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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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London 3 - Turniervorbereitungen

Dominico

Nicos nächste 48 Stunden waren definitiv als arbeitsreich zu bezeichnen. Kaum zurück auf ihrem Anwesen organisierte er mit einigen Bediensteten die Rüstung, die er auf dem Turnier tragen würde. Die schwere Rüstung musste dringend noch einmal behandelt und letzte Einstellungen vorgenommen werden, so dass sie ihn in zwei Tagen auch optimal schützen würde. Dann legte er ein letztes Mal Wert darauf, die Pferde in voller Montur noch einmal zu trainieren, doch dank seines ausgiebigen Trainings bisher war das kein Problem. Er ließ sie ein letztes Mal frisch beschlagen, auch wenn Rodrego nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien. Auch seine Diener konnten ihm nicht sagen, wo der Schmied abgeblieben war.

Bei ihrem letzten Gespräch vor dem Tag des Turniers tauchte Rod dann so unvermittelt wieder auf, wie er anscheinend verschwunden war. Der Schmied sah zusammengesunken und elend aus, war aber offenbar nicht körperlich mit irgendjemandem aneinandergeraten. Noch einmal waren Tancrèd, er, Charles und "Sandro" alle Feinheiten ihres Plans durchgegangen, hatten sich auch mit Giulia kurzgeschlossen. Nicos Frau würde eine Schlüsselrolle in ihrem Plan innehaben, von deren Gelingen einiges abhängen würde. Doch die Italienerin war sich ziemlich sicher, dass sie schaffen würde, was die Männer von ihr verlangten. Der französische Kapitän war noch immer an London gebunden, weil Cromwell sich weigerte, einen Krieg zu unterstützen. So war es ihr Ziel, Tancrèd ein wenig mit dem König über Prisengelder plaudern zu lassen, während Cromwell am besten noch daneben stand.

Da Charles und Nico beide dringend ausgeruht sein mussten, erloschen die Lichter in Nicos Zimmer am Vorabend des Turniers sehr früh. Alessio hingegen arbeitete noch eine ganze Weile an seiner Korrespondenz und an den Vorbereitungen für den finalen Schlag, den sie Cromwell zu versetzen gedachten. Einerseits war Nico froh zu sehen, dass sein Bruder wieder zu den "Lebenden" zurückgefunden hatte... andererseits war er sich nicht sicher, ob die Besessenheit, mit der Alessandro an der Vernichtung dieses Mannes arbeitete, noch als gesund zu bezeichnen war. Lediglich das nahende Turnier war es, das ihn davon abhielt, seinem Bruder in die Parade zu fahren, auch weil er wusste, dass Alessio nur in seiner derzeitigen emotionslosen Verfassung zu dem in der Lage sein würde, was notwendig war.
 

Als die Sonne am Turniermorgen aufging, war London bereits in heller Aufregung. Vom Anwesen Sforza genauso wie vom Anwesen Brandon zog eine beachtliche Schlange von Menschen gen London. Viele der Angestellten von Nico und Alessio wollten sich das Turnier nicht entgehen lassen, außerdem hatte Giulia „Freundinnen“ eingeladen. Mehrere Kutschen bildeten daher den Abschluss der kleinen Karawane, die von Amadeo angeführt wurde. Er hatte Nicos Turnierpferde an langen Führstricken und direkt hinter ihm ritten die Brüder Sforza. Nico in eleganter aber schlichter Kleidung, das lange Haar zu einem strengen Zopf nach hinten gezurrt. Neben ihm Alessio.. und dieses Mal ganz und gar nicht zurückhaltend, sondern im strahlend leuchtenden Rot der römischen Kardinäle, inklusive seines Galeros. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet als sie zum Turnierplatz ritten, der direkt vor Londons Stadttoren lag. Hier war einfach mehr Platz und der Jahrmarkt, der sich immer um so ein Turnier bildete, bot ausreichend Raum, um hier Besucher anzulocken. Sicher würde Kierans Familie auch hier sein. Der Gedanke an die Carneys ließ Nico kurz schmerzlich das Gesicht verziehen. Die Sache mit Gregor hatte Nico noch immer nicht wirklich überwinden können.

