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Die Geflügelte Schlange - Schatten

* * make love, not war * * - Teil 2
von

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32. Spurensuche

Als Amemna und Hamarem die breite und sehr belebte Gasse erreichten, die ins Zentrum des Lagers zu den Zelten des Feldherrn führte und sie erst an den Zelten Orems und dann an denen des Ungenannten vorbeikamen, begrüßten viele Männer - Söldner und städische Soldaten der Tetraosi gleichermaßen - den Birh-Melack mit ehrfuchtsvollen Verbeugungen, erbaten seinen Segen und einer fiel sogar vor ihm auf die Knie und küßte den schon etwas ausgefransten Saum seines Mantels. Hamarem hörte, wie sie für die Heilung von Verwandten und Freunden dankten. Es mußte bei dem Erkundungsritt, zu dem Amemna mit einem Teil der Wannim am Morgen aufgebrochen war, dazu gekommen sein. "Was ist heute vormittag passiert?" fragte Hamarem seinen Herrn flüsternd.
 

"Tarrib ist von den Hannaiim besetzt, wirr hatten einen Kampf", erklärte Amemna knapp. Dann ergänzte er plötzlich: "Und die Prriesterrschaft des Ungenannten hat mirr schon am Vorrmittag einen Mantel geschickt, den sie wohl aus dem grroßen Wandbehang in ihrrem Verrsammlungsrraum gemacht haben. Errinnerrst du dich an das gewebte Bild mit den Geflügelten, die alle um ein Licht herrumstehen?" Sein Herr meinte wohl die Darstellung der Unirdischen, die die Sterblichen mit ihren Flügeln vor dem vernichtenden Feuer des Ungenannten abschirmten, und Hamarem nickte. Wie sollte er jemals die Treueschwüre der Wunakim und Mawarim gegenüber ihrem neuen Birh-Melack in diesem Versammlungsraum vergessen? Er hatte doch Amemna zu der Tat gedrängt, der dieser seine Akklamation zum Birh-Melack verdankte. "Ich habe ihn angezogen, aber err ist irrgendwie seltsam. Auf meinen Schulterrn ist err schwerrerr, als in meinen Händen und eigentlich müßte es doch umgekehrrt sein. Und dann diese Beklemmung, als wärre ich gefesselt, wenn ich ihn trrage..." Nachdenklich verstummte Amemna, schüttelte den Kopf.
 

Dieser Mantel war in dem merkwürdigen Paket, wurde Hamarem da klar. War der Mantel der Gegenstand, von dem Kräfte ausgingen? Ein Gegenstand, der in der Lage war, Kräfte zu beeinflussen? Das würde allerdings erklären, warum Hamarems Wahrnehmung gestört gewesen war, solange er in unmittelbarer Nähe des Paketes gestanden hatte. Was führten die Priester des Ungenannten im Schilde, wenn sie dem Birh-Melack der Söldnertruppe, zu der sie doch selbst gehörten, ein solches Geschenk machten? Amemna und er sollten gemeinsam den Mantel untersuchen, um festzustellen, wie es gelingen konnte, mit einem Gegenstand Kräfte zu binden. Vielleicht sollten sie auch die Priester des Ungenannten zur Rede stellen, dann konnten sie sie bei dieser Gelegenheit auch gleich fragen, was wegen des Dämons unternommen werden sollte. Richtig, der Dämon! Von seinen heutigen Erkenntnissen hatte Hamarem seinem Herrn noch nichts erzählt und nun standen sie vor dem stark frequentierten Badezelt. Hier durfte er nichts erzählen, was weitergetragen zu einer Panik im Heerlager führen mochte. Aber jetzt mußten sie ohnehin erst einmal zu Ramilla.
 

Hamarem führte seinen Birh-Melack zu dem prächtig geschmückten Schlafzelt seiner Geliebten, das ein Stück von der Zeltgasse entfernt hinter dem Amazelt stand. "Herrin, ihr habt uns rufen lassen", rief er vor dem Zelt, dann hörte er das Klingeln ihres Schmucks und Ramilla trat hinter der quergespannten Zeltbahn hervor. Sie begrüßte Hamarem mit einem liebevollen Lächeln, betrachtete Amemna jedoch skeptisch. Schützend umgaben sie die Kräfte, als fürchte sie einen Angriff von dem jungen Birh-Melack. "Ich habe euch erwartet, Herr", begrüßte sie Amemna schließlich förmlich, neigte steif den Kopf.
 

"Entschuldigt, daß wirr euch haben warten lassen, Herrrin", erwiderte Amemna daraufhin mit einer tiefen Verbeugung.
 

Ramilla drehte sich brüsk um, winkte, ihr zu folgen und ging raschen Schrittes wieder um die Zeltbahn zurück, hinter der sich bei Hamarems letztem Besuch die Lager Ramillas, der vorherigen Priesterin und des Knaben Nefut befunden hatten. Nun wurde der Platz von einem einzelnen, recht großen Lager eingenommen, auf dem statt Kissen jedoch etwa ein Dutzend zum Teil geöffneter Schriftrollen lagen. Unentschlossen blieb Hamarem in der Öffnung zum hinteren Bereich des Zeltes stehen. Ramillas Dienerin hatte gesagt, auch er wäre einbestellt, doch die Unterredung zwischen Amemna und der Priesterin der Ama ging ihn doch wohl kaum etwas an.
 

