Zum Inhalt der Seite

Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

London 3 - Seltsame Gefühle

Tancrèd


 

Trotzdem standen sie auf und zogen ihre im Raum verteilten Kleidungsstücke wieder an. Tancrèd nahm sich ein frisches Hemd und eine etwas wertigere Hose aus einer Kleidertruhe. Er musste ja nicht wie eine Deckratte herumlaufen, das würde neben John ziemlich erbärmlich aussehen. Außerdem verzichtete er dieses Mal nicht auf Stiefel.

Als sie wenig später an Deck traten, war die Sonne noch immer nicht ganz im Meer verschwunden. Dafür war es wesentlich kühler und damit angenehmer geworden. An Deck waren sie ausnahmsweise auch tatsächlich nicht allein wie Tancrèd mit großer Freude feststellen durfte. Einige Männer seiner Mannschaft hatten sich offenbar am Hafen an einem der Stände etwas zu essen geholt und spielten jetzt an Deck Karten. Vermutlich auch, weil in den Schenken die Luft noch miserabler war als hier an Deck und weil sie gestern frischen Weinbrand eingelagert hatten und die Männer jetzt auch an Deck trinken konnten. Das war zwar nicht die beste Wachmannschaft, doch als Tancrèd zu ihnen hinüberging und mitteilte, dass er im Hafen mit seinem Gast noch etwas essen wollte, waren die Männer gern bereit die "Wache" zu übernehmen. Tancrèd kam zu John zurück und ging mit ihm über das breite Deck zur Gangway hinüber, über die er gemächlich nach unten ging. Er vermied es zu stark zu federn, was er sonst ganz gerne tat. "Nach was ist dir? Eine Schenke oder lieber etwas auf die Hand an der Kaimauer?" Er hatte die Daumen in die Gürtelschlaufen geschoben und schlenderte mit John auf die Uferpromenade zu, die sich zu dieser späten Stunde mehr und mehr füllte. Die Händler machten hier das Geschäft ihres Lebens seit die Flotte mit voller Mannschaftsstärke hier im Hafen lag und die Männer wenig bis gar nichts zu tun hatten.

 

John


 

Als sie aufgestanden waren und sich anzogen, merkte John, dass er sich schon viel befreiter fühlte, ja irgendwie einfach guter Laune war. Es war definitiv die richtige Entscheidung gewesen, hierher zu kommen. Er lächelte bei dem Gedanken, bis er aufsah und leicht durch die Zähne pfiff. "In deinem Outfit vorhin hast du mir auch gefallen, aber nett, dass du dich für mich herausputzt", frotzelte er.

Sie traten an Deck, und jetzt wurde ihm gerade doch ein wenig bewusster, dass er auf einem Schiff war. Der Geruch, der vom Fluss ausging, stieg ihm in die Nase. Dadurch, dass es so heiß gewesen war in der letzten Zeit, drang das salzige Meerwasser bis weit ins Land vor. Gleichzeitig roch es nach totem Fisch und ähnlichem. Vorhin hatte er es gut verdrängen können, jetzt wurde es wieder bewusster. Und eines wurde ihm auch klar: wenn sie das Schiff  jetzt verließen, würde er später wieder drauf müssen. John merkte, dass ihn der Gedanke doch wieder ein wenig unruhig werden ließ. Tancrèd klärte mit seinen Männern, dass sie die Wache übernahmen, dann gingen sie zur Gangway. John schluckte, sah das schwarze Wasser, in dem sich die Lichter des Hafens spiegelten. Es war mittlerweile dunkler geworden und der Hafen füllte sich mit den Männern, die ihren Feierabend lieber nicht bei ihren Drachen zu Hause verbrachten, oder kein zu Hause hier hatten. John ging zügig hinüber und war erleichtert, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte und sie ein wenig die Kaimauer entlangliefen. Als der andere fragte, was er wollte, überlegte er kurz. Wo würden sie weniger auffallen? "Lass uns in eine Schenke gehen", entschied er. "Ich mag mich in Ruhe hinsetzen. Wir können ja nachher noch ein wenig bummeln gehen, wenn du Lust hast." Letztlich war es egal, wo sie sein würden. So oder so, durfte man ihnen nichts anmerken. Momentan war es unruhig, was Homosexualität betraf. Cromwells Hetzreden wurden gerne gehört und er hatte von öffentlichen Schauprozessen in den Provinzregionen gehört, in denen Männer und Frauen offenbar hingerichtet worden waren, weil sie der Sodomie überführt worden waren. 

