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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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London 3 - Der See I

Tancrèd


 

Als die Sonne am nächsten Morgen durch die Heckfenster kroch, blinzelte Tancrèd träge gegen das ungebetene Licht und war im nächsten Moment hellwach. Das Schiff lag noch immer ruhig am Hafen und er hatte John im Arm, der noch schlief, doch draußen an Deck waren bereits Rufe zu hören. Seine Mannschaft arbeitete bereits wieder... er sank zurück in die Kissen. Leider konnte er nicht mehr ewig hier im Bett liegen bleiben. Er küsste John sanft wach und als der junge Mann ebenfalls blinzelte, grinste er. "Guten Morgen, Prinzessin. Mich ruft die Pflicht, aber ich lasse mir nicht noch Mal sagen, dich hier schändlich liegen gelassen zu haben, also: Guten Morgen. Ich gehe kurz nach meinen Männern schauen und dann haben wir beide etwas zu tun." Erklärte er direkt, ehe er sich aus dem Bett schob und sich Hose und Hemd überzog. Aus einem Krug goss er Wasser in eine Schale, um sich grob das Gesicht zu waschen, ehe er hinaus an Deck trat. Kadmin hatte seine Mannschaft wie immer hervorragend im Griff. Er ging zu ihm hinüber und besah sich die Arbeit des letzten Tages, ehe er seine Männer zu sich rief und ihnen erklärte, was heute noch weiter passieren würde. Morgen würden sie das Schiff ein wenig weiter östlich landen, um sich um den Rumpf zu kümmern, also standen heute nur noch die Segel auf dem Programm, die schon beinahe fertig waren. Tancrèd konnte die Mannschaft guten Gewissens alleine lassen und betreute einige Männer damit, sich um das Pech zu kümmern, das sie brauchen würden, um den Rumpf abzudichten.

Da alles so lief wie er es geplant hatte, war er zwei Stunden später mit John auf dem Weg zu dem Ort, an dem er seinen Plan gedachte umzusetzen. Die Waage hatte er sehr sorgfältig eingepackt und in einer einfachen Tasche dabei, sowie zwei große Leinentücher, um sich abtrocknen zu können. Sie verließen Gravesend und passierten einige Bauernhöfe, durchquerten ein Waldstück und erreichten schließlich hinter einer Kuppe einen großen See. Das Wasser war klar und roch frisch, da der See von einer Quelle gespeist wurde. Er war definitiv groß und tief, aber zumindest am Strand so, dass man bequem ins Wasser waten konnte. Ohne viel zu erklären stieg Tancred vom Pferd und band es an einen nahestehenden Baum, nahm die Tasche mit an das kiesige Ufer und warf das Hemd darauf, zog die Hose aus und watete in Unterkleidern hinein in das Wasser, das ihn bereits nach zwei Metern kniehoch verschluckt hatte. Es war warm wie die vergangenen Tage auch und Tancred genoss die angenehme Kühle des Wassers, spritzte sich das kühle Nass ins Gesicht und drehte sich dann zu John um. "Komm." Er grinste und hielt ihm die Hand hin. "Ein kostenloses Bad."

 

John


 

Er spürte die leichte Regung des anderen, hörte seinen Atem, der den unruhigeren  Rhythmus eines Wachen annahm, spürte, wie jener sich abrupt aufrichtete und sich dann doch noch mal neben ihm hinlegte. Er nahm das alles am Rande wahr, aber richtig wach wurde er erst durch die Küsse, die ihm der andere zunächst auf die Haut hauchte, bevor John seinen Kopf jenen Lippen entgegenstreckte, die er nun schon so oft gekostet hatte, aber nicht genug zu bekommen schien. Vorsichtig öffnete er die Augen und sah, dass es schon heller war, als er gedacht hätte. Irgendwie schien sein Körper nämlich noch nicht so ganz davon zu überzeugen sein, dass es schon Tag war, und er jetzt aufstehen musste. Als Tancred ihm erklärte, warum er ihn gerade dabei war zu wecken, grunzte er. "Ich geb dir gleich Prinzessin", knurrte er, suchte mit einer Hand nach einem Kissen und versuchte in einer eher unbeholfenen Bewegung, dieses dem anderen an den Kopf zu werfen.