"Setzt euch, Herr", forderte Ramilla den Birh-Melack knapp auf und winkte Hamarem dann ungeduldig. "Worauf wartest du?" Ihre zusammengezogenen Augenbrauen und die Kräfte um sie zeigten ihre Konzentration. Natürlich, sie wollte dem unirdischen Birh-Melack ins Gewissen reden, da mußte sie alle ihre Sinne beisammenhalten. Aber wozu brauchte sie da ihn? Sollte er ihr den Rücken stärken? Sie wirkte, als sähe sie sich gerade einer der unangenehmeren Pflichten ihres Priesterinneamtes gegenüber, aber keineswegs hilflos.
 

Amemna nahm seinen Helm ab und ließ sich auf einem Teppich gegenüber des Lagers nieder, strich sich die Haare hinter die wohlgestalteten Ohren und lächelte die Priesterin erwartungsvoll an. "Wieso soll ich dabei sein?" fragte Hamarem leise, aber Ramilla antwortete nicht, setzte sich auf das Lager, faßte nach Hamarems Hand und zog ihn zu sich herunter, knapp neben eine dicke Schriftrolle, deren Bänder gelöst waren. Neugierig versuchte Hamarem, einen Blick auf ihren Inhalt zu erhaschen, aber er konnte sie nicht lesen, sie war mit den Schriftzeichen der Hawatpriesterinnen gefüllt. Dann entdeckte er auch eine Rolle mit Ostlerschriftzeichen, ein Werk über Dämonen. Was genau hatte Ramilla vor?
 

Das sanfte Glühen der um den Birh-Melack flackernden Kräfte, der unirdische Duft von Amemna und auch Ramillas beginnende Erregung, deren Duft ihm nun in die Nase stieg, ließen Hamarem schwindelig werden, und Ramilla wurde plötzlich feuerrot im Gesicht, faßte hastig nach Hamarems Hand, drückte sie so fest, daß es schmerzte. Hamarem mußte sich mit Macht davon zurückhalten, sie zu küssen oder darüber nachzudenken, was Ramilla wohl sagen würde, wenn er Amemna küßte. Also begann er, zur Ablenkung stumm die einhundert Lehrsätze zu memorieren. "Ich kann dich nun verstehen, mein Geliebter", sagte Ramilla leise, "dein Birh-Melack ist wahrhaft unwiderstehlich. Aber ich hoffe, der Segen der Großen Mutter gibt mir genügend Kraft, ihm zu widerstehen, bis wir geklärt haben, was geklärt werden sollte." Die Kräfte um sie zeigten jetzt deutlich ihre Erregung, umschlungen von Amemnas Kräften, die mehr als gewöhnlich in Bewegung schienen und den ganzen Zeltraum einnahmen, ebenso wie sein Duft. Dabei schien Amemna selbst nicht einmal erregt zu sein. Hamarem sprach stumm weiter die Lehrsätze vor sich hin, um jede Erinnerung an die intimen Begegnungen mit Ramilla und Amemna aus seinen Gedanken zu verdrängen. "Was wärre denn zu klärren?" fragte Amemna mit so einschmeichelnder Stimme, daß es Hamarem allerdings doch erregende Schauder verursachte.
 

"Ich glaube nicht, daß es eine gute Idee war, mich dazu zu bitten, Ramilla. Gerade die Anziehungskraft meines Birh-Melack...", warf Hamarem angesichts des in ihm aufsteigenden Gefühls ein, unterbrach sich aber hastig, als er merkte, daß er so verhinderte, daß Ramilla seinem Herrn antworten konnte.
 

"Du hättest mirr nichts von dem Uscherr'ta Hawat geben sollen, Hamarrem. Ich hatte einen guten Grrund, so viel Oinos zu trrinken. Tatsächlich erfrrischt der Willkommenstrrunk den Körperr und öffnet den Geist, wie es in den Brra arr'am, den Fünfhunderrt Künsten, heißt. Die dämpfende Wirkung des Oinos ist dadurch weitgehend verrflogen, und ich spürre deine Lust, Prriesterrin", sagte er dann mit einem schelmischen Lächeln. "Es ist sehrr verrlockend, darrauf zu antworrten." Diese Offenheit, die Amemna nun an den Tag legte, war verstörend. Nie zuvor hatte Hamarem von seinem Birh-Melack so stark die Überzeugung empfangen, einfach auszusprechen, was ihm durch den Kopf ging. Ob das noch auf den Oinos zurückzuführen war?
 

Ramillas Hand krampfte sich um Hamarems Finger. "Habt ihr jemals von den Ka'awatan gehört, Herr?"
 

"Das warren die unsterrblichen Boten Hawats in alterr Zeit, nicht wahrr Herrrin? Sie brrachten werrtvolle Geschenke oder schrrecklichen Schmerrz, töteten oder errweckten zum Leben", sagte Amemna nachdenklich, als erinnere er sich an vergangene Lehrstunden.
 

