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Stay

Joker x Snake
von

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Stay with me

Kalt war die Luft in London und die grauen Wolken zogen unheilvoll über die englische Stadt, schienen sich jedoch nicht dazu herablassen zu wollen endlich ihre geballte Macht über der Hauptstadt des Königreichs zu präsentieren, sodass es bei einer reglosen Zurschaustellung blieb.

Bereits der Großteil der Bevölkerung hatte in ihren Behausungen und unter Dächern Schutz vor dem nahenden Unwetter gesucht und wartete nun mit bangen Gemütern auf die ersten Tropfen, die Blitze und den Donner, den es unweigerlich geben würde. Die Sonne war bereits lange vor diesem Schlechtwetter geflüchtet, sodass es schien als hätte sich ein dunkler, grauer Schleier über die Umgebung gelegt.
 

Inmitten der allgemeinen Unruhe und der verlassenen Straßen war trotz des starken Windes und dieser Ankündigung von Regenschauern irgendwo in Londons verwinkelten Gassen eine schmale Gestalt zu sehen.

Sie bewegte sich für die Augen von Außenstehenden zielstrebig und bestimmt, schien genau zu wissen wo sie hinwollte und zögerte an keiner einzigen Kreuzung oder Straßenbiegung. Hin und wieder wurden ihr von den in den Häusern verbarrikadierten Einwohnern eine Warnung fast schon zugeschrien, dass sie sich doch besser in eines der umliegenden Gasthäuser oder Schenken begeben und warten solle, bis das Unwetter vorbei sei, doch entweder verstand der Fremde sie offensichtlich nicht oder zog es einfach vor nicht zu antworten.
 

*~*~*~*
 

Ungerührt ignorierte Snake die alte Dame, die ihm aus einem der unzähligen Fenster eines Reihenhauses etwas zurief und setzte seinen Weg verbissen fort.

Für ihn gab es im Moment nur eine Sache, die seine Gedanken völlig für sich beanspruchte – die erste Riege des Zirkus zu finden. Er hatte zwar keine Ahnung, wie er das bewältigen sollte aber seine Sinne sagten ihm, dass sie sich immer noch irgendwo in London aufhalten mussten. Seine Schlangen hatte er bei seiner Suchaktion im Zirkus zurückgelassen – sie hassten Unwetter.

Nichts um ihn berührte ihn, weder die eisige Kälte, die langsam in seine Glieder kroch, noch die Leute, die vor ihm zurückschreckten und sich nun noch schneller auf den Weg nach Hause machten. Nur sein Ziel beschäftigte ihn und nichts anderes hatte in seinem Kopf mehr Platz. Es war ihm das größte Anliegen im Moment und gerne hätte er alles dafür getan sie wieder bei sich zu haben. Er hatte es zwar nie laut ausgesprochen aber es stimmte und er war selbst überrascht gewesen als er es sich eingestanden hatte. Seine Kollegen waren für ihn tatsächlich seine Familie geworden, es waren nicht nur leere Worte gewesen, als sie das gesagt hatten. Das wusste er nun. Sie hatten ihn, trotz seines Aussehens, als eine Art Familienmitglied betrachtet und auch so behandelt.
 

Umso größer war der Schmerz darüber, dass sie einfach so verschwunden waren. Er spürte wie ihm schon allein der Gedanke daran das Herz zusammenzog und er runzelte die Stirn über diese ungewohnten Gefühle. Ob gut oder nicht, sie waren noch neu für ihn. Nun doch fröstelnd zog er sich seinen Umhang fester um die Schultern und setzte seinen Weg immer noch unbeirrt fort. Natürlich wusste er, dass es lange dauern konnte, bis er die Anderen in der großen Stadt London gefunden haben würde, er war nicht dumm.