So suchten sie ein Pub, in dem sie sich ein wenig abseits an ein Fenster setzten. John bestellte sich ein Schwarzbier und einen Eintopf. Hier würde es zumindest niemanden geben, der ihn kannte. Das Bier kam schnell, und während sie auf das Essen warteten, blickte John den Älteren an. "Erzähl mir von deiner Crew. Woher kommen sie und wie bist du zu ihnen gekommen?" Fragend sah er den anderen an.

 

Tancrèd


 

Dass John Zeit mit ihm außerhalb des Bettes verbringen wollte, war für Tancred schön. Außerdem würden sie so reden können und das gefiel ihm mindestens genauso, deswegen war er auch gewillt gewesen, aufzustehen und sich wieder anzuziehen. Eine Antwort auf Johns spitzen Kommentar zu seinem Outfit verbiss er sich. Er war immerhin die Admiralität, auch wenn er Franzose war. Wie ein einfacher Decksmann herumzulaufen, wäre vermutlich einfach dämlich gewesen, auch wenn er in seiner Freizeit machen konnte, was er wollte. Wenn er doch auf einen anderen Kapitän traf, dann würde er froh sein zumindest ein wenig Haltung annehmen zu können und dabei nicht auszusehen wie ein Schuljunge, dem man die Leviten las. "Du brauchst mich damit nicht aufzuziehen... ich weiß, dass ich dir nackt sowieso am besten gefalle...", antwortete er am Ende doch etwas verspätet auf Johns Worte als sie die Gangway hinuntergingen und wenig später in das geschäftige Treiben des Hafens eintauchten. Sie fanden eine Schenke, die zwar ein wenig teurer war als die anderen, aber in der die Fenster zum Lüften weit offen standen und es nicht allzu sauer nach verschüttetem Bier roch. Ein Tisch, an dem immer wieder ein kühles Lüftchen vorbeizog, wurde ihr Tisch und Tancred folgte Johns Beispiel mit dem Eintopf, trank aber Cider. Cidre hatte er in Frankreich schon immer gemocht und das Getränk erinnerte ihn an zu Hause. Etwas nostalgisch aber man bekam Cider schließlich nicht an Deck und auch nicht in jedem Hafen. Nachdem er den ersten Krug recht schnell auf die Hälfte geleert hatte - wie alle Seemänner hatte er schon einen ganz guten Zug am Krug - sprach John ihn auf seine Mannschaft an. Tancrèd musterte den Jüngeren überrascht. Hatte er da gerade richtig gehört? Das John sich für seine Männer interessierte überraschte und freute Tancrèd gleichermaßen... sie waren seine Familie, das hatte er John ja schon zu verstehen gegeben. Aber dass John deswegen Wert darauf legte, mehr zu erfahren, war angenehm. Er sah in Johns Blick, dass es kein geheucheltes Interesse war und so räusperte er sich, lehnte sich zurück. "Woher sie kommen, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Sie kommen von überall... aber angeheuert habe ich sie in Palermo und auf Malta und die meisten von ihnen sind Araber." Aber das hatte John sicher schon gesehen. "Kadmin ist mein erster Maat. Der, den du so offen des Falschspiels 'angeklagt' hast. Neben mir ist er der wichtigste Mann auf dem Schiff und ein alter Freund. Die anderen..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich habe ja nicht eines Tages beschlossen Pirat zu werden und einfach ein tolles Schiff gekauft. Als ich die Raashno erstanden habe, war sie nicht mal in der Lage einem mittelklassigen Sturm standzuhalten. Ich hatte zwar Geld, aber keine Ahnung von Schiffen, und mir hat die Form gefallen. Der Halsabschneider, der sie mir verkauft hat, hat behauptet, sie sei ein grandioses Kriegsschiff und ich kann heute sagen, dass sie das wirklich ist, aber damals war es einfach nur ein Kahn, der schon Leck geschlagen hatte. Ich hab die verlaustesten und widerlichsten Kerle in der Schenke bezahlt, die so aussahen als könnten sie halbwegs mit einem Schiff umgehen und bin mit ihnen raus aufs Meer gefahren... und dann hat mir die See alles beigebracht, was ich wissen musste. Kadmin kam damals in Palermo als blinder Passagier auf das Schiff. Als wir ausgelaufen sind, ist er an Bord gekommen, um einer Gefängnisstrafe und vermutlich der Folter zu entgehen, weil man ihn dummerweise im Hurenhaus erwischt hat, als er da nicht hätte sein sollen. Am Anfang war er drauf und dran die Mannschaft gegen mich aufzuhetzen, aber sein Allah hat ihn dann auf seinen Platz verwiesen." Tancrèd trank noch einen Schluck. "Das ohnehin schon beschädigte und kaum manövrierfähige Schiff ist leider in einen Sturm geraten. Ich hatte keine Ahnung von den Winden und Strömungen und das Meer an der Südküste Italiens kann tückisch sein. Eigentlich dachte ich, wir sterben alle, aber es ging nur einer über Bord und das war Kadmin. Ich hätte ihn ja ersaufen lassen können, aber..." Er sprach einen Moment lang nicht weiter, als ihm klar wurde, was für eine Situation er da schilderte. Er räusperte sich und sprach leiser weiter. "Ich denke, ich muss dir nicht sagen, warum ich ihn herausgezogen habe." Dieses kleine Eingeständnis, so John seine Tragweite denn verstand, wollte er dem Arzt ohnehin nicht vorenthalten. "Wie auch immer, er stand in meiner Schuld. Er hatte Ahnung von Schiffen, deren Bauweise und Bewaffnung und davon, wie man andere übers Ohr haut. In einem kleinen Hafen im Nirgendwo hat er Material herangeschleppt, um das Schiff auszubessern, und es wieder richtig seetüchtig gemacht mit der Bitte, in der Mannschaft aufgenommen zu werden. Seitdem kann ich mir die Raashno nicht ohne ihn vorstellen." Tancred zuckte mit den Schultern. "Unser Koch ist Nassir, ein kluger Kerl, der wirklich aus Scheiße noch was zu Essen zaubern kann. Ansonsten findest du in meiner Mannschaft Araber, einen Deutschen und sogar zwei Spanier. Brüder im Krähennest. Miguel und Tulio.. naja. Und vielleicht bald auch ein englischer Arzt, denn das ist des Königs ausdrücklicher Wunsch. Aber zuerst einmal zwei Italiener.. unser lieber Freund sagte mir, er würde mir eine italienische Flagge besorgen, so dass ich im Mittelmeer nicht gleich das Angriffsziel aller Spanier werde."

