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Mondgeflüster

von

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Wolkenbruch

Vier Stunden, das war der Zeitraum. Gefühlte neunzigtausend Kilometer, das war die Strecke. Sie waren seit vier Stunden unterwegs und auch wenn die Strecke wohl etwas übertrieben geschätzt war, fühlte es sich so an, als hätte er sie tatsächlich zurückgelegt. Schon nach den ersten sechs Schritten hatte Kakashi aufgegeben zu zählen, wie oft er bereits angerempelt worden war. Er mochte solche Veranstaltungen nicht und bei Gott, er würde sie auch ganz gewiss nie zu schätzen lernen. Es war laut, eng und der Geruch der ganzen Essensstände vermischte sich zu einer einzigen, nicht auszublendenden Duftnote – Bratenfett. Und trotzdem war er hier, umgeben von Komponenten, die er allesamt nicht mochte, weil er zu seinem Wort stand.

„Erinnere mich doch bitte beim nächsten Mal daran, keine Kompromisse mit dir zu schließen.“ Der Grauhaarige musste fast schon schreien, um sich über die anderen Stimmen hinwegzusetzen. Ein weiterer Umstand, den er nicht wirklich guthieß. „So schlimm ist es doch gar nicht“, erwiderte seine Begleitung schlicht, während er ihn über die Schulter hinweg ansah.
 

Dezent genervt schnalzte Kakashi mit der Zunge und entlockte dem Schwarzhaarigen mit seinem Augenrollen lediglich ein hämisches Lächeln, mit dem dieser sich auch schon wieder dem Sortiment der kleinen Verkaufsbude widmete. Langsam aber sicher glaubte der Hatake wirklich, dass die gute Laune des Jüngeren sich lediglich auf sein Leid bezog. Wirklich, das musste es sein, denn die kleinen Talismane für Glück, Liebe und Zufriedenheit konnten unmöglich als Auslöser dienen. Aber gut, wahrscheinlich war das seine gerechte Strafe. Kakashi hatte in dem Café zu hoch gepokert. Dennoch hätte es ihm eindeutig besser gefallen den Jüngeren dabei zu beobachten, wie dieser ihn in eine Konversation verstrickte, um davon abzulenken, dass er nur lustlos in seiner Süßspeise stocherte. Schadenfroh hoben sich seine Mundwinkel. Das würde ihn in der Tat mehr amüsieren.

Worüber hätten sie sich wohl unterhalten? Hätte Kakashi ihn getriezt? Wahrscheinlich. Trotzdem hätten sie auch miteinander geredet und der Grauhaarige hätte ihn so viele Dinge gefragt. Fragen über seine Interessen, vielleicht über sein bisheriges Leben. Hätte Katsumi sie wohl beantwortet und selbst Fragen gestellt? Wahrscheinlich. Vielleicht auch mit einem genervten Ausdruck auf dem Gesicht, weil Kakashi ihn immer wieder dezent darauf aufmerksam gemacht hätte, dass stochern nicht als essen galt.

Deutlich konnte er sich alles vorstellen. Besonders wie der Schwarzhaarige daraufhin fast schon aus Trotz einen Bissen nehmen würde, wie sich dessen Unmut einzig und allein daran zeigen würde, dass seine feinen Lippen sich dezent kräuselten. Nur die Lippen, weiche, perfekte Lippen. Lippen, die kurz darauf ein verschlagenes Lächeln bildeten, weil Kakashi sie zu offensichtlich anstarrte. Lippen, die mit dem scheppernden Beiklang von zerschlagenden Porzellan, auf seinen eigenen landeten. Hart, fordernd. Schmale Finger, die sich in seine Haare gruben, während der Jüngere langsam auf seinem Schoß Platz nahm. Immer näher, immer fordernder, bis alle seine Sinne nur noch- „Hallo?“ Eklatant holte der Jüngere ihn zurück ins Hier und Jetzt.
 

Der Hatake musste kurz blinzeln, um dem Schleier über seinen Augen zu entkommen und den fließenden Schatten der winkenden Hand des Schwarzhaarigen zuzuordnen.

„Alles okay bei dir?“

„Was?“ Ziemlich unelegant entwich Kakashi die Frage. Eine, die sich eindeutig nicht auf die Realität bezog. Hart drang nun auch wieder die Geräuschkulisse zu ihm durch. Was bitte war da gerade passiert?

„Kakashi?“

Wie von selbst wanderte sein Blick zu dem Mund seines Gegenüber.