Aber trotzdem ertappte er sich dabei, dass er sich bei jeder Häuserecke, die er passierte, bei jeder neuen Straße vorstellte und wünschte er würde vielleicht in sie hineinlaufen oder sie vielleicht irgendwo in einem Wirtshaus sitzen, trinken und lachen sehen. Sie hatten immer so viel gelacht. Auch bei jedem Schaufenster an dem er vorbeikam, vollkommen gleich welches Geschäft, kam er nicht umhin hineinzusehen um vielleicht doch irgendwo Daggers bunte Aufmachung oder den übergroßen Jumbo zu entdecken.

Aber das war alles nur Wunschdenken.
 

Mit einem Stich in seiner Magengegend dachte er nun auch an Joker, dem inoffiziellen Inhaber des Zirkus und demjenigen, dem die meiste Trauer galt.

Er, Snake, hatte schon oft mit Joker sprechen wollen, aber immer hatte er entweder kein Wort herausgebracht oder es war etwas dazwischengekommen. Was er dem Rothaarigen hatte er sagen wollen hatte er auch nie ganz gewusst, aber dass es etwas gegeben hatte war unbestreitbar gewesen. Nun hatte er auch eine ungefähre Ahnung, was es gewesen war.

Plötzlich verlangsamte er seine Schritte, bis sie gänzlich verklungen waren. Nun war bereits der erste Donner zu hören und er war der Letzte auf den Straßen der Großstadt, doch das kümmerte ihn herzlich wenig.
 

Mit einem plötzlichen Zittern in der Unterlippe erinnerte er sich an seine Gespräche mit Joker, zumindest an die, die es hätten werden sollen.
 

Es war kurz nach der letzten abendlichen Vorstellung und alle waren auf dem Weg zu ihren Zelten. Joker bildete da keine Ausnahme. Gerade als er unter dem schwachen Licht der Laternen nach dem Stoff seines Zeltes greifen und ihn beiseite ziehen wollte hörte er eine leise Stimme.

„Ich möchte mit dir reden…sagt Emily.“

Überrascht ließ er die Plane los und drehte sich um. Hinter ihm stand Snake - nicht, dass er das nicht schon gewusst hatte. Erwartungsvoll zog er die Augenbrauen nach oben. „Ja?“ Es interessierte ihn brennend, warum der Schlangenmann ihn so spät noch aufsuchte. Mit wachsendem Interesse an der Begründung bemerkte er, wie sein Gegenüber nervös auf der Unterlippe herumkaute. „Haste Probleme mit irgendwas?“ Für Joker zumindest die einzig logische Erklärung.

„Nicht direkt…sagt Emily.“ Die Antwort kam leise und der Antwortgeber ließ seinen Blick unruhig auf dem Boden herumwandern, fast als suche er etwas. Mehr brachte Snake offensichtlich nicht über die Lippen und Joker wurde zunehmend verwirrter. Es war inzwischen wirklich spät und er war müde also wollte er es lieber bei einer entschuldigenden Antwort belassen. Zu mehr war er heute nicht mehr fähig und außerdem hatte er irgendwie schon im Gefühl, dass dies ein längeres Gespräch werden würde. „Reden wir morgen darüber, ja?“ Auf ein zaghaftes Nicken von Snake schenkte ihm Joker zum Abschied noch ein müdes Gähnen und verschwand in seinem Zelt.
 

Für Snake war es ein leichtes sich vorzustellen, was Joker wohl damals gedacht haben mochte. Irgendwie war es ihm auch peinlich, aber der andere hatte nie ein Wort darüber verloren. Am nächsten Tag hatte der Schlangenmann wieder das Gespräch mit dem Anderen gesucht und auch diesmal konnte sich Snake noch bildlich daran erinnern.
 

Joker war gerade dabei Doll bei ihrer Frisur zu helfen, doch als er Snake erblickte schickte er sie mit Anweisungen an die anderen fort und sie waren allein auf dem Zeltgelände. Irgendwie freute das den Schlangenmann, doch gleichzeitig war er auch furchtbar nervös und aufgeregt – warum genau konnte er sich selbst nicht erklären. Mit wachsendem Unmut sah er den erwartungsvollen Gesichtsausruck des anderen und hatte plötzlich das Bedürfnis sich zu übergeben.

