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Emily's Teaparty

Wie kam eigentlich Emily zu Break?
von

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Kapitel 1

Halloooo ^^ Diese Geschichte gibt es schon bei fanfikiton.de, aber ich dachte mir, vielleicht mag sie hier ja auch mal jemand lesen ... Würde mich jedenfalls riesig freuen!
 

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Sein Auge begann zu tränen, als er ins Sonnenlicht trat und geblendet gegen die hellen Strahlen anblinzelte. Das sei normal, sagten die Ärzte. Das verbliebene Auge musste jetzt eine doppelte Belastung tragen und bis es sich daran gewöhnt hatte, würde es besonders empfindlich sein. Er müsse Geduld haben, sagten die Ärzte.
 

Xerxes Break interessierte sich nicht dafür, was die Ärzte sagten.

Gab es überhaupt noch irgendetwas, was ihn interessierte?

Er wusste es nicht, wusste nicht einmal das.
 

Unschlüssig begann er, im Garten umherzuwandeln, ziellos wie ein Geist, der selbst am hellichten Tag nichts Besseres zu tun hatte als durch dunkle Gänge und verlassene Korridore zu spuken. Vielleicht war er genau das, ein Geist.
 

Um ihn herum erhob sich die gesamte Pracht des Gartens in verschwenderischer Fülle, bunte Blüten reckten die glänzenden Köpfe dem strahlend blauen Himmel entgegen, von Schmetterlingen und Bienen umschwärmt. Ein sanfter Wind strich durch das saftige Gras, spielte mit den Blättern der Bäume und ließ sie unter lieblicher Melodie erzittern. Es war angenehm warm, nicht heiß, die Sonnenstrahlen streichelten jede Pflanze, jeden Stein mit milder Zärtlichkeit und ließen sie in zart-goldenem Glanz schimmern.
 

Doch nichts davon berührte ihn. Es war, als beobachte er das alles durch eine dünne Schicht aus Glas, hinter der er unwiderruflich gefangen war. Oder als befände er sich in Wahrheit noch immer in den tiefsten Tiefen des Abyss. Wo er hingehörte ...
 

Seufzend lehnte er sich gegen einen Baumstamm, schloss für einen Moment das überanstrengte, rechte Auge und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, die Hand an die Stelle zu führen, wo sich bis vor Kurzem noch sein linkes Auge befunden hatte. In der leeren Augenhöhle pochte und stach es noch immer wie verrückt.

Wie konnte etwas, das längst nicht mehr da war, nur derart schmerzen?
 

Auf einer gewissen Ebene begrüßte er diesen Schmerz sogar. Er war alles, was ihm noch geblieben war, alles, was ihn jetzt ausmachte.

Der Schmerz konnte ihn nicht reinwaschen von dem, was er getan hatte. Aber er war etwas, an dem er festhalten konnte.
 

Unruhig stieß er sich vom Baumstamm ab. Vielleicht hätte er gar nicht nach draußen kommen sollen. Vom Fenster seines Zimmers aus hatte er beobachtet, wie Shelly Rainsworth mit ihrer Tochter in diesem Garten herumtollte, hatte gesehen, wie sie lachten, einander jagten und sich in die Arme fielen. Etwas an diesem sonderbar unschuldigen Anblick hatte ihn angezogen wie das Licht die Motte, doch es gab eine wichtige Tatsache, die er dabei vergessen hatte: Die Motte verglühte, wenn sie dem Licht zu nahe kam.
 

Etwas einmal Besudeltes konnte nicht rein werden, nur weil es sich mit etwas Reinem umgab. Hatte die Schuld die Seele erst zersplittert, konnte sie nie wieder ganz werden.
 

Mit schnellen Schritten, fast als wolle er das Sonnenlicht plötzlich fliehen, suchte er, den Garten hinter sich zu lassen – und hielt abrupt in der Bewegung inne, als ein Geräusch die Luft zerschnitt, das so gar nicht zur friedlichen Idylle des Gartens passen wollte: halblautes, von heftigen Schluchzern geschütteltes Weinen.
 

Verwundert drehte er sich um und sah, zwischen zwei Rosenbüschen, die kleine Miss Sharon auf dem Boden sitzen, die Hände über das nassgeweinte Gesicht geschlagen, die schmalen Schultern vor Kummer heftig erzitternd.

Breaks erster Impuls war, sich einfach umzudrehen und wegzuschleichen. Wie hätte jemand wie er schon ein kleines Mädchen trösten können? Er, der er kleinen Mädchen nur Unglück brachte ...
 

Und sowieso war diese junge Lady die meiste Zeit über eine ziemliche Nervensäge!

Doch dann erhob sich eine Stimme in seinem Kopf, eine Stimme, die nicht die der weinenden Sharon war: Kevin! Geh nicht! Bitte, lass mich nicht allein! Geh nicht!

Ein eisiger Blitzschlag durchfuhr sein Herz. Die kleine Miss Sinclair war gestorben, weil er gegangen war, damals. Es war, als hätte er sie mit seinem eigenen Schwert getötet.
 

Und so blieb er, fast gegen seinen Willen, stehen, als wäre er unvermittelt am Boden festgefroren.
 

Es war ohnehin schon zu spät. Das Kind hatte ihn bereits bemerkt.

Augen, deren Wimpern von Tränen umkränzt waren wie Kornblumenblüten von glitzerndem Morgentau, suchten blinzelnd seinen Blick. Viel zu große, viel zu unschuldige, viel zu traurige Augen ...
 

Break schluckte hart. Er wollte nicht, dass sie ihn so ansah, wollte nicht, dass irgendjemand ihn so ansah. Oder überhaupt ansah ... Er wollte in sein Zimmer fliehen und allein sein. In Ruhe gelassen werden. Unberührbar sein ...

Aber er rührte sich nicht.
 

„Xerxes-niisan?“, fragte unterdessen die Kleine schniefend, so hoffnungsvoll, als wäre er in der Lage, die ganze Welt mit einem einzigen Fingerstreich zu retten.
 

Woher kam das nur, dieses merkwürdige, durch Nichts begründete Vertrauen? Hatte sie denn keine Angst vor ihm? Sie sollte Angst vor ihm haben. Er wusste, dass er unheimlich aussah, mit nur einem Auge, dem meist blutigen Verband überm Gesicht, das bleich war und leer wie ein Dämonengesicht. Alle hier fanden ihn unheimlich, er hatte sie gehört, wie sie auf den Gängen tuschelten und schwatzten. Warum dieses kleine Mädchen nicht?
 

Vielleicht war das der Grund, aus dem er sich neben ihr auf ein Knie herabließ und leise, behutsam, fragte: „Was ist denn passiert, Miss Sharon?“

Das tränenverschmierte Gesichtchen verzerrte sich. „Polly ist weg!“, heulte die Kleine sofort los.
 

„Polly?“ Break zog fragend die rechte Augenbraue hoch.

„Meine Puppe ...“ Schluchzer erstickten Sharons Stimme. „Meine Lieblingspuppe ... Gestern Abend war sie noch da, und jetzt ... jetzt ...“ Sie konnte nicht mehr weitersprechen.
 

Gestern Abend ... Ein furchtbarer Verdacht keimte in Breaks Innerem auf, doch er schluckte die Übelkeit, die daraufhin in seiner Kehle emporsteigen wollte, hinunter und blickte stattdessen wieder Miss Sharon an.
 

Das Weinen war wieder schlimmer geworden. Hilflos streckte er die Hand aus, wie um ihr damit tröstend über den Rücken zu streichen, doch auf halbem Weg ließ er sie wieder sinken, unschlüssig, linkisch.

„Weint doch nicht“, wisperte er ungeschickt. „Ihr seid viel hübscher, wenn Ihr lacht!“
 

Gleich darauf hätte er sich am liebsten auf die Lippen gebissen. Was für eine dämliche Bemerkung! Aber immerhin hob sie den Kopf und blickte ihn erneut an.

„Aber du lachst doch auch nie, Nii-san“, entgegnete sie verwundert.

„Das stimmt doch gar nicht!“ Er fühlte, wie ihm ein Hauch Röte in die Wangen kletterte und ärgerte sich selbst darüber. Albern, wegen so eines lächerlichen Vorwurfes gleich in Verlegenheit zu geraten!
 

„Siehst du“, flötete er triumphierend und schenkte der Kleinen ein breites Grinsen. Eigentlich war es mehr ein Zähneblecken, ein erzwungenes, fast schmerzvolles Verziehen der Lippen, die an solche Bewegungen schon lange nicht mehr gewohnt waren.
 

Sharon starrte ihn an. Gewiss würde sie jetzt weglaufen, er spürte selbst, wenn er lachte, sah er noch furchteinflössender, noch abstoßender aus.

Aber die junge Miss Sharon lief nicht weg. Kritisch, die feinen Augenbrauen zu einem steilen V zusammengezogen, musterte sie ihn. „Das müssen wir aber noch üben“, kommentierte sie streng.
 

„Hmmmm“, grummelte Break ausweichend. Was um alles in der Welt tat er hier eigentlich? Zumindest hatte die Kleine aufgehört zu weinen. Das bedeutete, er konnte jetzt gehen, nicht wahr? Diese ganze Puppengeschichte ging ihn doch sowieso nichts an!
 

Er machte bereits Anstalten, sich zu erheben, als mit einem Mal Reim Lunettes um die Ecke gewuselt kam. Break seufzte innerlich. Noch so eine Nervensäge!

Sharon jedoch wirkte plötzlich sehr aufgeregt. „Reim, Reim, hast du Polly gefunden?“ Hoffnungsvoll sprang sie dem Jungen entgegen.
 

„Tut mir leid, Miss.“ Reim starrte betreten zu Boden, nahm die Brille von der Nase und polierte sie an seiner Uniform, als könne er Sharons enttäuschtem Blick besser ausweichen, wenn sein eigener unscharf und verschwommen war.

Sharons bernsteinfarbene Augen füllten sich unterdessen langsam wieder mit Tränen. „Xerx-niisan!“, schluchzte sie schniefend und schaute hilfesuchend zu Break auf.
 

Der zuckte erschrocken ein wenig zurück, von der instinktiven Furcht gepackt, sie könne sich nun auch noch heulend in seine Arme werfen. Als ob er nicht schon genug andere Probleme hätte!
 

„Glaubst du ... glaubst du, Polly ist ... ist tot?“, fragte sie stattdessen nur und wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab. Was nicht viel nutzte, denn es folgten sofort neue.
 

„Unsinn!“, erklärte Break energisch. Puppen waren nicht lebendig, also konnten sie auch nicht sterben, nicht wahr?
 

Obwohl ...
 

Das Auge! Das Auge! Gib es Cheshire! Hihihihihi ....
 

Das Kichern der gräßlichen Monsterpuppen aus dem Abyss hallte wie fernes Donnergrollen in seinem Kopf wider. Fahrig hob er die Hand an den Verband über seinem Gesicht, drückte dagegen, obwohl das einen zuckenden Schmerzblitz zur Folge hatte, der sich bis in seinen Hinterkopf hineinbohrte.

Aber der Schmerz vertrieb auch die Erinnerung.
 

In einer bewussten Anstrengung zwang er sich, Sharon anzusehen. „Polly ist nicht tot“, erklärte er schnell. „Sie befindet sich nur ... auf einer Reise.“

„Auf einer Reise?“ Zweifelnd blickte die Kleine ihn an. „Aber Nii-san, sie ist eine Puppe!“, protestierte sie, kopfschüttelnd über seine offensichtliche Dummheit.
 

„Na und?“, gab er trotzig zurück. „Auch Puppen brauchen manchmal eine kleine Auszeit!“

Er hatte genug Überzeugung in seine Stimme gelegt, um das kleine Mädchen innehalten zu lassen. Nachdenklich drehte sie einen ihrer langen Zöpfe zwischen den Fingern. „Woher weißt du das?“, fragte sie skeptisch.

„Eine Freundin hat es mir erzählt“, antwortete er, selbst überrascht, wie leicht ihm die Lügen über die Lippen gingen.
 

Früher hatte er nie gelogen. Früher hatte er sich an den Ehrenkodex seines Standes gehalten. Heute ... kannte er keine Ehre mehr.

„Eine Freundin?“ Misstrauisch runzelte Sharon die Stirn.

Sie glaubte ihm nicht, natürlich nicht! Xerxes Break hatte keine Freunde, selbst dieses naive, kleine Mädchen begriff das schon.
 

„Sie ist selbstverständlich auch eine Puppe“, erklärte er im Tonfall völliger Selbstgewissheit. Himmel, auf was für einen Unsinn hatte er sich da nur eingelassen?

„Puppen können aber nicht reden!“, gab Sharon altklug zurück und stemmte entrüstet die Fäuste in die schmalen Hüften.
 

„Diese aber schon ...“ Break kam sich selbst lächerlich vor dabei, doch er konnte jetzt auch nicht mehr zurück. Er konnte sich doch nicht von dieser jungen Lady in Grund und Boden reden lassen!

Sharon verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen. „Wie heißt deine Puppe?“, wollte sie wissen.
 

„Emily ...“ Er antwortete schnell, indem er einfach den erstbesten Namen nannte, der ihm in den Sinn kam. Emily ...
 

Die Puppe der kleinen Miss Sinclair hatte so geheißen.