Doch der Franzose schob sich schon aus dem Bett und John beschloss, dass wenn der andere es so eilig mit dem Aufstehen hatte, er es ja nicht haben musste. Also drehte er sich noch einmal zur Seite, deckte sich zu, kuschelte sich in die Kissen und atmete tief ein. Hm, er hatte so tief und fest geschlafen wie schon seit... wie noch nie, vermutlich. Der vergangene Abend war schön gewesen, die Nacht für John erstaunlich. Wenn er ehrlich zu sich war, musste er zugeben, dass Sex mit jemanden, den man von Mal zu Mal besser kennenlernte, wesentlich erfüllender und trotzdem auch genauso aufregen war, als wenn man die Partner ständig wechselte.

John konnte nicht mehr richtig einschlafen, aber döste vor sich hin, lauschte den Geräuschen draußen und dem Wasser, mit dem er sich wohl besser anfreunden müsste. Hin und wieder hörte er Tancrèds Stimme heraus. Was dieser wohl gemeint hatte, als er sagte, dass sie noch etwas zu tun hätten? Er hatte seinem Vater gestern gesagt, dass er heute erst gegen Abend in der Apotheke vorbeikommen würde, und so genoss er es, einfach in den Tag hinein zu trödeln. Vor Mittag musste er nicht los, um rechtzeitig zu Hause zu sein. Noch bevor der andere schließlich wieder zu ihm kam, stand er auf, wusch sich ausgiebig die Spuren der Nacht ab und griff zu seinem Rucksack, um sich ein frisches Hemd heraus zu holen. Im Rucksack befand sich auch das Hemd des Kapitäns, sein Einsatz für das Backgammon-Spiel und ein Briefumschlag, in dem nur ein Schlüssel und ein Zettel mit einer Adresse steckten. Den Einsatz legte er auf den Schreibtisch, den Brief darunter, so dass man ihn nicht sehen konnte. Er würde den anderen nachher nicht darauf aufmerksam machen. Er mochte es nicht, wenn er dabei war, wenn jemand ein Geschenk von ihm öffnete. Ihm war das unangenehm. Bei dem Hemd zögerte er. Dann steckte er es wieder ein. Er wollte etwas haben, wenn jener nicht bei ihm war. 

So passte er quasi Tancrèd schon ab, als der kam, um ihn aus dem Bett zu schmeißen und nicht allzu lange Zeit später waren sie auf den Pferden und John war gespannt, was der Kapitän vorhatte. "Warum sagst du mir nicht, einfach, was du vorhast?", fragte er schließlich, als er wirklich gar keine Idee mehr hatte, was der andere mit ihm vorhaben könnte. Verwandte oder Freunde hier zu besuchen, konnte ja kaum sein. Wenn er seine ärztliche Hilfe bräuchte, hätte er es ihm sagen können. Aber noch bevor er nochmal nachbohren konnte, ritten sie über eine Kuppel und vor ihnen tat sich ein See auf, der zugegebenermaßen recht idyllisch in der Landschaft lag. Dennoch zügelte John einen Moment sein Pferd, bevor diesem der Abstand zum anderen aber zu groß wurde und in einem leichten Trab dem anderen hinterherkam. Tancred war abgestiegen und band sein Pferd an, während John noch nicht so genau wusste, ob er richtig ahnte, was der andere vorhatte. Aber es war eindeutig. Zögernd stieg er ab und band sein Pferd fest, lockerte den Sattelgurt. Tancred war gerade dabei, sich zu entkleiden und unwillkürlich betrachtete er den schönen Körper des anderen, den er spätestens seit dieser Nacht wirklich gut kannte. John ging zum Strand, während Tancred schon ins Wasser watete. Er zog sich die Schuhe aus. Mehr war er noch nicht bereit dem anderen zuzugestehen. Er trat näher ans Ufer, so dass seine Zehen etwas nass wurden, als sich Tancred zu ihm umdrehte. "Habe ich schon mal erwähnt, dass ich baden in irgendwelchen Gewässern nicht ausstehen kann?", fragte er den anderen und seine Stimme klang patziger, als er es eigentlich wollte. Er blickte zu seinen Füßen hinab. "Ich weiß nicht, ob ich das kann."