Er wusste absolut nicht, was er Joker sagen sollte. Nur, dass er etwas sagen sollte. Mit zitternden Händen machte er sich an die ersten Erklärungsversuche. „A-also…ich…“ Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Joker war an ihn herangetreten und begutachtete ihn mit einem mitleidigen Blick. „Wenn`s dir nicht gut geht, dann sag das. Is` schon okay.“ Dankbar nahm Snake diese Ausrede an. Wobei – eigentlich war es nicht mal gelogen. Seine Beine fühlten sich tatsächlich an, als würden sie jeden Moment unter ihm nachgeben. So flüchtete er in sein Zelt und ließ Joker stehen.
 

Mit flauem Gefühl im Magen erinnerte sich Snake an diese Szene. Um zu vermeiden, dass ihm so etwas noch einmal passierte hatte er damals daraufhin beschlossen erst einmal künftig nur noch über das Nötigste mit Joker zu reden und sich darüber im klaren zu werden, was eigentlich mit ihm los war. Lange hatte er nicht suchen brauchen.
 

Snake hatte sich alleine in sein Zelt verkrochen – wenn man mal von seinen Schlangen absah. Er hatte fast den ganzen Tag damit verbracht Joker zu beobachten und dabei versucht über seine Gefühle nachzudenken. Er war Joker dankbar. Seit er und der Rest des Zirkus ihn zu sich geholt hatten ging es ihm gut. Bestens. Aber mit der Dankbarkeit allein gab er sich nicht zufrieden.

Er fand den Verwalter gutaussehend – war das normal? Er mochte dessen Geruch, die Art wie er sprach, den ungezwungenen Ton, die dunklen Augen.

Zu Joker fühlte er sich mehr hingezogen, als zu den anderen Zirkusmitgliedern. Vielleicht wie eine Art Bruder? Oder war es doch etwas anderes? Snake hatte keine Ahnung wie sich brüderliche Zuneigung anfühlte, aber er glaubte ohnehin auch damit nicht ins Schwarze getroffen zu haben. Wenn es so wäre, wäre er ihm ja nicht wichtiger als die Anderen und die waren ihren Worten und seinen Empfindungen zufolge ja auch irgendwie seine Geschwister.

Aber bei Joker war es anders.
 

Bei diesen Gedanken lächelte Snake ein bisschen, was nicht oft vorkam.

Hätte er doch damals schon gewusst, was es gewesen war. Aber es hatte eben seine Zeit gebraucht, bis er realisierte, was ihm der Tumult in seinem Bauch, der immer dann losging, wenn Joker in der Nähe war und sich angefühlt hatte als würde eine Horde Schmetterlinge untereinander einen Krieg ausfechten, sagen hatte wollen.

Es hatte noch einige Versuche gebraucht bis er es verstanden hatte. Immer noch lächelnd und den sich nähernden und lauter werdenden Donner und die noch undeutlichen Blitze ignorierend setzte er sich wieder in Bewegung und dachte dabei an die Zeit, als er sich wieder dazu entschieden hatte Joker über diese komischen körperlichen Reaktionen aufzuklären, die er in seiner Nähe empfand. Er hatte gedacht, dass dieser vielleicht wusste, was sie bedeuteten.
 

Joker kam gerade aus seinem Zelt um eine morgendliche Dusche zu nehmen, wurde jedoch prompt von Snake abgefangen.

Dieser war immer noch in Erklärungsnot und außer einem Stottern brachte er nichts Sinnvolles heraus. Joker lächelte über diese ungelenken Versuche ein Gespräch zu führen. „Kommt schon noch.“ Er wuschelte dem Schlangenmann durchs Haar bevor er seinen Weg fortsetzte. Er hatte nicht bemerkt, dass er Snake mit dieser Bemerkung vollkommen aus der Bahn geworfen hatte und dieser ihm mit großen Augen und schmaleren Pupillen denn je nachsah.
 