Break biss sich auf die Lippen. Warum musste er sich an solch lächerliche Details nur erinnern? Sie hatte die Puppe dabei gehabt, an jenem Tag vor so vielen Jahren ... An dem Tag, als Kevin Regnards Herr ermordet worden war, während sein Ritter, sein Beschützer, fort gewesen war ... Mit seiner Tochter. Und mit ... Emily. Sie hatte sie die ganze Zeit über bei sich gehabt. Immer. Auch dann noch, als sie am Sarg ihres Vaters geweint hatte.
 

Kevin! Geh nicht! Bitte!
 

Break schauderte heftig. Plötzlich war ihm eiskalt, ein Zittern erfasste seine Muskeln, und der Schmerz in seinem Auge erwachte zu neuer Heftigkeit. Oder war es seine Seele, die schmerzte? Seine befleckte, von Schuld zerrissene Seele?

Instinktiv, fast zwanghaft, hob er erneut die Hand zur Wunde in seinem Gesicht, doch diesmal fügte er sich keinen neuen Schmerz zu, denn Sharon fragte, skeptisch, aber doch von Neugier gepackt: „Wo ist Emily jetzt?“
 

„In meinem Zimmer ...“

Er hielt an der Geschichte fest wie ein Ertrinkender am Rettungsseil, nur um nicht weiter über seine Vergangenheit nachdenken zu müssen. Die Kleine glaubte ihm kein Wort, das spürte er, doch sie war auch noch zu kindlich, um keinen Gefallen an dem albernen, kleinen Spiel zu finden.
 

Sie war traurig und voller Verzweiflung gewesen, vorhin, und Break hatte ihr einen Ausweg aus dieser Dunkelheit aufgezeigt. Ob dieser Ausweg den Tatsachen entsprach, spielte überhaupt keine Rolle. Er war ein Erwachsener, und sie vertraute ihm, vertraute darauf, dass alles wieder gut werden würde, wenn er ihr nur sagte, dass es so war.
 

Kevin! Geh nicht!
 

Ob er Miss Sinclair wirklich hätte retten können, wäre er bei ihr geblieben? Hatte er überhaupt die Macht, irgendjemanden zu retten?
 

„Kann ich sie sehen?“, bohrte Sharon weiter.

„Hmmm?“ Erschrocken zuckte Break aus seinen Gedanken auf.

„Ich will Emily sehen!“, erklärte die junge Lady herrisch.

„Das geht nicht ...“

„Warum nicht?“
 

Wie stur die kleine Nervensäge war! „Ihr könnt sie morgen besuchen“, versprach Break leichthin. „Zum Tee. Puppen lieben Teepartys, das wisst Ihr doch, nicht wahr?“

Zumindest hatte er das Mädchen des öfteren „Teeparty“ mit ihren Puppen und Stofftieren spielen sehen.
 

„Hmmmm ...“ Sharon schien ein wenig verunsichert. „Und Emily weiß bestimmt, wo Polly ist?“, fragte sie hoffnunsvoll.

„Sie wird Euch eine Menge von Pollys Reise zu erzählen haben. Puppen schreiben einander nämlich auch Briefe, wisst Ihr?“ Break grinste sie an. Zumindest versuchte er es. Es fühlte sich noch immer nicht besonders überzeugend an.
 

„Miss Sharon, wir sollten jetzt gehen“, mischte sich da Reim Lunettes unerwartet ein. „Ihr habt doch noch Eure Klavierstunde ...“

Break, der den Jungen während seiner Konversation mit der kleinen Lady beinahe vergessen hatte, blinzelte zu ihm hoch.
 

„Na gut ...“ Sharon stand auf und strich ihr rosa Kleidchen glatt. „Und Emily wird auch ganz bestimmt da sein, Nii-san?“

„Natürlich.“ Wieder ein falsches Lächeln. Allmählich wurde es zur Gewohnheit. „Sie freut sich bereits, Euch zum Tee einzuladen, Oujo-sama.“
 

Ein leises Lachen glitt über Sharons Lippen, erhellte das eben noch verweinte Gesicht. „Bis morgen dann, Nii-san!“ Sie winkte, bevor sie ins Haus zurückrannte, um pünktlich zu ihrer Klavierstunde zu sein.

Reim räusperte sich nervös, während sie beide der kleinen Lady hinterherstarrten. „Was ... was sollte das Ganze?“, fragte er stirnrunzelnd. „Emily? Eine Teeparty?“
 

Break zuckte, scheinbar gelassen, mit den Schultern. „Wenigstens hat sie aufgehört zu weinen“, bemerkte er widerwillig.

„Und was, wenn wir Polly nicht wiederfinden?“, gab Reim zu bedenken.

„Dann wird sie zumindest etwas haben, was sie ablenkt, bis sie über ihren Verlust hinweggekommen ist.“ Break wich dem Blick des Jungen aus.
 

Verlust ... Das Wort fühlte sich schal an auf seiner Zunge. Hatte er sich deswegen so in diese lächerliche Puppen-Geschichte hineingesteigert? Weil er den bitteren Geschmack des Verlustes besser kannte, als jeder andere? Weil er auf seiner Zunge klebte, selbst wenn er etwas Süßes aß?
 

Ja, Xerxes Break wusste genau, wie es sich anfühlte, jemanden zu verlieren, der einem wichtig war. Und vielleicht war das genau der Grund, aus dem er dieses Gefühl bei der kleinen Sharon nicht ertragen konnte.

„Wie wollt Ihr es anstellen?“, fragte Reim, in seine Gedanken hinein. „Diese Sache mit der Teeparty?“
 

Break winkte ab. „Das lasst nur meine Sorge sein ...“ Er hatte keine Lust, sich mit dem Jungen zu unterhalten und so wandte er sich wortlos um.

Doch ihm fiel noch etwas ein, bevor er ging: „Reim?“

Der Junge errötete ein wenig. „J-j-ja?“

„Dieser widerliche Nightray-Junge ...“, begann Break, unbewusst mit den Zähnen knirschend. „Ihr wisst schon, der immer nach seinem Bruder sucht ... Er war wieder hier, oder?“
 

Reim senkte den Blick, wohl wissend, worauf Break hinauswollte. „Ja“, gestand er kleinlaut. „Gestern Abend.“

Break schauderte unwillkürlich, fühlte eine Woge von Abscheu über seinen Rücken krabbeln wie die Füße unzähliger, schmutziger Insekten. Seine Hand ballte sich zur Faust, zuckte instinktiv dorthin, wo er üblicherweise sein Schwert trug.

Aber er wollte jetzt nicht an diesen Jungen denken. Oder daran, an was er ihn erinnerte ...
 

Brüsk wandte er sich ab und stapfte ins Haus zurück. Es gab noch viel zu tun. Er hatte eine Teeparty vorzubereiten ...

Kapitel 2

Lady Shelly fand ihn am Abend im Salon, im Schneidersitz auf dem Boden sitzend, einen Wust aus Stofffetzen, Holzwolle und Fadenstücken um sich herum ausgebreitet, als wäre eine heruntergekommene Handarbeitswarenfabrik auf äußerst unschöne Art und Weise direkt in seinem Schoß explodiert.
 

„Was ist das?“, fragte sie lächelnd und trat einen federleichten Schritt hinter ihn, um neugierig über seine Schulter zu blicken.

„Emily“, antwortete Break knapp und starrte ein wenig beschämt auf das halbfertige, ungeschickt zusammengenähte Etwas in seinen Händen. Eine Nadel, das hatte er während der letzten Stunden schmerzhaft erfahren müssen, war weitaus weniger leicht zu handhaben als ein Schwert. Ganz besonders, wenn man nur noch ein Auge zur Verfügung hatte ...
 

„Emily so so ...“ Shelly schmunzelte in sich hinein, offensichtlich amüsiert. „Wird sie ein Geschenk für Sharon? Als Ersatz für Polly?“

„Nein, kein Geschenk.“ Heftig schüttelte Break den Kopf. „Eure Tochter hat jemanden verloren, der ihr sehr wichtig war. So jemanden kann man nicht einfach ersetzen. Das hier ...“ Er zeigte ihr das Ding in seinen Händen. „Das hier soll sie nur ein wenig ablenken ...“
 

Shelly lächelte wieder. Break, den dieses allzu sanfte Lächeln stets ein wenig nervös machte, senkte den Blick und starrte auf die Puppe herab. Armseliges Ding! Kevin Regnard mochte ein hervorragender Kämpfer gewesen sein, doch wenn er es genau betrachtete, dann hatte er nie etwas anderes gelernt, außer zu töten. Und wie es aussah, hatte er auch zu nichts anderem Talent ...

Seufzend legte er die Puppe auf den Boden. „Sie sieht gräßlich aus, nicht wahr?“, bemerkte er kläglich. „Häßlich.“
 

„Nicht doch.“ Break konnte Shellys Röcke rascheln hören, als sie sich neben ihn niederließ und die glänzenden Stofflagen ihres Gewandes sich wie eine Wolke aus fluffiger Seide um sie herum ausbreiteten. „Ich finde sie sehr schön.“

Behutsam nahm sie die Puppe vom Boden auf, drehte sie zwischen ihren langen, weißen Fingern hin und her. „Und sie ist ... blau.“ Ihre Brauen rutschten ein winziges Stück weit zusammen. „Break-san“, bemerkte sie gedehnt, „sind das meine Vorhänge, die Ihr da zerschnitten habt?“
 

Demonstrativ huschte ihr Blick zu den auf mysteriöse Weise entblößten Fenstern, bevor er wieder den Breaks suchte.

Xerxes spürte eine fiebrige Hitze in seine Wangen klettern, wich eifrig ihrem Blick aus und senkte den Kopf, bis ihm das Haar sogar über das gesunde Auge fiel.

Shelly lachte leise. „Kein Grund, gleich so verlegen zu werden!“ Versöhnlich reichte sie Break die Puppe zurück. „Wisst Ihr, Sharon hat den ganzen Tag über geweint, weil Polly verschwunden ist. Aber seit heute Nachmittag redet sie nur noch von Emily. Und von einer sonderbaren Teeparty ...“ Durchdringend musterte sie Break, bis dieser noch tiefer errötete. „Habt Ihr Euch das alles ausgedacht?“
 

Break antwortete nicht, nahm stattdessen die Nadel, die er im Teppich festgesteckt hatte, wieder auf und fuhr schweigend fort, die Naht an Emilys Hals zu vollenden.

„Meine Tochter mag Euch sehr“, meinte Shelly da.

Break zuckte zusammen, stach sich prompt in den Zeigefinger und starrte die Lady neben sich entgeistert an. Mögen? Sie sollte ihn nicht mögen! Niemand sollte ihn mögen! Diese Hände, die sich gerade so ungeschickt daran versuchten, ein Kinderspielzeug zu fabrizieren, hatten bereits unzählige Menschenleben geraubt!

„Ihr blutet“, bemerkte Shelly jedoch nur und griff behutsam nach seiner Hand. „Lasst mal sehen.“
 

„Was?“ Breaks Herzschlag beschleunigte sich. Ihre Finger fühlten sich kühl an auf seiner Haut, zart, weich. Hastig, fast grob, zog er die Hand zurück.

Ein einzelnder, purpurner Blutstropfen löste sich aus der winzigen Stichwunde, erblühte auf seiner weißen Haut wie eine vorwitzige Rose auf schneebedeckter Erde – und fiel lautlos auf die Puppe in seiner Hand.

„Verdammt!“, fluchte Break ungehalten und steckte ärgerlich den blutenden Finger in den Mund. „Jetzt habe ich sie ruiniert!“

Seufzend starrte er auf den hässlichen, scharlachfarbenen Fleck auf Emilys blauer Brust herab.
 

„Aber nein ...“ Seltsam tröstend, als wäre Break tatsächlich Sharons Bruder und ihr kleiner Sohn, legte Shelly ihm die Hand auf die Schulter. „Seht nur! Ihr habt Emily ein Herz gegeben!“ Lächelnd zeichnete sie mit der Spitze ihres schlanken Zeigefinders den dunklen Blutfleck auf der blauen Puppenbrust nach. Mit viel Phantasie besaß er tatsächlich die Form eines Herzens.

Break blinzelte irritiert.

„Wir werden ihr ein Kleid anziehen, dann sieht man es nicht ...“, schlug Shelly behutsam vor.
 

„Hmmm ...“ Break kam endlich auf die Idee, den Finger wieder aus dem Mund zu nehmen, fühlte sich plötzlich sehr albern und kindisch, diese ganze, absurde Idee überhaupt in die Welt gesetzt zu haben und spielte nervös mit einem der zerrupften Stoffresten herum, die wie kleine, ins Meer gespuckte Inseln überall auf dem Teppich lagen.

Seine Muskeln erstarrten zu völliger Reglosigkeit, als er Shellys Hand erneut auf der seinen fühlte. Diesmal jedoch zuckte er nicht zurück.

„Eure Finger sind ja überall zerstochen“, bemerkte die Lady besorgt und musterte mit zusammengezogenen Brauen die winzigen, scharlachroten Pünktchen auf Breaks bleicher Haut.
 

Break verzog das Gesicht. „Scheint, als würde der Kampf mit der Nähnadel nun einmal seine Opfer erforden“, gab er in dem schwachen Versuch, einen Scherz zu wagen, zurück. Natürlich war er nicht witzig. Xerxes Break war nie witzig. Humor schien etwas zu sein, was durch Blut von der Seele gewaschen wurde wie die Unschuld von den Händen.
 

Shelly lächelte trotzdem. Es war eigenartig, ihr Lächeln. Es schien ihr Gesicht ganz zu erhellen, sich in den Augen widerzuspiegeln wie das Licht der aufgehenden Morgensonne in klaren, glitzernden Bergseen.

