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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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London 3 - Regen

John


 

Zum Glück gab es Alkohol in rauen Mengen, guten Alkohol: Leckeren Rotwein, wunderbaren Grappa und irgendwas, was ziemlich kräuterig schmeckte und von allen nur als "Aquavit", also "Lebenselixier" betitelt wurde. Scheiß drauf - runter mit dem Zeug!
 

Anders konnte er das hier heute irgendwie nicht ertragen. Obwohl die Leute nett waren. Kierans Familie ja sowieso, aber auch die Angestellten des Sforza-Hauses waren sehr umgänglich. Hauptsache er war abgelenkt von diesem zuckersüßen Pärchen auf der Tanzfläche, bei dessen bloßem Zusehen man Karies bekam. Gott, er gönnte ihnen ja ihr Glück, so war es nicht. Er war auch glücklich darüber, dass der Idiot namens Dominico endlich Farbe bekannte. Aber momentan hatte er einfach keinen Nerv für Love-Stories mit Happy-End.
 

Als er mitbekam, dass ein Gewitter aufzog, entschuldigte er sich von seiner Runde, mit der er sich gerade unterhalten hatte, und trat hinaus auf die Terrasse. Er mochte Sommergewitter, sie hatten so etwas Reinigendes. Aber eigentlich hatte er heim gewollt und im Dunkeln waren ihm trockene Wege zu Pferd einfach sicherer, als rutschige und nasse. Er war kein geübter Reiter. Aber gut, dann würde er halt im Labor schlafen. Sein Vater würde erst morgen gegen Mittag zurückkehren, da blieb noch genug Zeit, ein wenig für Ordnung zu sorgen.
 

Er inhalierte tief den Rauch der Zigarette, die er sich geschnorrt hatte, und beobachtete das Wetterleuchten am Horizont.
 

Wie lange Kieran wohl noch bei ihnen zu Hause bleiben würde? Wann würden die Sforzas hier in England nicht mehr bleiben wollen und können - bei der derzeitigen Entwicklung? Würde der Kleine Dominico nach Italien begleiten? John fiel auf, dass sie schon lange nicht mehr über solche Dinge gesprochen hatten. Er trank einen Schluck von dem Rotwein und stellte das Glas auf einem Tisch ab. Er sollte langsam aufhören, wenn er morgen noch zu etwas zu gebrauchen sein wollte.
 

Tancrèd


 

Wein gab es tatsächlich und auch Tancrèd sprach dem Wein recht gut zu. Warum er das tat? Vielleicht aus ganz ähnlichen Gründen wie John. Er saß mit Giulia an der langen Tafel, die Dame hatte Amadeo neben sich und unterhielt sich immer wieder auf Italienisch mit ihm. Tancrèd verstand die Sprache zwar ein wenig, doch so schnell, wie die Worte aus Giulias Mund flossen, konnte und wollte er nicht folgen. Damit hatte er nicht mehr zu tun, als auf die Tanzfläche zu starren, wo zwei Männer die Welt um sich herum nicht mehr wahrnahmen. Es freute ihn, Kieran so zu sehen... und so sehr er es dem jungen Mann gönnte, so sehr grämte es ihn selbst. Er war einmal in den Genuss gekommen, Kieran selbst zu spüren, und er hätte sicher nichts dagegen gehabt, es nochmal zu tun.
 

Es lag nicht an Kieran selbst, sondern mehr an der Tatsache, dass er immer alleine war. Auf dem Schiff hatte er durchaus die Möglichkeit, sich abzureagieren, aber.. er wollte das da. Er wollte jemanden ansehen und wissen, dass es Gefühle waren und nicht nur Lust. Diese Gedanken ließen sich nur in Alkohol ertränken, so traurig das auch war. Außerdem war da immer noch dieser hochgewachsene braunhaarige Mann, der dort am anderen Ende des Raumes stand und es vermied, ihn anzusehen. John gab sich ordentlich die Kante, das konnte Tancrèd selbst von hier sehen.
 

Draußen erhellte ein Blitz die Dunkelheit und die Gesellschaft zuckte einen Moment lang zusammen, ehe die Feier einfach weiterging und die Leute sich sogar über das kühlende Gewitter freuten. Nur John nicht.. der sah nicht sehr begeistert aus dem Fenster. Der Regen, der kommen würde, vor allem aber das Gewitter, würden ihn, genauso wie Tancrèd, an das Anwesen fesseln. Der Weg nach London führte über flaches Land und das war bei den Blitzen keine besonders gute Idee.
 

