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Nadeya - die Rächerin der Schattenwächter

von

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Die gute Seele

1
 

Der Mond schien auf die dunklen Gassen der Stadt. Thaldor war eine große und vielbewohnte Stadt. Sie lag im Süden von Rangorus. Die Menschen belebten den Planten schon seit Jahrtausenden. Was jedoch im Untergrund lauerte, darüber wussten sie nicht Bescheid und die, die sich dem Untergrund anvertraut hatten, wollten auch, dass es so bleibt.
 

2
 

Beverly ging leichtfüßig über die Hauptstraße, die quer durch Thaldor führte. Sie hatte einen traurigen Blick im Gesicht und beachtete die wenigen Menschen, die um zwei Uhr Nachts noch unterwegs waren, kaum. Mit ihren Gedanken war sie ganz woanders.

Vor ein paar Stunden, hatte sie sich von ihren Eltern verabschiedet und war auf dem Weg zu ihrem Freund. Die ganze Woche schon hatte sie sich darauf gefreut, zu ihm zu gehen, da sie ihn wegen der Schule unter der Woche nicht sehen durfte. Ihre Eltern waren der Meinung, dass sie sich dann nicht auf die Schule konzentrieren könne und es sie zu sehr ablenken würde.

Sie selbst, war anderer Meinung und fühlte sich oft unverstanden. Ihr Vater war sehr streng und es war ein Wunder, dass er die Beziehung überhaupt zuließ, denn Beverly war erst 16.

Mit dem Fahrrad fuhr Beverly bis ans Ende der Stadt um ihren Freund zu besuchen, der in einer kleinen Zweizimmerwohnung wohnte, die noch dazu in dem verrufensten Stadtteil von Thaldor lag.

Beverly wohnte in einer der reichen Gegenden. In Thaldor war der Unterschied zwischen arm und reich mehr als nur zu sehen. Man spürte ihn förmlich. Es gab keine Mittelschicht. Entweder man hatte Geld oder man hatte es nicht und war arm und wurde von den Reichen dann als Mensch unterer Klasse angesehen. Aber Beverly hatte sich darüber nie viele Gedanken gemacht. Im Gegensatz zu ihrem Vater war es ihr egal, dass sie mit einem Jungen zusammen war, der arm war und in dem verruchten Viertel wohnte.

Ihr Freund hieß Andrew und arbeitete bei seinem Vater als Kellner. Beverlys Vater sagte immer, dass Andrew sie nicht wirklich lieben würde, sie nur ausnutze, weil sie Geld habe. Sie wollte das nie hören. Obwohl sie ihrem Freund ab und zu mal ein wenig Geld zusteckte, kam ihr nie der Gedanke, dass ihr Vater möglicherweise recht haben könnte.

Manchmal, wenn sie allein war, gestand sie sich ein, dass sie möglicherweise die Augen vor der Wahrheit verschloss, weil sie sich oft so einsam fühlte. Aber immer wenn sich dieser Gedanke in ihren Kopf schlich, verdrängte sie ihn sofort und dachte nicht weiter darüber nach.

Als sie an Andrews Tür geklopft hatte und er ewig nicht aufgemacht hatte, fing sie an sich Sorgen zu machen und suchte den Hausmeister auf. Sie fragte ihn, ob er ihr vielleicht die Tür aufschließen würde. Er hatte einen Moment gezögert, doch dann willigte er ein und holte den Schlüssel.

Andrew wusste nicht, dass Beverly kam. Sie wollte ihn überraschen. Weil sie in der Schule so gut geworden war, hatte ihr der Vater erlaubt, dass sie schon Freitag zu ihm gehen durfte.

Der Hausmeister kam mit einem großen Schlüsselbund zurück und schloss die Tür auf. Ein penetrante Geruch von Alkohol stieg Beverly in die Nase.

Sie bedankte sich bei dem Mann und trat ein. In der Wohnung war es sehr dunkel und sie tastete nach dem Lichtschalter. Als sie ihn betätigt hatte, hörte sie plötzlich ein Geräusch. Beverly spitzte die Ohren und lauschte den Stimmen, die sie leise zu hören begann.

Nachdem sie herausgefunden hatte, von wo die Geräusche kamen, trat sie an die Tür zum Schlafzimmer und hielt inne. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie wissen wollte, was hinter der Tür vor sich ging. Es war diese eine kleine Stimme, die ab und an zu ihr sprach und sie warnen wollte, nicht zu naiv zu sein. Diese Stimme, die sie beschützen wollte vor den Dingen, die ihr weh tun könnten.

