Zum Inhalt der Seite

Blue Boy

[Simon Cruz & Olli "Twisted" Kosunen]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

2. Kapitel - One more time


 

*

Nein, das hätte ich nicht erwartet. Alles, aber nicht das. Dass du mir so unverblümt dein wahres Gesicht präsentieren würdest. Dass die anderen so Recht hatten mit dem, was sie über dich sagten.

Klartext: Du warst wirklich ein Arschloch. Eine arrogante Kackbratze. Ich hätte dich hassen sollen, für die Nummer, die du abgezogen hast. Aber mein dämlicher Schädel musste ja meinen Verstand ignorieren. Einfach so.

Wahrscheinlich war es aber genau das, was dich interessant machte. Interessant für mich. Weißt du, Menschen, die ein bisschen böse sind, sind meistens auch gut im Bett. Das sollte doch auch auf dich zutreffen, oder?

*
 


 

Klingeling.

Das Schicksal sorgte schon dafür, dass ich irgendwann wieder aus meiner Alkoholnarkose erwachte.

Klingeling.

Doch ich wollte es nicht gewinnen lassen. Aus diesem Grunde zog ich mir die Zudecke bis über beide Ohren und versuchte im Halbschlaf dieses lästige Geräusch zu ignorieren.

Klingeling! Klingeling!

Aber das war leichter gesagt als getan.

"Maaaaann ey!", fluchte ich sauer vor mich hin, warf die Bettdecke schließlich von mir und begab mich äußerst widerwillig in die Vertikale. Als die blöde Türklingel ein weiteres Mal so nervtötend herumschrie, schlurfte ich in den Flur, Ollis Anwesenheit komplett ignorierend. Na ja, fast. Sein blonder Schopf fiel mir im Vorbeigehen natürlich ins Auge, aber ich wollte unter keinen Umständen näher über das nächtliche Geschehen nachdenken. Zumal ich mich im Moment eh an nichts Konkretes erinnern konnte. War vielleicht auch besser, sagte ich zu mir selbst. Und als ich letzten Endes die Tür aufriss und dem Störenfried die von mir erdachte Schimpftirade an den Schädel schmettern wollte, aber in ein so bekanntes Gesicht blickte, dass ich kaum noch den Mund aufbekam, war ohnehin alles Vergangene vergessen und nur das Hier und Jetzt zählte.
 

"Simme! Weißt du eigentlich, wie spät es ist?"

Ich öffnete meine Lippen, um eine Antwort abzuliefern, doch Peter gackerte schon weiter in seiner aufgebrachten Art, die meinem postalkoholisierten Schädel ganz und gar nicht gut tat.

"Und wieso gehst du nicht an dein Handy? Wir haben zigmal versucht, dich zu erreichen!"

Obwohl der Mister London so meckerte, es war mir gleich. Vielleicht lag das an meiner Verfassung. Vielleicht auch daran, dass ich sein Auftreten als viel zu überspitzt empfand. Wer wird denn gleich so ein Fass aufmachen, nur weil ich meinem Schönheitsschlaf ein paar Stunden angehängt hatte?

"Akku ist leer...vielleicht", gab ich schließlich schulterzuckend von mir, doch das juckte Peter gar nicht. Peter plusterte sich auf. Ja, das war schon niedlich, musste ich zugeben.

"Heute ist Probe! Und da hätten wir dich schon ganz gerne dabei gehabt."

Er seufzte tief.

"Aber du scheinst dir ja gestern noch richtig die Kante gegeben zu haben, so wie du aussiehst."

"Ey, spiel hier mal nicht die Obermutti", beschwerte ich mich und kratzte mir erst mal ausgiebig die Eier. "Als wenn du immer so pünktlich wärst und nie Alkohol konsumierst. Wenigstens geh ich im Suff nicht so arg ab wie du."

Stimmte das überhaupt? Egal. Irgendwie flackerten mir gerade Episoden von letzter Nacht in meinem aufgeweichten Hirn herum. Und das waren wirklich keine Sternstunden, sollten diese sich tatsächlich so zugetragen haben und keine Halluzinationen sein.
 