Es hinterließ ein sonderbar warmes Gefühl in Xerxes’ Innerem, wo sonst nur Kälte herrschte, und wenn es verschwand, dann ertappte er sich des öfteren dabei, sich danach zurückzusehnen, als hätte man ihm in einer frostigen Winternacht das Kaminfeuer entzogen.

Es war schön, Shelly lächeln zu sehen.

Ja, vielleicht war es überhaupt das einzige, das er dieser Tage noch schön finden konnte, und das verwirrte ihn.

Hilflos starrte er auf die Puppe in seinen zerschrammten Händen.
 

„Darf ich Euch vielleicht helfen?“, fragte Shelly halblaut.

„Sicher. Wenn Ihr möchtet ...“ Er versuchte, ebenfalls zu lächeln, während er ihr Emily fast feierlich überreichte, aber er spürte, wie kläglich es misslang.

Und so jemand sollte ein Kind trösten? Mit einer dummen, unglaubwürdigen Geschichte noch dazu? Er war albern gewesen, lächerlich.

Shelly jedoch schien es nicht albern zu finden, denn sie griff, plötzlich sehr ernst und konzentriert, nach Nadel und Faden und begann, die Naht zu vollenden, an der Break sich bereits zuvor versucht hatte.
 

Xerxes beobachtete sie fasziniert. Es hatte etwas bemerkenswert Anmutiges, wie die Lady die Nadel führte, wie der Faden in ihrer Hand wie von selbst durch den schweren Stoff zu gleiten schien, fast als tanze sie über die raue Oberfläche hinweg. Shelly hatte die Augen leicht zusammengekniffen, während sie arbeitete, einige winzige, bronzefarbene Strähnen hatten sich aus ihrem dicken Zopf gelöst und fielen ihr ab und an in die Stirn. Nachlässig, ganz ohne sich der Geste bewusst zu werden, wischte sie sie fort, doch wenn sie den Kopf über die Puppe neigte, lösten sie sich sofort wieder.
 

Break hatte keine Ahnung warum, doch es gefiel ihm, diesem Schauspiel zuzusehen, es hatte etwas so seltsam Harmonisches, irgendwie Beruhigendes an sich.

Die monotone Bewegung der Nadel, das Schweigen, das sich plötzlich im Raum ausgebreitet hatte, ohne erdrückend zu wirken, sein immer noch tränendes Auge ...

Break bemerkte, wie er sich entspannte, schläfrig wurde. Das Lid wurde schwer, es wollte ihm zufallen, doch er zwang es gewaltsam, offen zu bleiben, wollte sich nicht die Blöße geben, vor Lady Rainsworth einfach einzuschlafen.

„Warum ruht Ihr Euch nicht ein wenig aus?“, fragte Shelly da.
 

Xerxes zuckte ein wenig zusammen. Er hatte nicht geahnt, dass auch sie ihn beobachtete, hatte geglaubt, sie sei völlig in der Arbeit an Emily vertieft.

„Verzeiht ...“, murmelte er beschämt.

„Ihr müsst erschöpft sein“, bemerkte sie sanft. „Eure Wunde ist noch nicht richtig verheilt.“

Unwillkürlich hob Break die Hand gegen den Verband um sein Auge. Er hatte während der letzten Stunden gar nicht mehr an die Verletzung gedacht, das Pochen und Splittern in der leeren Höhle war zu einer Art Gewohnheit geworden wie ein konstanter Lärm im Hintergrund, den man irgendwann kaum mehr wahrnahm.
 

„Es geht schon ...“, murmelte er ausweichend. Sie hatte Recht, er war müde und erschöpft, doch er wollte sich noch nicht zurückziehen, scheute plötzlich die dröhenende Stille in seinem Zimmer, eine Stille, die so ganz anders war als das Schweigen im Salon. Dunkel und mit Schrecken gefüllt.

Seit seiner Ankunft bei der Rainsworth-Familie wünschte er sich nichts sehnlicher, als einfach nur seine Ruhe zu haben, allein zu sein, für sich zu sein. Nun jedoch fürchtete er sich fast davor.
 

„Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich Euch noch eine Weile zusehe?“, fragte er schüchtern. Niemandem wäre es zu verdenken gewesen, vor der Gesellschaft eines Mörders mit äußerst dubioser Herkunft zurückzuschrecken!

„Aber nein, natürlich nicht ...“ Behutsam streifte ihre Hand Xerxes’ Wange, flüchtig bloß, fast wie ein Windhauch. Die Berührung hinterließ ein flammendes Inferno unter seiner Haut.

Warum hatte sie das getan? Wollte sie ihn trösten, wie man es bei einem Kind tat? War er das in ihren Augen? Ein verirrtes, hilfloses Kind?

Vielleicht war er wirklich genau das ...
 

Seufzend lehnte er den Kopf gegen die Armlehne des Sofas zu seiner Linken. Shelly hatte sich bereits wieder der Puppe zugewandt, rhythmisch glitt die Nadel durch den Stoff, gehorsam folgte ihr der Faden, grub sein Muster tief in Emilys Haut.

Haut?

Xerxes seufzte wieder. Er musste wohl tatsächlich ziemlich müde sein ... Seine Gedanken begannen sich zu verwirren. Vielleicht hatte er wieder Fieber ...

Das Bild vor seinem Auge verschwamm. Angestrengt blinzelte er, senkte das Lid, genoss die wohltuende Dunkelheit vor seinem schmerzenden Blick, sah wieder Shelly an und spürte, wie sein Bewusstsein endgültig von Schlaf umstrickt wurde ...
 

*~*~*
 

Sein Haar hatte sich gelöst, wild und ungezähmt fiel es ihm über die Schultern, ein dichter Schleier aus frisch gefallenem Schnee.

Weißes Haar, weiße Haut.

Das Gesicht im Spiegel hatte dieselbe Farbe wie die ersten, zaghaften Apfelblüten an einem zarten Frühlingstag, milchig glänzende Strähnen fielen über die funkelnden Augen.

Aus weit aufgerissenen Augen starrte Kevin Regnard in den Spiegel, in Blut getränkter Purpur traf auf amethysten glänzenden Flieder.

Weißes Haar, weiße Haut.

Doch die Augen, die ihm aus dem Spiegel entgegenstarrten, waren nicht die seinen. Es waren ihre Augen.

Lachend tanzte sie durch das Nichts hinter dem Spiegel, wie ein Wasserfall aus Perlmutt ergoß sich ihr Haar über den zart geformten Rücken. „Scharlachrot“, flüsterten ihre Lippen, dicht gegen das Glas. „Sie sind wunderschön, deine Augen, wie die Sonne, wenn sie im Meer ertrinkt, wie brennende Kohlestücke, die sich in flackernder Glut winden ...“ Sie lachte leise, streckte eine ihrer schlanken, weißen Hände aus – und griff durch den Spiegel direkt in sein Gesicht.

Weißes Haar, weiße Haut.

Rubinfarbene Tränen, die sich splitternd auf dunklen Marmor ergossen.
 

Kevin Regnard schrie auf ...
 

Und Xerxes Break erwachte mit einem erstickten Keuchen, seine linke Augenhöhle von nichts als pochendem Schmerz erfüllt.

„Ist ja gut ...“ Beruhigend strichen Shellys kühle Finger ihm durchs Haar, verharrten auf seiner Stirn, streiften behutsam seine Wange. „Schon gut, Ihr habt nur geträumt ...“

Break biss sich auf die Lippen, um seine hektischen Atemzüge in der Brust einzusperren, blinzelte heftig – und wurde sich endlich seiner Umgebung vollends bewusst.
 

Sie befanden sich noch immer im Salon, natürlich. Nur lehnte er nicht mehr gegen das Sofa wie vorhin, sein Kopf lag in Shellys Schoß, von der Seide ihrer Röcke umgeben wie von einem weichen Federkissen.

Mild goldene Strahlen flirrender Morgensonne blitzten durch die Fenster herein, tränkten das ganze Zimmer in Helligkeit und ließen ihn erneut blinzeln.

Oh Gott, hatte er etwa die ganze Nacht hier verbracht? In Shellys Schoß schlafend wie ein von der Straße aufgelesenes Katzenbaby?
 

Wie peinlich! Heftig errötend schoss er in die Höhe, krabbelte einen halben Meter weit zurück und drückte benommen die Hand gegen die Stirn, als ihm schwindelig wurde. „Verzeiht“, murmelte er schwach. „Ich wollte nicht ...“

Shelly lachte leise, ihr helles, glockenklares Lachen, das er so gern hörte. „Was? Einschlafen? Dafür braucht Ihr Euch doch nicht zu schämen!“

Break antwortete nicht. Er liebte es nicht, Schwächen zu zeigen, und vor einer Dame schon gar nicht, doch die Tochter dieser Dame hatte ihn blutüberströmt und halb tot auf dem Boden gefunden, Shelly selbst hatte seine Wunden gereinigt, sein Auge verbunden. Falscher Stolz war da vielleicht in der Tat nicht angebracht ...
 

Wenn er so etwas wie Stolz überhaupt noch besaß.

Kevin Regnard war eine stolze Persönlichkeit gewesen, ein edler Ritter seines Herrn.

Doch Kevin Regnard war ebenso tot wie dieser.

Wer war Xerxes Break? Wer wollte, konnte er sein?

Shelly ignorierte die Düsternis seiner Gedanken ebenso wie seine Verlegenheit und strahlte ihn stattdessen weiter an. „Seht mal“, bemerkte sie mit seltsam mädchenhafter Vorfreude. „Emily ist fertig!“
 

Staunend nahm Break die Puppe entgegen. Shelly hatte ihr Gesicht vollendet, ihr ein rosa Kleidchen genäht, das verdächtig nach dem Tischtuch aussah, das einst die Anrichte im Salon geziert hatte – und sie hatte ihr sogar Haare angenäht. Einen langen, bernsteinfarbenen Zopf.

Verblüfft starrte Break die Lady an. „Habt Ihr ... Habt Ihr der Puppe einen Teil Eures eigenes Haares gegeben?“, fragte er entsetzt.
 

Shelly lachte wieder, strich unbekümmert über ihren halb aufgelösten Zopf, der nun um einige Zentimeter kürzer schien. „Euer Blut ... mein Haar ...“ Aus dem Lachen wurde ein geheimnisvolles Lächeln. In den großen, klaren Augen funkelte es. „Emily ist wirklich etwas Besonderes, Break-san. Ihr müsst gut auf sie Acht geben ...“

„Das ... das werde ich“, versprach Break stammelnd und schauderte plötzlich, ohne genau zu wissen warum.

„Oh, möchtet Ihr vielleicht etwas Gebäck?“ Mit einer Sprunghaftigkeit, wie sie sonst nur junge Mädchen besaßen, wechselte die Lady das Thema. Geschmeidig erhob sie sich und reichte Break ein Tablett, auf dem sich verschiedene, mit Zucker überzogene Törtchen stapelten.
 

„Ich habe sie kommen lassen, als kleine Stärkung“, erklärte Shelly, während Break die Köstlichkeiten anstarrte.

Er hatte immer schon gern Kuchen gemocht, doch für einen Ritter seines Standes gehörte es sich nicht, Süßigkeiten zu essen, und so hatte er nie welche bekommen, selbst als Kind nicht. Aber das spielte ja nun auch keine Rolle mehr, nicht wahr?
 

In einer langsamen, fast hypnotischen Bewegung griff er nach einem rosa glasierten Zuckerkringel. „Habt Ihr die ganze Nacht an der Puppe gearbeitet?“, erkundigte er sich beiläufig, während seine Nüstern gierig den appetitlichen Geruch des Gebäcks einsaugten.

„Ja, ich bin gerade erst fertig geworden.“ Shelly zwinkerte ihm vergnügt zu. „Gerade rechtzeitig zur Teeparty ...“

„Hmmm ...“ Break konnte nicht antworten, er war zu sehr damit beschäftigt, Kuchen in sich hineinzustopfen. Köstlich! Einfach köstlich ... Er schluckte verzückt.
 

Die Lady beobachtete ihn amüsiert und lachte leise.

„Was ist?“, erkundigte sich Break irritiert. „Habe ich irgendwas im Gesicht?“ Krümel vielleicht? Wie peinlich! Er hatte sich wohl hinreißen lassen!

„Ja.“ Warm blickte Shelly ihn an. „Ein Lächeln.“ Anmutig ließ sie sich wieder neben ihm nieder, so dicht, dass er zwischen dem Duft des Gebäcks auch den Veilchen-Hauch ihres Parfums wahrnehmen konnte.

Sein Puls beschleunigte sich plötzlich, das Herz begann in der Brust zu hüpfen wie ein im Käfig eingesperrtes Kaninchen.

Shellys Blick fixierte ihn. „Es steht Euch gut, das Lächeln“, bemerkte sie sanft. „Ihr solltet es öfters tun.“
 

Break fühlte den Atem in seinen Lungen zittern. Es war ihm nicht bewusst gewesen, dass er gelächelt hatte. Es war ihm nur bewusst, dass er lächeln wollte, jedes Mal, wenn sie es tat, als wäre sein Innerstes ihr geheimes Spiegelbild, ein dunkler Schatten, der ihrer Sonne folgte.

„Ich ... ich werde es versuchen, Mylady“, versprach er verwirrt, löste den Blick von ihrem und stand auf, wackelig, als habe er eine Nacht voller Fieber hinter sich.
 