Doch dann drückte sie die Türklinke herunter und öffnete langsam die Tür. Im ersten Moment war sie wie erstarrt, dann stand sie nur noch mit weit aufgerissenen Augen da und ganz langsam öffnete sich ihr Mund und stand dann offen.

In ihrem Kopf arbeitete es und sie versuchte zu verstehen, wieso Andrew mit einer anderen Frau im Bett lag. Aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte es nicht verstehen.

»Was tust du da?«, hatte sie geschrieen.

»Es ist nicht das, wonach es aussieht.«, hatte er gesagt.

Aber es ist dieser typische Standardsatz, den Menschen aus dem Stegreif sagen, wenn sie beim Betrügen erwischt wurden. Dieser Satz, der zeigte, dass ihnen keine bessere Ausrede einfiel und dem Menschen der ihn erwischte genau zeigte, dass es genau das war, wonach es aussah.

Beverly war in die Küche gegangen, die mehr eine Abstellkammer war. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr Schmerz war so groß, dass sie nicht wusste, wie sie damit fertig werden sollte. Andrew kam ihr in die Küche hinterher, nachdem die Frau mit der er Beverly betrogen hatte, die Wohnung verlassen hatte.

Dann begann Beverly ihn anzuschreien und machte ihm Vorwürfe.

»Wie konntest du das tun? Wie konntest du mich so hintergehen, nach allem, was ich für dich getan habe? Ich habe dich immer unterstützt. Ich wollte, dass mein Vater unrecht hat, ich wollte so gern glauben, dass er dir unrecht tut. Aber er hatte recht. Er wusste, dass du mir weh tun würdest.«, hatte sie ihn angebrüllt.

Er hatte nur dagestanden und nichts gesagt. Der Grund dafür lag wohl darin, dass es nichts mehr zu sagen gab. Er war ertappt worden und ihm war klar, dass er nicht mehr aus seiner misslichen Lage herauskommen würde.

Enttäuscht war Beverly aus der Wohnung gestürmt und hatte Tränen in den Augen, die sie so gut es ging, zu verstecken versuchte.

»Ruf mich nie wieder an!«, hatte sie noch geschrieen.

Sie glaubte, dass ihr Herz daran zerbrechen würde, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte. In ihrer Eile vergaß sie völlig, ihr Fahrrad mitzunehmen.

So landete sie auf der Hauptstraße und wollte nach Hause gehen. Ihre Eltern dachten, sie würde bei Andrew schlafen. Hätten sie gewusst, was ihrer Tochter in dieser Nacht bevorstand, hätten sie Beverly wohl nie gehen lassen.
 


 

3
 

Unter Thaldor sah das Leben etwas anders aus. Die langen dunklen Gänge, die weit unter der Stadt lagen, waren mit Fackeln beleuchtet und ließen die Korridore unheimlich aussehen. Die Steine, welche die Wände und Böden zierten, strahlten Kälte aus. Normale Menschen wären sich dort wie in einer Gruft vorgekommen. Aber für die Schattenwächter, die ihre Existenz vor der Welt an der Oberfläche geheim halten wollten, war es die Heimat.
 

4
 

Nadeya saß in ihrer Kammer unter der Erde. Ihr Zimmer war sehr groß und wurde mit vielen Lampen beleuchtet. Sie stand vor dem Spiegel und betrachtete sich lange darin. Ihre aschfahle Haut und ihre langen blonden Haare ließen sie sehr hübsch aussehen. Sie hatte ein sehr zierliches Gesicht und eine kleine Stupsnase. Ihr Körper war wunderschön, denn sie war sehr schlank und hatte die richtigen Proportionen von Brust und Po. Die Plattenrüstung, die sie trug, war Beerenfarben und sehr knapp bemessen. Sie deckte gerade das ab, was nötig war. Ihr Brüste und ihren Intimbereich, als hätte sie ein Bikinihöschen an. Eine silberne Metallschlange verzierte ihren rechten Oberschenkel. Sie hatte einen langen schwarzen Umhang an, der ihr über den Rücken fiel. Auf dem Umhang ließ sich das Emblem der Schattenwächter erkennen. Aber es sah keineswegs zu freizügig aus. Es war die Rüstung einer Kämpferin.

Sie war eine der wenigen, die eine solche Rüstung besaß. Da sie die Tochter des Königs war, gehörte sie zum inneren Kreis der Schattenwächter.

