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Die Tochter des Puppenmachers

von

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Traumwelt

Hester setzte Matt und Near vor dem Waisenhaus ab und fuhr selbst nach Hause. Sie hatte am nächsten Tag noch eine sehr lange Schicht vor sich und wollte sich deswegen so früh wie möglich aufs Ohr hauen. Auch Near und Matt waren müde, was aber hauptsächlich am kalten Wetter lag. Sie waren trotz der warmen Kleidung durchgefroren und erschöpft. Da die Teezeit längst vorbei war, gab es nichts Warmes mehr aber als sie in der Küche nachfragten, bekamen sie doch noch einen Tee. Doch sie setzten sich nicht in den Speisesaal, sondern gingen in den Salon, wo Mello im Sessel saß und auf der Tastatur eines Laptops herumtippte. Als er Matt und Near sah, war ihm seine Ungeduld trotz seines angeschlagenen Gesundheitszustands deutlich anzusehen. In kurzen und knappen Sätzen schilderten sie ihm das, was sie in Erfahrung bringen konnten. Angefangen von Amara, die mit deformierten Beinen zur Welt kam und im Keller hausen musste bis hin zu der geheimen Giftküche, wo der Puppenmeister die Kinderleichen entsorgt hatte. „Damit ich das richtig verstehe“, sagte Mello schließlich mit heiserer Stimme „dann ist Amara also für Alices Unfalltod verantwortlich. Dann hat sie versucht ihre Schwester zu kopieren, um die Aufmerksamkeit ihres Vaters zu gewinnen und als seine Tochter akzeptiert zu werden.“

„Davon gehen wir aus“, stimmte Matt zu und nickte. „Allerdings ist immer noch nicht ganz geklärt, was der Kerl mit den Kindern gemacht hat. Was hast du zu dem Puppenmacher aus Bukarest gefunden?“

„Es war ziemlich schwierig und hundertprozentig beweisen kann ich meine Theorie nicht. Sie ist auch etwas abenteuerlich, aber anders kann ich mir das nicht zusammenreimen. Also hört gut zu, ich wiederhole es nämlich nicht gerne.“ Bevor Mello mit seiner Geschichte begann, trank er erst mal einen Schluck Tee und wartete, bis Near und Matt sich setzten. Die Geschichte um den Puppenmacher aus Bukarest begann wahrscheinlich im Jahre 1939 in einer kleinen Siedlung, in der sich unzählige Zigeunergruppen niedergelassen hatten um durch Feldarbeit ein wenig Geld zu verdienen. Das Land war erschüttert durch Kriege und Unruhen, besonders die Juden- und Zigeunerverfolgung durch die Nazi hatten vielen sehr zugesetzt und man lebte ständig in der Angst, als nächstes verschleppt zu werden. In dieser Zeit der Gewalt ließen sich aber auch Organisationen nieder, um den Außenseitern der Gesellschaft zu helfen. Sanitäter, Krankenschwestern und Lazarettärzte halfen der Bevölkerung, verarzteten die Verletzten und versuchten dabei auch die Versorgung aufrecht zu erhalten. Besonders im leidgeprüften Bukarest ließ sich eine Organisation nieder, zu der auch die Arztfamilie Dunsley gehörte. Thaddeus Dunsley, ehemaliger Militärarzt unterstützte seine beiden Söhne Robert und Malcolm, die beide Prothesenmacher waren, indem er seine Patienten an sie verwies. Robert starb jedoch im Alter von 25 Jahren an einem bösartigen Gehirntumor, sodass sein jüngerer Bruder Malcolm das Geschäft alleine weiterführte. Im Alter von 33 Jahren heiratete er eine jüdische Deutsche namens Sarah Stern, deren Familie im Konzentrationslager getötet wurde. Sarah starb während der Geburt ihres Sohnes William, der mit einem Kaiserschnitt zur Welt gebracht wurde. Der Krieg fand schließlich ein Ende, doch die Ausmaße waren unvorstellbar. Der kleine William Dunsley wuchs in einer Welt des Leids und der Zerstörung auf. Er war umgeben von Verletzten, Entstellten und Verkrüppelten und das hatte ihn für immer gezeichnet. Sein Vater Malcolm arbeitete wie ein Besessener, doch das Material für die Prothesen war nach dem Krieg unglaublich teuer geworden und die Leute, die Prothesen brauchten, hatten alle kein Geld. Auf finanzielle Unterstützung des Landes konnte Malcolm Dunsley nicht hoffen, der Wiederaufbau verschlang Unsummen und es mussten Kredite aufgenommen werden. Da Metall- und Holzprothesen also Luxusgut geworden waren, musste der Prothesenmacher sich etwas einfallen lassen und kam nach einiger Zeit schließlich auf eine Idee: Er modellierte Keramikprothesen. Das Material unterschied sich je nach dem, wer sie trug. Robuste und grob gefertigte Kunstgliedmaßen für die ärmeren Leute, feine und ausgefallene Modelle für die Wohlhabenden. Um die gleiche Zeit verschwanden immer mehr Menschen, insbesondere Kinder. Keines ist jemals wieder aufgetaucht und man verdächtigte zunächst die Zigeuner, aber diese waren am allermeisten betroffen. Es kam daraufhin zu Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Clans. Dabei wurde auch Thaddeus Dunsley getötet, als ein Gewehrschuss ihn zwischen die Augen traf. Der damals 15-jährige William Dunsley musste das alles mit ansehen und floh mit seinem Vater Hals über Kopf aus Rumänien und ließ sich mit ihm in England nieder, genauer gesagt in einem kleinen Vorort von London. Dort eröffneten sie wieder ihr Prothesengeschäft und trotz anfänglicher Schwierigkeiten blühte das Geschäft auf. Wieder verschwanden Kinder, die meisten stammten aus der unteren Mittelschicht. Allerdings waren es nicht mehr so viele wie in Bukarest, trotzdem erregte dieser Fall großes Aufsehen. Malcolm Dunsley erlitt schließlich drei Jahre später einen Schlaganfall und starb, William führte eine Weile das Geschäft weiter und war berühmt dafür, dass er hochwertige Prothesen herstellte. Dabei war seine Ausbildung noch nicht beendet und eigentlich war er mehr darauf erpicht, Arzt zu werden. Schließlich verkaufte er das Geschäft, beendete sein Studium und reiste mit dem Doktortitel in der Tasche nach Paris. Dort lernte er Jeanne Chevalier kennen, die beiden kehrten zusammen nach London zurück, heirateten und der Rest der Geschichte war bereits bekannt.

