte Offenheit, Luise hatte ja auch Sabine, mit der sie darüber sprechen konnte.

Aber Sarah war nicht Sabine, das wusste sie.

In Sabine war sie schließlich nicht verliebt.

Aber in Sarah… war sie es?

Luises Erkenntnis, die sie so sehr verdrängt hatte kam zum absolut ungünstigsten Zeitpunkt.

Natürlich war ihr bereits im ersten Augenblick klar, dass sie von Sarah überwältigt gewesen war. Aber Liebe?

Sie hatte das Mädchen gerade kennen gelernt und seitdem war auch lediglich eine Woche vergangen. Wie hatte sie sich so schnell in ihr Herz vorkämpfen können?

„Naja das liegt vielleicht daran… dass Svenja und ich einmal zusammen waren.“

Luise hatte alle Kraft aufgewandt um diese Worte über die Lippen zu bringen.

Nun gab es kein Zurück mehr. Sarah musste etwas darauf erwidern, sei es positiver oder negativer Natur.

„Achso.“

Stille. Nein nicht ganz. Der Automatt gab weiterhin seine schrillen Geräusche von sich.

Sarahs Aufmerksamkeit war völlig darauf gelenkt.

Luises Gesicht nahm nun eine Form an, an der sich selbst Babys erschrocken hätten.

‚Achso.’ Was war das bitte für eine Reaktion?

Luise hätte erwartet, dass sich Sarah verständnisvoll zeigte, wie Sabine seinerseits, oder sie zumindest gebeten hätte, dass sie nicht mehr über ihre sexuelle Orientierung sprachen, aber nein! War Sarah etwa so abgebrüht und war es ihr egal?

Sie konnte sich gerade noch zurückhalten aufzustehen und Sarah anzubrüllen, dass sie lesbisch sei. Dieses Verhalten hätte nicht nur Sarahs Augenmerk auf sich gezogen, sondern auch das der restlichen Jugendlichen um sie herum.

Nein, so wollte Luise ganz bestimmt nicht, dass ihr Outing verlief.

Aber sie hatte sich doch gegenüber Sarah geoutet, oder? Zumindest hatte Svenja das für sie übernommen.

„Ich meine zusammen…. in Form einer Beziehung. Wir waren ein Paar.“, ging sie nochmal sicher.

Sarah warf ihr einen fast erbosten Blick zu.

„Ja, das habe ich schon verstanden! Ich dachte du hältst mich nicht für begriffsstutzig und dumm!“

Nun war Luise völlig baff. Was hatte das bitte damit zu tun?

Sollte sie Sarah von der Konsole wegreißen oder einfach gegen den Blechhaufen treten?

Sie entschied sich dagegen. Sie wartete bis Sarah ihr Spiel beendet hatte und sie diese wieder anlächelte.

„Also? Auf zu Runde 2?“

Es dauerte ein paar Sekunden, biss Luise begriff, dass sie sich auf Physik bezog.

Resigniert nickte und verließ zusammen mit dem unverständlichsten Menschen der Welt den JFC.
 

Während der ganzen Strecke hatte Sarah kein einziges Wort über das Geschehene verloren.

War ja auch ganz normal, dass sich die Freundin plötzlich als Lesbe herausstellte, genauso als wie man nur Butter zum Frühstück auf das Brötchen streicht, da die Marmelade aus war.

Man akzeptiert es und geht ganz normal zum Tagesablauf über.

Zurück in ihrem Zimmer ließ sich Sarah auf Luises Bett fallen und diese nahm an, dass die Pause doch noch eine Weile anhalten würde.

„Du hast einen seltsamen Geschmack.“, entfuhr es Sarah dann unerwartet.

Auf was bezog sie sich nun? Darauf, dass Luise auf Frauen stand und Sarah das selbst für seltsam erachtete?

„Wie konntest du nur etwas mit dieser Ziege haben?“, fragte sie belustigt.

Darauf wollte sie also hinaus.

„Ich dachte erst…. Svenja wäre ganz anders. Wie waren auch nicht lange zusammen, sie war meine erste und ich hatte keinerlei Erfahrungen.“, offenbarte sich ihr Luise nun endlich.

Sarah bedachte sie eines mitleidigen Blicks.

„Und daraufhin hat sie dein armes, unschuldiges Herz ausgenutzt, ja?“

Luise nickte zaghaft.

„Aber…. ist das wirklich in Ordnung für dich? Also, dass ich auf Frauen stehe, meine ich?“

Es war eine direkte Frage und Luise glaubte nicht, dass Sarah sich daraus winden konnte.

„Wieso sollte es?“, erwiderte diese.

Luise wusste nicht, was sie von dieser Gegenfrage halten sollte, aber vielleicht sah Sarah das ganze wirklich nicht so eng.

„Du hast ganz locker, nein schon uninteressiert reagiert, als Svenja es dir gesagt hat.“, machte sie sie darauf aufmerksam.

Sarah lachte plötzlich los.

„Du bist witzig! Dass du auf Kurven stehst, ist mir doch nicht erst heute klar geworden. Ehrlich, ein ganzes Regalfach mit lesbischer Literatur und du bekommst Panik, dass jemand dein Geheimnis ausplaudert? Du wärst eine erbärmliche Superheldin!“

Autsch. Luise fühlte den Schmerz wirklich, obwohl sie nicht genau wusste woher er kam.

„Die sind dir also doch aufgefallen?“, versuchte sie mit einem Lächeln zu fragen.

Sarah nickte langsam und verständnisvoll.

„Aber… du hast es doch sonst niemandem gesagt, oder?“, fragte Luise vorsichtig.

Sarah überlegte einen Moment.

„Naja ich habe gedacht du würdest ganz offen damit umgehen, also habe ich es gegenüber Lena und Katrin erwähnt.“, gestand sie.

Die Blässe brauchte nur wenige Nanosekunden um in Luises Gesicht zu weichen.

„Nein…“, klang ihre Stimme schon unheilvoll.

Ein weiteres Kichern seitens Sarahs.

„Nein, ich habe es natürlich niemandem erzählt, warum auch? Als du mir das Buch aus der Hand gerissen hast, war mir schon klar, dass nicht jeder davon wissen soll.“, entwarnte sie die verängstigte Luise schnell.

Diese griff nun nach dem Kissen auf dem sie saß und schleuderte es Richtung Bett.

Sarah fing es mit Bravur auf.

„Da wirst du dich schon noch mehr anstrengen müssen!“

Luise bekam auch noch das auf Sarahs Stuhl zu fassen, welches diese nicht mehr abwehren konnte, da sie bereits das erste in Händen hielt.

Die Rache folgte auf dem Schritt.

Sarah setzte ihre ‚Doppelschleuder’ ein, eine Technik durch die sie Luise gleich zwei Kissen auf einmal entgegen warf.

Fünf Minuten später gab es keinen Gewinner, dafür aber zwei Verwundete.

Luises rechtes Auge war getroffen worden und der Nagel an Sarahs linken Zeigefinger hatte einen Riss bekommen.

„Unentscheiden?“, bot letztere an und Luise akzeptierte.

Das Lernen schien sich erledigt zu haben, nicht zuletzt, da das Physikbauch aus unerklärlichen Gründen während des Kampfs auf Leben und Tod vom Tisch verschwunden war.

„Weiß sonst noch jemand davon?“, kam es nun aus Sarahs Mund.

Luise wusste augenblicklich worauf sie anspielte.

„Dass ich auf ‚Kurven’ stehe? Nur Sabine. Sie ist meine beste Freundin und ironischerweise fand sie es auch zufällig heraus, als sie einen Blick in mein Bücherregal warf.“, erzählte sie.

Sarah rollte mit den Augen und Luise musste zugeben, dass sie wirklich etwas unachtsam war.

„Aber sie war total verständnisvoll, und wollte alles von mir wissen. Sie war der erste Mensch mit dem ich wirklich darüber reden konnte.“

Sarah spielte mit ihrer Unterlippe herum.

„Aber mit ihr hattest du nie etwas, oder?“

Luise protestierte lautstark.

„Mit Sabine? Niemals! Versteh’ mich nicht falsch, sie ist sehr nett und eine tolle Freundin. Aber der Gedanke daran sie zu küssen oder ähnliches, schreckt mich ab.“

„Sieht sie nicht gut genug für dich aus?“, verkannte Sarah schnell die Situation.

Luise schüttelte den Kopf.

„So meine ich das nicht. Sie ist einfach eine gute Freundin, mehr nicht. Ich muss ja nicht zwangsweise auf alle Mädchen stehen die einigermaßen gut aussehen.“, sagte sie bestimmt.

Sarah nickte, sie hatte es wohl kapiert.

„Also ist es wie bei uns.“, glaubte sie zur Klärung sagen zu dürfen.

Luise erwiderte nichts darauf. Rein gar nichts.

So sah sie Sarah also. Als gute aber eben auch ein bisschen lesbische – nun gut, vermutlich sehr lesbische – Freundin. Mehr nicht.

Als nächstes kam Sarah noch auf die Idee Luise zu fragen, ob sie nach ihrer Meinung nach gut aussah, da sie das ja so gut beurteilen konnte. Luise hatte oft über solche klischeehaften Szenen in Büchern oder Filmen lachen können, diesmal aber nicht.

Sarah kam zum Glück nicht auf die Idee, dafür starrte sie Luise einige Zeit lang gebannt an.

„Ich habe einen Vorschlag.“

Luise wich unwillkürlich zurück. Sarah konnte nichts Gutes damit meinen, da war sie sich inzwischen sicher.

„Ich möchte dir beweisen, dass du mir vertrauen kannst. So wie Sabine.“, erklärte sie sich dann.

Luise rang sich ein Lächeln ab, sie besaß wirklich keinen Schimmer davon, worauf Sarah hinaus wollte.

„Ich kenne jetzt dein größtes Geheimnis, also was hältst du davon, wenn ich dir auch meines verrate?“, kam sie nun zum Punkt.

Luise dachte einen Moment darüber nach. Was gab es bitteschön, dass Sarah zu beichten hätte? War sie etwa wirklich ein Engel der auf die Erde herabgestiegen war und gegen Dämonen kämpfte? Brauchte sie Luise als Partnerin um gegen sie zu kämpfen?

Oder war sie in Wirklichkeit in verkleideter Junge und Luise hatte sich das erste mal unbewusst in ein männliches Wesen verliebt?

„Hast du Lust heute Abend zu mir zu kommen? Ich würde dir gerne etwas zeigen.“

Luise knirschte mit den Zähnen. Sarah lud sie in die Höhle des Löwen ein. Sie war noch nie im Nachbarshaus, obwohl Sarah sie selbst öfters besuchte.

„Was denn?“, hakte sie zögernd nach, doch Sarah winkte ab.

„Das siehst du dann schon. Sagen wir 7? Prima, dann erwarte ich dich.“, war sie unvermittelt aufgesprungen und begann ihre Sachen zu packen.

Ja, Physik fiel eindeutig aus. Sowohl sie, als auch Luise wären auch zu unkonzentriert dafür gewesen.

„Tschau, bis heute Abend.“, verabschiedete sie sich von ihrer Gastgeberin und suchte dann das Weite.

Unten hörte Luise noch, wie ihre Mutter Sarah noch einen schönen Tag wünschte, dann wurde die Tür zugeschlagen.

Luise verschwendete keine Sekunde und griff nach ihrem Handy.

Es dauerte kaum zwei Freizeichen, da ging Sabine auch schon ran.

Luise begann mit der Katastrophe zuerst, dass sie Svenja über den Weg gelaufen war, als sie Sarah das JFC zeigen wollte.

„Puh! Damit wäre die Katze wohl aus dem Sack.“, war alles was Sabine dazu einfiel.

„Aber was jetzt? Wie soll ich mich ihr gegenüber verhalten?“, nagte es sichtlich an Luise.

Sabine schein kein Problem darin zu sehen.

„Sie scheint es akzeptiert zu haben, oder? Es kann also weiterlaufen wie bisher.“

Luise stöhnte auf.

„Es sieht danach aus…“

Sabine kicherte leise.

„Soll das heißen, dass ich die ganze über recht hatte und du doch an ihr interessiert bist?“, hakte sie nach.

Luise brauchte eine Weile, bis sie antwortete.

„Ja, ich bin an ihr interessiert.“

„Du bist in sie verliebt, gib es zu!“, konnte sich Sabine nicht bremsen.

„Ja, ich bin verliebt, verdammt!“, musste ihr Luise nun recht geben.

„Du würdest sie gerne küssen.“

„Natürlich ‚würde’ ich das gerne.“

„Am ganzen Körper, an jeder einzelnen Stelle.“, frötzelte ihre Freundin nun.

„Nein! Doch… Nein! Ach, auf was für Ideen kommst du bloß immer? Langsam glaube ich, dass du die Lesbe bist, und nicht ich!“

Doch Sabine musste sie enttäuschen.

„Nope, ich werde mir heute im Q1 einen feschen Typen aufreißen und dir morgen dann erzählen wie es war. Das ist im übrigen eine Disko, falls du das nicht weißt.“

Luise seufzte abermals.

„Ja, schon mal gehört. Aber erkläre mir lieber was ich tun soll? Sarah will mir irgendwas zeigen und ich werde völlig unvorbereitet zu ihr gehen.“, wurde ihr ganz Bange.

Sabine antwortete mit einem nachdenklichen Summen.

„Vielleicht überrascht sie dich ja in einem sexy Dessous und will dich verführen? Du kommst ahnungslos in ihr Zimmer, sie schließt die Tür ab und fällt lüstern über dich her. Und dann wird sie dir deine…“

Luises und Sabine Gespräche endeten oft damit, dass erstere sie schlichtweg abbrach.

Es tat gut mit Sabine zu reden, aber als große Hilfe konnte man sie meistens kaum bezeichnen.

Sie legte ihr Handy weg und ignorierte sogar den Rückruf seitens ihrer Freundin.

Nachdem sie ihr Zimmer von den Trümmern der erst kürzlich zurückliegenden Schlacht gesäubert hatte, begann sie sich umzuziehen.

Wer weiß, vielleicht lud Sarah oder Herr Heidenreich sie auch zum Essen ein, in diesem Fall wollte sie ordentlich auf sie wirken.

Dann war die Zeit gekommen und Luise wurde mulmig zumute.

Jetzt gab es kein Zurück mehr, sie musste in die Höhle des Löwen.

Kapitel 4

Luise war nicht erstaunt, als sie feststellte, dass Herr Heidenreich inzwischen einen Gärtner beauftragt haben musste das überschüssige Grünzeug zu entfernen, das sich bereits seinen Weg die Hauswand entlang gebahnt hatte.

Sie brauchte die Klingel nur einmal zu betätigen, da wurde die Tür schon aufgerissen und Sarah streckte ihren Kopf heraus.

Spielend sah sie sich nach allen Seiten um, ob Luise auch ja allein gekommen war.

In diesem Moment hatte diese zugeben müssen, das Mädchen am liebsten direkt auf den Mund geküsst zu haben. Doch sie widerstand ihrem Drang und ließ sich von Sarah ins Innere führen.

Im Flur lagen jede Menge Umzugskartons in den Ecken, das war verständlich, in der kurzen Zeit hatten wohl weder Sarah noch ihr Vater groß Zeit gehabt.

Luise erwartete eine komplette Hausführung, doch Sarah enttäuschte sie. Auch ihr Zimmer schien im ersten Stock zu liegen und die beiden bestiegen die Treppe, nur um kurz darauf vor einer Holztür mit einem Poster zu stehen.

„Jup ich weiß. Auf dem Poster ist zwar Misaki in ihrem Maid-Kostüm, aber es gehört trotzdem mir!“, drückte Sarah kurz darauf die Klinke.

Das wäre Luise aber auch so oder so klar gewesen.

„Hüte dich vor Geistern! Gerüchten nach soll sich der alte, erboste Geist von Frau Sommer noch hier herumtreiben!“, hauchte Sarah verschwörerisch.

Luise dachte daran, sie zu erinnern, dass die Vorbesitzerin lediglich in ein Altenheim gezogen und ganz und gar nicht tot war, ließ es aber dann auf sich beruhen.

Was würde sie im Inneren erwarten? Sarah war ein Engel, es mussten also überall Wolken herumschweben und es duftete frisch und angenehm.

Luise wurde schnell in die Realität zurückgeholt. Auch in Sarahs Zimmer standen viele Kartons herum, auch wenn viele davon ausgepackt waren. Sie hatte damit begonnen einige Stellagen mit kleinen Plastikfiguren zu füllen, die Regale waren halb voll mit Romanen und wie konnte es auch anders sein, Mangas.

Sarahs Bett war breit und ungemacht. Auf der linken Seite lag ein etwas über ein Meter langes Kissen mit einem Motiv, das Luises Wangen erröten ließ.

Auf den ersten Blick erkannte man nur eine gewöhnliche Anime-Figur, doch die freizügige Pose in der sie sich räkelte war schon sehr kompromittierend.

Das betraf aber wohl nur die Figur und nicht Sarah selbst.

„Ach…. Dakimakuras sind öfter etwas freizügig.“, lachte sie unschuldig, als sie Luises Reaktion bemerkte.

„Aber das war nicht dein Geheimnis, oder?“, hakte sie nach.

Sarah schüttelte amüsiert den Kopf.

„Nicht doch, das würde ich auch kaum als eines beschreiben.“

Luise holte tief Luft. Was würde Sarah wohl noch für sie bereit halten?

Sie war vor einem kleinen CD-Stand angekommen, es waren weniger als vermutet. Die meisten schienen selbst gebrannt zu sein, da ihre Titel mit einem dicken Filzstift aufgetragen worden waren.

„Sind Sicherungskopien, mein iPod ist auch viel kompakter, schließlich leben wir in der MP3-Generation.“, erklärte sie.

Luises Blick wanderte zum Fenstersims, wo sich zwei Fotos befanden. Auf einem war eine Katze abgebildet, wahrscheinlich hatte Sarah sie einmal besessen.

Auf dem anderen die lachenden Gesichter von drei Personen. Luise erkannte einen von ihnen als Herrn Heidenreich, die anderen waren eine erwachsene Frau und ein Kleinkind.

Es war klar, dass es sich nur um Sarah handeln konnte und dieses Bild ließ Luise beinahe erzittern. Sarah war 10.000 Mal niedlicher als das Kätzchen daneben.

„Damals war ich noch richtig moe, oder?“, meinte diese nur.

Luise zuckte mit den Schultern, sie hatte diesen Begriff gelesen, ihn aber schon vergessen.

„Jetzt würde man sagen ‚Aber nein Sarah, du bist heute noch moe!’“

Luise verdrehte die Augen und wiederholte den Satz eintönig.

„Und die Frau auf dem Foto? Ist das deine Mutter?“, wagte sie es zu fragen.

Die Traurigkeit, die jetzt in Sarah aufstieg würde sie niemals mehr vergessen. Sie war lediglich von kurzer Dauer, doch das erste Mal, konnte Luise auch einen verletzlichen Teil ihrer Seele erhaschen.

„Sie lebt nicht mehr, oder?“, fuhr Luise dennoch fort.

Erst nahm sie an, Herr und Frau Heidenreich wären geschieden wie ihre Eltern, und Sarahs Fröhlichkeit hatte sie darin bestätigt.

„Sie hatte einen Unfall als ich noch klein war.“, erwiderte Sarah und das war wohl auch schon alles.

Luise war so respektvoll, dass sie sie nicht weiter drängte davon zu erzählen. Zumindest konnte sie ausschließen, dass das Mädchen darüber mit ihr sprechen wollte.

Also fuhr sie fort das Zimmer zu mustern.

An den Wänden fand sie Poster wie an der Tür vor, alle in verschiedenen Größen.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich Sarah nicht bewegte und auf etwas zu warten schien.

„Bist du… bereit?“

Luise hätte diese Frage gerne bejaht, aber um ehrlich zu sein, wusste sie es nicht genau.

Schließlich nickte sie und trabte ein paar Schritte nach links.

Sie machte sich die Mühe, einen breiten Kleiderständer beiseite zu schieben und erst dann erkannte Luise die weitere Tür im Raum.

„Das war irgendwann man eine Küche und das hier wohl die Speisekammer. Jetzt fungiert sie mir als eine Art Wandschrank, der sehr geräumig ist und viel Platz bietet. Und darin…. befindet sich das Geheimnis, das ich dir anvertrauen wollte.“, sagte sie ruhig und bestimmt.

Luise schluckte und wartete darauf bis sie fort fuhr.

„Nein, keine Sorge! Ich bin nicht Kirino, und du wirst dahinter auch keine Eroge vorfinden.“, lachte sie über ihren eigenen Witz.

Luise tat ihr aber den Gefallen und stimmte darauf ein.

Sarah wirkte nun sichtlich nervös, so kannte sie das Mädchen gar nicht.

War ihr Geheimnis wirklich so etwas Monströses, dass sie deswegen ihre Coolness verlor?

Langsam kramte Sarah einen Schlüssel aus der Tasche und sperrte die Tür auf.

„Nicht einmal Paps weiß hier von.“, versicherte sie Luise.

Diese nickte zaghaft. Wenn ihr Vater bereits von so fragwürdigen Dingen wie diesem Kissen oder auch Dakimakura wusste und diese billigte, was musste Sarah dann noch vor ihm verbergen?

Nun war es zu spät. Die Tür schwenkte nach außen auf und gab das Innere preis. Nunja, nicht ganz, Sarah musste erst eine Glühbirne per Hand einschalten, damit die ehemalige Speisekammer genug Licht spendete.

„Schwöre, dass du das Geheimnis behütest!“, sagte Sarah an Luise gewand und die musste erst einen Eid abgelegen.

Dann trat sie näher und sah sich den Inhalt der Kammer an. An einer Wand ragte ein Regal heraus, auf dem Mangas platziert waren. Die wenigsten waren auf deutsch, die meisten englisch und sogar japanisch. Sarah musste sie importiert haben, worüber sich ihr Vater während des Abendessens so aufgeregt hatte. Luise bezweifelte, dass sie diese lesen konnte, aber es lag wohl eher an ihrem Sammelwahn. Auf der anderen Seite lag jede Menge Hardware, Festplatten so wie USB-Sticks und CD-Roms, vielleicht auch DVDs.

„Jetzt weißt du es.“, murmelte Sarah mit unruhigen Ton, doch Luise konnte ihr nicht folgen.

Im ersten Moment unterschied sich nichts in der Kammer vom Rest des Zimmers.

Dann betrachtete sie die CD-Roms, sowie die Mangas genauer.

Doch Sarah schnappte sich ein paar und hielt sie ihr förmlich unter die Nase.

„Mai und Reo sind definitiv meine Favoriten. Außerdem bin ich Sakura X Kotoko Shipper!“, sprudelte es aus ihr los.

Luise betrachtete das Motiv genauer und erkannte aufgrund des Pärchens darauf, dass es sich um einen Liebesfilm, vielleicht sogar eine Serie handelte.

Das was Luise allerdings nicht erwartet hatte, war, dass die beiden Anime-Figuren darauf beide weiblich waren.

„Meine Lieblings Visual-Novels. Zum Beispiel Sono Hanabira, alles vertreten, von Mai X Reo bis Kaede X Sara. Nur nicht Nanami X Yuna, da ich das Paaring verabscheue. Frag lieber nicht genauer nach.“

Luise hätte das wahrscheinlich ohnehin nicht getan. Aufgrund des Worts ‚Novel’ konnte sie gerade noch schlussfolgern, dass es sich um etwas Geschriebenes handeln musste, mehr aber auch nicht. Sie fühlte sich als wären ihre Rollen vertauscht worden, als wären sie in Luises Zimmer, doch nicht Sarah hatte das verräterische Buch über eine Frauenliebschaft entdeckt, sondern sie.

Nein, Sarah drängte ihr diese Dinge regelrecht auf. Nun legte sie die CDs zwar weg, ging aber zu den Mangas über.

Sie reichte Luise einen und wartete bis diese ihn durchgeblättert hatte.

„Ich weiß, Otometachi hat schon einen extremen Shoujo-Style, dagegen ist Ouran High nichts im Vergleich. Dennoch bin ich froh, ihn mir bestellt zu haben, besonders da ich seit dem Aus von Yurikai niemals mehr an die englische Version gekommen wäre.“

Sie entriss Luise den Manga und stellte ihn zurück.

„Hah!“, machte sie und reichte ihrer Freundin einen weiteren.

„Der ist sogar etwas für dich, nicht zuletzt da er auf Deutsch ist. Einer der wenigen die hierzulande erscheinen. Aber Morinaga Milk ist eine Göttin und du wirst Akko und Mari lieben, das verspreche ich dir. Ich sehne mich nur danach, dass endlich ihr neuer erscheint, obwohl er ein etwas Düsteres Genre aufweisen soll.“, erklärte sie und ließ Luise das großartige literarische Werk, wie sie es beschrieb behalten.

In einem Karton befanden sich noch ein paar weitere Poster, alle mit fraglichem Inhalt, da sich zwei Mädchen fest umschlungen küssten, oder andere Dinge miteinander taten.

Schließlich drängte Sarah Luise aus der Kammer und sah sie ernst an.

„Und? Wie lautet deine Reaktion darauf?“

Luise brauchte etwas, um die Situation überhaupt zu überblicken.

Sarah hatte ihr derartige Dinge gezeigt, die sie selbst unbedingt verheimlichen wollte.

Die Reaktion ihrer Freundin war ein simples ‚Achso’ gewesen, sollte Luise genauso reagieren? Nein, sie wollte Sarahs drängenden Blick nicht enttäuschen.

„Ich… bin mir nicht sicher, was ich gesehen habe.“, gestand sie wahrheitsgemäß.

Sarah seufzte.

„Das war doch eindeutig! Ich bin ein Yuricon! Und du bist die erste Person außerhalb des Netzes, der ich es gestehe!“

„Ein was?“

Luise fühlte sich als hätte sie gar keine Antwort erhalten, die zur Klärung der Lage beitrug. Schnell durchforstete sie ihr Gedächtnis nach dem Begriff Yuri, den sie unter vielen anderen, vor einer Woche gegoogelt hatte.

Yuri ist ein Wort aus dem Japanischen Jargon um Inhalte zu bezeichnen, in denen die Liebe zwischen Frauen, eine homosexuelle lesbische Beziehung, im Mittelpunkt steht. Ebenso bezeichnet es ein Genre in den japanischen Medien wo diese Thematik eine zentrale Rolle spielt. Dadurch war Luise durch einiges schlauer geworden, nicht zuletzt, da sie das Thema interessiert hatte, vor allem auf persönlicher Ebene.

Und das, was sich da hinter Sarah in der Kammer befand war eindeutig.

„Ein Yuri-Otaku!“, verbesserte sich Sarah.

Luise zuckte erneut mit den Schultern.

Sarah schien sich einen Moment lang aufzuregen, beruhigte sich aber recht schnell wieder. Sie schloss die Tür zur Kammer und setzte sich auf ihr Bett.

„Du hast dich do schlau gemacht, oder? Ich bin ein Otaku, aber mit dem Hauptschwerpunkt Yuri. Und wenn du vergessen hast was Yuri genau bedeutet, dann hast du es dort drin zu Gesicht bekommen.“

Luise überlegte eine Weile ob sie sich neben Sarah setzen sollte, zog es dann aber vor zu verstehen. Fest umklammerte sie den Manga in ihren Händen, der eigentlich genau ihren Geschmack treffen sollte, sofern es um Romantik ging.

„Was genau willst du mir damit sagen? Dass du auch…“, rang sie nach den richtigen Worten.

„Dass ich eben total auf Yuri stehe! 90 % aller Shoujo-Mangas sind doch Mist, da die Hauptcharakterin entweder total naiv oder eine Tsundere ist. Und der Kerl darin ist nicht besser. Immer perfekt, die Sportskanone und total arrogant. Wie oberflächlich müssen die meisten Mädels sein, die sich das reinziehen? Da gefällt mir ein richtiger Yuri schon wesentlich besser. Die Beziehung zwischen der Charaktere wirkt nicht gezwungen, sondern rein und man kann sich richtig in sie hinein versetzen. Deshalb mag ich dieses Genre so sehr.“, erklärte sie.

Luise setzte sich nun auf den einzigen Stuhl im Zimmer. Gleich neben einem Schreibtisch mit großen Monitor und verteilten Zetteln.

„Und das ist dein großes Geheimnis? Das erscheint mir nun nichts wirklich Schlimmes, oder gar Peinliches.“, gab sie ihre Meinung wider.

Sarahs Miene drückte Unverständnis aus.

„Du hast es doch selbst erlebt, oder? Du wolltest verbergen, dass du lesbische Romane ließt, weil du Angst hattest, jemand könnte dich dafür verurteilen. Du hast mir erzählt, dass Sabine es entdeckt hat, dir aber zur Seite stand. Ich hatte gehofft… dass du auch so jemand für mich wärst.“

Sarah wirkte aufrichtig, umso mehr belastete es Luise, dass sie das Mädchen nicht vollends verstehen konnte. Was genau wollte sie ihr sagen? Dass sie lesbisch war und Angst hatte jemand könnte ihre Sachen entdecken und es daraus schließen? Oder eben, dass sie nicht auf Frauen stand und jemand der ihre Sammlung fand würde es falsch interpretieren und sie gleich abstempeln.

Sarah rutschte von der Bettkante auf den Boden und setzte sich im Schneidersitz hin.

Luise tat es ihr gleich und einige Sekunden saßen sie sich still gegenüber.

„Ich weiß nicht, wer von uns der größere Freak ist.“, entkam es Luise unbewusst.

„Otakus sind keine Freaks, nur missverstanden.“, erwiderte Sarah und beide mussten lachen.

„Jedenfalls danke für den Manga, ich werde ihn mir durchlesen.“, deutete Luise auf das Werk vor sich.

„Mach das, wenn er dir gefällt, kriegst du auch noch die restlichen vier Bände. Ich würde dich ja auch gerne Hanabira lesen lassen, aber da Japaner so Hardcore sind, sind einige Ero-Szenen dabei, das wäre für eine Anfängerin für dich wohl etwas zuviel.“

Luise versuchte noch mehr Dankbarkeit auszudrücken als ohnehin schon.

Dann gab sie sich endlich den Schups, Sarah das entscheidende zu fragen.

„Also… wenn du Manga oder auch Novels über Yuri magst… heißt das dann auch… naja… dass du ebenfalls ein gewisses Interesse an Frauen hast?“

Jetzt war es raus. Jetzt würde ihr Sarah Rede und Antwort stehen müssen.

Erst wirkte diese perplex und zutiefst überrascht.

„Was… hat das denn damit zu tun, dass man einfach nur das Genre mag? Oder denkst du nur weil ein Mädchen Yuri mag, muss sie gleich eine Lesbe sein?“, klang der letzte Satz etwas anklagend.

Luise schüttelte sofort den Kopf. An diese Variante hatte sie noch gar nicht gedacht.

Natürlich gab es auch weibliche Fans dieses Genres, doch Sarah bot eine neue Generation eines solchen Fans da. Wieso versteckte sie ihre Sammlung und konnte nicht dazu stehen?

„Nein, tut mir leid, ich dachte nur. Ich habe wohl zu viel hinein interpretiert.“, gab sie nach und Sarahs Lächeln kehrte zurück.

„Achja, ich habe dir noch gar nichts zu trinken angeboten!“, schien der Gastgeberin einzufallen.

Also hopste sie auf und lief hastig aus dem Zimmer. Sie hatte Luise nicht einmal gefragt was sie trinken wollte, doch diese vermutete, dass die Heidenreichs ohnehin noch nicht viel im Kühlschrank hatten.

Während Sarah fort war, ließ Luise ihren Blick noch einmal durch das Zimmer dieses merkwürdigen Mädchens schweifen.

Von den Postern, Figuren und Mangas, bis zu dem übergroßen Kissen mit dem fragwürdigen Motiv.

Dann zu den Fotos, die ihr so offen Sarahs Vergangenheit offenbarten, und denen es gelungen war für kurze Zeit ihre Verletzlichkeit aufzudecken, die sie normalerweise immer zu verschleiern versuchte.

Und die mysteriöse Kammer, in der sich ihr angeblich großes Geheimnis befand.

War Luise inzwischen wirklich schlauer aus ihr geworden? Sie wusste es nicht.

Aber dennoch…

Sarahs Hobby, diese Dinge in die sie ihre ganze Seele gesteckt hatte…

Als die Gastgeberin mit zwei Colas in der Hand zurückkehrte und die beiden fast den ganzen restlichen Tag über ‚Yuri’ sprachen und welche Geschichten ihr am besten gefielen, wurde Luises Bild von ihr immer deutlich.

Ja, sie war das Mädchen, in das sie sich verliebt hatte.

Und so konnte nun nichts mehr dagegen tun.
 

„Was bitte ist ein Yuricon?“, fragte Sabine skeptisch, als Luise kurz vor dem zu Bett gehen kontaktierte.

„Ich habe mich immerhin etwas über die Welt eines Otakus informiert, da hättest du das doch auch tun können. Du surfst ohnehin ständig im Netz.“, warf sie ihrer Freundin vor.

„Aber ich bin nicht in einen verliebt und habe deshalb keinen Grund dazu.“, wies Sabine jegliche Verantwortung von sich.

Luise seufzte und sah durch das Fenster. Es brannte kein Licht mehr, zumindest nicht im Treppenhaus. Vielleicht las Sarah noch in ihrem Bett und sah sich einen ihrer Animes an.

Langsam blätterte sie die Seiten des Mangas zurück, sie war bald am Ende des ersten Bandes angekommen. Er gefiel ihr zusehends und sie würde Sarah morgen um die restlichen Mangas bitten, um zu erfahren wie die Geschichte ausging. Sie vermittelte Sabine so gut es ihr gelang ihr Wissen über dieses Genre und ihre Freundin kreischte förmlich auf.

„Wie genial ist dass denn? Wenn sie auch auf Frauen steht, ist deine Chance gerade um 50 % gestiegen.“

Luise konnte angesichts Sabines Vorfreude nur die Augen verdrehen.

„Sie ist aber nicht lesbisch! Schätze ich…“

Ihr fiel auf, dass Sarah ihren Verdacht nicht vehement abgetan hatte, nur den Fakt, dass es auch normale Leute gab die sich solche Dinge durchlasen und ansahen.

„Versuche dich doch in so jemanden hinein zu versetzen. Wenn eine Geschichte spannend und aufregend klingt und noch dazu romantisch, würdest du dich dann nicht auch darauf einlassen?“, hakte Luise nach.

„Du meinst, wenn die beiden Hauptakteure weiblich wären? Ich würde mich vielleicht dazu durchringen ein solches Werk zu verschlingen, aber du hast erzählt, Sarah hätte einen ganzen, geheimen Schrank damit voll? Du kannst die Sache sehen wie du willst, aber auf mich wirkt ihre Obsession recht eindeutig.“, gab Sabine nicht nach.

Luise kehrte einen Moment in sich, während Sabine damit fortfuhr ihr Mut zu machen.

„Ich bin Mari.“, murmelte sie dann.

„Was?“, schien sie Sabine nicht zu verstehen.

„Sarah hat mir einen Manga mitgegeben in dem ich gerade schmökere. Es geht um zwei gegensätzliche Mädchen und das eher zurückhaltende verliebt sich muntere, taffe Schönheit.

Sie werden Freunde und alles nimmt seinen Lauf.“

Sabine grübelte einen Moment darüber nach.

„Und wie geht die Geschichte aus?“, fragte sie gespannt.

Doch Luise konnte ihr diese Frage nicht beantworten.

„Es gibt noch weitere Bände, falls ich Sarah morgen sehe werde ich sie um den Rest fragen.“

„Ich wette sie kommen zusammen. Das tun sie in solchen Schinken doch immer!“, stand für Sabine fest.

Luise gab ihr recht, doch was für einen Unterschied stellte das dar?

„Egal wie er endet, zwischen Sarah und mir wird sich nichts ändern..“, hoffte sie, dass Sabine das endlich verstand.

„Und das reicht dir? Sie jeden Tag zu sehen und zu wissen, dass nie mehr zwischen euch sein wird?“, stellte ihre Freundin stattdessen die Frage, die Luise selbst zu verdrängen versucht hatte.

Was wären also ihre nächsten Schritte? Würde eine einseitige Liebe eine Freundschaft nicht sehr belasten? Sollte Luise sich also vorher entlieben, damit die sie richtig mit Sarah umgehen konnte? Um sich mit ihr aufrichtig unterhalten zu können, wie mit Sabine?

Dieser versprach ihr gründlich über alles nachzudenken und legte dann auf.

Als sie kurz davor war einzuschlafen, hoffte sie, dass sie sich wenigstens nicht in ihren Träumen mit diesem heiklen Thema auseinander setzen musste.

Sie wurde enttäuscht.
 

Sarah hatte ihr die restlichen Bände des Mangas tatsächlich am Sonntag darauf gegeben, auch wenn Luise für eine Prüfung zu lernen hatte. So kam es, dass sie erst nach einer Woche mit der Geschichte um Mari und Akko fertig war und sich mit Sarah auf dem Nachhauseweg darüber unterhielt.

Nein, eigentlich war es hauptsächlich Sarah die sprach, Luise ließ sie jedoch gewähren.

„Aber die Story der beiden ist wirklich sehr schön, oder? Jedes Mal wenn ich ihn von neuem durchlese, bekomme ich Nasenbluten.“, schwärmte sie förmlich.

Luises Augen zuckten verdutzt.

„Bist du etwa krank?“, fragte sie unsicher.

Sarah lachte los und winkte ab.

„Nein, das war ein Insider, den musst du nicht verstehen.“, gab sie Entwarnung.

Luise seufzte matt.

„Du verwendest sehr viele Insider. Ich habe mich zwar informiert, verstehe das meiste aber immer noch nicht, was du von dir gibst. Könntest du dich für mich nicht etwas einschränken?“

Das Mädchen hatte keine Ahnung, wie sich Sarah gegenüber Lena oder Katrin verhielt. Oder hielt sich Sarah ihr gegenüber bloß nicht zurück, weil sie genau wusste, dass Luise ihr, ihren Willen ließ?

„Wollen… wir heute wieder zusammen büffeln?“

Luise hatte sich extra für ein unkompliziertes Wort entschieden, doch Sarahs Miene sprach Bände.

„Wir haben erst in zwei Wochen wieder eine Prüfung.“, schien ihr das als Entschuldigung auszureichen um sich davor zu drücken.

„Was willst du sonst unternehmen? Wieder in den JVC?“, fragte Luise nach.

Dann kam sie auf den Gedanken, dass Sarah vielleicht gar nichts mit ihr unternehmen wollte. Vielleicht war sie bereits mit Lena und Katrin verabredet, oder hatte gar ein Date.

Das letzte Wort verursachte Kopfschmerzen bei ihr.

„Damit wir dort wieder deiner zickigen Ex begegnen? Ich habe schon Azuma in Blue Friend nicht gemocht, aber diese Svenja setzt echt noch eine Nummer drauf. Aber was hältst du von Kino?“, schlug sie vor.

Luise hielt kurz inne.

Kino? War das ihr ernst? Naja, warum nicht, sie und Sabine besuchten öfters eine Vorstellung und wenn sie diesmal mit Sarah hinging, wäre es ebenfalls kein Date.

„Sicher, läuft etwas Interessantes? Irgendein Anime-Film vielleicht?“

Sarah prustete lautstark los.

„Anime-Filme im deutschen Kino, du bist wirklich lustig.“, klopfte sie ihrer Freundin auf die Schulter.

Luise lächelte nur unschuldig.

„Wobei… in Japan bald der neue Liar Game Film anläuft. Dennoch stehe ich Matsuda Shouta skeptisch gegenüber. Du musst dir eine Mischung aus Robert Pattinson und Kaname Kuran vorstellen, er sorgt also quasi für das weibliche Publikum.“, berichtete Sarah.

Luise dachte kurz nach, doch den Wunsch mit ihr nach Japan zu fliegen und sie in ein dortiges Kino auszuführen, konnte sie ihr wohl nicht erfüllen.

„Ach, ich lade dich selbstverständlich ein. Das ist das mindeste dafür, dass du mir so tapfer beim ‚Büffeln’ geholfen hast.“, bot sie an.

Luise räumte ein, dass dies nicht nötig sei, doch Sarah kannte keine Widerworte.

Als die beiden an der Kasse standen hatten sie die Qual der Wahl vor sich. Da jedoch beide die aktuellen Action-Klassiker für zu klischeehaft und schlecht umgesetzt hielten, entschieden sie sich für eine Komödie.

Eine romantische Komödie. Es ging in diesen Filmen doch immer darum, oder? Ein Kerl stellte etwas unglaublich Dämliches an und die Frau in die er sich verliebt hat, sucht das Weite. Doch mittels einer meist noch dämlicheren Aktion, gelingt es ihm deren Herz zurück zu erobern und beide leben glücklich und zufrieden. Wenn es dem Zuschauer noch gelang mindestens ein Dutzend Mal eine lustige Stelle zu finden, bei der man herzhaft lachen konnte, war der Film in Grunde ein Erfolg.

Luise war froh darüber, dass er Sarah zum größten Teil gefiel, das allein machte bereits den Erfolg für sie aus.

„War lustig, können wir wieder machen.“, sagte Sarah an Luise gewand, als sie das Kino bereits wieder verlassen hatten.

„Ich weiß nicht, die Hauptdarstellerin war doch strohdumm und naiv! Wäre ich sie gewesen, hätte ich ganz anders gehandelt.“, stand für diese fest.

Sarah murrte hörbar.

„Gib’s zu, du bist eine Typ-C Tsundere!“, sagte sie mit erhobenem Finger.

„Soll heißen?“

„Dass du deinen Ärger über etwas oder jemanden nicht offen herauslässt, sondern in dich hinein stopfst. Und irgendwann wirst du platzen, das sage ich dir voraus.“

Luise war nicht der Ansicht, dass sie ihren Zorn in sich hineinfraß, nein, wenn schon, dann eher ihren Kummer.

Aber hatte sie wirklich welchen? Der Tag hatte Spaß gemacht, sie hatte etwas an Sarahs Seite unternehmen dürfen.

Aber trotzdem…

Wieso fühlte sie sich dennoch so unbefriedigt?

„Ach! Weißt du was mir gerade auffällt? Dass ich nie dazu gekommen bin, mir deine Nummer zu notieren!“, entkam es Sarah urplötzlich.