Der innere Kreis bestand aus dem König, seinen Beratern, Nadeya und ihrem Bruder Alron. Jedem von ihnen wurde zum Eintritt, eine besondere Rüstung geschmiedet. Der innere Kreis war dazu da, die Schattenwächter zu beschützen und darauf zu achten, dass ihre Existenz geheim blieb. In der Tiefe lauern oft Gefahren, die sich niemand vorstellen kann.

Jeder der Schattenwächter hörte auf König Gaterion. Es traute sich keiner, ihm zu widersprechen. Das er der König war spürte man, wenn man ihm gegenüber stand. Gaterion zeigte, wie stolz er war und ließ jeden seine Macht spüren, der sich ihm widersetzen wollte. Er hatte nur eine Schwachstelle, seine Tochter Nadeya.

Selbst Alron, sein Sohn, konnte nichts gegen ihn ausrichten. Nadeya dagegen war anders, denn sie ließ sich nichts sagen, da sie rebellisch war und vor niemandem Angst hatte.

Sie nahm kein Blatt vor den Mund, nicht einmal vor ihrem Vater. Obwohl sie jünger war als Alron, ließ sie sich auch von ihm nicht in die Schranken weisen. Nadeya war nicht unvernünftig, sondern sie hatte die bizarre Vorstellung, die Welt zu verbessern. Sie sah nicht ein, weshalb sie im Untergrund sitzen sollte und nicht gutes tun sollte.

Wenn die Nacht kam, würde sie gutes bewirken, dass war stets ihr Ziel. In der Nacht, sah man den Unterschied nicht zwischen einem Menschen und einem Schattenwächter.

»Der König verlangt nach ihnen.«, sagte eine weibliche Stimme, die zu Nadeyas Dienerin gehörte.

»Sag ihm, ich komme gleich.«

Die Dienerin nickte und verließ den Raum.

Nadeya sah sich noch einen Moment im Spiegel an. Dann drehte sie sich um und machte sich darauf gefasst, einen erneuten Streit mit ihrem Vater zu haben.

Sie mochte ihn. Aber sie liebte ihn nicht. In ihren Augen spielte er zu sehr mit der Macht und war nicht auf das Gute aus, sondern wollte eher der Böse sein. Aber außer ihr wollte das wohl niemand sehen.

Ihr war bewusst, dass Gaterion vor ihr Respekt hatte, denn sie ließ sich von ihm nichts vorschreiben. Nadeya sah keinen Grund dazu, denn sie hatte nichts zu verlieren.

Schließlich öffnete sie die große Tür, die aus ihrer Kammer hinaus führte in die große Halle, in der auch der Thron ihres Vaters stand, von dem aus er die Unterwelt regierte.

Als er sie kommen sah, setzte er ein gespieltes Lächeln auf. Ihm ging es ähnlich. Er mochte seine Tochter, aber er wusste auch, dass sie ihm ein Dorn im Auge war. Der König stand im Konflikt, denn sie war seine Tochter, aber insgeheim auch seine Feindin.

Die Schattenwächter, die sich seiner widersetzten, konnte er foltern lassen oder wenn es sein musste, setzte er sie in eine Zelle und ließ sie verhungern. Seine eigene Tochter jedoch, musste er akzeptieren. Alron hörte auf ihn, denn auf ihn hatte er den nötigen Einfluss. Nadeya ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und daher hatte er schon an so manchen Tagen gewünscht, dass sie ein normaler Schattenwächter wäre. Er wusste, dass er Angst hatte seine Macht zu verlieren, und er konnte es nicht leiden, wie sie seine Macht zu untergraben versuchte.

»Vater.«, sagte Nadeya ruhig und ihre Stimme klang wie Musik.

Gaterion stand auf und seine lange, dunkelrote Robe fiel an ihm herab. Langsam bewegte er sich auf sie zu. Sein langer brauner Bart, ließ ihn sehr alt wirken. »Mir ist etwas zu Ohren gekommen, Nadeya.« Seine Stimme klang kalt.

Nadeya sah ihn nur fragend an.

»Du hast dich vorletzte Nacht erneut gegen meinen Willen an die Oberfläche begeben.«, sagte er vorwurfsvoll.

Gelangweilt sah Nadeya ihn an und fragte sich, wann er endlich verstehen würde, dass es nutzlos war, sie immer wieder darauf anzusprechen.

»Du weißt, dass wir geheim halten wollen, wer wir sind, dass es uns überhaupt gibt. Ist dir nicht klar, was dann passieren kann?« Neugierig sah er sie an.

»Wenn du dich hier unten verstecken möchtest, kannst du das ja gern tun, aber ich werde es nicht machen. Weißt du auch weshalb? Ich hab meinen eigenen Willen und weiß selbst, was ich tun möchte.«, antwortete sie barsch.