 

John


 

Leider war John auf der Gangway viel zu sehr damit beschäftigt, nicht ins Wasser zu fallen, als dass er Tancrèds Bemerkung hinsichtlich seines Outfits hätte kommentieren können. Daher blieb er nur kurz überrascht stehen, bevor ihm klar würde, wo er stand, um dann schnellen Schrittes die letzten Meter mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu überwinden.

Als sein Bier kam hob er das Glas an und hielt es kurz gegen das Licht. Die dunkelrote Farbe verriet ihm, dass hier zumindest nicht gepanscht wurde. So trank er einen Schluck des Bieres mit einer schwarzen Seele wie seiner - zumindest war das der Standartkommentar, wenn er sich im Connor's eines bestellte. Er mochte den Geschmack einfach. So wie Tancrèd offenbar den "Mädchenwein" gern mochte. Aber hier ahnte John, dass es vor allem Erinnerungen waren, die Tancrèd Cider trinken ließen. Er trank es im Sommer auch ganz gern, weil es ein erfrischendes Getränk war. Dass der Franzose ihn so erstaunt ansah, als er nach der Mannschaft fragte, wunderte ihn ein wenig. Schließlich wollte er mehr über den Kapitän wissen. Wenn das seine Ersatzfamilie war, so wollte er davon hören.

Während Tancrèd erzählte, wurde das Puzzle, das er in seinem Kopf nach und nach vom anderen zusammenbaute wieder ein Stück weiter ergänzt. Es fügte sich gut in das ein, was er ihm am Jahrmarkt erzählt hatte. Als Tancred von Kadmin erzählte, hatte er ein seltsames Gefühl. Letztlich erzählte ihm der andere ja gerade, dass er ihn aus den gleichen Gründen herausgezogen hatte, wie ihn, oder? Und John war ja nicht blöd, nicht zu wissen was das hieß.