Als John hinausging, erhob sich Tancrèd. Für seinen Geschmack hatte das Schweigen, das John ihm sozusagen aufdrückte, lange genug gedauert. Er entzündete sich seine Zigarre an einer Kerze auf dem Weg hinaus und nahm sich einen Becher mit Wein im Vorbeigehen von dem Tablett eines Dieners, während er John folgte. Draußen blies tatsächlich ein angenehm aufgefrischter Wind die Wolkenberge vor sich her und türmte sie immer höher auf, während Blitze die Himmelsgiganten erhellten. Es wirkte beinahe so, als würde Gott selbst die Faust schütteln. Tancred schloss die Augen und atmete tief durch, fühlte wie die Brise ihn an das Schiff erinnerte, auch wenn die wankenden Bohlen unter seinen Füßen fehlten. John stand allein auf der Terrasse und schien die Einsamkeit, in der er sich befand, zu genießen. Tancrèd schlenderte scheinbar zufällig neben ihn. "Du schuldest mir mindestens ein Hemd... und ein Spiel." Durch den Zug an der Zigarre erglühte deren Ende und erhellte sein Gesicht etwas.
 

John


 

John überlegte gerade, ob er überhaupt noch einmal hineingehen wollte oder lieber durch das Gewitter spazieren sollte, um wieder etwas klarer im Kopf zu werden, als jemand neben ihn trat. Als er zur Seite blickte, stand kein geringerer als Tancrèd neben ihm. John seufzte leicht.

Eigentlich hatte er versucht, den anderen Mann für heute komplett aus seinem Kopf zu verbannen, aber es war ihm nur bedingt geglückt. Es war ihm mehr als klar gewesen, dass es sich nicht vermeiden lassen würde, auf den anderen zu treffen. Irgendwann mussten sie reden. Aber John wusste immer noch nicht, was er eigentlich wollte, vom anderen oder auch für sich, oder überhaupt.
 

Es ist nie kompliziert
 

Was Tancrèd damit hatte sagen wollen, war ihm klar. Aber er wusste einfach noch nicht, ob es gut war, dass sein Kopf sich ihm in den Weg stellte, oder nicht. So war sein Blick auch ziemlich neutral, als er leicht nickte, um den anderen zu begrüßen, als dieser auch direkt zu sprechen begann.
 

John hob erstaunt eine Augenbraue. Wie schaffte es dieser Mann nur immer wieder, etwas zu ihm zu sagen, was ihm auf Anhieb sympathisch war. Das machte ihm nichts leichter.

Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen, bevor er den letzten Zug seiner Zigarette nahm und diese dann ausdrückte. "Tu ich das, ja? MINDESTENS eines, ja?", fragte er nach und drehte sich dem Mann neben sich zu, in dessen Augen sich das Glimmen seiner Zigarre spiegelte. "Und auch noch ein Spiel, na du stellst ja Ansprüche!" Einen Moment ruhten seine Augen in dem des anderen. Es war wirklich schwer für ihn, diesem Mann einfach nur eine Abfuhr zu erteilen. Genau das machte alles so kompliziert. Er wollte sich gerne noch einmal auf ihn einlassen, ihn spüren und kosten und seine - wie Kieran sagen würde - Höflichkeit genießen. Er würde gerne einmal gegen seine Prinzipien verstoßen. Dennoch: es gab zu viele "Aber" in seinem Kopf. Das größte Aber war momentan, dass er noch keine Zeit gefunden hatte, sich mit dem auseinander zu setzen, was ihm bewusst geworden war, als er ins Wasser gestürzt war. Tancrèd war nie darauf eingegangen, was er zu ihm gesagt hatte, als er ihn aus dem Wasser gefischt hatte. Aber all das verband er direkt mit dem Kapitän. Die Arme, die ihn nach Hause gebracht hatten und der Körper, der ihm nicht nur Wärme sondern Halt gespendet hatte. Und die Worte, die ihn beruhigt hatten. Wenn er sich wirklich noch einmal auf Tancrèd einlassen würde, dann würde es für ihn bedeuten, sich von London lossagen zu können. Das würde er nur können, wenn er sich mit seinem Vater auseinandergesetzt hatte. John hob die Hand und strich sich kurz die Haare aus der Stirn. Viel zu viele Gedanken für den Alkoholpegel, den er gerade hatte. Viel zu viele. Er schüttelte leicht den Kopf, um sie zu vertreiben.
 

