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Bloodcage - Teil 1 - Blutmond

Vampir-Roman
von

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Blutmond (Askian) Ich drehte den Rosenkranz

Ich drehte den Rosenkranz unschlüssig in meinen Händen hin und her.

Die Verlockung einfach irgendwo einen Händler zu suchen und mich dann mit dem Geld aus der Stadt zu schleichen war in der Tat groß. Ich hätte irgendwo ein neues Leben anfangen können.

Ich will dich in der alten Kapelle treffen.

Es wäre besser für dich, wenn du einfach kommst.

Seine Forderung stand noch immer im Raum und ich wusste nicht, ob ich die in ihr enthaltene Drohung fürchten sollte, oder ob ich mich vielleicht aus ganz anderen Gründen dazu hingezogen fühlte ihn wieder zu sehen.

In dem Bäumen rings um glänzten die Regentropfen und der eisige Tau vergangener Tage in einer trügerischen Sonne, die das kalte Land rein optisch fast sommerlich erscheinen ließ, als spiele die Welt sich selbst eine fröhliche Atmosphäre vor, wie es viele Menschen trotz der Kälte in ihren Herzen tun. So wie auch ich es den gesamten Tag getan hatte.

Während ich gedankenverloren auf den erstarkenden Nachthimmel starrte und die ersten Sterne am Firmament aufleuchteten, bemerkte ich nicht, dass sich jemand von hinten an mich heranschlich. Erst, als ich unverkennbar einen pfeifenden Atem hörte, wurde ich aufmerksam. Zunächst dachte ich, es würde sich bei der Person hinter mir um Siren handeln, doch dann kam mir der Gedanke, dass dieser deutlich subtiler und lautloser vorgehen würde, außerdem passte der laute, rasselnde Atem nicht zu ihm.

Ich konnte plötzlich deutlich die schweren Schritte mehrerer Männer hören. Mit der Erwartung auf das Schlimmste, drehte ich mich um und sah drei Männer. Alle bewaffnet mit schmutzigen, halb stumpfen Klingen.

Erneut hatte ich die Straßenräuber vor mir.

Der schwarzhaariger Mann hatte ein blutiges Hemd um die Hüften geschwungen und grinste höhnisch auf eine Art, die ihn in einer anderen Situation beinahe schelmisch und sympathisch hätte erscheinen lassen.

Der pfeifende Atem indes kam von dem alten Bettler. In seinem grau-braunen Haar klebte das Blut einer neuen, kaum verheilten Kopfwunde, die ihn noch älter wirken ließ, als noch vor einigen Tagen. Er lächelte mich auf dieselbe falsche Art an, die ich bereits gesehen hatte und entblößte dabei eine Reihe fehlender Zähne aus seinem Oberkiefer.

„Was haben wir denn da? Dass wir uns immer wieder über den Weg laufen ist entweder Dummheit von dir oder ein Zeichen des Herren!“, rief er und machte eine gespielt unschuldige Miene. Er sprach mit Bedacht, als sei ich ein kleines Kind und die beiden Gefolgsmänner schnaubten höhnisch.

„Ich sehe, du weißt auch noch, wer wir sind, deswegen müssen wir uns wohl nicht extra vorstellen…“, fuhr er geschäftig fort. Ich nickte und war nicht in der Lage irgendetwas zu sagen. Ich brauchte mich nicht erst um zu drehen, um zu wissen, dass hinter mir auch der Rest seiner Leute aus beiden Gassen hervortreten würde.

Der Anführer der Bande bemerkte bald, dass ich nichts zu sagen hatte und wartete geduldig, bis ich von hinten wie vorne eingekreist war. Was hätte ich in einer solchen Situation auch sagen sollen? Ich konnte ihnen sowieso nicht mehr entkommen. Mein Gegenüber streckte sein Messer vor, als sei es nicht mehr als ein Spielzeug.

Ich wich ein paar Schritte zurück und meine Hand fuhr fahrig in die Tasche meines Mantels und zu dem Schmuckstück darin. Ich wollte mir nicht ausmalen, was ich tun würde, wenn sie sich nicht mit dieser wertvollen Beute zufrieden gäben.

Hektisch blickte ich mich zu allen Seiten um.