“Essen! Wir sollten etwas essen. Etwas Herzhaftes. Definitiv etwas Herzhaftes.“ Impulsiv überging der Hatake den fragenden Unterton des anderen, indem seine eigenen Worte wie ein Wasserfall aus ihm herausbrachen.

„Okay. Ich kenne ein wirklich gutes Restaurant ganz-“

„Nein!“ Hektisch unterbrach der Hatake den Schwarzhaarigen. Auf gar keinen Fall wollte er jetzt etwas aus Porzellan in seiner Nähe... oder dämmriges Licht. Noch immer klammerte sich ein kleiner Teil des Hirngenspins an ihm fest und auch wenn der Schwarzhaarige unmöglich wissen konnte was sich in Kakashis Kopf abgespielt hatte, so war der Polizist dennoch nervös.

„Geht’s dir wirklich gut?“

Ganz sicher nicht. Noch immer war Kakashi damit beschäftigt die eben abgespielten Bilder zu verbannen. „Ja?“ Dass seine Antwort daher wie eine Frage klang, war nebensächlich. Wenn er Glück hatte, würde sein Gegenüber diese als rhetorisch auffassen.

„Du wirkst ziemlich durcheinander.“ Irritation wechselte zu Argwohn. Er musste sich beruhigen, auch wenn sein Herz wie verrückt gegen seinen Brustkorb hämmerte. „Nein, nein, ich hab nur... Lass uns da was essen gehen.“

Ohne wirklich darauf zu achten was es dort gab, deutete der Grauhaarige auf einen Essensstand weiter hinten, fast schon abseits des eigentlichen Gewusels. Noch einmal traf ihn der skeptische Blick des Jüngeren, ehe dieser sich endlich von ihm abwandte und in die eben gezeigte Richtung ging. Schweigsam folgte der Hatake ihm und plötzlich störten ihn die unzähligen Rempeleien auch nicht mehr, im Gegenteil. Bei jeder Kollision rückte sein Tagtraum mehr in den Hintergrund. Wenigstens etwas.
 

„Du magst also Karē-Pan?“

„Was?“

„Karē-Pan. Das, was man hier kaufen kann. Brötchen, mit Curry gefüllt und frittiert.“ Unterstützend zeigte Katsumi auf das Schild, welches am Stand angebracht war und die Speise anpries. Oh ja, Essen.

Eigentlich war er kein großer Freund von Speisen, die in Fett gebacken wurden, aber jetzt, wo sie schon in der Schlange standen, konnte er das schlecht zugeben. Zumal er selbst darauf bestanden hatte hierher zu gehen. „Ja?“

Warum bitte war der einzige Tonfall, den er momentan zu Stande brachte, fragend? Innerlich schlug er sich für diesen Umstand, während die kleine, sarkastische Stimme in seinem Kopf ihn dafür lobte, wie unauffällig er sich momentan verhielt. Ganz normal, kein Stück verrückt.

„-anders.“

Oder gar unaufmerksam.

„Was?“ Sofort lag seine Aufmerksamkeit wieder auf dem Jüngeren. Besser gesagt, auf dessen Mimik. Einer interessanten Mischung aus Besorgnis und Ist das dein Ernst?. Immer wieder zuckten die Mundwinkel seiner Begleitung auf und für einen kurzen Moment glaubte der Hatake wirklich, dass er gleich die Meinung gesagt bekam oder schlimmer – einfach stehen gelassen würde. Eigentlich rechnete er mit allen Eventualitäten, dachte er zumindest, denn die Realität verwirrte ihn dann doch. Der Junge neben ihm fing tatsächlich an zu lachen.

„Dein Gesicht.“ Die sonst melodische, volle Stimme wirkte dünn, wurde beinahe vollständig von dem Laut der Belustigung erstickt „Oh Gott, wie ein verschrecktes Tier.“

Der herzhafte Ton ebbte kein Stück ab und mittlerweile musste sich der Schwarzhaarige sogar Lachtränen aus den Augenwinkeln wischen. Ein schöner Beweis dafür, wie ungezwungen Katsumi sich in seiner Gegenwart fühlte. Wirklich. Und wenn Kakashi sich nicht so überfordert fühlen würde, könnte er das bestimmt auch würdigen.
 