Luise betrachtete das Mädchen eine Weile. Sie wollte ihre Handynummer? Warum nicht, es sprach nichts dagegen. Sie würden sich simsen, telefonieren… und die Bindung der beiden würde mit der Zeit immer enger werden.
 

Eine der elementarsten Fragen im Leben einer Frau sind wohl: Benötige ich es wirklich, oder will ich es nur, damit ich mich besser fühle?

Sarah hatte eine dieser existenziellen Entscheidungen noch vor sich.

Sie fluchte, warum konnte man sich materielle Dinge nicht auch ganz einfach herunterladen und ausdrucken? In 1000 Jahren war es vermutlich möglich, doch sie wollte diesen Handy-Anhänger jetzt! Sie hatte bereits einen in Anime-Form doch diesen fand sie in einem speziellen Laden, in der Stadt, in der sie und ihr Vater zuvor lebten. Er war spottbillig gewesen, wahrscheinlich weil das Motiv, eine Figur namens Haruhi Suzumiya ohnehin bereits überholt war. Aber bei seltenen Medien wie unbekannteren Animes oder Visual Novels musste sie das Internet zu Rate ziehen. Das Foto der auf sie niedlich wirkenden Kobato Hasegawa lächelte ihr entgegen und Sarah hätte ihren Kopf in den Sand stecken können.

Noch dazu hatte sie vor wenigen Wochen Geburtstag gehabt, ihr Vater würde nicht noch einmal so eine Stange Geld spendieren. Sie würde es nie verstehen wie die ganzen Priester und Mönche es aushielten, ohne materielle Güter zu leben.

Sarah war diese Fähigkeit nicht vergönnt gewesen.

Als es Zeit für das Abendessen war, kam ihr aber eine Idee. Zwar hatte sie vorgehabt, die Reste des Vortags zuzubereiten und ihrem Vater unter die Nase zu setzen, doch davon sah sie nun ab.

Sie beschloss ihm ein festliches Mahl zu zaubern und ihn dann ganz subtil zu erinnern, wie aufgeschmissen er ohne seine Tochter wäre.

Herr Heidenreich verbrachte den Großteil seiner Zeit im Büro, Sarah war dies jedoch gewohnt und bis jetzt war es ihr sehr gut gelungen, seine Schuldgefühle auszunutzen um somit ihr Taschengeld aufzubessern.

Auch diesmal bedankte sich der Manager eines bekannten Konzerns bei Sarah für ihre Arbeit und versprach sich dafür zu revanchieren.

„Ach im übrigen, am Sonntag wirst du nicht kochen müssen.“, informierte er sie.

Sarah blickte zu ihm hinüber und verschlang weiterhin den Salat.

„Fährst du irgendwohin?“, hakte sie nach und ihr Vater nickte zaghaft.

„Wir sind wieder einmal zum Essen eingeladen.“, überraschte er sie.

Sarahs Augenbrauen hoben sich.

„Wieder bei Frau Fahlbusch?“, wollte sie erwartend wissen, doch ihr Vater verneinte schnell.

„Nein, die Gute wollen wir nicht zu sehr belästigen. Aber du scheinst dich wirklich sehr gut mit ihrer Tochter zu verstehen, kann das sein?“

Sarah nickte beifällig und wartete, was ihr Vater zu sagen hatte.

„Christiane… also Frau Wels, eine neue Kollegin von mir, hat mich zu sich eingeladen. Und als ich ihr erzählte, dass ich eine Tochter hätte, war sie ganz begeistert und wollte dich dabei haben.“

„Klingt spannend.“, versuchte Sarah ihren Missmut zu verschleiern.

„Christiane ist geschieden, hat aber zwei Kinder. Einen 8-jährigen Jungen und eine 19-jährige Tochter. Mit Zweiterer wirst du dich sicher gut verstehen.“, erzählte er ihr.

„Warum?“, hakte seine Tochter nach.

„Ähhmmm… naja ich meine, weil ihr altersmäßig nicht soweit auseinander seid.“, erwiderte er prompt.

Sarah nickte und erklärte sich schließlich einverstanden. Sie hatte übermorgen noch nichts vor, Lena und Katrin wollten beide in den JFC, sie selbst konnte darauf verzichten. Nicht zuletzt, wegen dieser unangenehmen Person der sie dort begegnet war.

Allerdings gab sie zu, gerne etwas mit Luise unternommen zu haben, sofern diese nicht ohnehin schon eine Überdosis von ihr intus hatte.

Sarah wusste nicht wieso, aber sie wollte mehr als alles andere wissen, was Luise von ihr hielt.
 

Es war nicht das erste Geschäftsessen, bei dem Sarah als Herzeigeobjekt für ihren Vater hatte eintreten müssen.

Das Haus an sich war riesig, nein man konnte es regelrecht als Villa beschreiben.

Besonders, wenn in dem Haushalt lediglich drei Leute wohnten.

Im Garten bellte ein Hund und Herr Heidenreich kam nicht umher ihn sich genauer anzusehen.

Sarah war eher ein Katzenmensch und mochte kleine, niedliche Tiere. Dann wurde ihnen das große Tor geöffnet und eine fein gekleidete Dame stolzierte ihnen entgegen.

„Joachim!“, rief sie vergnügt.

Sarah setzte schnell ihre trainierte Miene der braven Tochter auf und wurde wie erwartet als erstes begrüßt.

„Du musst Sarah sein, dein Vater hat mir ja schon so viel von dir erzählt!“, schüttelte sie dem Mädchen die Hand.

„Joachim, du hast gar nicht erwähnt, dass sie eher nach ihrer Mutter kommt.“, unternahm sie den Versuch ihren Kollegen zu necken und dieser kicherte, weil es angebracht war.

Die drei überquerten eine steinernen Weg und fanden sich bald im Flur des Hauses wieder.

„Mami!“, hörte Sarah das Rufen eines Kindes.

Kurz trafen sich ihr Blick und der von Frau Wels Sohn.

Doch scheinbar verschreckte sie den Jungen, denn er trat den Rückzug an.

„Er ist etwas schüchtern, beim Essen lernt ihr ihn besser kennen.“, versprach seine Mutter und begann damit, sie durch das Haus zu führen. Sie stellte sich als äußerst nett heraus, als Sarah sie mit Frau Wels ansprach, bat sie ihr ohne zu zögern ihren Vornamen an.

„Und dahinter befindet sich eine wilde Bestie, die bis heute nicht verstehe. Einmal ist so ganz lieb und hilfsbereit und manchmal faucht sie wild und verscheucht alle um sich herum.“, erzählte Christiane und öffnete eine weiße Holztür.

Dahinter erkannte man das Zimmer eines Mädchens, Poster von Rock-Musikern an der Wand, verstreut liegende Blusen und eine alles andere als kitschige Handtasche.

Die Hauptattraktion des Raums saß allerdings auf dem Bett und lackierte sich gerade die Zehennägel.

„Wurde das Anklopfen jetzt ganz eingestellt?“, fragte das Mädchen, oder besser gesagt die junge Frau darauf.

„Das ist mein Engel Tabea, wie ihr sehen könnt.“, begann Christiane die Vorstellung.

Herr Heidenreich grüßte die rebellisch wirkende Tochter, welche den Gruß notgedrungen erwiderte.

„Joachim, hilfst du mit mir dem Essen?“, bat dessen Kollegin und Herr Heidenreich sagte sofort zu.

„Du und Tabea könnt euch inzwischen ja anfreunden.“, hatte er vorgeschlagen und sich mit der Gastgeberin nach unten begeben.

Sarah fühlte sich verpflichtet etwas zu sagen, doch Tabea hatte sich schon wieder ihrer Zeitschrift zugewandt und ignorierte sie.

„Sarah.“

Die Beschäftigte sah kurz zu ihr auf, dann las sie weiter.

„Etwas Spannendes?“, wollte Sarah wissen und stand inzwischen nur noch wenige Zentimeter von Tabea entfernt.

„Wenn du das neue APRILIA RX 50 als spannend bezeichnest, dann ja.“, erwiderte diese kühl.

Sarah konnte gerade noch erkennen, dass sie sich auf Mopeds beziehen musste, ein Thema, in dem der selbsternannte Otaku schon einmal nicht punkten konnte.

Tabea schließ sich nach hinten fallen und hielt das Heft hoch, scheinbar wollte sie so ein bestimmtes Motiv besser betrachten.

„Kuudere?“, fragte Sarah an sie gewand, die sich inzwischen überflüssig fühlte.

„Was?“, sah Tabea sie forsch an.

„Du bist so abweisend und kühl, da dachte ich, dass du womöglich eine Kuudere sein könntest.“, erklärte Sarah.

Das Mädchen auf dem Bett bedachte sie eines Blicks, den man normalerweise nur völlig Verrückten zu Teil werden lässt.

„Sarah, richtig?“, sprach sie die Besucherin dann an.

Diese nickte zögerlich.

„Vielleicht bist du ja ganz in Ordnung, aber ich habe eigentlich keinen Bock die Gäste meiner werten Mutter zu beschäftigten.“, sagte sie deutlich.

Sarah musste grinsen.

„Ich muss gar nicht beschäftigt werden, ich kann einfach hier stehen und dir zusehen.“, schlug sie vor.

Tabea schüttelte unwillig den Kopf.

„Und mich beim Lesen stören? Vergiss es.“

„Aber… bis zum Essen dauert es noch eine Weile.“, wand Sarah ein und fragte sich ob es klüger wäre, nach unten zu gehen und den beiden Erwachsenen zu helfen.

Aber Christiane hätte bestimmt etwas dagegen gehabt.

„Na gut. Willst du über etwas Bestimmtes reden?“, gab Tabea langsam nach.

Sarah nickte.

„Du stehst auf Mopeds?“, wollte sie wissen.

„Bikes.“, verbesserte sie Tabea.

Sarah musste kichern.

„Ja, wenn ich von meinem Hobby rede muss ich die Leute auch ständig verbessern.“

Tabea musterte sie eingehend.

„Und auf was stehst du so?“, hakte sie nach.

Sarah behielt ihre Unschuldsmiene bei.

„Ach, nur auf Otaku-Kram.“, erwiderte sie.

„Auf was bitte?“, folgte Tabeas unverständlicher Blick.

Sarah seufzte und fragte sie, ob sie sich nicht zu ihr setzen dürfe.

Als sie ihr schemenhaft von ihrer Vorliebe erzählte, glaubte sie eine Spur Verächtlichkeit in den Augen der Bikerin festzustellen.

„Prüfung bestanden?“, fragte sie dafür.

Tabea schien aber nicht zu verstehen was sie meinte.

„Bin ich dir Freak genug, und nicht nur brav, um von dir akzeptiert zu werden?“

Tabea dachte kurz darüber nach und nickte dann.

„Ja… du bist in Ordnung. Wir werden zwar keine Freundinnen, aber du bist erträglich.“, befand sie Sarah für tauglich, sich mit ihr abgeben zu dürfen.

Diese hielt sich erst etwas im Hintergrund, während Tabea von den Bikes erzählte, die sie gerne hätte und welche Overalls und Jeans zu welchem passen würde.

Sie und Sarah besaßen zwar keinen identischen Modegeschmack, kamen aber miteinander aus.

Für einen kurzen Moment beobachteten sie, wie ein Junge seinen Kopf ins Zimmer streckte, aber auch genauso schnell wieder abhaute.

„Tobias, ist echt die Pest.“, beschwerte sich Tabea.

„Also ich nahm an, es wäre witzig Geschwister zu haben.“, räumte Sarah ein.

Tabea verdrehte die Augen.

„Meistens nervt er mich einfach. Ich hätte auch lieber eine kleine Schwester, mit der könnte ich mehr reden.“, gestand sie und Sarah nahm den Faden sofort auf.

„Ich könnte mich ja anbieten, wenn du willst. Ich wollte auch schon immer eine ältere Schwester.“

Tabea musterte sie erneut skeptisch, wie bereits bei ihrem Eintreten.

„Keine gute Idee? Tabea Onee-san?“, ärgerte Sarah das Mädchen weiter mit ihrem Fach-Jargon.

Tabea presste ihre Lippen zusammen und suchte nach einem neuen Thema, um Sarah die Flausen auszutreiben.

„Wie sieht’s mit Kerlen aus?“, wollte sie in Erfahrung bringen.

Verblüffung stieg in Sarahs Gesicht und sie fand keine befriedigende Antwort darauf.

„So eine Schönheitskönigin wie du wird doch wohl einen Freund haben, oder?“

Sarah kratzte sich verlegen an der Wange.

„Schönheitskönigin? Na ich weiß nicht. Nein… ich habe nichts derartiges. Aber ich bin ja auch erst neu hergezogen und habe generell viel zu tun. Wie… sieht es mit dir aus?“, erhoffte sie sich eine Auszeit, indem sie den Spiel umdrehte.

Tabea sah kurze Zeit besorgt aus, sollte Sarah nachhaken, was in ihr vorging? Würde das Mädchen das bereits zulassen, in der geringen Zeit, in der sie einander kannten?

Tabea wollte etwas erwidern, doch dann wurde es langsam Zeit für das Essen.

Als sich die fünf an den großen Tisch im Wohnzimmer setzten, lernte Sarah auch Christianes zweites Kind, Tobias etwas besser kennen.

„Na Kurzer? Schenierst du dich, weil du noch nie zuvor so eine Sexbombe neben dir gesessen hat?“, transalierte Tabea ihren Bruder.

„Tabea, bitte!“, ermahnte sie ihre Mutter und diese verstummte.

Das Essen bestand aus Fleischpastete mit Kartoffeln, Sarah hatte bereits etwas nobles wie Hummer erwartet. Schelmisch fragte sie ihren Vater, ob Christiane wohl noch etwas mehr verdiene, als er selbst. Er blieb seiner Tochter die Antwort schuldig, aber alles in allem konnte man den Abend als gelungen bezeichnen.

„Guck kurz mal her.“, bat Sarah und zog Tabea zu sich, als die Zeit des Verabschiedens gekommen war.

Diese sträubte sich erst, doch es war zu spät. Sarah hatte mit ihrem Handy bereits ein Foto geschossen.

„Hihi, sie wird Augen machen, wenn ich ihr das schicke.“

Tabea räusperte sich.

„Du hast doch nichts unlauteres mit meinem Foto vor, oder?“

Sarah verneinte schnell und verabschiedete sich dann von ihr, sowie bei Tobias und Christiane.

Fünf Minuten später saßen sie bereits wieder im Wagen, auf dem Weg nach Hause.

„Frau Wels… also Christiane ist doch sehr nett, oder?“, wollte Herr Heidenreich wissen und Sarah bestätigte es, ohne ihm noch viel Aufmerksamkeit zu schenken. Und auch nicht auf den besonderen Tonfall, den der Geschäftsmann aufgelegt hatte.

Sarah war gerade dabei ihre erste MMS an Luise zu schicken und fragte sich, wie diese wohl reagieren würde.
 

Luise hockte gerade über ihren Büchern, als ihr Handy zu klingeln begann. Es war der Ton für eine SMS oder MMS, und ihr erster Verdacht lag bei Sabine. Vielleicht hatte sie jemanden kennen gelernt und wollte unbedingt Luises Meinung dazu hören.

Doch sie täuschte sich. Es war ein Foto und der Absender war eindeutig Sarah.

Langsam öffnete sie die Datei und erkannte Sarah und noch ein Mädchen. Was Luise störte war, dass Sarahs Gesicht sehr knapp an dem der anderen anlag. Beinahe berührten sich ihre Wangen. Unter dem Foto hatte ihre Freundin geschrieben: Meine neue BFF.

Wer war das Mädchen und wieso wagte sie es, mit Sarah anzubandeln?

Und was hieß BFF? Es war nicht so, dass Luise den Ausdruck nicht kannte, aber sie hatte angenommen sie wäre inzwischen Sarahs ‚BFF’ geworden.

Dann ließ sie es sich auf sich beruhen und legte das Handy wieder weg. Sarah würde ihr die Geschichte dahinter bestimmt selbst erzählen, wenn sie Lust darauf hatte.

Schließlich wanderte ihr Blick auf den Kalender und sie entsann sich, dass sie in ihren Vorbereitungen zurück lag. Es war beinahe Ende Oktober, bis zu ihrem Geburtstag waren es gerade mal noch 10 Tage.

Es war nicht so, als hätte Luise etwas Besonderes geplant, es würde ablaufen wie die Jahre zuvor.

Sie würde Sabine einladen, sowie noch 2 Mädchen aus der Klasse, mit denen sie sich gut verstand. Ihre Tante wollte ihr einen kurzen Besuch abstatten und selbst ihre Mutter versuchte sich frei zu nehmen. Nur ihr Bruder Jonas hatte sie bis jetzt im Ungewissen gelassen, da sein Studium sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Dennoch hoffte sie sehr, dass er sich für sie freimachen konnte, sie hätte gerne mit ihm gesprochen.

Außer Sabine gehörte nur noch er zu den großen Verschwörern die von Luises großen Geheimnis Kenntnis besaßen. Ironischerweise war er es auch gewesen, der ihr den ersten Liebesroman geschenkt hatte, als sie 14 wurde.

Er hatte sie schnell durchschaut, es war Luise damals unendlich peinlich gewesen, doch er verhielt sich souverän.

Wieder einmal sah sie aus dem Fenster, in das Innere des Heidenreich-Anwesens.

Sarah war nicht zu Hause das wusste sie. Sie hatte sie vor einigen Stunden mit ihrem Vater wegfahren sehen.

Sollte sie das Mädchen zu ihrem Geburtstag einladen? Sie waren jetzt irgendwie Freunde, oder nicht?

Ja, sie beschloss es hinter sich zu bringen und Sarah morgen in der Pause zu fragen.

Mehr als Nein sagen konnte sie schließlich nicht, oder? Etwas Schlimmeres würde schon nicht passieren.

Außer natürlich sie würde Luise das Herz brechen…
 

Luise war mit ihren Pflichten in der Klasse fertig, vom gewöhnlichen Tafelwischen, bis zur Benachrichtigung der Schüler, dass wieder ein paar zerkratze Autos auf dem Parkplatz vor der Schule aufgefunden wurden.

Dann lud sie ein paar der Schülerinnen zu ihrer Feier ein, welche sofort zusagten.

Sabine selbst musste sie nicht fragen.

Zum einen, da sich diese ohnehin nie eine Party entgehen ließ und zum anderen, weil Luise ihre Freundin kurz nach Aus der Stunde nicht mehr entdecken konnte.

Hatte sie wirklich jemanden kennen gelernt? Jemanden aus der Schule? Flirtete sie in diesem Moment mit ihm?

Luise machte sich keine Gedanken darüber, da sie im Moment eine weit aus wichtigere Mission zu erfüllen hatte.

Sie holte tief Luft und sammelte all ihren Mut.

Tapfer stolzierte sie direkt zu Sarahs Klasse und hielt nach ihr Ausschau. Sie sah die beiden Mädchen, mit denen sie immer abhing, sie selbst aber nicht.

Auch ein rascher Blick in das Klassenzimmer, trug nicht zur Klärung bei.

Dann erspähte sie ihr Ziel endlich.

Sarah stand am Ende des Gangs, kaum erkennbar. Aber sie war nicht allein, jemand war bei ihr.

Luises Schritte wurden schneller, bis die beiden sie wahrnahmen.

Doch auch Luise selbst konnte die zweite Person nun deutlich erkennen, nicht zuletzt, weil es sich um ihre beste Freundin handelte.

Sabine und Sarah hatten die Köpfe zusammen gesteckt und tuschelten.

Als sie Luise entdeckten, unterbrachen sie ihre Pose sofort.

Sabine hob die Hand zur Begrüßung und eilte an ihrer Freundin vorbei.

„Tut mir leid, ich habe es eilig!“, fand sie keine Zeit mindestens ein Wort mit Luise zu wechseln.

Sarah sah sich ebenfalls nach mehreren Seiten um, plante sie auch die Flucht anzutreten?

„Seid wann sind du und Sabine so gut befreundet?“, schnitt sie ihr den Fluchtweg ab.

Sarah wirkte sichtlich verlegen.

„Es ist nur so… Sabine hat einen netten Typen kennen gelernt und wollte ein paar Fashion-Tipps von mir.“, gestand sie.

Luise überlegte kurz ob Sarah sie anlog, doch welchen Grund hätte sie dazu?

„Ach ich habe deine MMS bekommen.“, begann sie dann das Gespräch.

Wenig später hatten sie auf ihrer üblichen Parkbank Platz genommen und Sarah hatte von Tabea zu erzählen begonnen.

„Ich denke sie ist das was man als ‚taffe Braut’ bezeichnet.“

Luise musste schmunzeln und plötzlich fiel ihr wieder der eigentliche Grund ein, warum sie Sarah aufgesucht hatte.

„Du hör mal, ich habe am nächsten Freitag Geburtstag und würde dich gerne einladen. Du musst nicht kommen, aber…. ich würde schon sehr freuen.“, brachte sie es hinter sich.

Der erste Teil war gelungen, nun folgte der Zweite, in dem sie herzklopfend Sarahs Antwort abzuwarten hatte.

Deren Gesichtszüge verschoben sich nachdenklich und sie wich Luises Blick aus.

„Das klingt toll… nur leider habe ich an diesem Tag überhaupt keine Zeit.“, verriet sie.

Luises Herzschlag verringerte sich wieder.

Nein, sie glaubte sogar, dass es zur Gänze ausgesetzt hatte.

„Mein ähhmm… mein Vater und ich besuchen mal wieder meine Großmutter. Aber ich wünsche dir viel Spaß und feiere schön.“

Peng.

Luises Herz war tatsächlich gebrochen worden, so dachte sie zumindest.

Sie wusste, dass sie übertrieb, jeder hatte mal keine Zeit.

Es war ja nicht so, als hätte sie ihr gerade ihre Liebe gestanden und Sarah hätte sie zurückgewiesen. Aber dennoch…

Es war eben nun mal Luises Geburtstag und da wollte sie alle Menschen um sich haben die ihr etwas bedeuteten.

Sarah hatte sich immer weiter nach oben gedrängt, ob sie wollte oder nicht.

Und Luise hatte dies zugelassen. Es war nicht die Schuld des Mädchens, dass Luise diese Gefühle für sie hegte, sondern ihre eigene.

Sie klopfte ihre Jeans ab und stand dann auf.

„Naja, macht ja nichts. Ich wünsche dir viel Spaß, bei deiner Großmutter.“, wünschte sie ihr, und erklärte, sie müsse nun langsam wieder in ihre Klasse.

„Hau rein!“, rief ihr Sarah noch zu, doch Luise wollte das gar nicht mehr hören.

Zurück im Klassenraum, trafen sich ihr und Sabines Blick.

Sie beschloss ihr nichts von Sarahs Absage zu berichten, was sie jetzt am wenigsten brauchte waren dumme Kommentare, selbst wenn Sabine es oftmals lieb meinte. Doch den Rest des Schultages verbrachte das baldige Geburtstagskind in absoluter Lethargie.

Sie hatte so auf Sarah gehofft und wurde enttäuscht.
 

Zu Hause, als sie sich ins Bett stahl, wäre ihr beinahe zum Heulen gewesen. Sie fand ihr Benehmen selbst lächerlich, niemand weinte wegen einer Absage zu seinem Geburtstag.

Bei jedem anderen wäre es Luise leichter gefallen, aber nicht bei Sarah.

War ihr ihre Großmutter so wichtig? Wichtiger als sie? Natürlich war sie das.

Luise selbst war nur ihre Nachbarin und ein Mädchen, das Sarah nett fand und mit dem man Spaß haben konnte.

Sie tat beinahe so, als wären die beiden zusammen und Sarah hätte den Frevel begangen nicht zu so einer wichtigen Veranstaltung zu erscheinen.

Doch warum hatte Sarah darauf bestanden immer so viel Zeit mit ihr zu verbringen, ja sie sogar in ihr angeblich großes Geheimnis einzuweihen? Luise war angeblich die erste gewesen, eine Ehre, über die sie sich sehr geschmeichelt gefühlt hatte.

Besonders als Sarah ihre Nummer wollte, hatte Luise angenommen, dass ihre Bindung stärker geworden war.

Ihre freundschaftliche Bindung. Mehr war da nicht auf Sarahs Seite. Und es kam durchaus vor, dass eine Freundin keine Zeit hatte.

Unerwartet klopfte es an der Tür.

„Ja?“, rief Luise und die Tür schwankte leicht auf.

Frau Fahlbuschs Kopf wurde hereingesteckt und sie sah nach dem Rechten.

„Hey Liebes, was für eine Torte wäre dir den für deinen Geburtstag recht?“

Als Luise nicht sofort antwortete, betrat sie das Zimmer ihre Tochter ganz.

Langsam schritt sie zum Bett und setzte sich neben sie.

„Alles in Ordnung? Du wirkst heute etwas betrübt.“, schien ihr der Zustand ihrer Tochter nicht zu entgehen.

Luise wollte sich wegdrehen, blickte ihre Mutter dann aber unsicher an.

„Es ist nur… wegen meines Geburtstags.“, rückte sie mit der Sprache heraus.

Frau Fahlbusch hob beide Augenbrauen.

„Für die meisten Menschen ist allerdings ein Grund zur Freude.“

Luise presste die Lippen zusammen. Sie war aber kein normaler Mensch.

Sie war ein naives, introvertiertes Mädchen, das sein Leben lang einsam sein würde, weil es sich ständig in die falschen Mädchen verliebte. Wenn sie sich nur irgendetwas aus Männern gemacht hätte, hätte sie zu ihrem eigenen Wohl bereits längst gewechselt.

„Es ist nur… ich habe jemanden eingeladen und er hat abgesagt.“, verriet sie.

Langsam strich ihr ihre Mutter über die Stirn.

„Du hast dir ganz schön Zeit gelassen, oder? Ich hatte bereits die Vermutung, dass ein Junge dahinter steckt, so fröhlich wie du in letzter Zeit warst.“

Na großartig, die Kandidatin hat -100 Punkte, dachte Luise.

Sie schnaubte und wich dem Blick ihrer Mutter aus.

„Hey, wenn er nicht erkennt, was für ein toller Mensch du bist, hat er dich nicht verdient. Und er selbst muss dann auch ein ziemlicher Versager sein.“, unternahm sie einen Versuch, für ihre Tochter da zu sein.

Sie griff nach Luises Hand, doch diese zog sie eisern weg.

„Das stimmt nicht! Sa… du kannst sowas nicht sagen, wenn du nichts weißt! Es handelt sich nämlich um den tollsten Menschen den es auf der Welt gibt, und so einfach gebe ich nicht auf!“, schleuderte sie ihr schrill entgegen.

Ihre Mutter wich kurz zurück, legte dann aber ein Lächeln auf.

„Genau so kenne ich meine Tochter. Auch wenn eine Liebe kompliziert sein mag, wenn sie dir wert erscheint dafür zu kämpfen, gib alles was du hast.“, versuchte sie es erneut mit einem mütterlichen Rat, diesmal sogar mit einem der Früchte trug.

Bevor Luise wirklich noch anfing zu heulen nickte sie und wünschte ihre Mutter eine gute Nacht.

Dann schaltete sie das Licht und ließ die Finsternis sich über sie ausbreiten.

Wie viel Herzschmerz wollte sie in Kauf nehmen, nur um an dieser unmöglichen Liebe festzuhalten?
 

Irgendwie war es Luise so, als hätte Sarah sie diesmal verstanden. Während der gesamten Zeit bis zu ihrem Geburtstag ging sie ihr nämlich aus dem Weg. Sie war enorm beschäftigt und schaffte es nicht einmal, ihre angebliche Freundin auf dem Heimweg zu begleiten.

Dafür ertappte sie das Mädchen erneut mit Sabine, die sich wohl wieder Modetipps abholen wollte.

Hatte Luise überhaupt noch Freunde? Selbst Sabine tat die Sache als nichtig ab, als Sarahs Absage zur Sprache kam.

„Aber wenigstens du lässt mich nicht im Stich, oder?“, glaubte das Geburtstagskind inzwischen wirklich fragen zu müssen.

Sabine schüttelte unverzüglich den Kopf, hielt dann aber eine zeitlang inne.

„Es kann aber sein, dass ich mich etwas verspäte, warte nicht auf mich.“, vertröstete sie ihre Freundin.

Luises Stirn zog sich in Falten, langsam glaubte sie wirklich an Sarahs Theorie mit der Tsundere.

Es würde eine erbärmliche Feier werden, so viel war ihr bewusst geworden. Zwei Klassenkameradinnen und eine verspätete Sabine. Noch dazu ihre Mutter, die ihnen frische Cola anbot. Selbst Luises extra für diesen Tag herausgesuchte Musik würde nicht standhalten können. Vielleicht sollte sie ihre Konsequenzen daraus ziehen und das Fest absagen.

Es wäre ohnehin nicht schade, und möglicherweise würde es keinem groß auffallen.

Nächstes Jahr hatte sie wieder Geburtstag, vielleicht segnete sie das Glück dann mehr.

Dann war es Freitag.

Die Party sollte um 17 Uhr steigen, wobei es sich maximal zu einem gemütlichen Beisammensein entwickeln würde, wie Luise erwartete.

Sabine teilte ihr mit, dass sie sich bereits darauf freute, doch Luise wusste nicht einmal mehr, ob ihre Freundin es ernst meinte.

Eine Stunde vor der vereinbarten Zeit, stand alles da, wo es sollte.

Der CD-Player war vorsorglich auf dem Wohnzimmertisch platziert worden und Luises Mutter hatte die Getränke, sowie die Chips dazu gestellt.

Luise hatte sich schick angezogen, obwohl es ihr diesmal keine rege Freude bereitet hatte.

Nicht so, als wenn Sarah zu Besuch kommen würde.

Alles was schließlich noch fehlte waren die Gäste.

„Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder? Ich muss schon um 18 Uhr zum Dienst im Krankenhaus. Du stellst nichts an und räumst danach brav wieder auf, ja?“, erkundigte sich Frau Fahlbusch nach der Zuverlässigkeit ihrer Tochter.

Diese nickte und stopfte sich eine Ladung Chips in den Mund.

Viel Unordnung würde nicht entstehen, vielleicht eine leere Flasche und ein paar Chip-Reste.

Um 17 Uhr erschien jedoch niemand und das Warten dauerte an.

Die Ungeduld wuchs und wuchs in Luise und die ständige Fragerei ihrer Mutter, ob sie ihren Freunden auch wirklich die richtige Zeit genannt hatte, tat sein übriges.

Luises stieß einen dumpfen Schrei aus, dann vibrierte ihr Handy.

Sie las die eingegangene SMS, sie stammte von Jasmin, einem der beiden Mädchen, die sie eingeladen hatte. Dieser war etwas dazwischen gekommen, angeblich eine angesagte Party im Nachbardorf. Ihre beste Freundin, das zweite Mädchen auf Luises Liste hatte sie natürlich im Schlepptau.

Damit stand es fest.

Es würde der peinlichste und langweiligste Tag in Luises Leben werden.

Nachdem selbst Sabine nach einer halben Stunde nicht eingetroffen war, war sie nervlich beinahe am Ende.

Ihre Mutter streichelte sie über die Schultern und versicherte ihr, dass zumindest Sabine noch aufkreuzen würde, immerhin war sie ihre beste Freundin.

Dann musste sie los, um ihren Dienstantritt nicht zu verpassen. Sie gab ihrer Tochter noch einen Kuss auf die Stirn und wünschte ihr alles Gute.

Das Geschenk hatte sie ihr bereits feierlich überreicht, es waren Klamotten in dem Stil, den sie immer bevorzugte.

Schlicht und farblos.

Kurz vor 18 Uhr klingelte es erneut.

Wahrscheinlich Sabine, die ihre lästige Verpflichtung nun offiziell absagen wollte.

Luise tastete nach dem Sprechknopf und betätigte ihn.

„Hallo?“, fragte sie müde.

„Luise? Bist du es?“

Es war Sarahs Stimme, die sich da in ihr Ohr schlich.

Aber warum? War diese nicht auf Besuch bei ihrer Großmutter? Rief sie nur an, um ihrer Freundin ihre Glückwünsche auszurichten?

„Sarah? Was ist los? Seid ihr nicht verreist?“, wollte sie wissen.

„Nein, eben nicht! Paps ist allein gefahren, ich wollte etwas Zeit für mich. Aber dann bin ich die Treppe hinab gestürzt, es tut so höllisch weh. Bitte hilf mir!“

Nicht nur in Sarahs Stimme breitete sich Panik aus, auch Luises Herzschlag stieg rasant an.

„Oh mein Gott, hast du einen Krankenwagen gerufen?“, fragte sie hastig.

Ein lautes Aufstöhnen auf der anderen Leitung.

„Ja, die sind unterwegs, aber bitte komm herüber! Mein linkes Bein ist so seltsam verdreht, und ich spüre es gar nicht mir.“, beklagte sie sich in einem flehenden, wimmernden Ton.

Um Luise herum wurde es in diesem Moment genauso schwarz wie wahrscheinlich gerade um Sarah. Im ersten Moment fand sie nicht einmal ihre eigene Haustür, so aufgewühlt war sie.

„Ich komme! Bitte warte auf mich, ich bin gleich bei dir, Liebes!“

Die Verbindung aufrecht erhaltend, kämpfte sie sich den Weg durch ihren eigenen Garten, rannte den Bürgersteig entlang zum Nachbargrundstück und hämmerte an der Haustür.

Sie betätigte die Klinke und stellte erleichtert fest, dass sie Herr Heidenreich oder Sarah nicht abgeschlossen hatten.

Sie stieß sie auf und sprang ins Innere.

Im Flur war es dunkel, doch nur wenige Sekunden.

Wie magisch flackerte das Licht auf und gab einen prachtvollen Raum mit unzähligen Leuten darin preis.

Die Situation wurde noch absurder, als alle ohrenbetäubend laut zu schreien begannen.

„Überraschung!“
 

Luise hatte ihr bis jetzt nicht zurück geschrieben, sie schien sich nicht für ihr Erlebnis bei Tabea zu interessieren.

Verständlich, was hatte Sarah schon groß erlebt? Ein gemeinsames Essen, bei einer Kollegin ihres Vater war selbst für sie so spannend wie beispielsweise eine weitere Hayate no Gotoku Staffel.

Erleichtert stöhnte sie auf, als sich die Physik-Stunde endlich ihrem Ende zuneigte.

Kaum etwas von dem neu gelernten würde sich lange in ihrem Kopf halten, das wusste sie.

Mit Luise war alles irgendwie einfacher. Ihrer Erklärungen, ihre Aufmunterungen, ihr Zureden bewirkten, dass Sarahs Last Stück für Stück schwand.

Sie war gerade daran die Klasse zu verlassen als sie ein bekanntes Gesicht wahrnahm.

Schnell ordnete sie es Sabine zu, der besten Freundin Luises.

Aber warum sie und nicht ihre Freundin persönlich?

Hatte Sarah sie etwa unabsichtlich verärgert? Rief sie deshalb nicht an, oder reagierte nicht auf die MMS?

Oder… lag es gar an Sarahs Hobby? Hatte Luise genug von den wirren Begriffen mit denen sie Sarah tagtäglich bombardierte? Es hatte durchaus schon Personen gegeben, die begonnen hatten sie zu meiden, da sie sich schwer anpassen konnte.

Doch Sarah war nun mal ein Otaku und stand auch dazu.

Zugegeben, vermutlich übertrieb sie meistens maßlos, doch Luise war ihr immer irgendwie anders vorgekommen.

Verständnisvoll, mitfühlend.

Wenn sie mit ihr zusammen war, fühlte sie eine gewissen Form von Geborgenheit, was eigentlich ironisch war, immerhin teilten die beiden keineswegs viele Interessen.

Doch sie fühlte sich wohl an Luises Seite und wollte dieses Gefühl einfach nicht missen.

Sabine zerrte sie am Ärmel einen Meter weg und Sarah wartete gespannt was sie zu sagen hatte.

„So wie ich Luise kenne wird sie sich nicht trauen dich zu ihrer Geburtstagsfeier einzuladen.“, kam sie schnell auf den Punkt.

Sarah hob überrascht ihre Augenbrauen.

„Luise hat Geburtstag?“, hakte sie interessiert nach.

Sabine nickte schnell.

„Also nur für den Fall, dass sie dich nicht fragt, was hältst du dann davon, als Überraschungsgast aufzutreten?“, weihte sie das Mädchen in ihre Idee ein.

Sarah ließ sich die Möglichkeit durch den Kopf gehen, verneinte dann aber.

„Ich habe einen anderen Vorschlag. Wie wäre es wenn wir es gleich zu einer richtigen Überraschungsparty ausarten lassen? Und am besten feiern wir diese bei mir, da mein Vater ohnehin noch eine Putzkolonne bestellt hat, die sich um die ganzen Innenräume kümmern soll. Wenn wir bis dahin also ordentlich Dreck machen, spielt es auch keine Rolle mehr.“

Sabine wollte kurz einwenden, dass es für die Putzkräfte sehr wohl eine Rolle spielte, beließ es dann aber dabei.

Sie musste nämlich zugeben, dass ihr Sarahs Vorschlag gar nicht so abwegig vorkam. Besonders Luise würde niemals mit so einer Feier rechnen.

„Wie genau stellst du dir das vor?“, hakte sie nach.

Sarah legte demonstrativ einen Finger an ihr Kinn. Dann erklärte sie, wie die beiden Verschwörer vorgehen könnten.

Sarah selbst würde natürlich absagen, während Sabine den Schein wahren sollte. Luise veranstaltete ihre Party gewöhnlich um 17 Uhr, somit blieb genug Zeit, im Haus der Heidenreichs alles vorzubereiten.

Doch während die beiden Mädchen diskutierten, wurden sie unterbrochen und das ausgerechnet von Luise selbst.

Unauffällig trennten sie sich und Sarah benutzte die erst beste Ausrede, die ihr in den Sinn kam.

Luise schluckte es und hoffentlich auch den Plan, den die beiden ausgetüftelten.

Die Weichen waren gelegt, Sabine sagte Luises übrigen Freundinnen bescheid und Sarah sprach mit Lena und Katrin.

Erst beäugten sie das Mädchen skeptisch, waren dann aber einverstanden. Solange es sich um eine Party handelte, waren sie offensichtlich ganz vorne mit dabei.

Sarah gelang es sogar ein paar Jungs zu organisieren, bei einigen gab sie ihre eigene Einweihungsparty vor, bei anderen wiederum reichte schon ein simpler Augenaufschlag.

Zwei Tage vor dem großen Ereignis wurde Sarah dann etwas schmerzhaft bewusst.

Ihr fehlte ein Geschenk.

Sie beriet sich mit Sabine, doch diese meinte, Luise würde sich aus bestimmten Gründen über alles freuen, was Sarah ihr schenkte. Diese wusste nicht, was die Mitverschwörerin damit meinte, versuchte es sich aber zu Herzen zu nehmen.

Erst dachte sie an eine weitere selbst gebrannte CD, oder einen Manga, doch davon würde Luise inzwischen bestimmt genug haben, sie wollte es nicht übertreiben.

In einer Boutique fand sie ein hübsches Sommerkleid, befürchtete aber durch es, Kritik an Luises Kleiderstil zu üben.

Natürlich waren ihr solche Gedanken völlig, fremd, sie mochte den eigensinnigen Stil ihrer Freundin, er war ein Teil von ihr.

Also entschied sie sich für eine schicke Halskette, die gerade noch in ihr Budget passte.

„Leb wohl Kobato-chan.“, verabschiedete sie sich innerlich von dem Handy-Anhänger.

Doch dafür besaß sie nun etwas, das Luise Freude bereiten würde und war das somit nicht noch viel wertvoller?

Es war Sabines Idee gewesen zu übertreiben und am Handy zu behaupten, Sarah wäre einem Unfall zum Opfer gefallen. Sie selbst fand es etwas schamlos, und hoffte, Luise würde sich nicht allzu große Sorgen machen.

Doch der Plan ging auf und nun stand das Geburtstagskind inmitten der Gäste.

Sarah fiel ihr in die Arme und wünschte ihr alles Gute.

Der perfekte Tag.

Der perfekte Abend.

Die perfekte Feier.

Doch eines gab es, das Sarah beschäftigte. Wahrscheinlich war es gar nichts, und sie spann sich etwas zusammen.

Aber hatte Luise… kurz vorher am Handy… hatte sie das Mädchen da ‚Liebes’ genannt?

Kapitel 5

Welcher klar denkende Mensch würde in solch einer Situation wohl Trauer empfinden? Oder Angst? Es war das erste Mal in Luises Leben, dass diese mit einer Feier überrascht wurde.

Niemand zuvor hatte wegen ihres Geburtstags so ein Aufsehens veranstaltet.

Ihr Herz raste, aber keineswegs aufgrund der hier vorherrschenden Gründe.

Sarahs Worte dröhnten noch in ihren Ohren, Luise glaubte, ihre Freundin wäre ernsthaft verletzt gewesen.

Nein, nicht nur ihre Freundin.

Die Person, die sie aufrichtig liebte.

Sabine fiel ihr um den Hals und gratulierte ihr aufs herzlichste.

Luises Blick schwang im Raum umher, er war festlich gestaltet und einige bekannte Gesichter ragten aus der Menge. Sie entdeckte Jasmin, so wie deren Freundin Viktoria. Nein, sogar noch zwei Mädchen aus ihrer Klasse. Zudem noch Lena und Katrin, sowie viele weitere Mädchen und Jungen, die sie nur flüchtig kannte.

„Tut mir leid, da es eine Überraschungsparty war, musste ich improvisieren. Wenn ich eine Freundin von dir vergessen habe, bitte ich vielmals um Verzeihung.“, kam ihr Sarah mit einem Lächeln entgegen.

Luise schüttelte zögerlich den Kopf.

„Du bist unverletzt?“

Damit unterbrach sie die Fröhlichkeit des Mädchens für einen Augenblick.

„Fandest du das übertrieben?“, war es ihr sichtlich unangenehm.

Luise sah zu Sabine, die ihre Arme ertappt nach oben streckte.

„Du hast mich erwischt, es war meine Idee gewesen. Aber wie hätten wir dich so schnell in dieses Haus locken sollen?“, gab sie ihren Plan preis.