"Kommt euch das nicht bekannt vor, Herr? Die Erweckung Toter zum Leben etwa, oder die Tatsache, daß die Gesandten der Göttin in der Vorstellung der östlichen Stämme zweigeschlechtlich sind wie die Göttin selbst?" fragte Ramilla nun, griff mit ihrer freien Hand nach einer offenen Schriftrolle, die mit den Zeichen der Ostler gefüllt war.
 

Hamarem versuchte, etwas davon zu lesen, 'Rawam Tahachu', entzifferte er über Kopf die einleitende, mit blauen und roten Ranken verzierte Zeile, 'Von dem, was die Göttin betrifft'. Das war die alte Sprache des Ostens, die heutzutage außer den Schriftgelehrten nur noch wenige Menschen beherrschten. Als er ihr so nahe kam, schmiegte Ramilla für einen Moment ihren Kopf an seine Wange und Hamarem genoß die Wärme, ihr nach Weihrauch duftendes Haar, hauchte seiner Geliebten einen Kuß auf die Wange, bevor ihm bewußt wurde, daß sein Birh-Melack alles mit aufmerksamen Blicken verfolgte. Schnell ließ er von Ramilla ab.
 

"Was wollt ihrr damit sagen, Prriesterrin derr Ama?" fragte Amemna provozierend. "Wollt ihrr sagen, ich sei ein... ein Gesandterr derr Göttin derr Ostlerr?"
 

Ramilla sah ihn einen Moment an, als überlege sie, wie sie ihre für Hamarems Wahrnehmung viel zu komplexen Gedanken in Worte fassen sollte. "Jochawam um-Buhachu verbreitete, ihr wäret zweigeschlechtlich, Herr. Muß ich Zweifel an seinem Urteil haben?" fragte sie mit ehrfurchtsgebietender Strenge in ihrer Stimme.
 

Amemna schüttelte den Kopf. "Ihrr müßt keinen Zweifel an seinem Urrteil haben. Außerrdem kann es euch Hamarrem ebenso bestätigen. Ich bin auch gerrne berreit, es euch hierr und jetzt zu zeigen, Herrrin." Und er zog den Mantel von seinen Schultern, begann, die Knöpfe seines Untergewandes zu öffnen.
 

"Wartet damit", warf Ramilla mit einer Kälte in der Stimme ein, die sogar Amemna innehalten ließ. "Ich habe mich heute Vormittag lange mit eurem Zweiten über eure Natur unterhalten, Herr, und in meiner Erinnerung an die Geschichten des Ostens aus meiner Kindheit, an meine Ausbildung im Süden und an das, was meine aus dem Norden stammende Herrin mir vermittelte, bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß die Ka'awatan, die Gefäße der Göttin, genau das sind, was auch die Göttlichen Zwitter und die Unirdischen sind. Ich habe noch einmal in den mir zur Verfügung stehenden Büchern nachgesehen, weil ich befürchtete, meine Erinnerung an den genauen Inhalt der Schriften könne mich trügen, aber alles bestätigt meine Vermutung. Ich werde es euch darlegen." Anscheinend verschafften ihr diese Worte Amemnas volle Aufmerksamkeit, denn seine Kräfte ordneten sich sichtlich. Es war, als dürste es ihn wahrhaft nach dem Wissen, das Ramilla vor ihm ausbreiteten wollte.
 

Ramilla löste ihre Hand von Hamarem, legte die Schriftrolle, die sie noch hielt, neben sich und griff nach einer anderen. "Im Süden heißt es", und sie entrollte das Buch in der Schrift der Hawatpriesterinnen ein Stück weiter, legte Amemna die entsprechende Stelle vor, "die Gefäße der Göttin lehrten die Sterblichen die Kunst der körperlichen Liebe, und während des Geschlechtsaktes brächten sie mit ihren magischen Fähigkeiten neue Kraft oder entzögen sie ihren Partnern, ganz nach dem Willen der Göttin. Zudem heilen und töten sie mit bloßen Berühungen oder sogar durch die Kraft ihrer Gedanken." Amemna sah hinunter auf den Text, zog einen Finger unter den Zeilen entlang und formte mit den Lippen stumm die gelesenen Silben.
 