„Machst du dich gerade über mich lustig?“ Mit entgeisterter Irritation beäugte der Hatake die vor Frohsinn schon leicht gebückte Gestalt neben sich, welche schwer atmend um Fassung rang. Ein tiefer Atemzug und noch einer. Dann hatte der Jüngere sich weitestgehend wieder gefangen. Zumindest lange genug um zu antworten, dass er nur mit Kakashi lachte. Dann war es auch schon wieder vorbei mit der Beherrschung.

Das Schlimmste daran war jedoch, dass es ansteckend war. Ohne, dass der Polizist es wirklich verhindern konnte, begann er selbst leise in sich hinein zu lachen. Amüsiert verdrehte er die Augen, als er sich wieder der Warteschlange zudrehte.
 

~
 

Skeptisch beäugte er die goldgelbe Backware zwischen seinen Fingern.

Sie hatten noch eine ganze Weile anstehen müssen, aber jetzt bei genauerer Betrachtung war sich Kakashi nicht sicher, ob sich die Warterei auch wirklich gelohnt hatte. Zumindest hatten sie die Feststraße verlassen, einerseits um in Ruhe essen zu können und andererseits, weil sie tatsächlich schon fast am Ende des Festes angelangt waren. Auch wenn Kakashi es gewohnt war längere Strecken zu Fuß abzugehen, dankten seine Füße Katsumi dafür, dass dieser auf die letzten Meter verzichtete.

Stattdessen saßen sie nun also hier in einer kleinen Grünanlage, keine zehn Minuten vom festlichen Geschehen entfernt. Noch nie hatte sich der Hatake so darüber gefreut zu sitzen, auch wenn es sich dabei um eine recht harte Bank handelte.
 

Mit verhaltendem Eifer biss er von seinem Brötchen ab. Angenehm überrascht weiteten sich seine Augen etwas. Es schmeckte wirklich gut. Vergnügt nahm er einen weiteren, größeren Bissen. Überraschend gut sogar.

„Bei der Reaktion könnte man meinen, dass du das zum ersten Mal isst.“ Belustigt funkelten ihm die grauen Augen entgegen.

„Um ehrlich zu sein, tue ich das auch.“

Stets darauf bedacht das warme Brötchen nicht zu verlieren, nahm der Polizist die selbe Position ein wie der Schwarzhaarige. Den Rücken leicht gegen die Armstütze gelehnt und ein Bein wie im Schneidersitz angezogen, während das andere weiter auf dem Boden verweilte.

„Und es ist gar nicht mal so übel, auch wenn ich Frittiertes nicht so mag.“ Bekräftigend nahm er einen weiteren, herzhaften Bissen. Und dann war es wieder da, das ansteckende Lachen. Diesmal nicht so laut und impulsiv, sondern sanfter und wenn er sich nicht täuschte, auch etwas fassungslos.

„Also hast du mich dahin geschleift, obwohl das eigentlich nicht dein Geschmack ist?“

Nun war es an dem Grauhaarigen verschlagen die Mundwinkel zu verziehen.

„Tja, ich hab´s mit Essen, andere haben dieses Phänomen mit irrwitzig teurer Kleidung...“ Absichtlich ließ er den Satz offen ausklingen. Das Erlebnis mit dem Mantel würde er so schnell nicht fallen lassen. Besonders weil es den Anschein machte, als könne er den Jugendlichen damit wirklich aufziehen. Ertappt verzog dieser den Mund. „Touché.“

Damit war das Gespräch beendet. Schweigsam aßen sie weiter, verputzten ihr Karē-Pan restlos und gaben sich der kühlen Spätabendluft hin. Es war wirklich kalt, aber obwohl jeder von ihnen sich tief in seiner Jacke vergrub, machte keiner die Anstalten ihr Treffen aufzulösen. Kakashi konnte zwar nur für sich sprechen, aber er genoss es. Die Nähe des anderen war noch immer sehr angenehm. Ja, geradezu entspannend und dieses Gefühl wollte er wirklich ausnutzen – bis zur letzten Sekunde.

Ungezwungen lehnte er sich stärker gegen die Armstütze und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen. Von dem klaren Nachthimmel war nichts mehr zu sehen. Dicke, graue Wolken schirmten die Troposphäre vollkommen ab. Ihn störte das allerdings nicht, er schloss einfach die Augen und genoss die Stille.
 