„Denk nicht daran zu fliehen!“, hörte ich eine kratzende Frauenstimme hinter mir sagen und bevor ich mich umdrehen konnte, spürte ich, wie rostiger Stahl an meinen Hals drückte und eine flinke Hand, so versiert in die Tasche des Mantels griff, dass ich es unter anderen Umständen vielleicht nicht einmal bemerkt hätte. Der Rosenkranz wurde heraus gezogen und zu jenem schwarzhaarigen Mann geworfen, der sich hinter dem Anführer postiert hatte. Dieser fing das Kleinod geschickt auf und warf es grinsend noch einmal in die Luft wie eine spielende Katze, bevor es in einem Lederbeutel an seiner Hüfte verstaute.

„Was für ein Fang! Du scheinst ein glücklicherer Dieb zu sein, als wir es sind.“, lobte der Alte. „Lass sehen, was du noch dabei hast!“ Ich spürte, die Klinge der Frau sofort fester an meinem Hals und ein einzelner Blutstropfen rann dort herab, wo die rostigen Zacken eine kleine rote Spur hinterließen.

Ich wusste, sie würden mir die Wahrheit vermutlich nicht glauben und überlegte, wie ich sie hinhalten konnte.

„Ich habe nichts weiter.“, flüsterte ich schließlich wahrheitsgemäß. Der Anführer zog eine buschige Augenbraue zusammen. Ich hatte nur eine einzige Sekunde gezögert, bevor ich antwortete. Er missdeutete es ganz offensichtlich.

„Nichts?“, fragte er mit spöttischem Unterton und setzte nach kurzem Überlegen hinzu: „Was ist mit deinem Mantel? Der sieht recht warm aus.“

Mit leichtem Widerwillen zog ich nun auch den Mantel aus und übergab ihn dem Anführer. Sofort spürte ich wieder die Kälte.

Der Alte warf das Stoffbündel an den kleinen Jungen und grinste: „Levi, fang! Du kannst ihn haben!“

„Lasst ihr mich jetzt gehen?“, fragte ich vorsichtig und hoffnungsvoll.

Der Alte sah mich intensiv an und schloss schließlich: „Im Normalfall würde ich das schon tun, aber du hast mir zu mächtige Gönner. Vielleicht bekommen wir einen feineren Platz in der Hölle, wenn wir dich als Vorhut zum Satan schicken, was meinst du?“

Er erwartete offensichtlich eine Erklärung von mir, ansonsten wäre ich in dieser Situation sicherlich nicht mehr am Leben gewesen.

„Gönner?“, fragte ich automatisch, doch kraftlos. Natürlich ahnte ich, dass er auf den Vorfall im Wirtshaus, auf das unsichtbare Wolfsrudel und auf Siren ansprach.

Langsam bemerkte ich, wohin das Ganze führen sollte, doch ich stellte mich noch immer unwissend und suchte einen Weg ihnen zu entkommen. Ich musterte nacheinander noch einmal die drei Männer vor mir. Da sich das Messer ein Stück weit von meinem Hals entfernt hatte, könnte ich eine Chance haben, wenn… Ich überlegte nicht zu lange, ob ich mich weiter dieser Demütigung und dem sicheren Tod aussetzen sollte. Ich wog nur kurz meine Chancen zu Entkommen ab und schüttelte schließlich mit in mir brodelnder Todesangst den Kopf, während ich mich vergeblich bemühte nach Außen hin höhnisch und gefasst zu wirken.

„Euer Platz in der Hölle ist so sicher, wie euer Tod, denn mein Beschützer ist mächtiger, als ihr es seid!“ Wäre ich ein besserer Schauspieler gewesen und hätte meine Stimme bei diesen Worten nicht vor Furcht gezittert, hätten mir die Männer vielleicht sogar geglaubt.

Die Straßenräuber schienen leicht überrascht über den plötzlichen Widerstand und eine Weile hörte man gar nichts, abgesehen von dem Wind, der über die Straße fegte und gegen den mich mein dünnes Hemd nun nicht mehr schützen konnte. Bevor sich die Männer erholen konnten, entschloss ich mich meine letzte Chance wahr zu nehmen, da ich wusste, dass mit jedem kurzen Moment auch mein Leben seinem Ende entgegen strebte, wenn ich nicht entkam.

Ich schloss die Augen und wog ein letztes Mal meine Chancen ab, bevor ich in einem Satz versuchte zwischen dem kleinen Jungen und dem Schwarzhaarigen durchzubrechen, zeitgleich spürte ich einen scharfen Schmerz in der Seite und wusste, dass mich das Messer des Älteren getroffen hatte, der genau so überrascht darüber zu sein schien, wie ich.