Weil ich nicht zulassen konnte, dass die See mir noch einmal etwas nimmt, was mir etwas bedeutet

John blickte auf sein Schwarzbier. Nun erklärte sich auch der Blick des etwas älteren Mannes mit dem schwarzen Lockenkopf, als sie sich vorhin am Schiff begegnet waren. Sah Kadmin ihn als Nebenbuhler? War er das? An Land er und an Deck Kadmin? Irgendwie schmeckte ihm dieser Gedanke nicht. Damit hatte er irgendwie nicht gerechnet. War er gerade in dem Bett gelegen, in dem womöglich Kadmin zuletzt noch gelegen hatte? John fühlte sich mit einem mal ungewohnt unwohl in seinem Körper. Er hatte doch sonst nie Probleme damit, wenn andere Sex mit anderen hatten. Wieso auch? Er machte es doch auch nicht anders... Doch jetzt meldete sich eine Stimme, die ihn fragte, ob er an Tancrèds Stelle aktuell mit Kadmin schlafen würde. Seltsamerweise war die Antwort 'Nein'. Genauso lautete auch seine Antwort, wenn er sich das Gegenstück überlegte, nämlich, ob er aktuell mit Kieran ins Bett gehen würde. Sicher, es war nicht wirklich eine realistische Situation, aber selbst wenn es dazu kommen konnte, würde er es auch nicht machen. Da wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich Anspruch auf Tancrèd erhob. Das verwirrte ihn sehr. Genauso wie die Tatsache, dass er dem anderen einen gewissen Anspruch auf sich selbst einräumte. John strich sich die Haare aus der Stirn und trank einen Schluck. Was sollte er jetzt dazu sagen? Zunächst nichts, denn er hörte die Geschichte zu Ende. 

"Das ist nicht ganz unklug", sagte er zerstreut, hinsichtlich der Flagge. "Schließlich durchschifft ihr ja spanisches Hoheitsgewässer, wenn ihr nach Italien wollt." Eigentlich sprach er vor allem, damit es nicht eine komische Stille zwischen ihnen gab, mit der er noch weniger anfangen hätte können. John war gerade überfordert - und das passierte ihm sonst nie. "Von den Brüdern und dem Koch hat Kieran auch in seinen Briefen erzählt. Er hat sich auf dem Schiff sehr wohl gefühlt, auch wenn seine Situation damals nicht sehr angenehm für ihn war. Der nächste Arzt bei euch an Board wird es sicher nicht leicht haben, in Kierans Fußstapfen zu treten." Irgendwie redete er Stumpfsinn. Vielleicht sollte er das Thema komplett wechseln. Aber das nahm ihm der Eintopf ab, der gerade vor ihnen abgestellt wurde. Er blickte hinein und rührte ihn schweigend um. Er mochte eh kein heißes Essen und so gab ihm das die Ruhe, die er kurz brauchte, um mit sich wieder ins Reine zu kommen, wie er mit den Informationen, die ihm Tancred da vor die Füße geworfen hatte, umgehen sollte. 

Letztlich hatte der andere ihm ja nur gesagt, dass er Kadmin sehr mochte, dass er vielleicht sogar auch mehr von ihm gewollt hatte. Aber er wusste nichts darüber, wie es aktuell war. Wobei Kadmins Blick eigentlich so im Nachhinein betrachtet, sehr eindeutig gewesen war. War Kadmin nicht auch nach der Razzia durch die Stadtwachen bei Tancred im Hotel gewesen? Ihm war doch so gewesen, als sei Tancrèd nicht allein im Zimmer gewesen. Ob die beiden da...? Nachdem ihr Flirt doch recht heiß gewesen war... nachdem sie sich im Labor schon so nahe gekommen waren... War Tancrèd so? Nahm er sich, was er bekam? Aber warum war er dann so hartnäckig an ihm dran gewesen? Und wieso verdammt nochmal konnte er den anderen nicht einfach fragen, was Sache war? Wieso war das so schwer für ihn? Er kam sich so blöd vor. Wenn er fragte, stünde er da wie ein kleines Schulmädchen, das seinen Collegefreund fragte, ob er treu wäre. Und was bedeutete Treue eigentlich? War er tatsächlich eifersüchtig? Er wusste schon, warum er eigentlich seinen Prinzipien sehr treu blieb, niemals zweimal mit dem gleichen Mann zu schlafen. Es brachte nur Komplikationen. Es wird nicht kompliziert sein John. Das ist es nie..

