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Fischfutter

von

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Der Ausflug

Licht. Viel zu viel auf einmal. Ich öffnete meine Augen und blinzelte mehrfach. Der Sturm hatte sich wohl verzogen, der Himmel war nahezu strahlend blau. Ich drehte mich zur Seite. Jun lag nicht mehr neben mir. Wo er wohl hingegangen ist?, dachte ich etwas überrascht. Ich legte die Bettdecke leicht verschlafen zur Seite und stand auf. Ich lief durch den Flur und sah durch die Zimmereingänge. Nicht einmal im Wohnzimmer schien er zu sein. Der Geruch von frisch gekochtem Essen lockte mich schließlich in die Küche. Als ich sie betrat, konnte ich sehen, dass der Esstisch gedeckt war. Auf der einen Seite stand ein Teller mit einem Omelette, es schien noch heiß zu sein. Daneben stand eine Kanne Tee. Ich lief zu dem Sitzplatz herüber und konnte sehen, dass an der Teetasse ein kleiner Zettel klebte. Guten Morgen, ich bin auf dem Dach, den Himmel malen. Wenn du willst, kannst du rauf kommen., ich kicherte kurz. Schon so früh am Morgen aufzustehen, um ein Bild zu malen, passte zu ihm. Ich goss mir etwas Tee ein und genoss das Aroma, das in der Luft aufstieg. Dann setzte ich mich und trank einen Schluck. Tut das gut., auch das Omelette schmeckte hervorragend. Ich hatte zuvor nicht damit gerechnet, dass er auch kochen konnte.

Nachdem ich fertig gefrühstückt hatte, blickte ich mich um und fand schließlich den Zugang zum Dach. Es war eine Treppe, die separat zum Ausstellungsraum verlief. Ich lief sie hinauf, mit der Teetasse in der Hand, und staunte nicht schlecht über die Aussicht. Von dem rechteckigen Dach aus konnte man einfach alles sehen: Den Hafen, das Meer, den kleinen Ort am Stadtrand… ich hatte den Eindruck, sogar bis zu unserer Villa blicken zu können.

„Ah, da bist du ja. Hat dir das Frühstück geschmeckt?”, ich zuckte kurz auf und drehte mich um. Jun saß am anderen Ende des Daches und zeichnete eifrig.

„J-Ja, guten Morgen.”, ich lief zu ihm herüber und blickte ihm neugierig über die Schulter. Er hatte nicht nur den Himmel, sondern zusätzlich auch noch die Wirkung des Lichts der Morgensonne auf die Vorstadt eingefangen. Doch im Gegensatz zu den anderen Bildern, die ich von ihm kannte, hatte er dieses mit Kreide gemalt.

„Ist das eine neue Technik?”, fragte ich interessiert.

„Nein, ich habe nur lange nicht mehr mit Kreide gemalt. Sie ist aber perfekt, um Lichtverhältnisse darzustellen.”, antwortete er lächelnd.

„Das kann man wirklich gut sehen.”, sagte ich und setzte mich zu ihm. Seine Hand glitt in so einem Tempo, mit solch einer Präzision über das Papier, dass ich kaum hinterher kam. Es dauerte kaum zehn Minuten, ehe er das Bild vollendet und versiegelt hatte.

„Soo… fertig.”, er reichte mir den Block herüber. Kaum hatte ich den Block in der Hand, stieg ein angenehmes Gefühl in mir auf.

„Deine Bilder strahlen so viel Ruhe aus.”, sagte ich leise. „Es ist wunderschön geworden. Einfach perfekt.”

„Hehe, vielen Dank.”, meinte Jun amüsiert. Er rückte ein Stück hinter mich und umarmte mich zärtlich. „Deine Meinung ist mir die Wichtigste.”, flüsterte er. Ich errötete etwas, als er seinen Kopf auf meine Schulter legte und ich seinen Atem spüren konnte.