Den Jungen warf ich einfach bei Seite. Dann rannte ich. Meine Hand fuhr an meine Seite und ich prallte, so abgelenkt, beinahe besinnungslos gegen das Ende einer Hauswand, wo ich eine hellrote Blutspur hinterlassend vorbeitaumelte, um mich in eine Gasse zu retten.

Es tat nicht einmal weh.

Trotz alledem wusste ich, dass ich derart verletzt nicht mehr entkommen würde. Es würde ein Leichtes für die Wegelagerer sein, mich einzuholen und obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte, war die brennende Wunde an meiner Seite vermutlich tödlich. Ich spürte die nasse Flüssigkeit bereits meinen linken Oberschenkel herab rinnen, wo das Blut sofort zu gefrieren schien.

Mir wurde schwarz vor Augen, doch urplötzlich stand jemand in meinem Weg und fing mich auf, als ich fiel.

„Vorbei! Es ist vorbei!“, dachte ich, als ich die Person, die nur ein Räuber sein konnte von mir stoßen wollte. Doch während Siren mich fest hielt, erklärte er in einer herrischen und irgendwie endgültigen Stimme: „Dieser Mensch gehört mir. Ihr solltet umkehren und um Euer Leben laufen, wenn Ihr die morgige Sonne erleben wollt.“

Bis auf den kleinen Jungen zeigte sich keiner der Straßenräuber wirklich beeindruckt. Lediglich in den Augen des Anführers sah ich noch sehr kurz so etwas wie Unsicherheit aufglimmen. Auch der muskulöse Diener, der sich direkt neben Siren postiert hatte machte wohl etwas weniger Eindruck, als man auf Grund seiner großen Statur vermutet hätte. Die Wegelagerer schienen sich vielmehr nicht sicher zu sein, ob sie über einen solchen Scherz lachen, oder wütend sein sollten. Schließlich entschieden sie sich für Letzteres und hoben ihre Dolche zum erneuten Angriff. Dieses Mal gingen sie auf Siren los, der mir sanft und ohne erkennbare Eile half, mich auf den Boden zu knien, während sich die Straße mit wachsendem Nebel zu füllen begann, in der Etwas heran zu schleichen schien.

„Kümmer dich um ihn, Priest!“, wies Siren seinen Diener an und deutete mit einem Kopfnicken auf mich. Instinktiv versuchte ich ein paar Meter wegzukriechen und hob die Hände schützend gegen Priests Griff, bevor ich den Widerstand aufgab, weil es einfach keinen Zweck hatte.

Mit einer einfachen Handbewegung schleuderte Siren derweil den alten Anführer gegen eine nahe Wand, an der er sich wohl das Rückrat brach, denn sein Körper war seltsam verdreht, als er auf dem Boden aufkam und zuckend liegen blieb. Ohne scheinbar sonderlich darüber nachzudenken, griff Siren an seinen Rücken, auf dem ein geschwungenes und leicht verziertes Schwert gegurtet war, dessen Griff einen Kranich darstellen mochte. Es gab einen kurzen Kampf mit den übrigen Männern und der Frau, den ich nicht genau beobachten konnte, während Priest die stark blutende Wunde mit Stoff stillte, den er aus meinem Hemd riss. Ich warf einen Blick auf das entstellte Gesicht des älteren Mannes vor mir und die leere Höhle mit dem schwarzen Stein in seiner linken Gesichtshälfte schien umso eindringlicher zurück zu starren, wie ein unendlich tiefer See. Als er mich grob verbunden hatte, richtete er sich wieder auf und blieb vollkommen untätig, da sein Eingreifen in den Kampf vor uns offensichtlich unnötig war. Ich weiß noch, dass Siren von Anfang an der Überlegene war und das sein Blick kalt war und ohne jedes Gefühl, wie der eines versierten Schlachters. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Straße voller Blut war. Schließlich gab es nur noch einen einzelnen Überlebenden.

Siren hob kurz den Arm, um sich etwas Blut vom Handgelenk zu lecken und während der glatzköpfige Hüne langsam ein Messer aus seinem Gürtel zog, wich der kleine Junge verschreckt und panisch zurück.

„Willst du leben?“, fragte Siren mit diabolischem Grinsen.

Der Junge nickte. „Ja!“ Er war vor Angst heiser und lief nun immer schneller rückwärts

„Dann lauf!“, sagte Siren gelangweilt und sah zu, wie der Junge sich hektisch umdrehte und um eine Straßenecke verschwand. Einige Sekunden vergingen, dann erst sah Siren in meine Richtung. Vielleicht war das auch nur Einbildung, denn seine Augen glühten schier im Dunkel, sodass er vielleicht weniger mich, als seinen Diener hinter mir anstarrte. An seinem Mundwinkel klebte noch immer das langsam trocknende Blut. Er nickte leicht mit dem Kopf zu Priest und dieser verstand scheinbar.