Hitze pochte in seinen Wangen. „Ihr entschuldigt mich?“ Fast fluchtartig zog er sich zurück, doch bevor er ging, stibitzte er noch eines der Törtchen auf dem Silbertablett. Sie waren zu verführerisch. Break konnte einfach nicht widerstehen ...
 


 

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Danke euch für's Lesen meiner Geschichte, für die Favo-Einträge und die Kommis! Ich freu mich riesig ^^

*törtchen für euch dalass*

Kapitel 3

Oh je, oh je ... Tut mir ganz arg leid, eigentlich wollte ich vieeel früher updaten ... Hoffentlich habt ihr die Story noch nicht ganz vergessen!

Aber ich hab immerhin eine gute Ausrede: In der Zwischenzeit ist ein Buch von mir erschienen und das war einfach ziemlich viel Stress. Es ist ein Fantasy-Roman und hat mit dieser Geschichte hier eigentlich nichts zu tun, aber ich weiß nicht, vielleicht habt ihr ja Lust, mal reinzugucken:
 

http://www.julia-kathrin-knoll.de/DieKinderLiliths.html

Oder auf facebook „Die Kinder Liliths“
 

Ich würde mich mega doll freuen ^^ *bestechungskekse hinstell*
 

Sooo, jetzt hab ich aber wirklich genug gelabert, hier kommt das nächste Kappi xD
 

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„To stand outside your virtue no one can ever hurt you.“

Shinedown: Her Name is Alice
 


 

Dunkel und blutig starrte ihm die leere Augenhöhle aus dem Spiegel entgegen, instinktiv schloss er das schmerzende Lid, das sich blass wie ein Leichentuch über den Abgrund senkte.

Einzelne Blutstropfen rannen ihm über die bleiche Wange, rubinroten Tränen gleich.
 

„Wie lange wird es noch dauern, bis die Wunde verheilt ist?“, fragte Break den Arzt, während dieser den Verband wechselte, die gräßliche Wunde unter dichten Lagen weißen Stoffes verbergend.

„Das ist schwer zu sagen“, antwortete der Arzt ausweichend. „Wenn sie sich nicht wieder entzündet, ein paar Wochen vielleicht.“
 

Wenn sie sich nicht wieder entzündet ... Ein paar Wochen ... Und dann?

Dann würde er noch immer ein halbblindes, enstelltes Monster sein. Ob Sharon sich vor ihm fürchten würde, würde sie ihn so sehen? Von seinem eigenen Blut bedeckt wie von purpurnen Regentropfen an einem kalten Novembertag?

Doch das hatte sie bereits. Und doch nannte sie ihn „Nii-san“ und sprang um ihn herum, als sei er nichts weiter als ein ungwöhnlicher, aus dem Nichts aufgetauchter Spielgefährte. Seltsames Mädchen ...
 

Beinahe trotzig wischte Break das Blut von seiner Wange, wartete ungeduldig, bis der Arzt mit dem Verband fertig war und scheuchte den Mann dann unfreundlich hinaus. Sein Blick wanderte wieder zum Spiegel. Er würde sich das Haar schneiden müssen, sobald er den Verband nicht mehr trug. Wenn er die Ponyfransen wachsen ließ und den Zopf abtrennte, dann würde das dichte, weiße Haar über die Wunde fallen wie der Vorhang über die Bühne eines blutigen Theaterstücks. Dann würde man sie nicht sehen, die anklagende Leere, die in seiner linken Augenhöhle gähnte.

Als ob er hätte auslöschen können, was er war, solange er es vor anderen verbarg ...
 

Seinen düsteren Gedanken nachhängend griff Break nach der Bonbonschale auf dem Tisch, die eigentlich für die Teeparty heute Nachmittag gedacht gewesen war. Sie war bereits halb leer, doch das kümmerte ihn nicht weiter. Das Glitzern des Bonbonpapiers, das verheißungsvolle Rascheln, wenn man es öffnete, der süße, cremige Geschmack auf der Zunge ... Das alles hatte etwas seltsam Unschuldiges, Tröstliches, Kindliches.
 

Kevin Regnard war zum Krieger erzogen worden, sobald er halbwegs alt genug gewesen war, ein Schwert zu halten. Süßigkeiten hatten keinen Platz in diesem Leben gehabt. Genauso wenig wie Spielzeug ...

Nachdenklich betrachtete er die blaue Puppe, die grinsend auf dem Tisch saß, zwischen den Kuchentellern und der Teekanne. Und irgendwo in seinem Inneren stellte er fest, dass er sich auf Sharons Besuch freute.

Sich um dieses Kind zu bemühen war, als könne er selbst noch einmal ein Kind sein, noch einmal von vorne anfangen, ein neues Leben beginnen.
 

War es das, was der Abyss ihm geschenkt hatte? Eine zweite Chance? Doch war das überhaupt möglich? Von vorne zu beginnen, wenn das Blut Dutzender Menschen an den bleichen Fingern klebte?

Er pflückte ein weiteres Bonbon aus der Schale, steckte es sich in den Mund und grinste seinem Spiegelbild zu. Immer noch gruselig ... Immer noch abstoßend ...

„Das müssen wir aber noch üben“, hatte Sharon gestern altklug kommentiert, als er sie zum ersten Mal angelächelt hatte.

Und: „Es steht Euch gut, das Lächeln. Ihr solltet es öfters tun ...“, waren Shellys Worte gewesen.

Es steht Euch gut ...
 

Um Breaks Mundwinkel zuckte es, während er daran dachte, die Wangen glühten ein wenig. Shellys Nähe hatte ihm gutgetan, heute Morgen. Er hatte wieder geträumt, als er in ihren Armen geschlafen hatte, wie jede Nacht. Doch Alpträume verlieren schnell ihre Kraft, wenn am Morgen die Sonne ihre Schatten dahinschmilzt. Ein bisschen war sie wie seine Sonne, warm und freundlich und sanft. Eine Sonne, deren Strahlen Unrat und Schmutz ebenso beleuchteten wie feinstes Geschmeide.

Manchmal fragte er sich, was wohl aus ihm geworden wäre, wäre Shelly seine Mutter gewesen, und Sharon tatsächlich seine Schwester. Wenn er kein Ritter, kein schwertschwingender Beschützer geworden wäre ... wäre er dann auch kein Mörder geworden?
 

Er fand keine Antwort darauf, denn ein Klopfen an der Tür schreckte ihn hoch. Sharon! Sein Gast war gekommen!

Flink sprang er auf, nahm Emily vom Tisch und setzte sie sich kurzerhand auf die Schulter, während er zur Tür eilte und sie mit einem übertriebenen Schwung öffnete.
 

„Willkommen, Oujo-sama“, flötete er, in eine theatralische Verbeugung sinkend. Ein breites Grinsen umspielte seine Lippen.

Sharon starrte ihn aus großen Augen an, presste den Stoffelefanten, den sie im Arm hielt, ein bisschen enger an sich und blinzelte verblüfft. „Nii-san?“ Ihr Blick war dunkel vor Entgeisterung.

Er hatte wohl ein bisschen arg dick aufgetragen! Break musste aufpassen, wenn er sie nicht verschrecken wollte. Doch er war schließlich ein Ritter und ein Mörder – kein Schauspieler. Es war das erste Mal, dass er für jemanden den Clown spielte. Eigentlich, so überlegte er schaudernd, hatte er Clowns immer schon unheimlich gefunden ...
 

„Kommt nur herein, Mylady!“ Seine eigenen Gedanken auf der Zunge zerbeißend wedelte Break mit der Hand, als wolle er eine aufdringliche Fliege verscheuchen und ließ die Bewegung galant in eine einladende Geste ausgleiten. Leise schloss er die Tür, trippelte tänzelnd in den Raum und grinste wieder, diesmal nicht ganz so breit.

„Emily erwartet Euch bereits, nicht wahr, Emily, Liebes?“ Liebevoll, beinahe selbstverständlich, tätschelte er der Puppe auf seiner Schulter den Kopf.

Diese schwieg dazu. Natürlich ...
 

Sharon starrte noch einen Moment lang, eine Mischung aus Skepsis und Unglauben im Gesicht. Sie schien nicht so recht zu wissen, was sie von dem seltsamen Spiel halten sollte, das Break mit ihr trieb, doch sie schien sich dafür zu entscheiden, erst einmal mitzuspielen, denn plötzlich lachte sie auf und hielt ihm den Stoffelefanten hin, den sie bisher fast schutzsuchend an sich gedrückt hatte.

„Ich habe noch jemanden mitgebracht, Xerx-nii-san“, verkündete sie stolz. „Das ist Sir Henry!“
 

„Ah, sehr gut ... sehr gut!“ Break klatschte in gespielter Begeisterung in die Hände. „Je mehr desto lustiger, nicht wahr?“ Er grinste wieder. Es fühlte sich jetzt schon nicht mehr ganz so falsch an wie noch vor einigen Minuten. „Willkommen, Sir Henry, willkommen“, säuselte er und verbeugte sich erneut, so tief, dass sein langer Zopf beinahe den Boden streifte. Emily hätte ihm bei dieser Bewegung eigentlich von der Schulter rutschen müssen, doch die Puppe trotzte allen Gesetzen der Schwerkraft und blieb an ihrem Platz, als hätte sie sich mit ihren merkwürdigen Füßen an seinem Mantel festgekrallt.

Wieso hatte Shelly ihr eigentlich so eigenartige Füße genäht? Pfoten sehr viel ähnlicher als menschlichen Füßen ...
 

Der Gedanke entglitt ihm, als Sharon die Stirn runzelte. „Alles in Ordnung, Nii-san?“, fragte sie misstrauisch. „Bist du vielleicht ... betrunken?“

„Nicht doch, nicht doch. Oujou-sama!“ Abwehrend wedelte er wieder mit den Händen. „Das ist aber nicht nett, so etwas zu behaupten!“

Sharon legte den Kopf schräg. „Dann hast du vielleicht Fieber?“ Besorgnis schlich sich in ihren Blick und sie streckte sogar die Hand aus und stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine Stirn zu befühlen.

Es amüsierte ihn, dass sie trotz dieser Verrenkungen nicht einmal bis an sein Kinn reichte, und ein kleines Lächeln entwich ihm.

„Du ... du bist so anders“, seufzte Sharon, während sie sich frustriert wieder zurücksinken ließ.
 

„Na, wir befinden uns ja auch auf einer Teeparty“, erklärte Break, als wäre dies allein schon Antwort genug. „Auf einer verrückten Teeparty!“

„Einer verrückten Teeparty?“ Sharon schien nicht zu begreifen. „Was ist das?“

„Auf einer verrückten Teeparty ist eben ALLES ein bisschen anders.“ Break lächelte geheimnisvoll, erkannte an Sharons Blick, dass sie allmählich Interesse an seinem Spielchen gewann und freute sich insgeheim. „Ach, Ihr werdet schon sehen!“, verkündete er trällernd. „Kommt, setzt Euch erst einmal!“
 

Mit einer halben Pirouette durchquerte er den Raum, rückte einen der Stühle zurecht und lud Sharon galant ein, darauf Platz zu nehmen. Eifrig wie ein dienstbeflissener Butler setzte er Emily und Sir Henry auf den Tisch und griff nach der geblümten Porzellankanne.

„Tee?“

Sharon nickte freudig. Break rückte ihre Tasse zurecht, hob die Teekanne so hoch an wie nur irgend möglich und zielte unter Sharons skeptischem Blick mit zusammengekniffenem Auge auf die Tasse.
 

Natürlich schätzte er mit nur einem Auge die Entfernung falsch ein und goss die Hälfte des Tees daneben, was Sharon mit einem halblauten Quietschen quittierte.

„Du hast gekleckert, Nii-san“, kommentierte sie überflüssigerweise.

„Hab ich nicht“, entgegnete Break stur, verärgert über das misslungene Kunststück. Wem versuchte er hier eigenlich etwas vorzumachen?

„Das muss so sein“, erklärte er würdevoll, ließ sich umständlich ebenfalls auf einem der Stühle nieder und schlug lässig die Beine übereinander. „Sonst haben wir ja keinen Teich für die Schiffe, nicht wahr?“
 

„Die ... Schiffe?“ Entgeistert starrte Sharon ihn an.

Rasch stibizte Break eines der Bonbons aus der Schale, steckte den Inhalt in den Mund und faltete aus dem Papier ein winziges, glitzerndes Bonbonschiffchen, das er mit spitzen Fingern auf der Teepfütze absetzte.

„Eine verrückte Teeparty wäre nicht das Gleiche ohne ein wenig maritimen Charme, findet Ihr nicht?“, bemerkte er im Tonfall gepflegter Salonkonversation.

Sharon war sprachlos. Mit einer Mischung aus Faszination und Verwunderung beobachtete sie Break, während sie selbst in perfekter Haltung an ihrem Platz saß. Es steckte schon eine richtige kleine Lady in ihr! Shelly wäre sicher stolz auf sie ... Auf Break, der auf einmal nichts als Unsinn mehr im Kopf zu haben schien, sicher weniger ...
 

Beinahe andächtig nahm Break ein weiteres Bonbon und faltete einen Dampfer aus dem Papier, den er in seiner Tasse schwimmen ließ.

Versonnen beobachtete er das winzige Gefährt. Die kleine Miss Sinclair hatte ihm diese Falttechnik beigebracht. Vor ihr allerdings hatte er sich nie derart zum Narren gemacht. Kevin Regnard war kein Narr gewesen. Stolz war er gewesen, oh ja ... Doch vielleicht war das das Närrischste überhaupt gewesen. In seinem Stolz zu glauben, er könne sogar den Tod selbst herausfordern.