Gerade setzte Peter zu einer erneuten Schimpftirade an (der Junge schien eindeutig zu wenig Sex zu haben, dass er sich so aufspielte), als ihm das Wort im Halse stecken zu bleiben schien. Ich bemerkte nun auch, dass er mich nicht mehr anschaute, sondern irgendeinen Punkt hinter mir fixierte.

"Hast du jetzt nen Geist gesehen, oder was?", hakte ich mürrisch nach.

"Na ja, so ähnlich..."

Ich zog den Mund in die Breite und drehte mich entnervt um, damit ich auch mal einen Blick auf Peters Geist erhaschen konnte. Doch alles, was sich mir offenbarte war ein in der Bewegung erstarrter Olli, der in Unterhosen im Türrahmen des Schlafzimmers verharrte.

Hach ja, schön.

"Ja, ja, ja, ich weiß, was du jetzt denkst", kam ich meinem Bandkollegen gleich zuvor, der noch immer nicht die Sprache wiedererlangt hatte. "Aber können wir das bitte später ausdiskutieren, ich brauch erst mal nen Hering und ein Glas Wasser. Wenn du nicht so grantig wärst, würde ich dir sogar auch was zu Futtern anbieten, Peterherzchen."

Doch das Peterherzchen kam wie erwartet nicht über meinen Gast hinweg. Er starrte und starrte und ich glaubte schon, seine Augen würden jeden Moment herausfallen und bis nach Kambodscha kullern. Dabei war Olli doch gar nicht so komisch, dass man ihn am liebsten in der Freakshow abgeben wollte. Im Gegenteil. So wie ich mich daran erinnerte, hatte ich in der letzten Nacht ziemlichen Gefallen an ihm gefunden. Besser gesagt: Mein besoffenes Ich hatte Gefallen an ihm gefunden. Gott, ich durfte die Dinge, an die ich mich erinnerte, gar nicht Revue passieren lassen, sonst hätte ich noch an mir selbst gezweifelt.
 

"Äh...ja, ist ja schön, dass du endlich deine schwule Ader entdeckt hast", meinte Peter schließlich nachdem er sich wieder etwas erholt hatte und Olli sich stumm in das Badezimmer verzogen hatte. "Aber wieso ausgerechnet...der?"

"Nichts hab ich entdeckt", stellte ich klar. "Und du kommst jetzt entweder rein oder bleibst draußen, es zieht nämlich langsam."

Selbstverständlich betrat Peter nun meine Bude. Stand allerdings noch immer da, als hätte er einen Stock im Arsch. Konnte sogar stimmen. Peter war als Kleinkind nämlich in der analen Phase steckengeblieben.

"Willst du nun Frühstück oder willst du mir lieber im Flur als Kleiderständer dienen?"

"Du hattest doch sicher heute Nacht selbst einen Ständer. Mit Olli."

Eigentlich ging es Peter gar nichts an, was ich wann mit wem machte. Deswegen ließ ich die Sache einfach offen.

"Und wenn schon...wir hätten garantiert keine Kleider an unsere Dinger gehängt."

"Also doch."

"Was?"

Peter guckte mich an, als hätte er all meine dreckigen Geheimnisse aus meinen Augen gelesen.

"Du hast diese Dummbratze gevögelt."

"Na, das ist jetzt aber fies."

Ärgerlich zog ich meine Augenbrauen zusammen, wollte dem Satz noch etwas hinzufügen, aber Peter verdrehte bereits die Augen und schüttelte den Kopf.

"Gott, du bist sogar verknallt in den."

"Peter", murrte ich, "ich werde dich nicht als Kleiderständer benutzen, ich werde dich am Kleiderständer aufhängen, wenn du hier so eine Scheiße laberst. Olli hat nur hier gepennt, okay? Wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen? Und wenn ich Olli gebumst hätte - es ginge dich einen Dreck an. Meinen Schwanz kann ich reinstecken, wo ich will. Hältst du doch selbst nicht anders. Oder hast du mich jemals gefragt, ob du dich von Typ XY rammeln lassen darfst?"