Als habe er nichts Anderes erwartet, setzte er dem Jungen nach. Mir schoss kurz durch den Kopf, dass der Name des Kindes Levi war und irgendwie glaubte ich, dass ich diesen Namen nicht vergessen sollte, da sich abgesehen von mir vermutlich niemand mehr an ihn erinnern würde.

Ich weiß nicht genau, was dann passiert ist, aber ich entsinne mich an einen Schrei, der für eine viel zu lange Zeit die Gassen erfüllte. Dann war es still. Nach endlosen Sekunden versuchte ich mich aufzurichten und fragte in die wachsende Stille: „War es nötig auch den Jungen zu töten?“

Siren blitze mich an, als sei selbst eine unschuldige Frage wie diese ein Verrat an seiner Perfektion. Es dauerte nur einige Sekunden, dann wurde sein Blick etwas weicher.

„Nötig? Nein, aber furchtbar befriedigend. Außerdem sind wir zwei jetzt ungestört.“

Ich verstand seine Brutalität nicht, aber es war mir aus irgendeinem Grunde egal. Er hatte mir erneut das Leben gerettet und dieser tote Junge hatte sein Schicksal genau so gewählt, wie die anderen Straßenräuber. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass das nicht stimmte, aber es sich einzureden machte seine Ermordung in diesem Moment erträglich.

Langsam versuchte ich mich auf zu richten. Mein Gesicht verzog sich lediglich zu einer schmerzverzerrten Grimasse und ich sackte zusammen. Siren betrachtete mich eine Weile beinahe hilflos und kniete sich schließlich neben mich. Als er seine kalten Arme um meine Schultern legte, zuckte ich unmerklich zusammen und ließ für einen Moment die Hand von meiner Wunde gleiten. Sofort spürte ich, wie sich eine rote Lache unter mir ausbreitete.

Ich dachte an Sirens Frage: Willst du sterben?- Dann lauf!

Nein, ich wollte nicht sterben, doch ich konnte nicht mehr aufstehen.

Fast ungläubig betrachtete ich das glänzende Blut auf meinen Fingern und wunderte mich noch immer, dass ich abgesehen von einem leichten Brennen keinen Schmerz empfand. Es war zu viel. Es war vorbei.

„Askian, du wirst sterben. Selbst ich kann dies nicht mehr verhindern.“, flüsterte er und seine Worte fühlten sich grausam und endgültig an. Er schien beinahe so etwas wie Trauer zu empfinden, doch er hatte den Tod meiner Angreifer gekostet und der Rausch dieser wenigen Tropfen Blut, die er von ihnen getrunken hatte, erfüllte seinen gesamten Verstand.

Später erzählte er mir, dass für ihn in diesem Moment lediglich die Frage bestand wie viel von meinem Blut, das er als das Kostbarste empfand, noch an den Boden verschwendet sein sollte. Also tat er mir das Schönste und Schlimmste an, das er sich in jenem Moment ausmalen konnte. Inwendig hat er sicherlich auf dieses Ergebnis gehofft. Er hat dies jedoch nie geplant, deswegen konnte ich ihn dafür auch nie wirklich hassen. Er handelte nach seinen eigenen unabdingbaren Instinkten.

Jetzt, da ich kein Mensch mehr bin, weiß ich, dass auch Sterbliche ihrer Biologie weit mehr unterworfen sind, als sie es wahr haben wollen. Vampiren geht es da nicht anders.

Siren spürte das Adrenalin in meinem Körper, das mich unempfindlich und so ängstlich machte, dass ich mich nicht einmal bewegen konnte, geschweige denn klar denken. Er spürte meinen Herzschlag, der das Blut zu schnell aus meinen Venen fließen ließ. Er spürte es und es sprach sein Wesen an.

„Eines Tages wirst du verstehen und deine Taten werden sich nicht von den Meinen unterscheiden.“, versprach er, als müsse er sich dafür entschuldigen seinen Widerstand und seine Selbstkontrolle fallen zu lassen.

Er bewegte sich langsam und anmutig auf mich zu. In meinem Kopf wirbelten Gedanken durcheinander, sodass ich es kaum bemerkte.

„Ich habe dich verfolgt, - tagelang.“, sagte er erklärend auf eine ungestellte Frage.

