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Die Spur in der Asche

von

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Der Mörder, der mit Asche malt

„Morgen, Anna, wie geht’s dir heute?“

George Solomon reichte mir einen Kaffee und sah mich mit dem treuherzigen Blick eines Welpen an, der es gerade zum ersten Mal geschafft hatte, einen Ball zu apportieren. Ich seufzte.

„Wie soll es mir schon gehen? Zwei Morde, keine Spur vom Killer und Black macht mir gewaltigen Druck. Er war sowieso schon unsicher, ob der Fall nicht eine Nummer zu groß für mich war, aber weil Jodie sich für mich eingesetzt hat und ich diesen Irren, der in New York reihenweise Kinder abgeschlachtet hat, fassen konnte, hat er mir eine Chance gegeben.“ Die ich bisher nicht genutzt habe. Mit einem weiteren resignierten Seufzer lehnte ich mich gegen den Schreibtisch und trank einen großen Schluck des viel zu starken braunen Gebräus. Mir kam es gerade recht.

„Du meinst Pantomime?“

Beim Klang des Namens, mit dem ich so viel Schrecken und Schmerz verband, zuckte ich unwillkürlich zusammen. The Pantomime. So hatten die Zeitungen ihn genannt, nachdem das Gerücht umging, er würde sich als Pantomime schminken, um auf diese Weise Kinder anzulocken, sie dann entführen und ihnen mit bloßer Hand das Genick brechen, wieder und wieder. Ich erschauderte ob der Erinnerung. Als wir ihn gefasst hatten, hatte er sich gerade darauf vorbereitet, seine nächste Tat zu begehen, dem nächsten Kind den Kragen umzudrehen, weil es unartig war, wie er es ausdrückte. Und unartigen Kindern bricht man das Genick. Auch für diese perverse Tat hatte er sich damals geschminkt und ich, die mit ihrer Waffe auf ihn gezielt hatte, während meine Kollegen ihn festgenommen hatten, würde niemals dieses kranke Lächeln unter der ausdruckslosen weißen Schminke vergessen, diese perfide Überzeugung von seinen Idealen, von seinem Plan, als wäre er erleuchtet worden und wir würden im Dunkeln tappen. Ich tue nur Gutes, ich bestrafe böse Kinder. Ich hatte wirklich gehofft nie wieder über Pantomime nachdenken zu müssen, aber wie es aussah, war tatsächlich etwas Wahres daran, dass einen die Vergangenheit immer einholte, solange man nicht mir ihr abschließen und seinen Frieden finden konnte.

„Danke für den Kaffee.“

Einen Moment lang trafen sich Georges und mein Blick und ich hatte beinahe Angst, er würde was Pantomime anging nachhaken, eine Antwort verlangen – doch in diesem Augenblick betrat Black zusammen mit Jodie den Raum. Sie schenkte mir ein offenes Lächeln, schwieg aber, da Black mir bedeutete, ihnen zu folgen.

„Der Friede sei mit dir!“

Bevor ich zusammen mit den beiden verschwand, drehte ich mich noch einmal um und versuchte hastig meine Irritation unter einem freundlichen Lächeln zu verbergen.

„George, du musst endlich aufhören, dir dauernd Star Trek anzusehen!“

„Äh, aber da heißt es „lebe lang und in Frieden“, Anna.“

Die Tür fiel mit einem leisen Klicken hinter uns ins Schloss, bevor ich etwas erwidern konnte.
 

„Es gibt einige Erkenntnisse zum neusten Fall.“

Ich hob die Augenbrauen. „Tatsächlich? Warum bin ich nicht sofort informiert worden?“ Es ärgerte mich ein bisschen, dass ich trotz meiner hohen Position, was diesen Sachverhalt anging, dennoch nicht alle Fäden in der Hand zu halten schien. Da ich gerade mal Mitte Zwanzig war, war ich noch nicht sehr lange beim FBI und es gab immer viele Neider, die sich nur zu gerne in den Vordergrund drängten. Selbst James Black, einem Mann, der sonst solche Machtspielchen verabscheute, da sie die Ermittlungen behinderten, wäre es diesmal lieber gewesen, ich wäre einfach abgetreten. Aber diesen Erfolg wollte ich niemanden hier gönnen. Ich wollte beweisen, dass ich es drauf hatte, dass der Fall mit Pantomime kein Anfängerglück gewesen war, ich, Annabell Myers, wollte ihnen endlich beweisen wozu ich fähig war.
 