Ja, vielleicht war Kevin Regnard tatsächlich ein Dummkopf gewesen. Doch was war dann Xerxes Break?
 

„Emily spricht ja gar nicht!“, beschwerte sich da plötzlich Sharon.

Break blickte auf. Verdammt, er hatte der Kleinen erzählt, die Puppe könne reden! Das hatte er völlig vergessen. „Sie ist nur schüchtern“, entgegnete er schnell.

Sharon ließ den Kopf hängen. „Schade, ich hatte gehofft, sie könne mir etwas über Polly erzählen“, murmelte sie traurig.

„Aber es gibt Neuigkeiten von Polly!“, versicherte Break hastig. „Sie hat einen Brief geschrieben!“
 

Triumphierend zog er einen winzigen, rosa Umschlag aus der Tasche seines Mantels. Daran zumindest hatte er gedacht!

Sharons Augen wurden groß. „Puppen können ... schreiben?“

„Aber gewiss doch, gewiss!“ Grinsend wedelte Break mit dem Brief in der Hand und überreichte ihn dann Sharon mit übertriebener Gestik.

Ehrfurchtsvoll nahm sie ihn entgegen, drehte ihn einen Moment lang bewundernd zwischen den schmalen Fingerchen und öffnete ihn dann zögernd. Ihre fein geschwungenen Brauen zogen sich angestrengt zusammen, während sie versuchte, ihn zu entziffern.

„Aber das ... das kann ja niemand lesen!“, stellte sie besorgt fest.

„Na ja, es ist eben Puppenschrift.“
 

Es war Xerxes-Break-Krakelschrift, aber das musste sie ja nicht unbedingt wissen ... Dabei hatte er sich extra Mühe gegeben! Seufzend nahm er der kleinen Lady den Brief aus der Hand. „Ich werde ihn Euch vorlesen, Oujo-sama“, verkündete er großzügig. Er räusperte sich vernehmlich, legte eine Kunstpause ein und begann:

„Meine liebe Cousine Emily ...“

„Sie hat an Emily geschrieben?“, unterbrach Sharon ihn mit einem Hauch von Enttäuschung. „Nicht an mich?“
 

„Nun, sie wusste wohl, dass Ihr die Puppenschrift nicht lesen könnt.“ Break wunderte sich selbst, wie schnell und leichtfertig ihm diese Antworten von der Zunge gingen. Er hatte sich völlig in diese absurde Puppengeschichte hineingesteigert.

Vielleicht gerade weil sie so verrückt war ... In der verdrehten Welt der Puppen und Teepartys schien das, was er im Abyss erlebt hatte, nicht mehr ganz so wahnwitzig. Wenn man es schaffte, den Irrsinn bewusst in die normale Welt zu integrieren, konnte man ihm dann Herr werden? Verlor er dann nicht seinen Schrecken?
 

Wenn sein ganzes Leben ein wirres Spiel wurde ... verblassten dann die Spiele seiner Alpträume zu Schatten? Oder gab er ihnen noch mehr Kraft?

Er begann wieder zu lesen:

„Meine liebe Cousine Emily, ich sende dir die herzlichsten Grüße aus Molgerien ...“

„Wo liegt Molgerien?“, fragte Sharon dazwischen.

„Tzzz ... tzzzz“, machte Break tadelnd. „Was lernt Ihr eigentlich im Geografieunterricht, Oujou-sama?“ Er schüttelte in gespielter Entrüstung den Kopf. „Molgerien liegt im Süden, direkt an der Küste. Am Meer.“

Mit den Sinclairs war er einmal dort gewesen und fast war es, als wehte ihm der raue Wind der See noch einmal entgegen.
 

„Es ist sehr schön hier“, las er weiter. „Die Sonne scheint und ich gehe jeden Tag baden. Ich vermisse Lady Sharon, aber ich werde sie schon bald wieder sehen.“ Den letzten Satz hatte er gerade eben erfunden, doch er wollte nicht, dass Sharon weiter glaubte, die Puppe hätte kein Interesse mehr an ihrer kleinen Herrin.

„Ich grüße und umarme dich ... Polly.“
 

Sharon blinzelte ihn an. „Das ist alles?“

Break nickte ernst. „Ja, das ist alles.“ Er war schließlich Schwertkämpfer und kein Poet!

„Dann geht es ihr gut?“

„Gewiss, gewiss!“ Er klatschte wieder in die Hände. „Kuchen?“

Break wartete Sharons Antwort nicht ab, sondern balancierte schnell ein schmales Stück Erbeertorte auf ihren Teller, um kurzerhand die gesamte Tortenplatte an sich zu ziehen. Seine neu erworbene Großzügigkeit kannte eben doch gewisse Grenzen ...
 

So verrann die Zeit, und fast war Break enttäuscht, als Reim kam, um Sharon zu ihrer täglichen Klavierstunde abzuholen.

„Dürfen Sir Henry und ich morgen wieder kommen?“, bettelte die Kleine, als sie schon unter der Tür stand.
 

Break zuckte ein wenig zusammen. Das hatte er nun nicht erwartet! Hatte ihr seine alberne Vorstellung etwa gefallen? Errötend, ja, fast ein bisschen gerührt, setzte er schnell ein Grinsen auf und flötete: „Aber natürlich, natürlich!“ Er winkte ihr zum Abschied zu.

Sharon lachte ihn an, und es klang glockenhell und hinterließ ein weiches, fast schmerzhaft warmes Gefühl in der Brust, genau wie bei ihrer Mutter. „Ich weiß nicht, was mit dir passiert ist, Nii-san“, meinte sie ernst. „Aber so gefällst du mir viel besser als wenn du immer so düster und grimmig dreinschaust!“
 

Verblüfft starrte Break ihr hinterher.
 

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Danke dass ihr noch dabei seid ^^ Und hoffentlich bis zum nächsten Mal xDDD

Kapitel 4

Halloooo ^^ Hier kommt mal ein etwas kitschiges Kappi ... Ich hoffe, nicht zuuu kitschig xD
 


 

~*~*~
 

Missmutig saß Xerxes Break auf dem Fensterbrett, starrte in den Regen hinaus und beobachtete gelangweilt die dicken Tropfen, wie sie klatschend an der Scheibe zerbarsten und sich dann langsam nach unten schlängelten, eine glitzernde Spur hinterlassend wie von zähem, klebrigem Schneckenschleim.

Abwechselnd kaute er an der Rückseite seiner Schreibfeder und an den Bonbons, die Sharon ihm vorbeigebracht hatte, als Entschuldigung, weil sie heute nicht zur Teeparty kommen konnte. Sir Henry, der Plüschelefant, saß neben der diesmal leeren Kuchenplatte auf dem Tisch und ließ traurig die Ohren hängen.
 

„Zur Gesellschaft ... Damit du nicht so allein bist, während ich mit Mama in die Stadt fahre, Nii-san“, hatte Sharon gesagt.

Freche kleine Göre! Als ob er einen Stoffelefanten als Aufpasser nötig gehabt hätte! Seufzend lehnte er sich auf dem Fensterbrett zurück, zog die Knie eng an den Körper und klopfte geistesabwesend mit der Schreibfeder gegen seinen Oberschenkel. Das Pergamentstück in seiner Hand war immer noch leer.

Leer bis auf einige wenige, unbedeutende Worte:
 

„Meine liebste Cousine Emily, liebe Sharon ...“
 

Seit fast einer Woche ging das nun schon so. Teeparty mit Henry und Emily ... und die von Sharon stets begeistert herbeigesehnten Briefe ihrer heißgeliebten Puppe Polly. Allmählich fiel Break schlichtweg nichts mehr ein, was er der Kleinen noch über die Erlebnisse ihrer Puppe auf deren großer Reise hätte schreiben sollen.
 

Eigentlich hatte er gehofft, Sharon würde Polly ob der ganzen Aufregung um die Puppenparty allmählich vergessen. Aber er hatte die Inbrunst, mit der das Herz eines kleinen Mädchens an einem geliebten Wesen hängen konnte, unterschätzt.

Sharon hatte Polly alles andere als vergessen.

Was, überlegte er müßig, wenn das nun immer so weiterging? Würde er die Kleine weiter belügen müssen oder würde er ihr irgendwann die Wahrheit sagen? Dass ihre geliebte Polly vermutlich mit aufgeschlitzten Augen irgendwo im Dreck lag, erstochen von diesem irren Nightray-Jungen ...
 

Aber das würde Sharon gewiss sehr traurig machen. Besser, er ließ ihr eine Weile noch die süße Illusion, in die er sie getaucht hatte. Die Hoffnung, an die sie sich klammerte.

Hoffnung, das wusste er selbst nur zu gut, war eine gefährliche Droge. Vielleicht war sie überhaupt das Schlimmste von allem.

Hätte er die Hoffnung aufgegeben, damals, hätte er sich einfach damit abgefunden, was mit seinem Herrn und dessen Familie geschehen war, dann hätte er vielleicht ...
 

Nein, es war sinnlos, darüber nachzudenken! Sharon war noch ein Kind. Sie brauchte diese zuckrig süße Teeparty-Welt, die Break für sie aufgebaut hatte.

Oder vielleicht ... brauchte Xerxes Break sie?

Energisch zermalmte er eines der Bonbons zwischen seinen Zähnen und starrte mit leerem Blick Emily an, die auf seinem Bett saß und von all seinen Gedanken unberührt vor sich hingrinste.
 

„Ich wünschte, du könntest wirklich sprechen“, seufzte Break leise und drehte die nutzlose Schreibfeder in den Händen herum, während er weiterhin Emily betrachtete. „Dann könntest du mir erzählen, was Puppen so in ihrer Freizeit treiben ... und was ich Sharon über Polly sagen soll.“

Emily kicherte leise. „Vielleicht solltest du einfach mal richtig zuhören, Dummkopf!“, erklärte sie frech.
 

Break fuhr so heftig zusammen, dass er auf dem schmalen Fensterbrett das Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem Boden landete. Ein scharfer Schmerz schoss durch die Wunde in seinem Auge, doch er beachtete ihn kaum – er war zu sehr damit beschäftigt, die Puppe mit offener Kinnlade anzuglotzen. Geschlagene ein, zwei Sekunden lang ...

Dann sprang er blitzartig auf, durchquerte mit fliegenden Schritten den Raum, riss die Tür auf und spähte aus böse funkelndem Auge nach draußen. Nichts. Keine sich hastig entfernenden Schritte, kein Gekicher, kein triumphierendes Getuschel. Wer auch immer sich diesen dämlichen Scherz erlaubt hatte, war ziemlich schnell abgehauen. Verdammt schnell, um genau zu sein.
 

Break schnaubte verächtlich, knallte die Tür schwungvoll hinter sich zu und nestelte an seinem Schwertgriff herum. Eine völlig überflüssige Geste, denn natürlich befand sich außer ihm niemand im Raum. Niemand außer ihm und Emily ...

Die Stimme musste wohl von draußen hereingedrungen sein! Ja, das war es natürlich, schreckhafter Trottel, der er war ...
 

Break biss sich auf die Lippen, kam sich für einige Momente unsagbar dämlich vor – und widerstand dennoch nur mit Mühe der Versuchung, das Fenster zu öffnen, um nach draußen zu spähen und die naheliegendste aller Erklärungen auch noch zu überprüfen.

Nein, es war eindeutig unter seiner Würde, nachzusehen, wer ihn da geärgert hatte, beschloss er stur, und zerkaute wie zur Bestätigung langsam ein Bonbon.

Emily saß unterdessen reglos auf dem Bett, grinste ihn an und sagte nichts mehr. Natürlich nicht.

Break schauderte trotzdem.
 

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Break verschluckte vor lauter Schreck das Bonbon, legte instinktiv die Hand auf den Schwertgriff und rief, hustend nach Atem ringend: „Ja bitte?“
 

Reim Lunettes streckte unsicher den Kopf zur Tür herein, wagte aber nicht, hereinzukommen, als sein Blick Breaks finsterem Gesichtsausdruck begegnete.

„Du warst das also!“, knurrte Break feindselig, während er immer noch hustete. Hastig griff er mit einer Hand nach der Teetasse auf dem Tisch, trank gierig einen Schluck, ließ die andere Hand aber immer noch auf dem Schwertknauf liegen.

Reim blinzelte entsetzt. „Ich ... bitte was?!“

Er sah so entgeistert aus, dass Break ihm seine Unschuld tatsächlich abkaufte. „Nichts“, zischte er unfreundlich, hatte plötzlich Mitleid mit dem armen Jungen, der wie ein begossener Pudel unruhig unter dem Türrahmen stand, und setzte das Grinsen auf, das eigentlich für Sharon reserviert war.

„Tee?“, fragte er liebenswert.
 

Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich ... wollte Euch eigentlich nur zum Abendessen abholen“, bemerkte er unsicher.

„Ich habe heute keine Lust, zum Abendessen zu gehen“, erklärte Break, nicht eben feinfühlig.

„Ihr seid nicht hungrig?“ Reim wirkte fast so, als sei er besorgt. Merkwürdiger Junge ... Break hatte ihn miserabel behandelt, seit er hier angekommen war, doch er schien eine gewisse, hartnäckige Herzensgüte zu besitzen, die Break fast gegen seinen Willen beeindruckte.
 

„Doch“, erklärte er, ein wenig verwirrt über seine eigene Reaktion. „Aber ich habe ja noch die hier ...“ Lässig fischte er ein Bonbon aus der Dose, schnippte es in die Luft und fing es mit den Lippen auf, ein Kunststück, das er trotz seiner eingeschränkten Sehkraft perfekt beherrschte.