“Ich muss leider gestehen, dass ich zumindest das eine Hemd vergessen habe, mitzunehmen." Er zog sich sein eigenes kurzerhand über den Kopf und reichte es dem anderen. "Aber zur Not könntest du das hier als Pfand nehmen, bis wir zu einem Austausch kommen oder das Spiel beenden.”
 

Wenn er ehrlich war, stand das Spiel mit dem exakt richtigen Spielstand in seinem Zimmer auf dem Tisch und John fand sich manchmal dabei, wie er am Tisch stand und Spielzüge berechnete. "Deinen Einsatz habe ich auch noch zu Hause. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dich um dein Geld UND dein letztes Hemd gebracht zu haben." Abwartend blickte er den anderen an, während sich die Wolkentürme unter Blitz und Donner immer höher aufbauten und es kurz davor war, einen heftigen Wolkenbruch zu geben.
 

Tancrèd


 

John schien nicht direkt die Flucht ergreifen zu wollen, als er ankam, was Tancrèd zumindest jetzt als gutes Zeichen deutete. Nachdem ihm der hochgewachsene Arzt schon die ganze Zeit aus dem Weg gegangen war, hatte er angenommen, dass John auch jetzt nur eine patzige Antwort für ihn übrig haben würde, aber er wollte es zumindest versucht haben.
 

John jedoch überraschte den Kapitän damit, dass er gar nicht wirklich patzig war. Hatte er sich den genervten Gesichtsausdruck am Mittag nur eingebildet? Eigentlich war er ziemlich feinfühlig, was das anging und immerhin wusste er, was John im Geheimen von seiner Hartnäckigkeit hielt. Umso überraschter wanderte seine Augenbraue nach oben, als der Jüngere das Hemd auszog und es ihm reichte. Tancrèd hielt es mit Abstand vor sich und musterte es, ehe sein Blick genauso prüfend über Johns nackten Oberkörper strich. Wenn der ihm schon so präsentiert wurde, dann musste man doch auch hinsehen.
 

“Eine nette Geste.." Langsam führte er die Hand in der er das Hemd hielt zum Gesicht, fixierte John mit seinem nicht abgedeckten Auge und sog tief Luft ein, ehe er das Auge genießerisch schloss. "Hmn.." Er hielt es wieder vor sich und schmunzelte dann. "Ich fürchte, es wird ein bisschen eng um die Schultern sitzen. Aber als Pfand nehme ich es gern. Und das Geld interessiert mich bei weitem nicht so sehr, wie das Spiel in das wir doch so vertieft gewesen sind.”
 

Tancred lehnte sich mit der Hüfte seitlich gegen die Balustrade der Terrasse und sah hinunter auf den von Fackeln erleuchteten Hof. Wenn es wirklich regnete, würde der Hof bald im Dunkeln liegen, doch der Erde würde der Wolkenbruch sicher sehr gut tun. Auf der anderen Seite des Hofes konnte Tancred einige Burschen ausmachen, die letzte Pferde von den Koppeln in die Stallungen brachten.
 

Nach einer kurzen Pause und einem langen Zug an der Zigarre sah Tancred wieder zu John, der noch immer halb nackt neben ihm stand. Er war ein schöner Mann und im Licht der Blitze wirkte sein Oberkörper so fein als habe man ihn aus Marmor gefertigt. "Ich bin mir sicher, es würde sich ein Spielbrett finden lassen... und einen Raum, in dem wir ungestört spielen können sicherlich auch. Nachdem du allerdings nicht so aussiehst, als hättest du viel mehr zu setzen, als dein Hemd, glaube ich, wir sollten das lassen. Am Ende musst du noch dich selbst zum Einsatz bringen."
 

Wieder leuchtete das Ende seiner Zigarre auf und erhellte den frechen Blick seines Auges. Das andere juckte unter der Augenklappe... es war einfach viel zu warm. Obwohl er recht leichte Kleidung trug, hatte er schon auf dem Turnier geschwitzt. Unter der ledernen Klappe war es wirklich sehr unangenehm. Am liebsten hätte er sie einfach weggelassen, doch bei einem gesellschaftlichen Ereignis wie diesem ging das leider nicht, selbst wenn es so informell war, wie dieses kleine Volksfest. Er hatte immerhin eine gewisse Rolle zu verkörpern und wollte niemanden mit dem trüben Auge abschrecken... aber vor John? Wieso sollte er sich vor ihm verstellen? Erstens war John Arzt und hatte wohl das geringste Problem damit und zweitens war er eigentlich der Meinung, dass - so denn seine Annäherungsversuche irgendwann von Erfolg gekrönt sein würden - John dieses kleine Manko kaum interessieren durfte. Er griff hinter das Ohr und löste den Knoten, der die Augenklappe an Ort und Stelle hielt, und steckte sie in die Tasche, ehe er kurz über das Auge rieb und es dann öffnete.
 