John hob den Kopf und blickte den anderen an. "Und warst du mit Kadmin danach zusammen? Seid ihr ein Paar... gewesen?", fragte er dann und er merkte, dass er ein komisches Gefühl bei dieser Frage hinunterschlucken musste. Nein, er sollte es vielleicht wirklich nicht komplizierter machen, als es war. Aber dafür müsste er reden.

 

Tancrèd


 

Obwohl der Franzose weitersprach merkte er deutlich an welcher Stelle seiner Ausführungen Johns Aufmerksamkeit deutlich nachließ. Er konnte die Rädchen förmlich mit bloßem Auge sehen, die sich hinter Johns Stirn drehten. Kadmin.. sein bester Mann. Ihn aus der Geschichte auszuschließen wäre niemals in Frage gekommen. Nicht, weil Kadmin eine unglaublich große Rolle in seinem Leben einnahm, zumindest gerade nicht, aber weil Kadmin zu seinem Leben auf See dazugehörte wie kaum etwas Zweites. John konnte sehr gut kombinieren, was Tancred damit meinte, als er davon sprach, Kadmin aus dem Wasser gezogen zu haben. Während er überlegte, wie er die Sache am besten so aufdröselte, dass John nicht direkt wieder alle Mauern hochzog, die Tancred so mühsam abgebaut hatte, kam ihr Essen und John ging etwas fahrig auf andere Dinge seiner Erzählung ein, auch wenn Tancrèd merkte, dass den Arzt etwas ganz anderes wurmte. Er sagte deshalb nichts darauf, sondern versuchte etwas von dem Eintopf, der herrlich duftete und erstaunlich gut schmeckte. Seit so viele Seemänner hier waren, hatte sich die Qualität des Essens enorm gehoben. Man hatte sogar frisches gutes Rindfleisch in dem Eintopf gekocht und frisches Gemüse schwamm neben Graupen in ordentlichen Mengen in der dunklen starken Rinderbrühe. Nachdem sie allerdings auch ihm zu heiß war, griff er stattdessen nach dem frischen Brot, das sie dazu bekommen hatten, und tunkte es in die dunkle Brühe, ließ es über der Schale abtropfen und aß es so, während sich John langsam dazu durchrang, das Thema das über und zwischen ihnen schwebte, doch selbst anzusprechen.

"Nachdem ich ihn aus dem Wasser gezogen habe?" fragte er, allerdings rhetorisch. Er wusste, dass John genau diese Situation meinte. "Wenn man es so hört, klingt es schon fast wie eine schlechte Masche, oder?" Er kaute fertig und tunkte das Brot erneut in den Eintopf, aß diesmal aber nicht. "Habe ich mit ihm geschlafen? Ja.. habe ich. Aber nicht direkt danach. Er hat mich gemieden, bis zum nächsten Hafen und wollte von Bord gehen - denke ich. Ich habe ihm gesagt, er solle sich verpissen und nicht mehr auftauchen und mich und meine Mannschaft in Ruhe lassen, die nach meiner Rettungsaktion erkannt hat, wer den Schneid hat, sich für andere einzusetzen und nicht nur große Reden zu schwingt.. es war sein Stolz, der ihn gehen ließ, und es war genauso sein Stolz, der dafür gesorgt hat, dass er zurückkam. Er wollte sich nicht von "einem Franzosen" sagen lassen, dass er ein schlechter Mensch sei, also hat er für mich gearbeitet und schließlich angeheuert. Erst in der Zeit danach sind wir 'Freunde' geworden." Er biss das vollgesogene Brot ab und kaute eine Weile nachdenklich. "Aber ich denke, was du wissen willst, liegt näher. Habe ich mit ihm geschlafen, bevor ich nach England gekommen bin? Ja, habe ich. Habe ich es getan nach "unserer" ersten Nacht? Ja, habe ich. Habe ich es getan, nachdem ich mit dir auf dem Jahrmarkt gewesen bin? Nein. Seit diesem Tag nicht mehr." Ehrlichkeit war ihm stets wichtig gewesen und auch wenn es John vielleicht nicht gefiel zu hören, dass er tatsächlich mit dem Mann im Bett gewesen war, es war nun mal eine Tatsache. "Ein Paar gewesen sind wir nie. Christliche Adelige wie unsere beiden Freunde mögen das mit sich vereinbaren können, mit ihrem Glauben und ihren Gefühlen. Kadmin kann es nicht und ich habe nie Wert darauf gelegt.“ Es war erstaunlich, wie ernst er diesen Satz in diesem Moment meinte – obwohl er gelogen war und Tancred das genau so wusste. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er sehr wohl Wert darauf gelegt hatte, mehr für Kadmin zu sein als nur die schnelle Befriedigung. Allerdings dachte er in diesem Moment nicht an diese Zeit.