Luise war sich sicher, dass es noch weitere effektive Wege gegeben hätte, doch diese Handlungsweise sah Sabine nur ähnlich. Schlimm genug eigentlich, immerhin wusste sie um Luises Gefühle für ihre Nachbarin und musste doch annehmen, dass sich das Geburtstagskind unendlich große Sorgen machen würde.

Sabine dachte jedoch nicht einmal über einen möglichen Fehltritt nach, sondern nahm ihre Freundin in den Schlepptau und führte sie ins Wohnzimmer.

„Die Party an sich war Sarahs Idee, wenn dir also sonst etwas nicht passt, musst du ihr die Schuld geben.“, sicherte sich Sabine nochmals ab.

Jetzt machten die Gespräche der beiden Mädchen Sinn, die Luise so unrüde unterbrochen hatte. Es war die ganze Zeit um sie gegangen, wie dumm war sie gewesen? Sie hatte nichts geahnt, ja nicht einmal die Möglichkeit in Betracht gezogen.

Dann konnte die Party endlich steigen.

Wilde Rockmusik begann aus riesigen, extra aufgebahrten Boxen zu spielen.

„Du musst unbedingt von den Bötchen probieren.“, sagte Sarah und wies auf mehrere Tabletts, die prunkvoll auf dem Wohnzimmertisch angereiht waren. Sie waren mit Wurst oder Fisch belegt, Luise konnte keine mit Salat oder wenigstens Gurken entdecken. Unverkennlich das Werk ihrer Freundin.

In Luises spiegelten sich die verschiedensten Emotionen wider, zum einen war sie unglaublich baff, dass Sarah für sie so etwas hier auf die Beine gestellt hatte. Zum anderen fühlte sie sich etwas verraten und übergangen. Sarah hatte es zweifelsfrei gut gemeint und auch Sabine hatte nur ihr Bestes im Sinn.

Jasmin und Viktoria gratulierten ihr unverzüglich und reichten ihr, ihre Geschenke.

Luise nahm sie dankbar entgegen war kurz später glückliche Besitzerin eines Faltenrocks, sowie einer Ladekarte für ihr Handy.

Sabines fromme Gabe wies sich als dickes Buch heraus, aber kein spezieller Liebesroman, wie Luises es erst vermutet hätte. Die geladenen Gäste hätten auch skeptische Blicke auf sie gerichtet, wäre das der Fall gewesen.

Nein, so oft Sabine auch übertrieb, sie hätte nichts getan womit sie ihre Freundin verletzten konnte. Luise war klar, dass sie die Situation von vorhin schnell wieder vergessen sollte, weder Sabine, noch Sarah hatten es böse gemeint.

Im Laufe des abends, sammelte das Geburtstagskind noch weitere Gratulationen, jedoch keine Geschenke. Sie war nicht naiv und wusste, dass einige nur hier waren um zu feiern oder weil Sarah sie eingeladen hatte. Manche der Jungen erhofften sich vielleicht sogar etwas von ihr, doch sie blieb charmant und wies jeden von ihnen ab. Von ihr hatte Luise noch kein Geschenk erhalten, aber sollte sie überhaupt eines erwarten?

Die organisierte Feier hatte bestimmt genug ihrer Zeit und ihrer Mühe verzehrt. Noch dazu erinnerte sich Luise an die selbst gebrannte CD, ein Geschenk, das ebenfalls noch nicht lange zurücklag. Aber über sie hatte sie sich gefreut. Genau wie über die Überraschungsparty, wenn sie ehrlich war.

Erst hatte sie eine tiefe Traurigkeit gespürt, als allein im Wohnzimmer ihres Hauses hockte und annahm, jeder hätte auf sie vergessen. Doch so war es nicht. Es gab tatsächlich Personen, denen sie wichtig war, auch wenn der Kreis eine sehr übersichtliche Proportion besaß.

Und ein Teil von ihm, bildete Sarah. Nein, sie stand sogar in der Mitte.

Sie war der Mittelpunkt von Luises Kreis, ihrer Gefühlswelt, ihrem Herzen.

„Vielleicht kriegst du ja noch einen Geburtstagskuss!“, säuselte ihr Sabine ins Ohr.

Ihre Freundin hatte es wohl mitbekommen als sie gedankenverloren zu ihrem Schwarm blickte, die gerade einigen Jungen verbot, mitgebrachtes Bier zu öffnen. Wahrscheinlich fürchtete sie um etwaige Schäden, an dem gerade erst bezogenen Haus.

Luise bezweifelte, dass ihr Vater so eine große Feier genehmigt hatte, vermutlich gab es die ominöse Großmutter wirklich, oder er musste schlichtweg arbeiten. Dennoch hatte es sich Sarah nicht nehmen lassen, ihren Tag zu versüßen.

Doch warum eigentlich? Noch vor etwas mehr als zwei Wochen waren sie Fremde gewesen, die keinerlei Bezug zueinander hatten. Keine gemeinsamen Interessen, oder Bekannte. Unterschiedliche Lebenseinstellungen und Gefühlslagen.

Luise wusste, was sie zu dem liebenswerten Mädchen hinzog. Von Sarah ging eine Unschuld und Wärme aus, die sie im ersten Moment gespürt hatte. Und eine Eigensinnigkeit, die vermutlich ihren sämtlichen Charakter ausmachte. Sarah war tatsächlich ein Engel, Luise hatte sie zweifellos als das erkannt, was sie war.

Doch auf welche Weise zog sie Sarah an? Was hatte sie schon groß zu bieten? Außer ihren schulischen Wissensstand und ihre Hilfsbereitschaft?

War sie nicht viel zu langweilig für das immer nach Abenteuer suchende Mädchen?

Sarah behandelte sie wie ihre beste Freundin, offenbarte ihr sogar ihre intimsten Geheimnisse.

Wer war Luise für Sarah? Dieses Rätsel wuchs inzwischen so sehr in ihr an, dass sie es unbedingt lösen musste.

Sabine zerrte sie zu einer Gruppe weiterer Mädchen, die bereits wild tratschten. Luise hielt sich wie gewohnt im Hintergrund und ihr Blick verharrte stets bei Sarah. Es war ihr inzwischen egal, ob es jemandem auffiel. Der Stich in ihrem Herzen, den sie verspürt hatte, als sie von Sarahs vermeintlichem Unfall hörte, würde nicht so schnell aus ihrem Bewusstsein verschwinden. Die Angst, dass sich ihre Liebe verletzt hatte, oder, dass sie aus ihrem Leben verschwinden könnte, war zu grausam gewesen. Es war beinahe so, als hätte dieses eine Ereignis, Luises Gefühle verstärkt.

Die Blicke der beiden Mädchen traten sich, Sarah hatte ihren Kopf gewand und sah sie direkt an.

Kein Lächeln, keine Veränderung ihrer Mimik, es war gerade so, als wollte sie Luise für einige Sekunden einfach nur ansehen.

Ihre Freundin Katrin schien eine grandiose Neuigkeit auf Lager zu haben, mit der sie ihre Aufmerksam wieder auf ein anderes Thema lenkte.

Die Jungen waren als erstes verschwunden, spätestens als die Feier begann lahm zu werden. Die Musikart änderte sich nicht, und alle Mädchen die es abzuschleppen galt, besuchten ohnehin dieselbe Klasse wie sie. Und nach Sarahs Bierverbot hielt sie hier nichts mehr.

Das Wohnzimmer leerte sich, schließlich blieben nur noch ein paar Freundinnen von Sarah, Sabine, sowie Jasmin und Viktoria, die aber ebenfalls gerade aufbrechen wollten.

Luise begleitete sie bis zur Tür, obwohl das Sarahs Aufgabe gewesen wäre, besonders bei diesen Örtlichkeiten.

„Bis Montag!“, sagten sie und waren bald in der eingebrochenen Nacht verschwunden.

Sarah packte Lena und Katrin die Reste der Brötchen ein und gab sie ihnen mit auf die Reise.

Zum Schluss, blieben nur noch vier Dinge zurück.

Luise, Sarah, Sabine, so wie ein riesiger Saustall.

„Ich hatte auf weniger gehofft.“, murmelte Sarah und sagte bescheid, dass sie die Küche aufsuchen würde, um einen großen Plastiksack zu organisieren.

„Gut, ich bin dann fort!“, flüsterte Sabine und packte ihre Sachen zusammen.

Luise hielt sie an der Schulter zurück und sah sie forsch an.

„Das sieht dir ähnlich! Abhauen bevor es zum Putzen übergeht.“

Sabine schüttelte schnell den Kopf.

„Nein nein! Das mache ich doch nur, damit du mit Sarah allein sein kannst. Du siehst du, was für eine gute Freundin ich bin!“, redete sie auf Luise ein und beschleunigte dann ihr Tempo.

Es war eine plumpe Ausrede gewesen, das wusste Luise. Doch sie ließ ihre Freundin damit durchkommen, sie kannte sie eben bereits zu gut.

Kaum hörte sie die Haustür zuschlagen, war Sarah bereits mit einem Müllsack zurück gekehrt.

„Sabine ist schon fort?“, fragte sie überrascht.

Luise nickte verzagt und zeigte auf den verdreckten Boden. Heruntergefallener Belag, Chips-Reste und sogar die ein oder andere Dose. Einige zerquetscht, die anderen noch im Originalzustand.

„Ich helfe dir natürlich.“, bot Luise an.

Sarah setzte dazu an, etwas zu sagen, unterließ es dann aber. Wahrscheinlich wollte sie darauf hinaus, dass Luise an ihrem Geburtstag so etwas nicht zu tun brauche, auch wenn es dieser überhaupt nichts ausmachte.

„Hat es… dich wenigstens etwas gefreut?“, klang Sarahs Stimme plötzlich kleinlauter als zuvor.

Luise schluckte und wich ihrem Blick aus.

„Es hat weh getan.“, gestand sie, obgleich sie nicht wusste, warum sie ihrer Freundin dies nun erzählte.

Sarah nahm eine aufrechte Position ein und wirkte geknickt.

„Ich meine… ich war sehr deprimiert, als niemand zu meiner Feier erschien.“

Sorge trat in Sarahs Gesicht und strich sich verlegen über die Hände.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dumm bin. Hätte ich die Feier etwas vorverlegt, wärst du nicht so betrübt gewesen. Wenn ich mehr an andere denken würde, dann…“

Luise war hastig zu ihr getreten und legte ihre Hände auf Sarahs Schultern.

„Nein, das ist doch Unsinn! Du hast es gut gemeint und im Großen und Ganzen war ich total happy, dass du dir solche Mühe wegen mir gegeben hast.“

Sarah konnte sie immer noch nicht direkt ansehen.

„Aber das warst du nicht 100%tig, meinst du?“, schien es dem Geburtstagskind anzusehen.

Luise zögerte sichtlich.

„Als ich dachte dir wäre wirklich etwas zugestoßen hatte ich panische Angst.“

Sarah riss sich los und wand ihr den Rücken zu.

„Arrrhhh, diese Sabine! Ich hätte nicht auf sie hören dürfen. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich dich mit dem Directors-Cut des neuen Negima Films her gelotst.“

Luise musste grinsen.

So gesehen hatte Sabines Plan tatsächlich Früchte tragen müssen. Er war übertrieben, aber er funktionierte.

„Das habe ich dir doch schon längst verziehen.“, wollte sie Sarahs Schuldgefühle minimieren.

„Wirklich?“, fragte diese hastig und klang dabei aufrichtig flehend.

„Wirklich wirklich.“, bestätigte es ihr Luise.

Sarah fand zu ihrem Lächeln zurück und begann damit den letzten Müll in den Sack zu stopfen.

„Aber… warum eigentlich?“, kam es Luise dann in den Sinn.

Sarah sah zu ihr auf.

„Warum du mir verzeihen solltest?“, schien sie nicht ganz zu verstehen.

Doch darauf schien das Geburtstagskind nicht hinaus gewollt zu haben.

„Nein, ich meine weshalb du mir solche Mühe gemacht hast. Wir kennen uns noch nicht so lange, und es hätte ausgereicht wenn du zu meiner Party gekommen wärst.“

Sarah presste die Lippen zusammen und sah zur Seite.

„Aber… laut Sabine sind deine Partys immer totlangweilig und zum Einschlafen.“

Luise spürte, wie sie eine Faust ballte. Ihre beste Freundin hatte vermutlich recht, doch es war trotzdem unschön, so davon zu erfahren.

Wäre die Feier in Luises Haus gestiegen wären gerade einmal ein halbes Dutzend Leute aufgekreuzt, inklusive Sarah. Vermutlich wäre noch ihre Mutter dabei gewesen, die den Gästen ständig etwas zu trinken angeboten, oder gar mit Brettspielen begonnen hätte.

Sie hatte Sarah also im Grunde mehr zu verdanken, als sie ahnte.

„War… das dein einziges Motiv?“, fuhr sie fort.

Sarah wippte unruhig hin und her.

„Nein, Kommissarin Luise, Sie haben recht. Das war es natürlich nicht. Ich wollte dir… einfach irgendwie eine Freude bereiten. Du bist immer so nett zu mir, es war für mich selbstverständlich.“

Luise musterte das Mädchen, war sie bereits so nervös, als sie sich kennen gelernt hatten?

„Na gut, raus damit!“, entschied Sarah und Luise brauchte eine Weile, bis sie begriff, dass das Mädchen den Müll damit meinte.

Draußen war es kalt, doch die Arbeit war schnell getan.

„Hey, wir können gerne noch zu mir. Im Wohnzimmer stehen immer noch die Getränke und Knabberzeug, die sollten wir nicht verkommen lassen.“, bot Luise an.

Sarah fand es eine gute Idee, doch dann schien ihr etwas einzufallen.

„Geh schon mal vor, ich habe etwas vergessen.“, berichtete sie und trat den Rückweg in ihr Haus an.

Luise fragte sich ob sie warten sollte, doch dazu bestand eigentlich kein Anlass.

Die Kälte war ebenfalls kein Grund.

Zwar war sie unangenehm, doch Sarahs Wärme, die sie ihr den ganzen Abend über gespendet hatte, machte sie fast völlig resistent dagegen.
 

Alles in ihrem Haus fand sie so vor, wie sie es verlassen hatte. Natürlich, wer hätte hier inzwischen auch eindringen sollen? Chips und Brezeldiebe, die den Geruch wahrgenommen und zugeschlagen hatten?

Luise schenkte sich und Sarah ein Glas Cola ein und wartete geduldig bis sie erschien. Nein, sehnsüchtig sogar.

Den ganzen Abend hatte sie sich gefühlt, als wären sie und Sarah durch einen losen Faden verbunden. Die Enden des Fadens verband die beiden zwar, doch sie harmonierten nicht miteinander. Am liebsten hätte Luise den Faden gestraft und Sarah dicht an sie heran gezogen.

„Wollen wir anstoßen?“, war Sarah durch die noch immer offene Haustür getreten, schloss sie aber direkt hinter sich.

Luise entging nicht, dass sie ihren linken Arm hinter ihrem Rücken verbarg.

„Deine Mutter nicht hier?“, klang sie beinahe verschwörerisch.

Luise enttäuschte sie, Frau Fahlbusch hatte längst ihren Dienst im Krankenhaus angetreten, wo sie als Schwester arbeitete.

„Gehen wir… trotzdem auf dein Zimmer hoch?“, wollte sie wissen und Luise hatte keinerlei Einwände.

Dennoch ließ Sarah ihr den Vortritt, vermutlich, da ihre Freundin das Objekt hinter ihrem Rücken nicht entdecken sollte.

Luises Zimmer wirkte unverändert, nur die Liebesromane im Regalfach standen nun mit dem Buchrücken nach innen.

„Hattest du Angst, dass noch jemand während der Feier dein düsteres Geheimnis lüftet?“, fragte Sarah schelmisch.

Luise räusperte sich und nahm dann auf ihrem Bett platz.

Erwartend blickte sie ihre Freundin an, welche nun keinen Verzögerungsplan mehr parat hatte. Also holte sie das Objekt hinter ihrem Rücken hervor und präsentierte Luise eine rechteckige, weiße Schachtel mit rotem Band.

„Alles Gute zum Geburtstag, Luise.“, streckte sie ihr das Präsent entgegen.

Mit beinahe zitternden Händen nahm diese es entgegen und kontrollierte das Gewicht.

Es war leicht, und sie hörte auch nichts klimpern. Etwa ein weiterer Manga oder eine CD?

„Darf ich es öffnen?“, wollte sie wissen.

„Nein.“, erwiderte Sarah bestimmt.

„Ähhh…“, sah Luise sie verdutzt und einfältig an.

Sarah holte demonstrativ Luft und setzte sich neben ihr.

„Natürlich sollst du es öffnen!“

Niemals wäre es Luise in den Sinn gekommen, Sarahs Wunsch zu widersprechen.

Also löse sie erstmal den Knoten des Bandes und legte dieses auf den freien Platz neben sich. Dann hob sie behutsam den Deckel und starrte in das Innere. Es war etwas langes, silbriges, das auf einem großen Wattebausch platziert war.

„Ich wette, du hast etwas Otaku-artiges erwartet, stimmt's?“, genoss Sarah den Moment sichtlich.

Luise fischte die Kette heraus und hielt sie hoch. Das trübe Licht der Deckenlampe ließ den Anhänger glänzen, die Beschenkte glaubte eine Person mit Flügeln zu erkennen.

„Der Engel gefiel mir irgendwie am besten, ich hoffe das Geschenk ist dir nicht ganz zu wider.“, meinte Sarah nun etwas kleinlaut.

Luise blickte sie ungläubig an.

„Die ist wunderschön!“, versicherte sie ihr.

Sarah drehte den Kopf weg.

„Das sagst du jetzt nur so. Sabines Geschenk oder das deiner anderen Freundinnen ist bestimmt brauchbarer, als so eine olle Kette.“, stand für sie fest.

Luise konnte nicht glauben was sie da vernahm. Schnell öffnete sie den Verschluss und legte sich das Schmuckstück um. Erst hob sie ihre Haare an, dann ließ sie es sanft über ihren Hals gleiten.

Dankbar betrachtete sie den Engel, der knapp über ihrer Brust baumelte.

„Das ist das schönste Geschenk, das ich jemals bekommen habe. Und das sage ich nicht nur so Sarah, es ist mein voller ernst. Besonders weil du diejenige warst, die es mir gegeben hat.“, verriet sie nun ihre wahren Gefühle.

Sarah rutschte unwillkürlich einige Zentimeter von ihr weg.

„Es ist spät. Ich… sollte wohl gehen.“, massierte sie nervös ihre Waden.

Als sie im Begriff war aufzustehen, hielt Luise sie am Oberarm zurück.

„Und wenn ich dich… bitte noch etwas zu bleiben?“

Sie erkannte selbst, dass ihre stimme voller Hoffnung und einem Anhauch von Flehen gefüllt war.

Sarah musterte sie einen Moment, dann fiel ihr Blick zu den CDs.

In Windeseile begab sie sich dort hin und ihre Finger strichen von oben nach unten. Bald schien sie etwas geeignetes entdeckt zu haben und legte es in das Abspielgerät ein.

Es war eine langsame Ballade, doch irgendwie passte sie zur Stimmung.

„Es ist zwar nicht Hikaru Utada, aber was sagst du? Ein Tänzchen?“, bot sie an und streckte Luise die Hand entgegen.

Diese erinnerte sich noch gut an das letzte Mal, wie kam Sarah nun darauf?

Auf der Party, war es ihr unmöglich erschienen zu der rockigen Musik zu bewegen, dafür war sie schlicht weg nicht der Typ. Doch das hier war etwas anderes. Im Grunde verlangte ein langsamer Tanz mit einem Partner wesentlich mehr Künste, als die flippigen Bewegungen unter Jugendlichen.

Dennoch erhob sie sich, aber nicht ohne mit ihrer Hand nochmal über die Engelskette zu streichen. Zögernd und mit einem Anflug von vielleicht unbegründeter Angst, nahm sie Sarahs Hand entgegen und ließ sich näher an sie heran ziehen. Es war wie der Faden, dessen Länge nun endlich nicht mehr so gravierend war. Mellisa Etherige sang einen ihrer Lieblings-Songs, den sie nun zusammen mit Sarah genießen durfte.

„Ich warne dich, ich weiß nämlich nicht, ob ich mich seit dem letzten Mal verbessert habe.“, zwinkerte ihr ihre Tanzpartnerin zu.

Luise nickte, doch wenn sie es sich eingestand war es ihr völlig gleich. Für sie war es das wertvollste, überhaupt mit diesem Engel tanzen zu dürfen, mit ihm über die Wolken zu gleiten. Als Sarah ihre Hand wie beim ersten Mal auf ihre Hüfte legte und zu führen begann, kam sie sich völlig leicht, ja geradezu schwerelos vor. Der Engel vor ihr, zeigte ihr, dass der Himmel sogar noch beeindruckender war als sie es je für möglich gehalten hatte.

Der nächste Song auf der CD begann, welcher sogar noch wesentlich langsamer und schmalziger war als der vorangegangene. Es war enorm schwierig zu ihm noch zu tanzen, weshalb auch Luises und Sarahs Bewegungen immer mehr verklangen.

Keines der Mädchen achtete noch auf seine Umgebung, der Tanz, der nur den beiden gehörte, sollte durch nichts gestört, oder gar unterbrochen werden.

Luise hatte es noch nie zuvor gewagt, Sarahs Augen so lange und intensiv zu betrachten, es war aufregend und wunderschön zu gleich. Luises Hand wurde nun fester gedrückt und sie bemerkte beinahe gar nicht, wie Sarahs Gesicht näher an ihres kam.

Erst wanderte es an Luises vorbei, so dass sie dachte, Sarah würde ihren Kopf auf ihre Schultern legen wollen, doch dem war nicht so.

Zart und sanft hinterließen Sarahs Lippen einen weichen Abdruck auf ihrer Wange und strichen dann entlang zu ihrem Mund.

Luise hielt ihn geschlossen, was für Sarah jedoch kein Hindernis darstellte, ihre Lippen auf die ihrer Freundin zu drücken.

Im ersten Augenblick wusste diese nicht was sie fühlte. Fühlte sie überhaupt etwas? Oder war ihr ganzer Körper erstarrt? Beinahe automatisch zogen sich ihre Lippen auseinander und Sarahs folgten ihnen instinktiv. Es war ein schmatzendes Geräusch, aber keineswegs peinlich oder unangenehm.

Luises Herz setzte fast aus, als Sarah ihre Zunge nun so elegant wie möglich in ihren Mund gleiten ließ. Man konnte es nicht als intensiven Kuss bezeichnen, nein er war genauso wie der Tanz der beiden. Langsam, genießerisch und einfach atemberaubend schön.

Sie küssten sich solange, bis der Song zu Ende war und eine Pause einsetzte.

Der Beginn des nächsten Titels wurde von der Sängerin gerade zu geschrieen, weshalb beide Mädchen unwillkürlich Kichern mussten.

Keine von ihnen sagte etwas, doch sie erkannten die Gefühle der je anderen.

„Ich liebe dich Sarah.“, entfuhr es Luise schließlich doch und Sarahs Finger glitten über Luises Brust, die Kette entlang und blieben auf dem Engel ruhen.

„Dabei hatte ich gar nicht geplant, dir noch etwas zu schenken.“

Luise zog das Mädchen zu sich und nahm es in den Arm.

„Ich liebe dich auch.“, presste Sarah nun hervor, auch wen ihre Stimme durch den Kragen von Luises Hemd gedämpft klang.

„Aber… sagtest du nicht, dass das für dich nicht im Vordergrund stünde? Dass du selbst Geschichten nur ließt, obwohl du dich nicht mit den Charakteren verbunden fühlst? Glaubst du jetzt, dass du…“

Sarahs Griff wurde immer fester, glücklich nahm sie den Duft ihrer Freundin in sich auf.

„Ich weiß nicht was ich bin. Aber ich liebe dich, das weiß ich.“, stand für sie felsenfest.

„Ich dachte du wärst ein Otaku?“, erlaubte sich Luise einen Spaß mit dem Mädchen.

Sarah schmunzelte in sich hinein.

„Stimmt, ich bin ein Otaku. Und ich bin deine Freundin. Also… deine feste Freundin, oder?“, erkundigte sie sich wie es zwischen den beiden nun aussah.

Luise küsste sie liebevoll auf den Hals und flüsterte in ihr Ohr.

„Du bist mein Engel.“
 

Es war unmöglich gewesen, die beiden in dieser Nacht auseinander zu reißen.

„Ist das wirklich in Ordnung, wenn ich hier bleibe?“, fragte Sarah vorsichtig.

Luise wusste, dass sie wegen ihrer Mutter sichergehen wollte, nicht weil sie vielleicht Angst oder Unsicherheit verspürte.

„Sie wird erst morgen früh zurückkommen. Außerdem, was hätte sie dagegen, wenn ihre Tochter eine Freundin bei ihr übernachten lässt?“

Sarahs Hand fuhr zärtlich durch ihr Haar und strich über ihr Ohrläppchen.

„Und wäre es ihr auch reicht, wenn ihre Tochter mit ihrer ‚festen’ Freundin die ganze Nacht rumschmusen würde?“, hakte sie nach.

Luise dachte einen Moment über diese Variante nach und schüttelte dann den Kopf.

„Vermutlich weniger.“, musste sie zugeben.

Obwohl es wohl nicht nötig war, hatte Luise eine Duftkerze aus dem Schrank geholt und nun angezündet. Das Licht war wesentlich romantischer, als eine simple Deckenbeleuchtung.

„Willst du nach drüben um dir einen Pyjama zu holen, oder…“, begann Luise, doch dieses Problem schien sich erübrigt zu haben.

Sarah hatte sie selbstverständlich den Verschluss ihrer Jeans geöffnet und diese nach unten gleiten lassen. Luise starrte auf ein Paar unendlich schöner und gepflegter Beine und einem schwarzen Slip. Auch ihren Pullover wurde sie los, so, dass sie sonst noch ihre Bluse trug.

„Kommst du?“, fragte sie unschuldig und kroch unter Luises Bettdecke.

Diese schluckte und ihre Unsicherheit flammte unverzüglich wieder auf.

Sie wollte Sarah nahe sein, aber so nah? Als sie das Mädchen wartend ansah, nickte sie mutig und begann ebenfalls sich sporadisch zu entkleiden.

Sie mochte es, beim Schlafen etwas Leichtes und Lockeres zu tragen, Sarah selbst schlief wahrscheinlich ohnehin nur in Unterwäsche. Selbst zwei Freundinnen die zusammen schliefen, würden sich so geben. Doch sie und Sarah waren keine gewöhnlichen Freunde mehr. Sie waren ein Liebespaar.

Ein Liebespaar. Luise ließ sich dieses Wort auf der Zunge zergehen, der Klang hörte sich immer noch fremdartig für sie an.

Aber richtig.

Sie wollte bereits zu Sarah unter die Decke huschen, als es ihr den Sinn kam, zuvor lieber die Tür abzuschließen. Dann kehrte sie zurück und Sarah hielt einen Teil der Decke für sie hoch.

Allerdings nicht ohne sie zuvor noch genauestens zu mustern.

Ihr Blick verharrte einen Moment auf Luises Brüsten, die von einem weißen BH verborgen waren. Dann wanderten sie ihren Bauch entlang, bis ganz nach unten zu den Zehenspitzen.

„Weißt du wie süß du bist?“, hauchte ihr Sarah ins Ohr, als sie neben dem Mädchen lag.

„Bin ich das?“

Luise war klar, dass es sich um eine rhetorische Frage handelte, wollte aber Sarahs ehrlich Meinung hören.

„Du bist wunderschön, aber was bin ich im Vergleich dazu?“, sprach sie ihre Sorge an.

Sarah lachte in sich hinein, scheinbar konnte sie Luises Selbstzweifel keineswegs nachempfinden.

„Du bist wunderschön und ich liebe dich. Das sollte dir klar sein, mein Luischen.“, verriet sie ihr und drückte ihre Lippen bereits wieder auf die ihrer Freundin.

Wenig später schlief das frische Paar Arm in Arm ein.
 

Sarah war das erste, was Luises Augen aufnahmen, als sie diese am nächsten Morgen aufschlug.

Der Tag konnte nicht besser beginnen, oder? Nein, ihr ganzes zukünftiges Leben mit ihrer neuen Freundin konnte nicht besser beginnen.

‚Ihrer neuen Freundin.’

Was für ein Ausdruck. Aber er war korrekt, oder? Sarah hatte sie geküsst, und ihr versicht, dass sie sie liebte.

Es war kein Traum, oder? Langsam fuhr Luises Hand Sarahs Wange entlang und kniff sie so zart sie konnte. Sarah wachte auf und sah sie verwirrt an.

„Hast du… mich gerade gezwickt?“, fragte sie ungläubig.

Luise wand ihren Blick kein einziges Mal ab.

„Ich wollte sicher gehen, dass das hier kein Traum ist.“, erklärte sie ihr Vorgehen.

Dies trug allerdings nicht dazu bei, dass Sarahs Unverständnis schwand.

„Wieso zwickst du dann ausgerechnet mich?“, beschwerte sich.

Luise legte eine entschuldigende Miene auf und küsste Sarah an betreffender Stelle.

„Es fällt mir einfach immer noch schwer zu glauben, was gestern geschehen ist.“

Sarah legte ihre Stirn auf Luises, noch näher konnten sie sich nicht kommen.

„Stell dir vor ich hätte den Plan mit der Feier verworfen. Oder ich wäre tatsächlich zu meiner Großmutter gefahren. Oder ich hätte der Connichi einen Besuch abgestattet. Dann hätte der gestrige Tag nicht stattgefunden und so etwas Schönes wäre nie eingetroffen.“

Luise verspürte den dringenden Drang Sarah zu küssen, auch wenn sie sich durch die Nähe beinahe die Nase zerquetschten.

Dann klopfte es an der Zimmertür.

„Luise? Schläfst du noch?“

„Ja Mama!“, flüsterte Sarah absichtlich laut, um Luise zu ärgern.

Diese zog die Decke über den Kopf ihrer Freundin und räusperte sich.

„Es ist gestern noch etwas spät geworden, ich komme gleich runter.“, rief sie zurück.

Das schien Frau Fahlbusch zu genügen, denn bald waren Schritte zu vernehmen die sich entfernten.

„Frühstücken wir zusammen?“, wollte Sarah wissen.

„Zieh dir erstmal was an.“, bat Luise, erinnerte sich dann aber, dass sie sogar noch weniger trug als ihre Bettgenossin.

Beide Mädchen wussten, dass sie aufstehen sollten, doch wie war diese große Herausforderung zu meistern?

„Deine Haut fühlt sich so warm an.“, war Sarah sichtlich unentschlossen sich aus der Umarmung zu befreien.

„Das nennt man Körperwärme.“, half ihr ihre Nachhilfelehrerin auf die Sprünge.

„Gib mir noch mehr davon.“, verlangte Sarah flehend.

„Meine Mutter wird noch misstrauisch.“, wand Luise ein.

Es schmerzte tatsächlich irgendwie sich von Sarah zu trennen und seien es nur 2 oder 3 Meter.

Luise beeilte sich und legte die Sachen des Vortags an. Sie verspürte im Moment keine Lust in ihrem Schrank zu wühlen.

„Sarah, du musst jetzt auch auf!“, klang ihre Stimme strenger als beabsichtigt.

Sie blickt zum Bett und konnte ihren Augen nicht trauen. Ihre Freundin hatte ihre Augen bereits wieder geschlossen und würde weiter dösen, wenn Luise nichts unternahm.

„Sarah!“, versuchte sie es mit erhobener Stimme.

Unwillig schlug diese die Augen auf.

„Ich bin eine wunderschöne Prinzessin und kann nur durch den reinen Kuss eines Prinzen erweckt werden.“, sagte sie theatralisch und streckte ihrer Freundin die Hände entgegen.

Diese bückte sich und presste ihre Lippen auf die von Sarah. Doch dieses schöne Gefühl hielt nicht lange an, eisern packte sie die Hände und zog Sarah hoch.

Sie fischte nach der Jeans und dem Pulli des Mädchens und reichte sie ihr.

„Ich lenke Mama etwas ab, du ziehst dich besser schleunigst an.“, schlug sie vor und wollte ihre Freundin bereits allein lassen.

Doch dann streichelte sie sie nochmals über den nackten, linke Oberarm und ihre Blicke trafen sich.

10 Minuten später war Frau Fahlbusch sichtlich überrascht, als sie Sarah die Treppe herunter kommen sah. Doch wie hätten die beiden Mädchen sonst reagieren sollen? Es wäre verdächtig gewesen, hätte sich Sarah einfach leise aus dem Haus stehlen wollen und wäre dabei entdeckt worden. Und Luises Zimmer lag im ersten Stock, das Fenster fiel also ebenfalls aus. Noch dazu lag es über der Küche, selbst wenn Sarah den Sprung heil überstanden hätte, wäre es Frau Fahlbusch bestimmt irritierend erschienen, plötzlich ein Mädchen zu sehen, während die Marmelade auf die Frühstücks-Brötchen auftrug.

„Sarah war so nett und hat mir gestern noch beim Aufräumen geholfen. Wir haben in meinem Zimmer ähhh… noch etwas geredet und dann war sie zu müde nach Hause zu gehen und hat gleich hier übernachtet.“, erklärte Luise schnell.

Ihre Mutter verzog die Lippen.

„Sie war zu müde, 20 Meter weit zu ihrem eigenen Haus zu laufen?“

Luise errötete leicht, doch Sarah sprang für sie ein.

„Aber Frau Fahlbusch, Sie wissen doch bestimmt, wie das bei Mädchen so ist. Da vergisst man durchaus schon mal die Zeit.“, beschrieb sie die Sache ganz banal.

Luises Mutter gab sich damit zufrieden und servierte eben zwei Mädchen das Frühstück anstatt nur einer.

Sarah reagierte darauf mit Dankbarkeit und Komplimente, so dass Frau Fahlbusch gar nicht dazu kam, genauer nachzuhacken. Allerdings gerieten sie enorm in Erklärungsnot, als diese das unbenutzte Knabberzeug und die Getränke vorfand.

Schließlich berichtete Luise im Groben von der Überraschungsparty und wie der restliche Abend verlaufen war.

„Du hast meine Tochter ja ganz schön schmoren lassen.“, zwinkerte ihre Mutter Sarah hämisch zu.

Diese legte ein verlegendes Lächeln auf.

Als sie fertig war verabschiedete sie sich von ihren Gastgebern und schlenderte Richtung Tür.

„Sarah, warte doch.“

Diese Worte hätten genauso gut von Luise stammen können, die jetzt keineswegs von ihrer neu gefundenen Liebe getrennt sein wollte. Aber nein, ihre Mutter kam ihr zuvor.

Sarah stand bereits an der Tür und Frau Fahlbusch raste ihr nach.

Was die beiden kurz darauf beredeten konnte Luise nicht mehr hörten. Verflixt, ahnte sie etwas?

Erwartend blickte sie ihr Elternteil an, als dieses zurückkehrte.

„Sieh mich nicht so an, als wäre ich eine Verschwörerin! Ich habe Sarah nur dafür gedankt, dass sie sich so bemüht und dir so eine tolle Freundin geworden ist. Das ist alles!“

Missmutig stopfte sich Luise das letzte Brötchen in den Mund. Ihre Mutter verkannte die Situation, aber wie sollte sie ihr daraus einen Vorwurf machen? Sie war diejenige, die über die wahre Beziehung der beiden schwieg, die Geheimniskrämerin, die zu große Angst vor der Reaktion ihrer Mutter hatte.

„Du… magst Sarah, also?“, fragte sie nebenbei.

Frau Fahlbusch wirkte über diese Frage überrascht.

„Natürlich mag ich sie. Sie ist sehr direkt, aber freundlich und wohl erzogen.“

Luise nickte zustimmend.

„Angenommen sie wäre deine Tochter….“, begann sie, wusste aber gleich, dass die Frage falsch formuliert hatte.

„Ach Unsinn, ich würde sie dir doch niemals vorziehen! Du bist mein Ein und Alles.“, versicherte ihr ihre Mutter augenblicklich.

„Ich meine nur… wenn du sie hier in Zukunft öfters sehen würdest?“

Was dachte sich Luise eigentlich die ganze Zeit dabei? Wollte sie ihrer Mutter Sarah schon vorschnell als Schwiegertochter präsentieren?

„Kann es sein… dass Sarah zu jemand ganz besonderen für dich geworden ist?“, hakte diese nun nach.

Luise schluckte. Einige Eltern waren scheinbar doch nicht so begriffsstutzig, wie sie manche Kinder manchmal darstellten.

„Du willst mir sagen, dass Sarah inzwischen zu einer Nummer 1 Freundin aufgestiegen ist? Nun gut, das musst ganz allein du entscheiden. Sabine ist zwar etwas frech, aber ich fand sie ganz sympathisch. Ich hoffe auch sie noch öfter hier zu sehen.

Fehlschlag.

„Ich mag Sabine nach wie vor, wir haben auch nicht gestritten, oder so. Mir ist es nur wichtig… dass du Sarah akzeptierst.“, ging sie genauer darauf ein.

Doch Frau Fahlbusch wiederholte nur ihre Worte von vorhin und räumte dann das Geschirr weg.

„Ich denke, dass Sarah ganz gut für dich ist, dachtest du, ich würde dir den Umgang mit ihr verbieten? Sie ist doch ein Engel!“

Luise fühlte eine gewisse Erleichterung, auch wenn sie es ihrer Mutter immer noch nicht gesagt hatte. Aber wenn jemand dafür Verständnis aufbringen sollte, dann ja wohl sie, oder?

Doch mit einem hatte sie wenigstens recht.

Sarah war gut für sie, und wie. Und sie war ein Engel.

Kapitel 6

Genau fünf Minuten nachdem Luise den Küchentisch verließ, traf eine SMS von ihrer Liebsten ein. Sie wollte sich mit ihr in 2 Stunden in einem Cafe, drei Blocks entfernt treffen.

Das war vermutlich gar nicht die schlechteste Idee, in keinem ihrer beiden Häuser hätten sie Ruhe gehabt. Sowohl ihre Mutter, als auch Herr Heidenreich hätten skurrile Gesichter geschnitten, hätten sie Luise und Sarah wild knutschend auf der Wohnzimmercouch vorgefunden, während sie sich die morgendlichen Cartoons ansahen.

Sie sagte ihrer Freundin zu, ebenfalls schriftlich. Dann rief sie Sabine an, um sich ebenfalls im selben Café zu verabreden, allerdings eine Stunde früher.

Gesagt getan, nachdem sie ihrer besten Freundin sporadisch von den Ereignissen berichtet hatte, die sich gestern Abend noch zutrugen, war diese nicht mehr zu Halten gewesen.

Ungeduldig wartete sie im Café und winkte Luise zu.

Mit einem mulmigen Gefühl setzte sie sich dem Mädchen gegenüber.

Das Grinsen und die Vorfreude im Gesicht des Mädchens war kaum zu übersehen.

„Erzähl, erzähl!“, bestätigte sie ihre Erwartung auch noch in mündlicher Form.

Also begann Luise zu erzählen, wie sie und Sarah noch auf ihr Zimmer marschiert waren und diese ihr die Kette mit dem Engel-Anhänger überreicht hatte. Schließlich der gemeinsame Tanz, der die beiden immer mehr dazu brachte, sich einander anzunähern.

Und der Kuss, als Luise am allerwenigsten damit gerechnet hatte.

„Sie hat gesagt, sie liebt mich.“

„Owwwwwwwwwwwwww.“, kam es seitens Sabines.

Luise verdrehte die Augen, fuhr dann aber fort.

„Naja und dann sind wir eben ins Bett gegangen.“, endete sie mit ihrer Erzählung.

„Was? Ihr habt es sofort miteinander getrieben?!“, sprach Sabine laut und ungläubig.

In Luise kam Panik auf, unruhig sah sie über ihren Rücken. Zu ihrem Glück war das Cafe noch nicht all zu gut gefüllt, aber dennoch bat sie ihre Freundin ruhiger zu sein.

„Was für Gedanken hegst du da nur? Nein, wir sind zu Bett gegangen und haben gekuschelt. Keine sexuellen Handlungen!“, sagte sie nochmals eindringlich.

Sabine kaute auf den Löffel ihres Eiscafes herum, scheinbar wirkte sie enttäuscht.

Dann schien ihr aber etwas wesentlich Wichtigeres einzufallen.

„Oh stimmt, das habe ich vergessen. Nach der Sache mit Svenja damals, denkst du bestimmt als letztes an sowas.“

Luise schluckte. Es wäre ihr lieb gewesen, Sabine hätte nicht erneut mit diesem räudigen Thema begonnen.

„Svenja hat mit mir und Sarah gar nichts zu tun. Wenn wir beide soweit sind werden wir auch…ähhh…“

Sabine verdrehte die Augen.

„Sieht dir ähnlich, du kannst es nicht einmal aussprechen. Aber da wir gerade beim Thema Sarah sind… deine Angetraute scheint uns entdeckt zu haben.“, machte sie Luise auf etwas aufmerksam.

Tatsächlich, Sarah hatte das Café betreten, allerdings zu früh. Sie und Luise waren erst in einer halben Stunde verabredet.

So waren beide Parteien überrascht, als sie die je andere vorfand.

Anhang Sabines Grinsen konnte Sarah bereits feststellen, dass Luise nicht hinter den Zaun gehalten hatte was die beiden anging.

„Hey.“, begrüßte Luise sie.

„Hey, ich weiß ich bin zu früh, aber mir kam etwas dazwischen. Paps braucht unbedingt meine Hilfe und wir hatten auch einen kleinen Streit, da er heute morgen nach Hause kam und ich nicht in meinem Bett schlief. Er meinte, ich solle ihm doch eine Nachricht da lassen, wenn ich bei einer Freundin übernachte, oder sonstiges.“, teilte sie mit.

Dennoch nahm sie sich kurz die Zeit um sich zu setzen, auch wenn sie die Anfrage nach einer Bestellung der gerade an sie herangetretenen Bedienung zurückwies.

„Also? Wie küsst Luise?“, fragte Sabine gespannt.

Sarah sah sie überrascht und teils irritiert an, doch Luise legte ihr nur liebesvoll ihre Hand auf den Arm.

„Ignorier sie einfach, sie ist nur frustriert, weil in ihrem Leben liebestechnisch gerade Flaute ist.“, verriet sie ihr.

Sabine stieß ihren Fuß empört gegen den ihrer Freundin.