Nun grinste Snake regelrecht, was jedoch niemand außer dem Pflasterstein zu sehen bekam. Er hatte den Sinn von Jokers Worten erst später erfahren und daraufhin war ihm sprichwörtlich die Kinnlade heruntergefallen.

Aber Situationen wie diese hatte es noch weitere gegeben und Snake hatte sie alle in guter Erinnerung behalten. Für ihn waren sie gute Erinnerungen.

Seine liebste war ein Satz von Joker, an ihn gerichtet.
 

„Ich bin für dich da.“
 

Mittlerweile war er am Hafen angekommen. Er hatte gar nicht gemerkt, dass ihn seine Füße Richtung Wasser getragen hatten. Zu sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen. Er ließ all diese Erlebnisse Revue passieren – die guten wie die schlechten.

Dann verschwand das Lächeln.

Er war beim Tag angekommen, nur einen früher bevor die restliche erste Riege losgezogen war um die nächste Stadt auszukundschaften. An seinem letzten Gespräch mit Joker.
 

Es war still am Zeltplatz, alle schliefen oder waren zumindest schon im Bett. Nur eine Gestalt war noch putzmunter und schlich nun zwischen den Lagern der ersten Riege umher, auf der Suche nach dem Schlafplatz des Verwalters.

Er hatte mitbekommen, dass Joker verreisen wollte.
 

Es war ihm schon damals seltsam vorgekommen, dass dieser das ausgerechnet nachts tat und bereits da hatte er Verdacht geschöpft, dass ihm der Rest bald folgen würde. Als schließlich zwei Wochen vergangen waren, in denen sie nicht mehr aufgetaucht waren, obwohl sie beteuert hatten bloß einen Abend lang zu fehlen, war er in seinen Befürchtungen bestätigt worden.
 

„Du gehst weg?…fragt Oscar.“

Joker fuhr herum und wirkte ehrlich überrascht, was sich jedoch schnell legte, wie Snake feststellte. Er hatte nur kurz überlegt ob er zu Joker gehen sollte, bevor dieser abreiste. Einerseits drängte ihn sein Bauchgefühl ihn noch einmal zu sehen, andererseits hatte er nun das altbekannte Problem – was sagen? Gute Reise? Das würde irgendwie seltsam klingen.

„Ja, aber nur für ein paar Tage.“ Daraufhin drehte er dem Schlangenmann wieder den Rücken zu und fuhr fort seine Sachen zu packen. Nicht, dass dieser sich so leicht abspeisen ließ.
 

Nun wandte Snake sich dem Horizont zu, der sich weit über dem Wasser erstreckte. Laut preschten die Wellen gegen die Böschung und die dunklen Wolken färbten es zu einem aschfarbenen Gebräu. Das Unwetter war nun schon fast über London und es war nur noch eine Frage der Zeit bis es beginnen würde zu regnen. Doch trotz der dichten grauen Wolken, trotz des um sich peitschenden Windes konnte Snake direkt über der Stelle, an der das Meer unendlich schien, eine kleine Linie orangerosa Wolken ausmachen. Das Wetter würde sich bald wieder wenden.

Es tat fast schon weh sich an dieses Gespräch zwischen ihnen zu erinnern.
 

„Für wie lange genau?...fragt Webster.“ Die Antwort interessierte Snake wirklich. Allerdings schien Joker nicht unbedingt gewillt sie ihm zu geben. Nun war er einmal der Nervöse. „Weißt du Snake…“

Plötzlich schien ein Ruck zu seinen Körper zu gehen und seine Miene verhärtete sich. Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehte er sich um. „Warum interessiert dich das eigentlich?“ Snake zerfloss unter dem harten Blick aus diesen fliederfarbenen Augen regelrecht. Was sollte er darauf schon sagen? „Darf ich nicht?...fragt Webster.“ „Es geht dich nichts an.“
 

Snakes Augen verengten sich als er an diese Antwort zurückdachte. Es hatte damals wirklich weh getan dies aus Jokers Mund zu hören.
 