„Auf See ist es einsam und denke ja nicht, es kommt nicht häufiger unter Deck zu solchen Zusammenkünften... nur ich mische da sicher nicht mit. Ich habe lediglich gesagt, dass ich es nicht dulde, einen meiner Männer zu zwingen, aber was sie freiwillig machen ist mir egal. Letztlich kannst du dir aber denken, dass mich das in der Zeit auf See ziemlich einsam macht." Er griff zum Löffel und rührte ein wenig in dem Eintopf. "Wenn man jemanden hat, an Land, dann ist das was anderes. Dann gibt es ein Ziel zu dem man zurückkehren kann. Aber als ich das nicht hatte, habe ich mich nicht beschwert, wenn er zu meiner Deckwache ebenfalls auf dem Schiff geblieben ist." Er probierte, ob der Eintopf essbar war, und schob sich dann den ersten Löffel in den Mund. "Es wird aber nicht mehr passieren. Nicht wenn die Dinge so weitergehen wie jetzt."

 

John


 

John lächelte matt, als Tancred sein Handeln als "Masche" hinterfragte. Das war es sicher nicht. Schließlich konnte man das ja nicht planen.

Die Ehrlichkeit, die nun folgte, war erschreckend - irgendwie - aber sie tat John auch gut. John sagte bei den meisten Dingen auch gerne was er dachte, nur nicht was sein Innerstes betraf. Tancrèd konnte über solche Dinge reden und das beruhigte ihn ungemein. Auch wenn das, was er hörte, natürlich nicht das war, was er hören wollte. Aber da schalt er sich selbst einen Dummkopf. Wie naiv war er denn? Dass Tancrèd sein Leben lang auf ihn gewartet hätte? Hatte er denn auf den anderen gewartet? Nein.

Der Unterschied war nur, dass seine Sexpartner nichts mehr mit ihm zu tun hatten. Und Kadmin war da, war ständig in Tancrèds Nähe, war sein wichtigster Mann an Board, war bei ihm, wenn sie in See stachen - wenn John nicht bei ihm sein konnte. Und dann?

John hörte sich die Geschichte nach der Rettung weiter an. Eigentlich eine schöne Geschichte, die davon zeugte, wie sehr sich Tancrèd um die kümmerte, die ihm wichtig waren. Ob er auch nur mit ihm zusammen war, weil er Mitleid... John schob den Gedanken schnell weg. Das tat er sicher nicht.

Als Tancred eine Pause machte, rührte John noch immer in seinem Eintopf. Sein Vater hasste es, wenn er es tat und verstand nicht, dass er ungern heiß aß. Er hatte ihn immer... John merkte, dass seine Gedanken schon wieder abdrifteten. Das lag vermutlich daran, dass er noch nicht gehört hatte, was er hören wollte und er ein wenig Angst vor der Wahrheit hatte - auch wenn er nicht wusste, warum.