Da Mello aufgrund seiner Halsentzündung immer wieder husten und pausieren musste, dauerte sein Bericht dadurch um einiges länger, aber nachdem er fertig war, waren sich alle drei wortlos einig in ihrer Vermutung, was mit den Kindern passiert war, die in einem Zeitraum von über sechzig Jahren verschwunden waren: Der Puppenmacher von Bukarest, der nun seit Jahren auch hier in England sein Unwesen trieb, verarbeitete die Knochen der Kinder zu Knochenporzellan um daraus Prothesen oder Puppen anzufertigen. Es war so unglaublich bizarr und verrückt, als entspringe dies aus einer uralten Geistergeschichte oder einem Märchen, aber es war die grausame Wahrheit. Dutzende wenn nicht sogar hunderte Kinder mussten sterben, damit die wohlhabenden Menschen edle Prothesen aus feinster und edelster Keramik bekamen. Damals hatte es Malcolm Dunsley getan, weil er sich nicht mehr die herkömmlichen Mittel für die Prothesen leisten konnte. Und damals gab es eine sehr hohe Zahl an Waisenkindern, nach denen im Zweifelsfalle keiner mehr fragte. Und da sich diese Prothesen bewährten, führte er dieses blutige Geschäft auch in England weiter bis zu seinem Tode. William, der in einer Welt voller Schmerz, Hässlichkeit und Schrecken aufgewachsen war, hatte so viele Leute sterben sehen. Hatte miterlebt, wie sein Großvater getötet wurde und er hatte von klein auf die schrecklichen Verletzungen gesehen. Die abgerissenen Arme und Beine unzähliger Menschen und wollte dieser schrecklichen Alptraumwelt entfliehen. Traumatisiert durch diese ganzen Erlebnisse flüchtete er sich in seine heile und kontrollierte Welt der Schönheit und Perfektion. Dort wo es kein Leid und keine Hässlichkeit mehr gab. Die Puppen wurden sein einziger Lebenssinn, da diese unvergänglich und schön waren. Sie wurden nicht alt und hässlich. Sie starben nicht an den Folgen grausamer Verletzungen und wenn sie kaputt waren, konnte man sie jederzeit wegwerfen. Und mit dieser Tatsache radikalisierte sich auch sein Denken über die menschliche Gesellschaft. In den Menschen begann er nur noch unvollständige und hässliche Puppen zu sehen, Marionetten ohne Schnüre. Er begann die Menschen für diese ihm widerfahrenen Hässlichkeiten selbst zu hassen und versteckte sich hinter der Maske eines perfekten Gentlemans, einem tadellosen Mann. Und als seine Frau bei der Geburt seiner Töchter starb, fühlte er sich an sich selbst und seinen Vater erinnert. Auch seine Mutter verstarb bei seiner Geburt. Diese beiden Kinder waren für ihn wie ein Spiegel und wenn er sie sah, sah er sich selbst in dieser Welt aus seiner Kindheit, in die er niemals hineingehören wollte. Er wollte sich eine perfekte Welt der Schönheit und Eleganz erschaffen und darum machte er Alice zu einer lebenden Puppe. Amara, die mit entstellten Beinen zur Welt kam, strafte er mit Verachtung und Abweisung, da sie ihn zu sehr an diese Menschen erinnerte, die allesamt unvollständig waren und auf Prothesen angewiesen waren. Diese grausamen Erinnerungen wollte er wegsperren und damit sperrte er auch Amara weg. Doch Alice, die ihre Schwester liebte und Mitleid mit ihr hatte, versuchte etwas dagegen zu tun und bat ihren Vater darum, Amara eine Chance zu geben. So nahm ihr William Chevalier ihre verkrüppelten Beine und gab ihr dafür Prothesen, die wahrscheinlich auch aus speziellem Knochenporzellan gefertigt worden waren. Aber noch immer erinnerte Amara ihn zu sehr an diese Menschen in Bukarest und so weigerte er sich weiterhin, Amara auch nur anzusehen. Stattdessen widmete er sich mit voller Hingabe seiner anderen Tochter, die keine körperlichen Gebrechen hatte und in seinen Augen das widerspiegelte, was er sich so sehr wünschte: Eine makellose Puppe.