John


 

Eine nette Geste - John lachte innerlich, während sein Gesichtsausdruck kühler wurde. 'Nett' war bei John kein besonders gern gehörtes Wort. Immerhin versprach er Tancrèd hier gerade, dass sie dieses Spiel noch einmal beenden könnten. Etwas, was er heute Mittag noch gar nicht bereit gewesen wäre, dem anderen zu geben. Immerhin nahm der andere das Hemd, nur um damit etwas zu tun, was John eine Augenbraue heben ließ - er roch daran. Hatte es der andere so nötig? Er kannte solches Geplänkel eigentlich nur vom Strich, wo man mit der Hure, die man umgarnte, auf ähnliche Weise flirtete. Die Worte des anderen lenkten ihn davon ab, es ihm wieder weg zu nehmen. Aber der Unmut, den er gedacht hätte, mit dem Alkohol ein wenig heruntergespült zu haben, regte sich ganz enorm im Bauch und der Wille, dem anderen doch eine Chance zu geben, damit der Abend hier am Hof - schließlich saß er hier fest - wenigstens noch ein wenig interessanter werden würde, schwand etwas. "Na dann hoffe ich, dass du es nicht anziehen musst, weil du nichts anderes mehr hast", kommentierte er spöttisch die Bemerkung hinsichtlich der Schulterbreite.
 

Das Spiel interessierte ihn also? Hatte sich Tancred also gut amüsiert? John hatte jenes Spiel oder eher alle gemeinsam gespielten Spiele in Gedanken immer wieder Revue passieren lassen und ihm war sehr bewusst, dass Tancrèd ein ebenbürtiger Gegner gewesen war, der ihn erst im Glauben gelassen hatte, das Spiel nicht so weit zu durchschauen, wie John, nur um ihn dann mit unlauteren Mitteln abzulenken und so in Bedrängnis bringen zu können. Zuletzt waren sie aber gleichauf und die Entscheidung wäre einfaches Würfelglück gewesen. John hatte sich in den letzten Tagen auch gedacht, dass er gerne noch einmal mit Tancrèd spielen würde. Einfach, weil er ein Gegner auf Augenhöhe war. Gegen ihn zu spielen wäre wenigstens mal wieder eine Herausforderung, der sich John gerne stellen würde. Aber heute hatte er schon deutlich mehr getrunken als in jener Nacht. Ob das so sinnvoll wäre?
 

Aber während er sich über die Zurechnungsfähigkeit seines Verstandes Gedanken machte, ließ Tancred das Spiel aus dem Grund fallen: weil er nichts zum Einsetzen hatte? Deshalb sollten sie es lassen? Und mit jedem Wort, das folgte, wurde der Gesichtsausdruck Johns versteinerter. Von wegen, ihn interessiere das Spiel. Begriff er da recht, dass es dem anderen nur um ihn - NEIN! - um seinen Körper ging? Um dann was mit ihm zu machen, wenn er gewann? John regte sich einen Moment nicht, betrachtete das Auge, das ihn da mit einer Frechheit ansah, die er unter anderen Umständen vielleicht aufgegriffen hätte, die ihm aber im Moment nur derb aufstieß. Unfähig gleich zu reagieren, beobachtete er, wie der andere sich von seiner Augenklappe befreite, und wartete, bis er ihn wieder ansah.
 