Aber Tancrèd fuhr fort und beantwortete ihm genau das, als hätte er seine Gedanken lesen können. John blickte auf und sah den anderen zum ersten Mal wieder an. Er hatte seit dem Jahrmarkt nicht mehr mit Kadmin geschlafen? Seitdem sie irgendwie beschlossen hatten, es miteinander zu versuchen? Nicht, nachdem er ihn mit diesem Kuss hatte stehen lassen? Nicht nach der Szene im Labor? Nicht nach dem Backgammonspiel? Nicht, nachdem er ihn ignoriert hatte? Nicht in den letzten drei Tagen? Tancred wich seinem Blick nicht aus, sein Blick war vollkommen ehrlich.

Nun ergänzte Tancred noch die Art der Beziehung, die er zu seinem ersten Maat pflegte: es ging nur um Sex, wenn sie auf See eben Befriedigung suchten. Vielleicht einfach darum, nicht immer allein zu sein. So wie Kieran ihn nächtelang zu sich geholt hatte, auch wenn sie keinen Sex gehabt hatten.

Wenn Kadmin ins Bordell ging, dann stand er wohl eigentlich eh auf Frauen, oder? War Tancred seine Notlösung?

Vielleicht war es so, denn Tancrèd erklärte ihm, dass er niemanden zwang, es provozierte oder sich aufdrängte. Kadmin kam freiwillig zu ihm, benutzte ihn offenbar. Nun gut, wer würde da Nein sagen? Der Araber sah ja nicht verkehrt aus! Es war ein beiderseitiges "Benutzen". John sah den Franzosen nachdenklich schweigend an. Wie würde er sich verhalten? Er konnte es nicht sagen. Hatte er Sex gehabt, seit dem Jahrmarkt? Spontan würde er 'Ja' sagen, aber jetzt wo er darüber nachdachte, merkte er, dass die Antwort 'Nein' war. Er hatte gewollt, es sich vorgenommen, um den anderen zu vergessen, es aber nie gemacht. Er hatte sich selbst beholfen, und dabei an Tancred gedacht. Aber er hatte keinen Ersatz gesucht oder eine Ablenkung.

Und wenn man Monate lang auf See war? Viele Männer auf engem Raum? Es war eigentlich wirklich nachvollziehbar, dass Tancrèd und Kadmin sich die Einsamkeit etwas versüßten...

Als der Kapitän weitersprach, merkte John, dass er wieder auf seinen Eintopf schaute und darin rührte. Was der andere nun sagte, klang beruhigend. Denn Tancred war vermutlich der ehrlichste Mann, dem er je begegnet war - außer vielleicht Kieran, der alles konnte, nur nicht lügen. Zunächst war es nur der Halbsatz, der ihm ein Versprechen gab. Aber als ich das nicht hatte,... - das hieß ja nichts anderes, als dass er nun jemanden hatte, oder? Und dann gab der Kapitän wirklich ein Versprechen, das an die Bedingung geknüpft war: er wollte, dass es so weiterging wie jetzt, dass John und er sich näher kamen. Nun, damit hatte er kein Problem.

John hatte wieder aufgesehen und lächelte leicht.

"Ich kann gut verstehen, dass du froh bist, wenn du auf See nicht alleine schlafen musst. Ich ziehe ja auch oft deshalb los..." Seine Hand spielte mit dem Löffel, während er nicht genau wusste, was er sagen sollte. "Es... ich... Ich glaube, ich habe noch nie so ein Gespräch geführt. Es fühlt sich komisch an, der Gedanke, dass du Kadmin immer um dich hast, er dein Freund ist und manchmal eben mehr." Er blickte den anderen an. "Ich habe noch nie den Gedanken gehabt, irgendeinen Anspruch an jemanden geltend machen zu wollen, es ist irgendwie seltsam, aber der Gedanke kam gleich. Und dass jemand Anspruch auf mich haben darf, hätte ich auch nie für möglich gehalten, aber auch das stört mich irgendwie nicht." Warum war es eigentlich so schwer, die richtigen Worte zu finden? Ihm lagen doch sonst immer Worte auf der Zunge! "Ich rede komisches Zeug", seufzte er. "Eigentlich will ich dir nur sagen, dass ich weiß, dass du ein sehr ehrlicher Mensch bist und ich dir vertraue." John hob einen Löffel vorsichtig an seine Lippen und befand das Essen nun für essbar. Es war wirklich seltsam, was sich alles änderte, wenn man versuchte, sein Leben zu zweit zu bestreiten. Sehr seltsam...

