Im Miasma-Tal
„Weaver, bestätige bitte deine Position.“
Das Knacken, das diesen Kristallspruch begleitete, kannte sie bereits zur Genüge, aber noch immer klang es unangenehm in ihren Ohren, weswegen sie einen kurzen Moment lang die Augen zusammenkniff. Erst einen Augenblick danach konnte sie die Hand heben und diese auf den kristallinen Knopf legen, der in ihrem Ohr steckte. Sie hörte ein leises Knistern, das ihr verriet, dass der Kanal offen war, ehe sie endlich antwortete: „Ich bin am Zielort angekommen. Bislang sieht es gut aus. Nirgends ist Miasma zu entdecken.“
Wenn sie den Blick schweifen ließ, entdeckte sie, soweit das Auge reichte, nur eine freie Prärie. Die vereinzelten in die Luft stehenden Grashalme waren kristallisiert und zerbrachen, sobald man auf sie trat, weswegen Garnett sich lieber von ihnen fernhielt.
Sie strich sich das lange schwarze Haar aus der Stirn, damit nichts ihren Blick behinderte. Ihre grün-blauen Augen musterten alles ganz genau, damit niemand sie würde überfallen können, aber es war ohnehin keine Menschenseele zu sehen, sie war vollkommen allein hier.
Vor nicht allzulanger Zeit war dieses Gebiet immerhin noch vollkommen unzugänglich gewesen aufgrund des dichten Miasma, das bei den meisten Lebewesen zum Tod führte. Aber eine geradezu göttliche Fügung hatte das giftige Gas schwinden lassen und nun war es ihnen möglich, das Gebiet zu erkunden.
Es knackte ihn ihren Ohren, als das Hauptquartier ihr antwortete: „Bewege dich so weit wie möglich vor, aber achte darauf, dich nicht in Gefahr zu begeben. Kehr sofort um, wenn du merkst, dass es gefährlich wird.“
Sie war sich nicht sicher, ob sie über seine Besorgnis gerührt oder amüsiert sein sollte, entschied sich dann aber für Ernsthaftigkeit, da er ihr bereits mitgeteilt hatte, wie wichtig diese Mission für ihn war. „Keine Sorge, ich werde auf mich achten.“
Es gab kein weiteres Knacken, der Kanal war wieder geschlossen und sie vorerst auf sich allein gestellt, was ihr nur recht sein konnte, so gab es immerhin nichts, was sie ablenken könnte.
Mit der Vorkriegskarte des Gebiets im Kopf, machte sie sich auf den Weg durch die Prärie, um ihr eigentliches Ziel zu erreichen. Es war dem Luftschiff nicht möglich gewesen, sie dort direkt abzusetzen, auch wenn sie die Einzelheiten nicht verstanden hatte, aber der Weg sah auf der Karte ohnehin nicht sonderlich weit aus – und genau wie sie erwartet hatte, war sie schon nach etwas weniger als einer Stunde am richtigen Zielort angekommen.
Inmitten eines Felsmassiv war ein riesiger Tempel zu sehen, der seine besten Zeiten längst hinter sich hatte. Abgesehen von den einfachen Säulen gab es keinerlei Verzierungen, keine Statuen, keine Symbole, die darauf hindeuten könnten, zu welcher Dynastie man diesen zuordnen könnte – aber das war im Moment auch nicht weiter wichtig.
Sie betrat das Innere des Tempels, eine Arbeit, die keiner sonst aus der Organisation tun wollte, da jeder diese Exkursionen als unheimlich befand, während sie keinerlei Probleme damit verspürte.
Der riesige Vorraum war gefüllt mit kristallinen Statuen, deren Form entfernt an die von Menschen erinnerte. Garnett schüttelte mit dem Kopf. „Wie traurig...“
Sie mussten allesamt vom Miasma überrascht worden sein, ohne jede Möglichkeit zu fliehen. Rasch setzte sie ihren Weg fort, ehe sie sich von der traurigen Stimmung überwältigen lassen würde und strebte ins Innere des Tempels.
Durch das Miasma gab es keinerlei Leben, das sie daran hindern könnte, das Herz des Heiligtums aufzusuchen und da niemand damit gerechnet hatte, dass die Wachen eines Tages ausfallen würden, gab es auch keinerlei Fallen, die ihre entschlossenen Schritte bremsten.
Lediglich die verwinkelten Gänge, die oftmals in Sackgassen endeten, testeten wiederholt ihre Geduld, aber ihrem vorzüglichen Orientierungssinn verdankte sie es, dass sie schließlich doch noch im Herzen des Tempels angekommen war und dort zufrieden das betrachten konnte, wonach sie die ganze Zeit gesucht hatte.
Die Plattform, auf der sie stand, befand sich auf derselben Höhe wie die Brust des Dings. Während der Großteil davon aus Metall war, bestand der Brustkorb aus einem goldenen Juwel, das einen interessanten Schimmer in sich trug. Der Kopf thronte majestätisch auf dem Rumpf, die Augen waren dunkel und leblos. Wenn Garnett über die Plattform hinabspähte, entdeckte sie nur Dunkelheit, statt den weiteren Körper, weswegen sie die Größe nicht abschätzen konnte. Aber immerhin entdeckte sie auch keinerlei Beschädigungen.
Sie legte eine Hand auf den kristallinen Knopf in ihrem Ohr. „Caleb, du kannst das Bergungsteam schicken. Ich habe den Golem gefunden.“
Das darauffolgende Knacken ließ sie wieder einmal erst das Gesicht verziehen, aber immerhin bekam sie sofort eine Antwort, die aus einer Gegenfrage bestand: „In welchem Zustand befindet er sich?“
Garnett ließ erneut ihren Blick an dem riesigen Golem hinauf und hinabwandern, ehe sie schmunzelnd antwortete: „In einem geradezu perfekten – und er wartet nur darauf zu kämpfen.“