„Und? Hast du schon ‘nen Plan für heute?”

„Bis jetzt noch nicht.”, antwortete ich. Dann hielt ich einen Moment inne. Ich dachte an mein Zuhause, an Alfred und diesen Kerl, der sich dort noch immer herum trieb. „…aber ich weiß, dass ich nicht nach Hause will. Zumindest nicht tagsüber.”

„…Verstehe. Du kannst immer herkommen. Auch dein Vater ist hier herzlich willkommen.”, dass Jun Alfred tatsächlich als meinen Vater bezeichnete, stimmte mich glücklich. Ich legte meine Hände an seine Arme und lehnte mich an ihn.

„Danke, Jun. Danke für alles.”

„Dafür brauchst du mir doch nicht zu danken.”, sagte er lachend und küsste mich auf die Wange. Ich kicherte zufrieden und sagte: „Hast du vielleicht eine Idee, was wir machen könnten?”

„Hm… das Hochwasser ist noch nicht ganz zurückgegangen.”, murmelte er vor sich hin. ,,Was aber nicht heißt, dass wir nichts in der Stadt unternehmen können. Gibt es denn irgendetwas, dass du noch nicht gemacht hast und gerne machen würdest?”, ich dachte eine ganze Weile über diese Frage nach. Gab es denn etwas, dass ich noch nie gemacht hatte? ….Da gab es etwas. Etwas, dass ich mir seit meiner Kindheit gewünscht hatte.

„Ich wollte schon immer mal bis zum Vorort der Stadt laufen und dort einfach umherlaufen. Meine Eltern haben es mir immer verboten, weil sie sagten, dass dort nur arme, schmutzige Menschen leben würden und ich Hausverbot kriegen würde, würden sie mich dabei erwischen.”

„Alles klar. Dann wissen wir ja, was wir heute machen!”, Jun schaukelte etwas umher, es war lustig, ich musste unweigerlich lachen.

„Wie schön. Ich freu mich so.”, gestand ich zufrieden. „Ich würde nur noch kurz Alfred Bescheid geben, dann könnten wir los.”

„Okay, mach das.”, wir standen auf und gingen zur Dachtreppe. In der Wohnung angekommen, begab ich mich sofort zum Telefon und wählte die Nummer meines Hauses an. Es klingelte drei Mal leer, dann nahm Alfred den Anruf entgegen.

„Ja, bitte?”, fragte er höfflich.

„Guten Morgen, Alfred. Ich bin es nur.”

„Ah, Mademoiselle. Geht es Ihnen gut? Was gibt es denn?”, es war erstaunlich, wie schnell seine Stimme an Interesse gewann, sobald er wusste, dass ich es war, mit der er sprach.

„Jun und ich wollten heute in den kleinen Vorort der Stadt gehen. Ich wollte dir das nur sagen, damit du weißt, dass ich erst gegen Abend zuhause bin.”, meinte ich.

„Hmm… ich halte es für besser, Sie dort abzuholen. Dieser Mann, Sie wissen, wen ich meine, er wird sonst noch Verdacht schöpfen.”

„Du hast recht.”, gestand ich und seufzte. „Wo soll ich hinkommen?”

„Am besten Sie halten sich in der Nähe des Meeres auf, ich werde Sie schon finden.”, antwortete er. Ich konnte mir in diesem Moment gut vorstellen, dass er leicht melancholisch lächelte. Es war wirklich alles andere als ideal, aber ich wollte wirklich nichts mit diesem Mann namens Theodor zu tun haben. Und wenn ich sterben müsste, der Tod war wahrlich etwas besseres, als mit diesem Mann verlobt oder nur in Kontakt zu sein.
 

Nach dem Telefonat hatte ich mich ins Bad zurück gezogen und meine getrockneten Klamotten angezogen. So sehr ich Juns Kleidung und den Geruch, der an ihnen haftete auch mochte, es war wirklich angenehm, wieder Kleidung zu tragen, die mir passte. Jun hatte in der Zwischenzeit eine Tasche gepackt, ich ahnte, dass er darin seinen Block und Zeichenmaterial aufbewahrte. Wir gingen durch die Haustür, Jun sperrte sie kurz ab, und folgten der Hauptstraße in Richtung Westen. Während wir liefen, unterhielten wir uns ein wenig. Es war kein besonderes Gespräch, er fragte mich lediglich über ein paar Dinge aus, die ich mochte. Ich antwortete stets ehrlich: Was meine Lieblingsspeise war, welche Sportart ich am liebsten mochte und dass ich die Farbe grau nicht ausstehen konnte, woraufhin er, etwas verwundert, zu lachen begann. Wir erreichten die Meerseite innerhalb von zehn Minuten. Wir passierten den Steg, nun ja, zu diesem Zeitpunkt wohl mehr das, was davon noch zu sehen war. Das Wasser stand noch immer ungewöhnlich hoch. Auch die Bushaltestelle, zu der ich immer lief, wenn ich vom Steg nach Hause fuhr, schien aufgrund des Hochwassers nicht befahrbar zu sein. Doch wir setzen unseren Weg fort. Der Weg war noch immer breit genug, um neben einander zu laufen. Mit noch jemandem diesen Weg entlang zu laufen, den ich mein Leben lang nur alleine gelaufen war - nicht einmal Alfred hatte mich begleiten dürfen - war ungewohnt und dennoch sehr angenehm. Ich hatte zunehmend das Gefühl, Jun schon dutzende von Jahren zu kennen. Wie konnte es nur möglich sein, dass man mit jemandem, den man nicht einmal drei Wochen kannte, auf solch einer Wellenlänge war?

Das Meerwasser preschte in die Brandung. Die Wassertropfen, die davon hinauf geschleudert worden waren, brachen das Licht der Sonne. Ich mochte diesen Anblick sehr. Jun folgte meiner Blickrichtung und sagte schließlich: „Du scheinst Wasser sehr zu mögen.”

„Ja, das tue ich.”, antwortete ich zufrieden und harkte mich in seinem Arm unter. „Es ist etwas vollkommenes, ohne jegliche Schwäche. Es leistet Widerstand, es bewahrt seine Schönheit und birgt unheimlich viel Leben in sich. Ich finde es wirklich sehr faszinierend.”

„Interessante Sichtweise.”, sagte Jun und lächelte mich an. „Aber du hast recht. Wasser ist etwas Einmaliges. Für mich ist es wie eine Art Freiheitssymbol. Egal, was man tut, man kann es nicht bezwingen. Der Sturm gestern Nacht war das beste Beispiel dafür.”

„Haha, ja, das stimmt wohl.”, gab ich zu. Unsere Blicke trafen sich kurz. Jedes Mal, wenn ich in seine Augen blickte, wurde mir bewusst, was für ein Glück ich hatte. Wie sehr seine Anwesenheit die Leere in meinem Herzen füllte. Als ich ihn noch einmal anblickte, errötete ich leicht. Es war wirklich schwer, seinem Blick über einen längeren Zeitraum stand zu halten und so heftete ich meinen Blick stattdessen an die Straße. Der Weg mündete langsam in eine Landstraße ein, die ich normalerweise umgehen musste, wenn ich zur Villa zurückkehren wollte. Dass ich sie wirklich einmal betreten würde…. Wie sehr hatte ich mir das gewünscht.