 

Tancrèd


 

Das Wasser war herrlich und Tancrèd musste wirklich an sich halten, um nicht einfach hineinzustürmen und unterzutauchen. Das Flusswasser der Themse war an der Stelle, an der sie ankerten, bereits nicht mehr wirklich frisch und wenn Meerwasser bei der Flut in das Flussbett drückte, war der Geruch schon ziemlich unangenehm. Das Wasser hier war geruchlos und plätscherte klar und sauber an den kleinen Strand. Dass John nicht an ihm vorbei ins Wasser stürmen würde, war Tancred schon klar, doch dass er sich sogar nur auf die Schuhe beschränkte war schon ein wenig übervorsichtig. Der Franzose rollte die Schultern nach hinten und genoss das kühle Nass, dass seine Knöchel umspielte. "Deswegen stinkst du ja auch so schrecklich", gab er gelassen und amüsiert zurück. "Aber wenn du unseren Freund bald besuchen willst, dann solltest du auf ein Bad in so frischem Wasser nicht verzichten..." Er kam wieder ein Stück zu John zurück, aber nicht so weit, dass er ihn hätte erreichen können. "John..", sprach er ihn sanft an, bis der Jüngere ihn wieder ansah. "Ich will nicht, dass du an die andere Seite schwimmst. Ich will nur, dass du ein Stück mit mir hineingehst. Das ist nur ein See, keine Gezeiten, keine Wellen. Ich bin bei dir und du weißt, dass du nicht ertrinken kannst, wenn ich bei dir bin. Komm." Er streckte die Hand aus, doch John würde bereits ins Wasser kommen müssen, wenn er sie erreichen wollte. Tancrèd würde nicht eher aufgeben, bevor John nicht wenigstens ein paar Schritts ins Wasser getan hatte.

Außer ihnen war niemand hier, nur das Zwitschern von Vögeln und leises Summen von Insekten war zu hören. Tancred verkniff sich jedes weitere Wort, er wusste ja, das es nichts brachte zu sehr auf John einzureden. Stattdessen blieb er einfach stehen und wartete, während das kühle angenehme Wasser seine Schenkel umspülte und sein Arm immer schwerer wurde. Trotzdem ließ er ihn nicht sinken. Er wusste, dass das hier wichtig war. Wenn er London mit Alessandro Sforza verließ, wusste er nicht was passiert sein würde, wenn er wieder kam. Ob es John dann noch gab, ob es seinen sicheren Hafen noch gab und den Henry, den er jetzt kannte. Ob die Flotte noch so existieren würde... und wenn es auf einmal schnell gehen musste, wenn John sich entschied am Ende doch mit ihm zu gehen, dann wollte er nicht, dass John auf dem Schiff Todesangst hatte, weil er gar nicht wusste, wie er schwimmen sollte, wenn er über Bord ging. Tancrèd wollte John die Angst nehmen, ihm dabei helfen, das Wasser nicht mehr nur als Feind zu sehen. Er wollte ihn umarmen, ihn küssen und im Wasser stehen und einfach nur fühlen, dass John verstand, dass es nicht das Wasser war, das ihn hatte töten wollen, sondern ein Mensch, der jetzt nicht mehr in der Lage dazu sein würde.

 

John


 

John hob die Augenbrauen und sah den anderen amüsiert an. Er stank also? "Naja, vor allem nach dir, oder?", stellte er trocken fest und seufzte dann. Sich waschen, duschen - kein Problem. Aber hier im See baden? Er sah den anderen an, während der wieder näher kam. "Und wegen unseres Freundes würde ich definitiv nicht hier reingehen", knurrte er. Doch sein Missmut schwand, als er seinen Namen hörte und die Bitte des anderen. Einen Moment blickte er Tancrèd nur in Ruhe an, zögernd, nachdenkend, seine Angst deutlich spürend. Dann trat er ein Stück zurück. "Aber wenn ich sage, dass es reicht, bringst du mich wieder ans Ufer", wollte er sich versichern.