"Man findet in den Schriften des Südens nichts Eindeutiges über das Geschlecht der Ka'awatan, nur daß sie sowohl mit Männern als auch mit Frauen verkehrten, aber im Osten heißt es", und Ramilla legte die Schriftrolle, die in der alten Sprache der Ostler verfaßt war, neben die erste, "die Gesandten der Göttin seien zweigestaltig wie die Göttin selbst, sie hätten die unerschöpfliche Energie der Göttin, begatteten die Sterblichen und könnten Verletzungen heilen." Amemnas Blick folgte zwar der Bewegung von Ramillas Finger die Textzeilen entlang, aber offensichtlich konnte er mit der alten Ostlersprache nichts anfangen. Dann nahm Ramilla die zweite in Ostlerschriftzeichen, aber in der schon seit Jahrhunderten auch im Osten verbreiteten Sprache des Nordens verfaßte Rolle zur Hand. "Allerdings berichten die Geschichten des Ostens auch von gefährlichen Dämonen, die mit bloßen Berührungen oder durch Gedankenkraft Schmerzen verursachen und zerstören, wenn die betroffenen Sterblichen der Gunst der Götter verlustig gegangen sind. Das spiegelt sich auch in den Geschichten von Unirdischen und Dämonen aus den Städten des Nordens wieder." Und eine weitere Schriftrolle, Hamarem glaubte, das Buch von der Entstehung der Welt zu erkennen, wurde ausgebreitet. Ramilla stach geradezu mit ihrem Finger auf eine mit geflügelten Wesen geschmückte Textpassage, bei der es sich, soweit Hamarem kopfüber erkennen konnte, um den zweiten Gesang von den Boten der Götter handelte. "Die Unirdischen, die Boten der Götter, haben Falkengestalt, außer wenn sie kommen, um Sterbliche im Traum zu begatten. Sie sprechen in Gedanken zu anderen, sie lassen Tote auferstehen, sie schützen die Sterblichen vor den Dämonen. Die Dämonen wiederum schlüpfen in die Körper von Toten, sie schwächen die Sterblichen durch bloße Berührungen und sorgen für Tod und Zerstörung. Aus den Chroniken der Amapriesterinnen und aus meinem Kontakt zu Hamarem weiß ich, daß Menschen mit unirdischem Blut die Gedanken und Gefühle anderer Menschen wahrnehmen, sie sogar in gewissem Grade manipulieren können. Offensichtlich werden also Dämonen und Unirdischen ähnliche Kräfte zugeordnet. Hier und im Osten sind sie Antagonisten, die Menschen des Südens dagegen sehen in ihnen zwei untrennbar verbundene Seiten einer unsterblichen Natur. Ich gehe davon aus, und die Göttin möge mir gnädig sein, wenn ich falsche Schlüsse gezogen habe, daß ihr, Birh-Melack, eines der Wesen seid, die anderswo Gefäße der Göttin oder Göttliche Zwitter heißen und hierzulande als Unirdische und Dämonen bezeichnet werden."
 

"Herrrin, nach Ansicht der Oshey dienen die Unirrdischen aber doch Orrem", warf Amemna nun ein. "Und die Ka'awatan sind von Hawat gesandt worrden."
 

"Und Hawat beherrscht Mond und Sonne, den Himmel und die Erde, alle Wasser und die Luft, alles was darüber, darauf und darinnen ist", sagte Ramilla, als zitiere sie eine fromme Weisheit. "Und die Große Mutter der Ostler zeigt ihr Antlitz im Mond. Hierzulande wird der Mond Orems Lampe genannt - und Orem gilt als der Gatte Amas. All diese Boten der Götter, die sich in Menschengestalt mit den Sterblichen vereinigen, die auf die eine oder andere Weise mit der unter verschiedenen Namen bekannten Göttin verbunden sind, müssen von der selben Art sein", beharrte Ramilla.
 

Hamarems eigene Erkenntnisse über die Kräfte der Unirdischen und das Wesen der Dämonen fügte sich so nahtlos in Ramillas Erklärung, daß ihn ihr Schluß vollkommen überzeugte. Und er ergänzte ungefragt: "Angesichts der Geschehnisse um Jochawam gestern Nacht möchte ich behaupten, daß es sich bei den Dämonen wohl um entkörperte Unirdische handelt, um bloße Geister, die einen neue Körper suchen, der ebenfalls über unirdisches Blut verfügt. Auch entkörpert bleiben anscheinend die Kräfte der unsterblichen Götterboten erhalten, und mit ihnen das Bewußtsein um ihre Aufgabe, so daß sie nun rücksichtslos einen neuen Körper besetzen, um ihren Dienst an der Göttin wieder aufzunehmen." Der Schluß daraus erzeugte Hamarem selbst eine Gänsehaut: "Daher kämpfen die Dämonen in der Tat gegen die Unirdischen oder diejenigen mit unirdischem Blut."
 

"Ist es nicht unwahrscheinlich, daß ausgerechnet Unirdische in einen entkörperten Zustand geraten?" fragte Ramilla zurück.
 

"Rredet ihrr beide von derr Dunkelheit, die kesterrn Nacht nach Jochawam kekrriffen hat?" warf Amemna ein, dessen Kräfte sich nun plötzlich in Aufruhr befanden. "Und wieso scherrt ihrr mich mit einem dieserr dunklen Wesen überr einen Kamm, Prriesterrin? Ich habe inzwischen einige Männerr keheilt oderr dem Tode entrrissen, aberr..."
 

"Die Ka'awatan müssen ihre Kräfte auch im Moment der Ekstase beherrschen, damit sie sie nach dem Willen der Göttin einsetzen können. Die Schriften des Südens warnen davor, diese verstörende Macht aus Unerfahrenheit falsch einzusetzen. Und ihr habt Hamarem bei eurer Vereinigung fast die ganze Lebensenergie entzogen", fuhr Ramilla plötzlich auf. "Vielleicht hattet ihr nur deswegen genügend Kraft, heute Vormittag die anderen Männer zu heilen. Und was ist mit Jochawam, den ihr so schwächtet, daß er diesem Dämon zum Opfer fallen konnte?" fragte sie provozierend.
 