Aber dann sollte sich das alles ändern. Amara, die eifersüchtig auf ihre Schwester war, fühlte sich zu Recht ungerecht behandelt und stieß sie vor ein Auto, als sie beide auf den Weg ins Krankenhaus waren. Alice überlebte den Unfall nicht und Amara nahm ihren Platz ein. Sie tat alles, um eine perfekte Alice zu sein, doch die Tatsache, dass sie keine menschlichen Beine mehr besaß, machten ihr dies unmöglich. So blieb ihr nur noch, ihrem Vater dabei zuzusehen, wie er seiner geliebten Alice nachtrauerte und weiterhin Puppen bastelte, die aus den Knochen der entführten Kinder hergestellt worden waren. Um diesem Teufelskreis ein Ende zu bereiten, stahl Amara ihm eine seiner Puppen und suchte dann nach jemandem, der ihrem Vater auf die Schliche kommen würde.

„Puh, also das nenne ich mal einen Fall, der es in sich hat“, sagte Matt schließlich und putzte die Gläser seiner Fliegerbrille. „Nur stellt sich hier die Frage, inwiefern William Chevalier überhaupt ein Täter ist. Der scheint mir eher vollkommen krank im Kopf zu sein. Oder sehe ich das falsch?“

„Krank im Kopf oder nicht“, sagte Mello mit heiserer Stimme, „dieser Bastard killt unschuldige Kinder und macht aus ihren Knochen Prothesen. Wie abartig ist das denn bitteschön? Der muss doch wissen, was er tut. Da kann der mir nicht mit psychisch krank kommen.“ Near war sich da nicht ganz so sicher. William hatte als Kind sehr viele schlimme Dinge erlebt und wurde sicherlich auch gezwungen, seinem Vater bei der Herstellung dieser Knochenporzellanprothesen zu helfen. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn sich dadurch im Laufe der Jahre schwerwiegende psychische Krankheiten bei ihm entwickelt hätten. Das zeigte sich allein schon dadurch, welch bizarre Weltansichten er hatte und auch noch daran glaubte. Ohne Zweifel war dieser Kerl ein Psychopath. Aber es gelang ihm bis heute perfekt, seine Rolle als guter Mensch zu spielen. Für ihn gab es nur Schönheit, Eleganz und Perfektion. Alles andere war verachtenswert, hässlich und gehörte nicht in seine heile Welt, in die er sich als Kind geflüchtet hatte und seitdem nie wieder verlassen konnte. Dieser Mann gehörte nicht ins Gefängnis, sondern in eine geschlossene Psychiatrie. Dann aber stellte Matt eine wichtige Frage: „Warum hat er sich eigentlich die Mühe gemacht und erst das ganze Fleisch und so weiter von den Knochen getrennt, obwohl der Körper sowieso nur zum größten Teil aus Wasser besteht?“