„Hören Sie zu?“

Ich blinzelte. „Verzeihen Sie, ich…“ Okay, Anna, bevor wir uns ins Geschehen stürzen, wäre zuhören doch keine schlechte Option, oder? Oh mein Gott, hör auf, dich lächerlich zu machen!

Black räusperte sich missbilligend. „Ich sagte, sie haben etwas gefunden, was vom Täter stammen könnte. Anscheinend ist es bislang nicht aufgefallen, aber ganz dem Klischee nach, scheint der Täter es irgendwie geschafft zu haben zum Tatort zurückzukehren und eine Spur zu hinterlassen.“

Jodie und ich wechselten einen überraschten Blick. „Wie das?“

„Nun, die Leute von der Spurensicherung haben vor kurzem etwas entdeckt, was noch nicht da war, als die Leichen, oder viel mehr ihre verkohlten Überreste geborgen wurde. Anscheinend hat der Täter ein asiatisches Zeichen mithilfe der Asche der verbrannten Leichenteile und der Bereiche des Hauses, die vollständig ausgebrannt sind, am Boden aufgemalt.“

„Und… was bedeutet es?“ In meinem Kopf ratterte es. War er womöglich Asiate? Was trieb ihn dazu diese Morde zu begehen? Irgendeine Sekte? Aber es sah mehr wie die Tat eines Einzelnen aus, zumal es zu dieser Zeit auch keine vergleichbaren Fälle oder Aufzeichnungen darüber gab. Wurde von irgendeiner Gruppe im asiatischen Raum das Feuer verehrt?

Zu viele Fragen und keine Antworten. So war es leider meistens mit neuen Informationen…

Black machte eine wirkungsvolle Pause.

„Bei dem Zeichen handelt es sich um ein Kanji, dessen Bedeutung Salamander lautet.Während wir uns damit näher befassen sollten, sind gerade ein paar Leute vor Ort und befragen potenzielle Zeugen. Immerhin hat der Täter es trotz der Sicherheitsvorkehrungen irgendwie an den Tatort geschafft.“

Salamander. Noch mehr Fragen.

„Sind Sie sich sicher? Immerhin haben diese Zeichen doch mehrere Bedeutungen?“ Ich war mir hier nicht ganz sicher, aber ich meinte mich zu erinnern, Jodie, die oft in Japan war, da ihr Fachgebiet Auslandseinsätze waren, sofern sie benötigt wurden, hätte mir einmal davon erzählt.

Sie war es nun auch, die sich einmischte. „In der Tat, allerdings habe ich es bereits überprüft. Die anderen Bedeutungen lauten „weiblicher Wal“, „kleiner Fisch“, oder „alte Zähne“.“

„Was ist dann die richtige Bedeutung?“

Ich rümpfte die Nase. „Naja, ein Killer würde sich wohl kaum „weiblicher Wal“ oder „alte Zähne“ nennen, es muss fast Salamander sein!“

„Niemand sagt, dass das Zeichen für den Mörder stehen muss.“, erwiderte Black kopfschüttelnd und fuhr sich durch das bereits ergraute Haar.

„Oder dass nur eine Bedeutung vorliegt und keine Doppeldeutigkeit.“ Jodie rückte ihre Brille zurecht und blickte mich entschuldigend an.

“Hmm, da haben Sie natürlich Recht, aber ich glaube mit Salamander sind wir auf der richtigen Spur.“ Ich wusste selbst nicht warum, aber der Begriff des Salamanders zog mich nahezu magisch an, aus irgendeinem Grund waren alle anderen Möglichkeiten mit einem Schlag vom Tisch für mich, es war fast, als könnte ich den Killer irgendwie spüren, als hätte ich seinen heißen Atem im Nacken und seine eiskalte Stimme, die flüsterte Salamander…

„Na schön, dann beginnen Sie damit. Ich schlage Folgendes vor.“ Black unterdrückte ein resigniertes Seufzen und blätterte kurz in einer der Akten, die vor ihm auf dem Tisch lagen und alle wichtigen Daten zu der aktuellen Mordserie enthielten. „Durch das Zeichen ist es sehr wahrscheinlich, dass wir einen Asiaten, also einen Japaner oder einen Chinesen suchen, da Kanji ursprünglich chinesische Zeichen sind, aber in Japan mit anderen Lesungen verwendet werden. Des Weiteren sollten wir uns umgehen mit allen Arten von Salamandern befassen, jeder Hinweis auf eine Legende, besonders im asiatischen Raum oder sonst irgendwelche Verbindungen zu den Taten könnten nützlich sein.“ Black rückte seine Brille zurecht und schob mir einen Stapel Akten zu. „Ich möchte, dass Sie sich das ansehen, immerhin sind Sie die leitende Ermittlerin. Sobald sie Ergebnisse vorzuweisen haben, berufen sie bitte eine Versammlung mit allen wichtigen, mit diesem Fall betrauten Leuten ein.“
 