Ein Lächeln zierte Johns Lippen, als er einen Schritt auf Tancred zuging und sich leicht vorbeugte. "Nadim, mein Freund", wisperte er ihm ins Ohr und blickte auf seine Hand, die dem anderen sacht über die breite Brust strich, "es ist wirklich angenehm zu wissen, dass dir unser Spiel so viel Spaß gemacht hat und offenbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Ich muss sagen, dass du wirklich gut gespielt hast. Du bist ein würdiger Gegner, mit dem ich mich gerne noch einmal gemessen hätte." Der wohlbekannte Geruch Tancrèds stieg ihm in die Nase und er nahm wieder etwas Abstand zum anderen, um ihn anzusehen. "Aber weißt du, Tancrèd, eines würde ich nie machen: mich wie eine Hure selbst als Preis setzen. Und irgendwie kann ich mir des Gedankens nicht erwehren, dass es dir dann gar nicht wirklich um das Spiel ginge, sondern nur darum, mich zu gewinnen. Und was würdest du dann machen? Was würdest du machen, wenn du mich gewinnst?" Fragend sah er den anderen an. "Nimm mein Hemd, such dir einen Arsch, der es anzieht, und fick ihn! Dann hab ich vielleicht endlich Ruhe von dir, Arschloch!" Der Groll in seinem Magen wuchs und schmerzte ihn schon fast. Was war er für den anderen? Worum ging es dem anderen? Ihn zu besitzen? Nur darum, ihn noch einmal zu ficken? John merkte, dass er irgendwie enttäuscht war, bei dieser Erkenntnis. "Ich hoffe, du bekommst deinen Freibrief bald, damit du endlich verschwindest."
 

John wendete sich ab und stieg die Treppe hinunter zum Hof. Es hatte angefangen zu regnen und die Regentropfen prasselten hart auf seine nackte Haut. So ein Vollpfosten! So ein Idiot! So ein... Argh! Und er machte sich Gedanken, ob er sich noch einmal auf ihn einlassen sollte! Etwas in ihm jubelte, endlich einen Grund gefunden zu haben, Tancrèd endlich komplett vergrault zu haben, während ein anderer Teil seltsam dumpf schmerzte.
 

Tancrèd


 

Der Kapitän wusste, dass er den jungen Mann absichtlich provozierte. Er sah schon, dass seine ersten Worte und vor allem das Riechen an Johns Hemd diesem etwas übel aufstießen, doch seine wohl gewählten Worte gefielen John überhaupt nicht. Tancred hatte sich das gedacht und hatte bereits mit einer gepfefferten Antwort gerechnet, die er dann auch genau bekam. Und, so glaubte er, damit auch eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum John grundsätzlich gegen so etwas wie Beziehungen war. Vielleicht war es nicht der Hauptgrund, sicher aber einer der Gründe. Er wollte keine Hure sein, sich nicht verkaufen und sich generell niemandem "hergeben". Er hatte eine unglaublich verführerische Art, ihm das klar zu machen. Tancrèd blieb gerade stehen, fühlte die schlanken Finger des Arztes auf seiner Brust und seinen warmen Atem an seinem Ohr. Eigentlich eine erregende Situation, wenn sich Tancrèd nicht sicher gewesen wäre, genau solche Worte von John zu hören. Er biss sich auf die Unterlippe, um das breite Grinsen zu schlucken, das sich gerade auf seinem Gesicht ausbreiten wollte. Irgendwie war auch das auf seine eigene Weise liebenswert. Es war genau die Art, auf die Tancred John kennen gelernt hatte, und er dachte gern daran zurück.
 

Als er sich mit Dominico und Kieran an den Tisch gesetzt hatte, an dem John auch saß, hatte der ihn mit mäßigem Interesse betrachtet und aus Höflichkeit Konversation getrieben. Vielleicht war Tancrèd für diese eine Nacht interessant gewesen, aber die Person, auf die sich Johns Aufmerksamkeit eigentlich gerichtet hatte, war Kieran gewesen. Vielleicht nicht, weil er ihn selbst hatte haben wollen, sondern weil er sich um ihn sorgte - aber das hatte er natürlich von sich gewiesen. Als sie beide wieder aufeinander getroffen waren, da hatte John ihn mit der Verachtung gestraft, die sich Tancrèd ebenfalls gedacht hatte. Er war so sehr bedacht darauf, nie Gefühle zu zeigen und wie auf dem Jahrmarkt stieß er jemanden, der ihm zu Nahe trat, sofort von sich und das so nachdrücklich, dass man besser nicht mehr umkehrte. Nur war Tancrèd eben nicht so. Er war niemand, der so kampflos aufgab, und da er wenig von John selbst erfuhr, da der wenig von sich selbst erzählte, war diese Provokation eine Chance, mehr von ihm zu erfahren, auch wenn es keine besonders schöne Methode war. Leider verriet gerade sie so viel über John...
 