„Ich interessiere mich bloß für dein Leben, das ist alles!“, rechtfertigte sie sich.

„Ich verspreche dir hoch und heilig, dass dich gut auf deine Freundin aufpassen werde.“, ging Sarah auf das Spiel ein.

Sabine wirkte zufrieden und schlürfte weiter an ihrem Eiskaffee.

„Hey Schatz, sehen wir uns heute Abend? Paps arbeitet sicher wieder bis spät Nachts, und es wirkt bestimmt unverdächtiger, wenn wir diesmal bei mir schlafen.“, schlug sie vor.

Luise dachte kurz über die Situation nach, lehnte dann aber ab.

„Das wird gar nicht nötig sein. Meine Mutter hat heute wieder Spätdienst, und sie hat bereits einen Narren an dir gefressen. Es wird sie nicht überraschen, wenn du noch eine Nacht mit mir verbringst. Also… bei mir verbringst, meine ich.“

Sabine begann lautstark zu kichern, das beinahe schon einem Grunzen ähnelte.

Doch Sarah wirkte glücklich über die Möglichkeit, ihrer Liebsten bald wieder nah zu sein.

„Ok, bis dann.“, sagte sie, stand auf und drückte Luise zärtlich einen Kuss auf den Mund.

Dann hob sie die Hand zum Abschied und verließ das Café wieder.

Unsicher und peinlich berührt sah Luise zu Sabine, die jetzt jedoch keinen verstohlene Blick bereithielt. Es war das erste Mal gewesen, dass Luise vor ihrer besten Freundin von einer anderen Frau geküsst worden war, sie empfand es in gewisser Weise als peinlich. Doch warum genau? Sabine tat immer total aufgeklärt und gab ihr das Gefühl, lesbisch zu sein wäre das normalste der Welt.

Und Sarah selbst? War es in Ordnung, dass sie sich in aller Öffentlichkeit küssten? Zugegeben, niemand hatte vermutlich etwas davon mitbekommen, und ein Laie hätte es nur für einen Gruß unter Freundinnen gehalten. In der Schule und zu Hause würde das Mädchen davon absehen. Noch war sich Sarah nach ihren eigenen Angaben selbst noch nicht sicher was sie war, doch Luise würde ihr so gut wie möglich dabei beistehen, sich selbst zu finden.
 

„Mama, musst du nicht langsam los?“

„Warum Schatz, willst du mich aus dem Haus haben?“

Luise nickte ganz aufgeregt.

„Ja, Sarah kommt gleich vorbei und ich will mit ihr allein sein.“

Frau Fahlbusch setzte ein mütterliches Lächeln auf.

„Ach, wollt ihr etwa etwas besprechen, wo ich nicht dabei sein darf?“

„Nicht wirklich, nur etwas knutschen, kuscheln und vielleicht fummeln.“

„Achso Schatz, das ist schön. Dann wünsche ich dir noch viel Spaß dabei.“

In Wahrheit hatte Luises Mutter das Haus längst verlassen. Das Mädchen musste zugeben, dass diese Variante des Gesprächs eher unwahrscheinlich war. Aber sie müsste sich doch immerhin für sie freuen, oder? Luise hatte sich immer so jemanden wie Sarah gewünscht und der Wunsch einer Mutter musste doch ebenfalls danach richten, dass die Tochter glücklich war, oder? Und sie selbst hatte offen gestanden, dass sie Sarah mochte. Allerdings als Person, nicht als Luises Partnerin.

Je länger diese darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass es vermutlich gar keinen einfachen Weg gab. In Momenten wie diesen wünschte sie sich so direkt wie Sarah zu sein. Ob diese bereits mit ihrem Vater gesprochen hatte? Vermutlich eher weniger, dafür war es einfach noch zu früh. Selbst Luise kannte ihn kaum und es war ihr unmöglich seine Reaktion vorherzusagen. Außerdem war Sarah nicht Luises erste Freundin, sie für das Mädchen allerdings schon. Dann lachte Luise innerlich auf. Gab sie sich jetzt so erfahren, wegen den schlechten Erinnerungen mit Svenja? Mehr besaß sie zugegebenermaßen nicht, doch vielleicht würde sich mit Sarah alles ändern.

Es klingelte und Luise öffnete ohne große Umschweife die Tür.

„Konban wa.“, wurde sie auch schon begrüßt und gleichzeitig beschenkt.

Sarah hielt ihr eine Rose hin, ebenfalls etwas, das Luise zum ersten Mal erlebte.

„Wow, danke.“, nahm sie die Blume entgegen und ließ Sarah ins Haus. Sie küssten sich auf die Wange und Luise bat ihre Freundin oben zu warten, während sie eine Vase für die Rose zu finden versuchte. Sie versuchte ihr Glück erst in der Küche, später im Badezimmer des ersten Stocks. Nachdem das endlich erledigt war, kontrollierte sie nochmal genauestens ihr Aussehen vor dem Spiegel.

Obwohl Sarah hier übernachtet hatte, wechselte sie ihre Kleidung nachdem sie wieder bei sich war. Luises Klamotten ähnelten sich alle zum Teil und sie hoffte, dass Sarah, die so ein starkes Modeempfinden besaß, sie nicht skeptisch beäugte.

Sie wollte das Bad gerade verlassen als es an der Tür klopfte.

In dem Wissen, dass es sich nur um Sarah handeln konnte, fragte sie nach, was ihre Freundin denn wolle. Doch diese verzichtete auf eine direkte Antwort und trat ein.

„Weißt du, mir ist da eine Idee gekommen. Wärst du so lieb und könntest ein Bad einlassen? Bei uns machen die Leitungen immer noch Probleme, doch mir ist heute einfach danach.“, rückte sie mit der Sprache heraus.

Luise überlegte kurz und nickte dann. Ihr könnte ein schaumiges Bad ebenfalls nicht schaden.

„Super, du darfst natürlich zuerst hinein. Ich habe einen neuen Manga, den lese ich solange in deinem Zimmer.“

Luise begann darauf das Wasser einzulassen und blickte auf ihre Armbanduhr. Es würde noch eine Viertelstunde dauern, solange leistete sie Sarah Gesellschaft.

„Namori ist so ziemlich der einzige männliche Yuri-Mangaka den ich respektiere.“, murmelte diese, während die beiden auf dem Bett hockten und Seite um Seite umschlugen.

„Ich gehe dann mal, aber du wirst nicht lange warten müssen, ich beeile mich.“, versicherte sie und Sarah nickte einverstanden.

Zurück im Bad drehte sie den Wasserhahn ab und stellte zufrieden fest, dass genug Schaum vorhanden war. Oder würde es Sarah als etwas zu kindisch empfinden, dass Luise überhaupt welchen verwendete? Nein, im Prinzip spielte es keine Rolle.

Sie entkleidete sich und stieg in die Wanne. Das angenehme Gefühl umschloss sie und sie lehnte sich entspannt zurück. Dennoch würde sie weniger als eine halbe Stunde hier zubringen, denn so sehr ihr dieses Gefühl auch zusagte, es war nichts gegen Sarahs zärtliche Küsse und die Wärme ihrer Haut.

Es dauerte nicht lange, dann klopfte es erneut an der Tür.

„Willst du jetzt schon?“, hakte Luise nach, der die Zeit dann doch etwas zu kurz vorkam.

Wieder wartete Sarah nicht lange und trat ein.

Etwas ungestüm, wie sie es wohl zu Hause handhabte, dachte Luise seufzend.

Doch scheinbar bestätigte sich ihr Verdacht.

Sarah trug einen weißen Bademantel.

Ihren Bademantel.

„Der ist wirklich flauschig, den werde ich ab jetzt öfters tragen.“, kicherte sie.

„Sicher, nimm dir was du willst. Ohne zu fragen…“, erwiderte Luise räuspernd.

Natürlich machte es ihr überhaupt nichts aus, dass sich Sarah aus ihrem Schrank bediente, nach all den Geschenken der letzten Zeit schon gar nicht.

„Warte kurz draußen, dann steige ich aus der Wanne.“, schlug sie dafür vor.

Doch Sarah schien etwas auf den Lippen zu liegen.

„Naja… mir ist aber etwas aufgefallen.“, sagte sie in einem schwer zu interpretierenden Ton.

Luise verstand nicht recht was sie meinte.

„Deine Badewanne ist doch recht groß, meinst du nicht?“

Luises Augenbrauen schnellten unweigerlich nach oben.

Wie verhält man sich wenn ein Engel seine Flügel verliert? Waren sie denn nicht das, was ihn ausmachte? Verlor er danach nicht all seine Schönheit?

Die Antwort lautete definitiv nein.

Sarah verlor gerade ihre Flügel und war darunter wunderschön.

Elegant streifte sie den Morgenmantel erst über die Schultern und ließ ihn dann automatisch zu Boden fallen.

Wunderschöne, zarte Haut kam darunter zum Vorschein und raubte Luise den Atem.

Sarahs Brüste waren etwas kleiner als ihre, aber dennoch kam ihr das Wort perfekt in den Sinn.

Als ihr Blick weiter nach unten wanderte, wand sie ihn sofort ab und täuschte ein Husten vor.

„Du kannst… ich meine… hast du es so eilig?“, stammelte sie dahin.

„Hast du mich nicht verstanden? Ich will, dass unsere Haut zusammen schrubbelig wird.“, wiederholte Sarah ihren Wunsch und setzte dann ein Bein in die Wanne.

Angesichts des zweiten Benutzers, schwabbte das Wasser etwas über, was im Moment aber keines der beiden Mädchen rigoros interessierte.

Sarah setzte sich in die Mitte und rückte dann nach hinten, bis sie an Luise anstieß.

Diese gab einen quellenden Laut von sich und der Eindringling schmunzelte und lehnte sich zurück.

Sarah lehnte ihren Kopf auf Luises Brust und streckte ihre Beine so gut es ging aus.

Luise selbst war einer Panikattacke nahe, nein sogar einem Herzinfarkt.

Sie spürte Sarahs Kopf und ihre nassen Haare auf ihren Brüsten, ihre Beine lagen an denen ihrer Freundin an.

„Herrlich!“, atmete Sarah erholt aus und blickte nach oben, Luise direkt in die Augen.

„Du wirkst etwas schockiert.“, bemerkte sie.

Diese schüttelte gleich den Kopf.

„Schockiert? Ich? Wieso denn?“, lachte sie ungläubig.

Sarah griff nach ihrer Hand und küsste sie auf den Rücken.

„Das hier ist so schön… das mit dir meine ich.“

Luises erster Gedanke war: Raus hier! Schleunigst!

Was hatte Sarah geritten einfach so nackt vor ihr zu stehen und sie auch noch zu einem gemeinsamen Bad zu zwingen?

Sie war ihre Freundin, ganz einfach. Die Person, die sie liebte.

Sofort als sie begann sie Situation zu akzeptieren, kehrte auch so gleich das Glück ein.

Sie küsste Sarah auf den Kopf, ihr dichtes Haar war inzwischen wirklich klatschnass.

„Und? Was sagst du Sabine morgen, wenn sie dich fragt?“, wollte Sarah wissen.

„Na was schon? Dass du mich genötigt hast, ein Bad mit dir zu nehmen. Vielleicht zeigt sie ja sogar Verständnis dafür.“, spielte Luise mit.

„Vielleicht sollten wir ein Foto schießen, falls sie es nicht glaubt.“, schlug Sarah vor.

Luise erwiderte nichts darauf. Sie ewig so mit ihrer Freundin verhaarten können, doch Sarahs Prophezeiung trat unweigerlich ein.

Sie rubbelte bereits an ihren Fingerkuppen und Sarah seufzte,

„Muss wohl.“, meinte sie und machte sich daran aus der Wanne zu steigen.

Luises Brust schnürte sich förmlich zusammen, als diese ihr dabei ihr Hinterteil entgegenstreckte.

Sarah trocknete sich ab und schlüpfte dann wieder in den bequemen Morgenmantel.

Luise tat es ihr gleich, nur dass ihr lediglich ein Handtuch zur Verfügung stand.

Auch Sarah sah sie nun völlig nackt und obwohl es ihr peinlich war, ließ sie sich damit Zeit sich zu verhüllen. Sie spürte Sarahs Blicke auf ihrem Körper, wagte es jedoch nicht diese nach ihrer Meinung zu fragen.

Wenig später hatte Sarah auf dem kleinen Hocker im Bad Platz genommen und ließ sich von Luise mit einem Föhn bearbeiten.

„Soll ich irgendwas dran machen? Jetzt wäre die Gelegenheit dazu. Färben? Abschneiden?“

Sarah schüttelte sich bei diesem Gedanken.

„Rühr meine Haare an und das war unser letztes gemeinsames Bad.“, drohte sie.

„Darf ich dann wenigstens das?“, wollte Luise wissen und küsste sie erneut auf die inzwischen trockene Haarpracht.

Danach tauschten sie die Plätze und Luise genoss es sichtlich.

Sarah ging vor in ihr Zimmer, während ihre Freundin zurückblieb und das Wasser aus der Wanne ließ. Sie überlegte sich, ob sie im Bad noch alles reinigen sollte, beschloss aber, dass ihr diese Arbeit ja nicht weglief.

Zurück in ihren eigenen vier Wänden wurde sie von Sarah mit einer Digital-Kamera erwartet.

Ihrer Digital-Kamera. Wie genau durchsuchte ihre Freundin ihr Zimmer immer, um diese Dinge auszugraben? Es war ein Geschenk ihrer Mutter zum 16 Geburtstag gewesen. Alles was sich darauf befand waren Tier und Naturfotos. Jetzt kam sie endlich einem akzeptablen Zweck zu Gute.

Sarah schoss erst ein paar Bilder von sich, dann von Luise und schließlich von den beiden gemeinsam. Sie küsste ihre Freundin auf die Wange und drückte auf den Knopf.

Dann legte sie die Kamera auf den Schreibtisch und gähnte herzhaft.

„Wollen wir… den Manga noch zu Ende lesen?“, schlug Luise vor, doch Sarah lehnte ab.

„Nein, gehen wir pennen.“, meinte sie, machte zuvor aber noch vor der Kerze halt, die Luise gestern bereits verwendet hatte und zündete sie an.

Als sie direkt vor dem Bett stand, ließ sie zum zweiten Mal an diesem Abend die Hüllen fallen.

„Man! Du starrst mich schon wieder so an! Habe ich irgendwo einen Pickel, oder dergleichen?“, drehte sich Sarah demonstrativ.

Luise schüttelte grinsend den Kopf.

„Nein, du bist perfekt. Und wunderschön. Das schönste, was ich je gesehen habe.“, verriet sie.

Sarah taxierte sie kurz mit ihren Augen und trat dann einen schnellen schritt auf sie zu.

Ohne, dass sich Luise wehren konnte, entriss sie ihr das Handtuch und spielte damit herum.

„Hey!“, rief sie empört und versuchte es sich zurückzuholen.

Den Kampf verlor sie jedoch, denn Sarah warf es zur Tür hinaus und schloss ab.

„Du bist auch perfekt, weißt du?“

In Luise kam er Drang auf sich zu verdecken, doch was würde Sarah dann von ihr halten?

„Hör auf sowas zu sagen.“, bat sie das Mädchen, doch die blickte sie nur ungläubig an.

„Warum denn? Es ist doch wahr. Ich liebe dich. Und ich liebe deinen Körper. Jeden Zentimeter davon.“, versicherte sie ihr und fuhr mit ihrer Hand über ihre Oberarme.

„Ist dir kalt?“

Luise erwiderte nichts darauf, aber trotzdem kuschelten sich die beiden kurz später ins Bett.

Sarah fuhr damit fort sie zu streicheln, überall an ihrem Oberkörper.

„Bist du noch…“, fragte sie schließlich.

Luise bedachte sie eines skeptischen Blickes.

„Das sollte ich dich fragen.“, erinnerte sie.

Das Mädchen verdrehte die Augen.

„Ja, ich bin die reinste Maria, zufrieden?“

Luise zögerte etwas mit der Antwort, doch sie konnte Sarah alles sagen, richtig?

„Naja Svenja und ich haben schon… also einmal.“

Erkannte sie nun Enttäuschung in den Augen ihrer Liebsten?

„Wie war es?“, erkundigte sie sich.

Luise schnaufte hörbar.

„Schrecklich. Ich war Jungfrau, Svenja aber nicht. Wir waren ein paar mal aus, dann wollte sie mit mir in die Kiste. Sie hat genau diesen Begriff verwendet. Sie tat aber nur Dinge die ihr gefielen und nahm kaum Rücksicht auf mich.“

„Bitch.“, kommentierte Sarah nur.

Luise begann nun leicht Sarahs Bauch zu massieren und sie küssten sich.

„Aber du bist anders, vollkommen. Mit dir will ich es unbedingt.“, stand für sie fest.

„Du willst mich also ins Land der Sinne führen?“

Luises Hand überreichte nun Sarahs Oberkörper und massierte ihre Brüste.

Diese unterdrückte einen Laut und sah ihre Freundin verliebt an.

„Also wirst du mein Senpai sein?“, fragte sie erregt.

„Ich habe dir doch gesagt, es war bis jetzt nur einmal. Lass uns gemeinsam etwas Neues finden, ja?“

Sarah brauchte etwas, bis sie ihre nächsten Worte fand.

„Aber… ehrlich gesagt bin ich ziemlich gut darin Sprüche zu klopfen, aber hier weiß ich nicht genau was ich tun soll. Ich habe mir zwar viel Lehrmaterial angesehen, aber es selbst zu tun… ist anders.“

Luise musterte sie verdutzt.

„Welches Lehrmaterial?“

Sarah räusperte sich.

„Sind dir jemals die Wörter Hentai oder Eroge während deiner Recherche untergekommen?“

Luise verzichtete auf eine Antwort, sie hatte bereits verstanden.

„Also warst du doch am weiblichen Körper interessiert und nicht nur an den Geschichten.“, glaubte sie ihre Freundin durchschaut zu haben.

Diese spitzte die Lippen und versuchte unschuldig zu wirken.

„Im Moment bin ich nur an deinem interessiert.“, verriet sie und rutschte unter die Bettdecke.

Luise spürte Küsse auf ihrem Bauch, die immer weiter nach oben wanderten.

Sarahs Hand umschloss eine ihrer Brüste, sie wusste nicht ob es Sarahs linke oder rechte Hand war, doch es war ihr im Moment ohnehin völlig gleich.

Die immer intensiver werdenden Küsse wollten nicht aufhören und Luise spürte wie Sarahs sanfte Lippen eine ihrer Brustwarzen umschloss.

Sie stöhnte auf und Sarah musste auflachen.

War das wirklich der passende Moment dafür?

„Scheinbar habe ich eine Stelle gefunden, die dich sehr erregt.“, stellte sie fest.

Luise setzte ein strenges Gesicht auf.

„Das ist bei allen Frauen so, sag bloß du hast auch Defizite in Anatomie.“

Sarah rutschte nun wieder zu ihr hinauf.

„Wir haben gar kein Anatomie, du Dummchen! Nur Biologie, aber da lernen wir sowas nicht.“, erinnerte sie.

Luise streichelte über ihren Hals und ging dann zu ihren Brüsten über.

„Dann muss ich dir wohl schon wieder eine Nachhilfestunde spendieren. Diesmal in ein bisschen Sexualkunde.“, meinte sie und begann Sarahs ganzen Oberkörper mit ihren Küssen zu übersäen.

„Bist du bereit… den ganzen Schritt zu gehen?“, flüsterte sie Sarah ins Ohr und diese nickte sofort.

Luises Hand fuhr immer weiter nach unten, bis sie zwischen Sarahs Beinen angekommen war.

Erst streichelte sie ihre Liebste bis sie sich etwas an dieses Gefühl gewöhnt hatte, dann ging sie mit ihr zusammen den ganzen Schritt.

Sie bemerkte wie sich Sarah etwas verspannte, und küsste sie deswegen gleichzeitig.

Es war auch das erste Mal, dass Luise so etwas tat, selbst mit Svenja war ihr dies nicht vergönnt geblieben. Mit Sarah hingegen erschuf sie sich neu und das war gut so.

Kurz später spürte sie die ersten Kontraktionen innerhalb des Mädchens und Sarah stöhnte auf.

Luise hörte aber nicht auf dieses zu küssen und Sarah schlang ihre Arme um ihren Nacken.

Energielos sank sie in sich zusammen und Luise legte sich wieder neben sie.

„Ich liebe dich… ich leibe dich so sehr!“, entfuhr es dem Mädchen und Luise lächelte sie an.

„Also? Wollen wir jetzt schlafen?“, bot diese an.

Sarah schüttelte leicht den Kopf.

„Hast du nicht etwas Entscheidendes vergessen?“, hakte sie nach.

Luise konnte ihr jedoch nicht folgen.

Erst als sie Sarahs Hand wieder auf ihrer Haut spürte, die sich nun denselben Weg bahnte, wie sie zuvor.

„Ich will, dass es diesmal wahrlich schön für dich wird.“, flüsterte diese ihr und begann damit, den gemeinsamen Abend der beiden noch etwas auszuweiten.
 

Was kann es schöneres geben als einen Morgen in den Armen eines Engels zu verbringen?

Ganz einfach, einen weiteren dieser kostbaren Momente.

„Wow. Ich hätte nicht erwartet, dass es sich so anfühlt.“, murmelte Sarah und küsste sich an Luises Hals entlang.

„Du meinst mit einer Frau zu schlafen?“, spielte diese an den Haaren ihrer Liebsten.

„Nein, wie es ist mit dir zu schlafen, du Dummie.“, korrigierte Sarah zügig.

„Gut oder schlecht?“, hakte Luise nach um ihre Freundin zu ärgern.

Diese täuschte ein heftiges Husten vor, dann fiel Luises Blick auf die Uhr.

„Wieder kein Tag im Bett?“, erkundigte sich Sarah seufzend.

„Mit Mutter würde bestimmt misstrauisch werden.“, antwortete Luise kühl.

Sie setzte sich auf und konnte beinahe schon die näher kommenden Schritte ihrer Mutter hören, wenn auch nur im Geiste.

Auch Sarah hatte sich aufgesetzt und umarmte sie von hinten. Langsam küsste sie sie auf die Schultern, dann auf den Ellbogen und schließlich den Oberarm.

„Sarah… nicht.“, stoppte sie Luise aus Angst ihr noch mehr zu verfallen und ihrem Wunsch stattzugeben.

„Du bist wirklich eine Tsundere, ständig sträubst du dich dagegen, aber im Inneren willst du es trotzdem.“, flüsterte ihr ihre Freundin ins Ohr.

Diesen Fakt konnte Luise schwer leugnen.

Dennoch raffte sie sich auf und begann sich anzuziehen. Sarah tat es ihr gleich und beide fragten sich ob es verdächtig wirken würde, wenn beide wieder gemeinsam die Treppe herunterkommen würden.

Diesmal gelang es den beiden diskreter vorzugehen, so dass Frau Fahlbusch nichts von der Anwesenheit von Luises heimlicher Liebschaft mitbekam.

„Ach Mama, was dagegen, wenn Sarah heute wieder hier übernachtet?“, fragte sie ganz förmlich, da diese an Sonntagen nicht arbeitete.

„Morgen ist Schule, ist dir das klar?“, erinnerte sie ihre Tochter prüfend.

Deren Miene veränderte sich aber kaum.

„Ist ja nicht so, als hätte sie einen weiteren Weg dorthin.“, wand sie ein, doch Frau Fahlbusch schüttelte eisern den Kopf.

„Tut mir leid, Töchterchen, doch diesmal muss ich dich enttäuschen.“

„Dann… kann ich vielleicht bei ihr übernachten?“, startete Luise einen weiteren Versuch und malte sich bereits den Dreier, mit ihr, Sarah und ihrem Dakimakura aus. Würde ihre Freundin das gigantische Kissen ihr zuliebe aus dem Bett verbannen? Oder brauchte sie diese Gegenstände wie ein Suchtkranker? Waren Otakus gar solche Leute?

„Darum geht es doch nicht! Es geht um Regeln die man einhält, auch wenn einem das Ergebnis manchmal nicht gefällt. Kommst du jetzt etwa gar nicht mehr ohne Sarah aus?“

Das hatte gesessen. Aus Angst etwas Falsches zu sagen, das sie gegenüber ihrer Mutter outen könnte, schwieg sie einfach.

War es wirklich der Weltuntergang, wenn Sarah und sie einmal keine Nacht miteinander verbrachten?

Vom ihrem Standpunkt aus schon.

Dennoch gab sie nach und kehrte nach dem Frühstück prompt in ihr Zimmer zurück.

Sie nahm wahr das Klingeln ihres Handys versäumt zu haben und starrte auf das Display.

Es war Sabine, die sie während ihrer Abwesenheit zu erreichen versucht hatte. Luise wollte sofort zurückrufen, bis sie die Unsicherheit plagte.

Würde Sabine wieder mit einem Schwall von Fragen über sie hereinbrechen? Sie und Sarah hatten miteinander geschlafen, das konnte sie ihr unmöglich einfach so am Telefon mitteilen, wenn überhaupt.

Dabei war es ironisch, als Luise von Svenja ausgenutzt worden war, lief wie heulend zu ihrer besten Freundin, die sie tröstete. Sabine war also klar, dass Luise einen bestimmten Schritt bereits gegangen war und musste annehmen, dass sie auch mit Sarah nach einer gewissen Zeit intim wurde.

Trotzdem beschloss sie die Sache herabzuspielen und bemerkte einen weiteren Eintrag in dem Gerät. Eine Nachricht befand sich auf ihrer Mobilbox, hastig hörte sie sie ab.

Es war die Stimme ihres großen Bruders Jonas, der sich vielmals entschuldigte, es nicht zum Geburtstag geschafft zu haben, weil ein Freund ihn brauchte, der verlassen worden war.

Seine kleine Schwester machte ihm jedoch keine Vorwürfe, schließlich hatte er jetzt sein eigenes Leben. Dennoch versprach er bald einmal wieder vorbeizuschauen.

Gleich danach telefonierte Luise mit Sarah, der sie leider für heute Abend absagen musste.

Wie erwartet schlug ihre Freundin vor, wie ein heimlicher Verehrer die Regenrinne hoch zu klettern und einen romantischen Sprung durch ihr Fenster zu tätigen.

Doch so verführerisch dies auch klang, Luise wollte nichts riskieren und auch nicht die Entscheidungen ihrer Mutter untergraben.

Sie war bereits glücklich dabei zu wissen, dass sie Sarah nun sehen konnte, wann immer sie wollte.

Kapitel 7

Erst war Luise skeptisch gewesen, als ihre Freundin einen gemeinsamen Besuch im Schwimmbad vorgeschlagen hatte. Zwei Wochen waren sie nun ein Paar, wenn auch nicht wirklich offiziell. Der November stellte ein Paradoxon dar, es schneite nicht, würde lange Zeit auch nicht schneien – zumindest nach dem Wetterbericht – war dafür aber arschkalt.

„In Hallenbädern ist es doch schön warm und angenehm.“, hatte sie Sarah dann doch noch überzeugt.

Genau betrachtet war dies ihr erstes Date. Luise hatte keinen blassen Schimmer, ob die Besuche im JFC oder im Kino zählten, schließlich waren sie da noch lediglich Freunde.

Die letzte Zeit hatten sie vornehmlich in absoluter Zweisamkeit verbracht. Entweder hatte Sarah bei Luise übernachtet, oder umgekehrt. Der selbsternannte Otaku war sogar bereit gewesen ihr Dakimakura in ihren geheimen Yuri-Schrank zu verbannen, ein Opfer, das Luise durchaus zu würdigen wusste. Auf ihre ganz eigene Art und Weise.

Sarah verspätete sich, Luise fühlte sich unwohl dabei ganz allein herumzuirren. Sie war hier noch nie und sie vermisste ihre große Liebe.

Aufmerksam reservierte sie den beiden zwei Liegestühle und ließ ihre Füße auch bereits ins Becken gleiten. Das Wasser war erfrischend und schon fühlte sie keine Reue mehr, zugesagt zu haben.

Als sie Sarah endlich erblickte war diese aber nicht ohne Begleitung.

Mit Handtuch und Umhängetasche bewaffnet hatte sie den Eingang passiert und war in die Halle getreten. Und in einem umwerfenden roten Bikini, der Luise sofort dazu veranlasst hätte ins Wasser zu springen um sich abzukühlen.

Doch sie war nicht die einzige, die von diesem Blick angelockt wurde. Zwei Typen hatten sich unerwartet vor ihrer Freundin aufgebaut.

Luise seufzte. Was hatte Sarah erwartet hier in diesem Aufzug aufzukreuzen und unbelästigt auszugehen? Die Typen baggerten sie immer mehr an, weshalb Luise schnell einschritt.

„Ach komm, Süße, nur ein paar Runden! Wir schwimmen auch stets an deiner Seite.“, säuselte einer von ihnen.

„Tut mir leid, aber…“

„Sarah, wo bleibst du denn?“, machte Luise nun auf sich aufmerksam.

Die zwei Kerle drehten sich zu ihr, schienen aber nicht groß beeindruckt zu sein.

„Arnold wartet bereits auf dich, er ist heute ohnehin schon so angefressen.“, warf sie ihrer Freundin vor.

Dieser stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben.

„Arnold?“, glaubte sie sich verhört zu haben.

„Ja, er hat seine Sozialstunden geschmissen, nur weil er dich hier sehen wollte. Und was machst du? Flirtest hier wieder mit irgendwelchen Typen! Wenn ich ihm das verklickere, gibt es wieder eine Schlägerei, willst du das? Du warst schon bei der letzten Verhandlung in Tränen aufgelöst und der Idiot den er verprügelt hat, wird auch noch eine Weile im Krankenhaus verbringen.“

Das wirkte offenbar bestens. Die beiden Kerle murmelten etwas davon, dass sie ganz plötzlich weg mussten, und kaum waren sie außer Sichtweite, fiel Sarah ihrem Schatz in die Arme.

„Wow, sowas hätte ich dir gar nicht zugetraut.“, sagte sie anerkennend.

Luise seufzte nur und verwies auf ihren Bikini.

„Selbst Schuld, wenn du sowas anziehst. Was hast du erwartet?“, fragte sie streng und sah zu gleich an sich herab.

Ihr schäbiger blauer Badeanzug verblasste total gegen Sarahs sexy Outfit.

Diese schnitt bereits wieder ihren unwilligen, belehrten Blick.

„Und wenn ich ihn nur für dich angezogen habe?“, fragte sie verführerisch und fuhr sich über ihr Dekolleté.

Luise räusperte sich und zog ihre Freundin mit sich. Wenig später hatten sich auf den Liegen Platz genommen und Sarah stöberte in ihrer Tasche.

„Was willst du essen? Schokolade? Oder ein paar halbzerquetschte Bananen?“

„Was soll das werden? Ein Picknick?“, staunte Luise, nahm aber gerne etwas von dem Essen entgegen.

„Draußen ist es inzwischen zu kalt, sieh es als eine Art Ausweichplan.“, erklärte sie und verschlang selbst eine der Bananen.

Einige Zeit beobachteten sie das Treiben in der Halle und beratschlagten was sie in den nächsten Tagen noch unternehmen konnten.

„Hallo Ladys.“

Beide Mädchen sahen ruckartig auf um die Quelle der Stimme zu identifizieren.

Luise platzte beinahe eine Ader, als sie einen weiteren dieser Kerle erkannte, der es ebenfalls ganz offensichtlich auf Sarah abgesehen hatte. Am liebsten hätte sie ihre Freundin einfach gepackt, ihr ihre Zunge in den Hals gesteckt und dem Kerl verklickert, dass sie ihr gehörte. Sarah war ihr Territorium, ihre Freundin, ihr Ein und Alles.

„Ähhhm…. Weißt du ob Arnold noch da ist?“, sah Sarah hilfesuchend zu ihrer Liebsten, doch diese fand im ersten Moment keine Antwort darauf. Würde diese Ausrede auch bei diesem Kerl wirken? Er besaß beeindruckende Muskeln, er ließ sich davon vielleicht nicht abschrecken.

„Es gibt gleich um die Ecke einen Kaffeeautomaten, vielleicht will uns deine Freundin begleiten.“, schlug er vor und beide beteten für ein Wunder.

Sarahs Augen weiteten sich schließlich und sie stand entschuldigend auf.

„Huhu! Markus!“, rief sie, doch Luise konnte nicht feststellen wen sie meinte.

Wenige Sekunden später, kehrte sie mit einem Jungen zurück, dessen Gesicht ihr erst nichts sagte. Es kam ihr bekannt vor, aber woher?

„Darf ich dir meinen Freund vorstellen? Darf er auch mit?“, fragte Sarah hoffnungsvoll, während der etwas schmächtige Junge zu ihrer linken mit seiner gelben Badehose etwas deplatziert wirkte. Luise schluckte als sie sah, wie sie den Arm dieses Markus ergriff und an sich zog. Dieser war ebenfalls nervös, als sein Arm zwischen Sarahs Brüste geriet.

„Ja also…. Tut mir leid, ich fürchte ich habe doch nicht so viele Münzen dabei. Schönen Tag noch.“, legte der aufdringliche Typ unverzüglich den Rückwertsgang ein.

Markus blickte nach allen Seiten, seine Verwirrtheit schien sich immer mehr zu manifestieren.

„Danke, du kannst wieder gehen.“, ließ ihn Sarah los und setzte sich wieder auf die Liege.

Luise presste die Lippen zusammen und sah ihre Freundin so böse wie nur irgendmöglich an.

„Das kannst du nicht machen! Bedanke dich wenigstens!“, raunte sie ihr zu.

Markus schien inzwischen selbst begriffen zu haben, dass er nur als Alibi-Freund hergehalten hatte und kratzte sich verlegen am Kopf.

„Schon gut, Hauptsache ich konnte helfen. Bis demnächst dann.“, verabschiedete er sich und Luise erinnerte sich endlich wieder woher sie ihn kannte. Er war ebenfalls auf ihrer Geburtstagsfeier gewesen, es war also jemand aus Sarahs Klasse.

Das war logisch, ein Fremder hätte die Bombe schnell platzen lassen können.

„Bist du mir böse?“, schien Luises Freundin sie ernst genommen zu haben.

Diese verzog spöttisch Lippen.

„Ich stecke dich jetzt in einen dicken Juttesack, damit uns sowas heute nie wieder passiert!“, drohte sie.

Sarah konnte ihre Empörung nicht mehr verbergen.

„Ist das meine Schuld? Ich fand den Bikini einfach schick, ist das ein Verbrechen?“

Luise gab es auf, manchmal konnte man Sarah einfach nur ihren Willen lassen.

„Außerdem was ist mit dir?“, fragte diese und streifte mit ihren Zehen über Luises nacktes Bein.

„Was… soll mit mir sein?“, konnte sie ihr nicht folgen.

„Dein Badeanzug macht mich ganz verrückt.“, gestand Sarah.

Luise zupfte am Träger, sie konnte es sich schwer vorstellen, dass dieses Ding überhaupt jemanden anturnte.

„Hast du einen Badeanzug-Fetisch, oder so?“, machte sie sich gespielt über Sarah lustig.

Diese schüttelte den Kopf, erhob sich und zog Luise nach oben.

„Nein, aber einen Luise-Fetisch.“, verriet sie und rannte mit ihr um Becken, in das sich beiden wenig später stürzten. Das anfänglich kühle Nass schlug sich über ihren Köpfen zusammen und besonders Luise spürte, dass sie soviel Spaß hatte wie lange nicht mehr.

Plötzlich zog sie etwas nach unten, es waren zweifellos Sarahs Arme.

Instinktiv schloss sie die Augen, damit das Wasser sie nicht zu sehr in Mitleidenschaft zog.

Doch sie riss sie überrascht und gleichzeitig etwas entsetzt wieder auf, als sie Sarahs Lippen auf ihren spürte.

Sie küsste sie erneut in der Öffentlichkeit, und niemand sah ihnen zu. Wie auch?

Sie tauchten wieder auf und ihre Freundin lächelte sie glücklich an.

Luise konnte es nur erwidern und küsste sie ebenfalls. Diesmal vermutlich mit einigen Zeugen.

Kaum war der letzte Schmatzer verklungen, blickte Sarah sie verdutzt an.

Machte sie sich Sorgen, dass sie jemand gesehen hatte? Markus, oder jemand anderes, den sie kannten?

Scheinbar war das nicht der Fall, denn Sarahs freudiges Grinsen wollte nicht erlischen.

„Ich liebe dich.“, sagte sie nur.

„Ich weiß. Ich dich ja auch.“, erwiderte Luise.
 

Am Abend genossen es beide förmlich sich in das weiche Bett fallen zu lassen.

„Es ist so toll, dass deine Mutter schon wieder Nachtschicht hat!“, schwärmte Sarah und versuchte angestrengt und konzentriert Luises Gürtel zu lockern.

„Na ob sie das auch so sieht?“, zweifelte deren Tochter.

Obwohl Sarah auf eine Wiederholung ihres gemeinsamen Bades gehabt hatte, wollte sie selbst nur duschen. Natürlich mit Sarah, das verstand sich wohl ganz von selbst, nicht nur wegen deren komplexen Argumentation.

„Wenn ich dich begleite kann ich das Shampoo auch an Orten auftragen, wo du selbst nur schwer hinkommst.“, hatte sie angeboten.

Luise war es somit also unmöglich gewesen abzulehnen.

Als die Mädchen fertig waren, blieb Sarah noch etwas um ihre Haare ausreichend zu pflegen.

Luise selbst war nicht gänzlich bei der Sache, da nächste Woche eine Prüfung anstand und sie einige Defizite aufwies.

Es war verrückt, anders konnte sie es nicht beschrieben. Sie war noch nie so unvorbereitet angesichts eines nahenden Tests gewesen. Sarah veränderte sie, scheinbar auch zum Negativen. Da das Positive aber überwog, machte sie sich nicht viel daraus.

Dennoch musste sie diesen Abend unbedingt mit Lernen verbringen, auch wenn ihrer Liebsten das missfiel. Sie hatte ihr bescheid gegeben, doch diese wollte freiwillig keine Nacht ohne Luise zubringen.

Also hockte das Mädchen vor ihrem Laptop und studierte verschiedene chemische Zusammensetzungen und Anwendungen auf der Periodensystem.

Es dauerte nicht lange, bis ihre Konzentration gestört wurde.

Sarah hatte ihre Hände um ihren Hals geschlungen, die noch etwas nassen Haare strichen über ihr Gesicht.

„Mein braves Luischen lernt schon wieder? Musst du ständig mit dem Gerät herumspielen? Klapp das dumme Ding zu und spiel lieber mit mir.“, begann sie Luises Ohrläppchen zu küssen.

Diese seufzte und schob Sarah sanft, aber bestimmt von sich.

„Bitte! Ich habe dir doch erklärt, dass ich dringend lernen muss. Und dir könnte es ebenfalls nicht schaden. Hast du denn Stoff schon drauf?“, versuchte sie es nicht allzu sehr nach meckern klingen zu lassen.

Sarah stieß einen kritisch Brummen aus, startete aber einen neuen Versuch.

Wieder ließ ihre Freundin es nicht zu.

„Ehrlich, du könntest die Schule wirklich etwas ernster nehmen!“, fauchte sie beinahe.

Doch das wollte sie nicht. Sie war gereizt und angespannt.

„Na schön, wie du meinst.“, erwiderte Sarah kühl und legte sich ins Bett.

Luise versuchte sie die nächste Stunde lang aus ihren Gedanken zu verbannen.

„Ich habe zu Hause etwas vergessen.“, sagte Sarah irgendwann, zog sich an und trat den Rückweg an.

War sie etwa sauer auf Luise? Das wäre doch übertrieben, oder?

Doch Sarah kehrte nicht zurück, dagegen half auch nicht Luises Erleichterung den Stoff endlich zu verstehen.

Sie rief ihre Freundin an, doch diese drückte sie frech weg.

Was war das vorhin? Etwa ihr erster Streit? Nein, wie ein Streit hatte es doch gar nicht gewirkt. Was ging dann im Kopf dieses Mädchens vor?

Als nächstes versuchte sie es mit Dauerklingeln, irgendwann würde sie ihr schon Rede und Antwort stehen.
 

Joachim Heidenreich war in Feierlaune. Heute hatte er endlich den Vertrag abgeschlossen, an dem er schon seit Wochen werkelte. Zufrieden schloss er die Tür auf und betrat sein Haus. Er schaltete das Licht an und schlenderte in die Küche um nach dem Rechten zu sein.

Sofort ließ er wieder die Schultern sinken, als er keine frische Mahlzeit vorfand. Aber es war seine Schuld, er hatte Sarah nicht bescheid gegeben wann er nach Hause kam. Außerdem war sie nicht seine Frau, sondern seine Tochter. Wenn er so einen albernen Vertrag abschließen konnte, dann ja konnte er sich ja wohl auch eine Mahlzeit selbst kochen, nicht wahr?

Selbst war der Mann, hieß es schließlich.

Am Ende lief es allerdings doch darauf hinaus, dass er sich die Reste vom Vortag aufwärmte.

Er bemerkte schon wieder eine von Sarahs Notizen am Kühlschrank, sie übernachtete wie so oft in letzter Zeit bei Luise Fahlbusch.

Herr Heidenreich sah kein Problem darin, das Mädchen von nebenan schien ein guter Umgang für seine Kleine zu sein. Doch eines machte ihn dann doch stutzig.

Wenn Sarah bei ihrer Freundin war… wer redete dann da im ersten Stock?

Hatte ein Landstreicher gedacht, hier handle es sich um ein verlassenes Haus und hatte Zuflucht gesucht? Nein, je besser er hinhörte, desto klarer vernahm er eine weibliche Stimme.

Sarahs Stimme.

Verdutzt schritt er die Treppe nach oben und blieb vor ihrem Zimmer stehen.

„Ich sagte es doch, oder? Mir ist etwas dazwischen gekommen. Eine brandneue Anime-Folge mit Untertitel, die nur noch wartet von mir angesehen zu werden. Sonst ist nichts weiter.“, hörte er seine Tochter sprechen.

Dann ein tiefer Seufzer.

„Ja, ich liebe dich auch. Bis Morgen.“, legte sie schließlich auf.

Herr Heidenreich klopfte an die Tür und das Mädchen schreckte auf.

„Paps?“, fragte es überrascht und wich zurück, als wäre es nicht bekleidet.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Mit wem hast du telefoniert?“, erkundigte er sich.

