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Zwei + Vier = Null

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Mit zerrissenen Jeans und blutigen Knien

Mit zerrissenen Jeans und blutigen Knien liegen wir hier und können diese Luft nicht mehr atmen..
 

So ist das also. Jetzt sind wir hier, nach all den Jahren. Ich habe das nicht erwartet, geschweige denn gewollt. Doch hier sind wir. Du stehst mir gegenüber und wir sehen uns an. Ich möchte etwas sagen, doch mir fehlen die Worte. Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, alles was aus meinem Mund kommen würde wäre frei von Sinn, durcheinandergewürfelt, verworren, genau wie unser Verhältnis.
 

..denn sie verschnürt uns die Kehle und du verzierst meine Seele um ein paar weitere Narben.
 

In meinem Kopf läuft alles nochmal ab, wie ein perfekter, fertig geschnittener Film. Von der dritten Klasse als du neu hergezogen bist und wir uns sofort verstanden haben, bis zu diesem Punkt an dem wir uns jetzt befinden. Dazwischen Momente, viele Tränen, viel Gelächter, zu viel Streit, zu viele Versöhnungen, zu viel Sex. Bis zu dem überraschenden Wendepunkt wirkt das alles tatsächlich wie ein kitschiger Liebesfilm. Genau wie diese dummen Streifen die wir nie leiden konnten. Doch trotzdem waren wir glücklich in unserem Film, irgendwie war es perfekt.
 

Alles was wir sind, hatten und haben passt in eine Hand, denn es war immer deine und meine Hand.
 

Um uns herum ging alles in die Brüche, doch trotzdem waren wir füreinander da, unsere Liebe war das was uns am Leben erhielt. Beziehungen gingen auseinander, Menschen wurden verrückt, verschwanden, starben. Aber wir waren immer da, haben alles gesehen und gemeinsam ertragen. Wir haben uns versprochen, für immer zusammen zu bleiben um nicht unterzugehen.
 

Versagen sahen wir immer die anderen, wir beide waren nie wie sie, immer anders, Hauptsache nie wie sie, immer irgendwie anders.
 

Nach all der Zeit scheint die Magie zu gehen. Wir haben alles gesagt und alles getan. Hier bleibt die Melancholie, zusammen mit tragender Stille. Geben wir jetzt auf? Ich will nicht. Ich will weiterhin Perfektion, weiterhin Schönheit. Aber ich merke wie mein Ziel vor mir verschwindet und sich entfernt. Warum machen wir nicht weiter?
 

Küss mich auch wenn ich puristisch bin und offensichtlich blind, taub, stumm und dumm bauen wir wie panisch in manischer Dauer die Mauern um uns.
 

„Kyle,“ fängst du an und stehst von dem gepflasterten Boden auf, auf dem wir saßen. Ich tue es dir gleich. Ich schaue kurz nach unten, betrachte unsere dreckigen, kaputten Klamotten und die übel aussehenden Knie die aus den Löchern der verwaschenen Billigjeans herausgucken. Der Rest unseres Körpers war ebenfalls mit kleinen Schrammen und Kratzern versehen.
 

Siehst du die Flecken an unseren Beinen? Rote Fäden ziehen sich über die Fetzen als würden sie weinen.
 

Dann sehe ich dir wieder ins Gesicht, dein Ausdruck ist leer und traurig, der Anblick ist für mich kaum auszuhalten. Ich will dich in den Arm nehmen wie früher, dich küssen. Aber das geht jetzt nicht mehr. Dieser Gedanke gefällt mir gar nicht. Du holst schlagartig sehr geräuschvoll Luft, das lässt mich zusammenzucken. „Kyle,“ beginnst du wieder. Ich schaue dich an. „Ich glaube, du weißt, was ich sagen werde. Ich wollte das auch nicht, aber es geht nicht mehr anders.“ Durch deine Worte zieht sich in mir alles zusammen, erst hat mein Herz einen Aussetzer, dann schlägt es viel schneller als vorher, meine Hände ballen sich durch meine schlagartige Verkrampfung zu Fäusten und ich halte Tränen zurück.
 

Mit zerrissenen Jeans und blutigen Knien sehen wir uns, stehen hier, können es einfach nicht glauben.
 

Ich nicke nur um dir zu demonstrieren, dass ich deine Worte gehört habe. Gerade rattert jedes einzelne durch meinen Kopf und kann nicht hundertprozentig verarbeitet werden. Doch da redest du schon weiter. „Ich will aufgeben, ich will gehen. Ich bin leer. Ich brauche einen Sinn, jetzt hält mich hier nichts mehr, auch nicht du. Ich brauche etwas Neues.“ Diesmal läuft mir eine Träne über die Wange, ich schaue dich weiter an. Was soll ich dazu sagen? Ich habe das Gefühl, als hätte ich gerade verlernt, meine eigene Sprache zu sprechen, ich kann nichts mehr in Worte fassen. In mir sind tausend Gefühle, doch keines kann ich beschreiben. Wie mechanisch nicke ich also erneut.
 

Alles was wir beide je waren ist verloren und verschwunden..
 

„Es tut mir Leid. Ich danke dir für all die Jahre, Kyle.“ Du beugst dich zu mir und gibst mir einen leichten Kuss auf die Stirn. Ich stehe immer noch da, fassungslos, zitternd. Du drehst dich um und gehst. In meinem Kopf laufe ich dir nach, mein Herz schreit nach dir und deiner Wärme. Aber ich bewege mich kein Stück, sehe nur wie du dich mit jedem Schritt mehr von mir entfernst. Ich weiß, du wirst nicht wieder kommen. Ich will dich noch einmal küssen, aber jetzt ist es endgültig zu spät. Nach vielen gefühlten Stunden, die doch eigentlich nur Minuten waren lasse ich meine Tränen laufen. „Auf Wiedersehen, Ken,“ flüstere ich und sinke langsam wieder zurück auf den Boden auf dem wir vor kurzem noch gemeinsam saßen, bin still während mein Inneres schreit.
 

..und alles was wir noch gemeinsam haben, zwei kaputte Jeans und diese vier Wunden.



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