Das saß. Wahrscheinlich musste man nur mal ein wenig deutlicher werden, wenn man sein Ziel erreichen wollte. War bei Olli so und war bei Peter wohl genauso.

"Aber...wieso ausgerechnet von dem?", setzte Peter erneut an und klang fast schon verzweifelt. "Da draußen gibts tausend scharfe Typen und du suchst dir ausgerechnet...den aus?"

"Sorry, ich mach dir wohl Stress", hörte ich es hinter mir sagen und blickte nach einer halben Drehung Olli an, der wahrscheinlich sein Geschäft erledigt hatte. "Ich hau dann mal ab, bevor der kleine Pisser mir noch an die Gurgel springt."

Beim 'kleinen Pisser' sah Peter tatsächlich so aus, als würde er sich am liebsten auf Olli stürzen. Aber zunächst musste er an mir vorbei. Und auch wenn ich nicht solche krassen Muckies wie Olli besaß, so war meine Stärke doch nicht zu unterschätzen.

"Ihr gebt jetzt alle beide Ruhe", bestimmte ich, "schließlich ist das hier meine Wohnung und da habe ich zu bestimmen. Wen ich vögle, wen ich nicht vögle und wer sich hier prügelt. Verstanden? Schön. Kann ich dann in Ruhe frühstücken gehen?"

Keiner der beiden erwiderte etwas. Nur ich blieb noch einmal stehe, bevor ich die Küche betrat und nickte Olli zu.

"Und du bleibst noch. Mit einem leeren Magen lasse ich niemanden gehen."

Schweigen. Dennoch folgte mir Olli unauffällig und auch Peter trottete hinter mir her.
 

"Setzt euch hin", wies ich die beiden an, woraufhin sie tatsächlich Platz nahmen, allerdings nicht direkt nebeneinander, sondern mit einem Stuhl Abstand. Ich nahm das mental kopfschüttelnd zur Kenntnis und servierte wenig später ein leckeres Katerfrühstück für Olli und mich. Peter durfte aus dem Nutellatopf naschen.

"Brot ist alle", erklärte ich, während ich das Glas vor dem Blondinchen abstellte und dieses mich ziemlich belämmert musterte. "Tja, tut mir ja leid, aber eigentlich verdienst du dir nicht mal das. Erst klingelst du mich wach und dann machst du hier so einen Aufstand."

"Ja, ja, da siehst du mal, wieso ich damals ausgestiegen bin", mischte sich Olli ein, der wasweißich wie lange schon eine Zigarette in der Hand hielt und sich diese nun zwischen die Lippen steckte, um sie sich anzuzünden. "Viel zu drama, die Queen."

"Halts Maul", zischte Peter dunkel. "Du bist doch wegen etwas ganz anderem ausgestiegen..."

"Reicht", versuchte ich dem sich erneut anbahnenden Streit ein Ende zu setzen. Da das Gemeckere am frühen Morgen ebenfalls an meinen Nerven zerrte, klaute ich mir einfach Ollis Zigarette und nahm erst einmal einen genüsslichen Zug. Erst dann nahm ich auf dem mittleren Stuhl Platz und fischte mir mit der freien Hand einen Hering aus dem Glas.

Zeit für einen Themenwechsel. Höchste Zeit.

"Olli", sagte ich nebenbei, ohne Angesprochenen anzuschauen. "Ich geb dir dann mal meine Nummer, damit du mich anrufen kannst, wenn du wiedermal Bock auf Party hast. Wie lange bist'n eigentlich noch in der Stadt?"

"Keine Ahnung, ne Woche oder so."

"Stockholm hat jetzt schon die Pest", keifte Peter und ich hätte ihm am liebsten den Hering ins Gesicht geschmissen, doch dann hätte ich mich noch unbeliebter gemacht, als ich eh schon war.
 

Wir verfielen wieder in Schweigen, ich lutschte an meinem Hering, Olli hatte seine Zigarette zurückbekommen und qualmte mir entspannt zurückgelehnt die Bude voll.