„Chevalier ist Perfektionist. Er will nur die Knochen dafür haben, alles andere würde sein Werk nur verunreinigen. Nachdem er das Fleisch von den Knochen getrennt hat, warf er die Überreste durch die Falltür in den Keller. Mit der Flusssäure hat er diese dann aufgelöst und das ganze in die Kanalisation gekippt. Damit konnte er restlos alle Beweise vernichten.“ Sie saßen noch eine Weile schweigend zusammen und begannen schon mal nachzudenken, wo sich Chevalier aufhalten könne. Dass er noch in London lebte, war gar nicht mal so unwahrscheinlich. Inzwischen hatte er aber sicher einen anderen Namen angenommen und machte mit seinem grausamen Hobby weiter.

Als es schließlich spät wurde und alle nun auf ihre Zimmer zu gehen hatten, mussten sie ihre restliche Besprechung auf den Tag darauf verschieben. Mello war müde und ihm tat der Hals weh und Matt musste erst einmal eine Nacht schlafen, um diese ganze Geschichte zu verdauen.

Near fröstelte es auf dem Weg ins Zimmer, dabei waren überall Heizungen an und es war angenehme Raumtemperatur. Es war ein inneres Frösteln und er musste sich an seine eigene Vergangenheit erinnern. Auch er hatte Leid, Tod und Zerstörung gesehen, genau wie William Chevalier. Sie beide waren sich also gar nicht mal so verschieden und doch waren sie verschiedene Wege gegangen. Während William sich in seiner eigenen Welt verloren hatte, konnte Near diese Realität ertragen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, gegen das Hässliche in der Welt anzukämpfen, indem er dem Pfad der Gerechtigkeit folgte. Er wusste, dass es so etwas wie Perfektion nur in der Vorstellung der Menschen gab. William konnte sich auf Biegen und Brechen darum bemühen, dass er ein perfektes Wesen erschuf. Er würde am Ende nur scheitern und daran zerbrechen. Wie der Eisbildhauer aus Alices Bilderbuch, der am Ende genauso in Scherben zerbrach wie die Skulpturen, die er mit dem Hammer zerschlagen hatte weil sie nicht perfekt waren. Nachdenklich öffnete er die Zimmertür und schloss sie bevor er den Lichtschalter betätigte. Normalerweise machte er das ja nicht aber er war so in Gedanken versunken, dass er im Dunkeln zu seinem Bett ging und erst im letzten Moment ein Geräusch hinter sich hörte. Dann packten ihn zwei Arme von hinten und hielten ihn fest, dann wurde ihm ein Taschentuch ins Gesicht gedrückt. Near versuchte noch, sich zu befreien, doch dann verlor er das Bewusstsein und es wurde schwarz um ihn herum.
 

Es war eine Melodie, die ihm bekannt vorkam. Irgendwie… französisch. Ja genau, es war das Lied „J’y Suis Jamais Alle“ von Yann Tiersen. Warum spielte auf einmal diese Musik? Und wo war er? Träumte er etwa gerade? Near setzte sich auf und glaubte sich vage zu erinnern, dass er in seinem Zimmer von irgendjemandem überfallen wurde und dann mit Chloroform betäubt wurde. Doch nicht etwa von dem gleichen Kerl, der ihn in den Pool gestoßen hatte, um ihn umzubringen? Das fehlte gerade noch. Aber dann wäre er doch nicht auf dutzende Kissen gebettet worden wie ein kleiner Prinz und unter solchen Umständen wäre er doch zumindest gefesselt worden. Aber wer machte sich den extra die Mühe, wenn er ihn nicht wirklich aus bösen Absichten kidnappen wollte? Also ein bloßer Spaß konnte das sicherlich nicht sein. Dafür war er viel zu schlecht. Near sah sich um und sah sich von unzähligen Puppenaugen angestarrt. Überall waren Puppen, auf den Tischen, Regalen einfach überall. Etwas weiter weg stand auf einem altmodischen Tisch ein Grammophon, das mit einem CD-Spieler verbunden war.

