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Ego Te Absolvo

von

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Requiescat In Pace

22.4.1218, Lincoln
 

Ein wirres gemurmel ging durch die Menge, als eine Gestalt von zwei Mönchen durch die Reihen neugieriger Menschen gezogen wurde. Man musste schon sehr genau hinschauen, um zu erkennen ob es sich um einen Mann, oder doch um ein Weib handelte. Eines jedoch ließ sich mit Gewissheit feststellen: Dem Gefangenen wurde übel zugesetzt. Die Beine hingen beinahe reglos und seine Kleider in schmutzigen Fetzen am geschundenen Körper hinunter. Durch die Risse und Löcher des kaputten Stoffes, konnte man einen Blick auf die Haut des Verletzten erhaschen. Am linken Oberschenkel klaffte eine Wunde, deren Blut schon getrocknet war und zusammen mit einer Schicht von Dreck, eine dunkelrote Kruste bildete. Die beiden Mönche hievten gemeinsam den Körper auf den hölzernen Podest, auf denen ein Galgen errichtet wurde. Die schaulustigen Leute warteten bereits Stunden davor, da sie neugierig waren, welcher Dieb oder Bastard heute gehängt würde. Auf einmal hob der Gefangene seinen Kopf und blickte mit halb geschlossenen Augen über die Meute hinweg. Nun sah man, dass es sich um eine Frau handelte. Sie war jung, doch die Ereignisse der letzten Tage haben sie um Jahre altern lassen. Einige der Menschen erkannten die junge Frau und schenkten ihr einen mitleidigen Blick. Andere hingegen begannen lauthals zu johlen und hoben die Fäuste um den Geschrei mehr Ausdruck zu verleihen. Mary war dies gleich. Es schien, als sei bereits alles Leben aus ihren zugerichteten Körper gewichen. Teilnahmslos nahm sie all die Verwünschungen und Drohungen hin, die ihr entgegen geschmettert wurden.
 

Wie bei einer heiligen Prozession, sah man 5 Männer erhobenen Hauptes aus der Kirche kommen. Ihre Gewänder verrieten, dass sie einem hohen Stand angehörten. Dem war tatsächlich so, denn einige des Volkes erkannten einen Mann als Graf Harrold von Lincoln, der die Prozession anführte. Vermutlich bestand sein Gefolge unter anderem aus Sekretären und kirchliche sowie weltliche Beratern. Gemäßigten Schrittes, bewegten sie sich in Richtung des Galgen, um links davon, an einer großen hölzernen Tafel platz zu nehmen. Erwartungsvoll sahen sie zu der jungen Frau, als würden sie darauf warten, sie um Gnade betteln zu hören. Doch sie warteten vergeblich.

Ihre Knochen haben wir gebrochen, jedoch nicht ihren eisernen Willen, dachte sich der Graf voller Abscheu. Er verzog das Gesicht und senkte kopfschüttelnd sein Haupt. Ein abwertendes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sein Blick durch die Massen schweifen ließ, die das ganze Schauspiel voller Furcht und Erregung beobachteten. Harrold holte tief Luft und verkündete im feierlichen Singsang:"Mary-Ann Silver, beschuldigt der Hexerei und Hurerei." Er machte eine kunstvolle Pause. Die Menge verstummte augenblicklich. Ihn fiel auf, dass einige der Menschen, die sich in der ersten Reihe befanden, voller Trauer zu sein schienen. Sie wandten sich teilweise ab, konnten es wohl nicht ertragen, diese Frau, der man so zusetzte, zu betrachten. "Grämt euch nicht, Bürger von Lincoln, dieses Weib steht mit dem Teufel im Bunde. Ihr solltet kein Mitleid mit einer Hure Satans haben. Sie ließ euer Korn verderben, eure Kinder und Eltern leiden und hungern und sie verführte einen Bischof zur Unzucht. Die Beweise sind eindeutig und klar. Habt Mitleid mit dieser Frau und ihr verschreibt selbst eure Seele den Leibhaftigen!" Die Worte des Grafen schallten in jede Ecke des Richtplatzes und einige der Anwesenden kreuzigten sich erschrocken, wollten sich mit dieser Geste von den bösen Gedanken reinwaschen. Harrold fuhr fort:"Die schwere dieses Vergehens, lässt kein anderes Urteil zu. Mary-Ann Silver wird daher zum Strang verurteilt. Möge der Herr ihrer Seele gnädig sein, führt die Hinrichtung durch!" Er nickte dem Scharfrichter zu. Ein bulliger Mann trat neben Mary und packte sie Unsanft am Oberarm. Sobald sie den Henker sahen, gröhlte die Menge erneut auf. Allem Anschein nach, konnten sie die Hinrichtung kaum noch abwarten. In ungehaltener Erregung brüllten sie und feuerten den Prozess weiter an.
 