„Und überhaupt. Warum kommst du ständig zu mir? Was willst du von mir?“ Snake war damals bei diesen Worten regelrecht zurückgezuckt, sie hatten gesessen. Doch immer noch blieb er stumm, wusste nichts zu sagen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ja, warum eigentlich?
 

Joker war noch nicht fertig gewesen.

Plötzlich fühlte Snake etwas Nasses an seinen Wangen entlang rannen. Zuerst dachte er es wären die ersten Regentropfen gewesen, doch es war schnell klar, dass es keine waren. Regen schmeckte nicht salzig, wenn er in die Mundwinkel kam. „Ich…“
 

„Die ganze Zeit kommst zu mir und willst mir irgendetwas sagen, kriegst aber keinen Ton über die Lippen! Was soll das?!“

Er schien ernsthaft wütend und Snake war nur umso verschreckter. Er wusste nicht mit dieser neuen Situation umzugehen. „Jetzt sag etwas oder hau ab!
 

Inzwischen hatte es wirklich begonnen zu regnen und Snake wusste nicht mehr wie viel an Tropfen und was an Tränen sein Gesicht herunter rann. Es war wohl ohnehin beides. Das schwarze Wasser peitschte gegen die Steinküste als wolle es ihm die Emotionen, die er und Joker damals ausgetauscht hatten, dem Schlangenmann nun noch einmal vor Augen führen.
 

„Stört es dich denn so sehr?...fragt Oscar.“ Die Frage war sehr leise gewesen, doch Joker hatte sie gut gehört. Er lächelte traurig bevor er sich wieder umdrehte um die Tasche zu verschnüren. „Ja.“ Eine längere Antwort gab es nicht.

„Eh?“ Selbst in seinen schlimmsten Befürchtungen hatte Snake nicht damit gerechnet, dass er den Anderen störte, indem er ihn nur ansprach und sah Joker nun mit vor Überraschung geweiteten Augen an. Sicher, er hatte es oft getan, aber trotzdem wäre er nie auf die Idee gekommen, dass er Joker damit ernsthaft nervte. Er hatte nie den Anschein geweckt, dass es so wäre. Wie konnte er das nur nicht bemerkt haben?
 

Trotz der Tränen in seinen Augen und der Trauer, die ihn geradezu überfluten zu schien, rang sich Snake ein Lächeln ab. Er war damals so naiv gewesen.
 

„Tja, du verstehst es eben nicht.“ Die Worte waren kalt, geradezu verachtend gewesen. Nicht mal angesehen hatte er Snake. Es hatte so weh getan.
 

Ein Schluchzen stahl sich aus der Kehle des Schlangenmannes.
 

„Geh einfach.“
 

Aus dem einen Schluchzen wurden mehrere. Der Regen prasselte unbarmherzig auf ihn ein, durchnässte seine Kleidung. Grellweiße Blitze zuckten über den Himmel, der Donner folgte unmittelbar und der Wind zehrte an seinem Haar. Seine Wangen waren inzwischen ein einziger Fluss an Regen und Tränen. Snake hielt sich den Kopf. Er schien zu explodieren. Der Schmerz nahm ihm den Atem. Es tat ihm alles so weh.
 

„Verschwinde. Ich will dich nicht mehr sehen.“
 

Die kalten Worte hatten damals Erinnerungen in ihn wachgerufen. Aber solche, die er hatte verdrängen wollen. Die Leute, die seine Erscheinung so abstoßend fanden…der Mann, der ihn in einem Käfig gehalten hatte…sie alle hatten auch so mit ihm geredet.