Gaterion wusste, dass er im Begriff war sie zu reizen. Wenn sie erst mal loslegte, war sie kaum noch zu bremsen. Aber er musste ihr klar machen, dass er der König war und ihr nicht alles durchgehen lassen konnte.

»Du handelst verantwortungslos und setzt das Leben von uns allen aufs Spiel mit jeder Nacht, die du dich herausschleichst. Ich untersage dir, erneut an die Oberfläche zu treten. Wir sind Wesen der Dunkelheit, nicht Wesen des Lichts. Wir haben dort oben nichts verloren und das gilt auch für dich. Haben wir uns verstanden?« Seine Stimme klang in dem Moment sehr stark und er hatte einen ernsten Ausdruck im Gesicht.

Nadeya zog eine Augenbraue hoch und sah ihn ungläubig an. Dann fing sie an zu kichern. »Du willst mir etwas verbieten? Das ist komisch, wirklich komisch.«

Gaterion raste innerlich vor Wut und tat etwas, was für einen König ebenso wie für einen Vater unverzeihlich ist. Er gab Nadeya eine Ohrfeige.

Nadeya fasste sich mit der Hand an die Wange und spürte den leichten Schmerz, der sie durchfuhr. Ihre rot leuchtenden Augen funkelten wütend. »Was fällt dir ein?«, fragte sie entsetzt.

»Du verstehst es ja nicht anders. Was fällt dir ein, dich darüber lustig zu machen, was der König dir befiehlt?« Gaterion sah sie an und in seinem Gesicht lag nicht der kleinste Hauch von Reue.

Nadeya erwiderte seinen Blick und wurde noch wütender. »Der König? Du bist mein Vater und ich bin nicht einer der vielen Schattenwächter, die du herum kommandieren kannst und mit denen du machen kannst, was du willst.«

Gaterion hob beide Augenbrauen hoch, was immer ein Zeichen dafür war, dass er es satt hatte und im Normalfall, zu härteren Maßnahmen greifen würde.

»Mag sein, dass ich dein Vater bin. Aber vor allem, bin ich der König und falls es dir entgangen sein sollte, habe ich hier das Sagen.« Gaterion zeigte demonstrativ auf seinen Thron.

Nadeya sah ihn unbeeindruckt an. » Bist du stolz darauf, ein König zu sein, der seine Tochter schlägt?«

»Weißt du, mein Kind, ein König muss tun, was für sein Volk das Beste ist. Aber das verstehst du nicht.«, sagte er und der Schalk funkelte in seinen Augen.

»Dann weißt du anscheinend nicht, was das Beste ist.«, erwiderte Nadeya scharf.

Gaterion war es allmählich leid, sich mit ihr herumzuärgern. Wie hatte er es nur fertig gebracht, so einen Sturkopf in die Welt zu setzen. »Ich weiß es besser als du.«

»Dann würdest du das Böse bekämpfen, statt hier unten zu vergammeln.« Nadeyas Stimme klang hart und sie sah ihn wütend an.

»Es ist ein Fehler sich in die Natur einzumischen.«, erwiderte Gaterion.

»Wir sind hier fertig.«, sagte Nadeya, drehte sich um und stolzierte wütend davon.

»Normalerweise, sind wir fertig, wenn der König es sagt.« Gaterion sah ihr hinterher und fragte sich, wieso er es eigentlich nicht tun konnte. Wieso er ihr nicht auf die selbe Weise deutlich machen konnte, dass er der König war, wie er es auch den Anderen zeigte.

»Normalerweise, schlägt ein Vater seine Tochter nicht.«, gab Nadeya zurück und knallte die Tür hinter sich zu.

Als sie wieder in ihrem Schlafgemach war, brannte ihre Ohrfeige noch immer. Gaterion hatte sie noch nie geschlagen. Sie wusste, dass er seine Augen davor verschloss, was wirklich in der Welt vor sich ging. Er selbst traute sich ja nicht an die Oberfläche zu gehen. Ihr war nur eines klar, sie würde nicht im Dunkeln sitzen, wenn sie die Möglichkeit hätte, Menschen zu helfen und möglicherweise schlimme Dinge verhindern könnte. Bis jetzt hatte sie noch nie jemand entdeckt, denn sie wusste, wie sie sich unauffällig unter Menschen in der Dunkelheit benehmen konnte.