Sarah schien eine Zeit lang darüber nachdenken zu müssen.

„Ähhm… mit Oma. Schöne Grüße.“, antwortete sie dann.

Die Stirn ihres Vaters zog sich sichtlich in Falten.

„Du hast gesagt, dass du sie liebst.“, wand er ein, obwohl er nun als Lauscher oder gar Voyeur dastand.

„Ja. Hast du Omi etwa nicht lieb?“, konterte Sarah.

Sofort nickte Herr Heidenreich zustimmend.

„Doch natürlich. Ich dachte nur, du wärst bei deiner Freundin.“, gab er zu bedenken.

Einen kurzen Moment kam es ihm so vor, als sehe er eine Spur von Traurigkeit im Gesicht seiner Tochter.

„War geplant, hat sich dann aber geändert. Ich muss noch dringend für eine Prüfung büffeln.“, verriet sie und wies auf die ausgebreiteten Bücher und Hefte vor ihr.

Ihr Vater entdeckte das Lern-Lager schließlich und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Meine Tochter lernt freiwillig? Dieses Jahr scheint wirklich die Welt unterzugehen.“, machte er sich darüber lustig.

Sarah schnitt ein schnippisches Gesicht und drängte den Mann nach draußen.

„Dafür gibt es Morgen kein Hapahapa!“, bestrafte sie ihn.

„Moment, ich hatte schon heute…“

Doch es war zu spät und er musste sein Schicksal hinnehmen.

Müde trottete er in die Küche zurück um sich die übrig geblieben Kartoffeln aufzuwärmen.

Insgeheim fragte er sich, was in seine Tochter gefahren war. Und noch wichtiger…

Wann hatte sie aufgehört mit ihm zu reden?
 

Luise war einem Nervenversagen nahe, noch immer verhielt sich Sarah ihr gegenüber abweisend und unnahbar. Ständig schob sie wichtige Termine voraus und redete nur das Nötigste mit ihr.

Selbst Sabine hatte sie angeschrieen, als diese mit der Idee ankam, Sarah hätte sich eine neue Flamme gesucht, jetzt wo ihre lesbische Seite erblüht war. Es war nur ein Scherz gewesen, doch die Angst die Liebe ihres Lebens so schnell wieder zu verlieren war da.

„Was ist denn genau passiert?“, wollte Sabine wissen, während sie und ihre Freundin genau an dem Platz saßen, der normalerweise Luise und Sarah gehörte.

„Sie wollte zärtlich zu mir sein, doch ich habe sie abgewiesen. Ich musste unbedingt für den Test lernen, ich hatte keine freie Minute für sie.“

Sabine wirkte nachdenklich.

„Und deswegen geht sie gleich auf Abstand zu dir? Ich verstehe dieses Girl einfach nicht.“, murmelte sie.

Auch Luise zuckte nur hilflos mit den Schultern.

„Noch dazu war die Lernerei wohl völlig umsonst. Ich war gestern, während der Prüfung so unkonzentriert wie lange nicht mehr. Ich denke ich bekomme eine zwei, im schlimmsten Falle eine 3.“, gestand sie.

Sabine unterdrückte ein Husten.

„Ja, dich hat es echt hart getroffen. Meinst du nicht, dass du es übertreibst? Wenn Mädchen wie Sarah ihren Freund bzw. hier ihre Freundin zu langweilig finden, hält so eine Beziehung meist nicht lange.“

Schockstarre seitens Luises.

„Meinst du das ernst? Nur deshalb? Als wir noch ganz normal befreundet waren, war das in Ordnung für sie. Sie war in gewisser Weise stolz auf mich, dass ich mich zu bemühe.“, teilte sie Sabine mit.

Diese klopfte ihr mitfühlend auf die Schulter und ermutigte sie.

„Das renkt sich schon wieder ein, bestimmt. Wenn man zusammen ist, ist eben vieles anders, wenn Sarahs Sehnsucht nach dir zu groß wird, kommt sie ganz schnell wieder angetänzelt.“, war sie sich sicher.

Die Pause war zu Ende und die beiden begaben sich in die Klasse, wo sie die Ergebnisse ihres Tests mitgeteilt bekamen.

Luise hatte tatsächlich eine 2 geschrieben, Sabine hingegen eine knappe 4.

Jetzt hieß es beim Aufmuntern abwechseln.

Immer noch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch verließ Luise die Klasse nach der letzten Stunde und schritt in Richtung Schultor.

Da stand sie. Sarah winkte ihr zu, als wäre nichts gewesen.

Hatte Sabine recht behalten? Hatte Sarah sie wirklich so sehnsüchtig vermisst, dass ihr Groll verflogen war?

„Luischen!“, war ihr anzusehen, dass sie wirklich gute Laune besaß.“

„Hey…“, wollte Luise ein Gespräch beginnen, doch Sarah fiel ihr einfach um die Arme.

„Sarah!“, sagte sie streng, doch es tat ihr bereits wieder leid. Genau mit diesem Ton hatte sie ihre Freundin gegen sich aufgebracht.

Doch diese wirkte nicht traurig, oder betrübt, im Gegenteil.

triumphierend hielt sie Luise ein Blatt Papier unter die Nase.

„Was ist das?“, wollte diese wissen, erkannte aber wenig später die Auswertung desselben Tests, den auch ihre Klasse hatte absolvieren müssen.

„Es ist eine 2! Und in meiner Leistungsgruppe – ich habe mir selbst eine gegeben – ist das eine 1! Super, nicht wahr? Jetzt dürftest du mich wohl nicht mehr für dumm halten, was?“

Luise war baff und hielt ihre Hand gegen Sarahs Stirn, als wenn diese Fieber hätte.

„Ähh…“, begann diese zu stammeln.

„Du hast gedacht, ich würde dich für dumm halten?“, fragte sie ungläubig.

Sarah zog sich etwas von ihr zurück.

„Manchmal… Und als du mich einfach so verscheucht hast, dachte ich, dass du mich intellektuell nicht ernst nehmen würdest.“, offenbarte sie.

„Intellektuell nicht ernst nehmen? Wie kommst du bitte auf so einen Unsinn? Liebes, du weißt doch ganz genau, dass Leute wie etwa meine Mutter oder auch meine Lehrer hohe Erwartungen in mich setzen. Ich will niemanden enttäuschen, deshalb nehme ich das Lernen auch sehr ernst.“, verteidigte sie sich.

Sarah versuchte zu lächeln.

„Mich könntest du niemals enttäuschen. Nie und nimmer. Und wegen mir musst du dich auch nicht so geben wie neulich, ich bin so oder so stolz auf dich, egal welche Note du schreibst.“, versicherte sie ihr.

Am liebsten hätte Luise ihre Freundin auf der Stelle geküsst, was im Schulgebäude war mehr als riskant war. Dennoch sah sie sich schnell nach allen Seiten um, ob irgendwelche Schüler in Sichtweite waren.

Sie entdeckte einzig und allein den Hausmeister der eine kaputte Lampe reparierte.

Sie ignorierte ihn und gab sich ganz und gar dem Versöhnungskuss hin.

Als sie Sarah später erzählte, sie habe ebenfalls eine 2 geschrieben, grinste diese breit.

„Siehst du? Wir passen perfekt zusammen.“

Leider mussten die beiden Mädchen bis Freitag warten, bis sie ebenfalls in den Genuss ihres ersten Versöhnungssex kamen.

Sarah hingegen konnte nicht eindeutig bestimmen was genau anders war, als bei den übrigen Malen, an denen sie ihre Zunge über etliche von Luises Körperstellen hatte gleiten lassen.

Kurz bevor sie einschliefen, fiel dem Mädchen die Tür auf. Luise hatte sie gebeten, sie abzuschließen, aber hatte sie noch daran gedacht?

Egal, sie war verteufelt müde, es spielte ohnehin keine Rolle mehr.

Kapitel 8

Unzufrieden stellte Luise am nächsten Morgen fest, dass die Zimmertür unverschlossen war.

Empört blickte sie zu Sarah, die immer noch fest schlafend da lag und deren halber Oberkörper entblößt war.

Langsam schlich sich Luise hinaus und sah durch das Fenster in die Einfahrt. Kein Auto, das hieß auch keine störende Mutter. Ihre Schicht dauerte wohl etwas länger, gut so. Sie durfte Sarah sagen, dass sie sich diesmal nicht extra wie eine Einbrecherin aus dem Haus stehlen musste.

Luise selbst verspürte den Drang das Badezimmer aufzusuchen und ließ einen nassen Wasserschwall auf ihr Gesicht nieder.

Es war erfrischend, vor allem da diese etwas Schweiß an sich roch, der wohl von der gestrigen Nacht stammen musste.

Sie war inzwischen süchtig nach Sarah, das wusste sie, doch sie konnte sich auch nicht mehr gegen dieses Mädchen wehren. Sie liebte sie und hätte es am liebsten laut in die Welt hinausgeschrieen.

Doch Sarah kam ihr zuvor.

Erschrocken zuckte Luise zusammen, es hatte tatsächlich jemand geschrieen. Und zwar hier im Haus. Sarah!

Ohne lange nachzudenken rannte sie zurück, vielleicht hatte sich ihre Liebste verletzt.

Sie bog gerade in ihr Zimmer ein, als sie mit etwas kollidierte.

Nein, mit jemandem.

Vor ihr hatte sich eine Person aufgebaut, die mit dem Rücken zu ihr stand.

Sie war groß gebaut, aber auch etwas hager.

Dann fiel ihr Blick zu Sarah, die sich ängstlich in die Bettdecke einhüllte.

Der Mann drehte sich um und seinem Gesicht nach, war er ebenfalls mit der Situation überfordert.

„Luise, Hilfe! Ein Einbrecher!“, warnte Sarah sie panisch.

Luise kniff fest die Augen zusammen, doch als sie sie wieder öffnete, war die Szenerie dieselbe geblieben.

„Es… es tut mir leid.“, bat der Mann um Verzeihung und klatschte sogar die Hände zusammen.

„Zuhalten.“, befahl Luise und reichte ihm ein Kissen.

Dieser presste es sich sofort vor das Gesicht um nicht noch mehr Zorn auf sich zu laden.

„Luise, kennst du ihn?“, wollte Sarah voller Peinlichkeit wissen.

Diese musste leider nickten.

„Das ist mein Bruder Jonas.“, gestand sie.

„Freut mich dich kennen zu lernen!“, drang Jonas gedämpfte Stimme hinter dem Kissen hervor.

Sarahs Angst hatte inzwischen zu Wut gewechselt.

„Ecchi! Hentai!“, warf sie ihm an den Kopf.

„Häh?“, staunte Jonas.

„Tut mir leid, das wollte ich einfach immer schon mal von mir geben.“, erklärte sie.

„Jetzt besser?“, fragte Luise die darauf einging.

„Ja.“
 

15 Minuten später saßen die drei am Küchentisch und schwiegen sich an.

„Du… bist also Luises neue Freundin, ja?“, fragte Jonas überflüssigerweise.

Sarah nickte stumm.

„Was hast du hier eigentlich zu suchen?“, klang Luise vorwurfsvoll.

Dieser wies aber alle Schuld von sich.

„Das hier ist mein Elternhaus, ich habe ein Recht hier zu sein!“, stellte er klar.

„Aber nicht unschuldige Mädchen zu überraschen während sie schlafen.“, fiel ihm Sarah ins Wort.

Jonas lehnte den Kopf zurück.

„Als ob ich wissen konnte, dass ich dich da drin vorfinde!“, war er sich weiterhin keiner Schuld bewusst.“

„Aber deine Schwester hätte da nackt liegen können! Was bist du? Ein Siscon?“

Wieder musterte Jonas das Mädchen skeptisch und Luise versuchte zu schlichten.

„Ich meine was du gerade jetzt hier willst.“, fragte sie den Studenten.

Dieser stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Ich wollte etwas mit Mama besprechen, doch scheinbar ist sie noch nicht aus dem Krankenhaus zurück. Außerdem liegt mein nachträgliches Geburtstagsgeschenk für dich noch draußen im Wagen.“, erklärte er sein ungestümes Eindringen.

Dennoch entschuldigte er sich nochmals ausführlich bei Sarah und diese reichte ihm sogar die Hand.

„Gut, weil du Luises Bruder bist.“, willigte sie ein.

„Nur deshalb?“, lächelte Jonas mild.

Sarah erwiderte nichts darauf, ihr immer noch böser Blick sprach Bände.

„So! Hast du Mama also endlich erzählt, dass du lieber Röcken hinterher jagst?“, versuchte der Student das Eis zu brechen.

„Ich trage selten Röcke.“, mischte sich Sarah ein, auch wenn sie die Metapher erkannt hatte.

„Nein…. Mama weiß natürlich noch nichts davon.“, wirkte Luise nun kleinlaut.

Jonas legte ihr liebesvoll eine Hand auf die Schulter und nickte ihr zu.

„Das wird schon noch irgendwann. Lass dir Zeit. Ich bin noch die ganze Woche in der Stadt, falls du etwas brauchst.“, bot er an und huschte dann nach draußen um das Geschenk zu holen.

Luise setzte sich Sarah gegenüber und hielt ihre Hand.

„Ich weiß ihr hattet einen schlechten Start, aber er ist wirklich lieb!“, versicherte sie.

Sarah blies ihre Backen etwas auf und erklärte sich einverstanden.

„So lieb wie ich?“, wollte sie aber auf Nummer sicher gehen.

Luise grinste.

„Nein, du bist du liebste. Meine Liebste sogar.“, versicherte sie und küsste sie auf die Stirn.

Es wirkte etwas unangenehm, als Jonas wieder eintrat und die Szene mitbekam.

Doch in seinem Kopf mussten sich bereits schlimmere Szenen abgespielt haben, schließlich hatte er die Freundin seiner Schwester in deren Bett ertappt. Was würde jeder halbwegs normale Mensch, aber vor allem Mann da denken?

Luises einziger Wunsch war, dass er Sarah akzeptierte, genauso wie umgekehrt.

Jonas reichte seiner Schwester sein verspätetes Geburtstagsgeschenk und diese freute sich über die neue CD ihrer Lieblingssängerin, die sie wenig später in Händen hielt.

Sie umarmte ihren Bruder und gab zu, im Grunde froh zu sein, dass er wieder hier war.

„Was ist denn hier los? Was soll die Versammlung und wieso wurde ich nicht eingeladen?“, stand Frau Fahlbusch perplex in der Haustür.

Alle Anwesenden waren erst verunsichert, grinsten der netten Frau dann aber alle im Takt entgegen.
 

Mit zwiegespaltenen Gefühlen kehrte Sarah in ihr eigenes Haus zurück. Es war das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass sie ein Mann nackt gesehen hatte. Sie selbst wusste nicht wie viel er zu Gesicht bekommen hatte, schließlich reagierte sie reflexartig auf den plötzliche Eindringling.

Dennoch wusste sie, dass sie dich diesen Vorfall nicht zu Herzen nehmen durfte, wenn sie sich ein Bild von Jonas Fahlbusch machen wollte. Es war sein Haus und sie mehr oder weniger der Gast. Bei dieser Gelegenheit fiel ihr ein, dass Luises Bruder doch nicht der erste war, sondern ihr Vater, obgleich dies eine Ewigkeit her war.

Doch er stand nun in der Küche und bereitete überraschenderweise das Frühstück zu.

„Du noch da?“, fragte Sarah, als wäre es ein Weltwunder.

Herr Heidenreich servierte dem Mädchen gekonnt einen Teller mit Schwarzbrot auf dem sich viel zu viel Butter befand.

„Heute ist doch schließlich ein Feiertag! Und morgen habe ich auch nichts vor, wegen Fenstertag und so.“, sagte er begeistert und Sarah nahm das so hin.

Sie wünschte sich, morgen wäre ebenfalls schulfrei.

„Und du? Wieder ein Mädelsabend bei Luise?“, hakte er nach.

Sarah zögerte etwas, dann bejahte sie.

„Sag mal… bist du die ganzen Nächte wirklich bei ihr?“

Seine Tochter reagierte mit einem Stirnrunzeln.

„Wo soll ich denn bitte sonst sein?“

Herr Heidenreich schüttelte aber schnell den Kopf.

„Vergiss es einfach. Aber etwas anderes, Christiane hat uns morgen eingeladen sie zu einem Vergnügungspark zu begleiten. Du könntest auch Tabea und Tobias wieder sehen. Was hältst du davon?“

Sarah ließ sich den Gedanken schnell durch den Kopf gehen, doch auch wenn sie Tabea mochte und ihre Mutter auch nicht unsympathisch war, klang ein gemeinsamer Tag mit Luise weitaus verlockender.

„Nette Idee, aber ich habe bereits ein paar Freundinnen zugesagt.“, drückte ihre Miene Schuld aus.

Herr Heidenreich war nicht erfreut über diese Antwort.

„Mit denen kannst du doch ständig etwas unternehmen, oder? Tu mir doch bitte diesen einen Gefallen, Christiane hat dich bereits in ihr Herz geschlossen und freut sich so darauf.“

Sarah stöhnte auf, ihr Vater wusste wie man sie überzeugen konnte.

„Schon kapiert, vielleicht wird es wirklich ganz spaßig.“, willigte sie ein.

Das Gesicht des Mannes erhellte sich plötzlich und sofort stellte er seine Tochter eine Tasse Tee hin.

„Das wird es bestimmt!“
 

Luise legte die CD gerade in den Ständer, während Jonas ihr Zimmer inspizierte.

„Schön was du daraus gemacht hast.“, sagte er schließlich.

Seine Schwester musste grinsen.

„Es ist unverändert, genau so wie du es letztes Mal betreten hast.“, versicherte sie.

Jonas nickte, hörte aber nicht damit auf sich umzusehen. Bestimmt wollte er der Peinlichkeit ausweichen über Luises neue Flamme zu reden.

„Also? Warum bist du in der Stadt? Schwierigkeiten mit Melli?“, spielte sie auf Jonas’ derzeitige Freundin an.

„Nicht mehr. Wir haben Schluss gemacht.“, gestand er.

Scheinbar doch nicht ‚derzeitig’.

„Das tut mir leid.“, unternahm Luise einen Versuch ihren Bruder zu umarmen, doch dieser wehrte ab.

„Muss es nicht, es hat schon länger nicht mehr zwischen uns gepasst. Ich laufe auch nicht vor ihr weg, sondern besuche wie gesagt nur euch und außerdem einen Freund der in der Stadt wohnt.

Ich hoffe mein Geschenk gefällt dir.“

Luise brachte es nicht übers Herz ihm zu gestehen, dass sie diese Ausgabe bereits besaß, aber eine Sicherungskopie war ja bekanntlich auch nie verkehrt.

„Ich habe mich wahnsinnig gefreut, du bist der beste Bruder der Welt!“, hoffte sie, dass ihre Worte nicht übertrieben klangen.

Dieser wirkte verlegen und setzte sich an Luises Schreibtisch.

„Und du und Sarah? Die große Liebe?“, konnte er sich nicht erwehren zu fragen.

Luises Strahlen ja im Prinzip bereits die Antwort darauf.

„Sarah ist ein Engel. Ich kann noch gar nicht fassen, dass ich so viel Glück habe.“

Jonas wollte natürlich mehr über seine vermeintliche Schwägerin wissen und ließ sich von Luise haarklein erklären was denn nun genau ein Otaku sei.

„Sie ist also ein total crazy Girl, ja? Gut, passt zu meiner kleinen Schwester.“, ärgerte er sie, als er bereits im Begriff war zu gehen.

Er würde die Woche über bei einem Freund pennen, doch jederzeit für Luise zur Verfügung stehen.
 

„Wem simst du denn da die ganze Zeit?“, fragte Herr Heidenreich, während er verzweifelt einen Parkplatz suchte.

„Simsen? Seit wann benutzt du solche Ausdrücke?“, fragte Sarah schelmisch.

„Wieso nicht? Ich bin hipp!“, verteidigte er seine Wortwahl.

„Mhm.“, lautete die einzige Reaktion seiner Tochter darauf.

Als sie endlich fündig geworden waren und ausstiegen, konnte Sarah bereits Christiane vor dem Eingang erkennen.

Diese winkte den Neuankömmlingen zu und machte wild auf sich aufmerksam.

Sarah ließ immer wieder ihren Blick schweifen, doch nirgends eine Spur von Tabea oder Tobias.

„Schön, dass du ihr kommen konntet. Lasst uns schnell reingehen.“, schlug die Kollegin ihres Vaters vor.

„Ähhmm… und wo sind die anderen?“, fragte Sarah verwirrt.

Frau Wels schien es nicht anders zu gehen, da mischte sich Herr Heidenreich ein.

„Verdammt, das habe ich total vergessen! Christianes Kinder hatten spontan keine Lust bekommen, deswegen werden es heute nur wir drei sein.“, klatschte er sich demonstrativ an den Kopf.

Sarah sah ihn ungläubig an. Und dafür hatte sie einen gemeinsamen Tag mit ihrer Liebsten vergeudet?

„Ähh… ja richtig, die beiden wollten sich im Kino unbedingt einen Film ansehen.“, half ihm Christiane weiter.

Sarah gelang es nun nicht mehr, ihre Skepsis zu unterdrücken.

„Und wie hieß der Film?“, fragte sie mit gespieltem Interesse.

„Das… habe ich vergessen. Aber lass uns schon gehen.“, schlug sie vor und gemeinsam betraten die drei das Areal.

Da Sarah sich zu alt dafür hielt, eine der vielen Attraktionen zu benutzen, ließ sie sich von ihrem Vater jede Menge Süßkram wie Zuckerwatte und dergleichen kaufen. Christiane selbst wollte aber keinen Muffel spielen, sondern versuchte sich tapfer am Schießstand und kreischte immer wieder freudig als sie einen Treffer erzielte. Schließlich ergatterte sie den ersten Preis, einen Plüsch-Koala den sie triumphierend hoch hielt und dann Sarah überreichte.

„Hier für dich.“

Diese beäugte sie zweifelnd.

„Sieht zwar süß aus, aber aus dem Alter bin ich raus. Wäre es ein Plüsch-Mokona wäre ich begeistert, aber so schenk es doch bitte Tabea…. Äh, vergiss was ich sagte, Tobias freut sich bestimmt darüber.“

Etwas eingeschnappt verstaute Christiane den Koala in ihrer Tasche und die Gruppe setzte ihren Weg fort.

In der Geisterbahn bekam Herr Heidenreich ständig das Gruseln und Christiane tat es ihm gleich.

Sarah selbst, konnte nur seufzen. Dachten die beiden, sie wären mit einem kleinen Mädchen unterwegs? Was sollte dieses Benehmen?

Schließlich setzten sie sich an eine Würstchenbude und Sarah versuchte das Ketchup aus der kleinen Tüte zu drücken.

„Ich muss noch ein wichtiges Telefonat führen, darf ich euch kurz allein lassen?“, fragte er Heidenreich ohne Vorwarnung und zückte sein Handy. Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er einige Schritte zu gehen.

„Und? Schmeckt es?“, wollte Christiane wissen, während Sarah ein Stück von der Wurst abbiss.

Behutsam nickte diese und schluckte runter.

„Du musst dich nicht mehr so hippiemäßig aufführen.“, versicherte sie der Frau dann.

Christianes Augen weiteten sich und verdutzt musterte sie das Mädchen.

„Du und Paps habt was am laufen, das sieht doch ein Blinder mit einem Krückstock.“, entkam es ihr, bevor sie den nächsten Bissen tat.

Christiane selbst, unternahm alle Versuche die Überraschung zu verbergen.

„Du hast recht. Joachim und ich haben uns wirklich nicht sehr diskret verhalten.“

Sarah konnte sich ein Kichern nun nicht mehr verkneifen.

„Ach bitte! Erst die freundliche Masche, dann hast du mir das Du angeboten und jetzt diese Einladung, wo ihr euch wie zwei Eltern mit ihrem Kind benehmt.“, erwiderte das Mädchen mit vollem Mund.

Christiane wollte darauf antworten, beschloss dann aber auszusetzen. Es war eine neue Situation für Sarah, sie wollte erst hören, was diese davon hielt.

Endlich wirkte diese ernster und sah Christiane direkt in die Augen.

„Hör mal, du bist nett! Tabea und Tobias machen auch einen annehmbaren Eindruck und ich wünsche Paps jemanden wie dich. Nur ist es vielleicht etwas schnell.“, sprach sie ihre Gedanken aus.

Christiane überlegte kurz, ob sie sich auf ihre Mutter bezog, doch das konnte kaum sein.

„Ich glaube du verstehst immer noch nicht. Joachim und ich kannten uns schon in Himmeldorf. Ich war jede Woche beruflich dort und so sind wir uns näher gekommen. Schließlich teilte er mir seine Idee mit, doch die Filiale zu wechseln und mit dir herzuziehen.“, begann sie zu erzählen.

Sarah verengte ihre Augen.

So war das also. Ihr Umzug war diesmal berechnender Natur gewesen. Es war nicht zwingend für die Arbeit, sondern weil ihr Vater Christiane näher sein wollte. Ihr wurde auch klar, dass sie ihm deshalb Vorwürfe gemacht hätte, nicht zuletzt, weil er es nicht mit ihr besprochen hatte. Sarah hatte ihre Freundinnen zurück lassen müssen, wertvolle Bekannte und nicht zuletzt den gemütlichen Manga-Laden in dem sie jedes Wochenende stöberte.

Ja sie wäre verdammt sauer auf ihn gewesen wenn… wenn sie bei ihrer Ankunft nicht sofort Luise kennen gelernt hätte. Also vielleicht, aber nur vielleicht war es doch nicht die Entscheidung ihres Vaters gewesen, sondern eine göttliche Fügung. Der Himmel wollte, dass Joachim Heidenreich sich verliebte und mit seiner Tochter an einen anderen Ort zog. Alles nur, damit Sarah und Luise sich fanden. Dass ihre Herzen endlich nicht mehr trostlos und allein in der Welt umherwanderten.

„Ich liebe dich! Also dafür, dass du meinen Vater liebst, meine ich! Und ihn, dass er sich einfach so über meinen Kopf hinweggesetzt hat und wir hergekommen sind!“, hätte sie Christiane beinahe küssen können.

Diese überlegte einen Moment, ob sie die Gefühlsschwankungen als Sarkasmus interpretieren sollte, doch sie irrte sich. Sarah war aufrichtig glücklich.

„Joachim und ich wollen es langsam angesehen lassen, wir haben nur den heutigen Tag genutzt um mit dir zu reden. Ob du unsere Beziehung unterstützt, oder nicht.“

Sarah zögerte einen Augenblick.

Durch diesen Umstand hatte sie die Liebe ihres Lebens gefunden, doch das hatte nichts mit ihrer Familie zu tun. Es war das Leben ihres Vaters, er musste wissen was gut für ihn war. Und Sarah selbst? Sie wollte dass er glücklich war und wenn ihrer Mutter dazu nicht mehr im Stande war, was sollte sie anderes tun als diesen Weg zu akzeptieren.

„Es wird sicher dauern, bis ich mich gewöhne, aber wenn ihr nicht gleich zusammen zieht…“

Augenblicklich musste Sarah über diese Möglichkeit schmunzeln. Tabea als Schwester zu haben, ein Zimmer weiter dröhnte die ganze Nacht Metal, Black-Metal, Death-Metal, oder wie das ganze Zeug auch hieß. Und hinter jede Ecke müsste sie fürchten, dass Tobias sie beobachtete, wie eine kleine Yandere oder eine Zaziki-Warashi.

„Um Himmels Willen, nein! Das wäre mehr als voreilig, wir wollen sehen wie es sich entwickelt. Ich habe schon mit Tabea darüber gesprochen, doch Tobias ist noch im Unklaren. Die Zukunft wird zeigen wie alles verlaufen wird.“, stellte sie klar.

Sarah gab zu, froh zu sein dies zu hören und wollte schon weiter essen.

„Und… dein Vater hat mich gebeten, bei dieser Gelegenheit auch gleich mit dir ein paar ernste Worte zu wechseln.“, änderte sich der Tonfall von Christianes Stimme noch zusehends. Was würde jetzt kommen?

„Joachim hat mir erzählt, dass du in letzter Zeit oft anderweitig übernachtest.“, sprach sie, ohne Sarah dabei direkt anzusehen.

Sarah ließ die Gabel fallen. Ahnten die beiden Erwachsenen etwas?

„Ich… übernachte bei einer Freundin.“, erklärte sie hastig.

„Sicher? Joachim hat Angst, dass du vielleicht einen Freund hast, mit dem ähhh bei dem du die Nacht verbringst.“, sprach sie ihren Verdacht aus.

Sarah holte tief Luft. Ihr Vater hatte mit seiner Theorie tatsächlich ins Schwarze getroffen. Naja, zu 50%.

„Das ist doch albern! Wenn er mir nicht glaubt, kann er meine Freundin gern anrufen oder selbst fragen.“, tat sie die Sache ab.

Christiane zuckte nut mit den Schultern.

„Schon, aber… meine Freundinnen haben mir damals auch immer ein Alibi verschafft, während meinen wilden Zeiten.“, berichtete sie aus ihrer Vergangenheit.

„Ich habe aber keine wilden Zeiten… denke ich.“

Christiane blickte sich nach allen Seiten um, doch scheinbar war Herr Heidenreich noch nicht wieder in Sichtweite.

„Aber er denkt es gibt einen Jungen den du magst.“, verriet sie.

Schlagartig viel Sarah wieder das Telefongespräch ein, das ihr Vater mitbekommen haben musste. Sie hatte Luise gesagt, dass sie sie liebte, und es später auf ihre Großmutter geschoben. Eine billige Ausrede, das wusste sie jetzt.

„Selbst… wenn, ich bin alt genug um für mich selbst zu entscheiden.“, entgegnete sie.

Christiane schluckte. Sie und Herr Heidenreich hatten ihre Beziehung vor dem Mädchen ebenfalls geheim gehalten, sie besaß somit kein Recht ihr irgendwelche Vorwürfe zu machen.

„Dein Vater macht sich nur Sorgen um dich. Gibt es einen Grund warum du ihm diesen sicher netten Burschen vorenthältst?“, erkundigte sie sich.

„Meine Gesundheit? Mein Erbe? Mein zukünftiges Taschengeld sowie PVC-Figuren?“, klang das Mädchen beinahe anklagend, realisierte dann aber, dass sie übertrieb.

„Ach komm, so schlimm wird er wohl nicht sein. Oder… möglicherweise doch…“

Christianes Miene fiel nun einen Moment zusammen, scheinbar belastete sie etwas.

„Doch selbst wenn es jemand ist, den Joachim vielleicht nicht mag, er ist ein Teil deines Lebens. Du kannst ihm vertrauen.“, startete sie sogleich einen weiteren Versuch.

Sarah nickte, das wusste sie natürlich.

„Und deine Nächte bei ihm… du denkst doch sicher daran zu verhüten, oder?“

Hätte Sarah auch ein Getränk zu den Würsten gehabt und gerade davon getrunken, wäre der ganze Saft direkt in Christianes Gesicht gelandet.

Doch so, blieb ihr Mund einfach ganz normal offen stehen.

„Was… willst du mit mir über Sex reden?“, konnte sie es nicht glauben.

„Nunja, es ist immerhin normal bei Mädchen in deinem Alter.“, wand sie ein, doch Sarah verneinte sofort.

„Mädchen haben heutzutage schon mit 12 oder 13 Sex, das ist kein Argument!“

Auch für Christiane war die Situation sichtlich unangenehm.

„Also hast du auch schon in diesem Alter…“, begann sie, wurde aber sofort von ihrer quasi Stieftochter unterbrochen.

„Nein! Ich meine, wann, wo, oder mit wem ich Sex habe geht nur mich etwas an!“, versuchte sie ihre Stimme so leise zu halten wie möglich.

Christiane bat sie sofort zur Ruhe.

„Ja ja, es tut mir leid, ich wollte nur für dich da sein. Genau wie dein Vater, mit dem auch über alles reden kannst.“, versicherte sie.

Sarah zweifelte noch daran, ob das so einfach war, da war Herr Heidenreich schon zurück gekehrt.

Es war ein Kinderspiel aus den Mienen der beiden zu lesen worüber sie gesprochen hatten.

„Du… weißt es also?“, hakte er nach.

Betretene Blicke und ein eisernes Schweigen.

Dann ergriff Sarah seine Hand und führte sie zu Christianes. Er legte sie darauf und klopfte Herrn Heidenreich auf die Schultern.

Das war ihre Antwort auf die neue Liebe ihres Vaters.

„Na gut! Was hältst du davon, wenn Christiane morgen Abend zum Essen zu uns kommt?“, wollte Herr Heidenreich wissen.

Sarah überlegte kurz.

„Wer kocht?“
 

Sarah wäre sehr froh gewesen, Luise noch zu erwischen und mit ihr den Heimweg anzutreten. Doch ihre Freundin hatte an diesem Tag eine Stunde weniger, die Glückliche.

Es war unsinnig zu warten, sie hatten immerhin das ganze Wochenende noch vor sich. Wieder erinnerte sich das Mädchen an den gemeinsamen Abend mit der neuen Partnerin ihres Vaters. Partnerin, wie sich das anhörte. Sie hatte mit Luise telefoniert und ihr alles erzählt. Dann wurde sie gefragt, ob sie denn irgendwelche Probleme mit der momentanen Situation hätte, doch dies war nicht der Fall. Christiane wollte ja nicht ihre Mutter ersetzen, wer hätte das schon gekonnt? Es war etwas Neues, auf das sich nicht nur ihr Vater, sondern auch sie sich einlassen musste.

„Und du kannst heute echt nicht?“, fragte Katrin resignierend.

Sarah schüttelte den Kopf und erklärte es ihr erneut.

„Nächstes Mal, ja? Dann sehen wir uns diesen einen Laden an, der neu aufgemacht hat.“, schlug sie vor.

Ihre Klassenkameradinnen nickten zustimmend, dann wurde ihre Unterhaltung durch einen Laut unterbrochen.

Es handelte sich um das Hupen eines Wagens, Sarah staunte nicht schlecht als sie vernahm, wie ihr Name gerufen wurde.

Stutzend wand sie ihren Blick und musterte das blaue Auto das näher an die drei Mädchen heranfuhr. Wenige Meter vor ihr kam es zum Stehen und eine bekannte Gestalt schwang sich heraus.

Ein schlaksiger Kerl, Mitte 20.

„Hey Sarah, dein Chauffeur ist da.“, begrüßte sie Jonas fröhlich.

Lena und Katrin sahen natürlich blöd aus der Wäsche, und Sarah geriet in Erklärungsnot.

„Deswegen hast du also jeden Typen in der Schule abgewiesen. Du stehst auf ältere, der Kerl ist sicher Student.“

Sarah lächelte verlegen.

„Nunja, Mädels, ich studiere Medizin, aber das ist nichts Großartiges. Trotzdem werde ich mir irgendwann einmal meine eigene Praxis aufbauen!“, profilierte sich Luises Bruder vor den beiden.

Sarah seufzte tief, womit hatte sie das nur verdient?

„Ich erkläre es euch demnächst, schönes Wochenende!“, verabschiedete sie sich von ihren Freundinnen und huschte schnell auf den Beifahrersitz.

„Tut mir leid, das war gelogen. Luise hat dir sicher erzählt, dass ich Elektrotechnik studiere.“, schienen das Jonas einzige Sorgen zu sein, als er wieder im Wagen war.

Sarah schenkte ihm nur einen trotzigen Blick.

„Wieso bist du hier?“, klang sie beinahe wütend.

Jonas war sich aber keiner Schuld bewusst.

„Das heißt danke! Ich sorge dafür, dass du noch schneller mit deiner geliebten Luise vereint wirst.“

Das änderte aber nichts an Sarahs Mimik.

„Das war doch nicht ihre Idee, oder?“

Jonas schüttelte den Kopf.

Er war inzwischen losgefahren und legte sein Hauptaugenmerk auf die Straße.

„Nein, ich wollte die Gelegenheit nutzen um mich noch mal zu bei dir zu entschuldigen. Du musst dich ziemlich erschreckt haben.“, sagte er in reuevollem Ton.

Auch das stellte Sarah nicht zufrieden.

„Trotzdem, du hast mich erneut überrumpelt! Was denken meine Freundinnen wohl jetzt?“, machte sie sich mehr Sorgen um ihren Ruf.

Jonas schmunzelte.

„Dass du mit einem wirklich gut aussehenden Studenten liiert bist, was sonst!“

Das schien Sarah jedoch weniger zu gefallen.

„Oder ich verrate ihnen einfach, dass du nur ein perverser Stalker und Spanner bist, der mich nackt sehen wollte!“, drohte sie gespielt.

Doch damit schien sie Jonas nicht einschüchtern zu können, im Gegenteil.

„Dann wirst du ihnen aber auch erklären müssen, was genau du nackt im Bett meiner Schwester zu suchen hattest.“, konterte er.

Augenblicklich verstummte das Mädchen und bat den jungen Studenten nach vorne zu sehen.

Eine Stunde später befand sich Sarah endlich wieder in ihrer Otaku-Bude.

Luise besaß endlich einmal wieder die Gelegenheit etwas mit ihrem Bruder zu unternehmen, während sich Sarah auf die Hausaufgaben stürzte und sich auf den Abend vorbreitete.

Die Kochkünste von Christiane sagten ihr zu, sie und ihr Vater wollten gemeinsam kochen. Dachten sie etwa, dass sie Sarah mit einer leckeren Mahlzeit endgültig überzeugen konnten?

Tja, das könnte durchaus klappen, dachte Sarah vergnügt.
 

Als Juliane Fahlbusch vom Frühdienst Heim kehrte, wusste sie bereits, dass sie alleine sein würde. Es war nett, dass Jonas mehr Zeit mit Luise verbrachte, doch seine Mutter schien er außen vor zu lassen. Ob das bei allen Jungen so war? Und wann genau hatte sie aufgehört jung zu sein? Nein, bevor sie sich noch einer melancholischen Welle hingab, würde sie die täglichen Arbeiten hinter sich bringen und sich die Geschichten ihrer Kinder anhören, wenn diese zurück waren.

Sie parkte ihren Honda in der Einfahrt und hievte sich vom Fahrersitz.

Draußen schlug sie die Tür zu und schlenderte Richtung Kofferraum, wo eine Einkaufstüte auf sie wartete.

Kaum war sie davor angelangt, traute sie ihren Augen nicht.

„Ne jetzt, oder?“, stöhnte sie auf, als sie sich der Delle oberhalb ihrer Stoßstange bewusst wurde.

Diese war ihr nicht aufgefallen, als sie den Wagen startete, aber es musste passiert sein, während der Honda auf dem Krankenhaus-Parkplatz stand.

Frau Fahlbusch knirschte förmlich mit den Zähnen, womit hatte sie soviel Pech verdient? Jetzt durfte sie sich auch noch mit der Versicherung und der Reparatur herumschlagen.

Es half nichts.

Sie schleppte die Tüte in die Küche und griff dann zum Telefon. Dort wurde ihr mitgeteilt, dass es nicht schaden konnte, im Vorfeld einige Fotos von dem Schaden zu schießen, die dann dem Antrag beigelegt werden konnten.

Juliane Fahlbusch beschloss diesen Rat zu befolgen und fischte nach ihrem Handy. Leider war sie nicht sehr geübt mit diesen Dingen, sie wusste lediglich, dass es eine Fotofunktion besaß. Aber selbst wenn sie sie fand, wären diese Bilder qualitativ genug?

Und wie bitte sollte man diese dann aus dem Gerät herausbekommen? Wieder einmal wünschte sie sich in einer Welt ohne Technik zu leben.

Prompt erinnerte sie sich an die Digitalkamera, die sie ihrer Tochter zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Diese würde sie im Moment selbst gut brauchen, doch wo hatte Luise sie zuletzt liegen lassen?

Langsam trat die Frau die Treppe hoch und kehrte ins Zimmer ihrer Tochter ein. Es war unordentlicher als sonst. Vermutlich Sarah Heidenreichs Verdienst. Auf dem Schreibtisch fand sie eine Prüfung mit der Note 2 vor. Vermutlich ebenfalls Sarah Heidenreichs Einfluss.

War sie am Ende doch kein guter Umgang für Luise? Ach was, wahrscheinlich sah sie schon Gespenster. Die Freundschaft mit Sarah tat ihr offensichtlich gut, und als Mutter begrüßte Juliane diesen Umstand.

Dennoch kam es ihr spanisch vor, dass sich die beiden Mädchen so schnell anfreundeten und sich auch so gut verstanden. Ständig hockten sie zusammen, lernten, oder unternahmen etwas.

Während sie noch nachdachte, fand sie die Kamera in einer Schublade. Jetzt musste sie nur noch herausfinden wie man dieses verdammte Ding bediente. Sie hatte es zwar käuflich erworben, den Umgang damit jedoch ihrer wesentlich schlaueren Tochter überlassen.

Den ‚On-Knopf’ zu betätigen war im Vergleich zum Rest noch relativ einfach.

Sofort erschien das erste Bild auf dem Display. Es zeigte Luise, scheinbar hatte es jemand anders geschossen. Da das Datum darunter älter war, konnte es nicht Jonas sein. Sie selbst hätte sich daran erinnert, womit nur Sarah oder Sabine in Frage kämen.

Sie begutachtete die Pfeiltasten, womit sie umherscrollen konnte.

Das nächste zeigte Luise nur im Badetuch, etwas unpassend wie sie fand. Dann ein Foto von Sarah, eine Nahaufnahme ihres Gesichts. Sie war also die mysteriöse Fotographin.

Dann ein Bild wo die beiden ihre Köpfe zusammensteckten und schließlich…

In diesem Moment hätte Frau Fahlbusch das Gerät auch fallen lassen können, aber nein, sie zerquetschte es beinahe ungläubig in ihren Händen.

Sarah Heidenreich drückte ihre Tochter einen Kuss auf die Wange. Beide Mädchen wirkten überglücklich.

Aber… das konnte auch noch normale Freundschaft sein, richtig? Ein Foto weiter, das letzte im Speicher, brach die Gewissheit über sie herein. Sarah küsste Luises Hals und sie genoss es sichtlich.

Die Frau ließ die Kamera sinken und kehrte mit ihr ins Wohnzimmer zurück. Der Schaden an ihrem Wagen war wie verflogen, in diesem Moment kreiste nur in Gedanke in ihrem Kopf herum.