Mit dem Versprechen zog er das Hemd über den Kopf und ließ Hose und Untergewand über die Hüften hinabgleiten, um darauf hin wieder an das Ufer zu treten. Tancred hatte die Hand noch nicht wieder sinken lassen, hatte so verharrt und auf ihn gewartet. Er hatte recht: Der Kapitän würde ihn nicht ertrinken lassen. Aber John schien die Luft schon auszugehen, bevor er überhaupt den ersten Schritt gemacht hatte. Es kostete ihn viel guten Willen, einen Schritt ins Wasser zu machen. Das kalte Nass umspielte seine Knöchel und er fröstelte etwas, atmete hektischer. Schnell ergriff er die Hand des anderen, der ihn fest hielt und ihn fast schon ein wenig weiter zu sich zog, so dass auch er jetzt bis zur Wade im Wasser stand. Ohne dass er es irgendwie beeinflusste begannen seine Hände zu zittern, obwohl das Wasser gar nicht so kalt war. John schalt sich einen Idioten. Bei der Tiefe würde er doch mit Leichtigkeit selbst hinauskommen!! Aber sein Verstand und sein Körper schienen nicht im Einklang zu sein. 

Vorsichtig blickte er auf, den anderen an. "Wie weit muss ich denn hinein, damit du zufrieden bist", fragte er gepresst. Auch das klang patziger, als er wollte. Er merkte, dass sein ganzer Körper sich verkrampft hatte. "Ich habe immer geweint, wenn mich mein Vater geduscht hat. Ich hatte panische Angst, dass er es noch einmal tun würde. Irgendwann hat mein Kopf die ganze Geschichte komplett ausgeblendet, bis ich alt genug war, alles selbst zu machen." Er wusste nicht, warum er das erzählte, aber irgendwie kam es ihm gerade in den Sinn. Seine Augen waren wieder auf das Wasser gerichtet, die Hand verkrampfte sich in der des anderen. Vorsichtig trat er noch einen Schritt weiter auf den anderen zu, so dass das Wasser nun über seinen Knien war. Langsam schien es wärmer zu werden. Seine Augen suchten das des Franzosen, der nun direkt neben ihm stand. Dieser Mann brachte ihn dazu, sich ihm mit seinen Schwächen zu zeigen, wie es John selbst nie für möglich gehalten hätte. Aber die Angst, in diesem Moment absoluter Schwäche, Angst und Hilflosigkeit verraten und fallen gelassen zu werden, blieb aus. Tancrèd hielt ihn, verlachte ihn nicht, half ihm...

 

Tancrèd


 

Es war unglaublich wie so ein bisschen Wasser in John die komplette Panik ausbrechen ließ. Tancrèd war wirklich erstaunt und hätte es selbst nicht geglaubt, wenn er nicht beim ersten Sturz ins Wasser dabei gewesen wäre. Doch John überwand sich und zog sich aus, kam langsam zu ihm herein. "Ich trage dich eigenhändig ans Ufer, wenn du sagst es reicht", versprach er in absolut ruhigem Tonfall. John setzte den ersten Fuß ins Wasser und man sah ihm an, wie wenig wohl er sich fühlte. Sanft griff Tancred seine Hand und zog ihn tatsächlich etwas näher. Er wusste, dass er die richtige Mischung aus etwas Druck und freier Entscheidung von John brauchte, um ihn wirklich ins Wasser zu locken. "Ich bin alleine schon zufrieden, dass du nicht weggeritten bist, als du gesehen hast, wo wir hier gelandet sind...", gab Tancred zurück und drehte John zu sich, als der neben ihm angekommen war. Sanft fuhr seine Hand über Johns Wange und hob seinen Kopf an, dass der nicht mehr auf die glänzende Oberfläche starrte. "Dein Vater ist nicht hier, nur du und ich." Seine Stimme war wirklich beruhigend und statt noch weiter zu gehen, zwang er John einfach einen zärtlichen Kuss auf, um ihn ein wenig auf andere Gedanken zu bringen. "Komm, lass uns ein bisschen spazieren gehen." Entschied er dann und drehte ab, so dass er parallel zum Ufer stand. John an der Hand zog er ihn einfach sachte mit sich, so dass sie durch das seichte Wasser wateten. Bei den Temperaturen, die noch weiter ansteigen würden, war das sehr angenehm, zumindest für ihn. Er ließ John nicht los, ließ aber auch nicht zu, dass der sich wieder zu weit Richtung Ufer entfernte. 