Sein Gesicht befand sich nun direkt vor dem Meinen und ich roch wieder das Rosenöl, dass für mich gleichbedeutend mit der Gefahr war, die von ihm ausging, wenngleich seine erschreckenden Worte vollkommen ruhig gesprochen waren.

Er strich mir langsam eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich an – zwang mich, ihm in die Augen zu sehen, obwohl meine Aufmerksamkeit weit mehr auf den Blutflecken an der Seite seiner Hand lag.

Sein Blick war in diesem Moment so menschlich, dass ich den unbändigen Wunsch verspürte ihm nah zu sein. Ich wollte die Wut seines Wesens, seine Trauer verstehen und seinen Schmerz teilen. Woher kam nur dieses verzweifelte Verlangen?

Er näherte sich mir erneut und strich mit seiner Hand mein Gesicht herab. Ich war zu überrascht – zu gebannt- , um mich zu bewegen, als seine Lippen die Meinen berührten und er mich zärtlich küsste, bevor ich etwas Anderes tun konnte, als mich ihm zu fügen. Meine Hand glitt vollends von der Wunde und ich bemerkte das warme Blut nicht, das an meiner Körperseite entlang lief und auf den Steinboden tropfte. Ich bemerkte die Kälte nicht mehr. Ich ließ Siren gewähren und erwiderte unbewusst seinen fast verzweifelten Kuss, weil es ohnehin keinen Sinn mehr hatte in den wenigen Minuten, die mir noch zu leben blieben an menschlichen Werten festzuhalten.

Er hob mich hoch in eine stehende Position und plötzlich war der Schmerz wieder gegenwärtig. Ich lehnte mich gegen eine Wand und spürte, wie Blut den Stoff meiner Hose durchtränkte. Er hielt mich fest und ich wusste, dass ich ihm nicht mehr entkommen konnte. Was ich nicht wusste war, ob das gut oder schlecht war. Dann spürte ich seine Hände auf meiner Brust, als er beinahe schüchtern die Konturen meines Körpers berührte.

Er knöpfte den oberen Bereich meines Hemdes auf und schob es ungeduldig beiseite, während er meinen Hals mit bebenden Lippen liebkoste. Er fuhr mit selbiger Hand meinen Oberkörper entlang und um meinen Körper herum. Die Andere griff in meinem Nacken.

Er hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne und genoss die Umarmung, die ich vollkommen automatisch mit meinem ganzen Körper erwiderte. Dann und bevor ich reagieren konnte, gruben sich nadelspitze Eckzähne tief in meinen Hals.

Ich spürte sofort einen dünnen Blutfaden meine Brust herunter laufen und er begann zu trinken. Mich überkam Extase und Schwindel, Schmerz und Leidenschaft. Meine Hände krallten sich in seine Kleidung.

Schließlich trat eine schier unvorstellbare Qual ein, während er mit aller Gewalt von meinem Leben zehrte und ich versuchte ihn abzuschütteln. Die Hand in meinem Nacken drückte er mein Genick mit einer Kraft zusammen, die seinem fast kindlichen Körper in keinster Weise entsprach.

Mir wurde nun, viel zu spät, wirklich bewusst, dass Siren die Wahrheit gesagt hatte. Er war kein Mensch.

Ich schrie bei dieser Erkenntnis vor Schmerzen, während ich langsam schwächer wurde. Meine Bewegungen wurden unkontrollierter und langsam, als wäre die Welt um mich herum zu Eis erstarrt und Geräusche wurden gedämpft und undeutlich.

Aus meinem Schrei wurde ein Stöhnen, aus dem Stöhnen ein Wimmern und ohne, dass der Schmerz erträglicher wurde, verschwamm alles um mich in Dunkelheit, bis ich losgelassen wurde und zu Boden sank. Ich spürte, dass mein Kopf in seinem Schoß ruhte und die pulsierende Schlagader seines Handgelenkes an meinen Lippen. Sie war aufgeschnitten und warmes Blut rann über meine Lippen und mein Kinn herab.

„Trink!“

Ich öffnete den Mund zu einer Frage und bemerkte eine nach Kupfer und Salz schmeckende Flüssigkeit. Unwillkürlich musste ich würgen.

„Du hast keine Wahl!“

Die Stimme in der Ferne kannte ich nicht mehr, doch sie war sanft und leise. Ich wollte schlafen.