Das Fenster war mit purpurnen Vorhängen versehen und der Blick war auf eine grüne Landschaft freigegeben. Häuser waren sonst nirgendwo zu sehen. Es war bereits Tag. Wie lange hatte er also geschlafen?

Es gab nur einen Weg herauszufinden, wer ihn entführt hatte und wo er sich befand. Er musste nachsehen, was sich hinter dem Zimmer befand. Zu seiner Überraschung war nicht einmal die Tür verschlossen und er war auch nicht an den Füßen festgekettet. Seltsam, wirklich seltsam. Im Flur war ein Teppich ausgelegt und an den Wänden hingen Gemälde, auf denen blondgelockte Mädchen in Spitzenkleidern posierten. Es waren aber auch hübsch gekleidete zarte Jungen mit rosigen Wangen zu sehen. Es gab insgesamt drei vier weitere Türen. Drei links, eine weiter hinten rechts und eine direkt am Ende des Flures. Die Tür direkt am Ende des Flures stand ein wenig offen und von dort hörte er ein Summen. Near trat langsam näher und lugte durch den Spalt ins Zimmer. Es war eine Art Werkstatt und jemand saß an einem Tisch und war dabei die Gliedmaßen und Kugeln miteinander zu verbinden. Als er das Knarren der Tür hörte, drehte er sich um und Near sah einen Mann, der nicht älter als 30 Jahre sein konnte. Er hatte blondes Haar, das er ordentlich zurückgekämmt hatte, er trug unter der Arbeitsschürze die Kleidung eines Kaufmanns aus dem 19. Jahrhundert und sein Gesicht war blass und makellos. Wie ein Dorian Gray sah er aus. Und sein Lächeln war sehr charmant und zugleich geheimnisvoll. „Guten Morgen, kleiner Near. Ich hoffe doch, du hattest eine angenehme Nacht.“ Der junge Mann legte die Puppenteile beiseite, legte die Schürze ab und ging auf Near zu. Jede Bewegung war perfekt. Ohne Zweifel, es musste sich um William Chevalier handeln, den Sohn und Erben des gefürchteten Puppenmachers aus Bukarest. Obwohl fünf Jahre ins Land gegangen waren, schien er noch so jung, vital und lebensfroh als hätte er nie geheiratet oder Kinder gezeugt. Er war kein wenig gealtert. „Warum haben Sie mich entführt?“

„Aber wer redet denn hier von „entführen“? Das ist so ein schreckliches Wort. Ich habe dich nur nach Hause gebracht. Mir war nämlich nicht bewusst, dass meine geliebte kleine Alice noch einen bezaubernden kleinen Bruder hat. Das war mir sofort klar, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Du erinnerst dich vielleicht nicht, aber es war im Spielzeugladen gewesen. Ich habe dich gesehen, als du dir die Bausteine gekauft hast. Von da an wusste ich einfach, du bist Alices Bruder!“ Was redete der da für einen Unsinn? Near hatte seine Eltern zwar früh verloren, aber er wusste hundertprozentig, dass er nicht mit William Chevalier verwandt war. Wahrscheinlich war er so fasziniert wegen seiner schneeweißen Haare und seiner ebenfalls blassen Haut. Wie Near richtig vermutet hatte, war der ehemalige Chirurg psychisch krank und gehörte dringend in Behandlung. Aber wenn Chevalier ihn wirklich als sein eigen Fleisch und Blut ansah, dann konnte Near davon ausgehen, dass er ihm nichts Schlimmeres antun würde. „Dr. Chevalier, ich bin nicht Alices Bruder. Ich bin…“

„Nenn mich ruhig Vater, mein kleiner Near. Wir gehören doch alle zu einer Familie. Du erkennst mich nur nicht, da wir uns so lange nicht gesehen haben. Aber ich habe sofort gesehen, dass du mein Sohn bist. Ach, lass uns doch nicht in der Werkstatt über so etwas sprechen. Lass uns lieber an einen angenehmeren Ort gehen.“ Und damit führte Chevalier ihn aus der Werkstatt heraus. Und noch hatte Near keine Ahnung, was sich noch für eine Katastrophe anbahnen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  RK9OO
2012-07-14T02:28:50+00:00 14.07.2012 04:28
Hach, ich liebe es, wenn Near entführt wird... XD
Dachte ich mir irgendwie schon, dass William ihn als 'Sohn' ansehen würde; immerhin sieht Near ja auch aus wie ne lebende Puppe
Wird er dem Schneeflöckchen jetzt was antun? *-*


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