In diesem Moment war Joker so unwirklich weit weg erschienen.
 

Obwohl er das Gefühl hatte, das Herz wäre ihm aus der Brust gerissen worden, er das Bedürfnis hatte zu schreien, zu weinen, irgendwo hineinzuschlagen – er blieb ganz ruhig.

Ein langsames Nicken, auch wenn Joker das nicht sehen konnte und Snake wandte sich dann selbst um. Er wollte hier nur noch heraus. „Du hast recht…ich verstehe dein Problem…sagt Oscar…leb wohl…“ Seine Worte waren unverbindlich und zu guter letzt beinahe lautlos hervorgebracht, dann verließ er das Zelt. Ein leises Flüstern begleitete ihn noch. „Es ist okay, wenn du mich hasst…“ Snake wusste nicht ob das für seine Ohren bestimmt gewesen war oder nicht, er ignorierte es. Joker hassen? Schön wär`s. Doch dafür war er schon viel zu verliebt. Er rannte beinahe, bloß um endlich in sein eigenes Zelt zu kommen. Dort angekommen herrschte erst einen Augenblick Stille – dann brach Snake sprichwörtlich in sich zusammen.
 

Ähnlich seinem Anfall jetzt, nur noch etwas schlimmer.

Es war das letzte Mal gewesen, dass er Joker gesehen hatte. Wie er gedacht hatte waren weder er noch die Anderen im ausgemachten Zeitraum zurückgekehrt. Das war das Schlimmste für ihn. Er hatte Joker gehen lassen ohne ihm zu sagen, wie er fühlte. Inzwischen war er sich auch sicher über das Stadion der Verliebtheit längst hinaus zu sein. Er hätte es ihm sagen müssen.

Bei diesem Gedanken, der so plötzlich, so unerwartet kam ließen endgültig seine Kräfte nach und er sank kraftlos auf die Knie. Er wollte ihn bei sich haben, ihn berühren, ihm alles sagen, alles was sich in ihm zusammen gestaut hatte. Und er konnte es nicht mehr.

Er gab sich die Schuld daran, dass seine Freunde gegangen waren und ihn hier allein gelassen hatten. Er gab sich die Schuld daran, dass Joker weg war. Er gab sich an alldem die Schuld. Manchmal spukte da so ein Gedanke in seinem Kopf herum, meistens tat er ihn als reines Wunschdenken und Blödsinn aber hin und wieder gab es Momente, in denen er es glauben wollte.

Vielleicht, wenn er es Joker gesagt hätte…vielleicht wäre er dann noch bei ihm.

Wenn Joker nicht gegangen wären, dann die Anderen bestimmt auch nicht.

Er wusste, dass dieses „Was wäre wenn…“ nichts brachte, aber anders wusste er sich nicht zu helfen. Er fühlte sich so einsam. Fest schlug er ungehemmt mit den Fäusten auf den Steinboden, Wind sowie Regen immer noch um ihn und auf ihm und begann laut etwas zu rufen, fast wie ein Mantra.

„Bleib bei mir… Bleib bei mir! Bleib bei mir!“
 

Der Schmer, der seine Knöchel durchflutete war nichts im Vergleich zu seinem Herzen. Er hatte alles verloren. Alles, was er sich immer erträumt hatte.

Irgendwann versagte ihm die Stimme und er begnügte sich damit zu schluchzen und zu husten, denn der Hals tat ihm nun ungemein weh. Höchstwahrscheinlich würde er eine Erkältung bekommen oder Schlimmeres, aber das war ihm alles egal. Ohne seine Familie war alles egal.