Wir verabschiedeten uns. Während Black zu seinem Büro ging, machten Jodie und ich uns auf den Weg zu meinem, das lediglich durch eine leicht milchige Glaswand von den Arbeitsplätzen der anderen abgetrennt war. Ärgerlich stellte ich fest, dass mein Kaffee mittlerweile kalt war, aber immerhin war George so nett gewesen, ihn extra in mein Büro zu bringen, nachdem ich ihn an seinem Tisch vergessen hatte.

„Er mag dich, oder?“

Ich sah sie überrascht an und blinzelte. „Wer?“

Sie lachte und boxte mich in die Seite, wodurch der kalte Kaffee ein wenig überschwappte, aber wir ignorierten es beide.

„Na George. Merkst du nicht, wie er dich immer ansieht? Ihr solltet wirklich mal Essen gehen.“

„Ich halte nichts von Beziehungen am Arbeitsplatz.“ Eilig fummelte ich ein Taschentuch aus meiner Handtasche und begann damit, den Kaffee sorgfältig aufzuwischen, um nicht weiter mit dem Thema konfrontiert zu werden. In meinem Liebesleben sah es ähnlich wie in der aktuellen Mordserie aus – verworren und düster mit pessimistischen Aussichten auf die Zukunft.

„Ach komm schon, er ist doch ganz süß, oder?“ Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Ein bisschen tollpatschig vielleicht und er hat eine ziemlich lange Leitung, aber ich würde ihn nicht von der Bettkante stoßen.“

Ich sah sie stirnrunzelnd an und warf das Taschentuch in den Mülleimer, der dringend mal wieder ausgeleert werden sollte. „Ach ja und was sagt dein Loverboy dazu?“

Diesmal klang ihr Lachen etwas verlegen und gekünstelt. Ich grinste.

„Ach der.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir sind nur Kollegen.“

„Genau wie George und ich.“

„Pff, na gut.“ Gespielt schnippisch ging Jodie zur Tür. Diese Schlacht hatte ich schon einmal gewonnen. Bevor sie den winzigen, leicht unaufgeräumten Raum verließ, drehte sie sich noch einmal um. „Ich mache uns zwei neue Kaffee und dann fangen wir an, ja? Ich bin sicher, du schaffst das, Anna, dieser Salamander oder wie auch immer er heißen mag, kann sich warm anziehen, wenn er dich als Gegnerin hat.“

Dann war sie verschwunden und ließ mich fürs erste allein mit all den tausend Fragen, die mir dieser Fall auferlegt hatte.

Was für ein leichtes Spiel. Zufrieden lehnte er sich zurück und betrachtete die Wolken, die in harmonischem Gleichklang mit dem Blau des Himmels vorbeizogen. Was für ein wundervoller Tag. Es fiel ihm leicht, sich seine Gegner wie kleine Tauben vorzustellen, schmutzig-weiß gefiederte Ratten, die ziellos umherschwirren und nicht ahnen, dass der scharfäugige Habicht sie beobachtet. Ratten der Lüfte. Arme, kleine, blinde Vögel. Am liebsten hätte er laut gelacht, doch er verkniff es sich und blickte stattdessen weiter nach draußen. Er mochte die Natur. Im Vergleich zum regen, gehetzten Treiben in der Stadt oder in Gebäuden, entspannte ihn das. Ruhe und Frieden konnten so eine Wohltat sein, zumindest, bis es wieder brannte. Er nannte diese Zeit gerne die Ruhe vor dem Sturm und liebte sie, nicht so sehr wie den großen Knall, der folgen sollte, aber er genoss sie. Er mochte sie, weil sie zum Spiel gehörte und das Spiel so makellos war, es einen friedlichen, in sich harmonischen Kreislauf darstellte. Yin und Yang, Wasser und Feuer. Zufrieden lächelnd blickte er auf ein schlichtes Zeichen, das vor ihm auf einem in schmuckloser Eleganz auf einem Blatt Papier geschrieben stand. Salamander. Bald schon würde es erneut brennen.



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