Reim runzelte die Stirn. „Bonbons sind aber ungesund“, kommentierte er missbilligend.
 

Xerxes grinste nur. „Willst du auch?“ Großzügig hielt er dem Jungen die Dose hin und beobachtete amüsiert, wie diesem die Röte ins Gesicht schoss, als hätte Break ihn bei irgendeinem Vergehen ertrappt.

Reim zögerte kurz, dann gab er der Versuchung nach und griff nach den Süßigkeiten.

Break nickte zufrieden, ließ sich mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fußboden nieder und klaubte nebenbei sein Schreibzeug auf, das er vorhin fallengelassen hatte. Den angefangenen Puppenbrief strich er behutsam mit der Handfläche glatt.

„Was ist das?“, erkundigte sich Reim neugierig.

„Emilys Brief an Sharons Puppe Polly.“
 

„Oh, verstehe ... Sharon-san hat davon erzählt.“ Reim schluckte sein Bonbon hinunter und schielte begierig auf die Dose, wagte aber nicht, sich noch eines zu nehmen.

Break schob ihm lächelnd die Dose hin. „Hätte ich gewusst, dass doch noch jemand zur Teeparty kommt, hätte ich auch Kuchen besorgt“, meinte er und bedauerte in diesem Augenblick selbst außerordentlich, keinen Kuchen zu haben.
 

„Ihr seid wohl ziemlich enttäuscht, nicht wahr?“, entgegnete Reim, der Breaks Bedauern irgendwie falsch verstanden haben musste. „Weil Lady Sharon heute nicht da ist?“

Break starrte ihn an. „Unsinn!“, erklärte er vehement. Frecher, kleiner Bengel! Obwohl ... Ein bisschen arg ruhig war es schon geworden, in seinem kleinen Zimmer, während die junge Lady außer Haus war ...

Seufzend lehnte Break sich gegen die Wand unter dem Fenster. „Du ... hast nicht zufällig Lust, mir hierbei zu helfen?“, fragte er betont beiläufig und wedelte mit dem Brief vor Reims Gesicht herum. Natürlich nicht, weil er sich etwa Gesellschaft wünschte, sondern bloß weil er keine Lust mehr hatte, an diesem dummen Brief zu schreiben.
 

„Ich ...“ Der Junge wurde wieder rot. Nervös nahm er seine Brille von der Nase, polierte sie an seinem Ärmel und setzte sie wieder auf. „Sicher ... warum nicht?“ Sein Gesicht nahm einen ernsten Zug an.

Break reichte ihm die Schreibfeder und den angefangenen Brief. Leise vor sich hinsummend faltete er Schiffchen aus Bonbonpapieren, während Reim mit angestrengter Eifrigkeit an dem Brief arbeitete.

Nun, zumindest dieses Problem war Break los! Er schmunzelte triumphierend und schenkte sich selbst noch eine Tasse Tee ein. Reim legte die Feder nieder.

„Was ist?“
 

Der Junge blickte zu Boden. „Es ... ist nicht besonders gut geworden, aber ... aber ich bin fertig.“ Wieder überzog eine zarte Röte seine Wangen.

„Zeig her!“ Break griff nach dem Brief, überflog hastig die Zeilen. „Das ist gut, das ist sehr gut!“, bemerkte er überrascht. „Du bist ja ein richtiger Dichter!“

„Dichter, Dichter!“, krähte eine raue Stimme vom Bett aus.

Break zuckte zusammen, warf einen hastigen Blick auf die Puppe auf dem Bett, dann auf Reim, starrte schließlich wieder die Puppe an. „Hast du ... das auch gehört?“, fragte er hektisch.
 

„Was?“ Reim runzelte irritiert die Stirn. Er hatte es nicht gehört!

Break biss sich auf die Lippen.

„Alles in Ordnung?“ Reim wirkte wieder besorgt.

„Ach, nichts ... nichts ...“ Beschwichtigend winkte Break ab. Er musste sich wohl verhört haben! „Weißt du, ich bin nur ein wenig müde. Ich glaube, ich muss mich ein bisschen ausruhen ...“
 

Ja, das musste es wohl sein! Seine Wunde war noch nicht verheilt, bestimmt hatte er wieder Fieber, und heute Morgen hatte er auch ein Medikament gegen die Schmerzen bekommen. Ja, das war die Erklärung! Es war eine heftige Reaktion auf die Schmerzmittel, er halluzinierte nur ein bisschen, nichts weiter ...

Hastig komplimentierte er Reim hinaus, war erleichtert, nachdem der Junge gegangen war und doch sonderbar beunruhigt. Wollte er wirklich allein sein? Allein mit ... Emily?
 

Kopfschüttelnd ließ er sich aufs Bett fallen, griff nach der Puppe und schämte sich dafür, dass seine Hand ein wenig zitterte dabei. „Du bist ... wirklich nichts anderes als eine Puppe, nicht wahr?“, fragte er töricht.

Er bekam keine Antwort. Emily lag stumm in seinen Händen. „Ich bin ein Idiot“, seufzte Xerxes und war plötzlich in der Tat sehr müde. Nachdenklich setzte er Emily auf das Nachttischchen und kroch, vollständig angezogen wie er war, unter die Bettdecke.
 

Eine sprechende Puppe also ... Ja, es war wohl wirklich ein bisschen viel gewesen in letzter Zeit. Doch seltsamerweise hatte Emily, während er sie, bereits im Halbschlaf, betrachtete, dennoch nichts Bedrohliches. Im Gegenteil: Er dachte an Shelly, als er sie ansah, an die sonderbare Ruhe, mit der ihn ihre Gegenwart erfüllt hatte, an das monotone, wiegenliedartige Auf und Ab der Nadel in ihrer Hand.

Euer Blut und mein Haar, hatte Shelly gesagt. Sie ist etwas ganz Besonderes ...

Und über diesem Gedanken schlief er ein.
 

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Er schlief tief und traumlos, zum ersten Mal seit Langem quälten ihn nicht die verzerrten, irren Bilder aus dem Abyss, erschien ihm nicht das verweinte Gesicht der kleinen Miss Sinclair in seinen Alpträumen. Zum ersten Mal schlief Xerxes Break, ohne von Kevin Regnard heimgesucht zu werden.

Zumindest für ein paar Stunden. Mitten in der Nacht schrak er er hoch, blinzelte gegen die nur vom flackernden Kaminfeuer erhellte Dunkelheit an und wusste für den Bruchteil einer Sekunde nicht, was ihn geweckt hatte.

Dann erst fiel sein Blick auf den Schatten in der Tür.
 

Instinktiv zuckte seine Hand zum Schwert, doch die Tür schloss sich quietschend, und als die Gestalt näherkam, schälte sich aus dem diffusen Zwielicht ein vertrauter Umriss, und er zog die Hand zurück.

„Oujou-sama!“, rief er verwundert, setzte sich im Bett auf und war plötzlich froh, vollständig bekleidet eingeschlafen zu sein. „Was ... was tut Ihr denn hier mitten in der Nacht in meinem Zimmer?“ Verlegen strich er sich durchs Haar. Sein Zopf hatte sich beim Schlafen gelöst, die langen, weißen Strähnen ergossen sich ungehindert über seine Schultern.
 

„Es ist wegen Polly!“ Auf nackten Füßen trippelte Sharon zu ihm ans Bett. „Nii-san, sie ist wieder da! Sie ist von ihrer Reise zurückgekehrt!“ Überglücklich hielt sie ihm eine leicht zerzauste Stoffpuppe hin.

Break schluckte hart. Der Puppe fehlte ein Auge. Wo es einst gewesen war, befand sich jetzt ein schmaler, weißer Verbandsstreifen über den blonden Locken des Spielzeugs.
 

Ein Schauder jagte über Breaks Rücken. Plötzlich war ihm schwindelig. Zittrig, haltsuchend, krallte er die Hand in die Bettdecke.

Dieser widerliche, abartige Nightray-Junge ... Er hatte die Puppe zerstört und dann vermutlich irgendwo liegengelassen ...

„Sie hatte einen Unfall, während sie unterwegs war“, erklärte Sharon leise. „Aber Mama hat sie schon verarztet!“ Ihr Gesicht hellte sich auf, strahlte mit einem Mal. „Sie ist wie du, Nii-san!“
 

Break hörte sie kaum. Mit starrem Blick sah er die Puppe an. Ihm war mit einem Mal seltsam übel, und die Welt um ihn herum drehte sich in einem irren Tanz. Nur die Puppe nicht. Die Puppe schaute ihn aus ihrem einen, verbliebenen Auge an wie ein verzerrtes Spiegelbild.

Und tief in seinem Inneren hörte er den Willen des Abyss flüstern: Irgendwann werden sie alle zu Puppen ...
 

Er schauderte heftig, fühlte eine erstickende, würgende Kälte in seinem Inneren und hätte Polly am liebsten aus Sharons Hand geschlagen. Stattdessen meinte er nur, matt und mit rauer, belegter Stimme: „Willst du sie denn überhaupt noch haben? Sie ist kaputt! Wirf sie weg!“

„Wegwerfen?!“ Sharon wich zurück, presste die Puppe fest an ihre Brust und starrte Break empört an. Ihre Unterlippe zitterte, als würde sie gleich zu weinen anfangen. „Wie kannst du soetwas nur sagen, Nii-san! Ich habe Polly doch lieb, jetzt hab ich sie noch viel lieber als vorher!“
 

Break konnte sie nur ansehen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, etwas brannte darin, eisig kalt und flammend heiß. Er wusste nicht, was es war, aber es brannte auch im Auge, ließ seinen Blick verschwimmen und seine Brust verkrampfen.

„Du ... du hast sie ... immer noch lieb?“, brachte er mühsam hervor.

„Nein, jetzt hab ich sie noch viel lieber!“ Schluchzend warf sich Sharon ihm um den Hals, die Puppe immer noch an sich gepresst.

Break umarmte sie beide, Polly und die kleine Lady, und das Etwas in seiner Kehle löste sich auf, schmolz und tropfte als heißes, salziges Rinnsal aus seinem gesunden Auge.
 

„Nii-san!“ Erschrocken löste sich Sharon aus seiner Umarmung. „Weinst du etwa?“

„Unsinn!“ Hastig blinzelte Break die Tränen fort. „Erwachsene weinen doch nicht!“ Und, in einem mehr als schwachen Versuch, sie abzulenken, fügte er noch stammelnd hinzu: „Ihr solltet jetzt aber auch wirklich zu Bett gehen, Oujou-sama. Es ist schon sehr spät!“
 

Sharon zog einen Schmollmund. „Polly will aber bei Emily schlafen!“, erklärte sie trotzig und setzte die einäugige Puppe neben Emily auf das Nachttischchen. Emily sagte nichts dazu, und Break war nicht sicher, ob er darüber enttäuscht oder erleichtert sein sollte.

„Und ich will bei dir schlafen, Nii-san!“, verkündete Sharon unterdessen und kletterte prompt in Breaks Bett.
 

Heftig errötend wich Xerxes zurück, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß. „Aber, Sharon-sama“, murmelte er entgeistert. „Das ... das gehört sich wirklich nicht für eine junge Lady, einfach so zu einem alten Mann ins Bett zu steigen!“ Verlegen räusperte er sich.

„Aber wieso denn nicht?“ Unschuldig blinzelte die Kleine ihn an. „Du bist doch mein Nii-san! Und außerdem ist mir kalt ...“
 

Tatsächlich zitterte sie in ihrem dünnen Nachthemd bereits. Schnell legte Break ihr die Decke, an der noch seine eigene Körperwärme haftete, um die Schultern, nicht ohne selbst hastig darunter hervorzuschlüpfen allerdings. Bei allen Göttern, was würde Shelly nur sagen, wenn sie erfuhr, dass er mit ihrer Tochter unter eine Decke gekrochen war! Mitten in der Nacht ...
 

Schaudernd hüpfte er aus dem Bett. „Also gut“, meinte er jedoch, als Sharon ihn enttäuscht anblickte. „Ihr dürft hier schlafen, Oujou-sama. Aber ich ...“, und hierbei versuchte er, einen möglichst strengen Ton in seine Stimme zu legen, „ich werde auf dem Sofa schlafen.“
 

„Hmmm ... na gut ...“ Immer noch ein bisschen schmollend kuschelte sich die Kleine in sein Kopfkissen.

Break deckte sie behutsam zu, vergewisserte sich akribisch, ob sie es auch warm genug hatte und sah zu, wie der jungen Lady langsam die Augen zufielen. Ihre Atemzüge beruhigten sich, wurden tief und regelmäßig, und er lauschte darauf wie auf ein sanft schmeichelndes Wiegenlied.
 

Beinahe zärtlich strich sein Blick über ihr Gesicht, und er fühlte einen seltsamen Stich durch seine Brust zucken dabei, einen Schmerz, den er sich nicht erklären konnte. Dieses vom Schlaf entspannte Kindergesicht, vom milden Feuerschein erleuchtet, schien ihm mit einem Mal so rein und unschuldig, dass er alles tun würde, um dieses eine Mädchen zu beschützen. Alles.

Nicht wie damals bei der kleinen Miss Sinclair, die er allein gelassen hatte, nein, Sharon würde er nicht verlassen, er würde ihr Ritter sein, ihr Bruder, den sie sich so wünschte. Und plötzlich begriff er, dass der Willen des Abyss tatsächlich seine Bitte erfüllt hatte:
 

Er hatte eine zweite Chance bekommen, und sie lag friedlich schlafend in seinem Bett, warm und sicher und geborgen.