Hilfesuchend sah Amemna Hamarem an, war spürbar erschüttert über diese Eröffnung. "Ist das wirrklich wahrr?" fragte er, aber auch er sah in Ramillas Erinnerung, wie erschöpft Hamarem tatsächlich gewesen war, wie schlecht Jochawams Zustand gewesen war, als sie ihn mit Derhans Hilfe aufgeweckt hatten. "Ich wollte doch nurr etwas von deinerr Lust spürren, wollte nurr..." Immer flacher wurden die Bewegungen seiner Kräfte, dann flossen die Tränen über, rollten seine zarten Wangen hinunter. Amemnas letzten, leise gewordenen Worte erstarben in Schluchzern.
 

Hamarem konnte nicht an sich halten, rutschte eilig zu Amemna hinüber, nahm den jungen Mann, den jungen Zwitter, fest in die Arme, strich ihm zärtlich über das Haar, redete ihm beruhigend zu. "Ich lebe noch, Herr. Ramilla hat mir mit dem Willkommenstrunk geholfen. Und auch Jochawam lebt, und sicherlich wird bald alles wieder gut werden", flüsterte er. Sanft küßte Hamarem die salzige Flüssigkeit von Amemnas Wangen, verlor sich in den tränenerfüllten, hellgrauen Augen, spürte die unausgesprochene, flehende Bitte um Verzeihung so schmerzhaft, daß es ihm das Herz zu zerreißen drohte. "Du konntest es nicht wissen", hauchte Hamarem, küßte zärtlich Amemnas Lippen, um ihn zu trösten.
 

Aber Amemna reagierte gar nicht darauf, war ganz in seiner Bestürzung über die eigene Tat gefangen, erinnerte sich plötzlich undeutlich verschiedener Gelegenheiten, wo er anscheinend seine Kräfte mehr oder weniger unbewußt dazu eingesetzt hatte, seinen Gegenüber zu einem Liebesakt zu bewegen, bis die Schuldgefühle zunehmend schmerzhafter Hoffnungslosigkeit wichen.
 

"Wo lerntet ihr das Ma'a'wat ne'sker, Birh-Melack?" fragte Ramilla plötzlich mit so scharfer Stimme, daß Hamarem davon in seiner Besorgnis um Amemna aufschrak.
 

Amemna sah sie an, als habe er sich gerade selbst aufgegeben, und trotz des Durcheinander in den Gedanken seines jungen Herrn erkannte Hamarem, daß Amemna das Gefühl hatte, einen langen, schweren Kampf nun schließlich doch verloren zu haben. Andauernd hatte er versucht, den Menschen um sich zu beweisen, daß er nach besten Wissen und Gewissen ehrenvoll handelte, wahrhaft liebte und sich um seine Leute sorgte. Nun hatte er durch eine einzige unbedachte, egoistische Tat bewiesen, daß er wohl doch der manipulative Dämon war, als den ihn andere sahen. Und er mußte sich dieser Erkenntnis stellen. Hamarem hörte die Vorwürfe die er selbst Amemna gemacht hatte, Vorwürfe der Prinzessin, Vorwürfe des Knaben Nefut, Vorwürfe von dessen Mutter, der vorherigen Priesterin, sogar Vorwürfe seines Geliebten Nefut, die meisten laut geäußert, einige jedoch auch nur durch Gedanken in Amemnas Gegenwart, allesamt sein unirdisches oder dämonisches Erbe, also seine von den Göttern geschenkte unveränderliche Natur betreffend. Wie ein in Treibsand Versinkender hielt Amemna Hamarem weiter mit seinen Armen umfangen, als er Ramilla nach einem kurzen Schniefen mit leiser Stimme antwortete: "Ich lebte als Findelkind auf Trrittstein derr Himmelskönigin und wuchs in dem Klosterr dorrt auf, bis ich von derr Köttin beschenkt wurrde."
 

"Da ihr mit einem männlichen Glied beschenkt wurdet, mußtet ihr das Kloster verlassen?" fragte Ramilla. Amemna nickte nur. "Wie alt wart ihr zu diesem Zeitpunkt?" wollte Ramilla mit strengem Blick wissen.
 

"Etwa elf oderr swölf Jahrre, denke ich. Ich wurrde von einerr Schwesterr meinerr Prriesterrin aufkenommen, die in Ma'ouwat lebte." Neue Tränen liefen Amemna lautlos über die Wangen, aber es war alter Kummer, über eine schwarzhäutige Frau, die in ihrem Blut lag, mit zerrissenen Kleidern, vergewaltigt, im Todeskampf. Das war Amemnas Ziehmutter in Ma'ouwat gewesen, deren Tod durch die aufständischen Ma'ouwati er damals nicht verhindern, sondern nur hatte rächen können.
 

"Hat euch eure Priesterin nicht gesagt, was ihr als Ka'awata mit euren Fähigkeiten bei einer Vereinigung anrichten könnt?" wollte Ramilla erbarmungslos wissen.
 

Amemna raffte die beängstigend träge gewordenen Kräfte um sich, räusperte sich, wischte sich fahrig die Tränen aus dem Gesicht. "Sie hat mirr nurr kesagt, daß ich als Junge leben müsse und keinem sagen dürrfe, daß ich sweikeschlechtlich bin wie die Köttin selbst. Bis eben hat mirr auch niemand kesagt, daß die Ka'awatan sweikeschlechtlich sind."
 

"Und sie sagte nichts zu euren Fähigkeiten?" fragte Ramilla ungläubig.
 

"Ne'ne Ka'a'wata", schrie Amemna in der Südlersprache, zitterte vor Verzweiflung in Hamarems Armen, preßte sich dann wieder hilfesuchend an ihn. Und Hamarem stellte plötzlich fest, daß er selbst es trotz der Umstände genoß, nun tatsächlich Beschützer seines Birh-Melack zu sein.
 

"Wenn ihr es da noch nicht wart, wann erwachten dann eure Fähigkeiten?" Hatte Ramilla denn gar kein Mitleid mit Amemna? Wie gnadenlos sie ihn anstarrte! Es verursachte Hamarem eine Gänsehaut, sie so zu sehen, auch wenn die Kräfte verrieten, welche Anstrengung diese Schonungslosigkeit ihr abverlangte. Und plötzlich wußte er, daß sie ihn als Trost für Amemna miteinbestellt hatte.
 

Amemna drehte den Kopf weg, barg sein Gesicht an Hamarems Schulter. "Meint ihrr die Wahrrnehmung frremderr Kefühle?" fragte er leise.
 

"Ihr wißt was ich meine, Birh-Melack", erwiderte sie streng.
 

"Die Fähigkeiten derr Ka'awata errwachten, als ich Nefut und Hamarrem kennenlerrnte, also vorr etwa einem Mond." Seine Kräfte waren nun so matt, und seine Stimme klang so resignierend, daß Hamarem Angst um ihn hatte.
 

"Laß ihn, Ramilla. Er ist noch jung, er wuchs ohne leibliche Eltern in der Fremde auf, er hatte niemanden, der ihn unterrichtete oder anleitete, mit den Fähigkeiten der Unirdischen umzugehen - und nun soll er verantwortlich sein für alles Übel in der Welt?"
 

Ramilla sah nachdenklich auf Amemnas Rücken, dann rollte sie die ausgebreiteten Schriftrollen wieder zusammen, verstaute sie in ihren reich bestickten und ganz schlichten Hüllen. Nachdem die Pause sich unbehaglich ausgedehnt hatte, sagte sie schließlich: "Nein, wahrscheinlich nicht für den Dämon, der nun in Jochawam steckt und von dem auch die Priester des Ungenannten gesprochen haben - aber dafür, daß Jochawam ihm ausgeliefert war."
 

"Wenn die Priester nicht Amemna für den eigentlichen Dämon halten", ging Hamarem da auf. "Sie haben ihm am Vormittag einen Mantel geschickt, der seine Kräfte fesselt. Vielleicht war das der Banngegenstand von dem sie bei der Verbrennung des Ehrwürdigen Vaters gesprochen haben."
 

Ramilla hob erstaunt die Augenbrauen. "Und wie kommen sie dazu?"
 

"Vielleicht wissen die Priester des Ungenannten schon längst, daß die Unirdischen und die Dämonen die selbe Art sind", gab Hamarem zurück. "Aber man kann das Volk nicht in Furcht vor den Dämonen halten und ihnen zugleich die Segnungen der Himmlischen Gärten und der dort wohnenden Unirdischen versprechen, wenn es allgemein bekannt wäre."
 

"Vielleicht sollte man die Priester des Ungenannten einmal zur Rede stellen", entgegnete Ramilla kampfeslustig. "Ich bin nicht der Meinung, daß diese alten Männer sich in die Angelegenheiten der Göttin einzumischen haben. Und ihr, Birh-Melack, solltet schleunigst lernen, wie ihr die Segnungen Hawats ohne ihren Fluch verbreitet."
 

"Er entzieht die Lebensenergie nur denjenigen, die selbst über unirdisches Blut verfügen", warf Hamarem ein, hielt den von den letzten Vorwürfen und Verdächtigungen nun wie betäubt wirkenden Amemna schützend umfangen. Seine Kräfte lagen jetzt wie ein Panzer um ihn, und von seinen Gedanken und Gefühlen war nicht mehr als ein unheilvoller Schatten wahrzunehmen.
 

"Und macht es das etwa besser, wenn vorrangig du und eine Handvoll anderer Menschen mit unirdischem Blut gefährdet sind?" fragte Ramilla finster.
 

"Derr Oinos wirrd verhinderrn, daß ich Hamarrem oderr Jochawam noch einmal Leid zufüge", sagte Amemna plötzlich mit beherrschter Stimme, straffte sich, löste sich halb aus Hamarems Umarmung. Er wischte sich mit dem Ärmel die noch immer tränenfeuchten Wangen trocken und bemühte sich sogar, den durch die Aufregung stärker gewordenen Südlerakzent wieder abzulegen. "Ich habe es in Hamarems Erinnerungen gesehen und schon in Tetrraos die Errfahrrung gemacht, daß dieses Getrränk die unirrdischen Fähigkeiten tatsächlich abschwächt." Seiner Gattin wegen, ihr zu Gefallen hatte er am heutigen Tage diesem Getränk reichlich zugesprochen, erkannte Hamarem aus Amemnas zuvor empfangenen wirren Gedanken plötzlich, so daß er auf dem Lager der Prinzessin kaum mehr gewesen sein konnte, als ein gewöhnlicher Mann.
 

"Natürlich, denn der Oinos ist das Getränk der Göttin um sie beim Rauschfest zu feiern, Herr", erklärte Ramilla. "Vielleicht diente er ursprünglich dazu, bei einer Vereinigung die Gefahr der Schwächung durch die Gesandten der Göttin und ihre Nachkommen für die gewöhnlichen Sterblichen zu mindern." Aber sein Birh-Melack war doch kein gewöhnlicher Mann! Er durfte doch nicht seine Natur verleugnen! Und nun hatte er sich in seine Kräfte eingesponnen, daß es ganz ähnlich wirkte wie der dämonische Kräftepanzer um Jochawam.
 

"Herr", meldete Hamarem sich zögernd zu Wort, "das kann doch nicht das einzige Mittel sein, damit umzugehen. Vielleicht kann ich..." "Du wolltest deine unirdischen Kräfte sogar mit Stechapfel betäuben", erinnerte Ramilla ihren Geliebten und Hamarem verstummte. Sie hatte recht. Doch Amemna mußte sich nach diesem Gespräch doch selbst für einen Dämon halten. "Herr, bitte, mach nichts Unbedachtes", flüsterte er dem jungen Zwitter zu und streifte dabei mit den Lippen leicht seine Ohrmuschel.
 

Amemna rückte noch ein Stück von Hamarem fort, raffte seinen Mantel zusammen und erhob sich, bückte sich nach seinem Helm. "Ich werrde mich des Umgangs mit Hamarrem und Jochawam enthalten, bis ich die Krräfte derr Ka'awata beherrrsche, Prriesterrin", versprach er steif. "Ist unserr Gesprräch damit beendet?" Und Ramilla nickte stumm. "Wenn du mich suchst, ich bin bei Wanack Perrdinim um mich mit ihm zu beraten, Zweiterr, und du solltest zu den Zelten zurückkehren", erklärte Amemna dann, verließ den hinteren Zeltraum des Schlafzeltes und war verschwunden.
 

Eine Leere erfüllte Hamarem, die beängstigend war, schmerzhaft, als wäre sein Herz in einen Kräftekokon eingesponnen und zu keinem Gefühl mehr fähig. Wenn er seinem Herrn doch nur irgendwie helfen konnte! War das die geflügelte Schlange, die ungezügelten, unverstandenen Kräfte, die Amemna bei der Vereinigung entfesselte? Schließlich merkte Hamarem, daß schlanke Arme ihn umfingen, Ramilla ihn sanft auf die Wange küßte. "Du hast Deinen Herrn gehört, mein Liebster. Und mich rufen meine Pflichten im Amazelt. Laß uns heute abend das Lager teilen." Noch immer wie betäubt nickte Hamarem nur und begab sich zurück zu den Zelten.
 

*
 

Amemna hatte Recht gehabt, die Mittagsruhe war schon lange vorbei, er mußte bei den Zelten Präsenz zeigen. Was das Schicksal des gefangenen Nefut betraf, würden Amemna und der Zweite der Birh-Mellim sicher alles, was in ihrer Macht stand, unternehmen. Hamarem mußte sich endlich um den Dämon und vor allem um den rätselhaften Mantel kümmern. Wenn es sich dabei wirklich um einen Banngegenstand handelte, konnte man Jochawam mit Hilfe des Mantels vielleicht sogar von dem Dämon befreien. Doch bevor Hamarem das Zelt der Prinzessin betreten konnte, um die Erlaubnis einzuholen, den Mantel zu betrachten, kam Derhan ihm aus eben diesem Zelt entgegen.
 

"Die Gattin unseres Wanack hat mir befohlen, meinen Sohn aus dem Lager zu schaffen", sagte er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten, und wenig passend blitzte dazu das blutig geschlagene Gesicht eines Mannes in Derhans Gedanken auf. Wieso gelang es ihm plötzlich, Derhans Erinnerungen zu sehen? Hatte sich irgendwo schon wieder ein Aufruhr entzündet, während Hamarem noch bei Ramilla gewesen war? War die Gefangennahme Nefuts durch die Tetraosi inzwischen etwa doch allgemein bekannt geworden? Das Bild des Hamarem unbekannten Nordstädlers war eindringlich genug gewesen, daß er es auch nach dem Verschwinden aus Derhans Gedanken noch vor sich sah, ein breiter Strom Blut, der aus einer Platzwunde über dem linken Auge an der Wange in ein Gewand floß, den weißen Stoff rot färbte, ein weißer Ärmel, der das Blut unter der schief geschlagenen Nase fortwischte. Der Zusammengeschlagene schien ein Priester des Ungenannten zu sein! Hatten die Priester des Ungenannten jetzt ihre wahren Absichten gegenüber den Söldnern enthüllt? Warum war dann noch nicht das ganze Lager in Aufruhr? "Was ist passiert?" wollte Hamarem wissen, aufs Höchste beunruhigt durch diese Vision.
 

