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Das wahre Spiel

Die Tribute von Panem
von

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Von Schnee und weißen Rosen

„Ich nehm ihn dann mit“, sagt sie und wirft mir einen ärgerlichen Blick zu. Phil weint. Seine Mutter, meine Tante Violette, ahnt nicht, warum er das tut. Vermutlich wäre sie nicht einmal auf die Idee gekommen, dass es wegen den Spielen sein könnte. Die Spiele sind für alle hier ein riesen Ereignis, ein großer Spaß, zumindest für die, die nicht um ihr Leben fürchten müssen. Als sie schon draußen ist, dreht er sich noch einmal um. Phil, der eigentlich schon 9 Jahre alt ist, sieht noch viel kleiner und zierlicher aus als sonst. Seine blauen Augen glitzern wie kleine Perlen von den vielen Tränen. Ich lächle ihn aufmunternd an.

„Ich muss das doch nicht spielen, oder? Das Spiel, das der Junge gespielt hat?“ Mein Lächeln gefriert.

„Nein. Ich schwöre, das musst du niemals.“ Als ich ihm die Tränen aus den Augen wische, sieht er furchtbar erleichtert aus. „Nein, Phil, du hast Glück.“, murmle ich, als er seiner Mutter nachläuft.
 

Kurz nachdem Phil und Violette gegangen sind, klingelt das Telefon. Erschöpft von dem ganzen Ärger, greife ich nach dem Hörer und melde mich mürrischer als nötig. Am anderen Ende ertönt eine Männerstimme, die trotz ihres hörbaren hohen Alters, seltsam melodisch und irgendwie künstlich klingt, als stamme sie von einer Maschine oder einem Roboter.

„Spreche ich mit Cornelia Rosebud?“

„Nein, hier ist Olivia, ihre Tochter, meine Mutter-…“ Mir gefriert das Blut in den Adern, als ich begreife, wer uns da anruft. Ich sehe sein Bild deutlich vor mir auf dem großen Flachbildschirm, den ich vorhin anscheinend nicht richtig ausgeschaltet habe, weil ich aus Nervosität einmal zu oft auf den Off-Knopf gedrückt habe. Präsident Snow.
 

„Ah…Olivia!“ Obwohl man noch deutlich Anspannung in der Stimme des Mannes spürt, wirkt er ein wenig lockerer. „Wie lange ist es jetzt her?“

„Ich weiß nicht“, antworte ich wahrheitsgemäß und ziehe meine Jacke über der Brust zusammen. Mir ist kalt.

„Ihr könntet mich ruhig mal wieder besuchen, aber ich weiß ja, deine Eltern haben viel zu tun.“

„Ja, das haben sie.“ Weil sie ihnen so viel zu tun geben, mit ihren Spielen. Meine Stimme klingt schärfer als beabsichtigt, doch er ignoriert es.

„Wo ist denn deine Mutter? Ich weiß, sie hat heute frei, aber ich bräuchte sie überaus dringend in meinem Garten, du weißt sicher, meine Rosen bedürfen spezieller Pflege und Cornelia scheint die einzige zu sein, die sie außer mir wirklich in ihrer Nähe dulden, muss an eurem Namen liegen.“ Er lacht auf eine scheußliche Art und Weise so, wie man eine Fliege auslacht, die auf dem Rücken gelandet ist und nun elendig verenden muss. Es soll wohl freundlich und ein wenig peinlich berührt klingen. Ich unterdrücke selbst ein bitteres Lächeln. Oh ja, der Rosengarten. Meine Mutter hatte mir oft davon erzählt. Sie ist eigentlich Wissenschaftlerin, aber da ihre Spezialgebiete Genetik und Botanik sind, arbeitet sie hauptsächlich in den Gärten der Reichen und züchtet ihnen die Blumen, die sie brauchen, um das Bild ihres perfekten Heims zu vollenden, damit sie hier im unendlichen Streben nach Perfektion, das das Kapitol verkörpert, nicht auffallen. Besonders Snow bestellt sie oft zu sich, zu oft. Ich kann nicht glauben, dass es dabei nur um ein paar Rosen geht, aber worum es wirklich geht, scheint ein wohlgehütetes Geheimnis zu sein, ähnlich wie eine Knospe, der niemand gestattet zu blühen. Denn wer will schon giftige Blumen in seinem Garten?
 

„Sie ist einkaufen und wird sicher in einer Stunde zurück sein.“ Als Snow nichts mehr sagt, lege ich auf. Wahrscheinlich hat er es längst getan. Was interessiert es ihn, ob ich ihn mag? Solange ich nur ein Gänseblümchen in seinem prächtigen Garten bin, kann er mich leicht ausrupfen, wenn ich ihm lästig werde. So kommt mir das Kapitol oft vor, wie ein riesiger Garten, der mit einer dicken Mauer und schwarzem Stacheldraht umzäunt ist. Drinnen wachsen große, Unschuld vortäuschende, weiße Rosen, die mit ihren blutigen Stacheln jede andere Pflanze vom Sonnenlicht verhalten und ihnen keinerlei Chance lassen zu blühen. Müde schalte ich den Fernseher aus und setze mich in den Garten. Die Strahlen der Sommersonne greifen mit schwülstigen Fingern nach meinem Gesicht und zwingen mich unweigerlich zu blinzeln. Die Hungerspiele sind wieder einmal vorbei, ebenso wie sie nächstes Jahr vorbei sein werden und übernächstes Jahr und Snow denkt nur an seine Rosen. Vielleicht, weil er weiß, dass Rosen schöner sind als Menschen, und er das Leid, das sich Menschen zufügen, nicht mehr ertragen kann. Aber das ist unwahrscheinlich. Er ist es, der die Spiele gemacht hat, er ist es, der den Distrikten einredet, sie wären ein Sinnbild für Ehrgeiz und Willensstärke, ein fairer Kampf, wie es die olympischen Spiele einst waren. Aber warum lächelst du dann so grausam? Warum? – Weil es kein gottverdammtes Spiel ist, es ist Mord und Snow wie beinahe jeder Diktator ein eiskalter Massenmörder. Deshalb lächelt er.



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