Zum Beispiel auch, dass er durchaus zu verletzen war und nicht so kalt, wie er immer tat. Und dass das Weglaufen eine seiner wirklich großen Stärken war. Er sah dem jungen Mann nach, der in den Hof hinunterlief, und beeilte sich dann, ihm zu folgen. Als er neben ihm lief, hielt er ihm das Hemd wieder hin. Er war sich bis eben noch nicht ganz sicher gewesen, wie er weiter verfahren sollte, doch er glaubte, dass John von sich aus niemals reden würde. "Stimmt, da habe ich doch glatt etwas verwechselt..", meinte er, als John stehengeblieben war. "Du kaufst dir die Huren nur. Bei deinem unglaublich anziehenden Charakter ist es nur zu gut zu verstehen, dass jeder andere Reißaus nehmen würde, nicht wahr? Man stelle sich nur mal vor, deine Zunge sei ein bisschen weniger spitz - dann wäre es jetzt nicht Sforza, der den kleinen Akrobat durch die Luft schmeißt... oder nicht irgendein dahergelaufener französischer Kapitän, zu dem er in die Kajüte geht."
 

John


 

Die Wut in seinem Bauch schmerzte ihn so, dass er merkte, dass ihm übel wurde. Zu viel Alkohol, zu wenig gegessen und jetzt auch noch diese nette Unterhaltung. Warum, verdammte Scheiße, war er überhaupt hierher gekommen!?! Er hätte gleich sagen sollen, dass er etwas anderes zu tun hatte. Schließlich hatte er ja damit rechnen müssen, diesem Arsch zu begegnen! Wütend stampfte John über den Hof in Richtung Labor, wo er die Nacht verbringen würde und am nächsten Morgen so für wie möglich verschwinden würde. In diesem Moment hörte er deutlich hinter ihm hereilende, schwere Schritte. Er verdrehte die Augen. John hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Tancrèd ihm wirklich folgen würde. Wurde man diesen Mann denn niemals los? Als der andere gleich auf war, blickte ihn John lieber nicht an, sondern ignorierte ihn, ignorierte auch das Hemd, das der andere ihm hinhielt. Das wollte er nicht wieder haben. Donner grollte über ihnen und das Gewitter brach mit einem Mal an. Wind blies und kündigte den Regen mit seinem ganz eigenen Geruch an.Irgendwie schien es ihm, als spiegle der Donner die Wut in ihm wider.
 

John merkte, dass Tancred sich nicht abschütteln ließ. Ruckartig blieb er stehen. Nein, bis zum Labor würde er den Mann nicht mitschleppen. Dort war er schon einmal gewesen und... John wischte den Gedanken daran weg, wendete sich lieber dem anderen mit zornfunkelnden Augen zu. Was er jetzt zu hören bekam, das schlug dem Fass den Boden aus. Johns Augen verengten sich, während sie den anderen fixierten.
 

Sollte der andere ruhig glauben, dass er sich Huren bezahlte, sollte er ihm ruhig sagen, dass er ein mieser Charakter war. Das war ihm alles egal. Aber Kieran hier mit hinein zu ziehen, das ging gar nicht.
 