Derhan sah Hamarem überrascht an. "Hast du noch nichts davon gehört, daß das Heer der Hannaiim vor Tarib sein Lager errichtet hat? Es wird morgen eine Schlacht geben, also ist das hier kein Ort für einen Jungen. Es würde mich sehr wundern, wenn gerade du da anderer Meinung sein solltest."
 

"Aber...", der zusammengeschlagene Priester. Wenn Derhan ihn nicht erwähnte, war es vielleicht einfach eine alte Erinnerung. Was wußte Hamarem schon über Derhans Vergangenheit, außer daß er sich mit Heilkräutern ebenso gut auskannte, wie mit Giftpflanzen, sowohl Wunden versorgen konnte, als auch rücksichtslos kämpfte und darüber hinaus in der Lage gewesen war, während ihrer Zeit in Ashans Bande mit seinem sehr belesenen Anführer Farhan Dispute zu führen? "Aber... aber...", stotterte er, "was ist mit deiner Lebensschuld gegenüber unserem Herrn? Willst du wirklich gerade vor einer Schlacht..."
 

"Diese Schuld ist abgegolten", sagte Derhan so überzeugt, als sei es allgemein bekannt. Vielleicht war es während der Tage in Tetraos dazu gekommen. Und die Kräfte um ihn waren so ruhig wie stets.
 

"Nefut ist also tatsächlich dein Sohn", provozierte Hamarem ihn. Für einen Moment schloß Derhan überraschend die Augen, seufzte, als überwältige ihn eine Erinnerung und die Kräfte um Derhan stoben in fast beängstigender Weise auf, bis sie sich fast genauso plötzlich wieder beruhigten. Neugierig versuchte Hamarem, auch etwas von dieser Erinnerung zu erhaschen, er sah einen glücklich lachenden Osheyjungen in Nefuts Alter, der Derhan so ähnlich sah, daß niemand auf die Idee gekommen wäre, Derhans Vaterschaft in Frage zu stellen, doch plötzlich war dieser Junge nurmehr eine kleine, halb in einen Kindermantel eingenähte Leiche. Dieser Anblick des toten Kindes war so grausig, daß Hamarem sich erschüttert von allen weiteren Gedanken und Empfindungen Derhans abwandte, die sich anscheinend um die Umstände des Todes seines Sohnes drehten. Sicher wollte Derhan Nefut vor einem ähnlichen Schicksal bewahren, und er mochte tatsächlich der richtige Mann dafür sein, den Jungen wohlbehalten zu seiner Mutter nach Tetraos zu bringen, wenn sie sich nicht sogar auf dem Weg begegneten.
 

"Nefut ist..." begann Derhan mit belegter Stimme.
 

Aber Hamarem fiel ihm ins Wort, um zu verhindert, daß Derhan eine Lüge aussprechen, oder er selbst gegenüber dem Zweiten der Birh-Mellim wissentlich Falsches behaupten mußte: "Derhan, ich beurlaube dich ab sofort aus der Wannim, damit du den Knaben zu seiner Mutter nach Tetraos bringen kannst."
 

Derhans wirkte erleichtert und lächelte er Hamarem in seiner gewohnten, frechen Weise an. "Ich garantiere aber nicht, daß ich vor Ende der Schlacht gegen die Hannaiim zurückkehren werde. Vielleicht gibt es die Wannim gar nicht mehr, wenn wir uns wiedersehen."
 

Hamarem nickte. "Das ist durchaus möglich. Die Tetraosi entlassen ihre Söldner nach der Schlacht, unabhängig davon wie sie ausgeht. Ich werde deinen Sold für dich aufheben... und du sorg gut für den Jungen", bat er Derhan dann noch. Doch das würde er sicher tun.
 

"Ich möchte so schnell wie möglich aufbrechen, dann schaffen der Junge und ich es vielleicht sogar vor Einbruch der Dunkelheit nach Tetraos. Entschuldigst du mich bei unserem Herrn, oder ist in Kürze mit seiner Anwesenheit bei unseren Zelten zu rechnen?"
 

Hamarem schüttelte den Kopf. "Er sagte, er wolle sich mit dem Zweiten der Birh-Mellim beraten, sicher wegen der Verhaftung Nefuts."
 

Derhan brummte zustimmend. "Achte gut auf dich und deine Priesterin", dann eilte er davon in das Mawati-Zelt.
 

"Und Orem behüte dich und den Jungen", sagte Hamarem zu Derhans sich rasch entfernendem Rücken, aber der Mann legte nach eigenem Bekunden ja wenig Wert auf den Segen der Götter.
 

* * *
 



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