„Sieh mal! Da hinten ist es!”, sagte ich freudig und deutete auf die kleinen Häuser, die das Meer wie ein Zaun umrandeten. Bereits am Orteingang gab es zahlreiche, blühende Bäume und Büsche. Alles wirkte so ländlich und friedlich, ich war diese Stimmung nicht gewöhnt. Wir folgten dem Weg und gelangten schon bald auf die Hauptstraße der Ortschaft. An der Straße angrenzend gab es sehr viele, eng aneinander liegende Gassen und Fachwerkhäuser. Es waren allesamt Altbauten mit schönen Terrassen und Blumenkästen, die sie verzierten. „Ist das schön hier.”, ich war selbst ein wenig überrascht über die Freude, die in meiner Stimme lag. Jun nahm mich bei der Hand und führte mich von der Hauptstraße herunter. Wir liefen durch eine kleine Gasse und fanden uns schließlich auf einem Weg wieder, der an der Küste entlang verlief. Er war durch ein Holzgeländer vom Meer abgeschirmt. Es war, als würden uns die Möwen, die über der Küste flogen, den Weg weisen. Angrenzend an das Ende des Geländers befanden sich kleine Restaurants mit Blick auf das Meer. Es waren wunderschöne Lokale mit einer hohen Anzahl an Gästen. Da das Frühstück jedoch noch nicht allzu lange her war, bat ich Jun weiter zu gehen. Er schien sich in dieser Umgebung sehr gut auszukennen.

„Manchmal komme ich hierher, um zu malen, manchmal aber auch einfach nur, um die Stimmung zu genießen.”, hatte er gemeint. Er führte mich entlang der Küste zu einem Steg, der dem in der Stadt sehr ähnlich war. Er war jedoch um einiges breiter und etwas unzugänglicher. Ich lief den Steg entlang, bis zum Rand und betrachtete das Meer. Das klare, kühle Blau verschmolz mit dem reflektieren Sonnenlicht. Die Brise umgarnte mich, als wollte sie mich begrüßen. Es war atemberaubend und anders als in der Stadt hatte ich dort das Gefühl, mich an nichts mehr halten und von nichts und niemandem mehr einschränken lassen zu müssen.

„Danke, Jun, danke! Es ist wie ein Traum…”, sagte ich fröhlich. Er lachte erheitert und lief an meine Seite.

„Ich hab dir zu danken.”, entgegnete er leise. Er legte seine Hand in meine und schlang sich zärtlich um mich. Ich genoss seine Berührungen sehr, auch, wenn ich leicht errötete. Wenn er mir so nahe war, konnte ich seinen Körper spüren. Er war so stark und kraftvoll im Vergleich zu meinem. Ich lehnte meinen Kopf an seinen und seufzte zufrieden.

Nach ein paar Minuten waren wir schließlich meinem Ritual nachgekommen: Ich hatte meine Füße im Wasser baumeln lassen und mich am Wellenstrom erfreut, der sie mit jeder Welle leicht mitzog. Jun und ich unterhielten uns lange. Über alles, was uns in den Sinn kam. Und ich hatte lange nicht mehr so viel gelacht.

„Klaus-Günther? Du hast einen Marienkäfer wirklich so genannt?”

„Hey, der Name war spitze!”, meinte er schmollend. Ich lachte lauthals. Jun stieß mich kurz an, er schien leicht beleidigt zu sein, doch ich konnte einfach nicht anders. Ich kugelte mich sogar vor Lachen. Das war mir noch nie passiert.

„E-Ehe-Entschuldige, aber …puh… das klang einfach… so untypisch.”, brachte ich mühevoll hervor. Er legte sich neben mich und strafte mich mit seinem Blick. Ich schluckte kurz und versuchte, seinen reinen, dunklen Augen nicht zu begegnen. Doch dann legte er seine Hand an mein Gesicht und drehte es zu sich.

„So brav, wie du scheinst, bist du auch nicht.”, hauchte er grinsend.