„Sind freie Tage immer noch so schlimm?“

Kurz löste er seine Position, um Katsumi ansehen zu können. „Ich denke, dass sie mit dir okay sind.“

Es war Kakashi egal wie kitschig dieser Satz klang oder wie dümmlich sein eigenes Lächeln gerade wirken musste. Alles, was zählte, war, dass der Schwarzhaarige es erwiderte. Auf seine Art. Nicht übertrieben aufgesetzt, sondern aufrichtig und unbefangen. Einfach schön.

Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt um Fragen zu stellen. Fragen über ihn, der Person hinter Katsumi. Über den Jungen, mit dem er heute den Tag verbracht hatte. Fragen, deren Antworten er allesamt aufsaugen würde. Einfach, weil ihn dieser Junge so viel mehr faszinierte, als Katsumi es je getan hatte. Kakashi wollte ihn wirklich fragen, aber ein feuchter, kalter Tropfen auf seiner Nase unterbrach ihn. Irritiert blinzelte er kurz, bevor ihm klar wurde, dass es jetzt tatsächlich anfing zu regnen.

„Wundervoll.“ Der Polizist war wirklich genervt. Erst hatte er eine unangenehme Anprobe über sich ergehen lassen müssen, dann hatte er sich durch das Fest gekämpft und jetzt das. Eigentlich war er nicht nur genervt, sondern auch wütend, besonders weil der Niederschlag immer mehr wurde. Noch bevor er sich weiter darüber aufregen konnte, wurde er an der Hand gepackt und mit einem lauten „Komm“ einfach mitgezogen.
 

Schon bald wurde aus den paar Tropfen ein richtiger Schauer und seine Kleidung klebte unangenehm an seiner Haut. Noch immer rannten sie durch die Straßen, als wären sie auf der Flucht, versuchten zumindest unter den schmalen Vordächern der Häuser und Geschäften etwas Schutz zu finden und während der ganzen Zeit ließ der 17-Jährige ihn nicht los. Immer weiter zog er den Hatake mit sich. Breite Straßen, schmale Straßen, kleine Fußwege zwischen einzelnen Hochhäusern. In unterschiedlichsten Reihenfolgen durchstreiften sie diese Pfade. Der Regen prasselte laut und verschluckte ihre Schritte mühelos, ebenso wie das Geräusch ihres eifrigen Luftholens. Ein weißer Nebel war alles, was sich von ihrem Atem abzeichnete.

Kakashi hatte jedes Zeitgefühl verloren, aber das war nicht von Bedeutung. Viel wichtiger war der Moment an sich. Seit einer Ewigkeit hatte der Hatake sich nicht mehr so gefühlt. Da war nichts in seinem Gedanken, keine Erwartungen, keine Ansprüche, denen er gerecht werden musste und keine Verpflichtungen. Ganz egal wie verrückt es auch klingen mochte, Kakashi fühlte sich einfach nur völlig frei. Frei und voller Adrenalin.

Unzählige Passanten sahen ihnen nach, als sie an ihnen vorbei rauschten. Klitschnass und, zumindest was ihn betraf, mit einem breitem Lächeln im Gesicht. Er hoffte wirklich, dass ihr Weg noch andauerte, denn im Moment wollte er einfach nur weiter laufen. Egal wohin, Hauptsache die Hand in seiner würde nicht verschwinden.
 

Tatsächlich waren sie noch eine ganze Weile durch Chūō gehastet, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her, aber schlussendlich kamen sie doch irgendwann schwer atmend zum Stehen.

Es war wirklich nicht so, dass es um Kakashis Fitness schlecht stand, aber der Grauhaarige hatte Mühe seine Atmung zu beruhigen. Glücklicherweise erging es dem Schwarzhaarigen nicht anders. Dadurch fühlte er sich nicht ganz so kläglich. Gedanklich nahm der Polizist sich vor bedeutend öfter als einmal in der Woche im Sportbereich des Präsidiums vorbeizuschauen.

Für Außenstehende war dieses Bild bestimmt amüsant. Zwei Männer, völlkommen durchnässt und völlig aus der Puste.

„Und was machen wir jetzt?“ Ratlos sah er den Jüngeren an, der sich nebensächlich das nasse Haar aus dem Gesicht strich.

„Abtrocknen.“ Mit Genugtuung registrierte er, dass der 17-Jährige noch immer nicht wieder ganz zu Atem gekommen war. Seine Freude verschwand jedoch schnell, als die Aussage wirklich zu ihm durchsickerte. Irritiert sah er sich das Gebäude an, vor dem sie nun standen. Dem wirklich einschüchternden Gebäude. Suchend wanderte sein Blick über die helle Fassade, um herauszufinden, wo genau sie sich gerade befanden und als er endlich die unscheinbar wirkende Tafel fand, wäre ihm beinahe der Mund aufgeklappt. Das war doch ein schlechter Scherz.