"Auch Hering?", fragte ich in die Runde, Olli aber schien nicht sonderlich auf das Fischzeug zu stehen und so schlecht wie mir ging es ihm auch nicht, meinte ich. Merkte man ja bereits daran, dass er noch in der Stimmung war, um mit Peter zu zanken. Und wie er plötzlich loslegte.

Ich hatte natürlich bemerkt, welche Blicke er dem Bassisten zugeworfen hatte, aber ich hatte gehofft, dass er wenigstens seine Klappe halten würde - mir zuliebe. Doch nichts da.

"Sag mal", meinte Olli an mich gewandt und nickte in Peters Richtung. "Trägt der eigentlich nen BH? Ich seh da sowas wie ein zweites Paar Träger unter dem Top vorgucken. Und außerdem hat er ziemlich viel obenrum...macht der jetzt komplett einen auf Transe, oder was?"

Stumm musterte ich Peter, der sich erst gar nicht rührte, dann aber wie von der Tarantel gestochen aufsprang, auf Olli zumarschierte und sich dessen Zigarette schnappte.

Für einen Augenblick fürchtete ich, er könnte die Haare des anderen abfackeln wollen, aber er drückte das Ding einfach nur aus. Mitten auf dem Tisch.

"Na, machts Spaß, direkt auf meinen wunden Punkt zu zielen?"

Unter normalen Umständen hätte ich nun 'Bitchfight, ich halte die Ohrringe!' gerufen, aber das hier waren keine normalen Umstände. Hier war die Kacke am Dampfen. Egal, wie blöd sich Peter benahm, niemand hatte das Recht, auf diese eine Sache anzuspielen. Diese Sache, die Peter am meisten verletzen konnte.
 

So schnell wie Peter abgedampft war, konnte ich nicht mehr schlichten. Er rannte fast schon in Richtung Tür.

"Ich warte dann draußen auf dich", meinte er noch beiläufig. "Bis du mit deinem Geliebten fertig bist. Hier drinnen ersticke ich noch."

Dann war er weg. Und ich war mit Olli allein.
 

"Musste das sein?", fragte ich den anderen, der nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte, seitdem Peter ihm die Zigarette ausgedrückt hatte. "Ich meine...du weißt doch bestimmt ganz genau, dass Peter Probleme mit seinem Geschlecht hat. Peter will eben manchmal ein Mädchen sein, na und, ist doch egal. Ist doch sein Leben. Und auch wenn du ihn nicht leiden kannst, musst du ja nicht so...zynisch sein. Mach dich am besten nicht drüber lustig, dann bekommst du auch keinen Ärger mit mir."

"Ach, Ärger mit dir", echote Olli daraufhin und nickte wie ein weiser, alter Mann, der Sarkasmus sprach jedoch aus jeder Geste. "Bist wohl Londons Schießhund, äh? Eigentlich hätte ich es wissen müssen, dass ich mich besser nicht auf einen der gegnerischen Mannschaft einlassen sollte. Gibt nur Stress."

"Och, Olli", verdrehte ich die Augen. "Jetzt sei nicht pissig. Peter ist eben mein Kumpel und auch wenn er manchmal scheiße ist, so mag ich ihn. Heißt aber nicht, dass ich dich nicht auch mögen kann. Letzte Nacht, das war doch eigentlich ganz nett, soweit ich mich erinnern kann."

Ollis Züge wurden starr. Und seine Augen schmaler. Dann stand er einfach auf.

"Letzte Nacht war eine einzige schwule Eskapade", meinte er daraufhin kalt. "Wenn ich mir vorstelle, dass ich dich fast gevögelt hätte, wird mir ganz schlecht."

"Olli!"

Ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Im Schlafzimmer lagen noch seine Sachen, die er sich nun überzog, allerdings nicht sonderlich hastig. Deswegen blieb mir auch noch Zeit, hastig meine Handynummer auf irgendeinem abgerissenen Zettel zu notieren.

Als er fertig war und sich umdrehte, hielt ich ihm den Schnipsel hin.

"Hier."