„Das habe ich auch nie behauptet.”, meinte ich. Mein Herz schlug schnell auf, als ich seinen Blick erneut kreuzte. Seine Hand glitt von meinem Gesicht zu meinem Hals hinunter. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich errötete, ich konnte seinen Atem spüren. Und dennoch war ich tief in meinem Inneren ruhig, wie stilles Wasser. Weil ich ihm vertraute. Nur wenige Sekunde später küsste er mich, leidenschaftlich und zärtlich zugleich. Ich genoss es. So sehr, dass ich fürchtete, mein Inneres würde verbrennen. An meiner Taille spürte ich plötzlich seine Hand, die vorher an meinem Hals geruht hatte. Wir lösten uns voneinander und ich öffnete meine Augen, die ich zuvor geschlossen hatte.

„Ich liebe dich…”, entfloh es mir leise. Ich konnte ihn lächeln sehen, ehe er seine Lippen erneut auf meine legte. Dieser Kuss unterschied sich von den vorherigen. Ich zuckte kurz auf, als ich spürte, dass sich unsere Zungen berührt hatten. Jun schien es bemerkt zu haben, er wollte sich wohl entschuldigen, doch ich ließ ihm keine Zeit dazu. Ich schlang meine Arme sanft um seinen Hals und zeigte ihm, dass es mir nichts ausmachte. Er lehnte sich etwas zur Seite und so rollten wir ein Stück am Steg entlang. So lag ich nun mehr oder weniger auf ihm, während er mit dem Rücken an der Stegkante lag. Ich wusste, dass er uns jeden Moment ins Wasser fallen lassen konnte.

„Wehe, du drehst dich um.”, mahnte ich ihn lächelnd. Er schaukelte absichtlich umher, ließ mich jedoch nicht los.

„Es ist seltsam.”, flüsterte er zärtlich. Seine Hand fuhr sanft durch meine hellen Haare. „Ich habe das Gefühl, du machst mein Leben komplett. …Wo warst du nur die ganze Zeit?”

„Das könnte ich dich auch fragen.”, erwiderte ich und seufzte leise. Ich küsste ihn auf die Wange und spürte, dass er sich etwas nach links gedreht hatte.

„Lust, schwimmen zu gehen?”, fragte er, als er sich weiter gedreht hatte. Ehe ich etwas hatte sagen können, waren wir schon ins Wasser gefallen. Und, womit hatte ich das nur verdient, es war eiskalt gewesen! Ich tauchte eilig auf und sah, dass Jun, im Vergleich zu mir, im Wasser stehen konnte.

„Du bist so gemein!”, sagte ich ärgerlich und spritzte so viel Wasser nach ihm, wie ich konnte. Während er vor mir in Deckung ging, lachte er so ehrlich wie eh und je. Und obwohl ich die Situation durchaus komisch fand, ließ ich nicht nach. Erst, als er plötzlich verschwunden war, konzentrierte ich mich wieder darauf, nicht unterzugehen.

„Wo ist er denn jetzt schon wie-”, ich quiekte kurz auf, als mich Jun von unten gepackt hatte. Er hatte mich locker auf seine Arme gehoben, so, wie am Vorabend. Ich klammerte mich so gut es ging an ihm fest, ich hatte mich so erschrocken, oh, wie gerne hätte ich ihm eine Standpauke gehalten! Doch als ich mich schließlich mit der Situation abgefunden hatte, blickten wir uns lediglich kurz an, ehe ich in sein Gelächter mit ein stieg. In seinen Armen, triefend durchnässt, in eiskaltem Wasser, das nur von der Sonne erwärmt wurde.

Er war wohl wirklich verrückt, oder nein, vielleicht einfach nur etwas zu quirlig.
 

Der Tag neigte sich allmählich dem Ende zu. Unsere Klamotten waren mit der Zeit immerhin etwas getrocknet. Wir waren noch ein wenig durch die Ortschaft gelaufen, ehe wir uns zurück zum Ufer begeben hatten, um auf Alfred zu warten.

„Ich hoffe, er nimmt mich nicht gleich auseinander.”, sagte Jun etwas verlegen. Ich kicherte amüsiert und schüttelte leicht den Kopf.

„Keine Angst, Alfred ist nicht so. So, wie ich ihn kenne, wird er dich sehr schnell mögen.”

„Meinst du? Ich würd mich freuen, wenn's so wäre.”, entgegnete er. Er lehnte sich an das Geländer, das das Wasser vom Ufer trennte und blickte die Straße entlang, ich tat es ihm gleich. Während all dieser Zeit hatte er meine Hand nur sehr selten losgelassen. Natürlich freute mich das, doch ich wusste auch, dass es ein Hauch von Ungewissheit in ihm war, der mich nicht gehen lassen wollte. Und dieser war nicht unbegründet. Ich konnte ihm zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht sagen, wann genau wir uns wiedersehen würden.

Obwohl ich mich freute, Alfred wieder zu sehen, wünschte ich mir, dass er an diesem Tag nicht erscheinen würde.

Juns Augen weiteten sich kurz: „Ist er das?”, er deutete auf einen Mann in einem schwarzen Anzug. Der Haltung, dem Äußeren und dem Gang nach konnte es sich hierbei wirklich nur um Alfred handeln. Ich nickte wehmütig und lehnte mich an seine Schulter. „Leider.”

„Hey, was heißt hier leider, er kümmert sich wenigstens um dich.”, sagte er und streichelte mir grob durch die Haare. „Pass bloß auf dich auf.”

„Werde ich. Ich komme so schnell wie möglich wieder.”, ich küsste ihn ein letztes Mal, ehe ich zu Alfred sah und ihn anlächelte. Er war wirklich sehr langsam gelaufen, ich wusste, dass er schon sehr viel Zeit für uns aufgeschoben haben musste.

„Guten Abend, Mademoiselle.”, sagte er sichtlich erfreut, dann blickte er zu Jun herüber. „Und Sie sind dann wohl der junge Herr Maler. Es freut mich wirklich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.”

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Bitte, sagen Sie einfach Jun zu mir.”

„Sehr wohl.”, Alfred wollte weiter sprechen, doch er schien von unserem Anblick ein wenig abgelenkt zu sein.

„Wir waren schwimmen.”, meinte Jun und stieß mir leicht in die Seite. Ich kicherte und fügte hinzu: „Ohne es vorher geplant zu haben.”

„Haha, ich verstehe.”, ich glaube, ich hatte Alfred lange nicht mehr so lachen sehen. Ich spürte, wie sehr ich es vermisst hatte, ausgelassen mit ihm zu lachen und zu reden.

„Ich muss mich noch einmal bei Ihnen bedanken, Jun, dass sie Mademoiselle Cloe aufgenommen haben und gesund und munter zurück gebracht haben.”, Jun blickte kurz zu mir herab und lächelte.

„Das war doch selbstverständlich.”, meinte er daraufhin. In seiner Stimme lag erneut dieser Unterton, der mich etwas erröten ließ. Ich blickte eilig zur Seite, um nicht von ihm darauf angesprochen zu werden. Ich schreckte etwas auf, als ich ein klingendes Geräusch vernahm. Es waren die Turmglocken der Stadt, die man sogar bis hier hatte hören können. Sie legten das Ende dieses wunderschönen Tages fest, ohne, dass es jemand von uns gewollt hätte. „Nun denn, Mademoiselle?”, fragte Alfred zaghaft. Ich seufzte und lief an seine Seite.

„Bis bald.”, sagte ich und kreuzte ein letztes Mal Juns Blick. Sie fesselten mich jedes Mal aufs Neue. Es war dieser unbeschreibliche Funke in ihnen, der es mir noch schwerer machte, mit Alfred mitzugehen.

„Bis bald, Cloe.”, die Art und Weise, wie er meinen Namen ausgesprochen hatte, brannte sich in mein Herz ein. Ich drehte mich langsam von ihm weg. Und erst als ich seine Hand los ließ, spürte ich, wie unsagbar schwer es mir fallen würde, auch nur einen Tag ohne ihn verbringen zu müssen.



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