Ihre Tochter, ihr eigenes Fleisch und Blut war lesbisch. Und sie schien mit dieser Sarah zusammen zu sein. Nun ergab auf einmal alles Sinn. Diese ständigen Übernachtungen, wie sich Luise herrichtete, wenn sie Sarah erwarteten. Das Mädchen war nicht zu Luises neuen besten Freundin geworden.

Sondern zu ihrer Geliebten.

Kapitel 9

Luise spürte, dass es ihr gut tat, einen Tag mit ihrem Bruder zu verbringen. Er hatte sie zum Essen eingeladen, nachdem er schon keinen Bissen von der Torte abbekommen hatte.

„Und? Wie findest du sie?“, fragte Luise unvermittelt und ihr Bruder wusste sofort auf wen sie sich bezog.

„Sie ist ein nettes Mädchen.“, gab er seine Meinung wieder.

„Das meine ich nicht!“, sagte Luise scharf.

„Na gut, wenn sie hetero wäre, würde ich sie anbaggern!“, versuchte er es anders.

„Ich will wissen ob du sie akzeptierst! Als meine Freundin!“, formulierte es seine Schwester so konkret es ging.

Jonas holte tief Luft.

„Ihr beide wirkt auf mich sehr unterschiedlich. Du eher bodenständig und ernst…. und sie…“

„Ein Otaku.“, übernahm sie für ihren Bruder.

Jonas nickte, obwohl er denn Sinn davon immer noch nicht ganz kapierte.

„Ich liebe sie und sie liebt mich. Ich hatte unendliches Glück mit ihr und könnte mir nichts besseres Vorstellen.“, verdeutlichtes sie es in einer Art und Weise, die ihr vor ihrem eigenen Bruder sonst peinlich gewesen wäre.

„Du hast dich verändert. Ich glaube… sie hat dich verändert.“, wagte es Jonas zu sagen.

Luise nickte. Das war ihr natürlich nicht entgangen, besonders als es sich in ihren schulischen Leistungen widerspiegelte. Aber spielten Erfolg und Glück nicht normalerweise zusammen? Wieso musste sie eines vernachlässigen um alles unter einen Hut zu bekommen?

„Aber tu mir einen Gefallen, ja?“, meinte Jonas nun.

Luise blickte ihn erwartend an.

„Bitte ladet mich nicht zu eurer Hochzeit ein.“

„Was?“, fragte seine Schwester ungläubig.

„Naja es werden sicher nur Lesben herum laufen und ich werde keine abschleppen können. Verstehst du mein Problem?“

Luise brach in Gelächter aus und schlug Jonas leicht auf die Schulter.

„Du kannst mich hier rauslassen.“, sagte sie, als sie in die Straße einbogen, in der ihr Haus stand.

Jonas setzte sie ab und nannte ihr die Adresse und die Nummer seines Freundes wo er übernachtete. Luise fand es immer noch albern, dass er nicht zu Hause schlief wo er doch sein eigenes Zimmer hatte. Doch ihr Bruder wollte für seinen Freund da sein, der kürzlich verlassen worden war, und diesbezüglich wohl zarter besaitet war als Jonas selbst.

Luise winkte ihm noch zu, dann schlenderte sie in Richtung Einfahrt. Es wurde gerade dunkel als sie nach ihrem Schlüssel kramte und die Tür aufschloss.

Drinnen war es hell, ihre Mutter musste scheinbar nicht länger arbeiten. Ob das Essen schon bereit stand? Sarah würde wahrscheinlich ebenfalls gerade etwas für ihren Vater zaubern, dachte sie. Dann entsann sie sich allerdings, dass die Heidenreichs Besuch hatten und sich wohl gerade angeregt am Küchentisch unterhielten.

In Luises Küche stand niemand. Essen roch sie auch keines, die Herdplatte war unberührt. Im Wohnzimmer herrschte ebenfalls gähnende Leere, es blieb nur noch der erste Stock. Der Honda ihrer Mutter stand draußen, wo sollte sie sich sonst befinden, wenn nicht im Haus?

Doch im Schlafzimmer war sie nicht und auch nicht im Badezimmer. Es blieb nur Luises eigenes übrig.

Gleich als sie ihr Zimmer betrat, spürte sie, dass etwas nicht stimmte.

Stumm saß ihre Mutter auf dem Bett ihrer Tochter und hielt etwas in den Händen.

„Mama?“, fragte Luise unsicher und trat näher.

Juliane Fahlbusch hatte sie bemerkt, sah sie aber nicht an.

„Wie lange schon?“, fragte sie stattdessen.

Verwirrt wollte das Mädchen nachfragen, doch dann fiel ihr die Kamera auf. Sie hätte sich das Display gar nicht genauer ansehen müssen, die Situation war eindeutig.

„Sarah ist keine gewöhnlicher Freundin, nicht wahr?“, klang der Ton der Frau nun schärfer.

Luise hielt sich die Hände vor den Mund.

„Mama, es tut mir leid. Ja, wir sind zusammen.“

Der Blick ihrer Mutter konnte in diesem Moment nur als eisig beschrieben werden.

„Und du liebst Frauen.“, fuhr sie fort.

Luise sammelte allen Mut den sie aufbringen konnte.

„Ja, das tue ich. Und im Moment liebe ich Sarah! Nein, das werde ich sogar immer tun. Ich bin lesbisch! Zufrieden?“

Juliane Fahlbusch schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf.

„Was habe ich nur falsch gemacht?“, sagte sie mehr zu sich selbst.

„Nichts! Ich bin so, niemand kann etwas dafür. Und es ist auch nichts Schlimmes. Du hast selbst gesagt, dass du Sarah magst und dass sie ein guter Umgang für mich ist.“, erinnerte sie die Frau.

Diese lachte nun gekünstelt.

„Bis jetzt vielleicht. Du wirst Sarah nie wieder sehen, hast du verstanden?“

In diesem Moment zerbrach etwas in Luise, sie konnte aber nicht genau sagen was es war.

„Das… das kannst du mir gar nicht verbieten!“, kreischte sie und drehte sich um. Ohne groß nachzudenken lief sie davon, erst auf den Flur, dann die Treppe hinunter. Ihre Mutter versuchte ihr zu folgen, gab es nach einer Zeit aber auf.

Luise selbst hatte langsam Tränen in den Augen, doch sie kannte nur ein Ziel. Es war egal wenn ihre Mutter ihr dorthin folgen sollte, die Bombe war geplatzt.

Ständig hatte sie sich vor der Reaktion gefürchtet, aber erst jetzt war ihr klar warum.

Keuchend rannte sie über den Rasen des Nachbargrundstücks und hämmerte richtig gehend an die Tür.

Ängstlich sah sie nach hinten, doch ihre Mutter schien ihr nicht zu folgen.

Sarah aufgeben? Nur weil ihre Mutter es von ihr verlangte? Nein, das konnte sie nicht. Es würde die erste Bitte sein, die Luise ihr abschlug. Wer zwang jemanden bitte sich zwischen seiner Mutter und der Person zu entscheiden, die man über alles liebte? Sowas konnte Luise gar nicht.

Aber… hatte sie das nicht bereits, als sie in Richtung von Sarahs Armen lief.

Die Tür sprang auf, vor ihr stand eine Frau die sie nicht kannte. Es war peinlich diese Person mit tränenreichem Gesicht um Einlass zu bitten, doch Luise wollte jetzt einfach nur zu Sarah.

Sarah, Sarah, Sarah und nochmals Sarah.

„Ähm… Joachim?“, rief die Frau nach hinten, doch Luise konnte nicht solange warten.

Sie drängte sich ins Haus ohne einen Ton von sich zu geben und rannte die Treppe hinauf, wo sich Sarahs Zimmer befand.

„Was ist los?“, kamen Sarah und Herr Heidenreich aus der Küche gesprintet.

„Irgendwie… ist gerade ein heulendes Mädchen an mir vorbei gerannt, direkt nach oben.“, war Christiane sichtlich mit der Situation überfordert.

„Das… wird wohl Luise von nebenan gewesen sein.“, schloss Herr Heidenreich schnell.

Sarah wartete keine Sekunde mehr, sondern lief so schnell wie sie ihre Beine trugen. Beinahe stolperte sie über einen Treppenabsatz, doch das beeindruckte sie nicht. Luise schien sie zu brauchen, daran bestand kein Zweifel mehr.

In ihrem Zimmer angekommen fand sie Luise zusammen gekauert auf ihrem Bett vor. Schluchzend schlug sie auf ihr Dakimakura ein.

„Das solltest du lieber lassen, Tsurara kann ganz schön sauer werden.“, redete sie besänftigend auf sie ein.

„Sarah!“, jammerte Luise und das Mädchen schritt sofort zu ihr um sie in den Arm zu nehmen.

„Ist ja schon gut, ich bin bei dir Schatz!“, versicherte sie und streichelte ihr übers Haar.

„Ich will dich nicht verlieren, das will ich einfach nicht!“, krächzte ihre Freundin nur.

„Das wirst du auch nicht! Wie kommst du auf diesen Unsinn?“

Langsam und stockend begann Luise von ihrem Erlebnis zu berichten und bald übertrug sich ihre Niedergeschlagenheit auch auf Sarah.

„Scheisse.“, stöhnte sie.

„Hundescheisse.“, korrigierte Luise.

Beide Mädchen hatten natürlich Angst, dass Frau Fahlbusch jeden Moment an ihrer Tür klingelte und ihre lesbische Tochter nach Hause holen wollte. Auch Sarahs Vater würde davon erfahren, dann besaßen sie gar keinen Zufluchtsort mehr.

„Sarah, ich kann nicht mehr nach Hause!“, jammerte Luise weiter, doch auch ihrer Freundin fiel kein passender Rat ein. Was sollte sie tun? Ihren Vater bitten ihre Freundin zu adoptieren? Sie in ihrem geheimen Yuri-Schrank verstecken?

„Ich… sehe mal ob unten die Lage rein ist, ok?“, löste sie sich von Luise, doch diese klammerte sich an ihr fest.

„Nein! Bitte bleib bei mir.“, wollte sie im Moment keineswegs verlassen werden.

„Nur einen Moment, ok? Ich beeile mich, weil mein Vater und Christiane sonst deine Mutter anrufen, das wäre nicht gut, schätze ich.“

Das wirkte. Luise ließ Sarah gehen und diese verwies auf ihr Dakimakura.

„Nimm Tsurara als Ersatz solange ich weg bin. Mir hat sie auch durch einsame Nächte geholfen, aber jetzt habe ich ja dich.“, küsste sie das Mädchen auf die Stirn und verließ dann das Zimmer. Sie hastete die Treppe hinab und fand ihren Vater vor, der sich seine Jacke überzog und nach draußen wollte.

„Warte! Du willst doch nicht zu Frau Fahlbusch, oder?“, versuchte sie ihn daran zu hintern.

„Ich muss! Mit mir redet ja niemand und es ist eindeutig etwas vorgefallen. Juliane ist sehr nett, mit ihr kann man sich wenigstens normal unterhalten.“

Sarah hätte am liebsten losgelacht bei dem Gedanken. Diese Frau konnte sich doch nicht einmal konstruktiv mit der sexuellen Orientierung ihrer Tochter auseinandersetzen.

„Luise und ihre Mutter hatten einen Streit, also bleib bitte.“

Doch dies schien Herr Heidenreich nicht als Argument anzusehen.

„Ein Grund mehr die Sache schleunigst zu klären!“, war seine Hand schon am Türgriff.

Sarah sah hilfesuchend zu Christiane und diese hielt den Mann an der Schulter zurück.

„Jetzt warte doch, Joachim! Bei einem Streit ist es das Beste, dass sich beide Parteien erstmal beruhigen. Lass mich zuerst mit dem Mädchen reden, einverstanden?“

Herr Heidenreich dachte einen Moment über die Option nach und willigte ein, auch wenn er nicht vollends überzeugt war. Aber selbst er ging die Dinge meistens nie direkt an, was man an seiner geheimen Beziehung feststellen konnte. Er nickte und wollte solange in der Küche warten und sich weiter um das vernachlässigte Essen kümmern.

„Moment, ich werde Luise holen.“, sagte Sarah und hastete wieder die Treppe nach oben.

Als sie ihr Zimmer betrat, erschrak sie zuerst. Luise war nicht mehr da. War sie vor Panik aus dem Fenster gesprungen? Nein, eher unwahrscheinlich.

Schließlich nahm das Mädchen wahr, dass die Kammer offen stand, in der sie ihr sämtliches Yuri-Zeug aufbewahrte.

Luise hockte darin und starrte auf die Poster und CD-Hüllen.

„Ist das… wirklich falsch?“, fragte sie als Sarah in Sichtweite war.

Diese stockte. Stand ihre Freundin auf einmal nicht mehr zu sich? Oder zu ihnen beiden? Dachte sie ernsthaft über das Gesagte ihrer Mutter nach? Wollte sie Ärger vermeiden indem sie Sarah…

„Sag sowas nicht Liebes! Was wir haben ist wunderbar und niemand wird uns das wegnehmen!“, stürzte sie zu dem Mädchen und hielt es liebevoll im Arm.

Zusammen legten sie sich wieder auf das Bett und Luise legte ihren Kopf auf Sarahs Brust, welche diesen liebevoll hielt und streichelte.

„Ich weiß einfach nicht weiter!“, beschwerte sich die Ausgestoßene, doch Sarah fuhr einfach weiter über ihren Kopf und wischte ihr hin und wieder eine Träne aus dem Gesicht.

„Ich bin ja bei dir.“, flüsterte sie, wurde aber von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.

Christiane stand vor dem Zimmer und beobachtete die zärtlichen Gesten der beiden.

Luise wirkte gleich noch verzweifelter, doch Sarah redete ihr gut zu.

„Einen Moment, ja Schatz?“

Sie erhob sich und Luise igelte sich ein.

„Können wir draußen…?“, begann Sarah, doch scheinbar war das nicht nötig.

Christiane begleitete sie auf den Gang und sah sie erwartend an.

Sarah fuhr sich immer wieder nervös über die Oberarme.

„Wirst du… es Paps sagen?“, schien ihr diese Frage im Moment am wichtigsten zu sein.

Christiane holte tief Luft.

„Eines nach dem anderen. Du und diese Luise liebt euch, nicht wahr?“, schien sie das Offensichtliche erkannt zu haben.

Sarah nickte bedächtig.

„Ihre Mutter hat es herausgefunden und war nicht sehr erfreut. Kannst du Paps überreden… dass sie heute hier bleiben kann?“, startete sie einen Versuch.

Christiane dachte erst darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf.

„Vor so einer Situation weg zu laufen bringt niemanden weiter. Ich schlage vor, ihr beide sprecht noch heute mit der Frau. Ich begleite euch als Vermittlerin. Nach dem was mir Joachim von ihr erzählt hat, ist sie eine freundliche Person. Wahrscheinlich ist sie nur mit der Situation überfordert und weiß selbst nicht was richtig und falsch ist.“, schlug sie vor.

Sarah hatte sichtlich Probleme diesem Vorschlag zuzustimmen.

Gemeinsam begaben sie sich ins Zimmer zurück und Luise sah sie erwartend an.

„Wir müssen… zu Mama, oder?“

Sarah wusste nicht, ob sie das Gespräch belauscht hatte, es von ihren Gesichtern ablas, oder selbst darauf schloss.

„Ich denke… das ist das Beste.“, erwiderte Christiane kühl und sachlich.

Luise nickte und zog ihr Handy aus der Hosentasche.

„Gut, aber lasst mich vorher noch jemanden anrufen.“, bat sie um den Gefallen.

Es dauerte nicht lange, bis sich ihr Gesprächspartner meldete.

„Hallo? Ich bin es, hast du Zeit? Ich… ich brauche dich jetzt.“
 

Sarah spürte förmlich wie fest Luise ihre Hand hielt, wollte die Umklammerung aber keinesfalls lösen. Bei ihrem Tempo hätte sie sogar die berühmte Schildkröte aus der Fabel überholen können, ohne sich erst mieser Tricks zu bedienen.

Doch der Grund war nicht Luises Ängstlichkeit, zumindest nicht vordergründig. Die beiden Mädchen vertrauten Christiane, aber sie war eine Fremde. Sie hatte Frau Fahlbusch zuvor noch nie zu Gesicht bekommen und diese würde vielleicht nicht auf sie hören. Dabei spielte es keine Rolle, ob Christiane selbst Mutter war, oder die Lebensgefährtin ihres Nachbarn.

Wahrscheinlich würde sie sogar erbost darüber sein, dass sich jemand in ihre Familienangelegenheiten einmischt.

Das Warten schien sich Schluss endlich doch gelohnt zu haben. Ein blauer Wagen parkte am Straßenrand, der ohne das laute Geräusch des Motors leicht in der Nacht untergegangen wäre.

Jonas Fahlbusch trat heraus und schritt bestimmt auf die Gruppe zu.

Nur ungern riss sich Luise los, als ihr Bruder das etwas verstörte Mädchen in die Arme nehmen wollte.

„Lasst mich nur machen, ich rede mit Mama.“, sagte er entschieden, bis ihm dann auch die Anwesenheit Christianes auffiel.

Sporadisch schüttelten sie sich die Hände und beratschlagten wie sie vorgehen sollten.

Luise hielt weiterhin Sarahs Hand, während Jonas die Klingel betätigte.

Er besaß zwar einen Schlüssel, aber so ganz unangemeldet wollte er nicht eindringen. Erstaunlicherweise war die Tür aber noch einen spaltbreit offen, sicher daher rührend, als seine Schwester Hals über Kopf geflüchtet war.

Er schluckte und bat seine Anhängsel einzutreten.

Drinnen brannte Licht, Jonas führte die Gruppe in Richtung Wohnzimmer, da der Fernseher offensichtlich lief.

Juliane Fahlbusch hockte auf der Couch und zappte sich durch die Kanäle. Erst musterte sie Jonas, dann Luise und war schließlich bei Sarah angelangt.

„Du! Du kleine…“, sprang sie auf und stolzierte erbost in die Richtung des Mädchens.

Jetzt war es Sarah, die sich am liebsten hinter ihrer Freundin versteckt hätte.

Jonas Fahlbusch blieb aber souverän und ging dazwischen.

„Mama, jetzt beruhige dich! Was ist überhaupt mit dir los, so kenne ich dich gar nicht.“, redete er auf die Krankenschwester ein.

Diese wollte sich aus dem Griff ihres Sohns lösen, doch vergebens.

„Ich frage mich eher wie du so ruhig bleiben kannst! Warst du nicht auch geschockt, als du es erfahren hast?“, verlangte sie zu erfahren.

Jonas schüttelte zu ihrer Überraschung aber nur den Kopf.

„In gewisser Weise kam es aus dem Nichts, ja. Aber das hat für mich nichts geändert, im Gegenteil. Seitdem unterstütze ich sie so gut ich kann.“, stand er für Luise ein.

Doch damit erreichte er nur, dass sich der Zorn der Frau auch gegen ihn richtete.

„Das war mir natürlich klar, dass du es schon länger wusstest. Wahrscheinlich auch von dieser Göre, die Luise zu diesen Dingen verführt hat.“

Das ließ die Beschuldigte sich aber nicht gefallen.

„Moment mal, ich bin kaum die Verursacherin, dass Luise sich für Frauen interessiert. Sie ist nun einmal so, und ich bin verdammt froh deshalb, da wir sonst nicht zusammen wären. Und Sie sollten es auch sein, haben Sie denn nicht mitbekommen wie gut es Ihrer Tochter in letzter Zeit ging?“, wand sie ein.

Frau Fahlbusch musterte das Mädchen missbilligend.

„Hören Sie, ich wäre im ersten Moment auch geschockt, wenn ich Sie wäre.“, sagte Christiane nun mit leiser Stimme.

„Wir wollen nur das Beste für unsere Kinder, doch wer sagt uns was das ist? Viele Eltern glauben das zu wissen und geben ihnen deshalb einen Weg vor, von dem sie verlangen, dass er beschritten wird. Ich weiß, Sie kennen mich nicht, aber ich konnte beobachten wie die beiden Mädchen miteinander umgehen, sie bedeuten einander wirklich alles. Und sie sind auch alt genug um für sich selbst zu entscheiden, niemand hat das Recht sie auseinander zu reißen.“, gab sie der Frau einen Rat unter Gleichgesinnten.

Frau Fahlbuschs Blick wirkte nun nachdenklicher, wenn auch genauso aufgewühlt.

Luise löste sich nun von Sarah und trat vor ihre Mutter. Liebevoll nahm sie diese in den Arm und schluchzte weiter.

„Bitte Mama! Ich liebe Sarah und will sie nicht verlieren. Tu mir sowas Schreckliches nicht an.“, flehte sie verzweifelt.

Es brauchte eine Weile, bis ihre Mutter die Umarmung erwiderte und das Mädchen fest an sich drückte.

„Aber… ich will dir doch nicht schaden, verstehst du? Auf diese Art wirst du es nur schwerer haben und vielleicht irgendwann unglücklich werden. Du bist nach wie vor meine Tochter, jetzt kann ich noch Einfluss auf dich ausüben.“, erklärte sie sich.

Luise schüttelte eisern den Kopf.

„Mama, ich weiß doch was ich tue! Ich habe es mir zwar nicht ausgesucht lesbisch zu sein, aber jetzt bin ich heilfroh deswegen! Ich habe Sarah kennen gelernt und ich liebe sie über alles. Mir ist es egal ob ich es schwer haben werde, oder nicht. Ich will mit ihr zusammen bleiben, das ist alles worum ich dich bitte!“, sprudelte es aus ihr heraus.

„Mama, wollen wir ihr nicht alle dabei beistehen? Als Familie?“, schlug Jonas vor und Juliane Fahlbusch schien gerade nachzudenken, ob sie dies mit sich vereinbaren konnte.

Schließlich ließ sie von Luise ab und schritt zu Sarah. Diese wich kurz zurück, doch was würde ihr die Frau schon antun?

„Luise ist meine Tochter. Sie ist das Wichtigste für mich.“, sprach sie dann.

Sarah nickte zustimmend.

„Für mich auch. Ich schwöre Ihnen, dass ich alles tue, damit sie glücklich ist.“, versicherte sie ihr nochmals.

Juliane Fahlbusch nickte bedächtig und trat dann auf den Gang hinaus.

„Jonas, ich habe nicht erwartet dich heute zu sehen, aber die Zutaten müssten ausreichen. Das Zubereiten geht schnell, wenn du und Luise mir helft.“, wand sie sich an ihren Sohn und blickte dann zu Christiane.

„Sie müssen uns nicht auch einladen, ich, Sarah und Joachim haben selbst gekocht und unser Essen wird bald kalt werden, wenn wir uns nicht sputen.“, entgegnete diese.

Frau Fahlbusch nickte und entschuldigte sich für den Aufruf den sie verursacht hatte.

Wenig später verabschiedete sich Sarah von Luise, wenn auch nur mit einer zarten Umarmung. Ein Kuss hätte die besorgte Mutter im Moment wohl etwas überfordert.

Sarah versprach ihre Freundin morgen anzurufen, dann verließ sie mit Christiane das Haus.

Draußen atmete sie tief durch, beinahe hätte sie ihren ganzen Frust in die Nacht geschrieen.

„Sie brauchen im Moment einfach etwas Zeit für sich, alle drei. Luises Mutter muss sich mit diesem Gedanken erst anfreunden und Jonas ist ein sehr guter Vermittler. Glaub mir, wenn etwas Zeit vergeht, wird sie dich wieder mit offenen Armen in ihrem Haus begrüßen.“, unternahm Christiane einen Versuch ihren Schützling aufzumuntern.

Sarah musste unwillkürlich schmunzeln. Sie zweifelte daran, ob es wirklich so einfach war, konnte aber nur abwarten wie die Dinge verlaufen würden. Am liebsten hätte sie Luise heute nicht mehr alleine gelassen, doch eine Aussprache innerhalb der Familie war wohl unvermeidlich. Dann viel ihr aber noch etwas Elementareres ein.

„Müssen wir… jetzt etwa auch noch mit Paps über alles reden?“, kamen schon die schlimmsten Befürchtungen in ihr hoch.

Christiane fing ihren bittenden Blick auf und schüttelte dann zu ihrer Erleichterung den Kopf.

„Irgendwann wirst du diesen Schritt hinter dich bringen müssen. Aber für heute… habe ich erst einmal genug von heiklen Coming-Outs. Lass uns jetzt etwas essen.“, schlug sie vor und kehrte mit Sarah zurück ins Haus, wo deren Vater schon ungeduldig und außen vor gelassen wartete.

Kapitel 10

Luise konnte es gar nicht fassen wie schnell die Zeit vergangen war. Es war nicht leicht gewesen, ihre Mutter hatte den Umstand, dass sie nie einen Schwiegersohn haben würde nicht so einfach akzeptieren können. Während das Mädchen draußen die ersten Schneeflocken im Jahr beobachtete, dachte sie an Sarah. Diese saß ebenfalls im Unterricht und versuchte den Stoff in ihren Kopf zu kriegen. Seit dem Vorfall hatten sie mehr Zeit in ihrem Haus verbracht, was gerade zu ironisch war, angesichts dessen, dass Herr Heidenreich selbst noch nichts von dem geheimen Pärchen wusste. Doch Luises Mutter würde diesen Umstand keineswegs erwähnen, das hatte sie ihrer Tochter versprechen müssen. Sarah hatte versprochen ihren Vater erst etwas zu sensibilisieren, was immer das auch heißen mochte. Doch sie hatte Christiane an ihrer Seite, eine Frau auf die man sich verlassen konnte, wie es Luise erschien. Einmal hatten die beiden bei Luise im Wohnzimmer gehockt und sich einen Liebesfilm angesehen. Sarah war müde gewesen, da sie zuvor noch gelernt hatten und legte ihren Kopf auf den Schoß ihrer Liebsten ab. Luise hatte immer wieder sanft durch ihre Haare gestreichelt, bis ihre Mutter unerwartet ins Zimmer schritt. Luise hatte ihr Tun sofort gestoppt, doch Frau Fahlbusch hatte ihr nur zugenickt und war dann weiter in die Küche marschiert.

Dennoch verhielten sich die beiden diskret, kaum vorzustellen was passiert wäre, wenn ihre Mutter erschien, wenn die beiden gerade ein Bad nahmen. Oder schlimmer, sich ihrem gewöhnlichen Treiben im Bett hingaben. An Tagen welche die beiden gemeinsam verbringen konnten und sowohl Herr Heidenreich, als auch ihre Mutter zu Hause waren UND an denen Sarah ihre romantische Seite einfach nicht unter Kontrolle halten konnte, war Luise gezwungen den CD-Player auf die möglichst höchste Lautstärke zu stellen, um etwaige Geräusche zu übertönen.

Nach dem Unterricht wurden Luises Pläne zusammen mit Sarah Hand in Hand den Heimweg anzutreten zu Nichte gemacht. Es war ihre Freundin, die einen abgelegenen Weg vorschlug wo ihnen niemand skeptische Blicke zuwerfen konnte zu nutzen.

Sabine bat sie ihr zu folgen und als beste Freundin konnte Luise schwer abschlagen. Das Mädchen wurde in einen der AG-Räume geführt, wo bereits Viktoria, Jasmin und noch ein Mädchen aus der Parallelklasse warteten. Luise war klar, dass die Anwesenden etwas von ihr wollten, vor allem nachdem ihr extra ein Kaffee angeboten wurde.

„Ich habe es euch doch gesagt, oder? Luise ist so nett und kameradschaftlich, sie wird uns bestimmt helfen.“, klopfte Sabine ihrer Freundin auf die Schulter.

Die anderen sahen sie bittend an, obwohl Luise noch keinen Plan hatte was hier eigentlich abging.

Es war Viktoria die zu einer Erklärung ansetzte.

„Es sind noch zwei Wochen bis zum Weihnachtsfest in der Schule, und unsere Klassenlehrer haben uns doch nahe gelegt etwas zu präsentieren, richtig?“

Luise nickte, daran konnte sie sich noch erinnern. Allerdings füllte sie bereits den Posten der Klassensprecherin aus, wie sollte sie also zu noch mehr Allgemeinwohl beitragen.

„Naja, jede Stufe soll etwas aufführen, manche bilden eine kleine Band – ob gut oder schlecht sie mal dahin gestellt -, andere machen Dia-Vorführungen über ihre Klassenausflüge, und andere präsentieren kleine Stücke. Wir dachten, wir sollen auch zu dieser Gruppe gehören. Also sammeln wir nun Leute aus der 10A, B und C um ein kurzes, aber eindrucksvolles Theaterstück darzubieten.“

Luise musste die Informationen erst einmal verarbeiten.

„Ein Theaterstück? Und es soll schon in 2 Wochen auf die Bühne?“, hakte sie skeptisch nach.

Jasmin winkte schnell ab.

„Es soll ja nicht perfekt werden, im Gegenteil. Wirkt sogar etwas charmant wenn die Leute hin und wieder einen Lacher loslassen.“, stand für sie fest.

Luises Blick schweifte im Zimmer umher, praktischerweise war es bereits der Raum für die Theater und Kultur-AG, vieles was sie benötigen würden, stünde schon zur Verfügung. Dennoch war die Vorstellung etwas vor versammelter Mannschaft, nein in einem Saal voller Schüler, Lehrer und vielleicht sogar Eltern darzubieten ein etwas abschreckender Gedanke. Dann wurde ihr aber wiederum bewusst, dass Sarah keineswegs Scheu davor zeigen würde, sondern mit Elan an die Sache heransteuern würde.

„Und wer spielt sonst noch mit?“, ging sie erst einmal darauf ein.

Zögernde Blicke innerhalb der Gruppe.

„Also… Jasmin, Viktoria und Ilsa sind fest dabei. Jasmin übernimmt neben dem Schauspiel noch die Kostüme, Viktoria die Bühne und Ilsa die Organisation. Und ich bin nicht gut im schauspielern, ich übernehme deshalb die Regie.“, teilte ihr Sabine mit.

Luise seufzte, es sah ihrer Freundin ähnlich, sich selbst aus sowas weitestgehend herauszuhalten. Dennoch, vier Darsteller waren etwas wenig, egal was für ein Stück es sein sollte.

„Naja, Sabine macht im Notfall einen Komparsen, aber sonst planen wir eine Szenenanreihe aus ‚Der verschwundene Prinz’ aufzuführen. Aber nur die Geschichte um die Hauptcharaktere, anders wäre es viel zu aufwendig. Kostüme, Darsteller und Proben wären in zwei Wochen niemals zu bewältigen. Wir brauchen also Prinz, Prinzessin, zwei Normalos, einen Zauberer und Sabine die kurz eine Dienerin porträtiert. Es sind also sechs Rollen die verteilt werden müssen.

Luise nickte verstehend, obgleich sie nie von dem Inhalt des Stücks gelesen hatte.

„Moment, sechs sagt ihr? Dann fehlt noch eine weitere Person.“, stellte sie fest.

Sabine nickte zustimmend.

„Ein Prinz wäre nicht schlecht, doch wir haben bereits alle Jungs durch, die für diese aussagekräftige Rolle in Betracht kämen. Also wird das einer von uns übernehmen, und für die Prinzessin hätte ich da eine ganz besondere Idee.“, sagte sie mit schelmischem Gesichtsausdruck.

Doch immer noch konnte Luise ihr nicht ganz folgen. Dann beugte sich ihre Freundin zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr.

„Ich soll bitte was?“
 

„Ich soll bitte was?“, fragte Sarah erstaunt, als die beiden mitten in ihren Weihnachtsvorbereitungen waren.

Sowohl für sie als auch für Luise gäbe es nichts schöneres, als den Heiligen Abend gemeinsam zu verbringen. Doch das war leichter gesagt als getan. Sarahs Vater davon zu überzeugen war nicht schwer, auch wenn dieser am liebsten Christiane und ihre Kinder dabei haben wollte. Zwei Mäuler mehr die es zu stopfen galt, war nicht das Problem, aber würde Frau Fahlbusch wirklich diskret sein können? Würde sie für ihre Tochter lügen, wenn eine verräterische Frage aufkam?

Die beiden Mädchen saßen in Sarahs Küche und beratschlagten weiter ihre Pläne, bis Luise mit Sabines abstrusen Vorschlag ankam.

„Du kennst Sabine doch. Mit dir als Prinzessin meint sie, würde das Stück sicher ein Erfolg sein. Dabei spielt sie wahrscheinlich auf die Jungs an die dich im Kostüm sehen wollen.“, wurde sie konkreter und Sarah nickte nur.

„Ich bin also für den Fanservice verantwortlich, ja? Naja, so abwegig ist der Gedanke gar nicht, immerhin bin ich ja auch eine Prinzessin, oder?“, fragte sie mit verführerischen Blick.

„Ein Prinzesschen.“, murmelte Luise, während sie sich zwei Solleti in den Mund schob.

Mit gespielter Empörung stand Sarah auf.

Wenige Sekunden später kam Herr Heidenreich in die Küche getreten.

„Ach Paps, was hältst du davon, wenn ich eine Prinzessin werde?“, fragte sie erwartend.

Ihr Vater musterte sie überrascht.

„Du bist doch schon meine Prinzessin.“, erinnerte er.

Sarah seufzte und begann von Sabines Idee des Theaterstücks zu erzählen.

„Das klingt doch nach einer netten Idee. Selbst ich werde versuchen mir den Tag freizuhalten.“, erwiderte er.

Sarah sah mit einem viel versprechenden Blick zu Luise.

Diese stand auf und reichte dem Vater ihrer Freundin erst einmal die Hand.

„Sarah wäre uns bestimmt eine große Hilfe, da wir unbedingt eine Darstellerin für die Prinzessin benötigen. Sie haben also… nichts dagegen?“

Herr Heidenreich schüttelte den Kopf und verneinte lakonisch.

„Nicht im geringsten. Außerdem… durch dich haben sich die Noten meiner Tochter stark verbessert, ich schulde dir so gesehen sogar noch was. Also von mir aus kannst du mit ihr anstellen was immer du willst.“, gab er seine Einwilligung und stellte eine Tasse Kaffee auf.

„Hast du gehört? Was immer du willst.“, raunte Sarah ihrer Freundin ins Ohr.

Diese schluckte und zog das Mädchen mit sich.

„Am besten kommst du morgen in der Pause vorbei und wir besprechen alles. Dann können wir auch gleich proben.“, erklärte sie ihr im Wohnzimmer, doch Sarah zögerte.

„In der Pause gern, aber… Nachmittags habe ich schon was vor. Ich… habe einer Freundin versprochen ihr bei was zu helfen. Ist langweilig du willst es gar nicht genauer wissen.“, versicherte sie.

Luise hob beide Augenbrauen und nickte dann.

„Gut, ich habe morgen auch noch einige Besorgungen zu erledigen, auch wenn Sabine das nicht freuen wird. Es bleiben knappe zwei Wochen für die ganzen Proben.“, erinnerte sie.

Sarah nickte, tat die Sache aber ab.

„Es muss doch nicht perfekt werden, oder? Keine von uns will den Oscar abstauben oder so.“

Luise gab ihr recht, auch wenn sie sich gewünscht hätte, dass ihre Freundin die Sache etwas ernster nahm.

„Sag mal… deine Mutter ist heute doch zu Hause, oder?“, war ihre nächste Frage.

Luise nickte und dachte kurz nach.

„Aber so oder so, sie mag es nicht wenn du während der Woche bei mir übernachtest.“, räumte sie ein.

Sarah schmunzelte.

„Hat sie Angst, dass ich dich die ganze Nacht wach halten könnte?“

Luise räusperte sich lautstark.

„Zudem wollte ich heute ohnehin noch bei Sabine vorbeischauen, ich habe also leider nicht viel Zeit.“

Zu ihrer Verblüffung erkannte sie in Sarahs Gesicht statt Missmut nun Freude. Oder bildete sie sich das bloß ein?

„Du das macht gar nichts. Ich habe auch noch zu tun, viel Spaß bei ihr.“, küsste sie ihre Liebste auf den Mund und verabschiedete sie.
 

Aus dem Fenster im ersten Stock aus, beobachtete sie wie Luise das Haus und wenig später die Straße verließ. Schnell huschte das Mädchen in den Garten, wechselte das Grundstück und klingelte kurz darauf an der Haustür des Nachbargebäudes.

Nach einiger Zeit öffnete Frau Fahlbusch und beäugte Sarah skeptisch.

„Du hast Luise gerade verpasst.“, wirkte sie etwas abweisend, obwohl Sarah geglaubt hatte, ihre Beziehung würde sich langsam auflockern.

„Ich weiß, ich wollte zu Ihnen.“, gestand sie.

Luises Mutter sah sie verdutzt an und bat sie herein.

„Wenn du mit mir über eure Beziehung sprechen willst…“, begann sie, doch Sarah wehrte sofort ab.

„Ähhmm…. Das muss jetzt nicht sein. Mir ist bewusst, dass es nicht einfach für Sie ist und Sie Ihre Zeit brauchen das vollständig zu akzeptieren. Da Weihnachten vor der Tür steht, wollte ich mir bei Ihnen lediglich ein paar Tipps wegen Luises Geschenk einholen, mehr nicht.“, verriet sie den Grund ihres Erscheinens.

Frau Fahlbusch dachte einige Zeit darüber nach.

„Verstehe, aber ich glaube ich bin da fehl am Platze. Ich weiß nicht wirklich was in meiner Tochter vorgeht, du bist das beste Beispiel dafür. Außerdem müsstest du sie doch inzwischen etwas besser kennen, oder?“

Sarah nickte betreten.

„Schon, sie würde sich bestimmt über ein gutes Buch, oder eine CD freuen, aber das ist alles etwas trocken. Es ist unser erstes gemeinsames Weihnachten und es soll etwas Besonderes werden.“, gestand sie.

Frau Fahlbusch verstand und überlegte weiter.

„Trotzdem bist du bei mir an der falschen Adresse. Aber ich gebe dir gerne Jonas’ Nummer, er könnte einige gute Tipps parat haben.“, schlug sie vor.

Dieses Angebot nahm Sarah prompt an und wenig später wählte sie in ihrem Zimmer die Nummer des jungen Studenten.

„Ja?“

„Hier ist Sarah.“, meldete sich die Bittstellerin.

„Welche Sarah?“, fragte Jonas erstmal verdutzt.

„Die ‚Ach die habe ich doch mal nackt gesehen Sarah’!“, half sie ihm auf die Sprünge.

„Äh…“, kam es nur.

„Hey, wie viele Sarahs hast du denn schon nackt gesehen? Nein, warte ich will es gar nicht wissen. Was schenkst du Luise zu Weihnachten?“

„Einen Haartrockner.“, erwiderte Jonas noch etwas perplex.

„Autsch.“, entfuhr es Sarah.

„Nicht gut?“, hakte der Student nach.

Sarah stöhnte nur.

„Folgende Situation: Ich habe noch kein passendes Geschenk und deines ist beschissen.“

„Vielen Dank.“, meinte Jonas etwas eingeschnappt.

„Hast du morgen vielleicht Zeit? Wir könnten gemeinsam shoppen gehen und uns gegenseitig beraten.“, schlug sie vor.

Jonas überlegte diesen Vorschlag einen Moment, etwas zu lange wie Sarah fand.

„Ja, morgen Nachmittag habe ich Zeit. Wo und wann treffen wir uns?“

Nachdem Jonas seinem verlassenen Freund geholfen hatte, war er abgereist, wohnte allerdings gerade mal in der Nachbarstadt. Sarah sagte zu den Bus zu nehmen und um Punkt 16 Uhr in einem kleinen Café nahe der Universität auf ihn zu warten.
 

Sarah fühlte sich beinahe schuldig, Luise angelogen zu haben, oder ihr zumindest dieses Treffen zu verschweigen. Aber es war wegen eines guten Zwecks, oder?

Sie hatte es nicht einmal geschafft während der Pause in der Theater-AG vorbeizuschauen weil sich Lena über ihren Freund aufregen musste und verschob es auf morgen.

Jonas Fahlbusch betrat das Lokal und Sarah winkte ihm zu. Mit der etwas klischeehaften Umhängetasche trat er zu ihr und setzte sich.

„Verschwörer Nummer 2 ist eingetroffen.“, begrüßte er das Mädchen.

„Verschwörerin Nummer 1 wartet schon 15 Minuten.“, erwiderte diese kühl.

„Verschwörer Nummer… Moment mal, deine Bitte kam ohnehin recht kurzfristig, sei froh, dass ich hier bin.“

Sarahs darauf folgender Blick hätte töten können.

„Ist dir deine Schwester egal? Und der Weihnachtsgeist?“

Jonas wehrte sofort ab.

„Mein Weihnachtsgeist stellt sich erst in zwei Wochen ein und meine Schwester ist mir alles andere als egal. Erinnerst du dich nicht, dass ich euch zur Seite gestanden bin als unsere Mutter lynchen wollte? Außerdem habe ich bereits ein Geschenk.“

„Hatte!“, korrigierte Sarah. „Sie hat bereits einen funktionierenden Haartrockner und gerade von ihrem Bruder sollte etwas Persönlicheres kommen.“, stand für sie fest.

Jonas nickte nur immer wieder und gab ihr dann recht. Er beschrieb ihr ein großes Einkaufszentrum gleich in der Nähe, in dem die beiden bestimmt fündig werden würden.

Jonas wollte gerade nach seinem Geldbeutel fischen, als er erschrocken umherfuhr.

Jemand hatte geklopft, direkt neben seinem Gesicht. Verdutzt blickte er zu der Scheibe, die Sicht war auf die Straße ausgerichtet.

Auch Sarah erkannte nun eine junge Frau die aufgeregt winkte, scheinbar kannten sie und Jonas sich. Als sie Anstalten machte das Café zu betreten, weiteten sich Jonas’ Augen merklich.

„Verdammt, das ist Melli.“, biss er sich auf die Lippen.

Sarah hingegen verstand nur Bahnhof und beobachtete wie die Frau einige Meter entfernt das Lokal betrat und in ihre Richtung steuerte.

„Meine Ex, sie kann mich einfach nicht in Ruhe lassen.“, flüsterte er.

Erst jetzt fielen Sarah die anderen jungen Leute im Café auf. Es schien sich um einen begehrten Treffpunkt für Studenten zu handeln, und nun schien sich Jonas zu wundern, dass er auf seine Ex traf.