Für Mary war dies nicht weiter von Bedeutung. Wochenlang quälte man sie in dunklen Kerkern. Sie wurde gefoltert, man verweigerte ihr die Nahrung und ließ sie in ihren eigenen Unrat verharren. Weniger machte ihr die Anwesenheit der dadurch angezogenen Ratten zu schaffen, als die nächtlichen Besuche der Wärter, die sich wie wilde Tiere über ihren gepeinigten Körper her machten und sie noch mehr verletzten. Die Geschehnisse der vergangenen Zeit machten sie hart. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu lernen den Schmerz zu ignorieren. Anfänglich betete sie. Jeden Morgen, jeden Abend und jede freie Minute, in der ihr kein Schmerz beigebracht wurde, betete sie zu ihren Herrn. Doch bat sie Gott nie darum, ihre Peiniger zu Strafen, oder ihre Schmerzen vergehen zu lassen. Sie bat ihn um Willensstärke, auch diese Misere ihres Lebens durchzustehen und stark zu sein, so wie Jesus Christus einst stark gewesen war. Sie wusste, dass sie ihr Schicksal nicht abwenden konnte und dass sie bald dem Tod in die Augen blicken würde. Letztendlich behielt sie recht. Der Henker hob sie auf einen wackeligen Holzhocker. Mary's Beine zitterten. Es kostete ihr viel Kraft stehen zu bleiben, da ihre Beine fast zersprangen vor Schmerz.

Es wunderte sie weniger, dass das einfache Volk mit soviel Begeisterung, der Hinrichtung beiwohnte. Sie selbst war oft genug Zeuge, eines solchen Vorganges. Wie im Blutrausch, feuerten Männer und Frauen, ja selbst Kinder die Scharfrichter an. Nie war ihnen ein Strick gut genug geknüpft, nie ein Beil perfekt geschärft. Sie gierten danach, einen anderen Menschen leiden zu sehen. Meistens tummelten sich in den vorderen Reihen der Massen die schaulustigsten Leute. Obgleich sie sich vor den Körperflüssigkeiten anderer ekelten, sobald sie das Blut sahen, jubelte die Menge ungehalten auf. Mit großer Begeisterung sprangen und kreischten sie, wenn das Beil des Henkers, auf den Kopf eines Mannes niedersauste und ihnen das noch warme Blut aus seinem kopflosen Körper auf ihre Leiber spritzte. Ähnlich war es bei den Dieben, denen man die Hände abhackte oder anderen Verbrechern, die ihr Leben am Galgen lassen mussten. In vielen Fällen brach das Genick, und der Unglückliche bepinkelte sich selbst. Auch dies entlockte dem Volke Gelächter, als würden sie den Strangulierten demütigen wollen, wenngleich ihn dies nicht mehr interessierte. Zu allen Übel musste Mary feststellen, dass auch die Mönche des hiesigen Klosters voller ungehaltener Freude das Geschehen beobachteten. Mit zitternder Aufregungen fieberten sie dem lauten Knacken entgegen, wenn das Genick eines Menschen bricht. Mary verspürte nur Abscheu. Die Geilheit und Sensationslust, die sie in den Augen und Gesichtern der Mönche sah, machte sie Krank. Sie ergötzen sich am Leid der anderen und können es kaum erwarten, wenn ein Mensch gerichtet wird. War das etwa gut und gottesfürchtig? Männer die von der Liebe und vom Leid Jesu sprechen, verhalten sich nicht besser als blutrünstige Tiere. Sie verzog den Mund zu einem verkümmerten Lächeln, auch wenn sich ihr Magen vor Schmerz zusammen zog. Tags zuvor übte man an ihr eine Foltermethode, die aus Schottland stammte. Man schnitt ihr die Mundwinkel an und brachte sie zum schreien, dazu, ihren Mund weit aufzutun, damit die Haut die eingeritzt war, aufriss. Sie wusste schon im Vorfeld, was sie sich von der schmerzhaften Verstümmlung erhofften, sodass sie sich eher die Zunge blutig biss, als auch nur den Mund soweit zu öffnen, dass die Haut im Stande war, bis zu den Ohren hinauf zu reißen. Nichtsdestotrotz schmerzten ihre Lippe. Ihre Zunge hingegen war Taub.
 