„Kommst du? Keine Sorge, ich hab hier ein Zimmer.“ Geduldig hielt Katsumi ihm die hohe Glastür auf, während er selbst schon im Inneren des Gebäudes war und den Boden voll tropfte. Mit einem zögerlichen Nicken kam er der Aufforderung nach.
 

Ihre Schritte hallten leise auf dem glänzenden Parkett des Empfangsbereichs wider. Einem wirklich großzügigen Bereich. Was nicht verwunderlich war, denn immerhin hatten sie gerade das MandarinOriental betreten. Eines, der wohl luxuriösesten Hotels in ganz Tokio.

Karma war immer so eine Sache. Kakashi war sich nie wirklich sicher, ob es wirklich existierte, aber wenn das doch der Fall sein sollte, war er sich definitiv nicht sicher, ob seines nun gut oder schlecht war.

Wie dem auch sei, zumindest war es hier bedeutend angenehmer und vor allem wärmer als draußen. Außerdem hätte Kakashi damit rechnen müssen, dass Katsumi nicht in irgendeiner billigen Absteige übernachtete, aber das hochwertige Ambiente stand im großen Kontrast zu den Eindrücken, die er heute über den Schwarzhaarigen gesammelt hatte. Ein Konflikt, der ihn nicht losließ, sich sogar noch verstärkte, als sie im Aufzug standen und die schmalen Finger den Knopf für die sechsunddreißigste Etage drückten. Wohnraum in Japan war knapp und teuer, deshalb baute man hier in die Höhe. Und je höher man war, desto tiefer musste man auch in die Tasche greifen.
 

Mit einem leisen 'Pling' öffneten sich die Aufzugtüren wieder und sie traten in einen hellen Flur. Aus dem Augenwinkel erhaschte der Polizist noch einen kurzen Blick auf das seichte Lächeln des Jüngeren und dann setzten sie ihren Weg auch schon fort.

Er kam sich seltsam dabei vor dem Schwarzhaarigen zu folgen und die Selbstsicherheit mit der dieser das Zimmer öffnete, ließ in ihm die Frage aufkeimen, wie oft Katsumi wohl schon in spezieller Begleitung hier genächtigt hatte. Eigentlich wollte er darüber nicht nachdenken, aber seine Gedanken kreisten wie von selbst darum. Kakashi hatte so viele Fragen, die nach einer Antwort schrien und sich immer weniger in den Hintergrund drängen ließen. Zumindest nicht durch bloße Willensstärke, aber kaum trat er in das Innere des Hotelzimmers, waren sie weg. Sein Kopf war leergefegt, als er das Appartement sah.

Sie waren in einer Suite! Einer verdammten Suite mitten in Chūō, in der sechsunddreißigsten Etage eines verdammten Luxushotels. Er wollte wirklich nicht wissen, was diese Räumlichkeiten pro Nacht kosteten.
 

„Alles in Ordnung?“ Besorgt musterten die dunklen Iriden ihn. Kakashi war unfähig Worte zu formulieren und so nickte er nur einmal kurz, ehe er sich an dem 17-Jährigen vorbeischob.
 

“Geschäftstermin?“ - „Storniert“.
 

Wie ein Stich fühlte sich dieser Erinnerungsfetzen an. Katsumi hatte von vornherein keinen Hehl daraus gemacht, warum er heute Zeit gehabt hatte. Aber auch, wenn Kakashi sich nun auf alles einen Reim bilden konnte – ihm wurde schlecht.

Das war alles so unwirklich. Der glänzende Boden, die hochwertige Einrichtung und jetzt, wo er mitten im Wohnzimmer war, der freie Blick auf das Schlafzimmer, mit dem breite Doppelbett. Jedes kleinste Detail schrie ihm entgegen, dass der 17-Jährige ursprünglich nicht vorgehabt hatte mit ihm hier zu landen und das drehte ihm den Magen um.
 

„Möchtest du duschen?“

Noch immer war Kakashi überfordert und hatte für den Schwarzhaarigen nur ein leichtes Kopfschütteln übrig, während sein Blick an der riesigen Fotografie über dem Sofa hängen blieb. Er war sich nicht einmal sicher, ob er sich überhaupt dazu überwinden konnte hier etwas anzufassen.