"Was bitte schön, hat Kieran denn damit zu tun?", zischte er dem anderen zu, als die ersten Tropfen fielen, bevor der Himmel die Schleusen öffnete. "Es mag sein, dass es Zeiten gab, da ich es mir gewünscht hätte, dass Kieran mehr von mir will, als meine Umarmungen, dass er nicht nur zu mir ins Bett gekrochen kommt, wenn er Halt braucht. Das gebe ich zu! Aber das ist schon ziemlich lange vorbei. Mittlerweile weiß ich, dass es eh nicht funktioniert hätte, selbst wenn meine Zunge weniger spitz gewesen wäre. Es hätte nicht funktioniert, weil es immer nur Dominico war, den er wollte. Dafür bin ich wirklich kein Ersatz. Ich hätte ihm nie diese Scheiß Herzlichkeit und Wärme geben können, die ich selbst nie kennengelernt habe. Aber dafür habe ich einen Freund, einen wirklich wichtigen und engen Freund, der sich eben nicht von meiner etwas zu spitzen Zunge vertreiben lässt, sondern mich einfach nimmt, wie ich bin und mir eine aufs Maul haut, wenn ich es übertreibe. Das ist mir wichtiger als alles andere. Von daher bin ich mehr als glücklich, dass er dort oben wie ein liebestrunkener Vollidiot mit seinem Herzbuben turtelt, als gäbe es kein Morgen. Also lass ihn verdammt noch mal aus dem Spiel. Er hat nichts mit uns zu tun!" Er hatte gar nicht gemerkt, dass er das Schreien begonnen hatte, wobei sich das vermutlich auch gar nicht hätte vermeiden lassen, weil das Gewitter so laut war und es so heftig begonnen hatte zu regnen, dass alles um sie herum verschwommen aussah. "Und was hast du? Du einsamer Mann? Was hast du davon, dass er in deinem Bett war? Ist es nicht noch leerer als schon zuvor? Jetzt rennst du mir hinterher und lässt dich nicht vertreiben? Was willst du von mir, verdammt noch mal? Ich habe dir genauso wenig zu bieten, wie ich es Kieran hätte bieten können! Ich habe nichts, nichts, was es wert wäre, sich dafür zu interessieren. Wie du es sagst: Ich habe nichts außer meinem Hemd und meinem Körper? Was erhoffst du dir also von mir? Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Warum sorgst du ständig dafür, dass ich mir den Kopf über dich zermartere? Was willst du? Noch einen Fick? Bin ich dich dann los? Hörst du dann auf, mich zu verunsichern und mir Flöhe ins Ohr zu setzen? Warum bist du so scheiß freundlich zu mir, egal wie pampig ich werde? Und warum, verdammt nochmal, hast du mich aus diesem scheiß Hafenbecken gezogen?" John stand wie eine Furie vor Tancred und hielt stark an sich, nicht auf den anderen einzuschlagen. Er spürte, dass ihm schwindlig wurde, dass seine Kräfte schwanden. Mit einem Mal drehte er sich um, taumelte zur Seite und musste sich übergeben. Es fühlte sich an, als käme sein gesamtes Inneres aus ihm heraus. Seine Gedanken überschlugen sich, er zitterte am ganzen Leib. Er merkte, dass er weinte, aber irgendwie kam ihm das gerade alles sehr surreal vor. John sank in die Knie und schloss die Augen. War es das, was Tancred wollte? Ihn fertig machen? Aus gekränkter Eitelkeit am Ende? Nun, dann war ihm das geglückt.
 

Tancrèd


 

Anscheinend war die Erwähnung von Kieran das, was das Fass zum Überlaufen brachte. John explodierte vor ihm wie eines seiner Bordgeschütze und schoss nicht nur eine Kugel mitten in Tancrèds Gesicht. Der Regen fiel in dicken Tropfen auf seinen breitkrempigen Hut, der zum Glück auch einen Teil seines Gesichtes verdeckte. Es tat weh, so angefahren zu werden, aber er hatte es nicht anders gewollt. Diese Schuldzuweisungen, die John sich sonst immer anhören musste, trafen jetzt absolut gerechtfertigt den Franzosen, der es im Regen stehend einfach ertrug. Er hatte erwartet, dass John Kieran auf jeden Fall verteidigen würde und hatte gehofft, darüber hinaus noch mehr über das zu hören, was John WIRKLICH bedrückte und weswegen er so seltsam kratzbürstig war. Was er bekam war mehr als das und ein Ausbruch, mit dem er nicht gerechnet hatte. Anscheinend war das ein bisschen überfällig gewesen. Tancred fühlte den Schmerz beinahe körperlich, der in Johns Worten mitschwang, auch wenn die Wut einiges davon kaschierte. Eine Sache allerdings blieb ihm sehr im Gedächtnis hängen:
 

Er hat nichts mit uns zu tun!
 

Nein.. das stimmte. Kieran hatte nichts mit "ihnen" zu tun. Aber dass John sie beide als "uns" betitelte, verriet dem Kapitän, dass John sich mehr Gedanken über sie beide machte, als er augenscheinlich zugab. Die nächsten Worte des halbnackten Mannes vor ihm bestätigten diese Aussage nur zu deutlich.
 