 

Tancrèd


 

Dieses Gespräch war definitiv eines der Gespräche, die sie führen mussten. Ein anderes würde bald auch nicht mehr aufzuschieben sein, nämlich das Gespräch, in dem es darum ging, was passierte wenn Tancred London für längere Zeit verlassen musste und niemand mehr "da" war, mit dem John sich gut hielt. Nachdem er sich in dem wirklich großen Schritt von seinem Vater gelöst hatte, würde er verdammt allein in London sein, wenn Kieran mit Nico nach Italien abzog. Er hatte dann zwar noch seinen Job, aber sonst niemanden mehr und Tancrèd fürchtete darum, dass John ziemlich einsam sein würde. Aber ihm anzubieten, mit ihm zur See zu fahren, war leichter gesagt als getan. John war kein Seemann, ganz sicher nicht. Er selbst war das zwar auch nicht gewesen, aber für ihn war es die einzige Chance gewesen, während John hunderte Möglichkeiten offen standen. Bevor John das nicht selbst entschieden hatte, würde Tancrèd dieses Thema besser gar nicht anschneiden. 

Auf Johns Worte hin musste Tancrèd lächeln, während er aß. "Ich kann deine Bedenken gut verstehen. Und mehr als mein Wort kann ich dir auch nicht geben. Solltest du irgendwann einmal die Gelegenheit bekommen, ihn kennenzulernen, wirst du aber merken, dass in ihm wirklich keine Konkurrenz zu sehen ist. Ich finde auch nicht, dass du komisches Zeug redest. Ich bin viel eher froh, dass wir beide in der Lage sind, darüber zu sprechen... Denn wenn ich sehe, was daraus resultiert, wenn Menschen nicht darüber sprechen, weil sie glauben, dass ihnen alles in den Schoß fällt, dann will ich lieber für immer allein bleiben." Er musste kaum darauf hinweisen, dass er Dominico und Kieran meinte. Da war viel an die Wand gefahren worden, nur weil Dominico Sforza nicht ausreichend mit Kieran über seine Lage gesprochen hatte. Mit zwei weiteren Scheiben Brot hatte er kurz darauf seine Schüssel geleert und lehnte sich zufrieden zurück. Er fühlte sich gut, nicht nur wegen des Essens, sondern auch wegen ihres Gesprächs. Dass John überhaupt etwas zu diesem Thema sagte, war ein riesiger Schritt und er wusste das auch. Nach dem was er auf dem Jahrmarkt erlebt hatte, war John wirklich nicht besonders gut darin, jemanden nahe an sich heran zu lassen und Tancrèd wusste, dass er bereits ziemlich privilegiert war, was das anging.

 

John


 

Hm, vielleicht sollte er Kadmin einfach besser kennenlernen - nur er hatte nach den Worten und dem Blick vorhin so absolut keine Lust darauf. Er hatte keine Lust auf irgendwelche Spielchen und Machtkämpfe. Aber vielleicht sah er das auch zu schwarz und es war gar nicht so.

Dass der andere ihm sein Wort gab, reichte ihm. Alles klang danach, dass er keine tieferen Gefühle für Kadmin hatte. So lange das so war, war das in Ordnung, oder? Er nickte leicht. John wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn Tancrèd es brach. Er vertraute ihm - alles andere war jetzt egal. Als der Franzose weitersprach, sah John wieder von seinem Eintopf auf. Dass der andere von Dominico und Kieran sprach, war ihm gleich klar. Gott wie hatte Kieran gelitten - John spürte bei dem Gedanken wieder seine Hand kribbeln. Ja, für solche Spiele war er nicht zu haben. Da wäre er auch lieber sein Leben lang allein und ungebunden! Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!

John aß seinen Eintopf weiter. Während der andere schon fertig war, konnte er jetzt erst so richtig beginnen. Das Schweigen zwischen ihnen fühlte sich gut und nicht unangenehm an, und gab ihm die Zeit zu realisieren, dass er tatsächlich dabei war, sich an einen Mann zu binden. 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Laila82
2017-10-23T21:51:55+00:00 23.10.2017 23:51
So jetzt kommen die ernsten Thema auf den Tisch. Ich liebe ja ehrliche Charaktere, von daher ein Kapitel genau nach meinem Geschmack.


Zurück