Nadeya ging zu ihrer kleinen Schale die auf dem Tisch in der Mitte des Raumes stand. Darin befand sich eine rote Flüssigkeit in die sie hineinsah. Dann hielt sie ihre Hand darüber und als sie ihre Hand zusammenzog, ließ sich plötzlich ein Bild in der Flüssigkeit erkennen.
 

5
 

Beverly überquerte im Dunkeln die Hauptstraße und sah sich um, ob ein Auto kam. Sie war mit ihren Gedanken noch immer bei Andrew, der sie betrogen hatte. Wie sollte sie das nur ihren Eltern beibringen. Es war die Art Nachricht, die man nicht gern überbrachte, weil man wusste, dass man dann den typischen Satz >Wir haben es dir doch gleich gesagt.< zu hören bekam. Es schmerzte sie, dass sie ihm so sehr vertraut und er ihr so weh getan hatte. In diesem Moment, dachte sie, ob die Armen und Reichen vielleicht wirklich nicht zusammen passten. Ob es besser war, wenn sie getrennte Wege gingen. Beverly lief planlos durch die Gegend und bemerkte es nicht einmal. Tränen kullerten ihre Wangen hinunter und sie versuchte sie zurückzuhalten, um noch etwas sehen zu können.

Nach einer Weile hatte sie sich in Thaldor so verfranzt, dass sie nicht mehr wusste, wo sie eigentlich war. Orientierungslos irrte sie umher und lief in eine Gasse. Schnell stellte sie fest, dass sie in einer Sackgasse gelandet war. Dort standen lauter Mülltonnen und es stank.

Als sie die Umrisse einer Gestalt sah, schöpfte sie Hoffnung.

»Entschuldigen sie, können sie mir vielleicht helfen? Ich habe mich verlaufen.«, fragte sie freundlich in die Dunkelheit hinein.

Die raue, männliche Stimme die ihr antwortete, klang unheimlich in ihren Ohren. »Aber sicher kann ich dir helfen. Sehr gerne sogar.«

Beverly wurde etwas unsicher und fragte sich, ob sie nicht am Besten umdrehen und weggehen sollte.

»Wohin möchtest du denn?«, fragte die männliche Stimme aus der Dunkelheit.

»Ich müsste in die Langorstraße.«, antwortete sie und ihre Stimme begann ein wenig zu zittern.

»Ach, du bist eine von den Reichen.«, stellte die männliche Stimme, die bis dahin noch kein Gesicht hatte, erstaunt fest.

»Ja, das bin ich wohl.«, erwiderte Beverly ängstlich.

Allmählich näherte die Gestalt ihr sich und die Umrisse bildeten Formen und ließen erkennen, wie der Mann aussah, der aus dem Dunkeln hervortrat.

Vor ihr stand ein Mann mittleren Alters. Seine Haare waren lang und fettig und sein Bart war leicht ergraut. Ringe lagen um seine Augen und ließen ihn sehr alt wirken. Mit seinen zerschlissenen Hosen schlurfte er über den Boden und sein Hemd hatte viele Löcher. Bei seinem Anblick durchfuhr Beverly ein kalter Schauer.

»Du siehst aber hübsch aus.«, sagte der Mann und Beverly wich automatisch einen Schritt zurück.

»Hast du etwa Angst vor mir? Das musst du doch nicht.«, erklärte er mit seiner rauen Stimme. Er trat näher an sie heran und fasste sie am Arm. Beverly wollte ihren Arm wegziehen, doch sein Griff war zu fest. Als sie in sein Gesicht sah und er sie anlächelte, sah sie seine gelben Zähne. Ekel durchfuhr sie und die nackte Angst überkam sie.

»Bitte lassen sie mich gehen.«, flehte sie.

»Dafür ist es leider schon zu spät, Kleines. Ich habe ein Verlangen, welches gestillt werden möchte.« Seine Stimme klang erfreut.

Er packte Beverly noch fester und zog sie in die Tiefe der Gasse hinein, wo das Dunkle zu Hause war.
 

6
 

Nadeya blickte fasziniert in die Schale auf dem Tisch. Als sie endlich erkennen konnte, was die Bilder zeigten, stand sie mit offenem Mund da.

In der Schale war ein Mädchen in kurzen Jeans und einem weißen T-Shirt zu sehen, das ihren blonden kurzen Haaren sehr schmeichelte. Dort, wo sie sich aufhielt, war es sehr dunkel und unheimlich. Dann sah sie das Mädchen in eine Gasse gehen.

