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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 3

Vom Gejagten zum Jäger
von

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Einleitung

Als ich ein Kind war, gab es in unseren Straßen einen alten Mann.

Wie er hieß, weiß ich nicht, aber er war bekannt dafür, dass er nur auf dem linken Auge sehen und nur auf dem linken Ohr hören konnte. Aus diesem Grund nannten die Kinder ihn scherzhaft „Den Linken“, denn wir wussten, wenn wir ihn bestehlen oder erschrecken wollten, dann mussten wir es stets von links tun.

Ich mochte den alten Greis, mit seinem schütteren, sehr dünnen Haar, das im Sonnenlicht wie Kristall oder Silber wirkte. Ich weiß noch, dass sein milchweißes Auge mich ängstigen konnte, wenn er wollte. Er achtete stets darauf, dass er sein Geld auf der linken Seite trug, weswegen wir immer wider aufs Neue versagten, wollten wir ihn beklauen.

Dieser Mann, der Linke, war mein erster, ernsthafter Gegner gewesen und ich hatte ihn bis zuletzt nie geschlagen. Wann immer er mich bemerkte, lachte er, zog mich am Ohr oder gab mir Kopfnüsse. Dennoch ließ keines von uns Straßenkindern ihn in Ruhe.

Der Grund dafür war ein geheimnisvolles Täschchen, das an seinem Gürtel hing – links natürlich. Keiner konnte sagen, was darin lag, aber eines wussten wir: Es war unheimlich wertvoll. Er beschützte es, so gut es ging, legte es nie beiseite und wann immer er schlief, hatte er eine Hand darauf. Der Linke war genauso wie wir ohne Dach über dem Kopf und so hatten wir auch nachts die Chance, uns im Stehlen des geheimnisvollen Schatzes zu versuchen. Funktionieren tat es jedoch nie.

Mit der Zeit begannen die Vermutungen, die wir anstellten, ein Eigenleben zu entwickeln. Aus ausländischen Münzen, die ihn als geheimen Kriegsveteran eines verfeindeten Landes entlarvten und Juwelen einer Prinzessin, der er einst diente wurden Knochen von Kindern oder giftige Kräuter, die dafür sorgten, dass die Frauen im Kindbett starben. Mal war er ein dunkler Schwarzmagier und Überbringer der Pest, dann ein alter Greis, der einen goldenen Schlüssel für den geheimen Hintereingang des Schlosses trug. An manchen Abenden saßen wir Kinder am Fluss, baumelten mit den Füßen im Wasser und fast jeder von uns wusste etwas ganz anderes über ihn. Die einen hatten ihn auf dem Friedhof gesehen, wie er verrückt lachend in den Gräbern buddelte, die anderen meinten zu hören, wie er sich mit bösen Geistern unterhielt. Woher die Geschichten kamen, wussten wir nicht, aber es wurden mehr und mehr, sie nahmen kein Ende. Wir fürchteten ihn, aber zugleich konnten wir ihn leiden, denn durch ihn war es nie langweilig und wenn wir hungrig in einem Häusereingang saßen und nicht wussten, wohin, dann erschien er oft mit einem breiten Grinsen und schenkte uns etwas von seinem Essen. Wir spielten ein Spiel mit ihm und er spielte mit, immer.