Break war sicher, dass sie tief und fest schlief, denn sonst hätten die Worte, die jetzt über seine Zunge quollen, niemals seine Lippen berührt: „Ich ... ich glaube, ich habe Euch sehr lieb, Sharon-sama ...“

Es war mehr ein Hauch als ein Satz, und er begriff die Worte erst, nachdem sie seiner Kehle bereits entflohen waren.
 

Sharon lächelte, ohne die Augen zu öffenen: „Ich hab dich auch lieb, Nii-san ...“ Dann seufzte sie leise, drehte sich auf die andere Seite und flüsterte: „Gute Nacht, Nii-san ...“

Break riss überrascht sein Auge auf. Einen Moment lang schien er wie betäubt, doch langsam, tief in seinem Inneren, breitete sich Wärme aus.

Lautlos nahm er seinen Mantel vom Haken, rollte sich auf dem Sofa zusammen und breitete den Mantel wie eine Decke über sich. Sharon schien im Bett nun wirklich fest eingeschlafen, ihre tiefen, gleichmäßigen Atemzüge erfüllten das Zimmer und erfüllten auch sein Inneres mit einer sonderbaren Form von Ruhe, von Sanftmut ... fast hätte er gesagt mit Frieden, wenn er noch gewusst hätte, was das bedeutete.
 

Die beiden Puppen saßen unterdessen auf dem Nachttisch, über Sharons entspanntem Gesicht thronend, wie zwei kleine Wächter aus Watte und Stoff, herbeigerufen, um ihren Schlaf zu behüten.

Oder vielleicht auch Breaks?

Der Schwertkämpfer schloss sein einziges Auge und fühlte den Schmerz des verlorenen Auges nicht. Kurz bevor er einschlief jedoch – oder war es danach? – hörte er eine krähende, überdrehte Stimme wispern: „Gute Nacht, Dummkopf ... Gute Nacht ...“
 

~*~*~
 

Das war’s erstmal wieder xD ... Nächstes Mal verrät Emily dann ihr Geheimnis ... Oder zumindest das, was mir dazu eingefallen ist ;)

Danke auch noch an alle, die diese Geschichte bis jetzt verfolgt haben, für die Favo-Einträge und die Kommis ^^ Das macht mich echt happy xD

Kapitel 5

Halloooo ^^ Das hier ist schon das letzte Kapitel, danach kommt nur noch der Epilog, der ist aber so kurz, den hab ich gleich mit hochgeladen xD (Das ist doch kein Massenupload, oder?)

Viel Spaß beim Lesen und ganz, ganz lieben Dank für die Kommis und Favo-Einträge *euch knuddel*
 

**********
 


 

Blinzelnd trat Xerxes Break in die gleißende Helligkeit des Gartens hinaus, spürte, wie die weichen, goldenen Sonnenstrahlen sanft seine Haut streichelten und als milde Wärme in seinen Körper sickerten. Im Haus war es um einiges kälter gewesen, er spürte erst jetzt, dass ihn ein wenig gefröstelt hatte, doch umso mehr genoss er die Frühlingssonne, das Licht, die angenehm süße, von Blumenduft getränkte Luft.
 

Einen Moment lang schloss er sein Auge, streckte das Gesicht der Sonne entgegen, lauschte auf den Gesang der Vögel – und atmete einfach nur tief und begierig ein, atmete das Leben, das bunt und tanzend um ihn herumwirbelte.

War es nicht ein großes Wunder, am Leben zu sein? Zumal an einem Tag wie diesem?

Vielleicht zum ersten Mal seit dem Tod der Sinclairs spürte er, wie sich der bittere Geschmack der Reue von seiner Zunge löste. Spürte er, dass das Leben, das warm und stark durch seine Adern rollte, ein Geschenk war, kein Fluch.

Dann jedoch streifte ein Windhauch seine Stirn, erfasste das Haar, das ihm jetzt in dichten Fransen in die Stirn hing, und blies es nach hinten, legte die leere Augenhöhle frei.
 

Instinktiv kniff Break das Lid zusammen und presste die Hand gegen die gerade erst verheilte Wunde, über der jetzt kein Verband mehr lag.

„Nicht doch“, bemerkte eine sanfte Stimme hinter ihm. „Ihr müsst es nicht verstecken.“

In einer schnellen, fließenden Bewegung drehte Break sich zu Shelly um, die Finger immer noch gegen das Gesicht gedrückt.
 

Shelly legte ihre warme Hand auf seine, lächelte aufmunternd. Zögerlich, unsicher, löste Break die Finger von seinem Auge, das Lid jedoch hielt er geschlossen.

„Schon gut“, beruhigte Shelly ihn. „Es ist alles in Ordnung ...“ Warm und weich redete sie auf ihn ein, als sei er ein scheuendes Pferd, das es vor dem Durchgehen zu bewahren galt.

Break entspannte sich ein wenig, strich seine Ponyfransen wieder über das Auge und lächelte matt, beinahe entschuldigend.
 

„Es ist Euer erster Tag ohne den Verband, nicht wahr?“, fragte Shelly leise.

Break nickte beklommen.

„Und Ihr habt Euer Haar abgeschnitten ...“ Die Lady erwiderte sein Lächeln. „Steht Euch gut, die neue Frisur.“

Break fühlte, wie ihm die Hitze in die Wangen schoss, wandte den Blick ab und strich sich verlegen über den Nacken, den jetzt kein Zopf mehr bedeckte.

Shelly wandte ihr Gesicht dem Himmel zu. „Lasst uns ein Stück gehen“, schlug sie munter vor. „Es ist so ein schöner Tag heute!“
 

Tänzelnd sprang sie neben ihm her und erinnerte ihn dabei sehr an ihre Tochter, während sie an den Rosenbeeten vorbeiliefen, am blühenden Flieder, an den Springbrunnen, deren Geplätscher wie ein Wiegenlied die Luft zum Schwingen brachte.

Shelly pflückte ein paar Wiesenblumen und ließ sich dann unbekümmert im Schatten eines Baumes nieder, um Kränze daraus zu flechten. Ihre weiten Röcke bildeten dabei eine winzige Insel aus fliederfarbener Seide auf dem smaragdfarbenen Gras.

Break stand zwei, drei Sekunden lang unschlüssig da, wusste nicht, ob es angemessen war, sich neben sie zu setzen, doch dann dachte er an die Nacht, in der Emily entstanden war und nahm zögerlich neben ihr Platz. Shelly schien sich nicht daran zu stören. Break entspannte sich ein wenig.
 

Ein elfenbeinernes Lächeln flog auf zarten Schmetterlingsschwingen in seine Richtung, Break erwiderte es scheu, vergrub die Hand im weichen Gras und zupfte daran herum, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Shelly hatte so eine seltsame Art, ihn in Verlegeneheit zu bringen ... Er fühlte sich in ihrer Gegenwart wohler als in der der meisten Menschen und trotzdem wusste er nie so richtig, wohin mit sich selbst, wenn sie bei ihm war.

So saß er nur stumm neben ihr, beobachtete, wie sie mit flinken Fingern Blumen flocht und ließ sogar zu, dass sie ihm den fertigen Kranz aufs frisch geschnittene Haar drückte.
 

„Wie hübsch Ihr ausseht!“, bemerkte sie lachend.

Break wurde rot.

„Aber Ihr würdet gewiss noch hübscher aussehen, wenn Ihr nicht schon wieder so ein finsteres Gesicht ziehen würdet!“, schalt Shelly ihn.

Break wurde noch röter, setzte das Grinsen auf, das er für Sharon geübt hatte und fühlte einen Hauch echten Amusements, als Shelly zufrieden nickte. „Schon besser“, kommentierte sie streng. Sie hatte ihn um den Finger gewickelt, eindeutig. Genau wie ihre Tochter ...
 

Xerxes seufzte leise, streckte die Beine im Gras aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm.

„Wo habt Ihr eigentlich Emily gelassen?“, erkundigte sich Shelly da. „Wir könnten ihr auch einen Kranz flechten, Sharon würde das sicher gefallen!“

Instinktiv glitt Breaks Hand zu der Tasche unter seinem Mantel, in der er Emily stets bei sich trug, seit er angefangen hatte, ihre Stimme zu hören. Er hatte ein höchst eigentümliches Verhältnis zu der blauen Puppe seitdem. Einerseits war er sicher, sie würde ihn um den Verstand bringen, andererseits wagte er nicht, sie aus den Augen zu lassen.
 

Zögerlich zerrte er sie nun hervor, und er zuckte so heftig zusammen, dass der Blumenkranz von seinem Haupt fiel, als Emily sehr laut und sehr deutlich sagte:

„Na, endlich ... Holzkopf! Ich dachte schon, ich würde da drin ersticken ...“

Break hielt den Atem an, blickte angespannt zu Shelly auf, doch die streckte nur ohne mit der Wimper zu zucken die Hand nach der Puppe aus, strich ihr sanft über den Kopf und meinte ruhig, als sei es das Normalste der Welt, mit Puppen zu sprechen: „Armes Ding ... Er sollte dich wirklich nicht so einsperren!“

Break brachte vor Verblüffung kein einziges Wort hervor.

Im Gegensatz zu Emily, die munter weiterplauderte: „Break ist ein Holzkopf! Break ist ein Holzkopf, hihihi ...“
 

Dem Holzkopf verschwamm unterdessen die Sicht vor den Augen. Voller Grauen dachte er an die Puppen im Abyss zurück. Gib es Cheshire! Gib es Cheshire! Hihihihi ...

Hohl klangen die Worte des Willen in seinem Kopf wider: Sie werden alle zu Puppen ... Irgendwann werden sie alle zu Puppen ...

„Was ... was ist sie?“, fragte er mit krächzender, rauer Stimme und blickte fast verzweifelt zu Shelly auf. „Ein Chain?“

Entgeistert starrte er die Puppe an.
 

„Aber nein ...“ Beruhigend legte die Lady ihm die Hand auf den Arm, während ihre andere immer noch auf Emilys Kopf lag. „Es tut mir leid, dass sie Euch erschreckt hat, Break-san“, meinte sie behutsam. „Aber ich sagte Euch ja: Sie ist etwas ganz Besonderes.“

Xerxes atmete tief und gezwungen ein, versuchte, die wirbelnden Gedanken in seinem Kopf zu ordnen. „Und ich dachte schon, ich werde langsam verrückt!“ Fahrig drückte er die Hand gegen die Stirn.
 

Auch das wäre immerhin eine Möglichkeit gewesen. Eine Möglichkeit, die der Wille ihm ebenfalls angedroht hatte: Sie werden alle irgendwann merkwürdig, wenn sie zu lange mit einem Chain zusammen sind ...

Shelly nahm die Puppe in beide Hände, strich mit ihrem Finger behutsam über ihre Burst, dort, wo unter dem rosa Kleid der rostrote Blutfleck verborgen war. „Sie besitzt Euer Herz, Xerxes Break“, sagte sie leise, suchte dabei seinen flackernden Blick und hielt ihn fest. „Sie ist ein Teil von Euch. Natürlich ist sie etwas ganz Besonderes.“
 

Break schauderte heftig. „Dann ... dann bin ich also nicht verrückt?“, stammelte er töricht, suchte in seiner Verwirrung verzweifelt nach einer Bestätigung. „Ihr könnt Emily auch hören?“

„Natürlich ...“

In Breaks Kopf drehte sich alles. „Reim konnte sie nicht hören.“

Und auch sonst hatte bisher nie jemand Emilys Stimme vernommen.
 

„Die anderen werden sie auch bald hören können“, erklärte Shelly ruhig. Sie setzte die Puppe zurück ins Gras, rückte ein Stück näher an Break heran und legte ihre Hand nun auf sein Herz. „Als Polly verschwand, da habt Ihr zum ersten Mal jemandem Euer Herz geöffnet, Xerxes-san“, fuhr sie fort, und ihre Stimme zitterte wie vom Regen erschütterte Rosenblätter in seinem Kopf. Xerxes-san ... Es war das erste Mal, dass ihn jemand außer Sharon beim Vornamen nannte ...

Er nahm es nur am Rande seines Bewusstseins wahr.
 

„Ihr habt meiner Tochter Euer Herz geöffnet, und dadurch ist es stärker geworden“, wisperte Shelly, dicht neben ihm. „Und je stärker Euer Herz wird, desto stärker wird auch Emilys sein. Bald werden alle sie hören können.“

Break schuckte hart. Shelly nahm die Hand von seiner Brust, und er fühlte, wie sein Herz gegen die Rippen pochte, als wolle es daraus hervorbrechen.
 

Sein Herz ... War es wahr, was die Lady sagte? Hatte er es geöffnet? Machte ihn das wirklich stärker? Er fühlte sich nicht stark, in diesem Moment. Er fühlte sich verwundbar und schutzlos und schwach.

Kevin Regnard hatte sich geschworen, nie wieder jemanden in sein Herz zu lassen. Nie mehr. Nie wieder würde er zulassen, dass ihm jemand ähnlich viel bedeutete wie die Familie Sinclair.

Was aber, wenn es für Xerxes Breaks Herz längst zu spät war?
 

Beklommen dachte er an die kleine Sharon, wie sie auf nackten Zehenspitzen in sein Zimmer getapst war. Ich hab dich lieb, Nii-san ...

„Break ist ein Dummkopf!“, kicherte Emily.

Xerxes zuckte zusammen. „Warum ... ist sie immer so ... so frech?“, fragte er stockend.