Mehr musste sie nicht sehen, um zu wissen, dass heute Nacht etwas Schlimmes in Thaldor passieren sollte. Sie wollte schon immer für das Gute kämpfen und nicht auf der Seite des Bösen stehen. Deshalb schlich sie sich Nachts raus und kämpfte gegen das Böse. Auch wenn ihr Vater es nicht für richtig hielt und sie deswegen geschlagen hatte, wusste sie, dass es das Richtige war.

»Ich werde heute Nacht fortgehen.«, erklärte Nadeya ihrer Dienerin Melinda. Sie wusste, dass sie ihr vertrauen konnte. Melinda hörte nur auf Nadeya. Was der König sagte, bemerkte sie nur beiläufig.

»Soll ich eurem Vater sagen, dass ihr schon schlafen würdet, falls er fragt?«, entgegnete Melinda.

»Nein. Ihr müsst es nicht geheim halten. Wenn er ein Problem damit hat, dann soll er doch versuchen mich davon abzuhalten.«, sagte Nadeya scharf und legte sich ihren Umhang zurecht.

»Ihr seid die gute Seele des Hauses.«, sagte Melinda leise.

Nadeya lächelte sie an. »Wieso meint ihr?«

Melinda wirkte nun ein wenig verlegen. »Ihr versucht den Menschen zu helfen. Ihr seit ein ehrbarer Schattenwächter. Ganz im Gegensatz zu eurem Vater.« Melinda hielt sich die Hand vor den Mund und wurde rot im Gesicht. »Verzeiht mir, das hätte ich nicht sagen dürfen.«

Nadeya warf ihr einen tröstenden Blick zu. »Wieso nicht? Ihr habt doch recht. Er ist kein ehrbarer Mann. Er ist kein guter König.«

Sie hatte oft darüber nach gedacht, wie sie in der Öffentlichkeit zu ihrem Vater stehen sollte. Anfangs wollte sie ihm gegenüber loyal sein. Doch als sie bemerkte, wie egoistisch und herrisch er war, zeigte sie immer öfter, was sie wirklich von ihm hielt. Nachdem er ihr die Ohrfeige verpasst hatte, wollte sie ruhig alle wissen lassen, was für ein miserabler König er war.

Nadeya holte ihren glänzenden Dolch aus ihrem Waffenschrank und steckte sie in die Vorrichtung ihrer Rüstung. »Ich werde nun verschwinden.«, sagte sie.

Melinda nickte ihr zu. »Seid vorsichtig.«
 

7
 

Beverly wusste nicht, wie ihr geschah, als sie von dem Mann in die dunkle Gasse herein gezogen wurde. Sie wollte um Hilfe schreien und sich irgendwie wehren. Leider gelang es ihr nicht. Sie stand unter Schock und machte das, was viele Tiere tun, wenn sie Angst haben. Sie bewegen sich nicht und stellen sich tot. Leider interessiert das ein Monster nicht, das es darauf abgesehen hat, einem böses anzutun.
 

8
 

Nadeya hatte sich durch die vielen unterirdischen Gänge geschlichen und war ihren Geheimweg nach oben gegangen. Sie liebte die frische und meist trockene Luft, in der die Menschen lebten, denn sie war ein Schattenwächter und dazu verdammt, in der Unterwelt zu leben. Aber sie wusste auch, dass sie Nachts niemand bemerkte.

Nachdem sie oben angekommen war, setzte sie eine ihrer besondern Gaben ein und lief schnell wie der Wind die Gassen entlang, immer darauf bedacht, nicht gesehen zu werden.

Der Wind bließ ihr durchs Haar und sie genoss die angenehme Kälte auf ihrer Haut. Als sie sich ihrem Ziel näherte, verlangsamte sie ihren Gang wieder. Anmutig schritt sie die Straße entlang zum Eingang der Gasse. Sie war die Königin der Nacht und sah so elegant und edel aus. Ihr Umhang bewegte sich mit ihren Bewegungen im Takt und ihre Augen leuchteten rot in der Dunkelheit. Sie war nun völlig auf ihre Aufgabe konzentriert. Ihre Schritte hallten in der Dunkelheit wider. Nadeya näherte sich der Gasse und zog ihren Dolch. Als sie näher kam, hörte sie Geräusche. Sie musste nicht überlegen, was sie zu bedeuten hatten, denn Nadeya kannte die Antwort schon. Ein Mann versuchte ein Mädchen zu vergewaltigen.

Nun war sie total konzentriert und wirkte ihren Zauber, der ihr das Licht auch an den dunkelsten Ort bringen sollte. In ihrer rechten Hand bildete sich langsam eine Kugel, die nach und nach größer wurde.