„Du wirst sterben, aber Unendlichkeit wird dein Lohn sein.“

Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich belustigt. Diese Worte machten keinen Sinn für mich. Es waren Töne, gleich einer unbekannten Musik. Ich gab keine Reaktion von mir und wusste weder was mich erwartete, noch interessierte ich mich dafür, solange ich nur schlafen konnte.

Es gab in diesem Moment kein Morgen mehr, nur noch das Jetzt und das gewährte mir einen seltsamen Frieden.

Heute weiß ich, dass Tot und Schmerzen keineswegs erstrebenswert sind, selbst, wenn an deren Ende die Aussicht auf die Existenz, wie der Meinen steht. Sterben ist schwerer als man glauben mag und wiedergeboren zu werden eine Qual. Was folgt ist schlimmer als der Tot.

Doch all dies kümmerte mich nun nicht mehr. Immer noch spürte ich Sirens Lippen auf den Meinen. Ich wusste, dass es gut war und dass ich genau hier her gehörte.

„Hab keine Angst!“

Seltsamerweise begann sich erst nun Furcht in mir auszubreiten und ich versuchte mit ungelenken Bewegungen die Person über mir abzuschütteln und aufzustehen. Ich dachte daran, dass ich das Blut stillen müsse, das immer noch aus meiner Seite quoll, doch bevor ich noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, hatte Siren mich zurück auf seinen Schoß gedrückt und fuhr mit seinen Fingern in einer Weise zwischen meine Zähne, die es mir in Anbetracht meiner körperlichen Schwäche unmöglich machte den Mund zu schließen.

Dann floss sein Blut langsam, aber unaufhaltsam in meinen Körper.

Ich war zu schwach, um mich dagegen zu wehren und als er mit gezielten und geübten Bewegungen meinen Hals massierte, konnte ich nicht einmal verhindern zu Schlucken.

Bald spürte ich, dass ich es wollte und dass ich es brauchte. Es war ein schockierendes Gefühl, als durch den Nebel meiner Sinne der Gedanke zu mir drang, dass ich gerade Sirens Blut trank. Doch es war zeitgleich derartig befriedigend, dass ich kaum die Welle plötzlichen heftigen Schmerzens spürte, die in mir aufstieg, bis sie endgültig und mit aller Macht eintrat. Nun hatte ich nicht einmal mehr die Kraft zu schreien und rollte mich vor Qual zusammengekrümmt auf die Seite in Sirens Arme.

Er sagte noch etwas, doch ich verstand es nicht, denn der Schmerz war überall. Er gab mir noch ein letztes Mal das Gefühl zu leben, bevor ich schließlich in Sirens Armen starb und in einen tranceartigen Zustand fiel, gegen den sich mein gesamter Körper zu wehren versuchte.

Ich war tot und am Leben, ohnmächtig und doch bei vollem Bewusstsein. Unfähig mich zu bewegen spürte ich dennoch, wie Priest mich aufhob. Ich spürte den kalten Luftzug, während er mich aus den Vierteln der Bettler in das Anwesen brachte, dass ich vor wenigen Tagen in Panik verlassen hatte und mich nach Stunden des Laufens auf eine weiche Matratze bettete. Ich erinnerte mich an seine Worte. Es war zu spät. Ich hatte deutlich zu lange gezögert. Ich konnte der Dunkelheit nicht mehr entkommen.

Während ich das Gefühl in mir trug, der Schmerz würde wie ein Wurm durch meinen Körper kriechen und mich zerreißen – auffressen – spürte ich immer wieder das kalte Tuch auf der Stirn mit dem Siren’s Diener vergeblich versuchte das Fieber zu senken.

- Und plötzlich war der Schmerz fort und hinterließ nichts als brennenden Durst, der dumpf durch den traumlosen Nebel zu mir drang, bevor ich erwachte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es ist soweit. Das erste Sechstel von Bloodcage ist abgeschlossen und hochgeladen. - Askian ist tot. Dieses Kapitel habe ich schon sehr oft geschrieben, umgeschrieben und verbessert und jedes Mal habe ich hier im Nachhinein ein außerordentlich heroisches und fast andächtiges Gefühl, denn es ist nicht nur so, dass mich die Charaktere schon eine sehr lange Zeit begleiten, sondern auch so, dass ich mir an dieser Stelle immer wieder bewusst werde: "Die Geschichte beginnt und ich bin mitten drin!"

Oder anders gesagt: Ab dem nächsten Kapitel sind wir von der Einleitung im Hauptteil angelangt.
Danke an dieser Stelle für mittlerweile 20 Favoriten! Und sehr gute Kommentatoren! Komplett anzeigen

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