Irgendwann sah er ein, dass es nicht brachte auf dem Boden zu sitzen und in Selbstmitleid zu versinken, also stand er etwas steif wieder auf und starrte dafür hilflos und mit leeren Augen erneut auf den Horizont. Die pfirsichfarbenen Wolken kamen wieder näher - und mit ihnen die Sonne. Trotzdem würde es noch eine ganze Weile dauern bis der Regen aufhören würde. Immer noch wusste Snake nicht ob er noch weinte oder dies bloß Regentropfen waren. Ein Schluchzen löste sich wieder aus seiner Kehle und er entschied sich für Ersteres. Der Wind fegte plötzlich wahnsinnig stark über sie hinweg und riss an seinem Umhang. Er konnte ihn gerade noch festhalten, stolperte dabei nach vorne und wäre fast auf die Knie gefallen.
 

„Sagst du es mir jetzt?“
 

Schon lag er wieder am Boden.

Es war, als gefriere sein Blut zu Eis.

Alle seine Sinne hatten sich auf diese leisen Worte konzentriert, diese dahin gemurmelte Frage und alles in ihm sträubte sich dagegen das zu glauben.

Das konnte doch nicht…Nein! Das war doch unmöglich! Das war doch… Oder vielleicht doch…? War es tatsächlich diese Stimme gewesen, die er aus tausenden heraushören würde?

Die ihn nachts bis in seine Träume verfolgt hatte?

Langsam richtet er sich auf und drehte sich um – sein Herz setzte beinahe einen Schlag aus.

Er hatte es sich nicht eingebildet. Er war hier! [style type="italic"]Er war da![/style] ER!
 

Joker stand tatsächlich kaum drei Meter von Snake entfernt. Selbst absolut durchnässt, die Haare vollkommen durcheinander und trotzdem mit einem Lächeln im Gesicht, als wäre das Wetter das Schönste von allen. Erwartungsvoll, fast flehend war sein Ausdruck.

Wie auf ein lautloses Kommando hörte auch gleichzeitig der Regen auf.

Snake brachte kein Wort heraus, zu unwirklich erschien ihm der Moment. Zu unreal die Vorstellung, dass Joker tatsächlich hier war. Es war wie ein Traum.

Wie lange er wohl schon dort stand? Hatte er Snakes Zusammenbruch mitbekommen? Hatte er alles gehört und gesehen? Er schien nicht außer Atem zu sein. Das Meerwasser hatte sich noch nicht beruhigt, so als wolle es Snake nun regelrecht dazu zwingen, endlich die erlösenden Worte loszuwerden, die ihm seit Wochen, seit Monaten auf der Zunge lagen..

Er schluckte. Was sollte er jetzt tun? Immerhin hatte er die perfekte Chance für ein Geständnis seiner Gefühle. Hatte er nicht vorher gerade erst regelrecht darum gebettelt? Aber nun, in der Praxis, war da wieder diese unglaubliche Nervosität und außerdem…ach, verdammt noch mal! Das würde er doch hinbekommen!

„[style type="italic"]Sag es[/style]!“

Jokers Gesichtsausdruck war nun eindringlicher, fast schon drängend. Wie ein Peitschenknall hallte die Aufforderung, oder eher der Befehl zum Schlangenmann hinüber. Dieser fasste sich, angetrieben durch den plötzlichen Mut der in ihm aufkam, ein Herz.
 

„Bleib bei mir.“ Er hatte mehr zur Erde gesprochen als zu Joker, hob nun jedoch den Kopf. „Bitte.“

Jetzt hatte er es gesagt. Kurz war es vollkommen still, die Zeit hielt an, nicht ein Lüftchen rührte sich mehr. Dann veränderte sich das Lächeln von Joker – gewann an Herzlichkeit und Liebe, wurde obendrein in genau diesem Moment vom rosaorangen Licht der neuen Wolken, die den Regen vertrieben, angestrahlt.

Wie ein Engel, wunderschön und der Erlöser selbst, wirkte er einfach nur glücklich. Da war kein Geheimnis, da war keine dunkle Seite – da war nur Joker selbst.

In diesem Moment wusste Snake, dass er das einzig Richtige getan hatte und auch sein Gesicht zierte ein Lächeln, befreiter und glücklicher als je zuvor.. Der Zirkusverwalter kam langsam auf ihn zu und kniete sich neben ihn. Dann strich er ihm mit den Händen über die nassen Wangen, mit den Skelettfingern eine Haarsträhne hinter das Ohr des Schlangenmannes. „Wegen mir darfst du doch nicht weinen…“
 

Hätte der doch nur schon früher gewusst mit welch schmerzverzerrter Miene Joker diese Worte damals ausgestoßen hatte, die Snake so weh taten.
 

„Endlich hast du es gesagt.“, flüsterte er nun und schloss die Augen. Snake legte seine Hand auf Jokers und lächelte, befreit und mit dem Gefühl er könne Berge versetzen, solange nur dieser wunderbare Mensch bei ihm war.
 

„Lass mich nie wieder allein.“
 


 

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Mögen es mir die Verfechter der "Tatsachen" (Jokers wahres Schicksal) mir bitte nicht übel nehmen, dass ich mir hier einige künstlerische Freiheiten herausgenommen habe...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  horror-kitten
2013-03-20T18:22:54+00:00 20.03.2013 19:22
Wunderschön, einfach wunderschön! Ich liebe es:3 konnte mich eh nicht recht mit joker's Schicksal abfinden. Interessantes pair, auf die Ideebin ich noch überhaupt nicht gekommen:) ich wünschte echt, es währe so gekommen... Naja, auf jeden Fall tolle fanfic! Ich mag deinen schreibstyle sehr gern.
Von:  BabyDoll
2012-10-10T17:48:50+00:00 10.10.2012 19:48
Ich mag deinen Schreibstil sehr!
Deine Wortwahl ist gelungen und beschreibt das vorherrschende Szenario sehr treffend! Man kann sich in deine Figuren wirklich gut hineinversetzen und die Handlung wirkt nie künstlich oder erzwungen. Es hat wirklich Spass gemacht deine FF zu lesen - zumal ich auch ein Fan von den beiden Hauptfiguren bin :)
Das etwas kitschige Ende gefällt mir allerdings nicht so sehr. Ein trauriges Ende ist zwar deprimierend, aber bei der Geschichte hätte es besser gepasst, finde ich. Das wäre ausdrucksstärker gewesen.Ich finde offene Enden auch besser als vollkommen abgeschlossene Tatsachen am Ende einer Geschichte, mit denen der Leser sich dann letztlich abfinden muss - aber das ist wohl Geschmackssache.

Der Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist übrigens auch sehr spannend und gut gelungen.

Ansonsten finde ich - wie bereits erwähnt - die beiden Hauptfiguren sehr interessant und natürlich auch sexy ;)
Das Pairing ist wirklich selten - umso besser, dass du den Mut hattest es zum Leben zu erwecken.
Ich bin überhaupt kein Freund von Shonen Ai, aber du hast die Beziehung zwischen den Beiden sehr elegant und stilvoll dargestellt. Die ganzen primitiven Bettgeschichten, die man hier so auf Animexx unweigerlich mitbekommt, sind ja eher niveaulos. Umso erfrischender, dass deine FF emotional ist und trotzdem vollkommen ohne vulgäres Rumgevögel auskommt.
Allerdings fand ich den Kuss am Ende deiner Geschichte etwas übertrieben und zu abrupt. Etwas Weniger wäre für meine Verhältnisse Mehr gewesen. Aber auch das ist nur mein persönlicher Geschmack.
Ansonsten kann ich nur hoffen, dass du auch weiterhin so schön schreibst :)
Ein kleiner Wunsch von mir:
Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn du irgendwann die Zeit dafür finden könntest, zu schreiben wie sich Snake und der Joker kennengelernt haben. Wie Snake zum Zirkus kam usw. Ich glaube du bist kreativ und talentiert genug, um das wirklich interessant zu erzählen!
:)
Will dich damit allerdings nicht nerven - war nur so eine flüchtige Idee von mir.


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