Der Polizist musste schlucken. Er hatte wirklich gedacht, dass er sich heute Nachmittag in diesem Geschäft äußerst deplatziert gefühlt hatte, aber das hier stellte alles in den Schatten. Um Längen.

„Du solltest zumindest aus den nassen Sachen raus. Hier, ich leg dir ein paar Sachen auf die Couch.“

Desorientiert blinzelte er kurz, ehe er von den weißen Stoffpäckchen zu Katsumi sah. Wann hatte der Jüngere denn Handtücher und Bügel geholt?

„Ich bin im Badezimmer, lass dir ruhig Zeit.“

Damit verschwand der Schwarzhaarige auch schon und ließ ihn allein. Der Hatake hatte nicht einmal genug Zeit, um angemessen zu reagieren.
 

Resigniert strich er sich über das Gesicht. Das alles hier war so gar nicht seine Welt. Aber war sie denn seine? Brauchte der Schwarzhaarige das hier alles? Wollte er das wirklich? Kakashi muss nicht einmal überlegen. Die Antwort war in beiden Fällen ein klares Nein. Und dann kam ihm ein weiterer Gedanke. Was, wenn der Jüngere sich genauso überfordert fühlte, wie er selbst? Naja, vielleicht nicht genauso. Mit Sicherheit wurde Katsumi öfter mit dieser Art von Ambiente konfrontiert.

Der darauffolgende, freudlose Aufschrei wurde stark durch seine Hände gedämpft. Kakashi wollte nicht in dieser Form von dem Jungen denken, nicht heute. Fahrig strich er sich das graue Haar zurück. Er sollte sich wirklich besser zusammen nehmen und er würde gleich damit anfangen. Fast schon wütend zog er sich die nassen Sachen aus und griff nach einem der weichen Handtücher, um sich abzutrocknen.
 

Der Hatake fühlte sich etwas verloren in dem großen Wohnzimmer und trotzdem hatte er nicht das geringste Bedürfnis den Raum zu wechseln. Immerhin hatte er sich dazu überwunden seine feuchten Klamotten auf die Bügel zu hängen und sich den schneeweißen Bademantel überzuziehen. Für ihn ein Erfolg. Dass es zum Teil auch daran lag, dass er Katsumi nicht nur in Unterwäsche gegenüberstehen wollte, blendete er jetzt einfach aus.

Nur zu deutlich konnte der Polizist den Blick in seinem Rücken spüren, welcher ihn seinen Überwurf nicht einen Moment bereuen ließ. Der Schwarzhaarige stand schon seit einer Weile wieder im Türrahmen des Schlafzimmers, selbst in den weißen Stoff gehüllt. Aber er blieb still, gab Kakashi Zeit sich an die Umgebung zu gewöhnen und dafür war der Hatake ihm dankbar. Noch immer wühlte den Älteren sein momentaner Standort auf. Warum, wusste er selbst nicht genau.

Tief atmete er durch, er musste sich einfach am Riemen reißen. Der heutige Tag war so alltäglich gewesen, so angenehm. Kakashi wollte einen passenden Abschluss. Einen, der zu der lockeren Atmosphäre zwischen ihnen passte und kein verklemmtes Verhalten. Kurz überlegte er, wie er am besten mit der Situation umgehen sollte. Doch ihm fiel nichts ein, bis er durch das bodentiefe Fenster sah.
 

„Ich werde mich wohl nie daran satt sehen können.“

Kakashi hatte sein ganzes Leben in Tokio verbracht und trotzdem – das nächtliche Panorama fesselte ihn noch immer. Die strahlenden Lichter, die sich durch die Nacht schlugen, so beeindruckend, dass man sich selbst vergaß. Alles wirkte auf einmal so unbedeutend neben den meterhohen Gebäuden und den unendlichen Straßen, die alle in der Dunkelheit verschwanden und zu einem einzigen, funkelndem Teppich verschmolzen.

„Es ist wirklich wunderschön“, pflichtete ihm der Schwarzhaarige bei. Kurz darauf erloschen die Lampen und er wurde sanft am Arm gepackt und mitgezogen. Sie steuerten direkt das Schlafzimmer an und kaum hatten sie die Türschwelle passiert, konnte der Grauhaarige nichts anderes fühlen als Leichtigkeit. Der Raum war großzügig geschnitten, aber das war nicht der Punkt. Die komplette Front gegenüber des Bettes war verglast. Von diesem Zimmer aus hatte man sogar freie Sicht auf die Bucht von Tokio.