Olli aber schaute mich nur entgeistert an.

"Was soll ich damit?"

"Du sollst anrufen, wenn du wiedermal Bock auf Party hast."

Ja, vielleicht war ich tatsächlich des Lebens müde. Und eigentlich weiß ich selbst nicht so genau, wieso ich dieses Ekel wiedersehen wollte. War ich so masochistisch veranlagt? Eigentlich nicht, jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Aber manchmal kam der Appetit ja beim Essen. Vielleicht auch hierbei.

"Kein Bedarf", warf mir Olli an den Kopf und rauschte an mir vorbei.

Und ich stand noch immer mit ausgestrecktem Arm da und hielt den Zettel in der Hand.

Super. Aber das war ja immer so: Auf einen geilen Tag beziehungsweise eine geile Nacht folgte ein beschissener Tag beziehungsweise ein beschissener Morgen.
 

Ich ließ meine Hand nach einer Weile sinken. Und irgendwie, ja irgendwie war ich enttäuscht.
 


 

*****
 

"Eins sag ich dir: dein Geschmack ist scheiße."

"Ach ja? Und deiner nicht, oder was?"

Obwohl Olli ziemlich gemein vorhin zu ihm war, konnte Peter bereits wieder frech in die Runde grinsen. Die Verdrängungsmethode half eben immer. Hätte ich auch mal versuchen sollen. Vielleicht.

"Also gibst du zu, dass du was mit dem hattest."

"Einen Scheiß tue ich."

Nein, ich hatte keinen Bedarf, schon wieder die angeblichen nächtlichen Begebenheiten auszuschlachten. Schon deshalb, weil ich nicht wusste, ob ich Olli noch einmal gegen Peters Stänkerattacken hätte verteidigen können. Oder wollen. Wie auch immer. Früher oder später wäre es aber wieder auf diese hinausgelaufen, das stand fest. Doch Peter schien sich ohnehin nicht um meinen Widerwillen der Thematik gegenüber zu scheren.

Während wir in gemäßigtem Tempo in Richtung des Proberaumes dackelten (ich schleppte mich allerdings mehr dorthin, als dass ich fröhlich dackelte) laberte er mich weiter mit dem für ihn heißesten Scheiß des Tages zu. Ja, einen Hering in seiner Fresse zu sehen hätte mich jetzt irgendwie befriedigt.
 

"Na ja, ich versteh dich ja", setzte Peter nun an und ich zog skeptisch aufgrund seiner Einlenkung meine Augenbraue empor. "Heiß ist der Typ ja, muss er ja, schließlich hab ich den damals auch nicht von der Bettkante schubsen können. Und blasen kann der, das glaubst du gar nicht. Angeblich hatte er nie was mit Kerlen, aber ich hab ihm die Naturtalentnummer nicht abgekauft. Nee, Deep Throat ist nichts, was man einfach so aus dem Ärmel schüttelt."

Obwohl ich mich leicht angeekelt fühlte während meines derzeitigen Kopfkinos konnte ich nicht leugnen, dass mich die intimen Fakten über Olli doch ziemlich interessierten. Aber das eröffnete ich Peter freilich nicht. Viel mehr schwieg ich mich aus und hoffte, dass mein sehr verehrter Kumpel mir noch mehr über Ollis Qualitäten berichtete. Doch da ich nicht reagierte, reagierte auch Peter nicht mehr. Schade. Und ich wusste nicht einmal, wieso ich das bedauerte. Wahrscheinlich war ich einfach nur eine neugierige Natur, die Informationen für ihre im Kopf angelegte Stasiakte benötigte. Ja, das musste es sein. Ohne Zweifel.
 

"Trotzdem...er ist zwar gut im Bett, hat fraglos verschiedene optische Vorzüge, aber in ein Arschloch wie den sollte man sich nicht verknallen."

"Ja, und wieso erzählst du mir das?"

"Du wirkst ziemlich verknallt auf mich."

"Jetzt hör endlich auf mit diesem Schwachsinn!"