„Jonas-Schatzi!“, begrüßte Melli den Jungen freundlich und wollte ihm einen Kuss auf die Wange geben. Sarah schien sie dabei völlig zu ignorieren.

„Mellisa, denkst du so eine Wortwahl ist in einer Situation wie der unserigen passend?“, wehrte er sie ab.

Seine Ex-Freundin seufzte resigniert.

„In jeder Beziehung gibt es einmal Höhen und Tiefen, willst du nun weiterhin darauf herumreiten?“

Sarah spürte förmlich die Wut, die in Jonas aufkam.

„Wir haben uns getrennt, wie oft muss ich das noch wiederholen?“, fuhr Luises Bruder die junge Frau an.

Doch diese ließ nicht locker, sondern versuchte an die gute Zeit der beiden zu appellieren.

„Ach entschuldige, hast du zufällig Kinder?“, mischte sich nun Sarah ein.

Als wäre sie bis jetzt lediglich ein Einrichtungsgegenstand gewesen, wand Melli ihren Blick auf sie.

„Nein, warum fragst du?“, hakte sie genervt nach.

Sarah zuckte nur mit den Schultern.

„Schade, du hättest uns sonst vielleicht beraten können. Jonas und ich streiten uns schon den ganzen Tag um einen geeigneten Kinderwagen. Er schwört absolut auf Sicherheit, doch ich denke er sollte genauso modisch sein. Denkst du nicht auch?“

Melli musterte sie nun wie eine Außerirdische und schien langsam zu verstehen.

„Du bist…“,, begann sie, doch Sarah schnitt ihr das Wort ab.

„Ja, auch wenn man noch nicht viel sieht. Aber man kann nie früh genug mit der Planung anfangen. Jonas ist einfach hin und weg bald Vater zu werden.“, sagte sie quietschvergnügt und rieb sich den Bauch. Dann ergriff sie Jonas’ Hand und streichelte sie zärtlich.

Mellis Schock war offensichtlich und ungläubig sah sie wieder zu ihrem Ex.

„Deswegen… hast du mich also verlassen? Weil du sie geschwängert hast?“

Jonas stand der Mund offen, er brachte nur eine Entschuldigung heraus, dann begann Melli ihn wüst zu beschimpfen. Als sie ihn endlich vom Hacken gelassen hatte und aus dem Cafe gestürmt war, vergrub der Student seinen Kopf unter seinen Händen.

„Kein Grund zum Trübsahlblasen, ich habe dir gerade dein Leben gerettet.“, erinnerte sie.

Dann erschien endlich ein Lächeln in seinem Gesicht.

„Kein Wunder, dass dir Luise völlig verfallen ist. Danke.“

Sarah wirkte etwas verlegen und rief deshalb die Bedienung. Jonas übernahm selbstverständlich die Rechnung und wenig später machten sie sich zum Einkaufszentrum auf.

Obwohl es noch zwei Wochen bis Weihnachten waren, war es weitestgehend überfüllt. Viele schienen es den beiden gleich zu tun, niemand wollte im Weihnachtsstress ersticken. Vorweihnachtliche Dekorationen und bereits die oder anderen Schoko-Weihnachtsmänner standen bereit.

„Also Jonas-sensei? Darf ich um Euren großartigen Rat bitten?“, meinte Sarah schließlich.

Der Student schluckte.

„Schon vergessen? Ich war der Typ mit dem Haartrockner.“

Sarah ließ den Kopf hängen.

„Aber worauf würde sich Luise freuen? Was wünscht sie sich mehr als alles andere?“

Jonas versuchte eine Antwort darauf zu finden, doch scheinbar fand er keine Befriedigende.

„Erfolg und Glück. Und eines hast du dir bereits beschert.“, sagte er schließlich.

Sarah musterte ihn einen Moment und dachte angestrengt nach. Jonas tat es ihr gleich.

„Also… Klamotten?“, startete sie einen neuen Versuch und Jonas war damit einverstanden.

Das widersprach ihrem eigentlichen Plan etwas außergewöhnliches, spektakuläres für Luise zu finden, doch was sollten sie tun? Hätte sie Luise direkt gefragt, wäre es zu auffällig gewesen. Aber unter Umständen fanden sie in einer netten Boutique tatsächlich etwas Hübsches, etwas das zu Luises Stil passte.

Jonas fühlte sich umgehend deplatziert, als er den Laden betrat. Sarah musste ihn förmlich mit sich ziehen, damit er sich nicht weiter wie eine Katze in einem fremden Garten benahm.

Zuerst sahen sie sich die dicken Winterjacken an, die durchaus zu gebrauchen waren, angesichts der immer stärker zu werdenden Kälte des Dezembers.

Sarahs wollte natürlich unbedingt vermeiden, dass sich ihre liebste Luise eine Erkältung oder gar eine schlimme Grippe einfing, doch ein Blick auf das Preisschild ließ sie den Gedanken verwerfen.

„So viel dazu, dass Liebe alles Wert sei.“, frotzelte Jonas und sah sich die Pullover an.

Er hatte seiner Schwester bereits einen vor zwei Jahren geschenkt und fragte sich ob es in Ordnung war, dies nun zu wiederholen. Aber warum eigentlich nicht, ihre Großmutter schenkte den beiden zu Geburtstagen oder anderen Festen ohnehin nur Klamotten. Allerdings könnte Luises Freude gerade deshalb abgeklungen sein und sie konnte keinen weiteren Pullover mehr sehen.

„Vielleicht sehen wir uns in einem anderen Geschäft um. Etwas für den Computer wäre vielleicht nicht schlecht.“, meinte Jonas, bis er wahrnahm, dass Sarah gar nicht mehr in Sichtweite war.

Er seufzte und versuchte das Mädchen in dem Labyrinth aus Kleiderständern wieder zu finden.

„Hey!“, tauchte sie dann wie aus dem Nichts vor ihm auf.

„Wo warst du? Hast du etwas gefunden?“, fragte er perplex.

Sarah nickte zögernd.

„Nur eine Idee… aber wie würde Luise wohl das stehen?“, fragte sie und zog ein schwarzes Kleidungsstück hervor.

Jonas wich instinktiv zurück. Was Sarah da hoch hielt war äußerst fragwürdig.

„Das wäre doch etwas Außergewöhnlich, oder? Denkst du Luise könnte das hier gefallen?“, wollte sie Jonas Meinung erfahren.

Dieser sah sie abschätzig an.

Das Mädchen zeigte ihm doch tatsächlich ein Dessous, wie abgebrüht konnte man sein?

„Du… du verlangst ernsthaft von mir, dass ich mir meine Schwester in dem Teil vorstellen soll?“, fragte er spöttisch.

Sarah rollte genervt mit den Augen.

„Jetzt sei nicht so kindisch.“, bat sie.

Jonas blieb aber hart.

„Trotzdem! Außerdem würdest eher du dich darüber freuen wenn Luise sowas tragen würde, oder? Wo wäre da die Freude für sie?“, merkte er an.

Sarah grinste hämisch.

„Oh, keine Angst. Freude werde ich ihr definitiv bereiten…“, war sie ganz und gar in ihre Gedankenwelt abgedriftet.

Jonas räusperte sich so laut er konnte, Sarah übertrieb es für seinen Geschmack.

„Wie auch immer, ich sehe mich jetzt in einem Laden für Badeartikel um. Luise wird sich bestimmt über ein teures Parfüm freuen. Du kannst dich ja weiterhin gerne umsehen und bitte entscheide dich nicht für dieses Teil. Wenn Luise nämlich dahinter kommt, dass ich bei dir war als dir dieser Gedanke kam, bin ich meines Lebens nicht mehr sicher!“

Sarah versuchte natürlich auf den Studenten einzureden, doch dieser wollte nichts mehr hören. Also beschlossen sie sich, in einer halben Stunde wieder vor dem Einkaufszentrum zu treffen. Sarah brummte, konnte den Blick aber nicht von dem sexy Dessous lassen.

Als sich die beiden zur verabredeten Zeit wieder trafen, hatte Jonas ein passendes Parfüm und Sarah einen schicken Schal mit Sternen gefunden, beides akzeptable Geschenke für Luise.

Jonas bestand darauf Sarah nach Hause zu fahren, auch wenn diese es etwas übertrieben fand.

Glaubte er für sie verantwortlich zu sein, solange sie in seiner Stadt war?

Als sie fast angekommen waren, hörte das Mädchen den Studenten erleichtert ausatmen.

„Zumindest bin ich froh, dass du nicht so verrückt warst und dich für das Dessous entschieden hast.“

Sarah musste kichern und öffnete leicht ihre Einkaufstasche.

Jonas sah sie empört an.

„Keine Sorge! Das ist nicht für Luise, sondern für mich. Schließlich… soll sie auch etwas davon haben, oder? Das waren deine Worte.“, erinnerte sie.

Jonas klatschte sich mit der Hand auf die Stirn. Dieses Mädchen raubte ihm wirklich den letzten Nerv.
 

Verrückt. Diesen Begriff gab es im klinischen Sinne nicht, doch die Verkäuferin schenkte ihr genau so einen Blick.

„Ähhmm… ist das nun machbar oder nicht? Ich habe mich erkundigt, Sie besitzen die nötigen Maschinen um so ein großes Motiv auf Canvas-Stoff zu plotten. Auch die Bildqualität habe ich in soweit verbessert und bereinigt. Dafür, dass es mit einer Digital-Kamera geschossen wurde, sind alle Pixel da wo sie sein sollen.“

Die Verkäuferin räusperte sich und betrachtete nochmal das Foto, das Luise von sich geschossen hatte.

„Das ist machbar, aber wieso auf Canvas? Wenn es ein großes Poster werden soll, empfehle ich ein bestimmtes Papier.“, erwiderte sie dann.

Luise schüttelte hastig den Kopf.

„Es soll kein Poster werden, sondern ein Dakimakura.“, erklärte sie.

Der Blick wurde noch skeptischer und eindringlicher.

„Das ist etwas Ähnliches wie ein Kissenbezug, stellen Sie es sich einfach die den Bezug einer Decke vor. Das Foto soll auf 1.60 Meter passen und doppelte Breite, damit man es richtig vernähen kann. Um die Füllung kümmere ich mich natürlich selbst.“

Luise fühlte sich als würde ihr ein Stein vom Herzen fallen, als sie das Geschäft verlief.

Die Verkäuferin hatte keinen Krankenwagen gerufen, im Gegenteil. Sie versprach, dass Luise es Ende der Woche abholen konnte. Damit waren alle Weichen gestellt.

Besonders Sabine hatte sie es zu verdanken, da diese die Ganzkörperfotos von Luise geschossen hatte und sie dann beriet welche Pose die beste war.

Klar, viele Dakimakuras verlangten Freizügigkeit, doch hätte Luise so ein Foto vorgelegt, hätte man sie bestimmt eingewiesen.

Doch das Geschenk war kreativ, das musste sie zugeben. Ihr war die Idee gekommen, als sie sich an Sarahs Worte erinnerte. Diese nutzte Tsurara als Ersatz für ihre Liebste, wenn sie einmal keine Nacht mit ihr verbringen durfte.

Das einzige, was sie beschäftigte war die Reaktionen von Herrn Heidenreich. Dieser wäre sehr irritiert, über ein Kissen mit dem Motiv der Nachbarstochter. Würde Sarah es in ihrem Yuri-Schrank verstecken müssen? Oder würde sie es über sich bringen, auch endlich ihrem Vater die Wahrheit zu sagen? Immerhin war Weihnachten das Fest der Liebe, er würde sie kaum verstoßen.

Was Sarah wohl gerade tat? Sie meinte, sie wolle einer Freundin helfen, war aber nicht genauer darauf eingegangen. Trotzdem würde sie sich bestimmt über dieses besondere Geschenk freuen, zumindest hoffte Luise es.

Sie war einige Schritte weiter gegangen als sie anhielt und eine Person auf der anderen Straßenseite musterte.

Sofort hielt sie den Atem an und ging hinter einer Birke in Deckung. Gerade noch rechtzeitig, die Person gegenüber hatte sie nicht bemerkt. Luise schämte sich, dass sie nicht Frau genug war ihr entgegenzutreten. Wenige Meter von ihr entfernt stand Svenja und unterhielt sich mit einem anderen Mädchen. Der Mittelpunkt des Gesprächs schien ein Motorrad zu sein, das am Borsteinrand parkte.

Was sollte Luise nun unternehmen? Sich heimlich davonstehlen? Hoffen, dass Svenja sie nicht bemerkte? Sarah hätte sie sofort als feiges Huhn bezeichnet, das war ihr klar.

Dann stutzte sie. Sie musterte das zweite Mädchen etwas genauer und in ihrem Kopf arbeitete es. Schnell ging sie die Liste von Svenjas Freundinnen durch, die sie alle noch von damals kannte, doch nichts. Dennoch kam ihr das Gesicht des Mädchen vertraut vor, auch wenn sie nicht bestimmen konnte woher. Wo hatte sie es schon mal gesehen? Die Erinnerung war frisch, es konnte also nicht allzu lange her sein. Dann funkte es in ihrem Gedächtnis.

Es war auf einem Foto, aber in keinem gewöhnlichen. Es war der Anhang von Sarahs erster Nachricht die sie erhalten hatte. Jetzt viel ihr auch wieder der Name ein. Er lautete Tabea, wenn sie sich nicht täuschte. Doch was hatte diese bitteschön mit Svenja zu schaffen?

Luise spürte Erleichterung als die beiden weiter zogen und aus ihrem Blickfeld verschwanden.

Sie holte tief Luft und setzte dann ihren Weg fort. Trotzdem nagte der Gedanke an ihr. Hatte das nichts zu bedeuten? Es war sicher Zufall, etwas anderes kam kaum in Frage. Dennoch beschloss sie Sarah davon zu berichten wenn sich die Gelegenheit bot.

Ihr besonderes Weihnachtsgeschenk würde sie aber bis zum richtigen Zeitpunkt geheim halten. Damit würde sie Sarah erst überraschen, wenn es den größten Effekt erzielte. Während dem Fest der Liebe.

Kapitel 11

Kaum hatte Sarah an der Tür der Theater-AG geklopft, wurde diese bereits aufgerissen. Viktoria zerrte das Mädchen förmlich ins Innere und Luise schenkte ihrer freunden einen milden, aber vielsagenden Blick.

„Wir sind so froh, dass du dich entschieden hast mitzumachen!“, grüßte Jasmin den Neuankömmling.

Luise fühlte sich unwohl, da Sarah nur zugesagt hatte, da sie sich in irgendeiner Form verpflichtet fühlte.

„Hattest du Gelegenheit das Skript zu lesen?“, wand Ilsa ein.

Sarah nickte, Luise hatte ihr eine Kopie ausgehändigt und sie hatte sich über die Einfachheit und die Kürze des Stücks gewundert. Andererseits besaß sie kaum Einwände, es war schließlich nicht ihre Idee. Dies änderte sich jedoch, als das Mädchen sich über die Kostüme beugte, die sich in einer schwere Kiste eines Wandschranks befanden.

Sarah stieß einen vergnügten Pfíff aus, als sie das sporadisch zusammen genähte, aber trotzdem elegante Kleid musterte.

„Das will ich anziehen!“, entschied sie und schlüpfte ohne zuvor etwas abzulegen hinein.

„Perfekt, wir hatten ohnehin dich als Rolle der Prinzessin im Auge. Alles was noch fehlt… ist der Prinz.“, erklärte ihr Ilsa dann.

Sarah drehte sich ein paar mal demonstrativ und grinste dann.

„Wenn ich die Prinzessin spiele, habe ich doch bestimmt das Vorrecht mir meinen Prinzen selbst auszusuchen, oder?“, erwiderte sie freudig.

Die Mitglieder der Gruppe sahen einander an und nickten dann. Nur Luises Miene wirkte etwas skeptisch.

„Du kannst gerne einen Jungen aus deiner Klasse fragen, bei dir würde er bestimmt zustimmen. Sonst wären wir ohnehin alles nur Mädchen.“, willigte Viktoria ein.

Doch darauf schien Sarah gar nicht hinaus gewollt zu haben.

„Also… eigentlich wäre mein Traumprinz bereits hier. Ich möchte unbedingt Luise für die Rolle haben!“, verriet sie.

Erstaunte Blicke folgten, die auf Luise abzielten.

„Wa… Was? Wie kommst du jetzt ausgerechnet auf mich?“, stammelte sie ohne es zu wollen.

Ihr war natürlich bewusst, warum Sarah sie wählte, doch das war alles andere als in Ordnung, oder? Es könnte auffliegen, dass die beiden in Wirklichkeit ein Paar waren, wie unbesonnen konnte ihre Freundin also sein?

Ilsa wollte etwas erwidern, bis sich Sabine ins Geschehen einmischte.

„Das ist eine hervorragende Idee! Die beiden sind gut befreundet und können deshalb am glaubhaftesten gemeinsame Szenen spielen. Außerdem ist Luise ein super Prinz, denkt ihr etwa nicht?“

Raunen ging durch die Gruppe aus Mädchen, doch zum Schluss gab es keinerlei Einwände.

Es war Jasmin, welche die Geschichte des Stücks noch einmal wiederholte. Der Prinz des Märchenreichs war verschwunden und die Prinzessin unternahm alles um ihn zu finden. Sie setzte sich mit dem Zauberer in Verbindung der von Ilsa gespielt werden würde. Dieser schlug vor, zwei Kinder aus der Menschenwelt zu holen, welche die Prinzessin bei der Suche unterstützen sollten. Natürlich wurden diese Rollen von Viktoria und Jasmin eingenommen. Schließlich fanden sie den Prinzen, doch dieser ist gänzlich von sich aus untergetaucht, weil er schlicht weg genug von den Heldentaten hatte. Der finale Akt bestand somit darin, dass die Kinder, so wie die Prinzessin ihn von seiner Rückkehr überzeugen mussten.

Natürlich war die Story aufgrund fehlender Darsteller etwas verändert worden. Am einfachsten wäre es gewesen, Sabine hätte die Rolle des Königs übernommen, doch das hatte sie sich nicht zugetraut. Also übernahm sie die der Dienerin, welche die Prinzessin erst auf den Zauberer aufmerksam machte.

Luise war froh die Rolle des Prinzen bekommen zu haben. Für sie fiel die erste Hälfte des Stücks aus, auch wenn die Zweite sehr viel von ihr abverlangen würde.

Die erste Probe fiel unglaublich sporadisch aus. Sarah fand sich rasend schnell in die Rolle der verwöhnten Prinzessin, Luise verkniff sich jedwede Andeutung. Sabine ging in ihrem Spiel völlig auf, obgleich es sich nur um eine einzelne Szene handelte.

Beim Kostüm des Zauberers hatte Ilsa improvisieren müssen und alte Klamotten ihres Großvaters mitgebracht. Plötzlich erschienen Viktoria und Jasmin aka Jana und Alex aus der Menschenwelt vor den beiden. Auf der Bühne würden sie eine Kombination aus einer anderen Vorhangfarbe und Lichteffekten verwenden. Es sollte so wirken, als wären die beiden direkt aus einer anderen Welt auf das Podest spaziert.

Dann fand eine kleine Wanderung statt, auf der die Prinzessin nur so von ihrem Prinzen schwärmte. Als dieser in Form von Luise endlich gefunden war, stellte er sich bockig und wollte nicht zurück. Die Prinzessin flehte, doch es half nichts. Schließlich zählten die beiden Kinder all die guten Taten des Prinzen auf, und wie viele Leute ihm deshalb dankbar waren. Am Ende fand natürlich die berühmte Hochzeits-Zeremonie statt, in der sich Prinz und Prinzessin das Ja-Wort gaben. Und dann natürlich…

„Wir müssen bitte was?“, fragte Luise ungläubig an Ilsa gewand.

Immer noch in einem geliehenen Kostüm sah sie auf, da die gerade über das Skript gebeugt war, um alles zu koordinieren.

„Naja… bei einer Hochzeit küsst man sich für gewöhnlich.“, schien sie nichts Schlimmes oder gar Seltsames daran zu finden.

„Ähhmm… ein kleines Küsschen auf die Lippen wird ja durchaus ausreichen.“, schlug Sabine vor, welche den Druck förmlich spürte, der auf ihre Freundin ausgeübt wurde.

Sarah räusperte sich lautstark.

„Ihr nehmt das alles zu ernst, mein Prinz. Es ist nur eine gewöhnliche Schulaufführung, kein Grund Euch zu grämen.“, versicherte sie und näherte sich mit ihrem Gesicht, das von Luise. Diese wich sofort zurück und ließ von Sarah ab.

„Tut mir leid, ich denke das können wir auslassen.“, vertrat sie ihre Meinung.

Die anderen Mädchen sahen sie überrascht an.

„Wo liegt dein Problem? Bist du so bieder? Freundinnen oder Bekannte küssen sich ja auch auf die Wange, da sollte ein knapper Schmatzer auf die Lippen doch keine Katastrophe darstellen.“, wand Viktoria ein.

Sabine warf sich sofort dazwischen.

„Naja, das ist ja auch nicht das Wichtigste an dem Stück. Ich finde es war eine tolle erste Probe und wir können stolz auf uns sein! Oder was denkt ihr, Mädels?“, profilierte sie sich, obwohl sie mit ihrer Mini-Rolle kaum Grund dazu hatte.

Dennoch waren alle davon überzeugt, dass es bis zum Aufführungstag zu schaffen war und sie ihre Energie noch intensiveren müssten.

Alle gratulierten sich und verließen dann eine nach der anderen den AG-Raum. Sabine überlegte noch ob sie bleiben sollte, beschloss dann aber das Feld dem jungen Paar zu überlassen. Kaum war sie gegangen legte Sarah ihre Hand auf Luises Schulter.

„Es tut mir leid.“, sagte sie etwas kleinlaut.

Luise blickte sie mit gemischten Gefühlen an.

„Du weißt mir fällt nichts Schöneres ein, als dich zu küssen, aber… so vor aller Öffentlichkeit, das kann ich einfach nicht. Ich wünschte ich wäre mehr wie du, die sich nicht künstlich Probleme schafft, aber so bin ich nun mal nicht.“, erwiderte sie.

Sarah nickte und ergriff ihre Hand.

„Ich weiß, aber genau wegen diesen Dingen liebe ich dich. Aber sieh mal, die Leute wissen nicht, dass wir ein Paar sind, wenn wir uns küssen, denken sie es gehört zum Stück. Was… es ja auch tut.“, hoffte sie mit diesem Argument punkten zu können.

Nach langem Hin und Her, stimmte ihr Luise dann zu. Niemand würde die beiden im Nachhinein als Lesben beschimpfen, man würde ihnen eher auf die Schulter klopfen, dass sie diese heikle Aufgabe hinter sich gebracht hatten.

„Also, liebster Prinz? Gewährst Ihr mir die Ehre, mein Gatte zu werden?“, fragte Sarah theatralisch und Luise schlang ihre Arme um das zum Teil etwas miefende Kleid.

„Es gibt nichts was ich lieber tun würde meine Prinzessin.“, erwiderte sie und holte das nach, was ihr unter Publikum nicht gelungen war.

Eine Stunde später waren sie bereits zu Hause, genauer gesagt in Sarahs Zimmer.

Luise sah hämisch zu Tsurara, der Figur auf Sarahs Dakimakura. Bald hatte diese Tussi ausgedient, und Sarah würde nur noch ausschließlich mit ihr schlafen, dachte sie.

Während ihre Freundin ihr eine Tasse Tee gegen die kalte Jahreszeit hinstellte, kam Luise auch endlich dazu von Svenja und Tabea zu berichten.

Doch zu ihrem Erstaunen schien Sarah dies völlig kalt zu lassen.

„Dann kennen sie sich eben, na und? Oder dachtest, beide wären in eine Verschwörung verstrickt, die es zum Ziel hat, unsere Liebe zu vernichten?“

Luise seufzte und schüttelte natürlich den Kopf.

„Ich meine nur… was Svenja angeht, kann man nie vorsichtig genug sein. Wenn nicht wegen uns, dann hat vielleicht diese Tabea sie noch nicht durchschaut.“, wand sie ein.

Sarah dachte kurz darüber nach und stimmte ihr dann zu.

Obwohl Tabea sehr schroff, abweisend und nach ihren Maßstäben eine Kuudere war, wollte Sarah sie davor warnen, sich nicht allzu sehr mit Svenja anzufreunden.

Immerhin… wenn zwischen ihren Elternteilen alles glatt lief, würden sie in ferne Zukunft Stiefgeschwister sein, nicht wahr?
 

Sarah Heidenreich wusste immer noch nicht, was sie sich eigentlich dabei gedacht hatte. War es vielleicht übertrieben her zu kommen und mit Tabea reden zu wollen? Ja, Christiane hatte sie eingeladen jederzeit vorbeizuschauen, und sie zu besuchen. Sie wollte das Mädchen näher kennen lernen und umgekehrt war es kaum anders. Wo würden die beiden Familien leben, sollten Herr Heidenreich und Christiane tatsächlich auf die Idee kommen zusammen zu ziehen? Hier? Das Anwesen war wesentlich größer, als das teils verwilderte Haus der ehemaligen Bewohnerin Frau Sommer. Aber Moment! Wenn sie Luise nicht mehr zur Nachbarin hatte, würde sie ihre Liebste auch wesentlich weniger sehen.

Ein Alptraum.

Wäre Sarah dann Teil einer Patchwork-Familie, oder wie sie das nannten?

Christiane öffnete ihr mit freundlichem Gesicht und bat sie hinein. Sie erzählte ihr, dass Tobias bei seinem Vater wäre und sie ohnehin eine Essensration übrig hatte. Sarah lehnte die milde Gabe natürlich nicht ab, wunderte sich aber, dass Tabea nicht am Küchentisch Platz nahm.

„Ach, ich weiß auch nicht wann sie so geworden ist. Sie isst lieber in ihrem Zimmer und redet nicht mehr viel mit mir. Dabei müsste ihre rebellische Teenager-Phase bald ein Ende finden, zumindest wenn man es gewissen Eltern-Ratgebern glaubt. Du bist da ganz anders, du würdest deinen Vater niemals enttäuschen.“

Sarah räusperte sich und wiegte unsicher mit dem Kopf.

Christiane erkannte gleich, in welches Fettnäpfchen sie getreten war.

„Ich meine… die Sache mit deiner Luise wird er ebenfalls schon noch verdauern. Zumindest… wenn du es einmal über dich bringst, mit ihm darüber zu sprechen. Bist du etwa deshalb hier? Um dir meinen Rat zu holen?“, hakte die fürsorgliche Mutter nach, doch Sarah wehrte unverzüglich ab.

„Ähm… ehrlich gesagt nein. Mir war einfach nur danach mal vorbeizuschauen. Ich habe im Moment auch irre viel zu tun, wir führen in der Schule gerade ein Stück auf.“, versuchte sie schnellstmöglich das Thema zu ändern.

Christiane sprang zum Glück darauf an und Sarah berichtete ihr von ihrer Rolle als Prinzessin. Das Gespräch wurde vom Klicken der Mikrowelle unterbrochen.

Christiane erhob sich seufzend und fischte den Teller heraus.

„Dann werde ich ihn Tabea mal hochbringen, auch wenn sie ihn sich selbst holen könnte.“, sagte sie bescheid, doch Sarah stand blitzschnell auf.

„Das kann ich doch machen! Ich wollte Tabea ohnehin Hallo sagen.“, meinte sie und nahm Christiane den Teller aus der Hand, bevor diese etwas einwenden konnte.

Also erklomm sie die Treppe in den ersten Stock und steuerte auf Tabeas Zimmertür zu. Selbst mit schlechtem Erinnerungsvermögen, hätte sie diese leicht wieder gefunden. Laute Musik dröhnte in den Gang, Sarah konnte nicht feststellen ob es sich um Black-Metal oder Death-Metal handelte. Im Grunde konnte sie nicht einmal sagen, ob es sich überhaupt um Musik handelte.

Sie klopfte an, wie es sich gehörte, erkannte aber schnell, dass dies vergebens war. Also stieß sie die Tür einfach mit ihrem Bein auf und betrat das Innere.

Tabea erkannte die Situation recht schnell und schaltete die Sound-Anlage aus.

„Werte Tabea, Eure Zofe bringt Euch das werte Mahl.“, war sie innerlich noch immer ganz in ihrer Rolle.

Tabea schritt auf sie zu, entriss ihr den Teller und stellte ihn auf ihrem Schreibtisch ab.

„Und wo kommst du auf einmal her?“, brüllte sie regelrecht.

Sarah zuckte etwas zusammen, sie hatte angenommen, beide würden sich seit dem letzten Mal etwas besser verstehen. Oder… gab es gar nicht Grund warum Tabea so mies drauf war?

„Deine… Mutter hat mich eingeladen und ich wollte dir einfach Hallo sagen.“, gestand sie, doch die Rockerbraut Tabea blieb eisern.

„Hallo.“, erwiderte sie und versuchte Sarah aus dem Zimmer zu schieben. Doch nur mit mäßigem Erfolg, denn diese ließ sich so eine rüde Behandlung nicht gefallen.

Sie stieß Tabea von sich und bedachte sie mit einem bösen Blick.

„Jetzt hör mal, du hast Besuch, da könntest du ruhig etwas netter reagieren! Oder ist das der Einfluss dieser Svenja?“, schlug sie zurück.

Das wirkte.

Tabea musterte sie skeptisch.

„Svenja? Was hast du denn mit der zu schaffen?“, hakte sie verdutzt nach.

Sarah schluckte und beide Mädchen setzten sich erstmal auf das Bett.

„Eine Freundin hat euch beide zusammen gesehen. Also… ich bin dieser Svenja begegnet und man hat mich vor ihr gewarnt. Deswegen…“

Tabea verstand immer noch nicht ganz, nickte aber.

„Oh ja, dass Svenja eine Zicke ist, das kann ich bestätigen.“

Sarahs Stirn verfiel in Falten und sie wartete darauf, dass ihre Quasi-Stiefschwester fortfuhr.

„Also…“, begann Tabea und man konnte ihr ansehen, dass es kein leichtes Thema für sie darstellte.

„Mama hat es dir sicher schon erzählt, ihrer neuen Ersatztochter. Mein Freund… Ben, sie hält ihn für keinen guten Umgang für mich. Er hat keine geregelte Arbeit und er hat sogar einmal gesessen.“

Jetzt fügten sich die Puzzlestücke für Sarah zusammen, wenn auch nur langsam. Deshalb die zurückhaltende Einstellung seitens Christianes und auch das bedenkliche Verhalten im Freizeitpark, als Sarah deren Tochter erwähnte. Doch es passte, dass Tabea sich so jemanden aussuchte, immerhin schienen sie ihrer Erzählung nach, eine Menge Gemeinsamkeiten zu teilen.

„Moment mal! Erstmal bin ich keine Ersatztochter für sie. Christiane… ich meine deine Mutter macht sich nur Sorgen um dich. Ich hatte ebenfalls vor kurzen so ein Erlebnis. Die Mutter einer Freundin empfand ihren…ähh… Freund nicht als gut genug und diese ist daraufhin heulend weg gelaufen. Doch kurz darauf sind wir gemeinsam zu ihrer Mutter und haben mit dieser geredet. Und weißt du was? Das war die Idee von Christiane, sie hat uns beide dazu überredet. Deine Mutter ist sehr schlau und wenn du ihr alles erklärst, dass deine Gefühle ernst gemeint sind, dann wird sie dir auch vertrauen. Bestimmt!“, redete sie auf die junge Frau ein.

Tabea wand jedoch nur ihr Gesicht ab.

„Schön, dass du meine Frau Mutter besser verstehst als ich! Und überhaupt, was verstehst du schon von Liebe?“, warf sie ihr vor.

Sarah wollte etwas erwidern, hielt dann aber inne. Für einen kurzen Moment dachte sie nach, holte tief Luft und antwortete Tabea dann.

„Ich weiß genau wovon ich rede, meine Liebe ist nämlich auch kompliziert.“, verriet sie.

Tabea musterte sie eingehend und überlegte wohl, ob sie ihr glauben konnte.

„Aber… sagtest du nicht, dass du keinen Freund hättest?“, erinnerte sie das Mädchen an ihre eigenen Worte.

Sarah schnaufte und nickte dann.

„Ich habe keinen Freund… aber ich bin in einer Beziehung.“, vertraute sie Tabea an.

Diese reagierte aber umso verwirrter auf das Geständnis.

„Diese Freundin von der ich dir erzählt habe… sie war einmal mit Svenja zusammen und kennt sie deshalb sehr gut. Sie warnte mich vor ihr und ich habe ihr dein Foto gezeigt. Deshalb sorgte sie sich um dein Wohlbefinden. Und außerdem… der Grund warum ihre Mutter wegen ihrer Beziehung Probleme hatte war… dass sie diese mit mir führt.“, platzte sie mit der ganzen Wahrheit heraus und verspürte daraufhin eine gewisse Erleichterung.

Tabea wand ihre Augen nicht von dem Mädchen neben ihr ab und schien das Gesagte gerade zu verdauen.

„Du willst mir also sagen…“, begann sie, doch Sarah beendete den Satz für sie.

„Ich bin lesbisch, ok? Du weißt es jetzt und Christiane weiß es sowieso. Du kannst mit der Info machen was du willst, ich wollte dir nur klar machen, dass ich dich durchaus verstehe.“

Als kurz darauf Tabeas schrilles Lachen ertönte, verlor das Mädchen aber schnell wieder sämtlichen Mut.

„Wow, ich habe dich wirklich total falsch eingeschätzt. Du bist eine Granate.“

Sarah zwang sich zu lächeln und zuckte mit den Schultern.

„Deine Meinung von mir muss jetzt wohl total in den Keller gesackt sein, oder?“

Tabea schüttelte amüsiert den Kopf.

„Nein, ich hätte dich nur ehrlich nicht so eingeschätzt. Aber ich freue mich für dich, dass du jemanden hast, den du über alles liebst. Weißt du… für mich ist einfach Ben dieser Mensch.“, offenbarte sie und Sarah drückte ihr Verständnis aus.

„Genau deshalb solltest du mit deiner Mutter reden!“, startete sie erneut einen Versuch.

Tabea war erst daran abzuwehren, versprach dann aber es doch auf einen Versuch ankommen zu lassen.

„Wenn du für deine Liebe einstehen kannst, wird mir das wohl auch gelingen, oder?“, sagte sie zuversichtlich.

Sarah nickte, bis ihr erneut Svenja einfiel.

„Wieso… hängst du eigentlich mit ihr ab, wenn du findest, dass sie eine Zicke ist?“

Tabea stöhnte hörbar.

„Weil sie in Bens Clique ist. Ich tue ihm den Gefallen und versuche mit ihr auszukommen, das ist alles.“, erklärte sie.

Sarah nickte und war froh, dass es wirklich nichts Weltbewegendes war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr allerdings, dass es Zeit wurde.

„Hey…“, begann Tabea dann. „Es hat gut getan mit dir zu reden. Das könnten wir doch wieder mal tun, oder?“, schlug sie vor.

Sarah grinste und nickte zustimmend.

Die beiden tauschten sofort Nummern so wie Email-Adressen aus.

„Also bis zum nächsten Mal.“, hauchte Tabea.

„Gerne, und dann stellst du mir auch deinen Ben vor!“, verlangte Sarah.

Tabea versprach ihr möglichstes zu tun, auch wenn ihre Mutter ihren Freund nicht ohne weiteres in ihrem Haus dulden würde.

„Und du stellst mir deine Luise vor, ja? Ich bin schon echt gespannt. Ich war zuvor nämlich noch nie mit einer Lesbe befreundet. Wie ist der Sex mit einer Frau denn so?“

Sarah räusperte sich, da sie fand, dass Tabea den Bogen nun etwas überspannte, aber dennoch spielte sie mit.

„Atemberaubend. Also bis zum nächsten Mal Stiefschwesterchen!“, winkte sie und ließ Tabea allein. Kurz darauf ertönte erneut die metallene Musik aus der Anlage und Sarah musste zugeben, dass sie diese Rockerbraut inzwischen wirklich mochte.

In der Küche verabschiedete sie sich noch von Christiane, beide umarmten sich und hofften auf ein baldiges Wiedersehen.

Draußen fischte Sarah nach ihrem Handy, um sofort ihrer Liebsten zu schreiben. Sie wusste nicht, wie Luise reagieren würde, immerhin hatte sie ohne dessen Zustimmung von ihrem Geheimnis erzählt. Sarah war sich zwar sicher, dass Tabea es nicht unbesonnen verwenden würde, aber sie hatte ihre Freundin übergangen, obgleich es für einen guten Zweck war oder nicht. Aber war dieser Zweck nicht nur ihr Wohlbefinden? Nein, sie spürte, Tabea mit ihrem Rat wirklich geholfen zu haben. Luise würde das bestimmt auch so sehen. Sofort schrieb sie ihr eine Nachricht. Sie wollte ihre Freundin heute unbedingt noch einmal sehen.
 

Der Abend gestaltete sich als ein Mix aus Proben und Lernen für eine wichtige Prüfung, die ausgerechnet vor Weihnachten stattfand. Sarah und Luise lasen immer wieder den Text auf und ab und übten die Szenen die sie gemeinsam hatten. Im privaten Umfeld war es natürlich wesentlich einfacher die Hochzeits-Szene über sich ergehen zu lassen. Genau genommen probten sie diese sogar am häufigsten. Alles lief wie am Schnürchen, doch auch das Lernen ging schneller voran als Luise erwartet hatte.

Sarah löste die meisten Aufgaben sogar selbstständig, was die Nachhilfelehrerin überraschte.

„Die neuen habe ich dir doch noch gar nicht erklärt, oder? Wie kommt es, dass du sie dir einfach nur ansiehst und sofort den Rechenschritt erkennst?“, interessierte es sie.

Sarah kaute auf ihrem Stift herum und sah ihre Freundin zögernd an.

„Also… was das angeht, sollte ich dir vielleicht etwas gestehen.“, klang sie nun etwas kleinlaut.

Luise spitzte die Ohren, es hörte sich ernst an. Dabei hatte sie Sarah doch beruhigt, dass nicht einmal Tabea Svenja sonderlich leiden konnte und nur wegen ihres Freundes Zeit mit ihrer Ex verbrachte.

Also was konnte da noch groß kommen?

„Es fällt mir nicht leicht dir das zu sagen, aber… ich habe dich betrogen.“, entfuhr es Sarah unerwartet.

Luises Stirn zog sich in Falten. War das ihr ernst?

„Fremdgegangen nennt man das glaube ich. Also… mit Tabea.“

Luise musterte Sarah eine Weile, diese wirkte wahrlich betroffen.

„OK…“, war alles was sie zuerst herausbrachte.

„Ich meine… sie ist schon ein Jahr mit der Schule fertig und hat dieses Zeug echt drauf. Sie hat mir ihre Email-Adresse gegeben und wir haben uns noch etwas geschrieben. Naja, gechattet wäre wohl der passendere Ausdruck. Sie hat mir diese neuen Rechenaufgaben erklärt, so, dass ich dir nicht mehr so zur Last falle.“, rückte sie mit der Sprache heraus.

Luise schluckte und holte tief Luft.

„Du meinst du hast mit ihr gelernt?“, glaubte sie die Worte richtig zu interpretieren.

Sarah nickte, immer noch mit einem schuldbewussten Gesichtsausdruck.

Luise reagierte erst etwas eingeschnappt, dass ihre Freundin ihr einen solchen Schrecken eingejagt hatte, doch so war diese eben.

„Na warte!“, sagte sie und begann Sarah zur Strafe in die Wange zu kneifen.

„Aua!“, wehrte sich diese und versuchte Luises Hand abzuschütteln.

Dann ein Räuspern an der Tür.

Frau Fahlbusch stand im Türrahmen und hielt ein Tablett mit Gepäck.

„Ich… wollte euch nur die Kekse vorbeibringen und euch als Versuchsobjekte missbrauchen.“, meinte sie lächelnd.

Luise fragte sich, ob die Situation unangenehm für ihre Mutter war, wenn ja hätte sie es verstehen können. Sie und Sarah benahmen sich nun offen wie ein verliebtes Pärchen und seit diesem Abend hatte sie nicht mehr mit ihrer Mutter darüber gesprochen.

War es wirklich in Ordnung für sie? Sie sprach sich zumindest nicht mehr dagegen aus, es war also ein Fortschritt.

„Frau Fahlbusch, kommen Sie auch zur Aufführung?“, hakte Sarah schließlich nach.

Die Frau nickte unverzüglich und stellte das Tablett ab.

„Meine Tochter auf großer Bühne verpassen? Als ob ich mir das entgehen lassen würde.“

Sie wünschte den Mädchen noch viel Spaß und kehrte dann wieder ins Erdgeschoss zurück.

„Hm…“, kam es von Luise.

„Was denn?“, wollte Sarah wissen.

„Naja… denkst du, sie wir austicken, wenn wir uns auf der Bühne küssen werden?“, fragte diese vorsichtig.

Sarah begann zu kichern, auch wenn ihre Freundin die Frage ernst gemeint hatte.

„Nur für den Fall, sollten wir diese Szene noch etwas proben, damit wir uns nicht vor deiner Mutter oder den anderen blamieren. Was meinst du?“, schlug sie vor.

Dafür war Luise natürlich sofort zu haben, schließlich war es für die Schule, oder?
 

Luise betrachtete die Situation zwiegespalten, sonntags das Schulgebäude zu durchqueren. Doch es half nichts, die Aufführung würde bereits am Donnerstag stattfinden, einen Tag vor Weihnachten. Sie mussten nun jede freie Minute auf das Proben verwenden, wenn sie sich nicht allzu sehr blamieren wollten.

Sarah, die neben ihr ging sagte leise ihren Text auf, Luise hätte sie gerne gefragt, wie sie nun das mit dem Kuss regeln sollten. Doch warum war das überhaupt ein Problem? Sie küssten sich ständig, sie schafften es also die Szene glaubwürdig unters Publikum zu bringen. Dennoch war es ihr unangenehm, was sogleich auch lächerlich war. Es war ihr unangenehm, Sarah zu küssen? Drehte sie jetzt völlig durch? Nein, die Schwierigkeit bestand darin, es vor anderen zu tun.

„Ignorier sie einfach. Oder stell sie dir in Unterwäsche vor. Nein, warte, lass das letztere lieber. Ich bin die einzige, von der du solche Gedanken haben darfst.“, gab ihr Sarah den Rat, die ihren Missmut förmlich lesen konnte.