„Hilf mir mal“, wurde er aufgefordert und so schoben sie zu zweit das breite Sideboard mitsamt Fernseher beiseite, welches sich direkt gegenüber vom Bett befand. Weg aus ihrem Sichtfeld.

Kein Geräusch erklang, als sie beide sich auf die weiche Matratze niederließen, die unzähligen Kissen als Stütze in ihrem Rücken und die Beine ausgestreckt. Nebeneinader, halb sitzend, halb liegend und nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Als einzige Lichtquelle, das schimmernde Tokio bei Nacht. Mit jedem Atemzug konnte Kakashi spüren, wie er sich mehr und mehr in der Skyline verlor.
 

Ebenmäßige Atemzüge, fest und entspannt erfüllten das Zimmer. Jede Minute fühlte sich an wie eine kleine Ewigkeit, aber das spielte keine Rolle.

„Das habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gemacht.“

„Ich auch nicht“, gab er zu. In der Tat konnte er sich nicht an das letzte Mal erinnern und jetzt, wo ihm klar wurde, worauf er verzichtet hatte, bedauerte der Grauhaarige diesen Umstand zutiefst.

„Danke, Kakashi.“

„Wofür?“ Fragend hob er eine seiner Augenbrauen, nahm den Blick jedoch nicht von der Aussicht.

„Für einen ganz normalen Tag.“

Ein stilles Lächeln schlich sich auf Kakahis Lippen. Genau jetzt, genau hier war alles einfach wunderbar. Seit er dem Schwarzhaarigen begegnet war, überkam ihn öfter dieses Gefühl, doch das hier fühlte sich anders an als sonst. Viel wärmer. „Gern geschehen.“
 

Lange war es wieder still. Nur ihre Atemzüge erfüllten den Raum. Ihre Atmung und das unterschwellige Knistern, dass der Jüngere noch etwas zu sagen hatte.

„Du hast mich heute nicht einmal 'Katsumi' genannt.“ Es war nur ein Flüstern, fast schon schüchtern.

„Bist du das denn? Bist du heute 'Katsumi'?“

Eigentlich brauchte der Hatake keine Antwort darauf. Er hatte den Namen heute vermieden, weil es sich einfach falsch angefühlt hatte ihn so anzusprechen. Der Junge an seiner Seite war heute nur das gewesen – ein einfacher Junge.

„Möchtest du, dass ich es bin?“ Die Bettwäsche raschelte dumpf, als der Jüngere seine Beine anzog.

„Nein.“

Ohne groß darüber nachzudenken, überbrückte der Grauhaarige die Distanz zwischen ihren Händen und umfasste sanft die schmalen Finger mit seinen eigenen. Nicht einen Augenblick sah er den Schwarzhaarigen dabei ein, sondern fokussierte teilnahmslos eines der beleuchten Schiffe in der Bucht.

„Bist du dir da sicher?“

„Absolut.“

„Du bist wirklich ein ziemlich komischer Kerl, Kakashi.“

„Ist das gut oder schlecht?“

„Das weiß ich noch nicht.“

Kakashi nahm seinen Blick nicht von der Skyline, nicht für einen Moment. Nicht einmal, als der Kopf des Schwarzhaarigen langsam auf seiner Schulter zum Liegen kam. Warm und schwer, ohne sich dabei falsch anzufühlen. Deutlich entspannte sich die Muskulatur des Älteren und wie von selbst verschwand auch der letzte Rest an Nervosität aus seinen Gliedern.

„Sasuke“, die Stimme des Jungen klang schläfrig, „Eigentlich heiße ich Sasuke."

Selbstsicher neigte Kakashi seinen Kopf zur Seite, bis seine Wange das weiche Haar des Jüngeren berührte. „Ein schöner Name.“
 

Entspannt atmete er den schwachen Duft von Sandelholz ein. Nein, keine Sekunde nahm der Grauhaarige den Blick vom Fenster. Viel zu sehr faszinierte ihn die entspannte Mimik des Jungen, dessen schlafendes Gesicht sich schwach im Glas spiegelte.