Shelly lachte, leise und glockenhell. „Ich denke, das ist eine Frage, die nur Ihr selbst beantworten könnt ...“
 

Wieder schoss eine fiebrige Hitze in Breaks Wangen, zum wiederholten Mal innerhalb kürzester Zeit. Shelly legte ihre kühlen Finger auf sein Gesicht, es fühlte sich angenehm an, tröstend.

Break bettete den Kopf in ihren Schoss, und es war in Ordnung, weil es eine unschuldige, seltsam kindliche Geste war. Die Hand der Lady strich behutsam über sein Haar, und er spürte, wie sein Körper sich entspannte, wenn auch sein Gemüt noch immer in Aufruhr war. Einen Moment lang schloss er sein Auge, und es störte ihn nicht, dass Shellys Finger, während sie sein Haar zurückstrichen, auch das verlorene Auge bloßlegten.
 

Summend wie ein aufgeschreckter Fliegenschwarm schwirrten ihre Worte durch seine Gedanken.

Machte es ihn stark, sein Herz zu öffnen? Durfte ein Herz, das derart von Schuld befleckt war, überhaupt noch lieben?

Die Gedanken entglitten ihm. Shellys Finger wischten sie fort, während sie sanft und kühl seine Stirn streichelten, als wäre er nichts als ein fieberndes Kind. Und vielleicht war er genau das. Vielleicht war es genau das, was er in ihrer Gegenwart sein wollte.

Break öffnete sein Auge, fand Shellys Blick über sich und fühlte sein Herz hüpfen.
 

„Was sollen wir nun mit Emily anfangen?“, fragte er leise, während das Sonnenlicht, das flirrend durch ein wiegendes Blätterdach fiel, die Berührungen, der frühlingshafte Blumenduft, ihn allmählich schläfrig machten. „Soll ich sie Sharon schenken? Als Talisman?“

Ohne sich zu rühren schielte er zu der blauen Puppe herüber, die grinsend im Gras saß und das Geschehen aufmerksam zu beobachten schien.

„Nein, ich denke, Emily war nie ein Talisman für Sharon.“
 

Überrascht setzte Break sich auf. „Für ... für wen dann?“, stammelte er verwirrt. Schließlich hatten sie Emily extra für die Kleine genäht! Diese ganze sonderbare Geschichte wäre nie passiert, hätte Sharon nicht Polly verloren!

Shelly nahm die Puppe auf und reichte sie ihm, seltsam feierlich. „Für Euch, Break-san.“ Ihr Lächeln erwärmte ihn. „Sie war von Anfang an ein Talisman für Euch. Behaltet sie. Sie wird Euch Glück bringen, ganz bestimmt.“
 

Hilflos sah Break auf die kleine Puppe in seinen Händen herab, die so viel mehr war als Stoff und Holzwolle. Einen Moment lang blitzte das Bild der weinenden Miss Sinclair in seinem Inneren auf, der dunklen, kalten Gruft ... der Puppe neben dem stillen Marmorsarg ... Dann erloschen die Bilder, und ein Kaleidoskop von andereren, neuen Erinnerungen zuckte durch seinen Kopf: Sharon, die um Polly weinte ... die Nadel in Shellys weißer Hand ...Sharons Lachen bei der Teeparty ... ihr schlafendes Gesicht ...
 

Ein sonderbar süßer Schmerz zuckte durch seine Brust, fest presste er Emily an sich – und der Schmerz erlosch.
 

Xerxes Break lächelte.

Epilog

Einige Jahre später ...
 


 

„Er ist ein Idiot, ein Idiot, er ist so ein Idiot!“

Unablässig leise vor sich hinfluchend lief Sharon in ihrem Zimmer auf und ab, während ihr die Tränen über das Gesicht kullerten und dort salzige, kleine Rinnsale hinterließen.
 

Schniefend ließ sie sich aufs Bett sinken, wischte in dem kläglichen Versuch, tapfer zu sein, die Tränen von ihren Wangen und presste ihre alte Puppe Polly fest an sich. Außer Xerxes Break wusste niemand, dass sie Polly immer noch besaß. Sharon Rainsworth war jetzt eine erwachsene Dame, und erwachsene Damen spielten nicht mit Puppen. Doch wie hätte sie sich jemals von ihr trennen können? Es hingen so viele Erinnerungen an ihr ...

Ihre Augen liefen erneut über, als sie daran dachte.
 

„Ach, Nii-san ...“ Verzweifelt versuchte ihre brüchige Stimme die Stille in ihrem Schlafzimmer zu füllen. „Warum musst du nur so ein Dummkopf sein? Warum musst du immer dich selbst opfern?“
 

Wie oft hatte sie ihm schon gesagt, er solle aufhören, Mad Hatter zu benutzen? Wie oft hatte sie ihm eingeschärft, besser auf sich zu achten? Aber er ließ sich ja nichts sagen, der Idiot, immer musste er seinen Willen durchsetzen! Dass sie fast umkam vor Sorge, jedes Mal, wenn er Blut spuckte und ohnmächtig wurde, schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Dummer, egoistischer Idiot, der er war!
 

Absichtlich steigerte Sharon sich immer mehr in irrationalen, absurden Zorn auf Break hinein, doch die Tränen ... die Tränen wollten trotzdem nicht versiegen.

Sie zuckte zusammen, als es an der Tür klopfte.

Es war Reim, der mit ernster, seltsam zerknitterter Miene den Kopf zu ihr hereinstreckte.
 

„Wie ... wie geht es ihm?“, fragte Sharon sofort und sie merkte gar nicht, dass sie immer noch Polly an sich presste dabei.

„Er hat viel Blut verloren und er ist ziemlich schwach“, erklärte Reim sorgenvoll. „Aber ...“ Ein winziges Lächeln zuckte um sein Gesicht. „Er wird sich wieder erholen, der alte Sturkopf.“
 

Sharon wurde beinahe schwindelig vor Erleichterung. Nur mit Mühe riss sie sich zusammen, wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und stand auf.

Reim zog sich diskret zurück, irgendwo auf dem Weg von Sharons Zimmer zu Breaks. Auch die Ärzte von Pandora waren gegangen, Xerxes’ Schlafzimmer war still und leer, als sie es betrat. Nichts rührte sich, und auch die blasse Gestalt im Bett gab nicht einen Laut von sich.
 

Er lag vollkommen reglos, unter der Decke zusammengerollt, Emily in seinen Armen, als wäre er in seinem Inneren noch immer ein Kind, das sich trostsuchend an sein Spielzeug klammert.

So wie Sharon selbst.

Verlegen errötend setzte sie Polly neben Break aufs Kissen und ließ sich selbst auf der Bettkante nieder.
 

Bleich schimmerten Xerxes’ Wangen im Halbdunkel des Zimmers, das silbrige Haar glänzte, als wäre es aus Mondlicht gewoben. Rostrote Flecken zogen sich wie bösartig grinsende schwarze Löcher über das Laken, er hatte wieder Blut gehustet, viel Blut.

Nun aber schlief er, sanft und friedlich, kein Muskel zuckte in seinem Gesicht, und sein Atem ging ruhig und regelmäßig.
 

Behutsam streckte Sharon die Hand aus und strich ihm übers Haar, so wie ihre Mutter es immer getan hatte, als Xerxes noch nichts als Sharons Bruder gewesen war. Als Sharon noch in seinem Bett hatte schlafen dürfen, weil sie noch keine erwachsene Dame gewesen war.

Jetzt lag er still vor ihr, und sie wünschte, sie hätte ihm all die Dinge sagen können, die sie ihm sagen wollte, aber sie wagte es nicht, und so wiederholte sie nur leise, fast tonlos die Worte ihrer Kindheit:

„Ich habe dich sehr lieb, Nii-san.“
 

Sie war sicher, er schliefe und hörte es nicht, doch er lächelte lautlos, und Emily kicherte vergnügt vor sich hin.

„Ich weiß ..., ich weiß, ich weiß“, wisperte die Puppe glucksend. „Und er ... liebt dich auch, Sharon-sama.“
 


 

************************************
 

So, ich hoffe mal, das ist nicht zu kitschig geworden >.<

Ganz, ganz lieben Dank an dieser Stelle auch für alle Kommis, Favo-Einträge ... oder einfach nur für’s Lesen! Das bedeutet mir wirklich viel ... *kekse verteil*

Und wenn euch die Geschichte gefallen hat, vielleicht mögt ihr dann ja auch mal meinen Roman „Die Kinder Liliths“ angucken? *bettel* Ist gerade erst erschienen ...
 

In jedem Fall alles Liebe und hoffentlich bis bald mal ...

ScarletEye



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Kommentare zu dieser Fanfic (16)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2013-04-20T11:06:33+00:00 20.04.2013 13:06
Awwww *-* diese Fanfiction ist so was von kawaii <3 Man kann sich alles genau vorstellen und auch die Charaktere sind dir sehr gut gelungen.
Auch die Art wie die schreibst ist einfach nur genial!
Daumen hoch :D

LG

Von:  TheSixthMonth
2012-08-08T21:53:07+00:00 08.08.2012 23:53
Och ne, wie nieldich! *-*
Kein Wunder, dass Emily so sagen kann "er hat dich auch lieb..."
Sie ist ja auch ein Teil von ihm ^^
Danke für diese wunderbare FF *-*
(wegen der... Ich jetzt zu spät schlafen gehe XD)
Von:  TheSixthMonth
2012-08-08T21:47:38+00:00 08.08.2012 23:47
Aaaawwww!!! Ich liebe den letzten Satz! Q.Q <--- Tränen der Rührung
Maaaan! Die FF is jetzt schon zuende? Oo
HER MIT DEM EPILOG!!!! Ò.ó
So eine Geschichte braucht einen xD dann ist man net so traurig, dass es vorbei ist, weil es noch n Bonus gibt ^___^
Von:  TheSixthMonth
2012-08-08T21:33:52+00:00 08.08.2012 23:33
Das "kitschige" müsste ich in diesem Kapitel nochmal suchen, ich habe es ncht gefunden XD
Oh gaaaawd is das niedlich! *-*
Ich kann mir gut vorstellen, dass das wirklich so abgelaufen ist XD
Break hat Sharon einfach lieb, auch wenn er es (in der offiziellen Geschichte) scheinbar nicht zugeben will...
Und Emily fängt schon an zu quatschen XD bin ma gespannt wie es weiter geht ^___^

Von:  TheSixthMonth
2012-08-08T21:11:19+00:00 08.08.2012 23:11
Wooohoooow!
Ich bin heute über deine FF gestolpert, aber bin erst jetzt dazu gekommen einen wohlverdienten Kommentar zu hinterlassen!
Ich finde diese Geschichte einfach nur SCHÖN! *____* als ich außer Haus war, dachte ich "wenn ich zurück bin lese ich weiter! Muahahaa!"
Eigentlich mag ich Geschichten nicht sonderlich wo die Autoren sehr ins Detail gehen und immer genau beschreiben wie die Umgebung nun GENAU aussieht, doch hier finde ich passt es richtig! (soll keine Beleidigung sein, sieh' es als Kompliment! XD) Und du hast auch richtig schön beschreiben wie der geschlagene Break sich fühlt! Leere, es gibt eigentlich keinen Grund mehr zu leben! Einfach nur klasse! X3 ich habe mich immer gefragt wie aus dem traurigen, geschlagenen Kevin der heitere, lachende Break werden konnte! In dieser FF finde ich die Antwort! X3
Und jetzt kurze Kommentare zu den Kapiteln, wo ich keine machen konnte:
Kapitel 1: Kaum habe ich von Vincent erfahren, dachte ich ehrlich "neiiiin! Der hat sie...." -.- Vincent ist doof! *festellung*
Kapitel 2: der Einfluss den Lady Sally auf Break macht ist einfach wunderbar beschrieben! Kein Wunder das sie ihm zum Lächeln bringt! ...Moment! War das nicht eher das Törtchen?
Kapitel 3: ow! Hier ist Break ja richtig zu drauf wie wir ihn kennen und lieben! ^^

YAAAAY! Ich Les dann mal weiter ^^ pssssst! Die Geschichte ließt sich noch schöner wenn man nebenher "lacie" hört ^^
Von:  crimson-moon
2012-07-23T21:00:42+00:00 23.07.2012 23:00
Auch ein sehr schöner epilog. Respekt. Du schreibst echt toll.
Crimson ;)
Von:  crimson-moon
2012-07-23T20:58:18+00:00 23.07.2012 22:58
Also mir hat dieses Kapitel auch sehr gefallen. Hast du vor noch mehr fanfics rein zu stellen?
Glg crimson ;)
Von: abgemeldet
2012-07-23T13:34:55+00:00 23.07.2012 15:34
Der Epilog gefällt mir auch sehr gut :)Aber es war viel zu schnell vorbei ;)
Bekommt denn auch Signierte exemplare von dem Buch?^^
Von: abgemeldet
2012-07-23T13:26:53+00:00 23.07.2012 15:26
Soooooo ein tolles Kapi! :) Ich kann nicht glauben das die Fanfic schon wieder rum ist. Ich hätte noch ewig so weiter lesen können. :) Aber gut zu wissen das Break glücklich ist. :) *sich jetzt über den Epilog hermach*
Von:  crimson-moon
2012-07-21T17:14:12+00:00 21.07.2012 19:14
Tolles kapitel! <3
Bin durch zufall über deine Geschichte gestolpert und sie gefällt mir richtig gut. Mach schnell weiter, ich hab hunger auf mehr bekommen.^^

crimson-moon ;-)


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