Je länger sie im kühlen Nass zubrachten, desto besser wurde es. John schien sich zumindest an diese Tiefe zu gewöhnen und schien sich damit abzufinden, dass er wohl jetzt und in den nächsten fünf Minuten nicht von Tancrèd oder der eigenen Dummheit ertränkt werden würde. Sie waren eine ganze Strecke gelaufen, ehe Tancred wieder umgedreht hatte und sie langsam und gemächlich zu den Pferden zurückgingen. Statt jetzt aber aus dem Wasser zu gehen ließ Tancred sich erst in die Hocke sinken, dann ganz auf den Hintern fallen. Sie waren an einer Stelle, an der es gerade reichte, ihn im Sitzen bis zum Bauchnabel nass zu machen - seine Arme und vor allem sein Kopf waren noch immer weit vom Wasser entfernt. "Ahhhhh...", grunzte er zufrieden, als das angenehme kühle Wasser seine Beine umspülte. "Komm, setz dich." Er deutete auf seinen Schoß. "Dann bist du nicht ganz so tief im Wasser, hmn?" Es war das letzte, das er von John erbitten würde, der ohnehin schon mehr getan hatte, als Tancred erwartet hatte. Aber er sah es als sehr guten Anfang..

 

John


 

"Na dann kann ich ja wieder raus", murmelte er auf Tancreds Worte, dass er schon zufrieden war, dass er bis zum See gekommen war. Aber er bewegte sich nicht, blickte nur das Wasser an, auf dessen Oberfläche sich die Sonne spiegelte. Erst jetzt merkte er, wie klar das Wasser war. Man konnte jeden Stein unter seinen Füßen sehen und sogar kleine Fische, die in einigem Abstand schwammen. Als er die Hand des anderen an seiner Wange spürte, sah er auf. Die Worte taten ihm gut und er nickte leicht. Dann spürte er den Kuss, der seine Wirkung nicht verfehlte und ihn wirklich etwas ruhiger werden ließ. Seufzend sog er Luft ein. Was dieser Mann nur mit ihm machte!? Krempelte sein ganzes Leben um und ließ ihn nun durchs Wasser - seine persönliche Hölle - gehen. 

Als Tancrèd vorschlug, spazieren zu gehen, nickte er leicht. Nun, wenn es den anderen glücklich machte! Wobei das eigentlich der falsche Ansatz war. Er sollte das vielleicht wirklich nur für sich selbst machen, für niemanden sonst. In Gedanken folgte er dem anderen durchs Wasser, erst etwas zögerlich und langsam, dann zügiger. Der Widerstand des Wassers war ungewohnt, auch der Grund an sich, der etwas rutschig und wackelig war, ließ ihn zögern, aber es ging. Endlich schaffte er es, auch mal aufzublicken und die Umgebung wahrzunehmen. Der See lag sehr idyllisch da. Am gegenüberliegenden Ufer standen Pappeln, die im Wind leicht rauschten. Das Wasser des Sees lag ruhig da und wirkte fast schon sanft. Vögel zwitscherten und die Natur um sie war ungewohnt laut. Sie kehrten irgendwann um und Johns Griff an Tancreds Hand lockerte sich langsam. Irgendwie eine komische Situation - als ob er nochmal laufen lernen müsste. 

"Ich komm mir vor, als sei ich gehbehindert", murmelte er und musste leicht grinsen, als Tancred plötzlich seine Hand losließ und sich neben ihm hinsetzte. Erst erschrak er ein wenig, musste dann aber lächeln. Die Sonne stand mittlerweile recht hoch und John merkte, dass seine Haut sich ihr nicht mehr sehr lange aussetzen sollte. Leider war er ganz anders als Kieran eben der britische Typ, der entweder weiß wie Porzellan oder rot wie ein Krebs war. Aber vielleicht würde seiner Haut das Wasser wirklich etwas gut tun... Als der andere ihm deutete, dass er sich auf seinen Schoß setzen solle, hob er skeptisch die Augenbrauen. Dann ließ er sich auf die Knie sinken und setzte sich so ins Wasser. Er hatte das Gefühl, so schneller aufstehen zu können. "Ich weiß nicht, ob ich deinem Schoß trauen kann", sagte er dann gespielt nachdenklich und war überrascht, dass er auch so weit im Wasser noch relativ ruhig blieb. Dass er noch immer angespannt war, war keine Frage. Aber langsam fühlte er sich sicherer. Er ließ seine Hand vorsichtig durchs Wasser gleiten und in einem Anflug von Lausbüberei spritze er dem anderen eine Hand voll Wasser in seine Richtung. Fasziniert starrte er auf den Oberkörper des Kapitäns, an dem das Wasser abperlte. "Das sind schon gemeine Methoden, einen jungen unbescholtenen Mann wie mich mit so offensichtlichen Verlockungen ins Wasser zu lotsen, du Wassermann. 

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,

Netzt' ihm den nackten Fuß;

Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll

Wie bei des Liebsten Gruß.

Er sprach zu ihm, er sang zu ihm;

Da war's um ihn geschehn;

Halb zog er ihn, halb sank er hin

Und ward nicht mehr gesehn."

 

Tancrèd


 

"Das ist deine Begründung?" Tancred lachte als er neben John ins Wasser gesunken war und es sichtlich genoss, einfach nur halb mit Wasser bedeckt dort zu sitzen. "Meinem Schoß kannst du nicht trauen? Das sah gestern aber noch ganz anders aus... und heute Nacht." Er streckte John die Zunge heraus, während der sich langsam und sehr vorsichtig ins Wasser sinken ließ. Ein wirklich großer Schritt, weil jetzt seine Hände und seine Beine im Wasser waren und im Grunde nur der Oberkörper und Johns Kopf nicht. Tancrèd zog innerlich den Hut vor John, der sich wirklich ziemlich weit ins Wasser gewagt hatte für die Angst, die ihn normalerweise plagte. Natürlich bekam er für seine Worte direkt die Strafe in Form eines Schwall Wassers, der seinen Oberkörper angenehm kühl benetzte und deswegen nicht wirklich störend war. Er blinzelte einige Tropfen weg und bemerkte dann Johns Blick, der auf seinem Oberkörper haftete. Sein Grinsen wurde breiter als er die Muskeln absichtlich etwas anspannte, um John mehr zum Schauen zu geben. Als der es merkte und ihn tadelnd ansah, lachte der Kapitän auf und lauschte schmunzelnd Johns Worten. "Wassermann, hmn?" Er rutschte etwas näher an John heran auch wenn sie schon nebeneinander saßen. "Weißt du, was ich lieber hören würde?" Er räusperte sich und intonierte nur ein wenig die Melodie eines alten Seemannsliedes:

"My heart is pierced by cupid

I disdain all glittering gold

There is nothing can console me

but my jolly sailor bold"

(zu Deutsch:

Mein Herz durchbohrt von Armor,

Ich verschmäh das Glitzergold

Und rein gar nichts kann mich trösten

Nur mein tapf'rer Seeman hold..)

 

Noch bevor John eine Antwort auf seine so vielsagende Strophe geben konnte, stahl er sich einen Kuss von Johns schönen Lippen. Gott, wie hatte er sich in den letzten Stunden daran gewöhnt, ihn zu küssen. Der Gedanke ihn heute für unbestimmte Zeit wegreiten zu sehen - und noch schlimmer, der Gedanke abzulegen, ohne ihn mitnehmen zu können... Es machte Tancred wirklich wahnsinnig. Aber welche andere Chance hatte er? Wenn er wirklich wollte, dass John irgendwann einmal mit ihm ablegte, dann nur die, in der John das für sich selbst entschied.

Als sie denn Kuss lösten, lächelte Tancrèd ohne noch etwas zu sagen und rückte ein Stück von John ab, etwas weiter nach vorn ins Wasser und legte sich ganz um, so dass sein Kopf unter Wasser verschwand. Als er gesagt hatte, er wolle ein Bad nehmen, war das ernst gemeint gewesen, denn am Hafen hatte er kein so klares erfrischendes Wasser wie hier. Seine Hände fuhren durch sein Haar und er strich sich über Arme und Beine, fühlte sich schon beim Auftauchen wesentlich besser. Ein Blick nach oben zeigte, dass die Sonne schon sehr hoch stand. John würde sehr bald nach Hause reiten müssen. Er drehte sich zu ihm und legte den Kopf zur Seite. "Ich befürchte, wir müssen bald los..." Er setzte sich noch einmal neben John und genoss die Sonne und das Wasser, ehe sie sich beide erhoben und zum Ufer zurückwateten. Mit den Handtüchern aus Tancreds Tasche konnten sie sich schnell und bequem abtrocknen. Als sie wieder zu den Pferden hinübergingen griff Tancrèd das Pferd am Zügel, das John vorher geritten hatte. "Nimm dieses Pferd." Er deutete auf "seines". John war noch damit beschäftigt gewesen, seine Hose zu schließen und seine Schuhe anzuziehen, so dass Tancrèd die Waage und einen Brief unauffällig in dessen Satteltasche hatte verstauen können. "Ich hatte es schon Mal, es ist sehr ausdauernd und bringt dich sicher schnell zurück nach London."

 

John


 

Ja, der Oberkörper des anderen war nun einmal ansehnlich: die Muskeln, die sich klar unter der Haut definierten... John merkte, dass Tancrèd extra mit den Muskeln spielte. "Tze...", schnaubte er und sah ihn tadelnd an, der nun näher zu ihm rutschte. Fragend sah er auf, als dieser das Lied anstimmte, das John nicht kannte. Zum Ende hin hob John zweifelnd die Augenbrauen, doch noch bevor er einen Kommentar abgeben konnte, wurde er geküsst. Das also wollte der andere von ihm lieber hören? Unabhängig davon, dass jener gerade seinen Spaß aufgegriffen hatte, war der Gedanke seltsam, dem anderen seine Liebe zu gestehen. Liebte er ihn? Was war das? Und wie merkte man das?

Der Kuss ließ die Gedanken verschwimme und in den Hintergrund treten. Sogar das Wasser um ihn herum vergaß er für einen Moment, in dem er nur diesen Mann küsste, der sein Leben so grundlegend veränderte. 

Als Tancrèd sich von ihm löste, öffnete er wieder vorsichtig die Augen. Langsam wurde ihm kalt, aber das beklemmende Gefühl war bei weitem nicht mehr so groß, wie es einmal gewesen war. Auch sein Körper, noch immer angespannt, gehorchte ihm wieder mehr und zitterte nicht unkontrolliert. Vielleicht sollte er ab und zu daran arbeiten, auch wenn der andere nicht dabei war. John beobachtete in Gedanken, wie sich der andere wusch. Er selbst würde nachher zu Hause duschen. Das fühlte sich sicherer an. Dennoch zögerte er, aufzustehen, als der andere ihn darauf hinwies, dass sie bald ihrer Wege reiten mussten. Irgendwie wollte er nicht schon los müssen, denn dann holte ihn der Alltag viel zu schnell wieder ein. Er musste wohl oder übel zurück nach London und arbeiten. Morgen war ein spannender Tag und er wollte noch das nachholen, was er durch die Zeit mit Tancrèd versäumt hatte. Dann war da noch Tancrèd... Der würde in ein paar Tagen in See stechen und ob er wiederkäme, wusste niemand. Sicher, er wollte wiederkommen. Aber es hing ja nicht nur von ihm ab. Irgendwie machte John dieser Gedanke traurig. 

Schließlich traten sie ans Ufer und er trocknete sich ab. Er betrachtete einen Moment noch den See und wunderte sich über sich selbst, dass er es doch geschafft hatte, seine Angst zu überwinden. Irgendwie war er ein wenig stolz auf sich. Als er sich umdrehte, musste er noch in die Schuhe schlüpfen, dann trat er an den anderen heran, der bereits bei den Pferden stand. Als der Kapitän ihm erklärte, dass sie Pferde tauschen sollten, blickte er ihn fragend an, erhielt dann aber eine plausible Antwort. "Danke", sagte er daraufhin, und ging zu eben diesem Pferd, nahm die Zügel, strich ihm über den Hals und drehte sich dann noch einmal um. Einen Moment war er unsicher, er hasste solche Verabschiedungen. Doch dann trat er auf den anderen zu. "Ich habe dir etwas auf deinen Schreibtisch gelegt", sagte er zum anderen. "Eine Kleinigkeit. Wundere dich also nicht." John strich sich die Haare aus der Stirn, wie so oft, wenn er nicht genau wusste, was er sagen sollte. Er blickte über den See, zu den Pappeln, die in der Sonne glitzerten. "Sehen wir uns noch einmal wieder, bevor du aufbrichst?", fragte er leise und sah den anderen nun an. "Je sui...triste? Vous me avez ensorcelé"
 

-.-.-.-.-.-
 

Als er in London eintraf, war es bereits früher Abend. Er gab das Pferd in jenem Gasthof ab, in dem er sein anderes geholt hatte. Doch bevor er den Stall verlassen konnte, hörte er ein "Mr. Forbes, Sie haben etwas vergessen!" hinter sich. Als er sich überrascht umdrehte, weil sein 'Rucksack' ja da war, drückte ihm der Stallbursche einen Beutel in die Hand. Irritiert nahm er ihn entgegen und verließ den Stall. Wenn es Tancrèd gehörte - und so musste es ja sein - würde er lieber zu Hause nachsehen, was es war und dann entscheiden, was er damit tat. Er lief zu sich und bemerkte den großen grauen Hund gar nicht, der sich an seine Versen heftete. Dort packte er aus, was in dem Beutel war. Der Brief fiel zuerst heraus, auf dem sein Name stand. War das für ihn? Offensichtlich. Aber wieso?

Kurz zögerte er, dann öffnete er erst den Brief:
 

Wenn du diese Zeilen liest, Habibi, dann hattest du den Mut, zusammen mit mir ins Wasser zu gehen. Das, was du in dem Tuch eingewickelt finden wirst, ist aber weder eine Belohnung für diesen Mut, noch eine Bezahlung für die gemeinsame Nacht. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Geschenk an eine Person, die mir sehr am Herzen liegt und für die ich mir nichts mehr wünsche, als dass sie glücklich und erfüllt ist, in dem was sie tut. Ich hoffe, dieses präzise Messgerät erleichtert dir deine schwere Arbeit und erlaubt dir, ein wenig Tagträumen, an ein Bett und einen Mann, der sich nach dir sehnt.
 

Er ließ den Brief mehr fallen, als dass er ihn weglegte, um das in ein Tuch eingeschlagene Bündel hervorzuholen. Und John traute seinen Augen nicht. "Du bist doch ein Idiot!", sagte er in der ersten Fassungslosigkeit. So eine Waage war nicht nur äußerst selten, sondern auch noch sündhaft teuer! John war sprachlos, völlig. Denn es war eines der Dinge, die er sich vermutlich am meisten wünschte. "Nadim, du Narr, warum machst du das nur?!" Er konnte es wirklich nicht fassen, las den Brief nochmal und nochmal und verwahrte ihn schließlich sicher.

Als er wenig später die Treppe vom Heuboden hinunterstieg, lag am Ende der Treppe ein riesiger grauer Hund, der es sich da bequem gemacht hatte. "Na, mein Großer?", fragte John und stieg über ihn drüber. "Wer bist du?" Der Hund setzte sich auf und wedelte mit dem Schwanz. Gut gelaunt kraulte John ihn etwas. "Du stinkst, hat dir das schon mal jemand gesagt? Du solltest auch im See baden..." Damit stand er auf und ging zur Apotheke, die er durch die Hintertür betrat, weil er sich erst die Hände waschen wollte. "Sie sind so bezaubernd, meine Liebe!", hörte er wenig später die Stimme einer Stammkundin. "Mr. Forbes kann sich glücklich schätzen, jemanden wie Sie zu haben! Und unser John, der wäre doch die perfekte Partie für Sie! Finden Sie nicht?" John trat in den Laden, ohne genau hingehört zu haben. "Einen schönen guten Abend, Mrs. Blye", begrüßte er die Kundin höflich und gut gelaunt. 

"Patricia!", grüßte er auch die Kollegin. "Hast du meinen Vater gesehen?" Jene nickte in Richtung Nebenraum, als die ältere Dame ihn am Arm nahm. "Finden Sie nicht auch, John, dass Patricia eine ganz wundervolle Dame ist?" John nickte und erwiderte "Aber natürlich!" Damit entwand er sich ihrem Griff. "Sie entschuldigen?!" Er hatte noch einiges mit seinem Vater zu besprechen. Und bekam gar nicht mit, wie Mrs. Blye glücklich über ein geliehenes Ohr von John erzählte, als er noch klein war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Laila82
2017-11-20T21:32:52+00:00 20.11.2017 22:32
Ein Schlüssel + Adresse auf dem Schreibtisch von Tancred. Für Johns Zimmer? So lieb dass er das Hemd behält.
John du hast Tancred verzaubert, er ist traurig ... ich finde es total schön wenn Tancred französisch redet. Ich liebe die Sprache, obwohl ich arabisch noch schöner finde.



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