Keine Ahnung, wie oft ich diese Worte bereits so oder auch sinngemäß von mir gegeben hatte. Und wahrscheinlich würde ich sie noch hundertmal wiederholen müssen, bis Peter endlich verstand, dass mir Olli ziemlich egal war. Klar, mir gefiel es nicht, dass wir nicht gerade im Guten auseinandergegangen waren, aber das lag wohl einzig und allein an meiner Harmoniebedürftigkeit und an nichts anderem.
 

"Ich will nichts von Männern, kapiert?"

Peter wurde etwas langsamer und beguckte sich eingehend meine Haare, die müde hinunterhingen, weil ich heute zu faul und zu krank gewesen war, um mir einen perfekten Iro zu stylen.

"Aber du hast blaue Haare."

"Und?"

Er zuckte mit den Schultern.

"In Aserbaidschan ist blau ein Synonym für Homosexualität."

"In Aserbaidschan?"

"Ja."

Gott, der hatte doch voll den Treffer. Was hatten meine Haare schon mit Aserbaidschan zu tun, ich wusste ja noch nicht einmal, wo dieses verkackte Land auf der Weltkarte zu finden war. Und blau, blau...es gab etliche Typen, die blaue Kleidung trugen und ich bezweifelte, dass sich jeder von ihnen zu Männern hingezogen fühlte. Nein, das konnte einfach nicht sein, das war kompletter Unfug. Blau war doch schon seit Urzeiten die Farbe, die man kleinen Jungs zuordnete. Ich glaubte nicht, dass man sie somit als Homosexuelle auszeichnen wollte.
 

"Du solltest dich echt mal untersuchen lassen, Mann. Du hast sie doch nicht mehr alle."

Peter jedoch zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ich ihm meine Meinung an den Kopf warf. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sein Handy penetrant vor sich hinbimmelte. Viel zu penetrant für meine Katerbirne. Er sollte dem ein Ende setzen, ehe ich es tun würde.
 

Zum Glück für ihn nahm er den Anruf endlich entgegen. Ließ mir somit eine Verschnaufpause von dem anstrengenden Gespräch, welches wir bis jetzt geführt hatten. Eigentlich wollte ich sie nutzen, um über Olli nachzudenken; über Olli, sein aufbrausendes Verhalten heute Morgen und die Geschehnisse von letzter Nacht. Doch meine Gehirnzellen schienen noch immer in der Ursuppe zu schwimmen. Und nicht nur das - Peters Telefonat pflanzte mir zusätzlich ein dickes Fragezeichen über den Schädel, sodass ich neugierige Natur einfach gespannt lauschen musste.

Er faselte irgendwas von 'Honey' und schien auch sonst ziemlich weich heute zu sein, fast schon wie ein Stück Butter, das in der heißen Pfanne dahinschmolz. Alter, was ging denn hier? Ich wollte es erfahren. Und ich würde es erfahren. Gleichzeitig konnte ich damit von mir und meinem Olli-Problem ablenken, das eigentlich keines und doch eines war.
 

"Wer ist denn der Glückliche?", fragte ich Peter gespannt, als er aufgelegt und das Handy in seiner Hosentasche verschwinden lassen hatte (heute trug er ausnahmsweise mal keinen Rock, oh Wunder).

"Welcher Glücklicher?"

Langsam zweifelte ich wirklich an meinem Ausdrucksvermögen. Alkohol schien das arg zu schädigen.

"Na...", setzte ich an und imitierte eine hohe, übertriebene Stimme. "Honey, wir kommen gleich, keine Angst, Honeylein, dein Peterchen kümmert sich gleich um dein Schwänzelchen."

"Das hab ich gar nicht gesagt", regte Peterchen sich prompt auf und ich widersprach ihm grinsend.

"Doch, doch, doch, du hast deinen Gesprächspartner Honey genannt. Jetzt sag mir doch, wer dein neuer Honey ist."

Aber Peter war schlauer. Schlauer als man manchmal annahm. Er vermochte es, mich mit meinen eigenen Waffen zu schlagen. Schon sein überlegener Blick sagte mir, dass er zuletzt lachen würde.