Plötzlich erhellte sich die Gasse. Vor ihr lag ein Mädchen reglos am Boden und ein Mann lag auf ihr. Nadeyas Augen waren nun dunkelrot und sie ging mit ihrem Dolch auf den Mann zu.

Erschrocken drehte der sich um und sah sie ehrfürchtig an. Schnell stieg er von dem Mädchen herunter und rannte davon. Als er bemerkte, dass er sich in einer Sackgasse befand, stand Nadeya schon hinter ihm.

Unwissend drehte er sich um und sah in ihr angsteinflößendes Gesicht. »Bitte tu mir nichts.«, winselte er.

Sie zog ihre rechte Hand zusammen und die Lichtkugel stieg empor und blieb in der Luft hängen. Nadeya hob ihren Dolch an und drückte den Mann mit ihrem Handrücken gegen die Mauer der Sackgasse. Dann hielt sie ihm ihren Dolch an die Kehle. »Ich soll dir nichts tun?« Ihre Stimme war von Hass erfüllt.

Dem Mann stiegen Tränen in die Augen.

»Das hättest du dir wohl früher überlegen sollen. Wer böse ist, gehört bestraft, nicht wahr?«, fragte sie ihn.

»Ich habe doch nichts gemacht.«, sagte er und weinte fast.

»Nichts gemacht? So nennst du das also?« Nadeya drückte ihn härter gegen die Mauer und gab ihm einen Tritt in die Rippen. Der Mann begann zu schreien.

»Du hast versucht ein Mädchen zu vergewaltigen. Aber du hast die Rechnung ohne mich gemacht.«, erklärte sie ihm.

»Bitte töte mich nicht.«, winselte er erneut.

Nadeya begann zu lachen. »Dich töten?«, fragte sie und dann wurde sie wieder ernst. »Ein Monster wie du, hat den Tod nicht verdient. Es wäre zu einfach. Dann wärst du aus dem Schneider und das wollen wir doch nicht.«

Ängstlich sah er sie an. »Was machst du mit mir?«

Nadeya setzte ihr wunderschönstes Lächeln auf. »Das wirst du gleich sehen.«

Sie nahm ihren Dolch hinunter und riss ihm das Hemd auf. Dann setzte sie die Dolchspitze an seiner linke Brust, an genau an die Stelle, wo sein Herz war.

Der Mann wurde hysterisch und wollte anfangen zu schreien, doch ein Blick von Nadeya genügte, um ihn verstummen zu lassen.

Schließlich fuhr sie fort und ritzte dem Mann, an seiner linken Brust, ein großes Kreuz in die Haut ein, die daraufhin stark zu bluten begann.

Es sah so aus, als würden ihm die Augen herausfallen, als er sich vor Schmerzen zu krümmen begann.

»Es brennt so. Was hast du getan.«, jaulte er beinahe.

»Dieses Kreuz, wird dich nicht sterben lassen, keine Angst. Es wird dich nur stets an diese Nacht erinnern und solltest du je wieder versuchen, einem Mädchen so etwas anzutun, wirst du Schmerzen haben, die Tage andauern werden. Du wirst leiden und ich werde es wissen und ich werde kommen und dich noch mehr leiden lassen. Haben wir uns verstanden?« Ihre Stimme wurde ernst und hatte einen dunklen Klang.

Er nickte nur ängstlich. Nadeya ließ ihn fallen und er sackte auf dem Boden zusammen. Rasch ging sie zu dem Mädchen und hob sie hoch. Sie machte sich keine Gedanken darum, ob der Mann oder das Mädchen darüber reden würden, dass sie dort war. Menschen sahen oft die offensichtlichen Dinge nicht und das Gedächtnis war ein Sieb.

Mit dem Mädchen auf den Armen raste sie durch halb Thaldor, bis sie endlich am Haus des Mädchens angekommen war. Behutsam legte sie das Mädchen vor der Haustür ab und läutete an der Türklingel. Ehe sie einmal schellte, war Nadeya schon in der Dunkelheit verschwunden.
 

9
 

Beverly wachte morgens in ihrem Zimmer auf und fragte sich, ob die gestrige Nacht nur ein schlimmer Traum gewesen war. Doch als einige Minuten später ihr Vater in das Zimmer herein trat und ihr erzählte, dass sie vor der Haustür gelegen hatte, fing Beverly an, sich wieder an die Geschehnisse zu erinnern. Sie erzählte ihren Eltern was passiert war. Auf die Frage, wie sie sich aus ihrer Lage befreien konnte, sagte sie nur, dass sie glaubte, irgendwer hätte sie gerettet. Wer genau, das wollte ihr nicht einfallen, so sehr sie sich auch anstrengte. Danach nahm ihr Vater sie in den Arm und sagte nicht einmal >Ich hab es dir doch gleich gesagt.<. Er war einfach nur froh, dass seiner Tochter nichts weiter passiert war.
 