„Gute Nacht, Sasuke.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2016-02-28T14:21:15+00:00 28.02.2016 15:21
*Kreisch* Eine neues Kapitel!! Wuhuuu ♥__♥ Damit machst du mich wirklich, richtig, super glücklich! :D
Und es war so SOO schön! Ich hab es gleich auf einen Sitz dreimal gelesen :')

Es war richtig amüsant zu lesen, wie genervt Kakashi von dem ganzen Szenario war. Er hat einem wirklich leid getan xD Ich finde du hast das wieder mal großartig beschrieben! Die Menschenmengen und wie sie rempeln und Kakashi auf die Nerven gehen ^.^ So perfekt, als wäre man direkt neben Kakashi gestanden. Und Sasuke bleibt natürlich ganz gechillt und findet Kakashis Verhalten eher witzig, lacht ihn dann auch direkt aus, weil Kakashi mit den Gedanken meilenweit woanders ist - was ich übrigens seeeehr süß gefunden habe - aber wenn er gewusst hätte, an was Kakashi da gerade gedacht hat, hätte er bestimmt nicht gelacht, sondern ... hmm ... ja, mein Problem ist, dass ich den Sasuke in deiner Geschichte absolut überhaupt nicht einschätzen kann ^.^ Aber ich schätze er hätte nur wissend gelächelt und Kakashi vielleicht ein wenig zappeln lassen :')
Und jetzt kann ich es aber gar nicht mehr erwarten, wenn sie sich endlich wieder in echt küssen und nicht nur in Kakashis Vorstellung *-* Aaah die zwei sind einfach traumhaft ♥

Man merkt besonders bei der 'Durch den Regen laufen'-Szene, dass Kakashi (vielleicht noch nicht verliebt, ich denke das wäre ein wenig übertrieben für den Zeitpunkt) aber eindeutig angetan von Sasuke ist - also, dass er bereits an einem Punkt angelangt ist, an dem er ihn schrecklich vermissen würde, sollte er plötzlich weg sein. So wichtig ist er ihm schon und er genießt die Zeit mit ihm und ich finde es so süß, dass Kakashi dabei vollkommen grundlos eigentlich grinst. Ich liebe deine Geschichte einfach ♥ Sie ist so schön :3

Der Teil in der Suite war auch so toll beschrieben (ich komm aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus xD) und ich verstehe die Gedanken, die Kakashi dabei durch den Kopf gehen nur allzu gut. Es macht ihm zu schaffen, dass er weiß, was Sasuke - Katsumi - eigentlich tun muss und mit welchen Leuten ... aber er sieht in Katsumi trotzdem S a s u k e und das, obwohl er zu dem Zeitpunkt noch nicht mal seinen richtigen Namen kennt. Hab ich schon gesagt, dass deine Geschichte total schön ist? Du verzauberst mich echt mit jedem Wort, um es ein bisschen kitschig auszudrücken ;) ♥

Und dann kommt der Schluss. Und der hat mich von den Socken gehauen haha :D Nein, im Ernst, diese Szene im Bett vor dem Fenster mit der Nacht-Skyline von Tokio ... das stell ich mir so unglaublich schön vor und dann auch noch mit meinem absoluten OTP ♥ Die Art wie sie da miteinander umgegangen sind, geredet haben und Sasuke schließlich seinen richtigen Namen enthüllt hat, es war einfach so atemberaubend schön ♥ Du hast echt ein Händchen für sowas ;) Ein Kuss in dieser Szene hätte mich glaube ich gekillt vor lauter fangirling, ich hab ihn mir so sehr gewünscht xD ABER ich war keineswegs enttäuscht, als es dann doch keinen Kuss gab. So wie du es geschrieben hast ist es perfekt! ♥

Trotzdem freu ich mich jetzt schon waaaaahnsinnig auf den nächsten Kuss ♥__♥ Und ich freu mich auf den Moment, in dem Kakashi schnallt, dass Sasuke Itachis Bruder ist. OH MEIN GOTT. Ich kanns echt gar nicht erwarten haha :D Ich bin schon so gespannt auf das alles, ich muss dich jetzt einfach mal auf Knien anflehen gaaaaaaaanz schnell weiterzuschreiben ;) Bitte ;) Bitte Bitte Bitte :D ♥

Also alles in allem ein wunder wunder wunder wunderschönes Kapitel! :)

Ganz liebe Grüße,
Marie ;D
Von:  Arrin_rain
2016-02-25T23:35:36+00:00 26.02.2016 00:35
Wow einfach klasse ich bin so glücklich das es wieder weiter geht. Mach weiter so ich kann es kaum erwarten.
:)


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