Luise nickte und versprach ihr möglichstes zu tun.

Sabine und der Rest des Teams warteten bereits ungeduldig und besprachen den Ablauf.

Dies war ihre erste, ernste Probe, denn sie fand im Festsaal des Gebäudes statt. Die Bühnenausstattung musste allerdings sehr sporadisch ausfallen, da auch andere Gruppen etwas aufführen wollten und so alles sehr schnell gehen musste. Ein paar Zimmerpflanzen und der Pappständer eines Baums zierten den Hintergrund.

Nachdem auch Luise und Sarah endlich in ihre Kostüme geschlüpft waren, begann die übliche Szene in der sich die Prinzessin verzweifelt nach ihrem Prinzen sehnte. Ihre Dienerin riet ihr, den Zauberer aufzusuchen, was diese sofort in Angriff nahm. Für die dunkle Hütte des Zauberers wurde das Licht etwas getrimmt, damit der waldähnliche Hintergrund nicht mehr zu sehen war. Mit einem Scheinwerfer, der blaues, statt normales Licht abgab, wurde das Erscheinen der beiden Kinder aus der Menschenwelt in Szene gesetzt.

Zusammen mit ihnen, machte sich die Prinzessin auf die Suche nach ihrem Prinzen, doch dieser hatte schlicht weg genug. Jana und Alex erinnerten ihn an seine Guten Taten und auch die Prinzessin schüttete ihm das Herz aus.

Schließlich folgte die Hochzeit, mit Ilsa in einer Doppelrolle.

„Und somit erkläre ich euch zu Mann und Frau!“, trällerte sie, auch wenn der Begriff Mann nicht wirklich auf Luise zutraf.

Sarah stand vor ihr, hatte ihre Hand ergriffen und nickte ihr zu.

Luise wusste, dass es jetzt auf sie ankam. Sie wollte nicht die Spielverderberin sein und ihre Freundinnen enttäuschen.

„Einfach so wie immer.“, wiederholte sie in ihrem Kopf die Worte und beugte sich dann nach vorne um ihre Lippen auf die von Sarah zu pressen.

Und sie hatte recht behalten. Es war wie immer.

Sarahs weiche und anziehende Lippen, der zarte Duft, den sie abgab, die Zunge die sich in ihrem Mund verbarg und bereits auf sie wartete.

Die Münder der beiden Mädchen verschmolzen und ihre Augen schlossen sich genießerisch.

„Ähem…“, wurden sie rüde von Sabine unterbrochen.

Verdutzt sahen sie in die Runde und erkannten zu spät, was sie angerichtet hatten. Sie waren zu weit gegangen, hatten schlichtweg übertrieben.

Luise beschimpfte sich innerlich selbst. Sie war unbesonnen und hatte sich von der Situation hinreißen lassen, so wie Sarah normalerweise.

„Also… ein kurzer Schmatzer ist etwas anderes. Es ist zwar schön, dass ihr euch solche Mühe gebt… aber das ist dann doch etwas übertrieben.“, wand Viktoria ein.

Luise war so durcheinander, dass sie kein Wort herausbrachte.

„Gut, ich lade euch alle noch auf einen Kaffee ein, was sagt ihr dazu? Das haben wir uns heute redlich verdient. Wir sind super vorbeireitet und brauchen vielleicht noch zwei oder drei Proben.“

Sabine klatschte in die Hände, was für die anderen wohl ein Zeichen darstellte, ihre Sachen zu packen. Dann trat sie auf die Bühne und zog Luise, so wie Sarah hinter den Vorhang, wo sich der Geräteraum befand.

„Was sollte das? Das war gerade echt schwierig euch Deckung zu geben!“, beschwerte sie sich.

Sarah faltete die Hände und machte ein Gesicht wie ein Unschuldslamm.

„Es… es ist einfach so geschehen.“, verteidigte sich Luise, aber mit schwacher Stimme.

Sabine seufzte nur.

„Habt ihr etwa vor, das vor versammelter Schule zu wiederholen? Dann könnt ihr gleich Händchen haltend durch die Flure spazieren!“

Luise hasste ihren Fehltritt, musste ihrer Freundin jedoch recht geben.

„Es war wirklich eine dumme Idee! Wir sollten das mit dem Kuss ausfallen lassen.“, beschloss sie.

Sarah sah sie schockiert an.

„Das ist aber der beste Teil! Und wie würden die Zuschauer reagieren, wenn wir nur eine halbe Hochzeit aufführen? Mal davon abgesehen, werden Ilsa und die anderen ziemlich stänkern.“, wand sie ein.

Es war Luise anzusehen, dass sie mit sich kämpfte, doch es belastete sie nach wie vor.

„Ok… bei der Aufführung werden wir das schon irgendwie hinkriegen. Aber während der Probe können wir ja darauf verzichten, oder?“, sagte sie und schlüpfte wieder durch den Vorhang.

Sabine und Sarah blickten einander an und zuckten nur mit den Schultern.
 

Mittwoch. Ein Tag vor der Aufführung des verschwundenen Prinzen.

Luise hatte Wort gehalten. Nicht nur, dass sie während den letzten Proben die Kussszene ausließ, mit der Begründung sie könne es Ilsa und den anderen ohnehin nicht recht machen, nein, auch wenn die beiden alleine waren, lief es nicht all zu gut. Seitdem waren ihre Küsse viel kürzer und weniger intensiv. Luise fiel immer schnell ein neues Thema ein, auf das sie Sarahs Aufmerksamkeit zog. Zum Sex kam es überhaupt nicht, was aber vor allem daran liegen mochte, dass beide viel zu aufgeregt wegen dem näher rückenden Tag X waren.

„Du willst wirklich kommen?“, fragte Sarah ihren Vater, als sich dieser über das Essen beugte.

Herr Heidenreich sah sie überrascht an und befreite gleichzeitig seinen Fisch von den Greten.

„Hey, ich darf meiner Tochter bei einer Schulaufführung zusehen, das ist doch der Traum jedes Vaters!“, wand er ein.

Sarah gab zu froh zu sein, dass Vater nicht arbeiten musste, doch ihr war mulmig zumute wenn sie daran dachte, dass er sie zusammen mit Luise beobachten würde.

„Ich dachte der Traum jedes Vaters wäre, dass die Tochter einmal einen Arzt heiratet?“, meinte sie schmunzelnd.

Herr Heidenreich ging darauf ein und wiegte mit dem Kopf.

„Es muss ja kein Arzt sein, ich wünsche mir für dich lediglich, dass du jemanden findest, mit dem du glücklich bist.“, sprach er sich aus.

Sarah zögerte und verharrte etwas in ihrer Position.

„Und… wenn ich schon jemanden gefunden habe, der mich glücklich macht?“, fragte sie so vorsichtig und diskret wie möglich.

Herr Heidenreich ließ seine Gabel langsam sinken und sah zu ihr hinüber.

„Dann… war meine Vermutung also richtig? Du… gehst mit jemandem? So nennt ihr das doch noch, oder?“

Sarah nickte mit aufgesetztem Lächeln.

„Manchmal. Aber deswegen hast du mir doch Christiane auf den Hals gehetzt, oder?“, erinnerte sie.

Herr Heidenreich reagierte so, als wäre er sich keiner Schuld bewusst.

„Ich dachte mir nur, dass du mit deinem alten, spießigen Vater nicht so gerne über Thema reden möchtest. Ich weiß nicht ob sie es dir erzählt hat, aber sie sieht Tabeas neuen Freund als Problem an. Ich kenne ihn nicht, vertraue aber Christianes Urteil. Du kannst schwer leugnen, dass sie einiges an Erfahrung zusammen getragen hat.“

Sarah schluckte und stocherte in ihrem Essen herum.

„So wie Mama wenn sie noch leben würde.“

Darauf schien ihr Vater nicht vorbereitet gewesen zu sein, weshalb er sich auch nichts zurecht legen konnte.

„Hey, du hast immer noch mich, ja? Du kannst mit mir reden, besonders wenn es so eine wichtige Neuigkeit und Veränderung in deinem Leben gibt.“, startete er einen neuen Versuch.

Sarah sah ihn eine Weile an und fuhr dann fort.

„Angenommen ich wäre Tabea und die Person mit der ich zusammen wäre, würde dir nicht sonderlich gefallen, was dann? Christiane glaubt, dass Ben – also Tabeas Freund – kein guter Umgang für sie sei, doch ich denke anders. Tabea ist schon erwachsen und sie weiß was sie tut.“

Herr Heidenreich befeuchtete sich die Lippen und versuchte eine akzeptable Antwort zu geben.

„Sie macht sich eben Sorgen um ihre Tochter, genau wie ich. Aber du bist mir sehr wichtig, wenn dein Freund etwas… anders wäre, würde ich ihn aber nicht gleich davon jagen, sondern ihn erst mal kennen lernen wollen. Handelt es sich bei dem, in den du verliebt bist etwa… um einen Kriminellen?“, tastete er sich langsam vorwärts.

Sarah verneinte langsam.

„Es war nur ein Beispiel. OK, noch eines. Angenommen derjenige ist 20 Jahre älter, was würdest du dann sagen?“

Ihr Vater musste sich zwingen nicht laut zu protestieren, doch seine Tochter verstand den Wink auch so.

„Siehst du?“

„Er ist also älter als du?“

Sarah schüttelte den Kopf und aß einen Bissen.

„Nein, aber du wärst mit so jemandem nicht einverstanden wie du selbst demonstriert hast. Aber meine… unsere Situation ist ähnlich, weshalb es mir unangenehm ist dir diese Person einfach so zu präsentieren.“

Herr Heidenreich schien die Tatsache einen Moment zu überdenken, Sarah hoffte dass er nicht gleich darauf schloss, dass seine Tochter lesbisch sein konnte. Oder… wäre das überhaupt so schlimm?

„Aber ich bin dein Vater, gerade mir solltest du sowas anvertrauen.“, vertrat er seine Meinung.

Sarah nickte und aß weiter.

„Ein bisschen noch, ja? Lass mich bitte entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.“, bat sie eindringlich.

Herr Heidenreich akzeptierte notgedrungen, auch wenn seine Tochter wusste, dass er hin und wieder dieses Thema anschneiden würde.

„Etwas anderes, ist es in Ordnung, wenn Christiane und ihre Kinder Weihnachten bei uns verbringen?“

Das kam aus dem Nichts, doch Sarah reagierte ganz souverän darauf.

„Ja warum eigentlich nicht. Dann muss ich zwar noch ein paar Geschenke besorgen, aber es wird sicher spaßig Tabea und Tobias bei uns zu haben. Und Christiane sowieso. Aber… kann ich dich auch etwas fragen?“, wollte sie erwartend wissen.

Ihr Vater musterte und wartete darauf was sie zu sagen hatte.

„Dürfen Luise und ihre Mutter ebenfalls mit uns feiern? Ich habe Frau Fahlbusch noch nicht gefragt, aber sie hat bestimmt nichts dagegen.“

Herr Heidenreich ließ sich diese Möglichkeit kurz durch den Kopf gehen und willigte schließlich ein.

„Wieso nicht? Je mehr desto lustiger dürfte unser diesjähriges Fest ausfallen.“, gab er sein OK.

Sarah stand auf und küsste ihren alten Herrn auf die Schläfe.

„Danke Paps! Du bist der Beste!“
 

Endlich war der Tag der Aufführung angebrochen. Doch gleich am Morgen erwies es sich als Herausforderung Sarah aus dem Bett zu kriegen.

„Ich kann nicht, ich bin krank!“, wehrte sich Sarah und zog sich die Decke über den Kopf.

„Bist du nicht.“, war sich Luise da sicher.

„Dann… habe ich meine Tage!“, lenkte Sarah ein.

Ihre Freundin stöhnte nur.

„Nein, die hast du immer erst am Monatsende.“, ließ sie auch diese Ausrede nicht durchgehen.

„Pah! Jetzt weißt du sogar schon wann ich meine Tage bekomme. Was folgt als nächstes?“, zog sie endlich die Decke zur Seite und krabbelte aus dem Bett.

Luise hatte sich bereits angezogen, auch wenn sie nur wenig später in ihr Kostüm schlüpfen würde. Sarah hatte vorgeschlagen gleich damit in die Schule zu fahren, doch die Mädchen wären dann nur unnötig beäugt worden. Wie zwei Nymphen aus einer anderen Welt, die es hierher verschlagen hatte.

Juliane Fahlbusch tat den beiden den Gefallen und fuhr sie die Schule, wo Ilsa, Viktoria und Jasmin ebenso aufgeregt warteten. Es blieb gerade noch Zeit für eine weitere Probe, dann würden die Vorführungen beginnen.

Den Anfang machte eine Band, die trotz der wenigen Zeit einiges zu Stande brachte. Sarah erkannte ihre Freundin Lena, welche als Frontsängerin fungierte.

„Ich bin richtig neidisch. Lena darf einen auf K-On machen und wir führen ein Märchen auf.“, meinte Sarah etwas trotzig.

Ilsa räusperte sich und richtete den Kragen von Sarahs Kostüm.

„Das will ich nicht gehört haben! Wir haben geprobt bis zum Umfallen und werden dem Publikum eine gute Show darbieten, die sie nie vergessen werden!“, stand für sie fest.

Luise fragte sich innerlich, ob der Eindruck den sie erwecken würden wirklich positiver Natur sein würde, hütete sich aber davor dies auszusprechen.

Während ihre Schauspiel-Kolleginnen anderweitig beschäftigt waren, nutzte sie die Gelegenheit um kurz Sarahs Hand zu halten.

„Wir schaffen das! Gemeinsam.“, machte sie ihrer Freundin Mut.

Sarah nickte überzeugt.

„Bestimmt.“
 

„Und wer denkt an mich? Ich habe extra dieses unbequeme Bett mit der Erbse ertragen und nun stehe ich ohne Mann da.“

Sarah hielt sich theatralisch den Handrücken gegen die Stirn und wirkte einer Ohnmacht nahe.

„Ich weiß nur noch eine Chance.“

Alle Blicke fallen nun auf Sabine, welche die Rolle der Dienerin inne hielt.

„Wir müssen den Zauberer um Hilfe bitten, er ist der einzige der jetzt noch etwas tun kann.“

Das Licht veränderte sich, es hat den magischen Effekt den sich alle erhofften.

„Hm. Das ist eine schwierige Sache. Da weiß ich nur einen Weg, aber nein, das ist unmöglich, das hat noch keiner zuvor gemacht.“, antwortete der Zauberer grüblerisch, nachdem man ihm von dem Problem ins Bild gesetzt hatte.

Einige Lacher seitens des Publikums folgten, da Ilsas Kostüm wirklich mehr dem eines Greises ähnelte als dem eines Zauberers, wie man ihn aus Märchen oder Filmen kannte.

„Na gut. Aber ich habe euch gewarnt. Das einzige was wir noch tun können ist zwei Kinder aus der realen Welt hierher zu holen. Sie sind die einzigen die uns noch helfen können.“

Ilsa war stolz auf sich, ein eher unbekanntes Stück gewählt zu haben und war sich sicher, dass die meisten Schüler oder Lehrer nicht vorher sagen konnten welche Gestalt der Rest des Spiels annehmen würde.

Das Lichtspiel änderte sich erneut und waldähnlichen Hintergründe wurden sichtbar. Mystisch klingende Musik ertönte, die vielen einen Schauder über den Rücken jagen ließ. Sarah hatte vorgeschlagen sich eine von Tabeas Death-Metal CDs zu besorgen und einzuschieben, wurde jedoch überstimmt. Ilsa hatte etwas Passendes aus dem Internet herunter geladen, das nun automatisch durch die Boxen auf der Bühne spielte.

„Wasserfluss und Sonnestrahl. Fliegen-Flug und Vogelsturz. Großer Geist der Märchenwelt, bring mir die Kinder aus der anderen Welt.“

Ilsa benutzte ein umgestaltetes Lineal, das als Stauberstab herhalten sollte. Durch einen weiteren Lichteffekt standen plötzlich Viktoria und Jasmin auf der Bühne, in ihren Rollen als Alex und Jana. Die Verwunderung die beide darboten wirkte sehr realistisch, insbesondere ihre Klamotten die typisch für ihr Alter waren.

„Wenn wir schon hier sind könnt ihr uns wenigstens sagen wie wir euch helfen sollen.“, bat Alex und die Dienerin erzählte ihnen vom Verschwinden des Prinzen.

„Wir brauchen eure Hilfe. Wir wissen nicht mehr weiter. Und jeder hier weiß, dass ihr Kinder aus der realen Welt euch so gut bei uns im Märchenwald auskennt.“, appellierte die Prinzessin an die Hilfsbereitschaft der beiden.

Alex zog ein Handy aus seiner Tasche und gab es der Prinzessin.

„Hier ruft ihn doch einfach mal an, dann werdet ihr schon hören wo er steckt!“

Verwirrt klimperte die Prinzessin auf dem Gerät herum, aber ohne großen Erfolg.

Bald wird klar, dass hier konventionelle Mittel nicht Erfolg versprechend sein würden. Also begleitete die Prinzessin die Kinder quer durch den Märchenwald und schwärmt von ihrem Prinzen.

Luise zitterte leicht, noch nie war sie so in den Vordergrund gerückt. Die Prinzessin umarmte den Prinzen freudig, als dieser unerwartet vor ihr auftauchte. Schnell sollten sie zurück und die Hochzeit feiern, doch dieser stellte sich quer.

„Tsundere!“, flüsterte Sarah ihrer Freundin ins Ohr, der das Schauspiel des Mädchens etwas zu flach vorkam.

„Bin ich nicht!“, wehrte sich Luise gereizt und hatte somit ihr Sollt erfüllt.

„Das ist doch alles nur dasselbe! Immer hübsche Prinzessinnen retten und Bösewichte in die Flucht schlagen. Damit verschwende ich nicht mehr meine Zeit.“, sagte sie abfällig und etwas arrogant.

Doch daraufhin erzählten ihm Alex und Jana von den ganzen Geschichten die sie gelesen hatten und wie sehr sich alle Bewohner des Märchenwalds, denen der Prinz beigestanden war, doch über seine Hilfe gefreut haben mussten.

Dieser ließ sich erweichen und wollte wieder ins Schloss zurück kehren.

Alex und Jana wurde von Herzen gedankt und der Zauberer schickte sie in ihre Welt zurück.

Und dann war es soweit. Die Szene, die für Luise eine Zerreisprobe darstellte. Die Hochzeit konnte endlich beginnen und der Hofbeauftragte erklärte sie zu einem Paar.

Es war schon eine Leistung, dass Luise überhaupt Sarahs Hand halten konnte, aber sie nun auch noch zu küssen? Hätten sie in ihren Proben etwa doch mehr Zeit darauf verwenden sollen?

Als sie nicht fortfuhr, ging ein leises Raunen durch die Zuschauermenge und selbst Ilsa in ihrer Zweitrolle hustete laut.

Luise blickte noch einmal intensiv in Sarahs Augen, dann wusste sie es. Solange ihre geliebte Sarah bei ihr war, war sie ohnehin im Stande alles zu bewältigen.

Langsam beugte sie sich vor und küsste die Prinzessin zart auf die Lippen.

Der Hofbeauftragte verkündete darauf ein Fest und die Musik änderte sich.

Kurz darauf stürmten alle auf die Bühne und begannen sich zu verbeugen.

„Komm!“, zog Sarah ihre Freundin mit sich und bald standen sie vor klatschenden Reihen.

Sarah erkannte ihren Vater und Luise auch ihre Mutter, die zweifelnd die Augenbrauen hob.

Dennoch spürte Luise förmlich ihre Anerkennung.

Ilsa schnappte sich das Mikro und dankte allen Anwesenden für ihre Unterstützung. Sie wollte sich schon verabschieden, da griff sich Sarah das Gerät. Immer noch hielt sie Luises Hand, dieser kamen bereits die ärgsten Befürchtungen. Sarah würde sich und sie doch nicht vor der gesamten Schule outen, oder? Die beiden hatten darüber gesprochen es zumindest Sarahs Vater anzuvertrauen, aber so?

„Ich möchte auch noch mal allen danken, die sich heute Zeit genommen haben. Und natürlich meinen verehrten Darsteller-Kolleginnen! Viktoria und Jasmin haben ihre Sache super gemacht und auch Ilsa kam als Zauberer echt gut rüber, genau wie Sabine. Naja und für die Rolle des Prinzen haben wir einen edlen, stattlichen Mann gesucht aber leider… haben wir an dieser Schule keinen gefunden. Deshalb ist meine Freundin Luise eingesprungen, ich war sehr froh sie als Partnerin gehabt zu haben.“

Ein amüsiertes Lachen ging durch die Bänke, hauptsächlich vom weiblichen Anteil der Zuschauer.

Ein weiterer Applaus folgte und alle verbeugten sich erneut.

Dann wurde es Zeit die Bühne zu räumen, denn die Schüler der 9B bereiteten sich bereits auf ihr Grippenspiel vor, eine weitere Attraktion des Abends.

„Aber wir waren die besseren, oder?“, wollte Sabine von ihren Freundinnen wissen, als sie wieder hinter der Bühne standen.

„Und ob!“, klopften sich Viktoria und Jasmin gegenseitig auf die Schultern.

„Und ihr wart sowieso die Besten, auch ohne langen Zungenkuss.“, beglückwünschte Ilsa Prinz und Prinzessin.

Luise schluckte, doch Sarah sah sie nur hämisch an.

„Ach kommt, ist doch offensichtlich, dass ihr beiden was am laufen habt.“, sagte Viktoria kichernd.

Luises Augen weiteten sich, doch Sabine wehrte schnell ab.

„Nicht von mir!“, stellte sie schnell klar und wirkte etwas eingeschnappt, dass ihre beste Freundin überhaupt diese Idee kam.

„Das war doch offensichtlich Mädels! Noch mehr, dadurch wurden eure Rollen sogar noch wesentlich glaubhafter.“, versicherte ihnen Ilsa.

„Und… das ist ok für euch?“, wagte es Luise zu fragen.

Die Mädchen sahen einander an, alle zuckten mit den Schultern.

„Klar, warum nicht? Geht doch nur euch etwas an.“, tat Jasmin die Sache ab.

Luise blickte hilfesuchend zu ihrer Prinzessin aka. Sarah.

„Du hast es doch gehört, oder? Geht nur uns etwas an.“, erwiderte sie und küsste ihre Freundin nun so, wie sie es auf die Bühne gerne getan hätte.

Luise dachte erst daran den Kuss zu unterbrechen, immerhin sahen ihnen ihre Freundinnen zu. Doch dann gab sie sich dem feuchten Vergnügen hin und war glücklich diese Aufführung, nein diesen ganzen Tag mit Sarah gemeinsam überstanden zu haben.

„Muss Liebe schön sein…“, ernteten die beiden vielsagenden Blicke.

„Stimmt, ist sie auch.“, konnte ihnen Sarah nur bestätigen.
 

Sarah lief so ungeduldig auf und ab, dass ihre Schuhe klapprige Geräusche von sich gaben.

„Du musst nicht so aufgeregt sein. Du darfst sie nicht als neue Familie sehen, sondern als eine Art Zuwachs. Christiane wird Mama keinesfalls ersetzen.“, versuchte ihr Vater auf sie einzureden.

Sarah selbst hätte am liebsten laut los gelacht. Christiane hatte sie doch schon längst akzeptiert, auch die laute Tabea und den geisterhaften Tobias. Aber was war mit Luise und deren Mutter? Es war das erste Weihnachten, das sie mit ihrer Freundin verbringen würde. Dabei war es gar nicht mal solange her. Sie kannten einander erst drei Monate und waren zwei davon zusammen. Es ging alles recht schnell, doch Sarah wusste, dass Luise die Richtige war. Würde alles ohne Komplikationen ablaufen? Ihr Vater hatte ihr zu der gelungenen Aufführung gratuliert und sich nichts bei dem Kuss gedacht. Genau genommen wär er der einzige Anwesende, der nichts von Luise und Sarah wusste. Was absurd war, immerhin war er ihr Vater und wusste weniger als eine Gruppe von Fremden. Aber genau das war ja der Grund für ihre Zurückhaltung.

Unruhig starrte das Mädchen zu dem Baum, der in der Mitte des Wohnzimmers aufgestellt worden war. Sie selbst, so wie Tabea und Luise waren zu alt dafür, Herr Heidenreich hatte ihn einzig und allein für Tobias besorgt. Zwar glaubte er schon lange nicht mehr an den Weihnachtsmann und das Christkind, doch Sarah wusste aus eigener Erfahrung wie wichtig ein schönes Weihnachten für ein Kind sein konnte.

Es klingelte und das Mädchen stürmte zur Eingangstür. Es waren Christiane und ihr Anhang. Einen Moment hatte sie befürchtet, Tabea hätte sich abgekapselt und wäre mit ihrem Ben durchgebrannt, doch Fehlanzeige.

Alle umarmten sich und Sarah ließ es sich nicht entgehen sogar den kleinen Tobias zu knuddeln.

„Lass das lieber, sonst fängt seine Pubertät noch früher an, als es gut für ihn wäre.“, warnte Tabea und ihre Mutter räusperte sich.

Herr Heidenreich hatte inzwischen eine CD mit passender Weihnachtsmusik eingeworfen und Tabea stöhnte demonstrativ.

„Was denn? Nicht so deine Musikrichtung?“, fragte Sarah zynisch und ihre Quasi-Stiefschwester zeigte ihr den Stinkefinger.

Der Hausherr begrüßte die Ankömmlinge sporadisch und eilte dann in die Küche um das Essen vorzubereiten. Die Gäste setzten sich, doch da läutete es erneut.

Sarah atmete tief durch, straffte ihren Pulli und öffnete die Tür.

Sie konnte nicht bestimmten, ob das Lächeln von Frau Fahlbusch aufgesetzt war oder nicht. Doch wieso eigentlich, immerhin war heute Weihnachten, richtig? Es gab allen Grund zur Freude, einer davon stand etwas abseits der Frau.

Luise hatte sich festliche gekleidet und Sarah wäre am liebsten über ihre Freundin hergefallen. Doch sie hielt sich zurück und zog sie ins Innere.

„Das sind Luise und ihre Mutter, sie wohnen nebenan.“, stellte sie die neuen Gäste vor.

„Tut mir leid, wir wurden das letzte Mal nicht ordnungsgemäß einander vorgestellt. Juliane.“, meinte Frau Fahlbusch als sie Christiane die Hand reichte.

Auch diese erwiderte den Gruß und nannte ihr ihren Namen.

„So so, du bist also die berühmte Luise. Ich habe bereits eine Menge von dir gehört.“, schmatzte Tabea provokativ.

Luise spürte sofort Unbehagen aufkommen, vor ihr stand ein Mädchen, das sie nicht kannte, aber das wiederum in viele, intime Geheimnis von ihr eingeweiht war.

„Ich kann Sarah verstehen.“, sprach sie, bis sich diese selbst einmischte.

„Ja, wieso fütterst du deinen kleinen Bruder nicht mit ein paar Keksen?“, schlug Sarah vor und schob Tabea beiseite.

Luise setzte sich auf das Sofa, direkt neben ihrer Mutter und Christiane.

„Ach, beehrt uns Ihr netter Sohn heute nicht mit seinem Besuch?“, wollte letztere in Erfahrung bringen.

Frau Fahlbusch zuckte sanft mit den Schultern.

„Er hat versprochen vorbeizuschauen, aber so genau weiß man das nie bei ihm. Er ist einfach ein Freigeist und nicht zu bremsen.“, verriet sie.

„Ach und… danke für den Rat und den Beistand den Sie mir letztes Mal gegeben haben.“, meinte Luise und war selbst verwundert, dass ihr dies so einfach über die Lippen kam.

Christiane sah erst zu ihr, dann zu ihrer Mutter.

Diese nickte und machte gute Miene zum bösen Spiel.

„Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, außerdem hätte es Luise weitaus schlechter treffen können, als mit Sarah.“, gab sie zu.

„Um was geht es denn?“, fragte Tobias etwas kleinlaut, der hinter dem Sofa Deckung gesucht hatte.

„Erzähl ich dir wenn du älter bist Knirps. Und jetzt hilf mir die Kekse wegzufuttern.“, fing Tabea den Geisterjungen schnell wieder ein.

„Hey hey, nichts da! Dann hat er vor dem Essen keinen Hunger mehr und ich habe mir die Mühe umsonst gemacht.“, beschwerte sich Herr Heidenreich, der ausnahmsweise diesmal im Gegensatz zu seiner Tochter den Kochlöffel schwang.

Wenig später saßen sie rund um den Küchentisch und waren in wilde Gespräche verwickelt. Sie hatten dicht aneinander rücken müssen, da die Gruppe doch größer geworden war, als erwartet.

Sarah saß neben Luise und nutzte die Enge, um deren Hand zu halten. Als Luise auch das sanfte Streichen eines Beins spürte, nahm sie erst an diese gehöre auch Sarah, irrte sich aber. Tabea machte sich einen Spaß daraus die beiden zu ärgern und Sarah, welche die Stichelei mitbekam, trat zurück.

Tabea fuhr auf, wehrte aber ab als ihre Mutter sie fragte was denn los sei.

„Danke, das Essen hat wirklich köstlich geschmeckt.“, bedankte sich Luise für die Gastfreundschaft und alle fanden sich wieder im Wohnzimmer ein.

Natürlich waren inzwischen wie auf magische Weise allerlei Geschenke unter dem Baum aufgetaucht.

„Siehst du? Den Weihnachtsmann gibt es doch!“, sagte Christiane erfreut zu ihrem Sohn und dieser rang damit zu lächeln.

Sarah blickte verstohlen zu Luise, beiden war natürlich aufgefallen, wie sich die Frau während des Essens kurz nach draußen zu ihrem Auto begeben hatte.

Dennoch hinterte den Jungen nichts mehr daran die Verpackung aufzureißen und dahinter eine Schachtel mit einer Transformer-Actionfigur vorzufinden.

„Na? Wie sagt man?“, fragte Christiane, während Tobias vergnügt damit spielte.

„Wieso? Der Weihnachtsmann ist doch gar nicht mehr da, wie sollte ich ihm da Danke sagen?“, spielte der Junge den Verwirrten und alle lachten.

„Wo er recht hat, hat er recht, Mama.“, stimmte selbst Tabea ein.

Christiane wurde schließlich selbst überrascht, als Herr Heidenreich ihr eine wertvolle Armbanduhr schenkte. Seines wiederum stellte sich als schicke Krawatte heraus.

Erst hatten sich die beiden geschworen einander nichts zu schenken, aber das kannte man ja.

„Tabea, öffne dein Geschenk!“, drängte sie dann ihre Tochter.

Diese balancierte es skeptisch in ihren Händen.

„Zu klein für ein Bike.“, murmelte sie.

„Vielleicht ist es so ein cooles, extrem Zusammenklappbares. Oder es wurde so sehr verkleinert, dass es in eine Kapsel passt, die man nur anstupsen muss und schon hast du es vor dir.“, schlug Sarah vor, doch Tabea war nicht sonderlich überzeugt.

Wohl mit gutem Recht, im Inneren befand sich eine CD mit klassischer Musik.

„Damit du auch einmal etwas anderes hörst als immer diesen Krach!“, sagte Christiane darauf.

Sarah konnte Tabeas Missmut förmlich spüren. Erst besaß ihre Mutter gegen ihren Freund Einwände und nun gegen ihre Musik. Doch sie war gut auf die Situation vorbereitet und überreichte der jungen Frau das Geschenk, das sie unter dem Tisch versteckt gehalten hatte.

Tabea bedankte sich und packte es voller Überraschung aus.

„Wahrscheinlich habe ich es ohnehin vermasselt. Ich habe im Netz etwas nach guten Band gegoogelt die dir gefallen könnten und eine Track-Liste zusammengestellt. Wenn sie dir nicht gefällt wirf sie einfach weg.“, merkte sie an.

Tabea grinste und erhob sich. Sarah zuckte beinahe zusammen, als sie für einen Moment umarmt wurde. Tat sie das nur, um Luise vielleicht eifersüchtig zu machen? Oder mochte sie diese Rockerbraut inzwischen wirklich?

„Ich müsste erst reinhören, aber jetzt schon einmal danke, dass du das für mich gemacht hast.“

Sarah freute es, Tabea doch noch in absoluter Weihnachtsstimmung vorzufinden.

„Ach, ganz vergessen!“, kam es ihr dann in den Sinn und sah erneut unter dem Tisch nach.

Erneut zog sie ein eingewickeltes Geschenk hervor und reichte es Luise.

„Schöne Weihnachten!“, wünschte sie ihr und wartete auf eine Reaktion.

„Ach… du hättest mich beinahe vergessen?“, fragte diese mit gespielter Empörtheit.

„Ne, du Dummerchen, nur dein Geschenk.“, triezte sie ihre Freundin.

Erwartend packte Luise ihr Geschenk aus und fand den schön verzierten Schal vor, den Sarah gekauft hatte, als sie mit Jonas unterwegs gewesen war.

„Der ist wirklich schön, danke!“, erwiderte sie und umarmte Sarah kurz, aber nicht zu auffällig.

„Und…. meines?“, fragte Sarah wie ein kleines Kind.

Luise antwortete ihr erst, als sie den Schal umgelegt und von allen Seiten betrachtet hatte.

„Das steht noch in meinem Zimmer. Es war zu groß um es her zu schleifen, geschweige denn einzupacken.“, gestand sie.

In Sarahs Gesicht bildete sich ein freudiger Ausdruck und sie rieb sich bereits die Hände.

„Paps, dürfen Luise und ich uns hier ausklinken?“, fragte sie ihren Vater der immer noch mit der Krawatte spielte.

„Ähmmm… natürlich Schatz, wir sitzen hier ohnehin noch eine Weile. Kommt zurück wann es euch beliebt.“, gab er seinen Segen.

„OK, aber zählt den restlichen Abend lieber nicht mehr auf uns, wir feiern noch unsere eigene Party. Nicht wahr, Liebes?“, fragte Sarah und bevor es sich Luise versehen konnte, hatte sie ihre Lippen schon auf die ihrigen gedrückt.

Luise konnte nicht mehr zurückweichen, es war wie während der Probe. Und wieder vor Publikum. Wieder hatte sie ihre Freundin überrumpelt, auch wenn sie ihr deshalb niemals böse sein konnte.

Doch diesmal tat sie es vor ihrem Vater, der die beiden ansah, als hätten sich die beiden Mädchen gerade nackt ausgezogen und zu tanzen begonnen.

„Gut, einen schönen Abend und frohe Weihnachten noch!“, wünschte Sarah und zog Luise mit sich.

„Äh, ja von mir auch!“, schaffte es diese gerade noch zu sagen, bevor sie aus dem Haus gezerrt wurde.

„Häh? Was sollte denn das jetzt? Das Theaterstück ist doch bereits vorbei, oder? Wozu noch diese Proben?“, schien er die Situation gänzlich zu verkennen.

„Joachim? Wir sollten da etwas besprechen.“, fuhr Christiane beruhigend über die Schultern ihres Partners.

„Krass.“, kam es nur von Tobias.

Epilog

„Jetzt warte doch mal!“, versuchte Luise vergeblich ihre Freundin zu bremsen.

„Nichts da, ich will jetzt mein Geschenk!“, ließ diese nicht locker und hastete die Treppe nach oben.

In Luises Zimmer angekommen, schwang ihr Blick nach allen Seiten, doch nirgends lag ein Paket einfach so herum.

„Wo hast du es versteckt? Zwischen deinen Lesbenromanen? Im Unterwäscheschrank?“, begann sie Luise wie eine Verdächtige auszuhorchen.

Diese riss sich nun los und stolzierte zu ihrem Bett. Sie musste sich hinknien um den Kissenbezug, den sie extra für diesen Anlass hatte anfertigen lassen hervor zu fischen.

„Also… für die Tage wo wir nicht zusammen schlafen können dachte ich mir… hier für dich.“, reichte sie Sarah mit stockendem Atem deren Geschenk.

Diese hielt den Kissenbezug hoch und stieß einen verwunderten Pfiff aus.

„Du meinst… das ist für mein Dakimakura?“

Luise nickte zustimmend.

„Ja, es ist dieselbe Größe, ich habe es abgemessen.“, gestand sie.

Sarah fragte sich insgeheim wann sie dazu Zeit gefunden hatte. Wenn sie selbst geschlafen hatte?

„Das… ist das Süßeste was je jemand für mich getan hat!“, fiel sie samt Dakimakura-Überzug in die Arme.

„Ich bin keine Anime-Figur, aber hoffentlich bist du dennoch mit mir zufrieden.“, sagte Luise und küsste sie auf den Kopf.

„Du bist mir doch 1000 Mal lieber! Ich war schon überglücklich eine Luise haben zu dürfen, aber zwei? Ich liebe dich wirklich über alles.“, verstärkte sie die Umarmung sogar noch.

„Du… wirst jetzt doch nicht zu weinen anfangen, oder?“, fragte Luise vorsichtig, der inzwischen Sarahs glasige Augen aufgefallen waren.

Diese schüttelte den Kopf.

„Ich kann mich gerade noch so erwähren. Außerdem muss ich dir noch dein Geschenk geben.“, sagte sie schließlich.

Luise stutzte.

„Das hast du doch schon. Diesen Schal, erinnerst du dich?“

Sarah schmatze mit den Lippen, kehrte zur Tür zurück und schloss diese ab. Dann flogen ihre Schuhe beiseite und sie öffnete den Reißverschluss ihres Pullis.

„Ähm, meinst du das mit Geschenk was ich glaube?“, fragte Luise skeptisch.

Sarah schüttelte den Kopf, erwiderte aber nichts darauf.

Erst als Shirt und Hose fielen, verengten sich Luises Augen zu kleinen Schlitzen.

Jonas Flehen hatte scheinbar nichts bewirkt, Sarah präsentierte nun ihr spezielles Geschenk.

„Frohe Weihnachten.“, meinte Sarah, betätigte den Aus-Schalter für das Licht und trat auf ihre Liebste zu.

„Ohman, du bist einfache eine Wucht wie immer.“, konnte diese darauf nur erwidern und schloss Sarah erneut in die Arme. Ihre Lippen trafen sich und beide Mädchen wussten, dass es definitiv das schönste Weihnachten war, das sie je erlebt hatten.

„Also gefällt es dir?“, fragte Sarah verführerisch.

Luise wollte schon zynisch mit Nein antworten, doch Sarahs Augen hatten sie völlig in ihren Bann gezogen.

„Du gefällst mir. Jeder Millimeter von dir. Jeden einzelnen liebe ich.“, verriet sie ihr mit verliebten Blick.

Sarahs Mundwinkel schoben sich nach oben.

„Gleichfalls. Ich bin so unendlich happy dich getroffen zu haben. Ich liebe dich, Luise.“, gestand sie und ließ sich zusammen mit ihrer Freundin aufs Bett fallen.

„Ich liebe dich auch, Sarah.“, erwiderte diese und begann wieder sie zu küssen.

Dabei entging ihr nicht, dass Sarah ihr Versprechen gebrochen hatte und eine einzelne Träne über ihre Wange huschte. Aber solange es aus reinem Glück war, war das doch in Ordnung, oder? Und immerhin…

Auch Engel weinen gelegentlich.



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Kommentare zu dieser Fanfic (14)
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Von:  Changeling12
2015-05-10T11:45:34+00:00 10.05.2015 13:45
Am Schluss das Kommentar von dem Kleinen: einfach nur göttlich xD

Achja das ist ne super Fanfiction ^^
Von:  Silver_Wolf
2014-01-20T15:52:39+00:00 20.01.2014 16:52
Wow ok... also ich muss sagen.. das war mein zweiter anlauf um die story zu lesen... denn eig sagt mir der schreibstiel nicht sonderlich zu... aber iwas fesselt michan deine geschichte...dafuer schon mal herzlichen Glückwunsch :-D...

Die story an sich ist wirklich sehr schön ♥ sie ist so unschuldig und süß... ich rechnete staendig mit iwelchen schlimmen Schicksalsschlägen so wie es in anderen ff's gang und gebe ist... aber nichts dergleichen. .. einfach eine schoene und vorallem rührende geschichte zweier maedchen ♥

Danke das deine story veröffentlicht hast :-)
Von:  Ranran
2013-11-26T20:34:36+00:00 26.11.2013 21:34
Es war wirklich toll :) super arbeit!
Von:  Ranran
2013-11-24T21:12:44+00:00 24.11.2013 22:12
Ich bin total begeistert von deiner geschichte <3 schon lange hab ich nichts schönes mehr unter die linse bekommen xD noch hab ich nicht alles gelesen und muss sagen ich zögere etwas um dein geschriebenes mehr zu genießen <3
Dein schreibstil gefällt mir :) weiter so! XD
Von:  Curupira
2013-06-18T23:02:59+00:00 19.06.2013 01:02
Hey ^^
Der Prolog klingt schonmal gut
Werd jetzt weiterlesen und dir dann ein zusammenfassendes Kommi schreiben.
Bin gespannt ^_^
Von:  Yuridevil
2012-11-10T16:27:42+00:00 10.11.2012 17:27
Schade fertig. War echt eine super Story und Danke für deine harte Arbeit. Die Entwicklung fand ich sehr gut, und dein Fan-service auch. Geile Idee Girlfriends einzubauen, dieser Manga brachte mich erst zum Yuri-Gerne.

Nochmals Vielen Dank für die Schönen Stunden die deine Geschichte mir beschert hat.

Lg
Von:  Demaar
2012-06-08T17:39:41+00:00 08.06.2012 19:39
Mann Schon zu Ende?
naja für die ff haben das Ende
und sein Zeitpunkt sehr gut gepasst.
Hat mir jedenfalls gefallen :)
Von:  rikku1987
2012-02-22T13:03:28+00:00 22.02.2012 14:03
puh ich bin durch man war das klasse
Von:  rikku1987
2012-02-19T11:48:34+00:00 19.02.2012 12:48
na war sie zu oder nicht hier mache ich erstmal wieder pause, lese aber bald weiter
Von:  rikku1987
2012-02-18T11:20:54+00:00 18.02.2012 12:20
sooo erstmal eine pause einlegen, bis kapi 5 bin ich gekommen, das hier kommt definitiv auf die favos, les nämlich bald weiter, daumen hoch


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