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Messed up kid that I was...
von

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Five


 

"I've given everyone I know a good reason to go.

But I came back with the belief that everyone I love is gonna leave me."

- Fun, All Alright

 

Er fühlte sich mehr als benommen, als er schließlich wieder erwachte. Einen Moment lang hatte er gehofft, dass er einfach nur einen echt beschissenen Traum gehabt hätte, aber spätestens, als er den dumpfen Schmerz in seinem gesamten Körper spürte, da wusste er, dass das wohl alles real gewesen sein musste. Und das war wirklich ein verdammt mieses Gefühl. Und damit hatte sich wohl auch der Gedanke erledigt, dass er vielleicht einfach Zuhause aufgewacht war. Aus einem sehr, sehr langen Albtraum.

Kaidan versuchte gar nicht erst, die Augen zu öffnen oder sich aufzusetzen, denn was auch immer danach folgen würde, es würde definitiv unangenehm sein. Er hatte seinen Ausbilder angegriffen. Sicher, er hatte das nur getan, um sich zu verteidigen, aber als ob das hier jemanden interessieren würde...? Doch nicht in dieser Art von Einrichtung.

Er fuhr sich ächzend mit der Hand über die Stirn und erstarrte einen Moment, als er die Bandage spürte. Blinzelnd öffnete er die Augen, das grelle Licht blendete ihn einen Moment, ehe sich seine Augen langsam daran gewöhnten und er überhaupt irgendetwas erkennen konnte. Erst einmal die gekachelte Decke, die eigentlich nur zur Krankenstation gehören konnte und dann seine Hand. Mittel- und Ringfinger seiner rechten Hand waren dick in einen Verband gewickelt, ebenso die Handfläche. Hatte er sich die Finger auch gebrochen? Er konnte sich an einiges erinnern (wobei er das eigentlich wirklich, wirklich gar nicht wollte), aber an das...? Nun, wahrscheinlich machte es bei der Menge an Verletzungen auch keinen wirklichen Unterschied mehr. Ihm tat ja ohnehin alles weh, da machte das bisschen jetzt auch nichts mehr.

"Kaidan."

Er löste leicht ungläubigen den Blick von seiner Hand, als die Stimme wie durch eine Schicht aus Watte an seine Ohren drang und drehte den Kopf zur Seite. Zur falschen Seite, niemand zu sehen. Toll, er musste wirklich im Eimer sein, wenn er im Moment links nicht einmal von rechts unterscheiden konnte. Fast hatte er erwartet, dass Rahna an seinem Bett sitzen würde, den gebrochenen Arm in einer Schlinge, aber froh darüber, dass er aufgewacht war und glücklich, dass ihm nichts weiter passiert war. Wobei nichts weiter in diesem Zusammenhang wohl wirklich nur bedeutete, dass er nicht tot war.

Aber es war nicht Rahna, die bei ihm saß. Nicht, dass er über den jetzigen Anblick nicht auch erfreut gewesen wäre, aber einen kleinen Stich versetzte es ihm schon, sie hier nicht zu sehen. Aber wahrschenlich war sie einfach selbst in Behandlung oder musste gerade etwas erledigen. Vielleicht würde sie später kommen, um ihn zu besuchen. Ganz sicher würde sie das machen. Kaidans Lippen formten den Namen seines Besuchers, aber mehr als ein heiseres Keuchen bekam er kaum zustande. Außerdem durchzuckte ihn ein wirklich unangenehmer Schmerz, wenn er versuchte, den Mund weiter zu öffnen. Die Finger seiner gesunden Hand fuhren vorsichtig über seine Lippen. Auf der linken Seite war sie wohl notdürftig mit ein paar Stichen genäht worden, die Haut unter seinen Fingern fühlte sich mehr als wund an. Natürlich. Vyrnnus' Versuch, ihm die Lippen wieder etwas zu öffnen...

"Scheiße, du bist echt hinüber." David betrachtete ihn mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck, einem, den er bei dem anderen Biotiker noch nie gesehen hatte. Er musste also wirklich mehr as mitgenommen aussehen. In Davids Augen wahrscheinlich sogar beschissen. Mit einem leisen Stöhnen versuchte Kaidan, sich etwas aufzusetzen, eine Hand auf seine Rippen gepresst, von denen sicher auch einige durch die Tritte in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Und wenn ihm die Ärzte Schmerzmittel gegeben hatten, dann wirkte es bei ihm wirklich nicht sehr gut, die Schmerzen waren schier unerträglich, sobald er sich nur ein einziges Mal falsch bewegte.

"So schlimm?", fragte Kaidan schließlich heiser, als er sich wieder einigermaßen gefangen und David ihm ein Glas Wasser gereicht hatte, das er mehr über sich gekippt als wirklich getrunken hatte. Als würde es jetzt noch etwas ausmachen, wenn er sich wie der letzte Trottel anstellte. Sehen konnte ihn außer David ohnehin niemand, und der war zu besorgt, als dass er sich wie sonst darüber hätte lustig machen können.

"Du willst im Moment in keinen Spiegel sehen, glaub mir." Zwar versuchte sich David an einem schwachen Lächeln, aber es wurde überschattet von Sorge und ein paar schlaflosen Nächten. Jedenfalls sagten das die dunklen Ringe unter seinen braunen Augen. Und tatsächlich war Kaidan wohl anderthalb Tage weggetreten gewesen. Anderthalb. Er wusste nicht, ob er erschrocken darüber sein sollte oder froh, dass er zumindest nicht wie Robert seinerzeit in ein künstliches Koma verlegt wurde. Aber wenigstens schien es seinem Kopf den Umständen entsprechend zu gehen - als hätte jemand mit einem Hammer auf ihn eingeprügelt.

"Verdammt." Kaidan sah zu David hinüber, der den Kopf schüttelte und auf die Bettdecke starrte. "Ich hab' wirklich gedacht, dass es bei dir auch so enden würde wie bei Robert und Jimmy..."

Jimmy. Ja, irgendwann hatte David ihm die Geschichte von seinem Zwillingsbruder erzählt. Im Moment war es schwer, sich alle Einzelheiten in Erinnerung zu rufen, aber am Ende hatte es geendet, wie es hatte enden müssen, wenn man Kinder zu weit an den Rand ihrer Kräfte trieb. Irgendwann war er einfach umgefallen. Umgefallen und nie wieder aufgestanden.

Wahrscheinlich war das auch etwas, das jedem von ihnen passieren könnte, wenn der Druck und die Erwartungen und der Stress nur hoch genug waren.

"Tut mir leid", antwortete Kaidan leise und blickte auf seine Hände. Was genau ihm leid tat, wusste er nicht. Aber es gab wahrscheinlich einiges. Und es gab einige Fragen, die beantwortet werden mussten. Zu dem gesamten Vorfall - er war sich sicher, dass David und die gesamte Station davon gehört hatten - zu Rahna, zu Vyrnnus... zu allem eben.

"Wie geht es Rahna?" Auch, wenn es für viele nicht die wichtigste Frage gewesen wäre, für Kaidan war sie es. Ging es ihr gut, abseits von dem gebrochenen Arm? War sie vielleicht selbst noch hier auf der Krankenstation? Davids Gesicht schien sich für einen Moment zu verfinstern, und er wagte es kurzzeitig nicht einmal, Kaidan anzusehen, ehe er lautstark seufzte und wieder zu ihm blickte.

"Der geht es gut. Sicher, der Arm ist gebrochen, aber na ja, das war auch alles, was der passiert ist." Wie er den spöttischen Unterton in der Stimme des anderen Jungen zu deuten hatte, wusste er nicht wirklich. Für ihn klang es fast, als hätten sich die beiden gestritten gehabt. Warum auch immer, denn das würde absolut keinen Sinn für ihn machen. Schließlich hatte es nie mehr als kleine, freundschaftliche Streitereien zwischen den beiden gegeben und das meist nur wegen Kartenspielen. "Warst ja du, der alles abbekommen hat."

Kaidan ließ es dabei bewenden. Wenn es ihr gut geht, dann war das alles, was er wissen musste und wollte. Davon ab merkte er doch, dass David das Thema irgendwie mehr als unangenehm war, aus Gründen, die er noch nicht verstand.

"Und... was ist mit Vyrnnus?" Jetzt war seine Stimme unwillkürlich doch etwas leiser geworden als geplant. Einerseits wollte er gar nicht wissen, was mit dem Turianer passiert war und andererseits wollte er hören, dass er keine unheilbaren Schäden angerichtet hatte. Dieser Kerl mochte ein Arschloch ohnegleichen gewesen sein, aber dennoch...

"Der hat bekommen, was er verdient hat." Kaidan weitete die Augen bei den Worten, die er gerade hörte. Nein. "Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Der wird nie wieder auch nur einen einzigen Menschen anrühren."

Sein Mund war mit einem Mal ziemlich trocken, als er David ansah und versuchte zu verarbeiten, was ihm gerade gesagt wurde. "Ich habe ihn umgebracht."

"Du hast dich gewehrt! Was dein gutes Recht war, wo der Typ dich fast zu Tode geprügelt und aufgeschlitzt hat!"

"Ich wollte aber nie..."

"Scheiße, verdammte!" David war auf den Füßen, und der Stuhl hinter ihm fiel klappernd zu Boden, als er urplötzlich aufgestanden war. "Hättest du lieber abgestochen werden wollen?"

Kaidan sah ihn mit einem gequälten Gesichtsausdruck an. Nein. Nein, das hätte er natürlich nicht gewollt. Aber dennoch, dass er ihm mit einem einzigen Tritt getötet hatte... er hatte nichts davon gewollt. Kopfschüttelnd blickte er zu David, der den Stuhl wieder aufstellte und sich mit einem lauten Seufzen wieder darauf fallen ließ.

"Entschuldige, Kaidan. Ich bin auch etwas mit den Nerven runter."

Er jetzt wagte der Biotiker etwas zu fragen, was ihm schon vorher unwillkürlich in den Sinn gekommen war. "Kaidan? Seit wann bin ich nicht mehr Kanada?"

Nicht, dass er den Spitznamen vermissen würde, aber es kam dennoch wirklich überraschend, dass ihn David auf einmal beim Vornamen nannte. Immerhin hatte er ihm doch erklärt, warum er das bei ihm nie getan hatte. David verschränkte die Hände im Schoß und sah ihn auf einmal mit einem zugleich bedauernden und erleichterten Ausdruck im Gesicht an.

"Weil du es geschafft hast, Kaidan. Ich hab dir gesagt, dass ich niemanden beim Vornamen nenne, bei dem ich nicht weiß, ob er es hier schafft. Hast du aber."

Er sah Kaidan die Stirn runzeln. Sicher, Vyrnnus war keine Gefahr mehr, aber deswegen hatte er doch nicht alles überstanden. Immerhin gab es doch Jump Zero noch immer. Und so lange es diese Station gab, würde sie auch weiterhin junge Biotiker in die Knie zwingen.

"Sie schließen die Station. Heute Morgen kam die Durchsage."
 

Ein paar tote Schüler hatte Conatix sicherlich vor der Allianz geheimhalten können, aber einen toten Ausbilder? Nein, jetzt hatten die Verantwortlichen der Firma auspacken müssen und die Allianz hatte entsprechend gehandelt und die soforte Schließung der Station befohlen. Alle Kinder würden wieder nach Haus gebracht werden, scheinbar versprach mach ihnen sogar eine Entschädigung für alles, was diese Station ihnen und ihren Familien angetan hatte. Für viele - nein, eigentlich für alle - von ihnen war das das, was sie sich schon so lange gewünscht hatten. Endlich hatten die Quälereien hier ein Ende, endlich konnten sie ihre Eltern, Geschwister und Freunde wiedersehen.

Kaidan verließ die Krankenstation noch am selben Abend, obwohl die Ärzte dagegen waren. Sicher, er war noch nicht wieder ganz auf den Beinen, aber die Aussicht, dass er bald wieder nach Hause konnte, trug einiges dazu bei, dass er sich rasch wieder besser fühlte. Oder so gut, wie es eben ging. Außerdem wollte er noch mit Rahna sprechen, ehe sie den Planeten verließen. Vielleicht war das eine seiner letzten Gelegenheiten, und er wollte sie nicht verstreichen lassen.

"Bist du dir sicher, dass du zu ihr willst?" Kaidan wandte sich zu David um und sah ihn fast ungläubig an, wieso sollte er das nicht wollen? Er musste sich sicher sein, dass es ihr wirklich gut ging, ihr fragen, ob alles in Ordnung war, vielleicht musste er sogar noch mehr tun... Aber ja, er war sich mehr als einfach nur sicher.

"Natürlich. Wieso? Sollte ich das nicht?"

"Nein, nein. Ich meine nur... Ach, nicht so wichtig." David blieb kurz vor der Tür zu Rahnas Zimmer stehen, während Kaidan einen Schritt durch die offene Tür machte. Bis vor ein paar Sekunden hatte hier noch geschäftiges Treiben geherrscht, Sachen wurden gepackt, Späße gemacht, Zukunftspläne geschmiedet. Und mit einem Mal verstummte jegliches Gespräch und Kaidan wusste, dass es wegen ihm war. Das Schlimme daran war nur, dass dieses Schweigen sich nicht anfühlte, als würde man ihn in irgendeiner Art und Weise für seine Taten würdigen wollen oder irgendetwas dergleichen. Nein, dieses Schweigen war unangenehm, nahezu angsterfüllt. Sie starrten ihn an, als wäre er irgendwie gefährlich oder bissig oder... Vyrnnus.

Rahna kam langsam zu ihm, während der Rest der Mädchen in ihrem Zimmer so tat, als würden sie sich wieder ans Sachen packen machen. Was nur bedeuten konnte, dass sie umso aufmerksamer lauschen wollten.

"Kaidan." Die Biotikerin blieb mit einem ziemlich großen Abstand zu ihm stehen. Sicher, vorhin hatte Kaidan sein Gesicht kurz im Spiegel gesehen und sich selbst erschrocken über den riesigen Schnitt in seinem Gesicht und die blauen Flecken um seine Augen und die Würgemale auf seinen Hals, aber er hatte gehofft, dass es ihr nicht allzu viel ausmachen würde. Aber das war wohl ein falscher Gedanke gewesen.

"Uhm, hey", brachte er leise hervor. Er wagte es noch immer nicht, den Mund weiter als nötig zu öffnen, er hatte nicht wirklich ein Interesse daran, dass sich die Fäden lösten oder dass es wieder zu bluten begann. Mit der gesunden Hand rieb er sich den Nacken und sah sie peinlich berührt an. Er hatte sich einige Dinge zurecht gelegt, die er hatte sagen wollen, aber jetzt, wo er vor ihr stand, da war das alles wieder einmal wie weggeblasen. "Wie geht es deinem Arm?"

Dumme Frage. Immerhin steckte er noch in einer Schlinge und er wusste, dass es einzige Zeit dauern würde, bis der Bruch wieder verheilt sein würde. Aber das war doch normalerweise etwas, das man fragte, oder? Einfach nur, um sicher zu gehen...?

"Wird schon wieder", lautete die knappe Antwort, ehe sich Rahna kurz zu ihren Freundinnen umwandte, als würde sie um Hilfe bitten wollen, als wüsste sie nicht, was sie mit dem Jungen hier in ihrem Türrahmen anfangen sollte. Sie sah wieder zu ihm. "Hör zu, ich muss weiterpacken, wenn uns morgen das Schiff abholt..."

"Ich wollte auch nicht lange stören", beeilte sich Kaidan zu sagen, er wollte überhaupt nicht stören, er hatte nur nach ihr sehen wollen. Und dass sie ihn jetzt so wegschicken wollte, das versetzte ihm schon einen kleinen Stich, aber gut, er störte, das verstand er natürlich. "Ich habe dich nur kurz besuchen wollen und ich dachte, ehe wir alle nach Hause fliegen... Nun ja..."

Er hatte ja auch nicht viel erwartet. Gar nicht viel. Nicht einmal ein Danke. Nicht einmal eine Erklärung, warum sie ihn nicht besucht hatte. Er wusste selbst nicht einmal mehr, was er denn erwartet hatte, als er hierher gekommen war. Jedenfalls nicht, dass er schon nach einer knappen Minute wieder weggeschickt werden würde.

Rahnas Blick war innerhalb dieser Minute unstet gewesen, sie sah alles an, nur nicht ihn. Wollte sie nicht oder konnte sie nicht? Sicher, er war kein schöner Anblick, aber immerhin hatte er sich doch für sie eingesetzt... Es war vielleicht nicht die klügste Entscheidung seines Lebens gewesen, aber immerhin hatte er sie für Rahna getroffen.

"Du warst doch jetzt hier." Kaidan sah die Türkin fast schon fassungslos an. Das war alles? Er hatte fast sein Leben für sie geopfert und sie... sie schickte ihn fort? Sie trat einen Schritt zurück, ihr Blick huschte durch den Raum.

Sie hatte Angst.

Es war nicht wegen seinem Äußeren oder dergleichen. Sie hatte Angst vor ihm. Deshalb wich sie zurück.

"Rahna", begann er unsicher. "Ich wollte nicht... I-ich dachte einfach nur..."

Sie ging noch weiter zurück, als wolle sie sichergehen, dass er sie nicht mehr erreichen, dass er ihr am Ende nicht noch etwas antun könnte.

"Du bist wirklich ein undankbares Miststück!" Mit einem Ruck schob David ihn zur Seite, anscheinend konnte und wollte er sich dieses Trauerspiel nicht mehr mitansehen. "Er wäre fast für dich gestorben!"

Rahna blickte David mit offenem Mund an, unfähig, irgendetwas auf diesen (vielleicht sogar berechtigten) Vorwurf zu erwidern. Sie stand nur da, rang die Hände und blickte von David in jede andere Richtung und wieder zurück.

"David..." Kaidan trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter, aber der andere Biotiker schüttelte sie ab.

"Und du besuchst ihn nicht mal! Du dankst es ihm nicht einmal!"

"David."

"Ehrlich, du solltest dich schämen!"

"David!" Kaidan packte ihn am Kragen, zwang ihn dazu, zu ihm zu sehen und zu verstehen, dass er ihm etwas sagen wollte. "Ist schon gut. Lass uns... lass uns einfach gehen, ja?"

Einen Moment lang hatte er Sorge, dass David ihn wegstoßen würde, so zerknirscht, wie er ihn ansah. Als könnte er nicht glauben, was Kaidan da gerade sagte. Als wäre überhaupt nichts gut.

"Sag nicht, dass du Verständnis dafür hast, dass sie dich wie den letzten Dreck behandelt."

Kaidan sah traurig zu ihm auf, wagte es nicht noch einmal, zu Rahna zu blicken, die die beiden wahrscheinlich wie vom Donner gerührt anstarrte. "Doch... Habe ich."

Schweigend wandte er sich um und ging, darauf vertrauend, dass David ihm gleich folgen würde. Wütend zwar, aber er würde ihm folgen.

 

Am selben Abend noch saß er vor den Monitoren, die ihm eine Verbindung zu seiner Familie ermöglichen sollten. Das letzte Mal, ehe er nach Hause zurückkehren würde und vielleicht wäre das auch nicht nötig, wenn er nicht aussehen würde, wie er aussah. Aber doch, wahrscheinlich war es genau das.

Die Verbindung stand bereits, aber die Kamera hatte er im Voraus schon im Menü ausgeschaltet. Es gab da schließlich... einige Dinge, die seine Familie nicht sofort sehen musste. Besonders seine Mutter nicht. Und wenigstens stand dieses Mal kein Sicherheitsoffizier hinter ihm, der ihn bei dem Gespräch belauschen konnte. Wofür denn auch noch? Wenn die Station ohnehin geschlossen wurde, dann brauchten sie auch keine Aufpasser mehr, die verhinderten, dass sie verbotene Dinge ausplauderten.

"Kaidan?" Die Stimme seines Vaters drang durch den Lautsprecher zu ihm durch und er sah ihn gerade mit gerunzelter Stirn an seinem eigenen Monitor basteln. Gut, Kaidan konnte die beiden sehen, sie ihn aber nicht. " Ich habe kein Bild. Die Verbindung steht wohl nicht wirklich."

"Doch, tut sie", meinte Kaidan müde und rieb sich über die Stirn, atmete einmal schmerzerfüllt aus, als seine Finger die blauen Flecken streiften. "Ich hab'... die Bildübertragung ist noch ausgeschaltet."

"Was soll denn das, Kaidan?" Dieses Mal war es seine Mutter, die sprach und sie klang mehr als ängstlich und besorgt. Und ihr Gesicht spiegelte das auch nur allzu gut wieder. "Ist etwas passiert?"

Okay, bleib stark, ganz ruhig, es kann nichts mehr passieren. Er musste nur einmal tief durchatmen, die Nachrichten waren sicher noch nicht bis zu ihnen durchgedrungen. Warum sollten sie denn auch? Es gab immerhin keinen Grund, weswegen sie den Eltern der Schüler Bescheid geben sollten. Er musste es ihnen einfach nur selbst sagen. Er würde wieder nach Hause kommen. Er würde bald wieder daheim sein. Sehr bald sogar.

"Junge, jetzt schalte die Übertragung ein!"

"Vorher möchte ich, dass Mama das Zimmer verlässt." Kaidan versuchte, seine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen, aber sie zitterte merklich. Sein Kopf schmerzte und augenscheinlich hörte langsam das Schmerzmittel auf zu wirken. Und seine Mutter musste ihn nun wirklich nicht in diesem erbärmlichen Zustand sehen, wenn er sich wegen der Schmerzen halb auf dem Stuhl krümmte.

Die Stimmen seiner Eltern überschnitten sich, seine Mutter protestierte, sein Vater wohl ebenso, dann stritten sie kurz untereinander, deuteten auf den Monitor und Kaidan hatte das Gefühl, sein Kopf würde platzen, wenn sie so weitermachen würden. Er meinte es doch wirklich nur gut!

"Mom. Bitte."

Mit einem Mal herrschte Schweigen und einen Moment lang dachte er, dass man ihm seine Verzweiflung wirklich angehört haben musste, wenn sie auf einmal so still waren. Seine Mutter starrte auf den Bildschirm, fast, als könnte sie ihn plötzlich doch sehen, auch, wenn das vollkommen unmöglich war. Es war sein Vater, der schließlich wieder das Wort ergriff.

"Gut." Es folgten ein paar bittende Worte an seine Frau und auch, wenn sie anfangs noch vehement widersprach und fast den Tränen nahe zu sein schien, so gab sie am Ende doch nach, als ihr Mann sie weiterhin bat und meinte, dass Kaidan sicher einige gute Gründe hätte, darum zu bitten. Und die hatte er wirklich. Schweigend warteten sie, bis sie aus der Tür war, ehe Kaidan überhaupt erst in Betracht zog, mit zittrigen Fingern die Tasten für die Bildübertragung aktivieren zu wollen.

"...Hey, Dad. Versuch, dich nicht allzu sehr zu erschrecken, okay?"

Er sah, wie sich sein Vater müde über die Augen fuhr, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Monitor richtete. Und lediglich nickte. Sicher, es gab nicht viel, was er noch nicht gesehen hatte, aber dennoch wollte Kaidan ihn wenigstens gewarnt haben. Ein weiterer, tiefer Atemzug, dann schaltete er ein.

Und einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen, während sich die beiden in die Augen sahen. Kaidan war es, als würde sein Vater sein Gesicht durch den Monitor hindurch abtasten, ehe er sich mit der Hand über den Mund fuhr.

"Großer Gott, Kaidan..."

"Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht", versuchte er ihn zu beruhigen, auch, wenn es ganz und gar nicht der Wirklichkeit entsprach. Nun, wobei, eigentlich war es nicht einmal gelogen, es war sogar schlimmer, als es aussah. Aber das musste er im Moment nicht wissen, richtig?

"Lüg mich nicht an, Junge", sagte sein Vater ernst. Mittlerweile war er augenscheinlich froh, dass seine Frau nicht mehr mit im Zimmer war, um sich das hier ansehen zu müssen. "Was ist passiert?"

"Ein - uhm - Unterrichtsunfall." Was so gesehen nicht gelogen war. Aber für die Details fehlte ihm im Moment einfach die Zeit. Das konnte er alles noch erzählen, wenn er wieder daheim war. Er sah schon, wie sein Vater den Mund öffnete, wahrscheinlich um zu fragen, in welcher Art Unterricht mit Messern hantiert wurde, aber Kaidan hob schnell die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. Aus Reflex natürlich die rechte Hand, was seinen Vater nur noch einmal herzhaft fluchen ließ. "Dad, hör zu. Die Leute von Conatix oder die Allianz oder... ach, es ist auch egal. Sie schließen die Station. Wir können alle wieder nach Hause. Ich werde euch dann alles erklären, ja? Wirklich alles."

Für einen Augenblick schien es, als würde sich die ganze steife Haltung seines Vaters mit einem Mal entspannen und er atmete erleichtert aus. Waren wohl die besten Nachrichten der letzten Monate gewesen.

"Sie bringen euch alle nach Hause? Wann?"

"Morgen schon. Die Reise wird ein wenig dauern, aber wie es heißt, werden sie uns wieder bis vor die Haustür bringen."

"Müssen sie nicht." Sein Vater schüttelte den Kopf und verschränkte die Hände vor dem Kinn. "Ich traue den Kerlen keinen Meter mehr weit. Das hätte ich von Anfang an nicht tun dürfen. Sollen sie dich bis zum Raumhafen bringen. Von da hole ich dich ab. Wird Zeit, dass du nach Hause kommst, Junge."

Im Moment konnte Kaidan gar nicht anders, als seinem alten Herren dankbar dafür zu sein, dass er das für ihn tun wollte. Mit brennenden Augen biss er sich auf die Unterlippe, was angesichts der Umstände eine wirklich dumme Idee war und nickte dann mit dem Hauch eines Lächelns auf dem Gesicht.

Seinem Vater waren die Umstände wohl egal. Augenscheinlich dachte er nur, dass alles, was passiert war, unmöglich Kaidans Schuld sein könnte. Es musste an den Typen von Conatix liegen, sie waren Schuld, sie und niemand sonst... Und er war ihm wirklich dankbar, dass er das alles so sah. Auch, wenn er die Wahrheit noch gar nicht kannte.

"Erklärst du Mom das alles?", fragte er dann leise. Wahrscheinlich war es besser, wenn er das in Ruhe tat, um sie nicht weiter aufzuregen. Kaidan wollte auf keinen Fall, dass sie nach hinten umfiel, wenn sie ihn das erste Mal sehen würde. Deswegen hatte er sich überhaupt erst dafür entschieden, mit seinem Vater allein zu sprechen. "Ich wollte ihr das alles jetzt nicht zumuten."

"Natürlich."

"Okay. Danke, Dad. Ich werde dann weiter Sachen packen gehen." Viel würde es nicht sein, aber zumindest hätte er dann eine Beschäftigung und müsste nicht weiter über alles nachdenken, was in der letzten Zeit vorgefallen war. Und morgen würde es dann endlich wieder nach Hause gehen. Endlich.

"Kaidan. Und wie geht es dir mit alledem?" Die Frage seines Vaters traf ihn ein wenig unvermittelt. Er blinzelte ein paar Mal. Mit alledem? Mit der Schließung der Station? Mit seinem Zustand? Damit, dass Rahna ihn mehr fürchtete als sie Vyrnnus je hätte fürchten können? "Dieses Mal ohne all die Lügen oder Ausreden."

Natürlich. Seinen Vater hatte er noch nie gut belügen können. Wahrscheinlich war das einfach nicht möglich.

"Beschissen", antwortete er schließlich ehrlich. Schlicht und ergreifend beschissen, wenn er daran dachte, was alles geschehen war in den letzten Tagen.

Die Mundwinkel seines Vaters zuckten. Er war nie ein Mann vieler Worte gewesen, aber die meisten davon trafen immer ins Herz. "Wir werden das ändern, wenn du wieder hier bist, Kleiner. Versprochen."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rooro
2013-07-08T10:07:51+00:00 08.07.2013 12:07
Nein, das glaub ich auch, dass sich dafür niemand interessieren würde, dass er sich nur verteidigt hatte. Dass er erst einmal nur Einspruch gegen diese Lehrmethoden erhoben hatte! Keine Ahnung, wie es am Ende so ausarten konnte, aber es hieß dann wirklich nur noch: er oder ich, als Kaidan instinktiv um sein Leben gekämpft hatte. Aber nein, interessieren würde es niemanden, wenn Vyrnnus überlebt hätte. Aber er hat nicht.
Und gerade das alles von Kaidan, der doch eher diszipliniert und ruhig ist. Man kann sich nicht mal ansatzweise vorstellen, wie er sich nach dem allem fühlen muss. David hätte es ein wenig besser verarbeitet, glaub ich.
Seine Verletzungen sind krass, vor allem die am Mund! Ich seh ihn direkt vor mir, wie er da rot mit schwarzen Fäden und… uwah, echt schlimm, ich kann mir das nicht mal vorstellen, an solch einer empfindlichen Stelle so eine Wunde zu haben! Nur leider sah er ja wirklich so aus, wenn man ihn auf der Normandy erzählen hört :(
Ich mag David. Ich mag seine Sichtweise, wie er die Dinge betrachtet! So gesehen ist er realistischer als Kaidan es ist, weil er einfach mal das sagt, wie es wirklich ist und sich nicht hinter Selbstmitleid und Sorge versteckt und hofft, dass alles wieder gut wird. Ja, hab ich schon gesagt, dass ich David mag? xD
Und jetzt eben Rahna. Das schöne Mädchen, das freundlich und lieb zu allen ist, die ein jeder mag und die jeden mag. Miststück! Dass sie erstmal Angst hat, okay. Sie sieht jemandem zu, der einen Vorgesetzten umbringt, von dem sie geglaubt hatte, sie kenne ihn. Soweit so gut, dass es für manche verstörend sein kann, damit kann ich leben. Aber dass sie dieses Verhalten beibehält, nachdem sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, nachdem David sie zur Rede gestellt hat, das versteh ich nicht! Sie ist abweisend, mehr als das, sie will ihn nicht mal ansatzweise in ihrer Nähe haben! Aber erst um ein Steak betteln, ist klar! Bis jetzt war mir die Frau im Spiel relativ egal, ich fand es nicht in Ordnung, was sie gemacht hat, fertig. Aber dank deiner FF und ihrem Verhalten in dem Kapitel jetzt…. Miststück, ich kanns nicht anders sagen! Es tut direkt weh zu lesen, was sie Kaidan da alles sagt.
Das Gespräch mit seinen Eltern ist so Liebe ;___; Ich kann mir die Mama direkt vorstellen, wie sie im anderen Zimmer mit einem Tempo ringt und mit den Tränen kämpft! Und den Vater, der das Gesehene und Gehörte erstmal zu verdauen und zu verstehen und zu ordnen versucht! Wird Zeit, dass er zu seinen liebenden Eltern zurück kehrt, er hat genug mitmachen müssen :(


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