Tancred schluckte, weil es fast zu viel Information auf einmal war und er leider auch nicht mehr ganz nüchtern war, doch er kam gar nicht dazu, eine Antwort auf diese Flucherei zu geben, sondern sah nur noch, wie John von ihm wegtaumelte und sich dann sehr geräuschvoll übergab. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen und er erbrach sich so heftig, dass er es kaum schaffte, sich selbst dabei noch auf den Füßen zu halten. Als er schließlich auf die Knie sank, trat Tancred zu ihm und sank langsam in die Hocke, zog seine Pelisse von der rechten Schulter und legte sie dem zitternden Mann um die Schulter, ehe er ihn an sich und in seine Arme zog. Johns Widerstand folgte auf den Fuß, war aber nicht besonders stark oder so überzeugend, dass Tancrèd ihn wirklich losgelassen hätte. Stattdessen drückte er John nur umso näher an seine Brust und vergrub das Gesicht in seinem nassen Haar. "Ich bin einsam... du hast Recht. Aber du hast Unrecht, wenn du sagst, du hättest nichts zu bieten. Ich könnte Stunden hier mit dir im Regen stehen und dir aufzählen, was ich alles an dir schätze und was ich über dich lernen will, aber danach wären wir beide verdammt krank und das wäre wohl verdammt scheiße. Ich habe dich sicher nicht aus dem Hafenbecken gezogen, um zu sehen, wie du an einer Lungenentzündung zu Grunde gehst. Ich habe dich auch nicht aus reiner Nächstenliebe herausgeholt, sondern weil ich nicht zulassen konnte, dass die See mir noch einmal etwas nimmt, was mir etwas bedeutet." Seine Stimme klang ruhig an Johns Ohr und er hielt ihn fest, versuchte ihn zu wärmen, was im prasselnden Regen zusehend schwerer wurde. Sein Blick wanderte hinüber zu dem Gebäudeteil, in dem das Labor untergebracht war. Sicher gab es dort ein paar Tücher... Er zwang John auf die Füße und schleifte ihn so sanft wie möglich aber unbarmherzig mit sich.
 

John


 

Hatte dieser Mann nun endlich das, was er wollte? Ihn mehr oder weniger am Boden liegend? Würde er jetzt endlich aufhören, ihn zu nerven? Was hatte er ihm denn getan? Während er so am Boden kniete und sich sein Magen langsam beruhigte, rasten ganz neue Bilder durch seinen Kopf. Er sah sich, kniend auf einem Holzscheit in der Ecke der Apotheke, die Kunden, denen sein Vater erklärte, dass ein Bastard nur mit härtesten Mitteln zu erziehen sei. Er musste hier weg! Mit diesem Gedanken wischte er die Erinnerungen zur Seite. Aber sein Körper gehorchte nicht.
 

Als er mit einem Mal Bewegungen neben sich wahrnahm und er berührt würde, zuckte er zusammen, duckte sich leicht weg, und merkte, dass der Gedanke daran, er würde gleich geschlagen werden, in ihm hochkam. Doch es war nur Tancrèd, bzw. sein Mantel, der ihm umgehängt wurde und ihn so vor dem kalten Regen schützte. Was wollte Tancrèd noch hier? War es überhaupt der Kapitän? Er blickte kurz zur Seite, als er in eine Umarmung gezogen wurde - von Tancrèd. "Lass mich", dachte er und nahm alle Kraft zusammen, sich gegen die Arme zu wehren. Was sollte das? Warum tat das der andere? Wollte er ihn noch mehr demütigen?
 

Johns Kräfte gingen zu Ende und er ließ die Umarmung zu, die seltsamerweise auch irgendwie gut tat... Tancrèd zog ihn zu sich, hielt ihn fest in seinen kräftigen Armen, die John schon einmal Halt gegeben hatten. Er spürte, wie jener seinen Kopf an den seinen lehnte und hörte dann Worte, ruhige, freundliche Worte - keine Anklagen und Vorwürfe, die er sonst mit dieser Situation verband.
 

Irgendwie war John gerade froh, nicht wirklich Herr der Lage zu sein, denn sonst hätte er schon das Schnauben begonnen, als Tancred ihm erklärte, dass er nicht nichts wert sei. Denn er war noch immer skeptisch. Hatte er nicht oft genug das Gegenteil gehört? Nutzlos, wertlos, Dreck - das waren Worte, die er nur zu gut kannte.
 

Aber so ließ er die Worte einfach stehen und sie taten gut. Sogar ein Schmunzeln legte sich kurz auf seine Lippen und er spürte, dass sein Körper langsam aufhörte zu zittern.
 

Als der andere vom Hafenbecken sprach, schluckte er.
 

Weil ich nicht zulassen konnte, dass die See mir noch einmal etwas nimmt, was mir etwas bedeutet ... bedeutet ... bedeutet
 

Das letzte Wort hallte in ihm nach und langsam wurde ihm bewusst, was heute hier geschehen war, weshalb das alles hier geschehen war. Im ersten Moment wusste John nicht, ob er dem anderen dafür böse sein sollte oder ob er sich selbst böse sein sollte, weil er so ein verbohrter Idiot gewesen war.
 

"Danke", hauchte er kaum hörbar und merkte, dass Tancrèd aufstand, ihn gleichzeitig mit sich hochzog, und er bemühte sich, dabei behilflich zu sein. Sie sollten wirklich ins Trockene, dringend.



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