Während die Herren nun abwendeten, um zu den provisorischen Stallungen zu reiten, ließen sich die Damen zu den Zuschauerrängen kutschieren, wo bereits Anne und ihr kleiner Hofstaat wartete. Für die Damen war so ein Turnier immer ein wirkliches Schaulaufen und Giulia hatte mit ihrer italienischen Umstandsmode nun wirklich nicht gegeizt.

Im Stall traf das Lager Sforza auf das Lager Brandon. Die bösen Blicke, die sich die „Kontrahenten“ zuwarfen, waren das perfekte Theaterstück wie Nico fand. Um sich scheinbar noch mehr zu provozieren, sprachen die Brüder und Amadeo nur Italienisch miteinander und Cromwell, den Nico nicht weit entfernt stehen sah, schien sich ein Grinsen nicht verkneifen zu können. Na warte, du widerlicher Bastard...
 

John

John konzentrierte sich auf das Pulver, das er abfüllte, während Kieran im Laden herumwuselte und seine Unruhe in keinster Weise unterdrücken konnte. Sein schier sekündlicher Blick auf jenen Ring, den er seit zwei Tagen trug, nervte John ungemein, aber dazu würde er nichts sagen. Er selbst war die Ruhe in Person, konzentriert auf das, was er tat, und war bedacht, keinen Fehler zu begehen. Schließlich wollte er niemanden umbringen, sondern nur ein wenig außer Gefecht setzen. Und irgendwie fand er den Gedanken auch durchaus amüsant, mit Hilfe seines Wissens ein paar Leute zu einem passenden Zeitpunkt unter Kontrolle zu haben, um einem riesigen Arschloch den Rest zu geben.

Die beiden vergangenen Tage waren anstrengend gewesen. Die Nacht, in der er mit einem Backgammonbrett, einem fremden Hemd und ziemlich viel Geld nach Hause gekommen war, war schlaflos an ihm vorbeigeglitten. Zu viele Bilder gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf, zu viele Dinge beschäftigten ihn und irritierten seinen sonst so klaren Verstand. Da war das Bild eines nackten Dominico Sforza in seinem Flur vor der Latrine noch das Bild, das er am leichtesten verkraften konnte. Wäre er nicht so verdammt durch den Wind gewesen, hätte er sicher etwas sehr ansprechendes sagen können, so aber hatte er sich auch noch damit aufziehen lassen müssen, dass er in der Eile glatt das falsche Hemd angezogen hatte. Es war dunkel und ihm kalt gewesen. Er hatte nicht gewusst, ob die Stadtwache doch noch hinter ihm her gewesen war und er hatte sich daher eilen müssen. Da passierte es schon mal, dass man das falsche Hemd anzog, wenn man zwei in der Hand hatte. Was war auch dabei? Aber Nicos Kommentar hatte ihm in dieser Situation irgendwie den Rest gegeben, hatte ihm mehr zugesetzt, als diesem wahrscheinlich selbst klar gewesen war. Er war in seinem Zimmer verschwunden und hatte dort an sich herabgeschaut. Er wusste nicht so recht, was er tun sollte, aber letztlich hatte er irgendwie lachen müssen. Nun hatte er dem Kapitän also doch sein letztes Hemd gestohlen… Kopfschüttelnd hatte er sich im Bad ein wenig gewaschen, sich dann seiner Hose entledigt und war so ins Bett gegangen, wie er ansonsten angezogen war – mit einem zu großen Hemd.

Das war es, was ihn in der Nacht und den darauffolgenden Tagen eigentlich beschäftigte: was hatte dieser elendige Seemann mit ihm gemacht, dass er tatsächlich bereit gewesen war, gegen seine Prinzipien zu handeln, obwohl sein Kopf doch so verdammt klar wusste, dass es Schwachsinn war, sich auf mehr einzulassen. Die Art und Weise, wie Tancred mit ihm umging, war so ganz anders, als alles, was er bisher erlebt hatte. Gott, dieser verfluchte… oder eher: Warum war er so ein verdammter Idiot!