"Habt ihr noch irgendetwas zu sagen?" Fragte Harrold mit Bestimmtheit. Gewöhnlich beschwörten die Verurteilten ihre Unschuld, oder sprachen ein letztes Gebet. In den wenigsten Fällen richteten sie sich nochmals an die Hinterbliebenen. Mary zögerte, was könnte sie nur sagen? Sie sah müde in den Himmel, als wartete sie auf ein Zeichen. Kein Schmerz der Welt konnte sie dazu bringen, die Existenz und die große Liebe ihres Gottes in Frage zu stellen. Dennoch erfüllte sie diese Unchristlichkeit der Mönche mit soviel Hass und Ekel, dass sie ihnen am liebsten allesamt ins Gesicht gespuckt hätte. Es behagte ihr ganz und gar nicht um Vergebung ihrer Sünden zu beten. Es war ihr sogar egal, in ihrem Verließ von einem Priester die Absolution zu erhalten. Die Kirche hatte in ihren Augen, mit Gott kaum etwas zu tun, außer, dass sie das Zeichen des Erlösers trägt. "Nun, wie ich sehe habt ihr nichts zu sagen." Der Graf zog die Augenbrauen hoch, seine Vermutung klang eher wie eine Fragestellung und Mary sah ihn durchdringend an. Sie öffnete ihren Blut verkrusteten Mund und sah erneut zu den Mönchen, dann zu dem Priester, der zu des Grafen Rechten saß und zum Bischof direkt daneben, der Zeugnis gegen sie abgelegt hatte. "Wenn ihr..." Ihr Atem stockte. Sie zog scharf die Luft zwischen ihren Zähnen ein. Die schreiende Meute verstummte und sah interessiert zu Mary empor. "Wenn ihr ehrliche, gute, liebevolle und rechtschaffene Christenmenschen seid," Ihre Stimme wurde ungewollt lauter und ausdrucksstarker. Ihr müder Blick verfinsterte sich, "die an Gottes Wort glauben, danach leben und dies auch Predigen, so bin ich lieber Satans Hure, als so zu enden wir ihr!" Unendlicher Hass sprach aus der geschändeten Frau. Sie spuckte einen der Mönche der vor ihr stand direkt ins Gesicht. Empörung machte sich über die Menge breit und der beschmutzte Mönch konnte kaum glauben, wie ihn Geschah. Wutentbrannt wischte er sich mit den Ärmel seiner kratzigen Kutte übers Gesicht. Die Gesichter des Priesters und des Bischofs erblassten. Einzig und allein der Graf schien amüsiert zu sein. Er nickte den Henker zu, und dieser zog den Hocker sogleich unter den zitternden Füßen der Frau weg. Wie erwartet vernahmen die Menschen das heftige Knacken des Genicks. Doch auf die Verfärbung des Stoffes in Mary's Schoß, mussten sie verzichten. Von der anfänglichen Euphorie, war allerdings nicht mehr viel zu merken. Mary's Worte tobten noch immer in ihren Ohren. Es war, als fühlten sie sich ihrer niederen Laster ertappt, auch wenn diese Frau dort eine Hexe war, so hatte sie die Menge doch zum grübeln gebracht. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie sich eigentlich an den Klerus gewandt hatte. Der Priester bekreuzigte sich aufgelöst und lehnte sich in den hölzernen Stuhl zurück. Erleichtert tat ihn dies der Bischof gleich, denn ab jetzt, würde niemand mehr ihren heiligen Auftrag im Wege stehen.



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