Irgendwann dann kam der Winter und Annonce versank in Kälte und Schnee. Die meisten Menschen der Straße suchten Schutz in Kirchen oder Armenhäusern, die Kinder in Kinderheimen oder aber, so wie wir, sie gingen in verlassene Gebäude, für die sich niemand mehr interessierte. Jeder kannte die Gruselgeschichten der Heime. Einmal im Armenhaus kam man nie mehr weg und man musste schuften und arbeiten, bis man umfiel. Der Linke sah es genauso, denn auch er lungerte dennoch in den Gassen herum, kaute verdorbenes Brot oder bettelte um Mitleid und Almosen. Wir begannen damit, ihm zu helfen, als er zu alt wurde, um sich selbst um sich zu kümmern und während der Winterzeit geschah es, dass er nicht mehr aufstehen konnte. Wir mussten zusehen, wie der Linke in der hintersten Raumecke saß, eingewickelt in einem dünnen Stofffetzen und mit eingefallenem Gesicht. Er starb, das wussten wir alle, aber keiner wollte es wahrhaben. Obwohl wir selbst kaum etwas hatten, teilten wir unser Essen mit ihm, besorgten ihm weitere Decken oder erzählten dem Linken, was es Neues gab. Der Winter schien kein Ende zu nehmen und mit jeder Woche, die verging, wurde sein Zustand schlechter.

Als erstes kam der Husten, dann begann das Fieber und am Ende zitterte er und sprach wirres Zeug. Als er erstarb, hatten wir uns bereits so sehr an seinen röchelnden Atem gewöhnt, dass jeder von uns es fast sofort merkte und am nächsten Tag, während seine Leiche schneeweiß und eiskalt vor uns lag, vergoss fast jeder eine Träne für ihn.

Der Linke war tot, einfach so. Er war gestorben, obwohl wir uns um ihn gekümmert hatten und keine Macht der Welt hätte das ändern können.

Da wir kein Geld für ein Begräbnis hatten und nicht den Mut, einen Soldaten anzusprechen, ließen wir ihn einfach liegen und verließen das Haus. Wir suchten uns ein neues Heim und legten ihm immer mal wieder Blumen auf die Türschwelle.

Als wir etwa zwei Wochen später keinen anderen Zufluchtsort fanden, war er einfach verschwunden und mit ihm der geheimnisvolle Beutel. Er war weg, einfach so, zusammen mit seinem Besitzer und mit ihm das Geheimnis und dessen Lösung.

An diesem Tag begriff ich, dass es Dinge gab, die unausweichlich waren. Dinge, die wir nicht ändern konnten, egal wie sehr wir uns anstrengten. Menschen lebten, das war normal und sie starben, einfach so. Auch verstand ich, dass es Dinge gab, die wir nie erfahren würden, wenn wir zögerten. Später, als ich erneut ins Heim kam und von dort aus nach einigen Jahren ins Kloster, dachte ich zurück an den Linken und sein Geheimnis. Ich fragte mich, was es wohl gewesen war, was er so beschützte.

Geld?

Ein geheimer Liebesbrief?

Wirklich ein Schlüssel oder vielleicht ein heidnischer Talisman?

Oder aber...es befand sich nichts darin. Ein Sinnbild dafür, was wir in der Hand haben, wenn es darum geht, gegen das Schicksal anzukommen.

Luft, Leere.

Und es lag an uns, diese Leere zu füllen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Salix
2012-04-13T21:48:24+00:00 13.04.2012 23:48
Hm,

die Szene ist sehr schön geschrieben und beschrieben. Ich konnte es mir richtig bildlich vorstellen, nur irgendwie frage ich mich, wie die überhaupt mit der Hauptstory zusammen hängt.
Außerdem bin ich nach der Endszene des letzten Teil eigentlich eher noch heiß darauf zu wissen, was mit Sullivan geschieht, weswegen ich diese schöne Szene nicht so recht würdigen konnte. Und das hat sie nicht verdient, dazu ist sie zu gut geschrieben.

Lg
Von:  Pataya
2012-04-08T20:09:30+00:00 08.04.2012 22:09
yeah. es geht schon weiter *freu*

zum anfang gleich mal ne frage: "...und nur auf dem rechten Auge hören konnte." wie soll das denn gehen oO? ^^

der prolog ist wie alle anderen kapitel richtig klasse.
man weiß in endeffekt nicht worauf du hinaus willst, aber das klärt sich ja im laufe der geschichte immer alles. ^^

freu mich schon auf die fortsetzung.

fühl dich geknuddelt

PAT


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