Zum Glück lenkte ihn Kieran fleißig ab mit dem, was er in dieser Nacht „erlebt“ hatte. Es war gut, dass Kieran so sehr mit sich beschäftigt war, dass er Johns Verwirrungen nicht wirklich bemerkte. John freute sich natürlich für Kieran, dass Dominico eine Art „Bündnis“ eingegangen war. Aber wenn Kieran ihn nach seiner Meinung gefragt hätte, so hätte er ihm vermutlich gesagt, dass das alles Humbug war. Wie die Vergangenheit gezeigt hatte, sprang Dominico mit Kieran um, wie es ihm passte und John glaubte nicht wirklich, dass daran ein Ring etwas ändern würde. Von Ritualen, bei denen man sich etwas schwor, was man nie wirklich hundertprozentig halten konnte, hielt John so absolut gar nichts. Aber das sagte er Kieran natürlich nicht, sondern freute sich mit ihm. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, hin und wieder zu sticheln und Kieran zu necken, so wie er es immer tat. Schließlich sollte der Kleine auch nicht denken, dass John irgendwie anders war als sonst…
 

Kieran

Es war gut, dass Johns Vater noch in Portsmouth war und er so jede Menge zu tun hatte. Die Patienten, den Laden, die Vorbereitungen für seine Anwesenheit beim Turnier, wo er mit John und zwei Krankenschwestern für die medizinische Versorgung zuständig war. Dass er nervös war, das konnte er nicht abstreiten. Schließlich war ja im Grunde genommen ein Attentat auf Dominico geplant! Eines, das zwar bekannt war, aber wer sagte Kieran, dass nicht noch mehr geplant war, was sonst niemand wusste? Was, wenn Cromwell nichts dem Zufall oder eben Rodrego überlassen wollte, was den Tod von Nico und Charles betraf? Was, wenn er einen Plan B hatte, den noch niemand absehen konnte?

„Nicht in Düsternis versinken, Kleiner!“, hörte er John, der ihn in den letzten beiden Tagen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte und ihn davor bewahrt hatte, sich zu viel Sorgen zu machen. Aber er wollte nun mal nicht wieder verlieren, was er soeben gewonnen hatte. Er blickte auf seinen Ring, der ihm mehr bedeutete, als alles andere, was er besaß. „Er ist immer noch dran und wird nicht verloren gehen. Deine Knöchel sind sowieso zu breit, als dass er einfach so verschwinden könnte“, hörte er Johns nun doch leicht genervte Stimme und er sah seinen Freund an. „Ich bin schlimm, ich weiß. Aber ich bin einfach nur froh, wenn der ganze Spuk zu Ende ist.“

Ja, das war er tatsächlich, aber ihm war auch klar, dass das „Danach“ vielleicht neue unangenehme Überraschungen bereithalten könnte. Was, wenn der Diplomat Cromwell nicht mehr beim König war? Wer würde dem König dann noch davon abraten, sich mit den Spaniern anzulegen? Und wer würde dann das Heer leiten? Nico und Charles! Wer sonst? Aber darüber sollte er jetzt nicht nachdenken. Jetzt ging es erst einmal darum, Cromwell aus dem Weg zu räumen, bevor der die Sforza-Brüder wirklich töten würde.
 

Als sie am Festplatz vor den Toren Londons ankamen, ritten in einem langen Festzug bereits die Kontrahenten des Turniers ein. Dadurch, dass es ein königliches Turnier war, gab es gar nicht viele Gegner. Nur die engsten Vertrauten des Königs und die besten Ritter des Landes durften hier antreten. Das waren in diesem Fall neben Dominico Sforza und Charles Brandon nur zwei weitere Männer, die im Tjost antreten würden. Beim Volke, das versessen auf Mord und Todschlag war, galt natürlich das Duell zwischen Charles und Nico als das attraktivste. Schließlich glaubten alle, dass sie im Streit lägen und sich bis aufs Blut bekämpfen würden.

„Wir sehen uns dann später!“ Mit diesen Worten trennten sich Johns und sein Weg. Wenn seine Familie schon mal dann da war, wenn er selbst es auch war, so war es ihm mehr als wichtig, sie auch zu sehen. Letztlich hatte er viel zu wenig Zeit für sie, aber er würde sie zumindest begrüßen und sich ein wenig Kraft von seiner Mutter in einer kräftigen und guttuenden Umarmung holen. Es tat gut zu sehen, dass es allen gut ging – auch seiner Schwester, die sogar wesentlich besser aussah, als er es in Erinnerung hatte. Das Verschwinden von Gregor hatte ihr eine große Last genommen. Aber das war kein Entschuldigung dafür, was Kieran getan hatte. In Nächten, in denen es ihm nicht gut gegangen war, tauchte das Gesicht seines Schwagers regelmäßig auf. Er verspottete ihn und nannte ihn Mörder und jedes Mal wachte Kieran wie aus einem nie enden wollenden Alptraum auf.

„Ich muss dann noch arbeiten“, sagte er und löste sich vorsichtig von dem festen Griff seiner Dada. „Dann sehen wir uns später!“, sagte diese mit fester Stimme. Kieran nickte leicht. „Ich hoffe es!“, sagte er, nicht wissend, ob das wirklich hinhauen würde. Man musste abwarten, was bei dem Turnier noch passieren würde. „Wir haben eine Einladung erhalten, auf der steht, dass wir auf dem Anwesen der Sforzas auftreten sollen, wenn das Turnier zu Dominicos Gunsten enden sollte“, erzählte Darina ihrem Sohn, der sie überrascht ansah. „Dein Mann scheint Geheimnisse vor dir zu haben“, grinste sie und Kierans Blick folgte dem ihren auf seine Hand. Ein verlegenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er sie wieder ansah. „Geh arbeiten!“, scheuchte sie ihn daraufhin hinaus.

Manchmal wusste er nicht, wem er es zu verdanken hatte, dass er so eine wunderbare Frau als Mutter haben durfte. Es schmerzte ihn umso mehr, dass er sie kaum noch sah, dass sie kaum noch eine große Rolle in seinem Leben spielte. Er hätte gerne viel mehr Zeit für sie, viel viel mehr. Aber vielleicht würde sich das ja ändern, wenn er sein Studium beendet hätte.
 

Rodrego

Rodrego betrachtete die Papiere, die er an diesem Tag erhalten hatte. Papiere, die ihm die Überfahrt nach Amerika ermöglichen würden. Die ihm ermöglichen würden, neu anzufangen und alles hinter sich zu lassen, was sein Leben zu diesem Zeitpunkt kaum erträglich machte. Er würde die Überfahrt wagen und sehen, wie er dort drüben sich eine neue Existenz aufbauen konnte. Aber bevor es so weit war, würde er hier noch etwas in Ordnung bringen müssen. Er musste das wieder in Ordnung bringen, was er selbst verbockt hatte. Er hatte ungeheure Fehler begangen und er würde sie wieder gut machen, so gut wie er es konnte.

Erst wenn er seine Schuld getilgt hatte, würde er aus dem Leben der Brüder verschwinden. Er hatte hier nichts mehr verloren, hatte keine Daseins-Berechtigung mehr, wenn das abgeschlossen war, was geschehen war. Sein Leben in der Leibeigenschaft des Königs zu fristen, bis er starb, das konnte und wollte er nicht. Nicht ohne den Rückhalt seiner Familie und seiner Freunde. Er hatte diese Leibeigenschaft nur ertragen, weil Nico und Alessio in seiner Nähe waren. Aber er hatte seinen Anspruch darauf, ihnen nahe sein zu dürfen, verwirkt. Wenn er verschwand, wenn alles vorbei war, dann nahm er Dominico wenigstens die Last, sich irgendwie für ihn verpflichtet zu fühlen. Er wollte nicht, dass der jüngere Sforza noch dachte, irgendwie für ihn sorgen zu müssen, oder etwas ähnlich Dämliches. Er würde gehen und die Brüder würden ihn los sein. Eine so große Enttäuschung konnte man nicht vergeben, er konnte sich selbst ja auch nicht vergeben.
 

Rod verwahrte die Papiere an einem sicheren Ort in seinem Haus. Es hatte ihn einiges an Geld gekostet, aber er hatte ja nicht umsonst gespart. An diesem Morgen zog er sich seine guten Kleider an und betrachtete sich einen Moment im Spiegel, ehe er sich abstieß und seine Kammer verließ, die in den königlichen Stallungen sein Zuhause war, wenn er nicht auf dem Anwesen der Brüder verweilte. Die Anweisungen, die er von Cromwell erhalten hatte, waren an Nico weitergegeben worden und nun führte er aus, was ihm aufgetragen worden war. Sicher, Cromwell würde man mit diesem Brief wieder nicht als Urheber entlarven können, aber sie wussten ja mittlerweile, wer sich ihm als "Freund" ausgegeben hatte.
 

Rodrego überprüfte die Lanzen, merkte, dass er beobachtet wurde, ließ sich aber nichts anmerken. Es waren Cromwells Leute, die ihn überwachten, weswegen er die letzten Tage auch kaum auf dem Anwesen erschienen war, da man sonst unter Umständen Verdacht geschöpft hätte. Es war alles vorbereitet und nun blieb ihm nur inständig zu hoffen, dass alles wirklich gut gehen würde...

Rodrego mischte sich unter die Leute. Er hatte bereits jenen John ausgemacht, der ihnen helfen würde, Cromwell der Chance zu berauben, andere vorzuschicken. Zur rechten Zeit würden manche hier ausgeschaltet werden müssen, die Cromwell im Notfall zu seiner eigenen Sicherheit ins Spiel bringen wollte, wenn es heiß auf heiß käme. Nein, sie würden Cromwell in eine Situation bringen müssen, aus der er sich nicht so leicht winden konnte. "Ich brauche mindestens vier plötzliche Krankheitsfälle", raunte er dem großgewachsenen Mann zu, der mit seinen kühlen blauen Augen und dem dunkelbraunen Haar so unnahbar wirkte, wie sonst keiner hier vor Ort. Seinen Beobachtungen zur Folge war Cromwell heute mit vieren seiner Anhänger vor Ort. Sobald John ihm gab, was er brauchte, musste er sich nur noch darum kümmern, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Sein Blick glitt zur Tribüne, auf der nun die Ehrengäste begannen, ihren Platz einzunehmen. Die leuchtend rote Robe schien ihm direkt ins Auge zu springen. Alessandro wirkte wie immer - stark, unbezwingbar, in sich ruhend. Doch Rod war bewusst, welche Anstrengung diese Fassade den anderen kosten musste. Rod ließ den Blick sinken. Er würde wieder gut machen, was er kaum wieder gut machen

war. Dann würde er gehen. Es wäre für ihn unerträglich, den anderen immer wieder zu sehen, in seiner Nähe zu sein, ohne ihm jemals wieder nahe sein zu können.

Der Stoß in seine Seite ließ ihn hochschrecken und in Johns belustigte Augen zu sehen. "Du tust doch schon alles dafür, deine Schuld wieder zu begleichen. Selbstmitleid ist hier nicht angebracht." Einen Moment stutzte Rod, nicht wissend, was er sagen sollte. Er merkte, dass es ihn ärgerte, schließlich kannte ihn John ja kaum und was nahm der sich da raus! Doch dann merkte er, dass es ihn vor allem ärgerte, weil der hochgewachsene Mann Recht hatte. Er nickte leicht und fand sich in einer Umarmung wieder, wie sich Freunde verabschieden. Er spürte, dass ihn John etwas in seine Jackentasche steckte. "Einfach zu einem Cocktail rühren. Sie werden nichts schmecken, aber nach fünf Minuten die Örtlichkeit dringend verlassen... Viel Erfolg!"

Damit entließ ihn der seltsame Mann und Rod ging auf seine erste Position.
 

Alessandro

Das Rot, das Alessandro gewählt hatte, war eine heikle Angelegenheit. Er wusste, dass er damit unverhohlen Henrys Zorn provozierte, doch da er bei den Damen auf der Tribüne sitzen würde, neben Giulia, die am italienischen Hof und in der Familie Sforza sehr integriert und noch dazu sehr katholisch war, würde Henry sich kaum hinreißen lassen, einen Kommentar abzugeben. Zumindest hoffte Alessio das, denn er hatte vor, vor allem Cromwell mit seiner Erscheinung ordentlich ins Gesicht zu schlagen. Sie waren abgesessen und führten die Pferde nun in die vorgesehenen Unterstände, die man aus Holz und einigen Pflöcken errichtet hatte. Amadeo und ein weiterer italienischer Stallbursche ihres Hofes machten sich daran, die Pferde soweit vorzubereiten, während Alessio und Nico über Belangloses plauderten, um ihrem selbstsicheren Auftritt noch den rechten Schliff zu verleihen. Als sie hineinschlenderten zu den Aufgängen der Tribüne, auf der sie sich erst ein Programm der Familie Carney ansehen würden, bemerkte Cromwell den Kardinal das erste Mal. Eben hatte er noch Charles und Nico einander anstarren sehen, doch als jetzt hinter einer Absperrung der von ihm eigentlich totgeglaubte Alessandro Sforza hervortrat, sahen beide Brüder wie Cromwells Gesicht deutlich entgleiste.

Sandro ließ es sich nicht nehmen, höflichst und formvollendet eine Verbeugung anzudeuten, wie sie einem Kardinal vor einem Diplomaten angemessen war, während Nico den zur Zeit einflussreichsten Mann an des Königs Seite so begrüßte wie immer, ehe er mit seinem Bruder die hölzerne Treppe erklomm. Cromwell unter ihnen starrte ihnen nach, als habe er einen Geist gesehen und machte dann auf dem Absatz kehrt, wohl um sich mit den Personen abzusprechen, die er heute zu seiner Sicherheit und zum Gelingen seiner Pläne abgestellt hatte.
 

Als die beiden Brüder die Tribüne betraten, war der König noch nicht anwesend. Anne hingegen saß bereits mit einigen ihrer engsten Hofdamen zusammen in der ersten Reihe und hatte Giulia gleich neben sich beordert. Da es hier wohl keine streng reglementierte Sitzordnung geben würde, war neben Giulia kein Platz mehr frei. Nico und Alessio gingen die Reihe der Damen entlang, ließen es sich nicht nehmen, jede von ihnen einzeln zu begrüßen. Vor der Königin verneigte sich Sandro besonders tief und zauberte ein bestechendes Lächeln auf sein Gesicht. "Mylady, für eure Schönheit bin ich beinahe gewillt, diese Robe für immer an den Nagel zu hängen." Anne lachte herzlich. Sie hatte nichts gegen den Kardinal, der persönlich nicht besonders effektiv und offensiv versucht hatte, sie von dem König fernzuhalten. Wolsey war letztlich der leidtragende von Henrys gelöster Ehe gewesen, Alessio war nie so sehr als Kardinal vor den König getreten, sondern immer mehr als Bruder seines Feldherrn - und das richtete den Zorn weniger auf ihn als Kirchenmann. Außerdem war er immer noch Ausländer, erhielt beinahe so etwas wie politische Immunität was dieses Thema anging. An einem solchen Tag, an dem man feierte, konnte man über eine rote Robe doch eigentlich hinweg sehen... zumindest würden Anne und Henry das heute hoffentlich so sehen.

Für alle anderen und vor allem für Cromwell saß ein quicklebendiger Alessandro Sforza in roter Robe in Gegenwart des Königs auf der Tribüne. Er hatte in den letzten zwei Tagen ordentlich gegessen und Ruhe gehalten, um heute fit zu sein, doch allein Cromwells dummes Gesicht ließ ihn die Strapazen vergessen, die allein der Ritt zum Turnier für ihn bedeutetet hatte.

Am Ende der Damenreihe wartete, ebenfalls wie geplant, bereits Tancrèd auf sie beide. Er hatte sich zu den Damen gesellt, behielt aber höflichen Abstand und saß auf der anderen Seite des Platzes, der Henry vorbehalten blieb. Er war allein gekommen, hatte Kadmin bereits vorgeschickt, um in seiner Abwesenheit dafür zu sorgen, dass auf der Raashno alles seinen geordneten Gang ging. Mit breitem Grinsen begrüßte er sowohl den Kardinal als auch Nico, die sich neben ihn setzten.

Als Cromwell schließlich mit Henrys Entourage auf die Tribüne kam, sah man ihm an, dass es ihm nicht besonders gut zu gehen schien. Er wirkte etwas gehetzt und unsicher. Ein Blick, den man bei dem Berater selten sah und den er tunlichst versuchte zu verbergen. Gleich acht neugierige Augenpaare musterten den Mann, der sich auf einen der hinteren Ränge setzte, denn Charles Brandon war inzwischen auch angekommen und machte die Front gegen den Diplomaten komplett. Cromwell schien zu ahnen, dass irgendetwas nicht stimmte, doch anscheinend hatte er bisher nicht greifen können WAS das Problem war. Jetzt konnte er aber nicht weiter nachforschen, da Henrys Anwesenheit auf der Tribüne erforderte, dass er auch hier blieb.

Der König begrüßte seine Gäste sehr offen und beinahe schon unstandesgemäß locker, ein Zeichen dafür, dass er sich wirklich auf das Turnier und die Zerstreuung freute. Nicht einmal Alessandros rote Robe wurde von ihm mit besonderem Interesse wahrgenommen, er überging sie einfach und setzte sich stattdessen lieber zwischen die Damenriege und Tancrèd, während in ihrer provisorischen Arena die Vorstellung begann.
 

Rodrego

Der Auftritt Alessandros hatte genau die Wirkung, die sie erahnt hatten. Cromwell reagierte unbedacht und verriet seine Handlanger. Rodrego stellte mit Zufriedenheit fest, dass er in den letzten Tagen passend beobachtet hatte und die vier engsten Verbündeten richtig herausgelesen hatte. Nun würde es an ihm sein, eben genau diese auszuschalten und das im richtigen Moment. Er hatte einen guten Platz, an dem er den Verlauf des Turniers gut verfolgen konnte und gleichzeitig Cromwell und die anderen im Auge behielt. Er selbst würde auch gut zu sehen sein, was zum einen dazu diente, dass Cromwell ihn nicht unter Verdacht haben würde, zum anderen ihn auch irgendwie schützte. Denn Cromwell war ja kein Idiot und er würde, sobald ihm klar war, dass sein Plan nicht aufgegangen war, wissen, dass er dahinter steckte. Dann konnte es durchaus sein, dass Rodrego zur Zielscheibe wurde. Schließlich würde Cromwell alle Zeugen ausschalten lassen.

Nachdem sich die Herrschaften auf den Rängen niedergelassen hatten, gab Henry das Zeichen, dass das Turnier beginnen konnte.

Kierans Familie begann das Turnier mit Akrobatik und Kunststücken, die das Publikum amüsierten und auf das Folgende einstimmten. Ihr Programm stellte eine Adaption an das Folgende dar. Die Akrobaten stellten die verschiedenen Parteien dar, die gegeneinander "kämpften" und zuletzt vom König "besiegt" wurden. Die Akrobaten räumten die Arena und der Herold verlas die Abfolge der Kämpfe.

Die Reihenfolge war klar vorgegeben und kein Überraschung. Henry selbst würde nur gegen den Sieger antreten - und gewinnen, denn wenn man keinen engen Kontakt zu Henry hatte, trat man nicht gegen den König an; Und wenn man es sich erlauben konnte, gegen ihn zu reiten, so ließ man ihn gefälligst gewinnen, wenn man nicht doch den Kopf verlieren wollte.

Der Sieger würde sich vermutlich aus dem Duell zwischen Nico und Charles ergeben, also würden diese beiden sich zuerst gegen die anderen beiden durchsetzen müssen - was jedoch für beide kein großes Problem darstellen sollte.

Charles Brandon setzte den jungen Lord, der sich in diesem Sommer auf mehreren Turnieren wohl einen Namen gemacht hatte, beim ersten Ritt aus dem Sattel. Als Nico an der Reihe war, machte sich Rod auf den Weg. Er hatte drei der vier Handlanger in den Augen, aber einer von ihnen hatte sich auch gerade auf den Weg gemacht. Rod eilte zu John und sah ihn hilfesuchend an. "Kennst du Chester Bagehot, den Pitbull? Kannst du ihn für mich übernehmen?" Zu seiner Verwunderung stahl sich ein amüsiertes Lächeln auf das sonst so gleichgültige Gesicht. "Kein Problem", sicherte ihm John zu und folgte Rods Blick, der ihm damit deutete, wo jener hingegangen war. Mit den anderen dreien würde er leichter fertig werden, denn die standen hinter der Tribüne noch beieinander. Er würde sich beeilen müssen. So ging er zu Milton, einem der Diener, der die Getränke verteilte. Er trat von hinten an ihn heran und sprach ihn an. "Du siehst so aus, als bräuchtest du eine Pause", meinte er zu dem Mann mittleren Alters, der seufzte und die Augenbrauen hob. "Ich muss erst die Getränke nachfüllen und dann noch mehr aus der Küche holen. Bei der Hitze trinken die wie die Irren." Rod nickte bestätigend. "Das glaube ich dir, aber wenn du willst, fülle ich auf und du holst Nachschub. Ich habe nichts zu tun und mag nicht gerne zusehen, wie sie die Pferde in Gefahr bringen..." Milton lachte leicht. "Ist gut", und schon war er unterwegs und Rod dabei, die Pulver in die Getränke zu mischen, während er die drei Männer im Auge behielt. Als Milton zurückkehrte, teilte er ihm mit, dass die drei gerade nach Getränken gefragt hätten und er schon drei Becher für sie vorbereitet habe...

Es war keine Sekunde zu früh, dass die Getränke bei ihnen ankamen und danken angenommen worden waren. Denn gerade in diesem Moment kehrte der Pittbull zurück zu den dreien und Rodrego konnte nur hoffen, dass das, was sie getrunken hatten, reichen würde. Leider zerstreuten sich die Männer nun, offenbar einer Anweisung folgend. Rod zögerte, wem er sicherheitshalber folgen sollte, um ihn im Falle des Falles selbst auszuschalten, als er John sah, der ihm deutete, dass er ihm helfen würde. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, ein Nicken und dann folgte er zweien, die in Richtung der Waffen gingen. Doch dort kamen sie nie an. Magenkrämpfe und ein brennendes Gefühl von Übelkeit ließen diese einen anderen Ort aufsuchen... Mit großer Erleichterung stellte er fest, dass Johns Mittel ihre Wirkung zeigten, und er hoffte inständig, dass er niemals den Zorn des Alchemisten auf sich ziehen würde und selbst von dem Zeug abbekam.

Er kehrte zum Schauplatz zurück, wo er John wieder traf. "Alle etwas unpässlich", sagte jener mit einem sehr zufriedenen Lächeln auf den Lippen und blickte in Richtung Tribüne, auf der gerade die Fanfaren den Kampf zwischen Dominico und Charles ankündigten.



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