"Wie war das? Wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen? Meinen Schwanz kann ich reinstecken, wo ich will."

Na prima. Jetzt würde ich vor Neugierde verrecken. Peter schwieg wie ein Grab und es half nicht mal etwas, ihn an den Seiten zu kitzeln und ihm somit eine Antwort durch Folter zu entlocken. Dennoch würde ich früher oder später herausfinden, mit wem Peter derzeit bumste. Das war doch immer so. Erst machte er ein Riesengeheimnis daraus und wenige Tage später kannte die halbe Stadt sogar schon Details über sein derzeitiges Sexualleben.
 

Ich war da anders. Ich riss meine Fresse nicht auf, wenn ich mal wieder eine Schnitte im Bett hatte. Wieso sollte ich auch? Die meisten Erlebnisse konnte man als bloße One Night Stands bezeichnen, die mehr oder minder gut ausfielen und am nächsten Tag schon nicht mehr von Belang waren.

Und das mit Olli war auch nichts anderes. Das mit Olli war sogar noch weniger. Das war überhaupt nichts. Ich meinte mich zwar an einen ziemlich heißen Kuss zwischen uns beiden zu erinnern, aber was bedeutete schon ein Kuss? Er hatte mir nichts bedeutet und Olli schon dreimal nicht, wie er mir unmissverständlich klargemacht hatte. Im Grunde war es tatsächlich nur eine schwule Eskapade, bedingt durch Alkohol. Nichts, worüber ich noch nachdenken musste.

Trotzdem tat ich genau das. Ich dachte ständig an diese Nacht. Versuchte die anzüglichen Gespräche zu rekonstruieren, die sich zwischen uns zugetragen hatten, was allerdings hoffnungslos war. Versuchte herauszufinden, was genau einen Kuss mit einer Frau von einem mit einem Mann unterschied. Doch mein Kopf war wie leergefegt. Da war nichts mehr. Da war nur noch dieses unangenehme Ziehen im Magen, wenn ich mich an Olli erinnerte. Und die Gewissheit, dass ich so nicht weitermachen konnte mit meinem kleinen, verkackten Leben.

Das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Bevor wir uns nie wieder begegneten, brauchte ich einen reinen Tisch und wenigstens neutrale Gefühle auf beiden Seiten. Ich hasste es zu wissen, irgendwo so etwas wie einen Feind zu haben. Oder zumindest jemandem, mit dem man sich nicht sonderlich gut verstand.
 

Also wagte ich das Unterfangen bereits wenige Tage später. Fühlte mich wie ein vollkommen Wahnsinniger, als ich alle Hotels in der Gegend per Telefon abklapperte und mich nach einem Herrn Olliver Kosunen erkundigte, weil ich keine Ahnung hatte, wo er während seines Schwedenaufenthaltes wohnte.

Und jedes Mal sah ich Peter vor mir, einen hämisch grinsenden Peter, der mir eine böse, böse Behauptung ins Ohr flüsterte.

"Gott, du bist sogar verknallt in den."

Dieser Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und umso länger ich über ihn nachdachte, desto schwachsinniger fand ich ihn. Leider hätte das, was ich hier tat, bei einem Außenstehenden genau diese Assoziation hervorgerufen. Nein, nicht nur bei einem Außenstehenden. Sicher auch bei Olli.
 

"Du schuldest mir noch zwei Zigaretten."

Das war mein Spruch, den ich locker-lässig vortrug, als ich Olli nach einer halben Ewigkeit erreichte. Doch so locker-lässig wie ich vorgab zu sein war ich längst nicht. Im Gegenteil. Ich fürchtete, Olli könnte an das Naheliegendste denken, was mich zu diesem Anruf verleitet hatte.
 

Verknallt. Simme und verknallt. Ich machte ja viel Scheiße mit, aber das ging zu weit.

Verknallt wie ein kleines Mädchen. Absurd.

Doch würde Olli das ebenso sehen?
 


 

*

We were never the perfect couple

We were never nothin' but trouble

I can't stay with you forever

Baby you're the best fun that I've had

*
 



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück