Zum Inhalt der Seite

Limerance

The initial thrill of falling in love
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Comprivigni

- The relation of a child to its step-sibling -
 

16. März

20:30
 

Es ist der Hunger, der mich aus dem Zimmer in die Küche treibt. Was ich nicht erwartet habe, ist, dass Chris vorm Kühlschrank steht. Sollte der nicht eigentlich mit Svea sonst was machen!? Ich habe vor, mir ein Brötchen zu schnappen und wieder zu gehen, aber er hält mich am Arm fest.

„Warte mal“, bittet er mich. „Ich muss mit dir reden.“

Widerwillig bleibe ich stehen, sein Gesicht sieht irgendwie gequält aus. Oh Mann.

„Du magst Svea nicht“, fängt er vorsichtig an.

„Muss ich auch nicht. Sie ist deine Freundin, du musst sie mögen.“

„Aber wir wohnen zusammen, sind so gut wie Brüder und sie wird demnach auch öfters mal hier sein!“, beharrt er. „Es wäre von Vorteil, wenn du sie auch mögen würdest. Warum eigentlich nicht?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Es gibt eben Menschen, die sieht man und findet sie gleich unsympathisch. Sie hat mir ja nichts getan“ – außer, dass sie mit Chris zusammen ist, aber fairerweise muss ich einräumen, dass sie von mir keine Ahnung hat – „und ich kenne sie nicht richtig. Ich bleibe eben in meinem Zimmer, wenn sie hier ist… oder gehe raus.“

Ist ja nicht so, dass ich nicht auch Freunde hätte. „Außerdem verstehen wir uns ja vielleicht später noch“, füge ich hinzu, weil er immer noch so verletzt schaut. Aber eher gefriert die Hölle.

Er sieht mich zweifelnd an und ich seufze.

„Ich gebe mir Mühe, okay?!“ Werde ich nicht. Warum sage ich das dann?

„Sei nett zu ihr“, bittet er mich.

Ich verdrehe die Augen. „Ja ja.“

„Hey, ich weiß, was das heißt!“

Ich grinse und will gehen, aber er dreht mich, klemmt mir den Kopf unter den Arm und zerstrubbelt meine Haare.

„He, meine Frisur!“ Ich lache und trete nach ihm, aber er weicht aus.

„Welche Frisur?“, fragt er spöttisch. „Die, die bald aufgrund zu weniger Haare nicht mehr existieren wird? Wo auch immer man hier hingeht, überall findet man rote Haare!“

Das gibt mir einen kleinen Stich, aber ich bin gerade auf unerklärliche Weise glücklich und lasse mir nichts anmerken.

„Sammle sie und klebe sie dir an, vielleicht hilft es ja was“, gebe ich zurück und fange mir die nächste Kopfnuss. Warum muss ich nur kleiner sein als er?

Ich habe mir gerade eine Flasche genommen und ihn damit gehauen, als meine Mutter in die Küche kommt.

„Was treibt ihr denn hier?“, fragt sie verwundert.

„Geschwisterliebe“, antwortet Chris lachend und schneidet eine Grimasse in meine Richtung. Ich strecke ihm die Zunge raus und gehe endlich, wobei ich aus den Augenwinkeln sehe, wie er mir den Mittelfinger zeigt.
 

17. März

0:03
 

Aus irgendeinem Grund bin ich total hibbelig und kann nicht schlafen. Von draußen höre ich den Wind in den Bäumen rascheln. Vielleicht gibt es diese Nacht noch ein Unwetter. Ich nehme meine Kopfhörer, lausche der Musik und versuche, nicht nachzudenken. Aber ich spüre Chris‘ warme Hand noch immer in meinen Haaren.
 

6:16
 

Chris ruft nach mir. Zerstreut schlage ich die Augen auf, frage mich, was für einen Traum ich denn diesmal hatte und finde mich zuerst gar nicht zurecht. Mein iPod ist im Laufe der Nacht auf den Boden gefallen, irgendwann muss ich wohl doch eingeschlafen sein. Ich hebe ihn auf, er hat ein paar Kratzer, aber mehr nicht davon getragen.

„Julius, komm mal bitte“, höre ich seine Stimme durch die Wand. Ich habe mich also nicht getäuscht.

Ein bisschen irritiert gehe ich in sein Zimmer und finde ihn auf dem Boden, an das Bett gelehnt, sitzend vor. Er ist kreidebleich im Gesicht und starrte etwas in seinen Händen an, das wie eine gepresste Rose aussieht. Als ich die Tür schließe, schaut er auf, aber ich glaube, er nimmt mich gar nicht richtig wahr.

„Was ist denn los?“ Ein süßlicher Geruch liegt in der Luft und ich verziehe das Gesicht. Viel zu süß.

Wortlos hält er mir einen Umschlag im DinA4-Format hin. Ich öffne ihn und ziehe ein blütenweißes Blatt hervor, auf dem zwei Worte in großen, roten Buchstaben stehen:
 

WAHRE

LIEBE
 

Das Blatt riecht ein bisschen nach diesem Duft, aber er geht mehr von der Rose aus, die Chris mir gerade gibt. Sie ist zwar wirklich zusammengepresst, sodass sie in den Umschlag passt, steht aber in voller Blüte und hat seltsamerweise keinen Abdruck auf dem Papier hinterlassen. Erst jetzt erkenne ich, dass die Buchstaben nicht mit einem Stift geschrieben worden sind, denn auf den Dornen der Rose befindet sich in abgedunkelter Form auch rote Farbe. Mir schwant Böses und Chris spricht meine Gedanken aus:

„Blut.“

Daraufhin schweigen wir erst einmal bis
 

6:20,
 

dann frage ich ihn, ob er denkt, dass diese Nachricht von Lucy sei. Er bejaht.

„Die ist verrückt“, murmelt er, „vollkommen geisteskrank.“

Ich muss ihm zustimmen, daran gibt es nichts auszusetzen. „Hat sie den Umschlag durch das Fenster geworfen?“

Er nickt. „Wahrscheinlich. Ich habe das Fenster immer gekippt. Aber gemerkt hab ich nichts.“

Ich seufze und er starrt wieder die Rose an.

„Ich fasse es nicht“, flüstert er und zittert plötzlich. „Sie hat sich gestochen, um mit Blut zu schreiben!“

„Hey“, sage ich sanft und lege eine Hand auf seinen Arm. Er lehnt sich an mich und ich umarme ihn. Ohne Hintergedanken. Er ist wie ein Bruder für mich und ich tröste ihn…
 

6:22
 

Zumindest sollte es so sein. Aber ich habe mich einfach nicht im Griff. Seine hellen Haare sind verdammt weich und er riecht gut, nicht nach diesem grässlichen Geruch. Am liebsten würde ich so mit ihm sitzen bleiben.

Was sagt das jetzt über mich aus?
 

6:25
 

Er bewegt sich wieder.

„Danke“, murmelt er.

„Kein Ding.“ Jeder Zeit wieder. „Sagst du deinem Vater etwas davon?“

„Nein.“ Wieder ganz der Alte. Er nimmt den Umschlag, stopft Blatt und Rose hinein und wirft ihn in den Mülleimer. Hm, so einen könnte ich auch mal in meinem Zimmer gebrauchen…

„Aber in letzter Zeit belästigt sie dich doch dauernd.“

„Belästigt“, wiederholt er und schnaubt.

„Ich weiß, dass das komisch klingt. Aber es ist nun mal Belästigung. Eigentlich kann man so etwas anzeigen!“

„Nein!“, sagt er hart.

„Okay, okay, wie du willst“, gebe ich nach. „Aber wenn sie weiter macht, solltest du etwas dagegen unternehmen. Wie du schon gesagt hast, sowas ist nicht normal!“

„Ich weiß.“

„Versprichst du mir, beim nächsten Mal mit deinem Vater oder meinetwegen auch meiner Mutter zu reden? Oder meinetwegen auch jemand anderem?“

„Ich verspreche dir gar nichts.“ Plötzlich sieht er wütend aus. Was habe ich falsch gemacht? Ich will ihm doch nur helfen! Und Lucy hat echt nicht mehr alle Tassen im Schrank!

Ich schließe kurz die Augen, zähle bis zehn und öffne sie wieder. Dann stehe ich auf.

Er knirscht mit den Zähnen.

„Tut mir leid. Aber ich will erst mal selbst mit dem ganzen Mist klarkommen, okay?“

Nein, nicht okay! Überhaupt nicht okay! Drei Wochen sind einundzwanzig Tage zu viel! Wer weiß, was da noch alles kommt?

Aber ich sage nichts, sondern nicke nur und gehe.
 

8:30
 

Wir sitzen beim Frühstück und Chris verhält sich ganz normal. Bewundernswert, wie er das schafft… Als ich vor einiger Zeit Hass- und Drohbriefe bekommen habe, hat mir das ziemlich zu schaffen gemacht. Aber er nimmt es richtig locker und ich frage mich, ob das vielleicht ein Fehler ist. Aber Robert und meine Mutter merken nichts, sie sind viel zu aufgedreht.

„Erinnert ihr euch an mein Vorstellungsgespräch von letztem Monat?“, fragt Robert und vergewaltigt sein Ei, indem er es immer wieder auf den Tisch haut, obwohl die Schale schon so gut wie kaputt ist.

Wir bejahen und er grinst stolz.

„Gestern Abend kam die Mail, dass sie mich toll finden und ich morgen zusammen mit zwei anderen nochmal kommen soll. Sie entscheiden sich dann für einen von uns, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Job bekomme.“

„Das ist ja toll, Papa!“

Okay, ein bisschen merkt man es ihm schon an. Er ist nicht ganz so enthusiastisch wie ich mich wohl an seiner Stelle fühlen würde.

„Nicht wahr?“, stimmt er begeistert zu. „Gibt es noch Kaffee, Alessa?“

Meine Mutter schenkt ihm lächelnd von der dunklen Brühe nach und wirft ihm verliebte Blicke zu.

Warum bin ich eigentlich der Einzige in diesem Haus, der nicht vergeben ist?

„Wenn alles gut geht, fange ich ab dem fünfundzwanzigsten auch schon zu arbeiten an.“

„Herzlichen Glückwunsch“, sage ich. Ich habe keinen blassen Schimmer, als was er arbeitet.

Aber um
 

8:53
 

erfahre ich es, als er seine Eltern anruft.

„Es ist ein größeres Architektenbüro als das, in dem ich vorher gearbeitet habe, ja. Aber deswegen ist es bestimmt trotzdem gut!“

Oh, ein Architekt? Ich könnte ihm mal ein paar kaputte Stellen im Haus zeigen, die mich des Öfteren mal aufregen.

„Nein, Mutter, du musst dir keine Sorgen machen, es ist ein ganz normaler Arbeitsplatz… Es war eher eine Ausnahme, dass du alle meine vorigen Kollegen gekannt hast, aber die neuen sind bestimmt auch nett… Ja… Okay. Guten Appetit! Tschüss.“

Ausatmend legt er auf, sieht mich im Türrahmen stehen und schmunzelt.

„Wenn du mal einen Job hast, werde ich kein Theater wegen deiner Kollegen machen, versprochen.“

Erstens ist er nicht mein Vater, weshalb mir seine Meinung egal sein kann und zweitensweiß ich nicht mal, als was ich arbeiten will. Vielleicht Maler, wie meine Mutter. Und dann hätte ich keine Kollegen. Außerdem hat er den Arbeitsplatz noch nicht mal. Wie kann er dann jetzt schon so darüber reden, als würde er morgen anfangen?

Trotzdem lächele ich ihn an, als würde ich mich für ihn freuen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück