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Brothers till the end

Sonic & Tails (Brüderlich!) OS-Sammlung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Charaktere: Sonic & Tails brüderlich

Inhalt:
Was tust du, wenn du deinem bestem Freund, deinem Bruder nicht helfen kannst?
Verzweifelst du? Leugnest du die Wahrheit?
Oder vertraust du deinen Erinnerungen?
Leb das Leben, das du verdienst.

Kommentar der Autorin:
Oh je, was hab ich da wieder gemacht?!
War was ganz spontanes. Plötzlich kam die Idee und dann konnte ich nicht mehr aufhören zu schreiben.
Selbes Thema wie immer (^^), diesmal aber wieder deutlich düsterer.
Habe alles absichtlich ein bisschen im Dunkeln gelassen. Hoffe man erkennt, worauf ich hinaus wollte. xD
Sonic ist etwas OOC geraten, aber ich mag es, wenn er heulend zusammenbricht… *muhahaha* :D Komplett anzeigen

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Vergiss mich nicht

Vergiss mich nicht
 

Es war schon irgendwie merkwürdig, wenn ich so darüber nachdenke. Auf der einen Seite konnte ich den ganzen Tag einfach nur ziellos durch die Gegend laufen, ohne mich zu langweilen, Ruhe zu brauchen oder etwas anderes tun zu wollen, aber auf der anderen Seite liebte ich Tage wie diese genauso sehr. Warme Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blätterdach der riesigen Baumkrone über mir drangen, weiches Gras unter meinem Körper, das sogar noch ein wenig feucht von dem nächtlichen Regenschauer war, und die angenehme Ruhe des einfach nur Herumliegens. Ständige Bewegung und stundenlanges Liegen. Zwei Seiten einer Medaille und doch war beides ich. Schon komisch.
 

Ich seufzte und rutschte tiefer an dem Baum herab. Das sollte ich mir jedenfalls abgewöhnen. Immer dieses Rumphilosophieren. Das war viel zu anstrengend. Und außerdem war ich doch bekannt als der, dessen Kopf nicht zum Nachdenken da war. Auch, wenn das irgendwie einer Beleidigung gleichkam, musste ich bei dem Gedanken grinsen. Bisher hat mir mein Kopf immer aus der Patsche geholfen. Und für alles andere war sowieso Tails zuständig.

Und soweit ich wusste war er auch grade wieder dabei die Fachsimpel-Quote für uns beide an diesem Tag zu erfüllen. Er wollte ja lieber in seiner Werkstatt bleiben und rumbasteln anstatt mit mir an die frische Luft zu gehen. Ich sollte ihn wirklich öfter mit nach Draußen ziehen. Das ewige drinnen Herumsitzen kann auf Dauer gar nicht gut sein.
 

Ich öffnete meine Augen einen Spaltbreit und wurde gleich von den bunten Farben des Spätfrühlings begrüßt. Bald würde es Sommer werden. Die Blumen würden verblühen und das noch so frische Gras wird einen Großteil seiner grünen Farbe einbüßen. Dem fehlenden Regen sei es geschuldet.

Nur wenige Meter vor mir ragte unser gemeinsames Zuhause vor dem blauen Himmel in die Höhe. Auch, wenn es harmlos aussah, wusste ich genau, welche Überraschungen jeden erwarten würden, der auch nur dran denkt, dort unerlaubt einzudringen. Ich grinste bei dem Gedanken. Natürlich würde niemand diese Aktion mit seinem Leben bezahlen. Tails hatte an alles gedacht. Das Haus konnte sogar unterscheiden, ob der Eindringling ein lebendes Wesen war oder ein Roboter. Mit Letzteren haben wir nämlich kein Problem etwas unsanfter umzugehen.
 

Mein Blick schweifte zu dem Anbau, der sich neben dem Haupthaus befand. Ich konnte nur einen kleinen Teil des Gebäudes erkennen, bemerkte aber, dass das Tor weit offen stand. Ein Stück des rot gestrichenen Tornados glänzte hell in der hereinfallenden Sonne. Das war also seine Antwort auf „an die frische Luft gehen“? Ich hörte ihn diesen Einwand jetzt schon bei unserer nächsten Diskussion über das Thema vorbringen.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schloss ich die Augen erneut und lauschte dem lauen Frühlingswind, wie er mit den nahen Blättern spielte. Der Wald war so friedlich, dass es beinahe unheimlich war. Zu lange hatte Eggman sich nicht mehr blicken lassen und ich wusste nicht genau, ob ich mich darüber freuen oder der Sache doch nicht so recht trauen sollte. Doch woher sollte man schon wissen, was dieser Typ dachte? Uns blieb nur eins: Abwarten und die freie Zeit genießen.

Wir würden mit allem fertig werden. Solange Tails an meiner Seite war, würde ich nicht zweifeln. Tails, mein kleiner Bruder. Er war zu einem großen Teil meines Lebens geworden. Zu einem sehr viel größeren, als ich es je gedacht hätte. Er WAR mein Leben. Alles andere war zweitrangig geworden. Meine Freiheit: Egal.

Meine Geschwindigkeit: Unwichtig.

Geld und Ruhm: Absolut irrelevant.

Wenn es ihm schlecht geht, geht es mir auch schlecht. Wenn er unglücklich ist, bin ich es auch. Wenn er nicht in meiner Nähe ist, ist alles unbedeutend, bis er wieder da ist. Tails hat mich von Grund auf verändert. Er hat mir das gegeben, von dem ich dachte, dass ich es nie brauchen würde: Liebe, Freundschaft und ein Gefühl des Zuhauseseins. Es war mein größtes Glück, dass ich ihm begegnen durfte. Und auch, wenn mein Leben durch seine Anwesenheit völlig auf den Kopf gestellt wurde, würde ich für nichts in der Welt tauschen wollen.

Dank ihm hatte ich so viel mehr, als ich es mir je erträumt hatte.

Er war mein Leben.
 

Ein schriller Schrei schoss über die Lichtung und das Rascheln der Blätter verstummte augenblicklich. Ehe ich mich versah war ich bereits auf den Füßen und rannte so schnell ich konnte in Richtung der Garage. Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Diese Stimme…

Es dauerte nur Millisekunden, ehe ich durch das offene Tor sprang und abrupt stehen blieb. Panisch blickte ich mich um und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit ehe ich ihn an seinem Schreibtisch entdeckte. Sein Körper war vor Schmerzen gekrümmt, Schweißperlen standen auf seiner Stirn und eine Hand war um die Kante der Werkbank geschlungen, während er die andere in sein Fell gekrallt hatte. Genau an der Stelle, an der sein Herz saß.
 

„Tails!“

Panik erfasste von mir begriff und mein Innerstes verkrampfte. Ganz automatisch wollte ich auf ihn zugehen, doch er wich einen Schritt zurück. Ich versteinerte Augenblicklich.

„Nein. Komm... nicht… näher…“ Er keuchte die Worte nur. Seine Stimme war so schwach, dass ich ihn kaum hören konnte, auch wenn er nur gut zwei Meter von mir entfernt stand. Seine Augen waren halb geschlossen und er hatte den Kopf gesenkt. Immer wieder zuckte er zusammen und jedes Mal stöhnte er vor Schmerzen auf. Es zerriss mich.

„Tails! Was ist los? Du musst sofort zum Arzt!“ Eben war mein Verstand noch so scharf gewesen und plötzlich bekam ich keinen klaren Gedanken mehr zustande. Angst schnürte mir die Kehle zu. Die Angst, die wichtigste Person in meinem Leben zu verlieren.

„Das… hat… keinen… Sinn.“ Sein Körper sackte weiter in sich zusammen und diesmal hechtete ich an seine Seite, um ihn aufzufangen, ehe er auf dem Boden aufschlug. Immer noch von Panik erfüllt, drückte ich ihn dicht an mich heran. So, als könnte ich ihm helfen, indem ich ihn einfach nur fest genug hielt. Sein Atem wurde mit jedem Atemzug schwächer und schwächer und sein Körper verkrampfte immer mehr.

Was war bloß los? Was sollte ich nur tun?

„Tails!“, rief ich verzweifelt und drückte ihn enger an mich. Festhalten. Halt ihn fest!

„So-nic.“ So gut er konnte, hob er seinen Kopf, bis seine hellblauen Augen genau meine trafen. Ich erschrak, als ich bemerkte, wie die Farbe langsam verblasste. Nein! „Bleib… stark. Bitte.“ Seine Worte verdutzten mich. Was meinte er? Doch als er plötzlich seine Hand hob, hätte ich am liebsten laut aufgeschrien. Sie war… transparent. Erst jetzt bemerkte ich, dass seine Beine kaum noch sichtbar waren.

Tails löste sich vor meinen Augen auf.
 

„Du musst ins Krankenhaus; sofort!“ Schnell umfasste ich ihn stärker und wollte ihn gerade hochheben, als ich den schwachen Druck seiner Hand an meiner spürte.

„Nein. Bitte. Du hast etwas… Anderes… zu tun.“ Verzweifelt sah ich ihn an. Warum? Warum ließ er mich ihn nicht retten? Warum nur?
 

„Tails, warum?“ Meine Stimme war leise, brüchig. Jedes Wort brannte regelrecht in meiner Kehle. Ich spürte den Druck in meinem Kopf.

„Verzeih mir, big bro. Ich… liebe dich. Werde immer… bei dir sein. Bitte. Vergiss… mich nicht.“ Mehr und mehr von ihm verschwand. Der Druck in meinen Armen schwand mit jeder endlosen Sekunde. Nein… Nein! Er konnte doch nicht einfach…!

„Tails! Nein!“ Er schenkte mir ein letztes Lächeln. Es war genau das Lächeln, das er an dem Tag trug, als wir Freunde wurden. Nein, als wir Brüder wurden. Dieses Lächeln das sagte: Danke, dass du mich liebst.
 

Und plötzlich war ich alleine. Eine eisige Kälte umfing meinen Körper, als alle Muskeln in sich zusammensackten. Irgendwie schaffte ich es wohl sitzen zu bleiben, denn der erwartete Aufprall auf dem Boden blieb aus. Doch das alles war vollkommen egal.

Das Gewicht, das eben noch auf meinen Schoß gedrückt hatte, war verschwunden. Die Wärme, die ich in meinen Armen gehalten hatte, war einer eisigen Kälte gewichen. Das Gesicht, das mich gerade noch angelächelt hatte, war nicht mehr existent. Und ich hatte nicht die geringste Ahnung, warum.

Mein Körper war taub. Ich spürte absolut nichts mehr. Ich war… wie tot. Mein Grund zu leben hatte sich eben in Luft aufgelöst. Er war… einfach weg.

„Tails…“ Ich schluchzte. Spürte die Tränen auf meinen Wangen. Ich war vollkommen hilflos. Alles hatte seinen Glanz verloren. Es gab keinen Grund mehr zu existieren.
 

Ein lautes Rumpeln ließ mich aufblicken. Erst hatte ich beschlossen es zu ignorieren, doch nach einer Weile wurde es zu penetrant. Ich blickte neben mich. Dort, wo der Tornado stand. Tails Flugzeug. Sein geliebtes…

Meine Augen weiteten sich ungläubig, als ich die Veränderung bemerkte. Das Flugzeug war plötzlich… uralt! Die knallige rote Farbe, die Tails erst vor kurzer Zeit erneuert hatte, war einfach verschwunden. Rost und Dreck überzogen das eben noch gut gepflegte Metall. Dellen drückten sich wie von Geisterhand in die Oberfläche. Alle Modifikationen verschwanden, bis es wieder genauso aussah, wie damals, als ich auf Westside Island abgestützt war.

Wie damals, bevor ich Tails getroffen hatte.
 

„Das ist… nicht wahr!“, keuchte ich und blickte hastig durch den Raum. Die Bilder an den Wänden waren verschwunden. Tails Werkbank löste sich in Nichts auf! Und sogar das Gebäude selber schien sich einfach so in Luft aufzulösen! So, als hätte es nie existiert.

Der Boden unter mir veränderte sich und ehe ich begriff saß ich auf einer Wiese unter blauem Himmel. Der immer noch laue Frühlingswind blies mir sanft ins Gesicht.

„Nein, nein, nein!“ Mühsam erhob ich mich und wankte wie in Trance zurück. Dort, wo eben noch die Werkstatt gestanden hatte, stand nun nur noch ein altes, rostiges Flugzeug mitten auf einer Wiese. Das war doch unmöglich!

Hastig blickte ich zur Seite, doch dort, wo eigentlich unser Haus stehen sollte, befand nur noch eine kleine, einfache Holzhütte.
 

Langsam dämmerte es mir. Und diese Erkenntnis ließ mein Innerstes gänzlich gefrieren. Ich konnte nicht mal sagen, ob mein Herz noch schlug. Ich spürte es nicht.

Ich hatte alles verloren. Alles und noch so viel mehr. Aber warum? Was war hier eben passiert? Ein Albtraum! Das war ein wahrer Albtraum!
 

„Soniiic!“ Ein heller Schrei ertönte hinter mir und für einen Moment schien mein Herz wieder zu funktionieren. Ich blickte mich um und erkannte einen rosafarbenen Igel, der mir winkend entgegen lief.

„Amy!“, stieß ich hervor. „Amy! Tails ist…!“ Ich stockte. Hier war etwas nicht richtig. Ihre Kleidung, sie war…!

„Ahhhh! Du hast dir meinen Namen gemerkt! Ich kann es kaum glauben!“, quietschte sie fröhlich hüpfte vergnügt auf der Stelle. Ihr orangefarbener Rock schwang bei jeder ihrer Bewegungen mit. Ein Rotschimmer zierte ihre Wangen.

„Amy?“

„Ich weiß… Es ist schon einige Jahre her, aber ich hatte nie die Gelegenheit mich dafür zu bedanken, dass du mir damals das Leben gerettet hast!“ Ich blickte sie verdutzt an. „Du weißt schon. Damals auf Little Planet! Ich wollte dir schon so lange danken, hatte aber nie die Gelegenheit dazu!“ Ihr schüchternes Lächeln fühlte sich falsch an. Das passte nicht zu ihr! Das war nicht die Amy, die ich kannte!

„Ich…“, stieß ich hervor, ohne die geringste Ahnung, was ich tun oder sagen sollte.

„Oh, ich störe wohl gerade?“ Sie legte ihren Kopf schief und drückte ihre Arme näher an ihren Oberkörper. Erst da bemerkte ich das kleine Stück Papier und den Stift, den sie fest an sich drückte. „Ich will auch gar nicht nerven, aber ich hatte gehofft… Könntest du vielleicht…? “ Mit hochrotem Kopf streckte sie plötzlich ihre Arme aus und hielt mir den Block samt Stift entgegen. Beschämt blickte sie auf den Boden. Ihr rechter Fuß malte Kreise in die Erde. „Ich weiß… Normalerweise gibst du keine Autogramme, aber ich dachte… Bitte?“

Ganz automatisch und ohne nachzudenken griff ich nach dem Stift und starrte ihn einige Minuten an. Die Erkenntnis sackte immer tiefer in meinen Kopf. Von Sekunde zu Sekunde wurde es mir klarer. Ich hatte mehr verloren, als mir bewusst gewesen war.
 

Ich begriff gar nicht, was ich da tat, als mich das freudige Kreischen des rosafarbenen Igels, der einmal meine beste Freundin gewesen war, wieder in die Realität zurückholte. Auf ihrem Block prangte nun mein Name.

„Oh, danke, danke! Wenn ich das meinen Freundinnen zeige!“ Sie lachte, verbeugte sich mit einem weiteren Danke und verschwand zwischen den umstehenden Bäumen.
 

Sie waren alle verschwunden. Ich hatte mich nie mit Amy angefreundet. Und wahrscheinlich auch nicht mit den anderen. Knuckles, Vanilla und Cream, die Chaotix, Shadow, Silver und Blaze. Und auch nicht mit… Tails.

Alle möglichen Gefühle strömten auf mich ein. Ich hatte Tails nie getroffen. Ihn nie kennen gelernt. Wir waren nie Brüder geworden. Unsere Leben hatten sich nie berührt. Er würde mich nie wieder anlächeln.
 

Dass ich rannte bemerkte ich erst, als ich den Hügel längst hinter mir gelassen hatte. Meine Füße trugen mich vorwärts. Wohin wusste ich nicht genau. Und es war mir auch egal. Ich wollte weg, einfach nur weg. Mein Leben hatte sich innerhalb von Sekunden in Luft aufgelöst. Alle anderen hatten es vergessen! Unser gemeinsames Leben!

Oder… War ich derjenige, der Unrecht hatte? Hatte ich das alles nur geträumt? Gab es Tails überhaupt nicht? Hatten all unsere Kämpfe nie stattgefunden? War das alles nur in meinem Kopf passiert? Wie auf Kommando durchzuckte diesen ein heftiges Stechen. Mir wurde kurz Schwarz vor Augen und im nächsten Moment spürte ich schon, wie ich auf dem steinharten Waldboden aufschlug. Der Schmerz in meinem Kopf flammte wieder auf und ich unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei. Nein, nein, nein! Das war kein Traum! Das konnte einfach keiner gewesen sein! Tails war real, das wusste ich! Mein Bruder hat existiert!
 

Ich sprang wieder auf die Beine und lief. Ich lief und lief. Ohne Pause. Ich hielt nicht an. Für niemanden, der mir über den Weg lief. Ich sah ihre Gesichter nicht. Für mich waren sie nur Luft. Unbedeutend. Sie waren mir… egal. Alles war egal.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon lief, als mir plötzlich der salzige Geruch von Meerwasser in die Nase stieg. Doch ich bremste nicht ab. Ich hatte mittlerweile begriffen, wohin mein Körper mich leitete. Ich musste es mit eigenen Augen sehen. Musste IHN sehen.

Das Wasser unter mir spritze bei jedem meiner Schritte in mein Gesicht. Doch ich beachtete es gar nicht. Selbst der Gedanke, dass ich nicht mehr schnell genug sein könnte und hier – mitten auf dem Meer – ertrinken könnte, erschreckte mich nicht. Ein Teil von mir rief sogar nach dem Tod. Dem Ende. Alles, was mir lieb und teuer war existierte nicht mehr. Warum tat ich es also noch?
 

Es regnete. Das war das erste, was mir auffiel. Hatte ich schon wieder festen Boden unter den Füßen? Ich wusste es nicht. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich die Insel betreten hatte. Und doch musste es so sein, denn ich versank nicht, als ich das erste Mal seit Tagen stehen blieb. Aber in diesem Moment wünschte ich, ich hätte dem Teil in mir nachgegeben, der nach dem Tod gerufen hatte.

Hier stand ich nun. Meine Beine hatten mich hierher geführt. Erinnerungen, die irgendwie nicht zu mir gehören zu schienen, obwohl sie es doch taten, hatten mir diesen Ort gezeigt. Und doch war es unwirklich. Einfach nicht gerecht.

Ich brach zusammen. Gab endlich meinem Körper die Pause, nach der er schon seit Ewigkeiten schreien musste. Hier an diesem Ort. Diesem verfluchten Ort. Zitternde Finger streckte ich ihm entgegen. Diesem namenlosen Stein der lieblos in die Erde gerammt war. Völlig verwittert und mit Pflanzen bedeckt. Zahlreiche Spuren deuteten auf die Schändung dieses kleinen Kindergrabes hin. Ausgeschlagene Kanten des ehemals glatten Steins, plattgetrampelte Erde und das schlimmste waren die großen, vom Regen verschmierten Buchstaben die darauf prangten. FREAK.
 

Diesmal konnte ich die Tränen nicht bekämpfen, als die Bilder auf mich einprasselten. Wollte es auch gar nicht. Es war nur eine Woche nachdem ich auf der Insel gelandet war geschehen. Mein Flugzeug war bereits von einem Fachmann repariert worden und ich war bereit zum Abflug, als ich diesen kleinen roten Punkt auf dem Sand bemerkte. Mit einem seltsamen Gefühl im Magen war ich zu ihm hinübergegangen. Und dort lag er. Seine Augen blickten nichts sehend in den Himmel. Letzte Tränen hingen noch in seinen Augenwinkeln. Einige Gelenke seltsam verdreht. Blut sickerte noch immer in den glühend heißen Sand. Nicht einmal seinen Namen hatte ich gekannt.
 

Mein Schrei hallte durch den Wald, als ich mich daran erinnerte, wie ich das kleine, abgemagerte Kind aufgehoben und es begraben hatte. Ich hatte sein Gesicht genau gesehen, bis auch das unter der Erde verschwand.

Das war kein Traum, nein. Nicht einmal ein Albtraum. Das war zu grausam für einen Albtraum. Das war das Leben. Der Tod.
 

„Verzeih mir, big bro. Ich… liebe dich. Werde immer… bei dir sein. Bitte. Vergiss… mich nicht.“
 

Ich zuckte zusammen, als ich seine Stimme in meinem Kopf vernahm. Seine letzten Worte, bevor all dies passiert war.

Nein, das habe ich mir nicht eingebildet. Ich weiß, dass Tails real war. Mein kleiner Bruder. Meine Welt. Etwas ist passiert, doch ich kann mir einfach nicht erklären, was. Wie soll ich etwas tun, wenn ich nicht weiß, was überhaupt passiert war? Wie soll ich gegen das Schicksal ankommen?

Ich wünschte, ich könnte einfach die Zeit zurückdrehen und all das ungeschehen machen!
 

„Werde immer… bei dir sein. Bitte. Vergiss… mich nicht...“
 

Plötzlich und so schnell, dass meine Gelenke mit einem lauten Knacken protestierten, richtete ich mich auf. Ich hielt dieses Gefühl fest. Klammerte mich daran.

Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Danke, lil bro. Entschuldige, dass ich so lange gebraucht habe, es zu verstehen. Das ich daran gezweifelt habe. Du warst eben schon immer der Klügere von uns Beiden. Du hast es von Anfang an gewusst, habe ich Recht? Dass es irgendwann soweit kommen würde.

„Ich werde dich retten. Ich habe es dir versprochen. Du bist bald wieder bei mir, ich schwöre es.“
 

Tropf, tropf. Immer und immer wieder, doch das Wasser war mir egal. Mein Verlust war größer als meine Angst und Abscheu gegen das flüssige Nass.

Er wird dafür büßen. Das werde ich ihm nie verzeihen… Niemals.
 

Schneller, immer schneller. Mein Körper protestierte. Mit jedem Schritt schien er zerreißen zu wollen und doch gab ich nicht auf. Das Leben meines besten Freundes stand auf dem Spiel. Dank ihm hatte ich so viele andere Leben berührt. Dank ihm glich meine Welt einer sonnendurchfluteten Wiese und nicht einem wolkenverhangenen Meer.
 

„Vergiss… mich nicht.“
 

Ja, du wusstest es. Du wusstest genau, was mit dir passierte, und du hast versucht, es mir zu sagen. Verzeih mir, dass ich es nicht verstanden hatte. Doch ich werde es wieder gut machen. Du hast etwas anderes verdient als diesen geschändeten Grabstein. Du hast es verdient geliebt zu werden.
 

Der Regen tropfte auch hier in Massen vom Himmel. Schliddernd hielt ich vor dem großen, metallenen Koloss inne. Die Kameras hatten mich noch nicht entdeckt, doch gleich würden sie es tun. Ich werde dieses Labor in Schutt und Asche legen, das verspreche ich…
 

Mein Körper bewegte sich und ich dankte Chaos dafür. Trotz der Schmerzen war es ein leichtes die Roboterwachen auszuschalten. Er hatte wohl nicht mit meinem Erscheinen gerechnet. Er hatte wohl gedacht, dass ich ihn wirklich vergessen hätte. Aber wie könnte ich?

Ich erinnerte mich. Und zwar sehr gut. Sein Plan hatte nicht funktioniert.
 

„EGGMAN!“, schrie ich, als ich die Tür zu seinem Computerraum mit einer schnellen Bewegung aufbrach. Ich flog einfach hindurch. Ein lauter Aufschrei ertönte und gleich darauf lag das Surren von zahllosen Lasern in der Luft. Die Wut in mir brodelte. Heißer als alles, was ich je gespürt hatte. Er würde büßen…

Ich spürte, wie mich der Hass durchtränkte. Mich verschlang. Mein Herz ergriff. Und ich konnte mich nicht wehren. Wusste nicht einmal, ob ich das überhaupt wollte. Ich würde es zu Ende bringen. Hier und jetzt.

Die Roboter waren verschwunden, ehe ich blinzeln konnte. Nichts weiter als Schrappnell. Müll.
 

Und da kauerte er. Vor dieser großen Maschine. Der Maschine, die mein Leben zerstört hatte. Mein Leben und das meines Bruders.

„Eggman“, zischte ich und ging zu ihm herüber. Er schrie mir Dinge zu, suchte verzweifelt nach einem Ausweg, doch ich wusste, es gab keinen. Nur noch wenige Zentimeter trennten mich von ihm, als ich innehielt. Er würde büßen, aber nicht so.

Ich schloss meine Augen für einen Moment.
 

„Verzeih mir, big bro. Ich… liebe dich.“
 

Ich liebe dich auch, Kiddo. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Ich wünschte, ich hätte dir das öfter gesagt.

Als ich meinen Blick wieder auf meinen Feind richtete, spürte ich, wie der Hass von einer wohligen Wärme verdrängt wurde. Immer wieder hörte ich seine Stimme, sah sein Lächeln, spürte seine Umarmungen. Ich lasse dich nicht im Stich. Niemals.
 

Die Wärme breitete sich in meinem Körper aus und ich spürte, wie sich sämtliche Energie in mir sammelte. Ich hatte die Chaos Emeralds nicht bei mir, doch ich brauchte sie dieses Mal auch nicht. Diesmal war es meine eigene Stärke, auf die es ankam. Und ich würde alles geben.

Goldenes Leuchten erfüllte den Raum.
 

„Mach sofort rückgängig, was du meinem Bruder angetan hast!“, schrie ich ihm entgegen. „Mach, dass Tails und ich uns damals getroffen haben! SOFORT!“
 

Unbeholfen richtete der Doktor sich auf und drückte mit zitternden Fingern ein paar Knöpfe, bis die Maschine laut zu surren anfing und uns mit einem blauen Licht umhüllte.

Das Nächste, was ich sah, war ein regennasser Wald. Der Winter war dabei Einzug zu halten und die Luft war kühl. Ich kannte diesen Ort, wusste, wo ich war. Und nichts konnte mich glücklicher machen. Ich zählte die Schritte, bis ich den Platz erreichte. Konnte mich an jedes Detail erinnern. Die Wärme in meinem Inneren umschloss nun auch mein Herz, als ich sie sah. Ein blauer Igel und ein orangefarbener Fuchs. Klitschnass und verfroren. Und auf dem Gesicht des Igels hatte sich ein breites Lächeln breit gemacht.
 

„Wie heißt du?“ Diese Frage schien den Fuchs zu überraschen. Perplex sah er dem Fremden entgegen.

„Miles… Prower.“ Bevor er es selbst bemerkte, hatte er seinen Namen bereits ausgesprochen. „Aber ich hasse meinen Namen!“, fügte er noch schnell hinzu.

„Würdest du gerne bei mir bleiben? Bitte sei ehrlich. Würdest du gerne mit mir zusammen wohnen? Ich… habe mir schon immer einen… kleinen Bruder gewünscht.“

„Ist… Ist das… dein Ernst?“

„Aber klar! Du weißt doch, Sonic the Hedgehog erzählt keine Lügen.“

„Danke! Danke, Sonic! Ich… Wollte schon immer einen großen Bruder haben!“

„Für dich würde ich alles machen, lil bro. Lass uns nach Hause gehen.“
 

Ich schloss die Augen. Ließ mich in dem Moment versinken. Genoss ihn. Meine Erinnerung. Das war der Moment in dem ich beschlossen hatte den kleinen, hilflosen Fuchs zu mögen. In diesem Augenblick hatte ich einen Bereich in meinem Herzen entdeckt, den ich bisher nicht kannte und den ich nie wieder missen wollte.
 

„Sonic.“ Mein Herz machte einen Ruck als ich die Stimme vernahm. Ich öffnete meine Augen und bemerkte, dass ich bereits wieder in Eggmans Labor war. Dieser schien allerdings verschwunden zu sein, doch das war in diesem Moment nebensächlich.

Ich wandte mich um. So langsam, wie ich es mir selbst nicht zugetraut hätte. So, als hätte ich Angst, dass er wieder verschwinden würde, wenn ich mich zu schnell bewegte. Es war, als würde ich ihn zum ersten Mal richtig sehen. Sein Fell, eine Mischung aus Orange und Gold. Seine weißen Ohren. Die unglaublich blauen Augen, die funkelten, wie die Sterne am Himmel.

Ein junger Mann, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte.
 

„Hey, Buddy.“ Meine Stimme war leise, doch ich wusste, dass er mich hören konnte. Tränen sammelten sich in seinen Augen und doch verschwand das Lächeln nicht von seinem Gesicht.

„Entschuldige, dass ich so lange weg war.“ Seine Stimme brach, als die Freudentränen die Oberhand gewannen und sein ganzer Körper anfing zu zittern.

„Ich hab dich vermisst, lil bro.“
 

Da war sie wieder. Seine Wärme. Ich drückte ihn fester an mich, immer darauf bedacht, ihm nicht wehzutun. Ich musste mich ständig daran erinnern, dass ich noch immer meine Super-Form hatte und ihn ohne große Mühe zerquetschen könnte. Und trotzdem würde das nie passieren. Ich würde ihn nie wieder verlieren, egal was mich das kostet.

„Lass uns nach Hause gehen.“ Ich spürte, wie er an meiner Schulter nickte. Doch er ließ mich nicht los. Und ich ihn auch nicht. Ich drückte ihn enger an meinen Körper und ging mit ihm in Richtung der zerstörten Tür. Ein letztes Mal wandte ich mich um, streckte meine Hand aus und sammelte alle mir noch zur Verfügung stehende Energie. Ich halte immer meine Versprechen.
 

Ein gleißender Lichtblitz schoss durch den Raum und Sekunden später ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Ich umfasste den zerbrechlichen Körper in meinem Armen fester und brachte uns mit einem Chaos Control so weit weg wie möglich. Erst als ich wieder auf unserem Hügel stand, löste ich meine Super-Form auf und setzte den jungen Fuchs vorsichtig ab. Erstaunt blickte ich auf den Platz, an dem vor kurzem noch die alte Hütte und das rostige Flugzeug standen und war mehr als erleichtert, als mir ein gewohnter Anblick begegnete.
 

Das Bild von meinem Leben, was eben noch zerbrochen auf dem Boden gelegen hatte, begann nun langsam sich wieder zusammen zu setzen. Stück für Stück. Und der größte Part war bereits vollständig.

„Was hast du gesehen?“ Tails Frage überraschte mich.

„Was meinst du?“

„Ich war… tot, oder? Ich habe ohne dich… gar nicht mehr existiert, habe ich Recht?“ Das Bild des geschändeten Kindergrabes erschien erneut vor meinem engeren Auge und ich zog Tails näher an mich heran. Nie wieder. Nie wieder würde ich diese Bilder sehen müssen.

„Denk da nicht drüber nach, lil bro. Das war ein Leben, das es nie hätte geben sollen. Wir haben uns getroffen und du bist jetzt hier. Hier bei mir. Und nichts anderes zählt.“

„Ich hab dich lieb, big bro. Und ich danke dir.“

„Und ich habe dich lieb. Sehr sogar.“
 

„SONIC! TAILS! Ein Glück! Ihr seid okay!“ Tails und ich wandten uns um. In Amys Augen glänzten Tränen. „Ich hatte eben einen ganz verrückten Traum! Chaos sei Dank war das nicht real!“
 

Im Gegensatz zu den anderen Malen begrüßte ich ihre Umarmung sehr. Das Bild setze sich wieder zusammen. Stück für Stück.
 

Stück für Stück.
 

Und ich werde dafür sorgen, dass es nie wieder zerbricht.

Ich werde das Leben, welches ich schenken konnte, mit meinem ganzen Dasein beschützen.

Wir werden beide das Leben führen, welches wir verdient haben.
 

„Komm schon, big bro! Ich habe gerade den Tornado geupgrated! Lass uns eine Runde fliegen!“ Glockenhelles Lachen. „Ich hoffe nur, dass es auch wirklich immer noch da ist und sich nicht in Luft aufgelöst hat!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
PS: Kennt wer die Erinnerung an Sonics und Tails erstes Treffen?
Das hab ich eben mal schnell aus meinem anderen OS ‚Lernen, wie man vertraut’ geklaut xD Wieso auch das Rad neu erfinden…? ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Mich1
2015-05-14T18:58:01+00:00 14.05.2015 20:58
Traurig, dass dieses Kapitel noch keinen Kommentar hat. Ich fand den OneShot einfach niedlich. Es ist alles so knuddelig und man kann sich die ganze Umgebung sehr gut vorstellen. Einfach Süß.


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