10
 

Der Mann, dessen Name George war, saß am nächsten Morgen noch immer in der Gasse und sein Blick wirkte ausdruckslos. Seine Verletzung an der Brust hatte aufgehört zu bluten und das Brennen war weniger geworden. Seine Gedanken kreisten um die Frau, die er glaubte gesehen zu haben. Doch er hatte zu viel Angst sie je zu erwähnen. Sie hatte gesagt, sie würde wieder kommen und das wollte er auf keinen Fall riskieren. Er fasste sich an das Kreuz an seiner Brust und schwor sich, nie auszuprobieren, was die Wunde auslösen könnte.
 

11
 

Nadeya wachte ausgeruht und zufrieden auf. Das war jedes Mal so, nachdem sie aus ihrer Sicht eine gute Tat vollbracht hatte. Es war ihr erneut gelungen, gegen das Böse zu kämpfen und das machte sie stolz. Ihr gab es das Gefühl, wichtig und ehrbar zu sein. Zumindest ehrbarer als ihr Vater.

»Nadeya. Euer Vater, der König verlangt nach euch.«, hörte sie Melinda sagen, die gerade in ihr Schlafgemach herein trat.

Unbeeindruckt stand Nadeya auf und legte ihre Rüstung an. Dann bürstet sie ihr langes blondes Haar und band sich ihren Umhang um.

Sie ging zur Tür hinaus, in den großen Saal. Gaterion saß auf seinem Thron und vor ihm stand ein großer Tisch mit allen möglichen Köstlichkeiten.

Er sah sie nicht an. Nadeya wartete ungeduldig auf eine Reaktion von ihm.

»Du hast nach mir gerufen?«, fragte sie.

Unbeeindruckt sah er von seinem Teller auf und nahm sich noch ein bisschen Rührei.

»Vater. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann tu es, sonst kann ich wieder gehen.«, sagte sie leicht genervt.

»Weißt du was ich hasse, Nadeya?« Seine Stimme klang ruhig und gelassen.

»Was?«

»Wenn Schattenwächter nicht wissen, wo ihre Grenzen sind. Bis wohin sie gehen dürfen und wann sie lieber halt machen sollten.«, erklärte er ohne sie anzusehen.

»Und was hat das mit mir zu tun?« Nadeya wurde ein wenig angespannt, da sie die Gespräche mit ihrem Vater mehr als alles andere hasste.

»Weißt du was mit Schattenwächtern geschieht, die so etwas tun?«, überging er ihre Frage.

»Nein und ich will es wohl auch besser nicht wissen.«, antwortete Nadeya.

Gaterion sah sie nun an und seine Augen waren kalt. »Sie werden in eine Zelle gesperrt und gefoltert.«

Nadeya begriff nun die Anspielung. »Du bist wirklich tief gesunken Vater. Du willst mir drohen?«

»Ich wollte dich nur darüber aufklären, was mit Schattenwächtern geschieht, die nicht wissen, auf welch dünnem Eis sie sich befinden.« Er sah sie an und in seinem Blick lag Hass.

»Du wirst mich nicht abhalten, Gutes zu tun.« Nadeya sah ihn nun wütend an.

Gaterion stand auf und warf den Tisch vor sich um. Er ging auf Nadeya zu und sah ihr eindringlich in die Augen. »Ich bin zu vielem fähig, Nadeya. Sei gewarnt. Ich bin der König. Du magst meine Tochter sein, aber ich lasse dir nicht alles durchgehen.«

»Du kannst mir drohen so viel du willst, ich werde nicht aufhören, das Böse zu bekämpfen.«

»Du solltest mich nicht reizen, Nadeya. Vor allem aber solltest du nicht den Fehler machen und versuchen meine Macht zu untergraben.« Gaterion ging wieder zu seinem Thron zurück und setzte sich darauf. »Jetzt sind wir fertig!«, sagte er noch.

Nadeya wollte noch etwas sagen, jedoch war sie zu wütend. Sie machte auf dem Fuß kehrt und ging in ihre Kammer zurück.

-Ende-



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2012-07-03T19:00:41+00:00 03.07.2012 21:00
Super Geschichte, finde den Schreibstil echt klasse! Mach weiter so !!! (:


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