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Hell called Home

von

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Weder weiß, noch schwarz, nur grau

Dieses Mal spürte ich die Kälte nicht allein.

Dieses Mal verfiel auch Aryn ihr. Sie hatte keine Kraft mehr, das sah ich ihr deutlich an. Der Winter brach über sie herein und ließ sie verwelken wie eine Sommerblume. Ohne Sonne und Wärme konnte sie nicht leben, nicht wirklich leben. Resignation, mehr konnte ich nicht aufbringen, mehr Kraft für Gefühle konnte ich nicht aufbringen.

Ihre Stimme verlor an Lebhaftigkeit, ihre Züge an Emotionen, ihre Augen wurden trüb. Es hätte mir Angst machen sollen, Sorge bereiten, doch ich konnte nicht. Von uns beiden war Aryn immer diejenige gewesen, die uns rettete. Sie war immer diejenige mit Glaube und Hoffnung gewesen. Mit der Stärke, für uns beide zu leben. Ohne diese Stärke verwandelte sie sich in einen grauen Schatten, der an Bedeutung und Farbe verloren hatte.

Resignation.

Die Euphorie der Lehrer ließ ebenfalls schnell nach, als sie bemerkten dass meine ständige Anwesenheit weder meinen Noten, noch sonst irgendwas brachte. Umso erstaunter waren sie, dass Aryn sich beteiligte, wenn auch halbherzig, im Endeffekt war es ihr egal, ob ihre Antworten richtig waren oder nicht, ob sich ihre Noten verbesserten oder nicht. Aber die wohl größte Veränderung, die ich resigniert bemerkte, war der Umstand, dass Aryn vollkommen aufgehört hatte, zu rauchen.

Resignation.

Wohl der einzige, winzige Funken an Emotion in mir.

Meine Künstlerische Ader hingegen flammte auf, war jedoch nutzlos, da ich sie gar nicht beachtete. In jeder Stunde erweiterte sich meine Sammlung an Motiven und Bildern, bis auch der letzte weiße Platz auf dem Block ausgefüllt war. Er landete ziemlich unspektakulär in der Tonne. Weitere folgten unbarmherzig.

Leere Augen, leere Herzen.

Spiegel aus kaltem Glas.

Aus totem Papier.

"Jinra Jones und Alexander Wood. Ihr behandelt das Thema 'Prokoagulantien', ihre chmeische Wirkung, Aufbau und alles weitere. Ich erwarte den Vortrag heute in zwei Wochen. Gut, das war es abschließend. Ein schönes Wochenende."

Freitag, letzte Stunde, Biologie.

Ich war die Letzte, die den Raum verließ und Richtung Wochenende ging, sich durch die Massen der fröhlichen und eifrig redenden Schüler schlängelnd. Plötzlich bemerkte ich jemanden, der direkt neben mir lief. Alexander.

Resignation.

Er begleitete mich bis zur Bushaltestelle, schweigend, und blieb dort neben mir stehen. Es waren nur wenige Schüler, die ebenfalls auf den Bus warteten, doch auch sie würden bald einsteigen und verschwinden. Sie machten mir Platz, als ich mich auf die Metallbank setzte und mir die Kopfhörer überzog, sodass ihre Stimmen alle aus meinem Kopf verschwanden und es nur noch die von Lord of the Lost gab. Bis ich unsanft wieder weggerissen wurde.

Unwillig blickte ich direkt in Alexanders Gesicht, das nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Aus dieser Nähe betrachtet, fielen mir seine eisblauen Augen, die schon beinahe unwirklich wirkten, zum ersten Mal wirklich auf. Es war ein schöner Kontrast zu seinen dunklen Haaren und während ich ihn, ungern zugegeben, fasziniert musterte, kribbelte mir es in den Fingerspitzen, ihn zu berühren. Bis er den Mund bewegte und etwas sagte, sodass dieser Moment zersplitterte und ich nichts als Verwirrung spüren konnte.

"Kommst du nun mit?"

"Wohin?"

Er lächelte schief und richtete sich auf, um auf den Bus hinter ihm zu zusteuern, der gerade angehalten hatte und in den reichen Teil der Stadt fahren würde. Ich verstand, wenn auch etwas langsam. Das Referat...ich hatte es bereits vergessen. Aryn war diejenige, die mich immer pflichtbewusst an die Schulaufgaben erinnerte, wenn auch gegen meinen Willen. Ich seufzte und erhob mich langsam.

Alec war wohl wirklich ganz anders als alle anderen, die ich je kennengelernt hatte.
 

Aryns Kommentar, Alec müsste ein Bordell besitzen, um sich die Wohnung im Bonzen-Teil der Stadt leisten zu können, war maßlos untertrieben. Er hätte eine ganze Kette von Bordellen unterhalten müssen und zwar schwarz, ohne Steuerabgaben und Lohn für die Angestellten. Und selbst dann wäre es schwierig gewesen, allein die Miete dieser riesigen Villa bezahlen zu können, geschweige denn den Kaufpreis. Die Einrichtung war elegant und erinnerte an ehemalige Herrenhäuser mit den roten Seidenvorhängen, den alten Möbelstücken und dem schwarz-weißen Karoböden, sowie den geschwungenen Treppengeländer. Ich war sprachlos.

Zu dem übrigen Inventar hingegen, war Alecs Zimmer jedoch recht schlicht eingerichtet, Möbel, ohne die Spielereien aus Gold und Seide, keine gusseisernen Fackelhalter oder einen prunkvollen Kronleuchter, kein Himmelbett. Im Groben und Ganzen sah es wie ein normales Zimmer eines 17-Jährigen, abgesehen von den Postern zahlreicher Metal- und Punk-Bands. Ich betrachtete das CD-Regal genauer, neugierig geworden, während Alec seine Sachen verstaute und seinen Laptop startete.

Alcatraz, Blitzkid, Mad Sin, Skillet....um nur einige zu nennen. Sie waren mir ausnahmslos alle bekannt, wenn ich auch nicht zu jeder eine CD besaß. Ich drehte mich zu Alec um, der mich die ganze Zeit über beobachtet hatte und nun fragend eine Augenbraue hochzog, als Antwort zuckte ich mit den Schultern und erwiderte nichts. Jahrelange Lehren warf man nicht so schnell in den Dreck.

Vor dem Sommer kommt erst der Frühling...

"Prokoagulantien...was weißt du darüber?", fragte er mich und wandte seinen Blick von mir ab, seinem Laptop zu. Ich ging zu der breiten Fensterbank und strich über die roten Kissen, ehe ich mich hochhievte und mich auf diese niederließ. Die Aussicht aus dem Fenster auf den gewaltigen Garten lenkte mich eine Sekunde ab, bevor ich abwesend antwortete: "Nicht viel...Schlangengift, auch Blutgerinnungsförderer genannt, der Tod tritt durch Thrombose oder Schlaganfall ein."

"Und das lernt man in 'Selbstverteidigung im Bordell'?", witzelte er und spielte dabei auf Aryns Kommentar an. Ich sah ihn kurz an und erwiderte schlicht: "So ungewöhnlich, dass ich das weiß?"

Amüsiert bemerkte er: "Was erwarte ich auch anderes von einer fleißigen Schülerin?"

Treffer.

Ich ging kaum zur Schule, ließ niemanden an mich heran und zeigte die Gefühle, die ich hatte. Nämlich gar keine. Einfach, problemlos und schmerzfrei.

"Und was erwarte ich von dem geheimnisvollen Schönling der Schule?"

Er blickte zu mir und seine Augen wurden dunkel. Oder bildete ich mir den Schmerz in seinen Augen nur ein? Seine Hand griff wohl unwillkürlich nach seinem Handgelenk, dort, wo ich die Narbe gesehen hatte. Die feine, hellrote Narbe, die anscheinend nicht weiter heilen würde. Nein, diesen Schmerz bildete ich mir nicht ein, ich kannte ihn selbst zu gut. Seine Stimme war leise, als er bitter sagte: "Ob ein Käfig aus Eisen oder Gold, der Vogel bleibt gefangen. Du müsstest es wissen."

Ja, ich wusste es.

Doch ich würde es ihm nicht sagen. Weil er es längst wusste, weil er mich kannte, als würde er in einem offenen Buch lesen, als würde er in einen Spiegel sehen. Und genau das war es, was mich an ihm schockierte, weil ich wusste, dass er mit Aryn der einzige Mensch war, dem ich vertrauen konnte. Den ich womöglich wieder lieben konnte. Und das trotz der narben auf meiner Haut.

"Ich kann nicht...", ich schloss die Augen und kämpfte mit mir, ehe ich leise fortfuhr: "...das letzte Mal...verlor ich alles. Meine Eltern, meine Schwester, meine Gefühle."

Ich öffnete die Augen und ließ meinen Blick durch das Fenster über seinen Garten schweifen, über den genau gestutzten Rasen, die akkurat geschnittenen Hecken, die gepflegten Rosensträucher und den wilden Teil am Rande, die Nadelbäume des angrenzenden Waldes. Alec schwieg eine Zeit lang und dafür war ich ihm dankbar. Diese Themen wollten nicht gesprochen werden und deshalb verlor ich auch kein weiteres Wort darüber.

"Du hattest Recht, hier steht, Prokoagulantien fördern die Blutgerinnung...", murmelte er und las sich den Text im Internet durch. Meine Aufmerksamkeit wandte sich ihm wieder zu. Den Rest des Tages verbrachten Alec und ich damit, das Referat vorzubereiten. Einiges fehlte uns bei Einbruch der Nacht noch, doch das wollte ich verschieben. Als ich die Auffahrt der großen Villa hinunterlief, drehte ich mich ein letztes Mal um und blickte zum Zimmer, in dem ich bis vor wenigen Minuten noch gewesen war.

Hinter dem hell erleuchteten Fenster stand Alec und blickte mir nach, ehe er schließlich hinter den Vorhängen verschwand und auch ich mich wieder abwandte und meinen Weg weiterging.

In dieser Welt gab es nicht nur zwei Extreme, nicht nur Gut und Böse.

Und die Farben in dieser Welt waren nicht nur Weiß und Schwarz. Selbst in alten Stummfilmen nicht.

Und Menschen waren nicht einfach zu verstehen, sie waren genau wie das Leben.

Nicht weiß, noch schwarz, sondern grau.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kiiy
2012-12-06T10:57:06+00:00 06.12.2012 11:57
Ich mag die FF sehr. Dieser geheimnissvolle Schreibstil voller innerer Verletzungen kommt unheimlich gut rüber. Auch bin ich positiv überrascht, dass es fast keine Grammatikfehler gibt. Mach weiter so. c:


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